Allgemeine Zeitung, Nr. 36, 5. September 1914.5. September 1914. Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
militärisch versperrt wird, daß ehrlicher, friedlicher Anschlußan Deutschland ihm eine bessere Zukunft sichert als diese Ver- schwörerrolle, in der es sich seit 40 Jahren gefällt. Offen ge- standen, glaube ich an eine solche gänzliche Sinnesänderung der Franzosen vorläufig nicht, aber daran glaube ich, daß, wenn man beim Friedensschluß von 1871 nicht den großen Fehler gemacht hätte, ihnen das Ausfalltor Belfort zu über- lassen, ihre Kriegslust überhaupt erheblich gedämpft worden wäre. Die einzigen Erfolge, die ihnen in diesem Kriege zeit- weise zufielen, haben sie eben unter Benutzung von Belfort errungen und dadurch unsere Offensive im Süden erschwert. Jedenfalls schließt sich von Tag zu Tag der eiserne Ring Die Kriegslage im Osten ist nach den letzten großartigen Es ist eine ungeheure Auseinandersetzung, die der Been- England und Japan -- zwei würdige Kampfgenossen! Man hat oft genug in Europa, und vorab in Deutschland, be- Daß die Dinge jetzt noch nicht viel besser liegen, zeigte sich deut- So haben sich das "Reich der aufgehenden Sonne" und das Tsingtau lockt die Japaner nicht nur, weil es der weitaus beste 5. September 1914. Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
militäriſch verſperrt wird, daß ehrlicher, friedlicher Anſchlußan Deutſchland ihm eine beſſere Zukunft ſichert als dieſe Ver- ſchwörerrolle, in der es ſich ſeit 40 Jahren gefällt. Offen ge- ſtanden, glaube ich an eine ſolche gänzliche Sinnesänderung der Franzoſen vorläufig nicht, aber daran glaube ich, daß, wenn man beim Friedensſchluß von 1871 nicht den großen Fehler gemacht hätte, ihnen das Ausfalltor Belfort zu über- laſſen, ihre Kriegsluſt überhaupt erheblich gedämpft worden wäre. Die einzigen Erfolge, die ihnen in dieſem Kriege zeit- weiſe zufielen, haben ſie eben unter Benutzung von Belfort errungen und dadurch unſere Offenſive im Süden erſchwert. Jedenfalls ſchließt ſich von Tag zu Tag der eiſerne Ring Die Kriegslage im Oſten iſt nach den letzten großartigen Es iſt eine ungeheure Auseinanderſetzung, die der Been- England und Japan — zwei würdige Kampfgenoſſen! Man hat oft genug in Europa, und vorab in Deutſchland, be- Daß die Dinge jetzt noch nicht viel beſſer liegen, zeigte ſich deut- So haben ſich das „Reich der aufgehenden Sonne“ und das Tſingtau lockt die Japaner nicht nur, weil es der weitaus beſte <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0005" n="543"/><fw place="top" type="header">5. September 1914. <hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi></fw><lb/><cb/> militäriſch verſperrt wird, daß ehrlicher, friedlicher Anſchluß<lb/> an Deutſchland ihm eine beſſere Zukunft ſichert als dieſe Ver-<lb/> ſchwörerrolle, in der es ſich ſeit 40 Jahren gefällt. Offen ge-<lb/> ſtanden, glaube ich an eine ſolche gänzliche Sinnesänderung<lb/> der Franzoſen vorläufig nicht, aber daran glaube ich, daß,<lb/> wenn man beim Friedensſchluß von 1871 nicht den großen<lb/> Fehler gemacht hätte, ihnen das Ausfalltor Belfort zu über-<lb/> laſſen, ihre Kriegsluſt überhaupt erheblich gedämpft worden<lb/> wäre. 