Allgemeine Zeitung, Nr. 35, 29. August 1914.Allgemeine Zeitung 29. August 1914. [Spaltenumbruch]
An die evangelischen Christen des Auslandes.1) In dem unvergleichlichen weltgeschichtlichen Zeitabschnitt, in Ein planmäßiges Lügengewebe, das den internationalen Tele- Dreiundvierzig Jahre hat unser Volk Frieden gehalten. Wo Während unsere Regierung sich bemühte, die gerechte Sühne Namenlose Greuel sind gegen friedlich im Auslande wohnende [Spaltenumbruch] gegnerischer Seite bereits verletzt, unter dem Zwang unerbittlicher Not nicht gewahrt bleiben konnte, entschuldigt Unmenschlichkeiten nicht und mindert nicht die Schande, daß solches auf altchristlichem Boden hat geschehen können. Ins Innere Mittelafrikas ist der Krieg skrupellos übertragen, In den Krieg, den der Zar als den Entscheidungskampf gegen Unsere christlichen Freunde im Ausland wissen, wie freudig wir Nicht um unseres Volkes willen, dessen Schwert blank und Wir hofften zu Gott, daß aus der Verantwortung der Stunde 1) Herr D. Wilhelm Freiherr v. Pechmann ist von einem
kleinen Ausschusse von acht Herren, dem unter anderen Ober- hofprediger D. E. Dryander, Exz. Harnack und der General- Superintendent Dr. Lahusen angehört, aufgefordert worden, die obige Kundgebung mitzuunterzeichnen und hat uns mit Zustimmung jener Herren die Kundgebung zum Abdruck über- lassen. In dem Begleitschreiben, mit welchem Freiherr v. Pechmann die Kundgebung erhielt, heißt es u. a.: "Uns liegt nicht daran, eine große Zahl von Unterschriften zu gewinnen. Es wird am wirksamsten sein, wenn die Unterzeichner Persönlichkeiten sind, die in besonderem Maße sich um die Kulturgemeinschaft der christ- lichen Völker, um die Pflege freundlicher nationaler Beziehungen und um missionarische Arbeitsgemeinschaft bemüht haben und als solche unter den Christen des Auslandes bekannt sind." Allgemeine Zeitung 29. Auguſt 1914. [Spaltenumbruch]
An die evangeliſchen Chriſten des Auslandes.1) In dem unvergleichlichen weltgeſchichtlichen Zeitabſchnitt, in Ein planmäßiges Lügengewebe, das den internationalen Tele- Dreiundvierzig Jahre hat unſer Volk Frieden gehalten. Wo Während unſere Regierung ſich bemühte, die gerechte Sühne Namenloſe Greuel ſind gegen friedlich im Auslande wohnende [Spaltenumbruch] gegneriſcher Seite bereits verletzt, unter dem Zwang unerbittlicher Not nicht gewahrt bleiben konnte, entſchuldigt Unmenſchlichkeiten nicht und mindert nicht die Schande, daß ſolches auf altchriſtlichem Boden hat geſchehen können. Ins Innere Mittelafrikas iſt der Krieg ſkrupellos übertragen, In den Krieg, den der Zar als den Entſcheidungskampf gegen Unſere chriſtlichen Freunde im Ausland wiſſen, wie freudig wir Nicht um unſeres Volkes willen, deſſen Schwert blank und Wir hofften zu Gott, daß aus der Verantwortung der Stunde 1) Herr D. Wilhelm Freiherr v. Pechmann iſt von einem
kleinen Ausſchuſſe von acht Herren, dem unter anderen Ober- hofprediger D. E. Dryander, Exz. Harnack und der General- Superintendent Dr. Lahuſen angehört, aufgefordert worden, die obige Kundgebung mitzuunterzeichnen und hat uns mit Zuſtimmung jener Herren die Kundgebung zum Abdruck über- laſſen. In dem Begleitſchreiben, mit welchem Freiherr v. Pechmann die Kundgebung erhielt, heißt es u. a.: „Uns liegt nicht daran, eine große Zahl von Unterſchriften zu gewinnen. Es wird am wirkſamſten ſein, wenn die Unterzeichner Perſönlichkeiten ſind, die in beſonderem Maße ſich um die Kulturgemeinſchaft der chriſt- lichen Völker, um die Pflege freundlicher nationaler Beziehungen und um miſſionariſche Arbeitsgemeinſchaft bemüht haben und als ſolche unter den Chriſten des Auslandes bekannt ſind.“ <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <pb facs="#f0006" n="532"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 29. Auguſt 1914.