Allgemeine Zeitung, Nr. 37, 6. Februar 1850.[Spaltenumbruch]
Boichot ist eine Broschüre: Aux electeus de l'armee erschienen, sie Die Proposition des Hrn. Cordier hat so ziemlich die gestrige Berichte aus Algier vom 25 Jan. melden einen Kriegszug des Ober- Paris, 30 Jan. Die innere Lage Frankreichs ist höchst be- * Paris, 1 Febr. Lord Palmerston scheint sich nicht damit zu begnü- Italien. Rom, 29 Jan. Die alte Leyer! Von Neapel Briefe welche die [Spaltenumbruch]
Boichot iſt eine Broſchüre: Aux électeus de l’armée erſchienen, ſie Die Propoſition des Hrn. Cordier hat ſo ziemlich die geſtrige Berichte aus Algier vom 25 Jan. melden einen Kriegszug des Ober- ♀ Paris, 30 Jan. Die innere Lage Frankreichs iſt höchſt be- * Paris, 1 Febr. Lord Palmerſton ſcheint ſich nicht damit zu begnü- Italien. ᷅ Rom, 29 Jan. Die alte Leyer! Von Neapel Briefe welche die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0007" n="583"/><cb/> Boichot iſt eine Broſchüre: <hi rendition="#aq">Aux électeus de l’armée</hi> erſchienen, ſie<lb/> fängt mit den Worten an: Kameraden, da die Republik in Gefahr iſt ꝛc.<lb/> Die Polizei hat die Hand darauf gelegt. Auffallenderweiſe wurde kürzlich<lb/> auch V. Hugo’s Rede, die in beſondern Abdrücken verbreitet wurde, in<lb/> Lyon weggenommen, weil ſie ſich unehrbietig über den Belagerungsſtand<lb/> äußert.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Die Propoſition des Hrn. <hi rendition="#g">Cordier</hi> hat ſo ziemlich die geſtrige<lb/> ganze Sitzung ausgefüllt, ſie bezweckte die Beſchränkung des parlamen-<lb/> tariſchen Vorſchlagrechts, von welchem allerdings ein etwas gar zu ſtar-<lb/> ker Gebrauch gemacht wird. In den acht Monaten vom 28 Mai 1849<lb/> bis 28 Jan. 1850 wurden nicht weniger als 207 Geſetzvorſchläge einge-<lb/> bracht, 47 davon erhielten die Ehre einer Berathung, 15 gingen in Ge-<lb/> ſetzeskraft über, 145 wurden verworfen, zurückgezogen, vertagt oder ſind<lb/> noch nicht auf die Tagesordnung gelangt. Der Ueberſchwemmung mit<lb/> zum Theil höchſt unreifen legislatoriſchen Verſuchen wollte nun Hr. Cor-<lb/> dier einige Gränzen ſetzen, allein von Seite der Oppoſition ſah man dar-<lb/> in ein Interdict welches die Majorität auf die Minorität legen würde, und<lb/> bei der Abſtimmung wurde der Vorſchlag mit 342 gegen 250 Stimmen zu-<lb/> rückgewieſen. Hierauf kündigte Hr. Piscatory (der ehemalige Geſandte<lb/> in Athen) eine Interpellation über die griechiſche Sache an. Auf Verlan-<lb/> gen des Minifters der auswärtigen Angelegenheiten, General de la Hitte,<lb/> wurde die Verhandlung acht Tage hinausgeſetzt. Bis dahin können neue<lb/> Berichte aus Griechenland kommen, denn das Paketboot welches die Depe-<lb/> ſchen des franzöfiſchen Geſandten überbrachte, war im Augenblick der<lb/> Blokade-Erklärung abgegangen, und unterdeſſen kann man auch hören<lb/> wie Lord Palmerſton im Parlament ſich ausſpricht. Heute iſt das Ge-<lb/> ſetz über die Verlegung des Hauptortes des Loire-Departements von<lb/> Montbriſon nach St. Etienne in zweiter Berathung.