Allgemeine Zeitung, Nr. 36, 5. Februar 1850.[Spaltenumbruch]
dement durch die drei ersten Namen: Arnim, Schwerin und Bodel- Berlin, 31 Jan. Der Wahltag ist vorüber, das Resultat [Spaltenumbruch]
dement durch die drei erſten Namen: Arnim, Schwerin und Bodel- ∸ Berlin, 31 Jan. Der Wahltag iſt vorüber, das Reſultat <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0003" n="563"/><cb/> dement durch die drei erſten Namen: Arnim, Schwerin und Bodel-<lb/> ſchwingh, die Namen dreier Märzminiſter, unterzeichnet, erinnernd an<lb/> die ärgſten Conceſſionen, an die Revolution. Die Miniſter, deren erſtes<lb/> Wort geweſen: Kein Abdingen! ließen ſich 2½ Jahr von dem abbingen<lb/> was ſie für nothwendig erklärt; das ſey kein Abſchluß der Revolution,<lb/> ſondern das directe Gegentheil, ein Organiſiren des inneren Kriegs über<lb/> dieſe Grundfrage. Bis 1852 auf einem Fuß zu ſtehen, während jetzt der<lb/> andere erhoben wird, auf glattem Boden zu ſtehen, ſey bedenklich! Der<lb/> Miniſter entgegnete, die Regierung wolle durchaus nicht auf einem Fuß<lb/> ſtehen, darum habe ſie die Kammern in feſter Conſtituirung für nöthig<lb/> gehalten, und hoffe, wie ſie manchen Sturm beſtanden, auch die Winde<lb/> nicht zu fürchten zu haben. Ein Lüftchen heiterer Laune wehte übrigens in<lb/> Hrn. v. Gerlachs Rede: er habe wohl gehört daß es in Berlin und im<lb/> Lande eine Partei des beſondern Rückſchritts geben ſolle, er aber gehöre<lb/> doch unmöglich zu ihr. Vormärzliche Zuſtände ſeyen nicht mehr möglich,<lb/> denn ſie führten immer wieder zum 18 März. Aber er habe beinahe glau-<lb/> ben können daß man ihn gemeint als man von Reactionären ſprach. Der<lb/> Scherz fiel auf empfänglichen Boden. Dahlmann ließ die ſchweren Ge-<lb/> ſchütze ſeiner Doctrin gegen die Pairie ſpielen: eine Pairskammer laſſe<lb/> ſich ſo wenig als Natur und Geſchichte machen. Niemand könne ſein<lb/> flaches Land zum Gebirgsland machen, er thäte damit etwas zum Staat,<lb/> nicht für den Staat. Politiſchen Kartenhäuſern könne er ſeine Zuſtim-<lb/> mung nicht geben, die der erſte Sturm umſtürzt, er könne Inſtitutionen<lb/> nicht gründen helfen welche ſtatt das Königthum und die ſtaatliche Freiheit zu<lb/> ſtützen, ſie in ihren Fundamenten untergraben müßten. Dem Redner<lb/> folgte rauſchender Beifall. Aber er hatte die Miniſter erinnert daß ſie<lb/> vor kurzem ſelbſt gegen einen Antrag geſtimmt auf deſſen Annahme ſie<lb/> jetzt ihre Eriſtenz ſetzten. Das konnte Hr. v. Manteuffel nicht hingehen<lb/> laſſen. Nachdem er eine frühere Entgegnung wiederholt, daß wenn man<lb/> eine Verfaſſung aus dem Nichts machen könne, man auch befähigt ſeyn<lb/> dürfe eine Pairie zu machen, daß er, nach ſeiner Kenntniß der Provinzen,<lb/> dort manche Familie, manchen einzelnen völlig Berechtigten zu finden<lb/> glaube, daß die Regierung arbeite um zu heilen und zu verſöhnen, was<lb/> aber nicht durch Hervorhebung der Mängel geſchehe, ſprach er Worte die<lb/> aus dem Munde eines Miniſters noch nicht gehört worden: es gebe viele<lb/> berechtigte Parteien im Lande, auch die der verſtändigen und reinen Demokra-<lb/> tie, die ſich leider durch eine Verbindung in den Tagen großer Aufregung