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Was England angeht, ſo<lb/> können wir ihm bei ſeiner inſularen Lage nicht recht ans<lb/> Leben — vielleicht im Luftkrieg —, das müßte in Aegypten<lb/> und Indien geſchehen. Es liegt aber im Weſen der engliſchen<lb/> Politik, daß ſie unbedenklich ihre Bundesgenoſſen im Stiche<lb/> ließe, wenn es bei drohenden Gefahren in Afrika und Aſien<lb/> geboten erſcheint, am Ende auch unter dem Druck der öffent-<lb/> lichen Meinung mit Deutſchland Frieden zu ſchließen, den wir<lb/> dann zu diktieren hätten. Natürlich müßten die Herren Grey<lb/> und Genoſſen vorher verſchwinden.</p><lb/> <p>Die Kriegslage im Oſten iſt nach den letzten großartigen<lb/> deutſchen Erfolgen ſowie denjenigen unſeres Verbündeten im<lb/> weſtlichen Galizien eine ſehr günſtige, und ein konzentriſcher<lb/> Vormarſch der Hauptkräfte in der Richtung auf Warſchau<lb/> kann ſtrategiſche Lagen herbeiführen, gleichbedeutend mit Ge-<lb/> fährdung der ruſſiſchen Rückzugslinien. Gelingt das, ſo wäre<lb/> der Haupthelfer in jedem Kriege mit Rußland, die Weite des<lb/> Raumes, mattgeſetzt. Jedoch ſelbſt für den Fall, daß es den<lb/> ruſſiſchen Armeen gelingt, ſchließlich die Verteidigungslinie<lb/> Kowno—Grodno—Breſt-Litowsk zu erreichen, die auch ihre<lb/> Operationsbaſis war, ſo könnten wir ruhig abwarten, bis die<lb/> vollbrachte Abrechnung im Weſten auch Rußland zum Frie-<lb/> den zwingen müßte.</p><lb/> <p>Es iſt eine ungeheure Auseinanderſetzung, die der Been-<lb/> digung des Krieges folgen muß, unter allen Umſtänden wür-<lb/> dig des ungeheuren Einſatzes, den das deutſche Volk willig<lb/> auf ſich genommen hat. 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In dem<lb/> Maß, wie damals der Reichtum des Landes zunahm und dem Adel<lb/> und Wehrſtand müheloſer Gewinn immer reichlicher zufloß, ergab<lb/> dieſe herrſchende Geſellſchaftsſchicht ſich mehr und mehr dem Müßig-<lb/> gang, verſchwenderiſchem Luxus und entnervenden Wohlleben. An<lb/> Stelle der Waffenübungen trat das Spiel, an Stelle edler Frauen-<lb/> verehrung und Pflege der Dichtkunſt Maitreſſenwirtſchaft, Bänkel-<lb/> ſängerei und weibiſches Troubadourweſen. Der auf den Bauern<lb/> laſtende überhohe Steuerdruck wurde noch weiterhin verſtärkt;<lb/> ſchließlich konnten aber natürlich noch ſo hohe Abgaben die durch<lb/><cb/> maßloſe Vergeudung ſich leerenden Taſchen der hohen Herren nicht<lb/> voll erhalten, die daher zum Geldwechſler und Wucherer ihre Zu-<lb/> flucht nahmen. Sie verpfändeten dieſen ihre Reiſeeinkünfte, ließen<lb/> ſich, um aus ihrer bedrängten Lage herauszukommen, in alle mög-<lb/> liche waghalſige Handelsgeſchäfte ein, wurden von den klügeren Kauf-<lb/> leuten natürlich gründlich um die Ohren gehauen und verſchuldeten<lb/> dermaßen, daß der Bakufu, die Schogunatsregierung, von Zeit zu<lb/> Zeit zu dem letzten Gewaltmittel zu greifen ſich gezwungen ſah und<lb/> ſämtliche Adelswechſel für ungültig erklärte. So ergab ſich eine ſelt-<lb/> ſame Verbündung von Ariſtokratie und Plutokratie, deren habgieri-<lb/> ges Gewaltregiment der Heimin, das arme Volk, bis auf den letzten<lb/> Tropfen einer mit dem Wermut barbariſcher Schonungsloſigkeit ge-<lb/> füllten Schale auskoſten mußte.