Allgemeine Zeitung, Nr. 34, 3. Februar 1850.[Spaltenumbruch]
Architektur gemacht, ist der hier noch herrschende engherzige Zunftgeist. ** Preßburg, 28 Jan. Die Zerwürfnisse in der Woiwodina, [Spaltenumbruch]
Architektur gemacht, iſt der hier noch herrſchende engherzige Zunftgeiſt. ** Preßburg, 28 Jan. Die Zerwürfniſſe in der Woiwodina, <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0005" n="533"/><cb/> Architektur gemacht, iſt der hier noch herrſchende engherzige Zunftgeiſt.<lb/> Ein Handwerker, der Wien oder Prag mit Arbeit überführt findet,<lb/> zieht nach einer ungariſchen Stadt, und erwirbt bald Geld in einem<lb/> Lande von großem Bodenreichthum und einer trägen Bevölkerung. Er<lb/> wird vergleichsweiſe reich, baut ein gutes Haus, und hinterläßt einen<lb/> Sohn, kundig in aller Wiſſenſchaft dieſes zweiten Aegyptens. Die ple-<lb/> bejiſche Abſtammung muß vergeſſen werden; er beſitzt kein Land, aber<lb/> ein neues Haus, und „Neuhaus“ wird Ujhazy, oder ſonſt etwas vor-<lb/> nehm und ariſtokratiſch tönendes. Aber der Wiener oder Prager Hand-<lb/> werker möge Hermannſtadt oder Schäßburg beiſeite liegen laſſen; denn<lb/> leichter könnte er die chineſiſche Mauer überklettern als ſich anſäſſig ma-<lb/> chen in einer Sachſenſtadt. So zählt dieſe ganze Nation nicht über<lb/> 250,000 Seelen. Dieſe engherzige Ausſchließung der Concurrenz iſt ein<lb/> großes Uebel, und wie ſchätzenswerth auch viele von den Municipalein-<lb/> richtungen der Sachſen ſind, die Provincial-Legislatur, welche jetzt ihre<lb/> Sitzungen beginnt, würde wohl daran thun eine Reform dieſes Zunft-<lb/> zwangs vorzunehmen. — Wir machten Mittag in Markt-Schelker; da<lb/> ſah ich des Wirthes Salzvorrath für den Winter — einen großen Block<lb/> Steinſalz aus den benachbarten Bergwerken von Salzburg, wovon der<lb/> Centner 6 Shilling 6 Pence engliſchen Geldes (3 fl. 54 kr.) koſtet. Das<lb/> iſt ein viel zu hoher Preis für ein ſo unentbehrliches Lebensbedürfniß,<lb/> und die Folge iſt daß viel Salz von geringerer Qualität aus der Wala-<lb/> chei eingeſchmuggelt wird. Verwohlfeilung der Lebensmittel, wo ſie<lb/> irgend thunlich iſt, würde mehr als alles dazu beitragen die unzufriedene<lb/> Magyariſche und Szekler-Bevölkerung dieſes Landes mit Oeſterreich zu<lb/> verſöhnen. Am leichteſten läßt ſich dieſe erwirken durch das Freihan-<lb/> delsſyſtem, durch den Uebergang von prohibitiven zu mäßigen Eingangs-<lb/> zöllen. Welch einen Standpunkt könnte Oeſterreich in der politiſchen<lb/> Welt einnehmen durch eine Verbindung mit dem deutſchen Zollverein<lb/> auf der Baſis eines mit Rückſicht auf die Finanzen entworfenen<lb/> Tarifs! Da käme es aus ſeinem jetzigen ſumpfigen Finanzzuſtand auf<lb/> einmal heraus auf den feſten Boden einer Gold- und Silber-Currency;<lb/> es legte Ungarn, Galizien und Ober-Italien in die Wagſchale, worin<lb/> es jetzt von Deutſchland gegen Preußen gewogen und für Deutſchland zu<lb/> leicht befunden wird; und es