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Berichte aus Algier vom 25 Jan. melden einen Kriegszug des Ober-<lb/> ſten Canrobert nach dem Auraſtus. Eine kleine Bergſtadt, Nara, wurde<lb/> am 5 Jan. erſtürmt und nebſt zwei Dörfern, die gleichſam die Vorſtädte<lb/> dazu bilden, dem Boden gleichgemacht. Ueber 500 Todte blieben auf dem<lb/> Platz, ungerechnet diejenigen die in den Gaſſen von Nara gefallen oder<lb/> unter dem Schutt ihrer Häuſer begraben ſind. Achtundfünfzig Stunden<lb/> verwendeten die Franzoſen zu dieſem Werk der Zerſtörung, dann zogen<lb/> ſie wieder ab. Auf Zaatſcha iſt Nara gefolgt, ſo hofft man durch Schre-<lb/> cken der noch widerſpänſtigen Einwohner vollends Meiſter zu werden.<lb/> Zwiſchen dem 10 und 15 Jan. wurde die Colonne in Bathna zurück-<lb/> erwartet.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline>♀ <hi rendition="#b">Paris,</hi> 30 Jan.</dateline> <p>Die innere Lage Frankreichs iſt höchſt be-<lb/> denklich; der Communismus hat die tiefſten Wurzeln; im Grunde ge-<lb/> nommen ſind das die in der Arbeiterclaſſe überall herrſchenden Anſichten;<lb/> ſie wollen daß der Staat ſich zu einem Arbeiterſtaat, zu einer allgemei-<lb/> nen Fabrik, allgemeinen Manufactur umgeſtalte, mit Aufhebung aller<lb/> Capitalien aus den Händen der Einzelnen, mit Concentrirung aller Ca-<lb/> pitalien in den Händen des Staats, ſie wollen den Staat zu einem gro-<lb/> ßen Hoſpitale für die arbeitenden Claſſen ausbilden; man höre ſie nur in<lb/> Paris reden wie ich ſie zum öftern habe reden hören. Ob der Staat Re-<lb/> publik oder Monarchie ſey das iſt uns gleich, aber der Staat iſt für den<lb/> Arbeiter da, wir geben der Aſſemblée und dem Ludwig Bonaparte Friſt<lb/> für ein Jahr noch, zwei Jahre höchſtens; wenn dann ſich nicht unſre Lage<lb/> anders geſtaltet hat, wenn man da nicht für den Handwerker gethan hat<lb/> was der Handwerker verlangt, ſo wird er Hand ans Werk legen, ſelber<lb/> regieren, das ganze Werk ſtürzen. So reden die Kaltblütigeren, die<lb/> Vernünftigeren; nicht ſo die Heißen, die wilden rothen Mützen. Dieſe<lb/> verſtricken ſich immer tiefer in geheime Geſellſchaften, unterhöhlen den<lb/> ganzen Boden und rechnen auf nichts als auf den gewaltſamſten Einſturz<lb/> aller geſellſchaftlichen Ordnung; es gibt unter ihnen eingefleiſchte Teufel,<lb/> zudem ſtachelt man ſie auf durch den Geiſt aller Laſter, bösartiger fleiſch-<lb/> licher Genüſſe. Unter dem Landvolk geht das Ding ſchwerer von ſtatten,<lb/> aber es ſchreitet vorwärts. Ludwig Bonaparte traut auf ein erneutes<lb/> Syſtem der Adminiſtration und concentrirt alle Gewalt in den Händen<lb/> ſeiner Präfecten; die Centraliſation ſpannt ſich aufs höchſte und ebenſo<lb/> die militäriſche Regierung; das mögen Nothwendigkeiten ſeyn des Mo-<lb/> ments im Angeſicht großer Gefahren, aber darin liegt gar keine Zukunft.<lb/> Die Conſervativen aller Art, Legitimiſten, Orleaniſten, gemäßigte Re-<lb/> publicaner ſehen dieſem Bonapartiſchen Regierungsplan mit Mißtrauen<lb/> zu, aber ſie widerſtreben ihm nicht, denn es iſt ihre eigene Sache die ſie<lb/> proviſoriſch unter dieſer Firma zu verfechten genöthigt ſind. Unglaublich<lb/> iſt die Bearbeitung aller Volksclaſſen durch die Verſchwörungen des<lb/> Communismus, und dieſes eben ruft nothgezwungen die größere Schärfe<lb/> des Widerſtands hervor. Gäbe es in Frankreich einen Staat, eine poli-<lb/> tiſche Verfaſſung wie in England, wie in Nordamerika, die Nation würde<lb/> ſich durch ihre eigene Kraft zu retten