</p><lb/> <p>Daß die Dinge jetzt noch nicht viel beſſer liegen, zeigte ſich deut-<lb/> lich bei dem japaniſchen Panama von 1908, das nur zu grellen Lichts<lb/> offenbarte, wie das zügelloſe ſpekulative Draufgängertum, die Gier<lb/> nach ſchnellem Gewinn um jeden Preis, die waghalſige, glücksſpiele-<lb/> riſche Art des Gründungsweſens, die ſittenverderblichen Geſchäfts-<lb/> gemeinſchaften von Geld- und Geburtsadel, Beamten- und Kauf-<lb/> mannſchaft, alle dieſe Uebel im Daſein des feudalen Japan, ſich in<lb/> den rieſenhaften, noch gefährlicheren Formen ausgewachſen hatten,<lb/> wie ſie der moderne Großkapitalismus und Großinduſtrialismus er-<lb/> möglicht. Und den ſozialwirtſchaftlichen Lebensformen „Dai-Ni-<lb/> hons“ entſprechen die politiſchen. Die ganze ältere und jüngere Ge-<lb/> ſchichte des Mikadoreichs bis auf den heutigen Tag im Verkehr mit<lb/> anderen Mächten und Nachbarvölkern weiſt eine einzige Kette von<lb/> Vertragsbrüchen, Treuloſigkeit, Hinterliſt, Verſchlagenheit auf. Die<lb/> Art, wie Korea tückiſch umgarnt und ſchließlich dem „Reich der zehn-<lb/> tauſend Inſeln“ einverleibt wurde, iſt das charakteriſtiſche Beiſpiel<lb/> dieſes moralinfreien Syſtems aus jüngſter Zeit; die brutale Art, wie<lb/> dies unterjochte Land ſeitdem regiert worden iſt, erſcheint zugleich als<lb/> der beſte Beweis, daß alle Kultur, mit der das japaniſche Volk ſich<lb/> zu brüſten liebt und auf Grund deren es zum Führer des geſamten<lb/> Mongolentums berufen zu ſein glaubt, im weſentlichen von Europa<lb/> entlehnter Firnis iſt, der äußerlichen Glanz verleiht, aber die innere<lb/> ſeeliſche und geiſtige Verfaſſung der Nation kaum berührt, geſchweige<lb/> denn umgebildet hat.</p><lb/> <p>So haben ſich das „Reich der aufgehenden Sonne“ und das<lb/> Reich, in dem die Sonne niemals untergeht, als zwei würdige<lb/> Kampfgenoſſen zuſammengefunden, die der Räuberart ihrer Politik<lb/> nach tatſächlich zuſammengehören. England, die Kulturleuchte,<lb/> ſchickt, unbekümmert um alle Ehre einer Vormacht der weißen<lb/> Raſſe und der damit gegebenen Pflichtgeſetze der europäiſchen<lb/> Geſittungsſolidarität, ſeiner Deſperadopolitik die Krone aufſetzend,<lb/> Japan aus, um unſer blühendes oſtaſiatiſches Emporium, das<lb/> glänzende Zeugnis deutſcher kulturwirtſchaftlicher Leiſtungsfähig-<lb/> keit, „hinzurichten“. Beſſer hätte es vor aller Welt nicht offen-<lb/> baren können, was der wahre Grund ſeiner Ententeverſchwörung<lb/> gegen Deutſchland iſt: der gelbe Neid auf unſer kraftvolles<lb/> Emporſtreben als Weltmacht. Japan aber ..? Die Angabe, daß<lb/> der britiſche Bündnisvertrag es zu ſolchen Schergendienſten zwinge,<lb/> iſt die erſte Lüge, mit der es dies auf Trug und Hintergehung aller,<lb/> nicht an letzter Stelle auch des engliſchen Freundes ſelbſt angelegte<lb/> Spiel angemeſſen einleitet. Welchen Nutzen es ſich davon erhofft<lb/> und wie es nach ſeinen weitſchweifenden Hoffnungen weiter ent-<lb/> wickelt werden ſoll, liegt klar genug zu Tag.</p><lb/> <p>Tſingtau lockt die Japaner nicht nur, weil es der weitaus beſte<lb/> Hafen an der ganzen nord- und mittelchineſiſchen Küſte dank deutſcher<lb/> techniſcher Arbeit geworden iſt, ſondern auch wegen ſeines Hinter-<lb/> lands, das in reicher Fülle die Kohlen- und Erzvorräte birgt, an<lb/> denen es ſelbſt ſo arm iſt. Vor allem aber: im Beſitz des deutſchen<lb/> Emporiums umklammerte es mit Hülfe ſeiner Stellungen in Dalni<lb/> und in der Südmandſchurei Nordchina ſo vollkommen, daß ohne<lb/> Uebertreibung geſagt werden kann, es zwänge das Haupt des Rieſen-<lb/> reichs der Mitte in einen erdrückenden Schraubſtock. Schon daraus<lb/> erhellt mit vollkommener Deutlichkeit die Wahrheit, die hinter der<lb/> phraſenhaften und lügneriſchen amtlichen Erklärung ſteckt, die eng-<lb/> liſche und die japaniſche Regierung ſeien über die notwendigen Maß-<lb/> regeln zum Schutz ihrer Intereſſen im fernen Oſten ſowie auch be-<lb/> treffs der Unverletzlichkeit des chineſiſchen Reiches übereingekommen.