verknüpfte und verwöbe endlich ſeine In-<lb/> tereſſen mit denen Großbritanniens, wodurch all ſeine Angſt wegen der<lb/> Donau-Fürſtenthümer, die es jetzt aus Rückſichten der Delicateſſe nicht<lb/> laut werden läßt, Beruhigung fände. — Die daco-romaniſche Bevöl-<lb/> kerung des nächſten Dorfs iſt noch in einem halbwegs unordentlichen Zu-<lb/> ſtand. In der Nacht vor meiner Durchreiſe war ein Jude in ſeinem eige-<lb/> nen Haus überfallen und einer beträchtlichen Summe beraubt worden;<lb/> er ſelbſt rettete ſich durch einen Sprung aus dem Fenſter. Ich habe<lb/> mich mehr und mehr überzeugt daß der Daco-Romane, d. h. Walache,<lb/> einer ſtrengen und gerechten Regierung und einer durchgreifenden Re-<lb/> form in der Erziehung bedarf, daß aber die Conſtitution vom 4 März<lb/> für dieſes Land gänzlich unpaſſend iſt. Der Daco-Romane verſteht un-<lb/> ter Freiheit nichts anderes als die Erlaubniß zum Plündern, und einen<lb/> politiſchen Mechanismus mit allgemeinem Stimmrecht könnte er ſo<lb/> wenig handhaben wie ein Neuſeeländer eine Locomotive. Einige ſtrenge<lb/> Exempel ſind daher nöthig, was die Ex-Präfecten und Centurionen<lb/> auch gegentheiliges ſagen mögen. Bei aller Achtung für den menſchen-<lb/> freundlichen und rechtlichen Charakter Baron Puchners, des öſterreichi-<lb/> ſchen Befehlshabers während der Revolution, glaub’ ich doch daß er<lb/> einen großen Fehler beging durch allzu großes Vertrauen auf den daco-<lb/> romaniſchen patriotiſchen Ausſchuß, der in einem prächtig tönenden Be-<lb/> richt nicht weniger als 196,000 daco-romaniſche Localmilizen verſprach,<lb/> befehligt von ihren eigenen Officieren mit den hochtönenden Namen<lb/> Präfecten und Centurionen. Dieſer ſogenannte Landſturm mordete<lb/> und plünderte, und vergaß, mit Ausnahme Janko’s und einiger andern<lb/> Führer, über dem Plündern ſo ganz auf das Fechten, daß Puchner, trotz<lb/> numeriſcher Ueberlegenheit, aus Siebenbürgen hinausgeſchlagen wurde.<lb/> 12,000 daco-romaniſche Recruten unter öſterreichiſchen Officieren und<lb/> öſterreichiſcher Mannszucht würden Puchner gerettet, und zugleich die<lb/> Zerſtörung unermeßlichen Eigenthums verhütet haben. — In Mediaſch,<lb/> dem älteſten der im Jahre 1142 gegründeten ſieben Burgen, verbrachte<lb/> ich den Abend mit dem reichſten Landeseigenthümer des Bezirks, der<lb/> mir einen ſchmerzlich anziehenden Bericht von ſeinem Schickſal während<lb/> der Unruhen gab. Nicht ſobald hatte das Landvolk aus der Abſchaffung<lb/> des Grundzinſes und dem nachfolgenden Gange der Revolution wahrge-<lb/> nommen welche Macht es im Staate geworden, ſo gerieth der Graf in<lb/> Beſorgniß. Der daco-romaniſche Präfect oder Centurio des benachbar-<lb/> ten Dorfs verfügte ſich zu ihm und verſicherte ihm es ſey „alles in Ord-<lb/> nung,“ er habe nichts zu befürchten, er (der Centurio) bürge für ſein<lb/> und ſeiner Familie Sicherheit. Da aber zugleich der Centurio ſeinen Arm<lb/> ganz vertraulich auf die Stuhllehne