dem<lb/> Staatsorganismus entfremdet hat; denn auch der preußiſche Staat ſey ein<lb/> weſentlich demokratiſcher, aber nur einer Partei könne er keine Berechti-<lb/> gung zugeſtehen, weil ſie ſich nie durch die That bewährt, das ſey die Par-<lb/> tei der Doctrin! Reaction und Demokratie liebäugelten ſchon lange um<lb/> die Conſtitutionellen niederzuſchlagen, daß aber das Miniſterium der letz-<lb/> teren den kleinen Finger reicht, kommt unerwartet. Es muß ſich ſehr<lb/> ſicher fühlen. Camphauſen faßte rein die Nützlichkeitsgrundſätze ins Auge,<lb/> um ſeine Zuſtimmung zu motiviren: die Entſittlichung des Volkes, die bei der<lb/> Fortdauer des rechtloſen Zuſtandes furchtbar zunehme; daß ohne dieſen<lb/> Abſchluß keine Geſtaltung der deutſchen Verhältniſſe zu hoffen ſey; end-<lb/> lich daß die Gebieter der an unſern Gränzen lagernden Bajonnette das<lb/> höchſte Intereſſe am Nichtabſchluß hätten. Zur Nachtſitzung hatte ſich<lb/> ein noch größeres Zuhörerpublicum eingefunden; doch bot ſie weniger pi-<lb/> kante Reden und Incidenzpunkte als die Tagſatzung. Der Antrag über<lb/> alle Propoſitionen, nach der Zuſtutzung in der zweiten Kammer in Bauſch<lb/> und Vogen abzuſtimmen war ſchon am Morgen abgelehnt worden, es<lb/> ward deßhalb über alle einzeln nach kurzer Debatte abgeſtimmt. Alle<lb/> wurden zwar angenommen, die Stimmenmehrheit war indeß ſehr wech-<lb/> ſelnd. Die Formel über die Miniſterverantwortlichkeit fand noch in Hrn.<lb/> v. Manteuffel einen perſönlichen Vertheidiger, obgleich er zugab daß die<lb/> Sache nicht weſentlich ſey. Solange er an dieſer Stelle ſtehe, werde er<lb/> aber, wie vor dem März, ſo nach dem März, wie vor dem 5 Dec., ſo nach<lb/> dem 5 Dec. immer der Meinung ſeyn daß er mit ſeinem Kopf dem Könige<lb/> verantwortlich ſey! Gegen dieſe perſönliche Anſicht wird ſchwerlich etwas<lb/> einzuwenden ſeyn, nur hätte man dem Redner erwiedern können daß es<lb/> mit dieſer Art Verantwortlichkeit doch nicht ſo arg iſt, um zu viel Weſens<lb/> davon zu machen, denn es iſt faſt ein Jahrhundert her ſeit dem letzten<lb/> Miniſter der Kopf abgeſchlagen ward. Selbſt in der franzöſiſchen Revo-<lb/> lution hat darum ihn niemand verloren. Die Vereidigung der Kammern<lb/> und des Heers brachte eine etwas lebhaftere Discuſſion hervor. Hr.<lb/> v. Gerlach, der ſeine Beſorgniß ausſprach daß die Zeit der Vereidung<lb/> nahe ſey, erklärte daß er unter dem Eide auf die Verfaſſung nur einen<lb/> Eid auf das ganze im Staat beſtehende Recht verſtehe. Das Volk ver-<lb/> lange gar nicht ſo ſehnlich nach dieſem Eide; er wiſſe auch nicht warum<lb/> es ſolle, die Verfaſſung werde nach der Beeidigung noch immer im ſelben<lb/> Stadium ſeyn wie jetzt. Prof. Ritter verwahrte ſich gegen alles wo-<lb/> durch, nachdem der Eid geleiſtet, der Kirche ihr Einfluß auf die Schule<lb/> und ihr gutes Recht geſchmälert werde. Der Cultusminiſter proteſtirte,<lb/><cb/> wenn etwa der Abgeordnete damit im Namen aller katholiſchen Staats-<lb/> angehörigen Proteſt einlegen wolle; wogegen Ritter erklärte daß er nur<lb/> von ſeinen <hi rendition="#g">politiſchen</hi> Meinungsgenoſſen geſprochen. Andere Ab-<lb/> geordnete verwahrten ſich gegen eine Eidesableiſtung mit einer <hi rendition="#aq">reservatio<lb/> mentalis.