und zu erhalten wiſſen; aber in<lb/> Frankreich ſind die gebildeten Claſſen wahrhaft mehr oder minder politiſch<lb/><cb/> unmündig, während das Volk zügellos wird, immer rebelliſcher, herri-<lb/> ſcher in ſeinem Sinne, einen ſocialen Krieg faſt überall ankündigend, un-<lb/> ter allen Formen. Ja die Geſellſchaft iſt zu retten, und es gibt nichts<lb/> verzweifeltes in ihrer Lage, aber dazu gehören zwei Dinge: daß Ludwig<lb/> Bonaparte den abſurden Gedanken aufgibt es ſey an und für ſich im ad-<lb/> miniſtrativen Syſtem ſeines Ohms eine politiſch-ſociale Rettung vorhan-<lb/> den geweſen, und die Menſchheit laſſe ſich gängeln wie ein Kind, denn<lb/> erſtens hat er nicht die Hand dazu, und zweitens hat er nicht mehr die<lb/> Werkzeuge; dann daß die conſervativen Claſſen aller Art, Legitimiſten,<lb/> Orleaniſten, vernünftige Republicaner die Spaltung aufgeben und ſich<lb/> darin vereinigen wie Grütlibrüder vereint in den Provinzen die öffentliche<lb/> Ordnung aufrecht zu erhalten; das können ſie wenn ſie wollen, und hiezu<lb/> iſt ihnen der Klerus die erſte Hülfe. Der Socialismus, Communismus,<lb/> der Radicalismus, der aus den revolutionären Blättern aller Art wehende<lb/> Geiſt <hi rendition="#g">muß</hi> gebrochen werden, denn es iſt Brand und Mord, Gift und Peſt-<lb/> beulen, er kann aber nur gebrochen werden durch Einwirkung aller ſocialen<lb/> Einflüſſe, deren <hi rendition="#g">Organe</hi> die Präfecten und Beamten höchſtens ſeyn kön-<lb/> nen, und nicht auf Napoleoniſche Weiſe ihre <hi rendition="#g">Leiter</hi> und <hi rendition="#g">Herren;</hi><lb/> wenn ſich die vollziehende Gewalt nicht aufs innigſte mit der ſocialen Kraft<lb/> vereinigt, ſo iſt alles vorbei; Frankreich kömmt nicht aus ſeiner Krank-<lb/> heit heraus, die Familien ſtürzen ſich auf die Aemter, wollen vom Staat<lb/> leben, es gibt Ueberſchwemmung von Beamten, alles wird kraft- und<lb/> nutzlos, und die Minirer ſetzen ihr Werk fort, den ganzen Boden un-<lb/> terhöhlend.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline>* <hi rendition="#b">Paris,</hi> 1 Febr.</dateline> <p>Lord Palmerſton ſcheint ſich nicht damit zu begnü-<lb/> gen daß demokratiſche Politiker in ihm den letzten Anker der europäiſchen<lb/> Freiheit ſehen, es iſt ihm nicht genug daß, ich weiß nicht in wieviel deut-<lb/> ſchen Blättern, ſein Lob geſungen worden, er will in der ganzen europäi-<lb/> ſchen Preſſe beſprochen, wenn auch nicht beſungen ſeyn. Zu dieſem Be-<lb/> huf ſchickt er die engliſche Flotte nach dem Piräeus um einige hunderttau-<lb/> ſend Drachmen einzutreiben, und einige Inſeln wegzufangen auf die England<lb/> genau ſo viel wie der Kaiſer von China Anſpruch hat. Iſt man bei dieſem<lb/> Abſtecher welchen die engliſche Flotte nach dem Piräeus macht, zu glauben<lb/> berechtigt daß die Blokade Griechenlands von vornherein ihre eigentliche Miſ-<lb/> ſion war? Der edle Lord konnte nicht länger die Rache aufſchieben die er<lb/> dem König von Griechenland geſchworen. Die ruhmreichen Thaten vom 17<lb/> Jan. 1850 wären wahrſcheinlich ſchon vor zwei Jahren vollbracht worden,<lb/> hätten nicht die Ereigniſſe auf dem Continent allzuſehr die Aufmerkſam-<lb/> keit des engliſchen Miniſters in Anſpruch genommen. Wie ſollte auch der<lb/> edle Viscount mit Griechenland, deſſen vertragsmäßiger Beſchützer Eng-<lb/> land iſt, ſich befaſſen in derſelben Zeit als er vollauf zu thun hatte mit<lb/> der Unabhängigkeit und Freiheit der Sicilianer, eines Volks deſſen Beſchützer<lb/> England von jeher geweſen ohne dazu vertragsmäßig verpflichtet zu ſeyn?