der Gräfin legte, und ſich überhaupt<lb/><cb/> mit einer vor der Revolution unbekannten Frechheit betrug, ſo interpretirte<lb/> der Graf das „alles in Ordnung“ mit „alles in Unordnung“, und verabſchie-<lb/> dete ſich am nächſten Morgen von ſeinen Pächtern auf franzöſiſch. Er entrann<lb/> nur mit genauer Noth; noch am nämlichen Tag umzingelte ein bewaff-<lb/> neter Volkshaufe ſein Schloß, erſchoß den Gärtner, knüpfte den<lb/> Schloßverwalter an einem Baum auf, und ſogar jetzt noch, obgleich die<lb/> Ordnung großentheils wieder hergeſtellt iſt, ſitzt ein vormaliger Koch<lb/> des Grafen, obgleich er ſeinen Küchen-Robot längſt aufgegeben, auf<lb/> einem Haus und Grundſtück des letztern, und läßt ſich nicht ausweiſen,<lb/> ſondern droht demſelben das kaum reparirte Schloß über dem Kopf an-<lb/> zuzünden. Solche Auftritte waren nicht vorgefallen als Szechenyi ſeine<lb/> Aufhebung des Feudaliſmus durchführte; aber kaum begann Koſſuth<lb/> mit <hi rendition="#g">ſeiner</hi> Abſchaffung des Lehensweſens — mit andern Worten des<lb/><hi rendition="#g">Grundzinſes</hi> — ſo bekannten ſich die Bauern zu dem Satz: <hi rendition="#aq">„la pro-<lb/> priété c’est le vol,“</hi> der auch jetzt noch in ihren Köpfen ſpukt. Die<lb/> Erzählung des Grafen erinnerte mich an den Küchenjungen in einer von<lb/> Neſtroy’s Poſſen, welcher ſagt: die bürgerliche Geſellſchaft ruhe ſo lange<lb/> auf einer falſchen Baſis, bis erſt die Bedienten an der Tafel ſitzen, und<lb/> die Herren die Teller ſpülen. Alle dieſe Präfecturen und Centurionen-<lb/> ſtellen, die der romaniſche Ausſchuß eingeführt, wurden von General<lb/> Wohlgemuth aufgehoben, und dem Landvolk in ſtrengen Proclamationen<lb/> bedeutet daß die Abſchaffung des Bodenzinſes von Ackerland nicht als<lb/> Beſitzentäußerung der Wälder und Forſten zu verſtehen ſey; trotzdem<lb/> fahren, in allen Bezirken wo kein Militär liegt, die Bauern fort ſich<lb/> nach Belieben in den Waldungen Holz zu hauen. Wie ſchon geſagt,<lb/> der Daco-Romane hat keinen Begriff von den Pflichten eines Bürgers,<lb/> und zu einem Parlamentswähler taugt er ganz und gar nicht. Was in<lb/> ſolchen Landen von gemiſchter Bevölkerung vor allem noch thut, iſt eine<lb/> ſtarke neutrale öſterreichiſche Verwaltung, welche weder den Daco-Ro-<lb/> manen zu magyariſiren, noch den Magyar zu germaniſtren ſucht, aber,<lb/> beide anerkennend, das Eigenthum ſchützt, und für den Bauer wie für<lb/> den Edelmann jene Gleichheit vor dem Geſetz ſchafft welche, wiewohl<lb/> durch die Bemühungen des Grafen Szechenyi ins Statutenbuch von Un-<lb/> garn eingeſchrieben, doch ein todter Buchſtabe geblieben iſt in ausſchließ-<lb/> lich aus Edelleuten gebildeten Geſpan-Bureaukratien, deren unedles<lb/> Naturell und unedle Leidenſchaften jene Verbindung von Käuflichkeit<lb/> und Tyrannei hervorgebracht, die am Ende zu einer ſo furchtbaren<lb/> Reaction führten. Die öſterreichiſche Revolution hat keine Aehnlichkeit<lb/> mit der erſten