<lb/> Der Angriff auf Kiautſchou bedeutet vielmehr nur den erſten Schritt<lb/> zur Aufteilung des chineſiſchen Reichs, wie ſie von England und<lb/> Japan, indem ſie beim Beginn der Revolutionskriſe den radikalen<lb/> Süden gegen den konſervativen Norden unterſtützten, in Geſinnungs-<lb/> brüderlichkeit vorbereitet wurde.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [543/0005]
5. September 1914. Allgemeine Zeitung
militäriſch verſperrt wird, daß ehrlicher, friedlicher Anſchluß
an Deutſchland ihm eine beſſere Zukunft ſichert als dieſe Ver-
ſchwörerrolle, in der es ſich ſeit 40 Jahren gefällt. Offen ge-
ſtanden, glaube ich an eine ſolche gänzliche Sinnesänderung
der Franzoſen vorläufig nicht, aber daran glaube ich, daß,
wenn man beim Friedensſchluß von 1871 nicht den großen
Fehler gemacht hätte, ihnen das Ausfalltor Belfort zu über-
laſſen, ihre Kriegsluſt überhaupt erheblich gedämpft worden
wäre. Die einzigen Erfolge, die ihnen in dieſem Kriege zeit-
weiſe zufielen, haben ſie eben unter Benutzung von Belfort
errungen und dadurch unſere Offenſive im Süden erſchwert.
Jedenfalls ſchließt ſich von Tag zu Tag der eiſerne Ring
feſter um die geſchlagenen Truppen, die von Weſten und Nor-
den auf Paris zurückweichen, daran können auch die hohlen
Proklamationen der Herren in Paris nichts ändern. Ob es
ihnen noch gelingt, über Paris hinaus nach Süden auszu-
weichen, oder ob ſie ſich bei Paris zuſammenballen zu einem
letzten verzweifelten Widerſtand, muß ſich bald herausſtellen.
In erſterem Falle würde ſich eine ſtrategiſche Lage ergeben,
ähnlich derjenigen im Winter 1870, nur daß der Fall von
Paris eine Frage von Wochen ſein würde, wie damals von
Monaten. In letzterem Falle könnte ein zweites Sedan er-
ſtehen, das dann wohl gleichbedeutend wäre mit dem Ende
des Krieges gegen Frankreich. Was England angeht, ſo
können wir ihm bei ſeiner inſularen Lage nicht recht ans
Leben — vielleicht im Luftkrieg —, das müßte in Aegypten
und Indien geſchehen. Es liegt aber im Weſen der engliſchen
Politik, daß ſie unbedenklich ihre Bundesgenoſſen im Stiche
ließe, wenn es bei drohenden Gefahren in Afrika und Aſien
geboten erſcheint, am Ende auch unter dem Druck der öffent-
lichen Meinung mit Deutſchland Frieden zu ſchließen, den wir
dann zu diktieren hätten. Natürlich müßten die Herren Grey
und Genoſſen vorher verſchwinden.
Die Kriegslage im Oſten iſt nach den letzten großartigen
deutſchen Erfolgen ſowie denjenigen unſeres Verbündeten im
weſtlichen Galizien eine ſehr günſtige, und ein konzentriſcher
Vormarſch der Hauptkräfte in der Richtung auf Warſchau
kann ſtrategiſche Lagen herbeiführen, gleichbedeutend mit Ge-
fährdung der ruſſiſchen Rückzugslinien. Gelingt das, ſo wäre
der Haupthelfer in jedem Kriege mit Rußland, die Weite des
Raumes, mattgeſetzt. Jedoch ſelbſt für den Fall, daß es den
ruſſiſchen Armeen gelingt, ſchließlich die Verteidigungslinie
Kowno—Grodno—Breſt-Litowsk zu erreichen, die auch ihre
Operationsbaſis war, ſo könnten wir ruhig abwarten, bis die
vollbrachte Abrechnung im Weſten auch Rußland zum Frie-
den zwingen müßte.