</hi> Bei der Berathung über die Pairskammer erklärte Heffter daß<lb/> er dieſelbe für lebensfähig halte. v. Daniels gefiel nicht die große Zahl<lb/> der gewählten Pairs, er hätte lieber eine gleichmäßiger gebildete erſte<lb/> Kammer gewünſcht. Frhr. (Heinrich) v. Arnim (der Märzminiſter),<lb/> zahlte dem Abgeordneten, „der ſich zur Aufgabe gemacht die hohe Kammer<lb/> zugleich zu erbauen und zu beluſtigen, und wie eine abnorme Quelle zu-<lb/> gleich ſüßes und bitteres Waſſer zu geben“ (Gerlach), die Ausfälle vom<lb/> Morgen gegen die Märzminiſter in ſcharfer Münze zurück: der Abgeord-<lb/> nete ſpreche ſich über jene (März-) Zeit ſehr leicht aus, jene Zeit in der<lb/> gewiſſe Leute ſich im verborgenen gehalten, während die Miniſter es auf<lb/> ſich nahmen die Krone zu ſchützen. Hätte er den Abgeordneten für Dram-<lb/> burg damals geſehen, ſo würde er ihm gezeigt haben welcher kräftigen<lb/> Thaten die Miniſter fähig waren; er habe ihn aber nicht geſeben! Das<lb/> erweckte viel Heiterkeit, Hr. v. Gerlach behauptete aber nachher, er ſey<lb/> darum zu jener Zeit nicht in Berlin geweſen, weil ſeine Amtsgſchäfte ihn zu-<lb/> rückgehalten. Arnim erklärte ſich gegen die Pairskammer. Wenn man<lb/> auch, wo ein Schatz gehoben werden ſoll, fordere daß die Gläubigen ihr<lb/> beſtes Gold in den Keſſel würfen, ſo fordere man doch jetzt zu viel — die<lb/> politiſche Ueberzeugung. Der Redner hatte einen Zweifel ausgeſprochen,<lb/> ob die Vereidung auf die Verfaſſung ſtattfinden werde. Der Miniſter er-<lb/> wiederte kurz: <hi rendition="#g">wir</hi> pflegen eine Verſicherung nur <hi rendition="#g">ein</hi> mal zu geben. Man<lb/> wird durch dieſe Sitzungen wiederholt daran erinnert daß die Sprache<lb/> des Miniſteriums an Selbſtbewußtſeyn zugenommen hat. Nur 97 Deputirte<lb/> ſtimmten für, 60 gegen die Propoſition, 7 enthielten ſich der Abſtimmung.<lb/> Zum Schluß ward auch das v. Jordan’ſche Amendement, welches die Pro-<lb/> poſition über die Erhaltung der Fideicommiſſe wieder herſtellen wollte,<lb/> verworfen. Der Miniſter hatte ſich dafür erklärt, weil man ſonſt der Ver-<lb/> faſſung mehr oder minder werde Gewalt anthun müſſen, um den Grund-<lb/> beſitz auf andere Weiſe zuſammenzuhalten. So ſehen wir denn mit den<lb/> nächſten Tagen wirklich der Beeidigung der Verfaſſung entgegen. Mor-<lb/> gen iſt Wahltag; Berlin wird zwei Miniſter nach Erfurt ſchicken! Hr.<lb/> v. Patow hat auf ſeine Candidatur Verzicht geleiſtet, um nicht mit dem<lb/> Miniſterpräſidenten zu concurriren. Dieß wird indeß diejenigen nicht<lb/> abhalten für ihn zu ſtimmen, welche ſich ihr Wahlrecht durch Ordonnan-<lb/> zen nicht verkümmert ſehen wollen!</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline>∸ <hi rendition="#b">Berlin</hi>, 31 Jan.