franzöſiſchen, denn die rechtzeitigen Reformen des Kaiſers<lb/> Joſeph verhüteten den ſchroffen Uebergang; aber die ungariſche Revo-<lb/> lution ähnelt derſelben allerdings in der unſinnigen Wortmacherei eini-<lb/> ger ihrer Standredner, in ihrer ſchreienden Verletzung des Eigenthums-<lb/> rechtes, und in dem <hi rendition="#aq">„guerre au chàteau“</hi> eines durch Jahrhunderte lange<lb/> Unterdrückung verthierten Bauernvolks. — Indem wir den Kokel auf-<lb/> wärts fuhren, traten die Gebirge näher an den Fluß, und der die ganze<lb/> Landſchaft bedeckende ungethaute Schnee deutete auf das kältere Klima<lb/> der höher liegenden Gegend Gerade von Schäßburg zieht ſich die<lb/> Straße durch eine hügelige Waldlandſchaft nach einem Paß in die Höhe,<lb/> und da ſteht noch die Linie der von Bem zur Deckung des Paſſes errichte-<lb/> ten Feldwerke, die aber unter jedem Regenfalle mehr und mehr ver-<lb/> ſchwinden. Schäßburg war der Angelpunkt der Kriegsoperationen in<lb/> Siebenbürgen, und wiederholt verloren und gewonnen. Hier nahm Bem<lb/> die Stellung welche Puchner zu ſeiner Vernichtung lockte, und auf der<lb/> andern Seite der Stadt faßte Lüders die Inſurrection vernichtend im<lb/> Rücken; denn die nachfolgenden Bewegungen Bems waren vielmehr<lb/> hoffnungsloſe Windungen als die Aeußerungen wirklicher Lebenskraft.<lb/> Schäßburg war zugleich das Montenotte und das Leipzig dieſes Duodez-<lb/> Napoleons im Siebenbürger kleinen Krieg; mit nicht geringem Inte-<lb/> reſſe ſah ich daher, als ich auf der Höhe des Paſſes ankam, dieſen Platz<lb/> vor mir liegen. Er hat die romantiſchſte Lage unter allen Orten die ich<lb/> noch in Siebenbürgen und Ungarn geſehen; es iſt eine auf dem Tafel-<lb/> land hoch über dem Fluß gelegene alte Stadt, ſtarrend von Baſtio-<lb/> nen und Thürmen, deren einer, aus dem 17ten Jahrhundert, mich an<lb/> die gefälligſten Umriſſe altflämiſcher Architektur erinnerte, und zugleich<lb/> mit ſeinem ſchwebenden Fallgitter den Eingang zur Stadt bildete. Zwar<lb/> die Natur lag unter der Sargdecke des Schnees, aber auch ſo, in der<lb/> Todesſtarrheit des Decembers, fühlte ich daß die enthuſtaſtiſchen Schil-<lb/> derungen von Schäßburgs landſchaftlicher Schönheit, die ich gehört,<lb/> nicht übertrieben waren.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <dateline>** <hi rendition="#b">Preßburg,</hi> 28 Jan.</dateline> <p>Die Zerwürfniſſe in der Woiwodina,<lb/> das Vorgreifen der Serben in allen ſtaatsrechtlichen Beziehungen, die<lb/> offenbar ſeparatiſtiſchen Tendenzen die ſich bei ihnen und leider auch zum<lb/> Theil bei den croatiſchen wie bei den walachiſchen Volksſtämmen, alſo im<lb/> ganzen Süden des frühern Ungarns geltend zu machen ſuchen, ſind wohl<lb/> geeignet die <hi rendition="#g">er</hi>nſteſte Aufmerrſamkeit der Centralregierung auf ſich zu<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [533/0005]
Architektur gemacht, iſt der hier noch herrſchende engherzige Zunftgeiſt.