</fw><lb/> <cb/> </div> </div> </div> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">An die evangeliſchen Chriſten des Auslandes.</hi> <note place="foot" n="1)">Herr <hi rendition="#aq">D.</hi> Wilhelm Freiherr v. <hi rendition="#g">Pechmann</hi> iſt von einem<lb/> kleinen Ausſchuſſe von acht Herren, dem unter anderen Ober-<lb/> hofprediger <hi rendition="#aq">D.</hi> E. Dryander, Exz. 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Da traten<lb/> zu unſeren Gegnern auch die, die dem Blute, der Geſchichte und dem<lb/> Glauben nach unſere Brüder ſind, und denen wir uns in der ge-<lb/> meinſamen Weltaufgabe wie kaum einem anderen Volk der Erde<lb/> nahe verbunden fühlten. Einer Welt in Waffen gegenüber erkennen<lb/> wir es klar, daß wir unſere Exiſtenz, unſere Eigenart, unſere Kul-<lb/> tur und unſere Ehre zu verteidigen haben. Keine Rückſicht hält<lb/> unſere Feinde zurück, wo ihnen nach ihrer Meinung die Ausſicht<lb/> winkt, durch Teilnahme an unſerer Vernichtung einen wirtſchaft-<lb/> lichen Vorteil oder einen Machtzuwachs, ein Stück unſeres Mutter-<lb/> landes, unſeres Kolonialbeſitzes oder unſeres Handels an ſich zu<lb/> reißen. Wir ſtehen dieſem Toben der Völker im Vertrauen auf<lb/> den heiligen, gerechten Gott furchtlos gegenüber. Gerade weil dieſer<lb/> Krieg unſerem Volke freventlich aufgezwungen iſt, trifft er uns als<lb/> ein einiges Volk, in dem die Unterſchiede der Stämme und Stände,<lb/> der Parteien und der Konfeſſionen verſchwunden ſind. Jn heiliger<lb/> Begeiſterung, Kampf und Tod nicht ſcheuend, ſind wir alle im Auf-<lb/> blick zu Gott einmütig und freudig bereit, auch unſer Letztes für<lb/> unſer Land und unſere Freiheit einzuſetzen.</p><lb/> <p>Namenloſe Greuel ſind gegen friedlich im Auslande wohnende<lb/> Deutſche, gegen Frauen und Kinder, gegen Verwundete und Aerzte<lb/> begangen. Grauſamkeiten und Schamloſigkeiten, wie ſie mancher<lb/> heidniſche und muhammedaniſche Krieg nicht aufzuweiſen hatte.<lb/> Sind das die Früchte, an denen jetzt die nichtchriſtlichen Völker er-<lb/> kennen ſollen, weſſen Jünger die chriſtlichen Nationen ſind? 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Dieſe primitiven Völker lernten<lb/> das Chriſtentum als die Religion der Liebe und des Friedens ken-<lb/> nen im Gegenſatz zu Stammesfehde und Häuptlingsgrauſamkeit.<lb/> Jetzt werden ſie mit den Waffen gegen einander geführt von den<lb/> Völkern, die ihnen dies Evangelium brachten. So werden blühende<lb/> Miſſionsfelder zertreten.</p><lb/> <p>In den Krieg, den der Zar als den Entſcheidungskampf gegen<lb/> das Germanentum und Proteſtantismus öffentlich proklamiert hat,<lb/> iſt jetzt unter dem Vorwand eines Bündniſſes auch das heidniſche<lb/> Japan gerufen. Die Miſſionsfelder, die die Weltmiſſionskonferenz<lb/> in Edinburg als die wichtigſten der Gegenwart bezeichnete — Mit-<lb/> telafrika mit ſeinem Wettbewerb zwiſchen Chriſtentum und Islam<lb/> um die ſchwarze Raſſe und das ſein Leben neugeſtaltende Oſtaſien<lb/> — werden jetzt Schauplätze erbitterter Kämpfe von Völkern, die<lb/> dort in beſonderem Maße die Verantwortung für die Ausrichtung<lb/> des Miſſionsbefehls trugen.</p><lb/> <p>Unſere chriſtlichen Freunde im Ausland wiſſen, wie freudig wir<lb/> deutſchen Chriſten die Glaubens- und Arbeitsgemeinſchaft, die die<lb/> Edinburger Weltmiſſionskonferenz der proteſtantiſchen Chriſtenheit<lb/> als heiliges Erbe hinterließ, begrüßt haben, ſie wiſſen auch, wie wir<lb/> nach beſten Kräften daran mitgearbeitet haben, daß über den chriſt-<lb/> lichen Nationen mit ihren konkurrierenden politiſchen und wirtſchaft-<lb/> lichen Intereſſen eine in der Erkenntnis ihres gegenwärtigen<lb/> Gottesauftrages einige und freudige Chriſtenheit erſtehe. 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Allgemeine Zeitung 29. Auguſt 1914.