<lb/> Ohne vertragsmäßige Verpflichtung hat England die bethörten Sicilianer<lb/> durch Geld und Waffen unterſtützt, ohne ihr vertragsmäßiger Beſchützer zu<lb/> ſeyn hat es nach den erſten Erfolgen des Aufſtands die Unabhängigkeit Sici-<lb/> liens anerkannt, und ohne ihr vertragsmäßiger Beſchützer zu ſeyn hat es<lb/> den Sicilianern ſechs Monate ſpäter gerathen ſich dem König von Neapel<lb/> wieder zu unterwerfen, deſſen Souveränetät auf Sicilien es wieder aner-<lb/> kannt hatte. Dieſe und ähnliche Opfer Lord Palmerſtons für die Frei-<lb/> heit fremder Völker haben ihn verhindert mit ſeinem Schützling Griechen-<lb/> land ſich zu befaſſen. Die Griechen haben dabei nichts verloren daß ſie<lb/> zwei Jahre gewartet haben, denn ſie haben die Ehre von einer Flotte blo-<lb/> kirt zu werden welche die Beſtimmung hatte Rußland den Eingang in den<lb/> Bosporus zu wehren.</p> </div> </div> </div><lb/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Italien.</hi> </head><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>᷅ <hi rendition="#b">Rom,</hi> 29 Jan.</dateline> <p>Die alte Leyer! Von Neapel Briefe welche die<lb/> Rückkehr des Papſtes für die Hälfte des kommenden Februars nicht nur<lb/> in Ausſicht ſetzen, ſondern als gewiß ankündigen. Kein Menſch glaubt aber<lb/> mehr daran, und vermuthlich die am allerwenigſten von welchen die Nach-<lb/> richten herrühren. Es iſt nun ſo weit gekommen daß wenn es hieße: der<lb/> Papſt zieht durch Porta San Giovanni in die Stadt, die meiſten, worunter<lb/> auch ich, kein Wort davon glauben würden bis ſie den heiligen Vater<lb/> leibhaftig vorbeifahren ſähen. Unterdeſſen geſchieht hier allerlei was<lb/> eben nicht vortheilhaft auf die Entſchlüſſe in Portici wirken mag. Hr.<lb/> Cernuschi, der angeklagt war geplündert, verwüſtet und das römiſche Volk<lb/> gegen die einrückenden franzöſiſchen Truppen aufgewiegelt zu haben, iſt<lb/> vom Kriegsgericht freigeſprochen. Er bewies daß er das in Palazzo<lb/> Farneſe (dem ſicilianiſchen Geſandtſchaftsh<hi rendition="#aq">ô</hi>tel) befindliche Silberzeug auf<lb/> Befehl der römiſchen republicaniſchen Regierung requirirt habe, und zeigte<lb/> den von den Behörden der Münze in Rom ihm eingehändigten Empfang-<lb/> ſchein für das erwähnte Silber vor, da er dem Beſehle gemäß dieſes dort<lb/> abliefern ſollte. Er ſey, ſagte er zu ſeiner Vertheidigung gegen die Anklage<lb/> an den revolutionären Ereigniſſen in Rom Theil genommen zu haben, nach<lb/> ſeiner Flucht aus Mailand hieher gekommen, wo er eine <hi rendition="#aq">de Facto</hi>-Regie-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [583/0007]
Boichot iſt eine Broſchüre: Aux électeus de l’armée erſchienen, ſie
fängt mit den Worten an: Kameraden, da die Republik in Gefahr iſt ꝛc.
Die Polizei hat die Hand darauf gelegt. Auffallenderweiſe wurde kürzlich
auch V. Hugo’s Rede, die in beſondern Abdrücken verbreitet wurde, in
Lyon weggenommen, weil ſie ſich unehrbietig über den Belagerungsſtand
äußert.