Ein Handwerker, der Wien oder Prag mit Arbeit überführt findet,
zieht nach einer ungariſchen Stadt, und erwirbt bald Geld in einem
Lande von großem Bodenreichthum und einer trägen Bevölkerung. Er
wird vergleichsweiſe reich, baut ein gutes Haus, und hinterläßt einen
Sohn, kundig in aller Wiſſenſchaft dieſes zweiten Aegyptens. Die ple-
bejiſche Abſtammung muß vergeſſen werden; er beſitzt kein Land, aber
ein neues Haus, und „Neuhaus“ wird Ujhazy, oder ſonſt etwas vor-
nehm und ariſtokratiſch tönendes. Aber der Wiener oder Prager Hand-
werker möge Hermannſtadt oder Schäßburg beiſeite liegen laſſen; denn
leichter könnte er die chineſiſche Mauer überklettern als ſich anſäſſig ma-
chen in einer Sachſenſtadt. So zählt dieſe ganze Nation nicht über
250,000 Seelen. Dieſe engherzige Ausſchließung der Concurrenz iſt ein
großes Uebel, und wie ſchätzenswerth auch viele von den Municipalein-
richtungen der Sachſen ſind, die Provincial-Legislatur, welche jetzt ihre
Sitzungen beginnt, würde wohl daran thun eine Reform dieſes Zunft-
zwangs vorzunehmen. — Wir machten Mittag in Markt-Schelker; da
ſah ich des Wirthes Salzvorrath für den Winter — einen großen Block
Steinſalz aus den benachbarten Bergwerken von Salzburg, wovon der
Centner 6 Shilling 6 Pence engliſchen Geldes (3 fl. 54 kr.) koſtet. Das
iſt ein viel zu hoher Preis für ein ſo unentbehrliches Lebensbedürfniß,
und die Folge iſt daß viel Salz von geringerer Qualität aus der Wala-
chei eingeſchmuggelt wird. Verwohlfeilung der Lebensmittel, wo ſie
irgend thunlich iſt, würde mehr als alles dazu beitragen die unzufriedene
Magyariſche und Szekler-Bevölkerung dieſes Landes mit Oeſterreich zu
verſöhnen. Am leichteſten läßt ſich dieſe erwirken durch das Freihan-
delsſyſtem, durch den Uebergang von prohibitiven zu mäßigen Eingangs-
zöllen. Welch einen Standpunkt könnte Oeſterreich in der politiſchen
Welt einnehmen durch eine Verbindung mit dem deutſchen Zollverein
auf der Baſis eines mit Rückſicht auf die Finanzen entworfenen
Tarifs! Da käme es aus ſeinem jetzigen ſumpfigen Finanzzuſtand auf
einmal heraus auf den feſten Boden einer Gold- und Silber-Currency;
es legte Ungarn, Galizien und Ober-Italien in die Wagſchale, worin
es jetzt von Deutſchland gegen Preußen gewogen und für Deutſchland zu
leicht befunden wird; und es verknüpfte und verwöbe endlich ſeine In-
tereſſen mit denen Großbritanniens, wodurch all ſeine Angſt wegen der
Donau-Fürſtenthümer, die es jetzt aus Rückſichten der Delicateſſe nicht
laut werden läßt, Beruhigung fände. — Die daco-romaniſche Bevöl-
kerung des nächſten Dorfs iſt noch in einem halbwegs unordentlichen Zu-
ſtand. In der Nacht vor meiner Durchreiſe war ein Jude in ſeinem eige-
nen Haus überfallen und einer beträchtlichen Summe beraubt worden;
er ſelbſt rettete ſich durch einen Sprung aus dem Fenſter. Ich habe
mich mehr und mehr überzeugt daß der Daco-Romane, d. h. Walache,
einer ſtrengen und gerechten Regierung und einer durchgreifenden Re-
form in der Erziehung bedarf, daß aber die Conſtitution vom 4 März
für dieſes Land gänzlich unpaſſend iſt. Der Daco-Romane verſteht un-
ter Freiheit nichts anderes als die Erlaubniß zum Plündern, und einen
politiſchen Mechanismus mit allgemeinem Stimmrecht könnte er ſo
wenig handhaben wie ein Neuſeeländer eine Locomotive. Einige ſtrenge
Exempel ſind daher nöthig, was die Ex-Präfecten und Centurionen
auch gegentheiliges ſagen mögen. Bei aller Achtung für den menſchen-
freundlichen und rechtlichen Charakter Baron Puchners, des öſterreichi-
ſchen Befehlshabers während der Revolution, glaub’ ich doch daß er
einen großen Fehler beging durch allzu großes Vertrauen auf den daco-
romaniſchen patriotiſchen Ausſchuß, der in einem prächtig tönenden Be-
richt nicht weniger als 196,000 daco-romaniſche Localmilizen verſprach,
befehligt von ihren eigenen Officieren mit den hochtönenden Namen
Präfecten und Centurionen. Dieſer ſogenannte Landſturm mordete
und plünderte, und vergaß, mit Ausnahme Janko’s und einiger andern
Führer, über dem Plündern ſo ganz auf das Fechten, daß Puchner, trotz
numeriſcher Ueberlegenheit, aus Siebenbürgen hinausgeſchlagen wurde.