An die evangeliſchen Chriſten des Auslandes. 1)
In dem unvergleichlichen weltgeſchichtlichen Zeitabſchnitt, in
dem der Chriſtenheit die Brücke zu der geſamten nichtchriſtlichen
Menſchheit geſchlagen und ein maßgebender Einfluß auf ſie anver-
traut war, ſtehen die chriſtlichen Völker Europas im Begriff, in
brudermörderiſchem Kriege ſich gegenſeitig zu zerfleiſchen.
Ein planmäßiges Lügengewebe, das den internationalen Tele-
graphenverkehr beherrſcht, ſucht im Auslande unſer Volk und ſeine
Regierung mit der Schuld an dem Ausbruch dieſes Krieges zu be-
laſten, und hat es gewagt, uns und unſerem Kaiſer das innere
Recht zur Anrufung des Beiſtandes Gottes zu beſtreiten. Daher
iſt es uns, die wir auch unter den Chriſten des Auslandes als
Männer bekannt ſind, die an der Ausbreitung des Evangeliums
unter fremden Völkern und an der Knüpfung kultureller Bande
und freundſchaftlicher Beziehungen zwiſchen Deutſchland und an-
deren chriſtlichen Nationen gearbeitet haben, ein Bedürfnis, vor
aller Oeffentlichkeit unſer Zeugnis über dieſen Krieg abzulegen.
Dreiundvierzig Jahre hat unſer Volk Frieden gehalten. Wo
irgend in anderen Ländern Kriegsgefahren aufſtiegen, hat es ſich be-
müht, ſie beſeitigen oder mindern zu helfen. Sein Sinn ging auf
friedliche Arbeit. Es hat zu dem beſten Kulturbeſitz der modernen
Menſchheit ſein ehrliches Teil beigetragen. Es ſann nicht darauf,
anderen Licht und Luft zu nehmen. Es wollte niemand von ſeinem
Platz verdrängen. In friedlichem Wettbewerb mit anderen Völkern
entwickelte es die Gaben, die Gott ihm gegeben hat. Seine fleißige
Arbeit brachte ihm reiche Frucht. Es gewann auch einen beſchei-
denen Anteil an der Koloniſationsaufgabe in der primitiven Welt
und bemühte ſich, ſeinen Beitrag zur Neugeſtaltung Oſtaſiens zu
leiſten. An der Friedfertigkeit ſeiner Geſinnung hat es Keinem,
der die Wahrheit ſehen wollte, Zweifel gelaſſen. Nur unter dem
Zwange der Abwehr frevelhaften Angriffs hat es jetzt das Schwert
gezogen.