Die Propoſition des Hrn. Cordier hat ſo ziemlich die geſtrige
ganze Sitzung ausgefüllt, ſie bezweckte die Beſchränkung des parlamen-
tariſchen Vorſchlagrechts, von welchem allerdings ein etwas gar zu ſtar-
ker Gebrauch gemacht wird. In den acht Monaten vom 28 Mai 1849
bis 28 Jan. 1850 wurden nicht weniger als 207 Geſetzvorſchläge einge-
bracht, 47 davon erhielten die Ehre einer Berathung, 15 gingen in Ge-
ſetzeskraft über, 145 wurden verworfen, zurückgezogen, vertagt oder ſind
noch nicht auf die Tagesordnung gelangt. Der Ueberſchwemmung mit
zum Theil höchſt unreifen legislatoriſchen Verſuchen wollte nun Hr. Cor-
dier einige Gränzen ſetzen, allein von Seite der Oppoſition ſah man dar-
in ein Interdict welches die Majorität auf die Minorität legen würde, und
bei der Abſtimmung wurde der Vorſchlag mit 342 gegen 250 Stimmen zu-
rückgewieſen. Hierauf kündigte Hr. Piscatory (der ehemalige Geſandte
in Athen) eine Interpellation über die griechiſche Sache an. Auf Verlan-
gen des Minifters der auswärtigen Angelegenheiten, General de la Hitte,
wurde die Verhandlung acht Tage hinausgeſetzt. Bis dahin können neue
Berichte aus Griechenland kommen, denn das Paketboot welches die Depe-
ſchen des franzöfiſchen Geſandten überbrachte, war im Augenblick der
Blokade-Erklärung abgegangen, und unterdeſſen kann man auch hören
wie Lord Palmerſton im Parlament ſich ausſpricht. Heute iſt das Ge-
ſetz über die Verlegung des Hauptortes des Loire-Departements von
Montbriſon nach St. Etienne in zweiter Berathung.
Berichte aus Algier vom 25 Jan. melden einen Kriegszug des Ober-
ſten Canrobert nach dem Auraſtus. Eine kleine Bergſtadt, Nara, wurde
am 5 Jan. erſtürmt und nebſt zwei Dörfern, die gleichſam die Vorſtädte
dazu bilden, dem Boden gleichgemacht. Ueber 500 Todte blieben auf dem
Platz, ungerechnet diejenigen die in den Gaſſen von Nara gefallen oder
unter dem Schutt ihrer Häuſer begraben ſind. Achtundfünfzig Stunden
verwendeten die Franzoſen zu dieſem Werk der Zerſtörung, dann zogen
ſie wieder ab. Auf Zaatſcha iſt Nara gefolgt, ſo hofft man durch Schre-
cken der noch widerſpänſtigen Einwohner vollends Meiſter zu werden.
Zwiſchen dem 10 und 15 Jan. wurde die Colonne in Bathna zurück-
erwartet.
♀ Paris, 30 Jan. Die innere Lage Frankreichs iſt höchſt be-
denklich; der Communismus hat die tiefſten Wurzeln; im Grunde ge-
nommen ſind das die in der Arbeiterclaſſe überall herrſchenden Anſichten;
ſie wollen daß der Staat ſich zu einem Arbeiterſtaat, zu einer allgemei-
nen Fabrik, allgemeinen Manufactur umgeſtalte, mit Aufhebung aller
Capitalien aus den Händen der Einzelnen, mit Concentrirung aller Ca-
pitalien in den Händen des Staats, ſie wollen den Staat zu einem gro-
ßen Hoſpitale für die arbeitenden Claſſen ausbilden; man höre ſie nur in
Paris reden wie ich ſie zum öftern habe reden hören. Ob der Staat Re-
publik oder Monarchie ſey das iſt uns gleich, aber der Staat iſt für den
Arbeiter da, wir geben der Aſſemblée und dem Ludwig Bonaparte Friſt
für ein Jahr noch, zwei Jahre höchſtens; wenn dann ſich nicht unſre Lage
anders geſtaltet hat, wenn man da nicht für den Handwerker gethan hat
was der Handwerker verlangt, ſo wird er Hand ans Werk legen, ſelber
regieren, das ganze Werk ſtürzen. So reden die Kaltblütigeren, die
Vernünftigeren; nicht ſo die Heißen, die wilden rothen Mützen. Dieſe
verſtricken ſich immer tiefer in geheime Geſellſchaften, unterhöhlen den
ganzen Boden und rechnen auf nichts als auf den gewaltſamſten Einſturz
aller geſellſchaftlichen Ordnung; es gibt unter ihnen eingefleiſchte Teufel,
zudem ſtachelt man ſie auf durch den Geiſt aller Laſter, bösartiger fleiſch-
licher Genüſſe. Unter dem Landvolk geht das Ding ſchwerer von ſtatten,
aber es ſchreitet vorwärts. Ludwig Bonaparte traut auf ein erneutes
Syſtem der Adminiſtration und concentrirt alle Gewalt in den Händen
ſeiner Präfecten; die Centraliſation ſpannt ſich aufs höchſte und ebenſo
die militäriſche Regierung; das mögen Nothwendigkeiten ſeyn des Mo-
ments im Angeſicht großer Gefahren, aber darin liegt gar keine Zukunft.