12,000 daco-romaniſche Recruten unter öſterreichiſchen Officieren und
öſterreichiſcher Mannszucht würden Puchner gerettet, und zugleich die
Zerſtörung unermeßlichen Eigenthums verhütet haben. — In Mediaſch,
dem älteſten der im Jahre 1142 gegründeten ſieben Burgen, verbrachte
ich den Abend mit dem reichſten Landeseigenthümer des Bezirks, der
mir einen ſchmerzlich anziehenden Bericht von ſeinem Schickſal während
der Unruhen gab. Nicht ſobald hatte das Landvolk aus der Abſchaffung
des Grundzinſes und dem nachfolgenden Gange der Revolution wahrge-
nommen welche Macht es im Staate geworden, ſo gerieth der Graf in
Beſorgniß. Der daco-romaniſche Präfect oder Centurio des benachbar-
ten Dorfs verfügte ſich zu ihm und verſicherte ihm es ſey „alles in Ord-
nung,“ er habe nichts zu befürchten, er (der Centurio) bürge für ſein
und ſeiner Familie Sicherheit. Da aber zugleich der Centurio ſeinen Arm
ganz vertraulich auf die Stuhllehne der Gräfin legte, und ſich überhaupt
mit einer vor der Revolution unbekannten Frechheit betrug, ſo interpretirte
der Graf das „alles in Ordnung“ mit „alles in Unordnung“, und verabſchie-
dete ſich am nächſten Morgen von ſeinen Pächtern auf franzöſiſch. Er entrann
nur mit genauer Noth; noch am nämlichen Tag umzingelte ein bewaff-
neter Volkshaufe ſein Schloß, erſchoß den Gärtner, knüpfte den
Schloßverwalter an einem Baum auf, und ſogar jetzt noch, obgleich die
Ordnung großentheils wieder hergeſtellt iſt, ſitzt ein vormaliger Koch
des Grafen, obgleich er ſeinen Küchen-Robot längſt aufgegeben, auf
einem Haus und Grundſtück des letztern, und läßt ſich nicht ausweiſen,
ſondern droht demſelben das kaum reparirte Schloß über dem Kopf an-
zuzünden. Solche Auftritte waren nicht vorgefallen als Szechenyi ſeine
Aufhebung des Feudaliſmus durchführte; aber kaum begann Koſſuth
mit ſeiner Abſchaffung des Lehensweſens — mit andern Worten des
Grundzinſes — ſo bekannten ſich die Bauern zu dem Satz: „la pro-
priété c’est le vol,“ der auch jetzt noch in ihren Köpfen ſpukt. Die
Erzählung des Grafen erinnerte mich an den Küchenjungen in einer von
Neſtroy’s Poſſen, welcher ſagt: die bürgerliche Geſellſchaft ruhe ſo lange
auf einer falſchen Baſis, bis erſt die Bedienten an der Tafel ſitzen, und
die Herren die Teller ſpülen. Alle dieſe Präfecturen und Centurionen-
ſtellen, die der romaniſche Ausſchuß eingeführt, wurden von General
Wohlgemuth aufgehoben, und dem Landvolk in ſtrengen Proclamationen
bedeutet daß die Abſchaffung des Bodenzinſes von Ackerland nicht als
Beſitzentäußerung der Wälder und Forſten zu verſtehen ſey; trotzdem
fahren, in allen Bezirken wo kein Militär liegt, die Bauern fort ſich
nach Belieben in den Waldungen Holz zu hauen. Wie ſchon geſagt,
der Daco-Romane hat keinen Begriff von den Pflichten eines Bürgers,
und zu einem Parlamentswähler taugt er ganz und gar nicht. Was in
ſolchen Landen von gemiſchter Bevölkerung vor allem noch thut, iſt eine
ſtarke neutrale öſterreichiſche Verwaltung, welche weder den Daco-Ro-
manen zu magyariſiren, noch den Magyar zu germaniſtren ſucht, aber,
beide anerkennend, das Eigenthum ſchützt, und für den Bauer wie für