Während unſere Regierung ſich bemühte, die gerechte Sühne
für einen ruchloſen Königsmord zu lokaliſieren und den Ausbruch
des Krieges zwiſchen zwei benachbarten Großmächten zu verhüten,
bedrohte eine von ihnen, während ſie die Vermittlung unſeres Kaiſers
anrief, wortbrüchig unſere Grenze und zwang uns, unſer Land
gegen Verwüſtung durch aſiatiſche Barbarei zu ſchützen. Da traten
zu unſeren Gegnern auch die, die dem Blute, der Geſchichte und dem
Glauben nach unſere Brüder ſind, und denen wir uns in der ge-
meinſamen Weltaufgabe wie kaum einem anderen Volk der Erde
nahe verbunden fühlten. Einer Welt in Waffen gegenüber erkennen
wir es klar, daß wir unſere Exiſtenz, unſere Eigenart, unſere Kul-
tur und unſere Ehre zu verteidigen haben. Keine Rückſicht hält
unſere Feinde zurück, wo ihnen nach ihrer Meinung die Ausſicht
winkt, durch Teilnahme an unſerer Vernichtung einen wirtſchaft-
lichen Vorteil oder einen Machtzuwachs, ein Stück unſeres Mutter-
landes, unſeres Kolonialbeſitzes oder unſeres Handels an ſich zu
reißen. Wir ſtehen dieſem Toben der Völker im Vertrauen auf
den heiligen, gerechten Gott furchtlos gegenüber. Gerade weil dieſer
Krieg unſerem Volke freventlich aufgezwungen iſt, trifft er uns als
ein einiges Volk, in dem die Unterſchiede der Stämme und Stände,
der Parteien und der Konfeſſionen verſchwunden ſind. Jn heiliger
Begeiſterung, Kampf und Tod nicht ſcheuend, ſind wir alle im Auf-
blick zu Gott einmütig und freudig bereit, auch unſer Letztes für
unſer Land und unſere Freiheit einzuſetzen.
Namenloſe Greuel ſind gegen friedlich im Auslande wohnende
Deutſche, gegen Frauen und Kinder, gegen Verwundete und Aerzte
begangen. Grauſamkeiten und Schamloſigkeiten, wie ſie mancher
heidniſche und muhammedaniſche Krieg nicht aufzuweiſen hatte.
Sind das die Früchte, an denen jetzt die nichtchriſtlichen Völker er-
kennen ſollen, weſſen Jünger die chriſtlichen Nationen ſind? Auch
die begreifliche Erregung eines Volkes, deſſen Neutralität, von
gegneriſcher Seite bereits verletzt, unter dem Zwang unerbittlicher
Not nicht gewahrt bleiben konnte, entſchuldigt Unmenſchlichkeiten
nicht und mindert nicht die Schande, daß ſolches auf altchriſtlichem
Boden hat geſchehen können.
Ins Innere Mittelafrikas iſt der Krieg ſkrupellos übertragen,
obſchon dortige militäriſche Unternehmungen für ſeine Entſcheidung
gänzlich belanglos ſind, und obſchon die Beteiligung von Einge-
borenen, die erſt ſeit wenigen Jahrzehnten pazifiziert ſind, an einem
Krieg von Weiß gegen Weiß die furchtbare Gefahr des Eingebore-
nenaufſtandes heraufbeſchwört. Dieſe primitiven Völker lernten
das Chriſtentum als die Religion der Liebe und des Friedens ken-
nen im Gegenſatz zu Stammesfehde und Häuptlingsgrauſamkeit.
Jetzt werden ſie mit den Waffen gegen einander geführt von den
Völkern, die ihnen dies Evangelium brachten. So werden blühende
Miſſionsfelder zertreten.
In den Krieg, den der Zar als den Entſcheidungskampf gegen
das Germanentum und Proteſtantismus öffentlich proklamiert hat,
iſt jetzt unter dem Vorwand eines Bündniſſes auch das heidniſche
Japan gerufen. Die Miſſionsfelder, die die Weltmiſſionskonferenz
in Edinburg als die wichtigſten der Gegenwart bezeichnete — Mit-
telafrika mit ſeinem Wettbewerb zwiſchen Chriſtentum und Islam
um die ſchwarze Raſſe und das ſein Leben neugeſtaltende Oſtaſien
— werden jetzt Schauplätze erbitterter Kämpfe von Völkern, die
dort in beſonderem Maße die Verantwortung für die Ausrichtung
des Miſſionsbefehls trugen.