</dateline> <p>Der Wahltag iſt vorüber, das Reſultat<lb/> nicht überraſchend. Berlin ſendet vier Miniſter nach Erfurt. Sind ſie<lb/> es auch nicht alle <hi rendition="#aq">de facto,</hi> ſo waren ſie es doch, oder nahe daran es zu<lb/> werden. Im erſten Wahlkreis ſiegte der Staatsſecretär Graf Bülow<lb/> über Gegner die ihm ſehr gefährlich zu werden drohten, wenn da über-<lb/> haupt für ihn Gefahr ſeyn konnte wo der ganze Wahlkörper ſo vorweg<lb/> für ihn geſtimmt und gegen ſeine Mitcandidaten (ehemalige Frankfurter<lb/> Deputirte) eingenommen war daß man dieſe kaum zu Worte kommen<lb/> laſſen wollte. Beſeler, der nach dem Grafen ſprach, ward, ſchon auftre-<lb/> tend, durch Zeichen der Mißſtimmung begrüßt, und nur der ſcharfe Fluß<lb/> ſeiner ruhigen Rede konnte die Mißſtimmung überwinden. Zum Schluß<lb/> muß'e die Verſammlung ihm unwillkürlich Zeichen der Achtung ſchenken.<lb/> Ebenſo vergebens ſuchten die zwei alten Frankfurter Major Reichart und<lb/> Friedrich v. Raumer, Gefühle für den ſchönſten Traum zu erwecken den<lb/> je die Deutſchen geträumt. Das Bild der drohenden Gefahren das Rau-<lb/> mer ihnen entwarf, ging ſpurlos an dieſen ſchwarz-weißen Conſervatoren<lb/> vorüber. Bleiben wir preußiſch und behalten wir unſern guten König, ſo<lb/> ſoll uns alles übrige nichts kümmern, ſchien der Sinn der undurchdring-<lb/> lichen Verſammlung. Am ſtärkſten war die liberale Partei im zweiten<lb/> Wahlkreiſe; zwar ſiegte Graf Brandenburg durch die compacte Maſſe<lb/> der Treubundsgenoſſen, die, vortrefflich disciplinirt, auf die Winke ihrer<lb/> Führer folgen, aber der Widerſtand war hier ebenſo heftig, und aller Ein-<lb/> ſchüchterungen und der mannichfachſten Künſte ungeachtet, blieben 66 ih-<lb/> rer Fahne treu und verkümmerten den Sieg des Grafen durch eine ebenſo<lb/> compacte Minorität! Graf Brandenburg, gegen den die Oppoſition per-<lb/> ſönlich durchaus nichts einzuwenden hatte, erhielt mit 122 nicht volle zwei<lb/> Drittel der Stimmen. (Die Deutſche Reform behauptet daß die mini-<lb/> ſteriellen Candidaten faſt einſtimmig gewählt ſeyen. Eine ſeltſame Ein-<lb/> ſtimmigkeit!) Die Conſtitutionellen hatten einen doppelt ſchwierigen<lb/> Stand: daß viele ihrer Anhänger, als ſie ſahen daß ſie nicht durchdringen<lb/> würden, von ihnen abfallen, daß andere aus Reſpect vor dem Miniſter-<lb/> präfidenten und Verwandten des Königs ſich zurückziehen würden, darauf<lb/> waren ſie gefaßt, und ſind eigentlich verwundert daß nicht noch mehrere<lb/> abfielen, aber die Fahne zu der man ſie gezwungen hatte, war ihnen ſelbſt<lb/> eine peinliche. Sie mußten bei Hrn. v. Patow halten um überhaupt eine<lb/> Fahne zu haben, um nicht ganz auseinander zu gehen, nachdem alle Ver-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [563/0003]
dement durch die drei erſten Namen: Arnim, Schwerin und Bodel-
ſchwingh, die Namen dreier Märzminiſter, unterzeichnet, erinnernd an
die ärgſten Conceſſionen, an die Revolution. Die Miniſter, deren erſtes
Wort geweſen: Kein Abdingen! ließen ſich 2½ Jahr von dem abbingen
was ſie für nothwendig erklärt; das ſey kein Abſchluß der Revolution,
ſondern das directe Gegentheil, ein Organiſiren des inneren Kriegs über
dieſe Grundfrage. Bis 1852 auf einem Fuß zu ſtehen, während jetzt der
andere erhoben wird, auf glattem Boden zu ſtehen, ſey bedenklich! Der
Miniſter entgegnete, die Regierung wolle durchaus nicht auf einem Fuß
ſtehen, darum habe ſie die Kammern in feſter Conſtituirung für nöthig
gehalten, und hoffe, wie ſie manchen Sturm beſtanden, auch die Winde