den Edelmann jene Gleichheit vor dem Geſetz ſchafft welche, wiewohl
durch die Bemühungen des Grafen Szechenyi ins Statutenbuch von Un-
garn eingeſchrieben, doch ein todter Buchſtabe geblieben iſt in ausſchließ-
lich aus Edelleuten gebildeten Geſpan-Bureaukratien, deren unedles
Naturell und unedle Leidenſchaften jene Verbindung von Käuflichkeit
und Tyrannei hervorgebracht, die am Ende zu einer ſo furchtbaren
Reaction führten. Die öſterreichiſche Revolution hat keine Aehnlichkeit
mit der erſten franzöſiſchen, denn die rechtzeitigen Reformen des Kaiſers
Joſeph verhüteten den ſchroffen Uebergang; aber die ungariſche Revo-
lution ähnelt derſelben allerdings in der unſinnigen Wortmacherei eini-
ger ihrer Standredner, in ihrer ſchreienden Verletzung des Eigenthums-
rechtes, und in dem „guerre au chàteau“ eines durch Jahrhunderte lange
Unterdrückung verthierten Bauernvolks. — Indem wir den Kokel auf-
wärts fuhren, traten die Gebirge näher an den Fluß, und der die ganze
Landſchaft bedeckende ungethaute Schnee deutete auf das kältere Klima
der höher liegenden Gegend Gerade von Schäßburg zieht ſich die
Straße durch eine hügelige Waldlandſchaft nach einem Paß in die Höhe,
und da ſteht noch die Linie der von Bem zur Deckung des Paſſes errichte-
ten Feldwerke, die aber unter jedem Regenfalle mehr und mehr ver-
ſchwinden. Schäßburg war der Angelpunkt der Kriegsoperationen in
Siebenbürgen, und wiederholt verloren und gewonnen. Hier nahm Bem
die Stellung welche Puchner zu ſeiner Vernichtung lockte, und auf der
andern Seite der Stadt faßte Lüders die Inſurrection vernichtend im
Rücken; denn die nachfolgenden Bewegungen Bems waren vielmehr
hoffnungsloſe Windungen als die Aeußerungen wirklicher Lebenskraft.
Schäßburg war zugleich das Montenotte und das Leipzig dieſes Duodez-
Napoleons im Siebenbürger kleinen Krieg; mit nicht geringem Inte-
reſſe ſah ich daher, als ich auf der Höhe des Paſſes ankam, dieſen Platz
vor mir liegen. Er hat die romantiſchſte Lage unter allen Orten die ich
noch in Siebenbürgen und Ungarn geſehen; es iſt eine auf dem Tafel-
land hoch über dem Fluß gelegene alte Stadt, ſtarrend von Baſtio-
nen und Thürmen, deren einer, aus dem 17ten Jahrhundert, mich an
die gefälligſten Umriſſe altflämiſcher Architektur erinnerte, und zugleich
mit ſeinem ſchwebenden Fallgitter den Eingang zur Stadt bildete. Zwar
die Natur lag unter der Sargdecke des Schnees, aber auch ſo, in der
Todesſtarrheit des Decembers, fühlte ich daß die enthuſtaſtiſchen Schil-
derungen von Schäßburgs landſchaftlicher Schönheit, die ich gehört,
nicht übertrieben waren.
** Preßburg, 28 Jan. Die Zerwürfniſſe in der Woiwodina,
das Vorgreifen der Serben in allen ſtaatsrechtlichen Beziehungen, die
offenbar ſeparatiſtiſchen Tendenzen die ſich bei ihnen und leider auch zum
Theil bei den croatiſchen wie bei den walachiſchen Volksſtämmen, alſo im
ganzen Süden des frühern Ungarns geltend zu machen ſuchen, ſind wohl
geeignet die ernſteſte Aufmerrſamkeit der Centralregierung auf ſich zu
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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