Unſere chriſtlichen Freunde im Ausland wiſſen, wie freudig wir
deutſchen Chriſten die Glaubens- und Arbeitsgemeinſchaft, die die
Edinburger Weltmiſſionskonferenz der proteſtantiſchen Chriſtenheit
als heiliges Erbe hinterließ, begrüßt haben, ſie wiſſen auch, wie wir
nach beſten Kräften daran mitgearbeitet haben, daß über den chriſt-
lichen Nationen mit ihren konkurrierenden politiſchen und wirtſchaft-
lichen Intereſſen eine in der Erkenntnis ihres gegenwärtigen
Gottesauftrages einige und freudige Chriſtenheit erſtehe. Es war
uns auch Gewiſſensſache, auf jede Weiſe politiſche Mißverſtändniſſe
und Verſtimmungen aus dem Wege zu räumen und freundſchaftliche
Beziehungen zwiſchen den Nationen herbeiführen zu helfen. Wir
tragen jetzt den Spott der Leute, daß wir dem chriſtlichen Glauben
die Kraft zugetraut haben, die Bosheit derer zu überwinden, die
den Krieg ſuchten, und begegnen dem Vorwurf, daß unſere Frie-
densbeſtrebungen unſerm Volk nur die wahre Geſinnung ſeiner
Feinde verhüllt haben. Doch reut es uns nicht, den Frieden ſo
geſucht zu haben. Unſer Volk könnte nicht mit ſo reinem Ge-
wiſſen in dieſen Kampf ziehen, wenn nicht führende Männer ſeines
kirchlichen, wiſſenſchaftlichen und wirtſchaftlichen Lebens ſich ſo viel-
fältig darum bemüht hätten, dieſen Brudermord unmöglich zu
machen.
Nicht um unſeres Volkes willen, deſſen Schwert blank und
ſcharf iſt, — um der einzigartigen Weltaufgabe der
chriſtlichen Völker in der Entſcheidungsſtunde
der Weltmiſſion willen wenden wir uns an die evange-
liſchen Chriſten im neutralen und im feindlichen Auslande.
Wir hofften zu Gott, daß aus der Verantwortung der Stunde
für die chriſtlichen Völker ein Strom neuen Lebens entſpringen
werde. Schon ſpürten wir in unſerer deutſchen Kirche ſtarke Wir-
kungen dieſes Segens, und die Gemeinſchaft mit den Chriſten der
anderen Länder im Gehorſam gegen den univerſalen Auftrag
Jeſu war uns heilige Freude.
Wenn dieſe Gemeinſchaft jetzt heillos zerbrochen iſt, —
wenn die Völker, in denen Miſſion und Bruderliebe eine Macht
zu werden begannen, im mörderiſchen Kriege durch Haß und
Verbitterung verrohen, —
wenn in den germaniſchen Proteſtantismus ein ſchier unheilbarer
Riß gebracht iſt, —
wenn das chriſtliche Europa ein edles Stück ſeiner Weltſtellung
einbüßt, —
wenn die heiligen Quellen, aus denen ſeine Völker Leben ſchöpfen
und der chriſtlichen Menſchheit darreichen ſollten, verunreinigt
und verſchüttet werden, —
ſo fällt die Schuld hieran, dies erklären wir hier vor
unſern chriſtlichen Brüdern des Auslandes mit ruhiger Gewißheit,
nicht auf unſer Volk. Wohl wiſſen wir, daß Gott durch dies
blutige Gericht auch unſer Volk zur Buße ruft, und wir freuen
uns, daß es ſeine heilige Stimme hört und ſich zu ihm kehrt.
Darin aber wiſſen wir uns mit allen Chriſten
unſeres Volkes einig, daß wir die Verantwor-
1) Herr D. Wilhelm Freiherr v. Pechmann iſt von einem
kleinen Ausſchuſſe von acht Herren, dem unter anderen Ober-
hofprediger D. E. Dryander, Exz. Harnack und der General-
Superintendent Dr. Lahuſen angehört, aufgefordert worden,
die obige Kundgebung mitzuunterzeichnen und hat uns mit
Zuſtimmung jener Herren die Kundgebung zum Abdruck über-
laſſen. In dem Begleitſchreiben, mit welchem Freiherr v. Pechmann
die Kundgebung erhielt, heißt es u. a.: „Uns liegt nicht daran,
eine große Zahl von Unterſchriften zu gewinnen. Es wird am
wirkſamſten ſein, wenn die Unterzeichner Perſönlichkeiten ſind,
die in beſonderem Maße ſich um die Kulturgemeinſchaft der chriſt-
lichen Völker, um die Pflege freundlicher nationaler Beziehungen
und um miſſionariſche Arbeitsgemeinſchaft bemüht haben und als
ſolche unter den Chriſten des Auslandes bekannt ſind.“
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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