nicht zu fürchten zu haben. Ein Lüftchen heiterer Laune wehte übrigens in
Hrn. v. Gerlachs Rede: er habe wohl gehört daß es in Berlin und im
Lande eine Partei des beſondern Rückſchritts geben ſolle, er aber gehöre
doch unmöglich zu ihr. Vormärzliche Zuſtände ſeyen nicht mehr möglich,
denn ſie führten immer wieder zum 18 März. Aber er habe beinahe glau-
ben können daß man ihn gemeint als man von Reactionären ſprach. Der
Scherz fiel auf empfänglichen Boden. Dahlmann ließ die ſchweren Ge-
ſchütze ſeiner Doctrin gegen die Pairie ſpielen: eine Pairskammer laſſe
ſich ſo wenig als Natur und Geſchichte machen. Niemand könne ſein
flaches Land zum Gebirgsland machen, er thäte damit etwas zum Staat,
nicht für den Staat. Politiſchen Kartenhäuſern könne er ſeine Zuſtim-
mung nicht geben, die der erſte Sturm umſtürzt, er könne Inſtitutionen
nicht gründen helfen welche ſtatt das Königthum und die ſtaatliche Freiheit zu
ſtützen, ſie in ihren Fundamenten untergraben müßten. Dem Redner
folgte rauſchender Beifall. Aber er hatte die Miniſter erinnert daß ſie
vor kurzem ſelbſt gegen einen Antrag geſtimmt auf deſſen Annahme ſie
jetzt ihre Eriſtenz ſetzten. Das konnte Hr. v. Manteuffel nicht hingehen
laſſen. Nachdem er eine frühere Entgegnung wiederholt, daß wenn man
eine Verfaſſung aus dem Nichts machen könne, man auch befähigt ſeyn
dürfe eine Pairie zu machen, daß er, nach ſeiner Kenntniß der Provinzen,
dort manche Familie, manchen einzelnen völlig Berechtigten zu finden
glaube, daß die Regierung arbeite um zu heilen und zu verſöhnen, was
aber nicht durch Hervorhebung der Mängel geſchehe, ſprach er Worte die
aus dem Munde eines Miniſters noch nicht gehört worden: es gebe viele
berechtigte Parteien im Lande, auch die der verſtändigen und reinen Demokra-
tie, die ſich leider durch eine Verbindung in den Tagen großer Aufregung dem
Staatsorganismus entfremdet hat; denn auch der preußiſche Staat ſey ein
weſentlich demokratiſcher, aber nur einer Partei könne er keine Berechti-
gung zugeſtehen, weil ſie ſich nie durch die That bewährt, das ſey die Par-
tei der Doctrin! Reaction und Demokratie liebäugelten ſchon lange um
die Conſtitutionellen niederzuſchlagen, daß aber das Miniſterium der letz-
teren den kleinen Finger reicht, kommt unerwartet. Es muß ſich ſehr
ſicher fühlen. Camphauſen faßte rein die Nützlichkeitsgrundſätze ins Auge,
um ſeine Zuſtimmung zu motiviren: die Entſittlichung des Volkes, die bei der
Fortdauer des rechtloſen Zuſtandes furchtbar zunehme; daß ohne dieſen
Abſchluß keine Geſtaltung der deutſchen Verhältniſſe zu hoffen ſey; end-
lich daß die Gebieter der an unſern Gränzen lagernden Bajonnette das
höchſte Intereſſe am Nichtabſchluß hätten. Zur Nachtſitzung hatte ſich
ein noch größeres Zuhörerpublicum eingefunden; doch bot ſie weniger pi-
kante Reden und Incidenzpunkte als die Tagſatzung. Der Antrag über
alle Propoſitionen, nach der Zuſtutzung in der zweiten Kammer in Bauſch
und Vogen abzuſtimmen war ſchon am Morgen abgelehnt worden, es
ward deßhalb über alle einzeln nach kurzer Debatte abgeſtimmt. Alle
wurden zwar angenommen, die Stimmenmehrheit war indeß ſehr wech-
ſelnd. Die Formel über die Miniſterverantwortlichkeit fand noch in Hrn.