Es iſt eine ungeheure Auseinanderſetzung, die der Been-
digung des Krieges folgen muß, unter allen Umſtänden wür-
dig des ungeheuren Einſatzes, den das deutſche Volk willig
auf ſich genommen hat. Je eher und wuchtiger ſolches unſeren
Feinden vor Augen tritt, deſto eher werden ſie auch geneigt
ſein, einem für ſie ausſichtsloſen Kriege — das darf man jetzt
ſchon ohne Ruhmredigkeit ſagen — ein Ende gemacht zu
ſehen.
England und Japan —
zwei würdige Kampfgenoſſen!
Man hat oft genug in Europa, und vorab in Deutſchland, be-
geiſtert von den Kriegstaten der Samurais und von der Pflichten-
ſtrenge ihres Ehrenkodex, des Buſchido, Vergleiche gezogen zwiſchen
dieſem mongoliſchen Schwertadel und dem altdeutſchen Rittertum,
ſeiner Vaſallentreue, Sittengröße und idealiſtiſchen Weltanſchauung.
Wie wenig ſolche Parallelen gerechtfertigt ſind, beweiſt ein Blick in
Japans mittelalterliche Blütezeit, die Tokugawaepoche. In dem
Maß, wie damals der Reichtum des Landes zunahm und dem Adel
und Wehrſtand müheloſer Gewinn immer reichlicher zufloß, ergab
dieſe herrſchende Geſellſchaftsſchicht ſich mehr und mehr dem Müßig-
gang, verſchwenderiſchem Luxus und entnervenden Wohlleben. An
Stelle der Waffenübungen trat das Spiel, an Stelle edler Frauen-
verehrung und Pflege der Dichtkunſt Maitreſſenwirtſchaft, Bänkel-
ſängerei und weibiſches Troubadourweſen. Der auf den Bauern
laſtende überhohe Steuerdruck wurde noch weiterhin verſtärkt;
ſchließlich konnten aber natürlich noch ſo hohe Abgaben die durch
maßloſe Vergeudung ſich leerenden Taſchen der hohen Herren nicht
voll erhalten, die daher zum Geldwechſler und Wucherer ihre Zu-
flucht nahmen. Sie verpfändeten dieſen ihre Reiſeeinkünfte, ließen
ſich, um aus ihrer bedrängten Lage herauszukommen, in alle mög-
liche waghalſige Handelsgeſchäfte ein, wurden von den klügeren Kauf-
leuten natürlich gründlich um die Ohren gehauen und verſchuldeten
dermaßen, daß der Bakufu, die Schogunatsregierung, von Zeit zu
Zeit zu dem letzten Gewaltmittel zu greifen ſich gezwungen ſah und
ſämtliche Adelswechſel für ungültig erklärte. So ergab ſich eine ſelt-
ſame Verbündung von Ariſtokratie und Plutokratie, deren habgieri-
ges Gewaltregiment der Heimin, das arme Volk, bis auf den letzten
Tropfen einer mit dem Wermut barbariſcher Schonungsloſigkeit ge-
füllten Schale auskoſten mußte.