Die Conſervativen aller Art, Legitimiſten, Orleaniſten, gemäßigte Re-
publicaner ſehen dieſem Bonapartiſchen Regierungsplan mit Mißtrauen
zu, aber ſie widerſtreben ihm nicht, denn es iſt ihre eigene Sache die ſie
proviſoriſch unter dieſer Firma zu verfechten genöthigt ſind. Unglaublich
iſt die Bearbeitung aller Volksclaſſen durch die Verſchwörungen des
Communismus, und dieſes eben ruft nothgezwungen die größere Schärfe
des Widerſtands hervor. Gäbe es in Frankreich einen Staat, eine poli-
tiſche Verfaſſung wie in England, wie in Nordamerika, die Nation würde
ſich durch ihre eigene Kraft zu retten und zu erhalten wiſſen; aber in
Frankreich ſind die gebildeten Claſſen wahrhaft mehr oder minder politiſch
unmündig, während das Volk zügellos wird, immer rebelliſcher, herri-
ſcher in ſeinem Sinne, einen ſocialen Krieg faſt überall ankündigend, un-
ter allen Formen. Ja die Geſellſchaft iſt zu retten, und es gibt nichts
verzweifeltes in ihrer Lage, aber dazu gehören zwei Dinge: daß Ludwig
Bonaparte den abſurden Gedanken aufgibt es ſey an und für ſich im ad-
miniſtrativen Syſtem ſeines Ohms eine politiſch-ſociale Rettung vorhan-
den geweſen, und die Menſchheit laſſe ſich gängeln wie ein Kind, denn
erſtens hat er nicht die Hand dazu, und zweitens hat er nicht mehr die
Werkzeuge; dann daß die conſervativen Claſſen aller Art, Legitimiſten,
Orleaniſten, vernünftige Republicaner die Spaltung aufgeben und ſich
darin vereinigen wie Grütlibrüder vereint in den Provinzen die öffentliche
Ordnung aufrecht zu erhalten; das können ſie wenn ſie wollen, und hiezu
iſt ihnen der Klerus die erſte Hülfe. Der Socialismus, Communismus,
der Radicalismus, der aus den revolutionären Blättern aller Art wehende
Geiſt muß gebrochen werden, denn es iſt Brand und Mord, Gift und Peſt-
beulen, er kann aber nur gebrochen werden durch Einwirkung aller ſocialen
Einflüſſe, deren Organe die Präfecten und Beamten höchſtens ſeyn kön-
nen, und nicht auf Napoleoniſche Weiſe ihre Leiter und Herren;
wenn ſich die vollziehende Gewalt nicht aufs innigſte mit der ſocialen Kraft
vereinigt, ſo iſt alles vorbei; Frankreich kömmt nicht aus ſeiner Krank-
heit heraus, die Familien ſtürzen ſich auf die Aemter, wollen vom Staat
leben, es gibt Ueberſchwemmung von Beamten, alles wird kraft- und
nutzlos, und die Minirer ſetzen ihr Werk fort, den ganzen Boden un-
terhöhlend.