v. Manteuffel einen perſönlichen Vertheidiger, obgleich er zugab daß die
Sache nicht weſentlich ſey. Solange er an dieſer Stelle ſtehe, werde er
aber, wie vor dem März, ſo nach dem März, wie vor dem 5 Dec., ſo nach
dem 5 Dec. immer der Meinung ſeyn daß er mit ſeinem Kopf dem Könige
verantwortlich ſey! Gegen dieſe perſönliche Anſicht wird ſchwerlich etwas
einzuwenden ſeyn, nur hätte man dem Redner erwiedern können daß es
mit dieſer Art Verantwortlichkeit doch nicht ſo arg iſt, um zu viel Weſens
davon zu machen, denn es iſt faſt ein Jahrhundert her ſeit dem letzten
Miniſter der Kopf abgeſchlagen ward. Selbſt in der franzöſiſchen Revo-
lution hat darum ihn niemand verloren. Die Vereidigung der Kammern
und des Heers brachte eine etwas lebhaftere Discuſſion hervor. Hr.
v. Gerlach, der ſeine Beſorgniß ausſprach daß die Zeit der Vereidung
nahe ſey, erklärte daß er unter dem Eide auf die Verfaſſung nur einen
Eid auf das ganze im Staat beſtehende Recht verſtehe. Das Volk ver-
lange gar nicht ſo ſehnlich nach dieſem Eide; er wiſſe auch nicht warum
es ſolle, die Verfaſſung werde nach der Beeidigung noch immer im ſelben
Stadium ſeyn wie jetzt. Prof. Ritter verwahrte ſich gegen alles wo-
durch, nachdem der Eid geleiſtet, der Kirche ihr Einfluß auf die Schule
und ihr gutes Recht geſchmälert werde. Der Cultusminiſter proteſtirte,
wenn etwa der Abgeordnete damit im Namen aller katholiſchen Staats-
angehörigen Proteſt einlegen wolle; wogegen Ritter erklärte daß er nur
von ſeinen politiſchen Meinungsgenoſſen geſprochen. Andere Ab-
geordnete verwahrten ſich gegen eine Eidesableiſtung mit einer reservatio
mentalis. Bei der Berathung über die Pairskammer erklärte Heffter daß
er dieſelbe für lebensfähig halte. v. Daniels gefiel nicht die große Zahl
der gewählten Pairs, er hätte lieber eine gleichmäßiger gebildete erſte
Kammer gewünſcht. Frhr. (Heinrich) v. Arnim (der Märzminiſter),
zahlte dem Abgeordneten, „der ſich zur Aufgabe gemacht die hohe Kammer
zugleich zu erbauen und zu beluſtigen, und wie eine abnorme Quelle zu-
gleich ſüßes und bitteres Waſſer zu geben“ (Gerlach), die Ausfälle vom
Morgen gegen die Märzminiſter in ſcharfer Münze zurück: der Abgeord-
nete ſpreche ſich über jene (März-) Zeit ſehr leicht aus, jene Zeit in der
gewiſſe Leute ſich im verborgenen gehalten, während die Miniſter es auf
ſich nahmen die Krone zu ſchützen. Hätte er den Abgeordneten für Dram-
burg damals geſehen, ſo würde er ihm gezeigt haben welcher kräftigen
Thaten die Miniſter fähig waren; er habe ihn aber nicht geſeben! Das
erweckte viel Heiterkeit, Hr. v. Gerlach behauptete aber nachher, er ſey
darum zu jener Zeit nicht in Berlin geweſen, weil ſeine Amtsgſchäfte ihn zu-
rückgehalten. Arnim erklärte ſich gegen die Pairskammer. Wenn man
auch, wo ein Schatz gehoben werden ſoll, fordere daß die Gläubigen ihr
beſtes Gold in den Keſſel würfen, ſo fordere man doch jetzt zu viel — die
politiſche Ueberzeugung. Der Redner hatte einen Zweifel ausgeſprochen,
ob die Vereidung auf die Verfaſſung ſtattfinden werde. Der Miniſter er-
wiederte kurz: wir pflegen eine Verſicherung nur ein mal zu geben. Man
wird durch dieſe Sitzungen wiederholt daran erinnert daß die Sprache
des Miniſteriums an Selbſtbewußtſeyn zugenommen hat. Nur 97 Deputirte
ſtimmten für, 60 gegen die Propoſition, 7 enthielten ſich der Abſtimmung.