Daß die Dinge jetzt noch nicht viel beſſer liegen, zeigte ſich deut-
lich bei dem japaniſchen Panama von 1908, das nur zu grellen Lichts
offenbarte, wie das zügelloſe ſpekulative Draufgängertum, die Gier
nach ſchnellem Gewinn um jeden Preis, die waghalſige, glücksſpiele-
riſche Art des Gründungsweſens, die ſittenverderblichen Geſchäfts-
gemeinſchaften von Geld- und Geburtsadel, Beamten- und Kauf-
mannſchaft, alle dieſe Uebel im Daſein des feudalen Japan, ſich in
den rieſenhaften, noch gefährlicheren Formen ausgewachſen hatten,
wie ſie der moderne Großkapitalismus und Großinduſtrialismus er-
möglicht. Und den ſozialwirtſchaftlichen Lebensformen „Dai-Ni-
hons“ entſprechen die politiſchen. Die ganze ältere und jüngere Ge-
ſchichte des Mikadoreichs bis auf den heutigen Tag im Verkehr mit
anderen Mächten und Nachbarvölkern weiſt eine einzige Kette von
Vertragsbrüchen, Treuloſigkeit, Hinterliſt, Verſchlagenheit auf. Die
Art, wie Korea tückiſch umgarnt und ſchließlich dem „Reich der zehn-
tauſend Inſeln“ einverleibt wurde, iſt das charakteriſtiſche Beiſpiel
dieſes moralinfreien Syſtems aus jüngſter Zeit; die brutale Art, wie
dies unterjochte Land ſeitdem regiert worden iſt, erſcheint zugleich als
der beſte Beweis, daß alle Kultur, mit der das japaniſche Volk ſich
zu brüſten liebt und auf Grund deren es zum Führer des geſamten
Mongolentums berufen zu ſein glaubt, im weſentlichen von Europa
entlehnter Firnis iſt, der äußerlichen Glanz verleiht, aber die innere
ſeeliſche und geiſtige Verfaſſung der Nation kaum berührt, geſchweige
denn umgebildet hat.
So haben ſich das „Reich der aufgehenden Sonne“ und das
Reich, in dem die Sonne niemals untergeht, als zwei würdige
Kampfgenoſſen zuſammengefunden, die der Räuberart ihrer Politik
nach tatſächlich zuſammengehören. England, die Kulturleuchte,
ſchickt, unbekümmert um alle Ehre einer Vormacht der weißen
Raſſe und der damit gegebenen Pflichtgeſetze der europäiſchen
Geſittungsſolidarität, ſeiner Deſperadopolitik die Krone aufſetzend,
Japan aus, um unſer blühendes oſtaſiatiſches Emporium, das
glänzende Zeugnis deutſcher kulturwirtſchaftlicher Leiſtungsfähig-
keit, „hinzurichten“. Beſſer hätte es vor aller Welt nicht offen-
baren können, was der wahre Grund ſeiner Ententeverſchwörung
gegen Deutſchland iſt: der gelbe Neid auf unſer kraftvolles
Emporſtreben als Weltmacht. Japan aber ..? Die Angabe, daß
der britiſche Bündnisvertrag es zu ſolchen Schergendienſten zwinge,
iſt die erſte Lüge, mit der es dies auf Trug und Hintergehung aller,
nicht an letzter Stelle auch des engliſchen Freundes ſelbſt angelegte
Spiel angemeſſen einleitet. Welchen Nutzen es ſich davon erhofft
und wie es nach ſeinen weitſchweifenden Hoffnungen weiter ent-
wickelt werden ſoll, liegt klar genug zu Tag.
Tſingtau lockt die Japaner nicht nur, weil es der weitaus beſte
Hafen an der ganzen nord- und mittelchineſiſchen Küſte dank deutſcher
techniſcher Arbeit geworden iſt, ſondern auch wegen ſeines Hinter-
lands, das in reicher Fülle die Kohlen- und Erzvorräte birgt, an
denen es ſelbſt ſo arm iſt. Vor allem aber: im Beſitz des deutſchen
Emporiums umklammerte es mit Hülfe ſeiner Stellungen in Dalni
und in der Südmandſchurei Nordchina ſo vollkommen, daß ohne
Uebertreibung geſagt werden kann, es zwänge das Haupt des Rieſen-
reichs der Mitte in einen erdrückenden Schraubſtock. Schon daraus
erhellt mit vollkommener Deutlichkeit die Wahrheit, die hinter der
phraſenhaften und lügneriſchen amtlichen Erklärung ſteckt, die eng-
liſche und die japaniſche Regierung ſeien über die notwendigen Maß-
regeln zum Schutz ihrer Intereſſen im fernen Oſten ſowie auch be-
treffs der Unverletzlichkeit des chineſiſchen Reiches übereingekommen.
Der Angriff auf Kiautſchou bedeutet vielmehr nur den erſten Schritt
zur Aufteilung des chineſiſchen Reichs, wie ſie von England und
Japan, indem ſie beim Beginn der Revolutionskriſe den radikalen
Süden gegen den konſervativen Norden unterſtützten, in Geſinnungs-
brüderlichkeit vorbereitet wurde.
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Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Susanne Haaf, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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