* Paris, 1 Febr. Lord Palmerſton ſcheint ſich nicht damit zu begnü-
gen daß demokratiſche Politiker in ihm den letzten Anker der europäiſchen
Freiheit ſehen, es iſt ihm nicht genug daß, ich weiß nicht in wieviel deut-
ſchen Blättern, ſein Lob geſungen worden, er will in der ganzen europäi-
ſchen Preſſe beſprochen, wenn auch nicht beſungen ſeyn. Zu dieſem Be-
huf ſchickt er die engliſche Flotte nach dem Piräeus um einige hunderttau-
ſend Drachmen einzutreiben, und einige Inſeln wegzufangen auf die England
genau ſo viel wie der Kaiſer von China Anſpruch hat. Iſt man bei dieſem
Abſtecher welchen die engliſche Flotte nach dem Piräeus macht, zu glauben
berechtigt daß die Blokade Griechenlands von vornherein ihre eigentliche Miſ-
ſion war? Der edle Lord konnte nicht länger die Rache aufſchieben die er
dem König von Griechenland geſchworen. Die ruhmreichen Thaten vom 17
Jan. 1850 wären wahrſcheinlich ſchon vor zwei Jahren vollbracht worden,
hätten nicht die Ereigniſſe auf dem Continent allzuſehr die Aufmerkſam-
keit des engliſchen Miniſters in Anſpruch genommen. Wie ſollte auch der
edle Viscount mit Griechenland, deſſen vertragsmäßiger Beſchützer Eng-
land iſt, ſich befaſſen in derſelben Zeit als er vollauf zu thun hatte mit
der Unabhängigkeit und Freiheit der Sicilianer, eines Volks deſſen Beſchützer
England von jeher geweſen ohne dazu vertragsmäßig verpflichtet zu ſeyn?
Ohne vertragsmäßige Verpflichtung hat England die bethörten Sicilianer
durch Geld und Waffen unterſtützt, ohne ihr vertragsmäßiger Beſchützer zu
ſeyn hat es nach den erſten Erfolgen des Aufſtands die Unabhängigkeit Sici-
liens anerkannt, und ohne ihr vertragsmäßiger Beſchützer zu ſeyn hat es
den Sicilianern ſechs Monate ſpäter gerathen ſich dem König von Neapel
wieder zu unterwerfen, deſſen Souveränetät auf Sicilien es wieder aner-
kannt hatte. Dieſe und ähnliche Opfer Lord Palmerſtons für die Frei-
heit fremder Völker haben ihn verhindert mit ſeinem Schützling Griechen-
land ſich zu befaſſen. Die Griechen haben dabei nichts verloren daß ſie
zwei Jahre gewartet haben, denn ſie haben die Ehre von einer Flotte blo-
kirt zu werden welche die Beſtimmung hatte Rußland den Eingang in den
Bosporus zu wehren.
Italien.
᷅ Rom, 29 Jan. Die alte Leyer! Von Neapel Briefe welche die
Rückkehr des Papſtes für die Hälfte des kommenden Februars nicht nur
in Ausſicht ſetzen, ſondern als gewiß ankündigen. Kein Menſch glaubt aber
mehr daran, und vermuthlich die am allerwenigſten von welchen die Nach-
richten herrühren. Es iſt nun ſo weit gekommen daß wenn es hieße: der
Papſt zieht durch Porta San Giovanni in die Stadt, die meiſten, worunter
auch ich, kein Wort davon glauben würden bis ſie den heiligen Vater
leibhaftig vorbeifahren ſähen. Unterdeſſen geſchieht hier allerlei was
eben nicht vortheilhaft auf die Entſchlüſſe in Portici wirken mag. Hr.
Cernuschi, der angeklagt war geplündert, verwüſtet und das römiſche Volk
gegen die einrückenden franzöſiſchen Truppen aufgewiegelt zu haben, iſt
vom Kriegsgericht freigeſprochen. Er bewies daß er das in Palazzo
Farneſe (dem ſicilianiſchen Geſandtſchaftshôtel) befindliche Silberzeug auf
Befehl der römiſchen republicaniſchen Regierung requirirt habe, und zeigte
den von den Behörden der Münze in Rom ihm eingehändigten Empfang-
ſchein für das erwähnte Silber vor, da er dem Beſehle gemäß dieſes dort
abliefern ſollte. Er ſey, ſagte er zu ſeiner Vertheidigung gegen die Anklage
an den revolutionären Ereigniſſen in Rom Theil genommen zu haben, nach
ſeiner Flucht aus Mailand hieher gekommen, wo er eine de Facto-Regie-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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