Zum Schluß ward auch das v. Jordan’ſche Amendement, welches die Pro-
poſition über die Erhaltung der Fideicommiſſe wieder herſtellen wollte,
verworfen. Der Miniſter hatte ſich dafür erklärt, weil man ſonſt der Ver-
faſſung mehr oder minder werde Gewalt anthun müſſen, um den Grund-
beſitz auf andere Weiſe zuſammenzuhalten. So ſehen wir denn mit den
nächſten Tagen wirklich der Beeidigung der Verfaſſung entgegen. Mor-
gen iſt Wahltag; Berlin wird zwei Miniſter nach Erfurt ſchicken! Hr.
v. Patow hat auf ſeine Candidatur Verzicht geleiſtet, um nicht mit dem
Miniſterpräſidenten zu concurriren. Dieß wird indeß diejenigen nicht
abhalten für ihn zu ſtimmen, welche ſich ihr Wahlrecht durch Ordonnan-
zen nicht verkümmert ſehen wollen!
∸ Berlin, 31 Jan. Der Wahltag iſt vorüber, das Reſultat
nicht überraſchend. Berlin ſendet vier Miniſter nach Erfurt. Sind ſie
es auch nicht alle de facto, ſo waren ſie es doch, oder nahe daran es zu
werden. Im erſten Wahlkreis ſiegte der Staatsſecretär Graf Bülow
über Gegner die ihm ſehr gefährlich zu werden drohten, wenn da über-
haupt für ihn Gefahr ſeyn konnte wo der ganze Wahlkörper ſo vorweg
für ihn geſtimmt und gegen ſeine Mitcandidaten (ehemalige Frankfurter
Deputirte) eingenommen war daß man dieſe kaum zu Worte kommen
laſſen wollte. Beſeler, der nach dem Grafen ſprach, ward, ſchon auftre-
tend, durch Zeichen der Mißſtimmung begrüßt, und nur der ſcharfe Fluß
ſeiner ruhigen Rede konnte die Mißſtimmung überwinden. Zum Schluß
muß'e die Verſammlung ihm unwillkürlich Zeichen der Achtung ſchenken.
Ebenſo vergebens ſuchten die zwei alten Frankfurter Major Reichart und
Friedrich v. Raumer, Gefühle für den ſchönſten Traum zu erwecken den
je die Deutſchen geträumt. Das Bild der drohenden Gefahren das Rau-
mer ihnen entwarf, ging ſpurlos an dieſen ſchwarz-weißen Conſervatoren
vorüber. Bleiben wir preußiſch und behalten wir unſern guten König, ſo
ſoll uns alles übrige nichts kümmern, ſchien der Sinn der undurchdring-
lichen Verſammlung. Am ſtärkſten war die liberale Partei im zweiten
Wahlkreiſe; zwar ſiegte Graf Brandenburg durch die compacte Maſſe
der Treubundsgenoſſen, die, vortrefflich disciplinirt, auf die Winke ihrer
Führer folgen, aber der Widerſtand war hier ebenſo heftig, und aller Ein-
ſchüchterungen und der mannichfachſten Künſte ungeachtet, blieben 66 ih-
rer Fahne treu und verkümmerten den Sieg des Grafen durch eine ebenſo
compacte Minorität! Graf Brandenburg, gegen den die Oppoſition per-
ſönlich durchaus nichts einzuwenden hatte, erhielt mit 122 nicht volle zwei
Drittel der Stimmen. (Die Deutſche Reform behauptet daß die mini-
ſteriellen Candidaten faſt einſtimmig gewählt ſeyen. Eine ſeltſame Ein-
ſtimmigkeit!) Die Conſtitutionellen hatten einen doppelt ſchwierigen
Stand: daß viele ihrer Anhänger, als ſie ſahen daß ſie nicht durchdringen
würden, von ihnen abfallen, daß andere aus Reſpect vor dem Miniſter-
präfidenten und Verwandten des Königs ſich zurückziehen würden, darauf
waren ſie gefaßt, und ſind eigentlich verwundert daß nicht noch mehrere
abfielen, aber die Fahne zu der man ſie gezwungen hatte, war ihnen ſelbſt
eine peinliche. Sie mußten bei Hrn. v. Patow halten um überhaupt eine
Fahne zu haben, um nicht ganz auseinander zu gehen, nachdem alle Ver-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |