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Allgemeine Zeitung, Nr. 343, 11. Dezember 1890.

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Donnerstag,
Zweites Morgenblatt, Nr. 343 der Allgemeinen Zeitung.
11. December 1890.


[Spaltenumbruch]

Inhalts-Uebersicht.

Deutscher Reichstag. -- Die Schulreform-Conferenz in
Berlin. -- Handel und Volkswirthschaft.



Deutscher Reichstag.
Telegraphischer Privatbericht der Allg. Ztg.
38. Sitzung.

Die Sitzung wird um 1 Uhr
erössnet. Am Tische des Bundesraths: Reichskanzler v. Caprivi,
v. Boetticher, v. Maltzahn
, Viceadmiral Hollmann, v. Mar-
schall
u. A.

Eingegangen ist ein Antrag des Reichskanzlers, die Ermäch-
tigung zur Einleitung der strafrechtlichen Verfolgung gegen
den (socialdemolratischen) Abg. Joest zu ertheilen. Derselbe wird
der Geschäftsordnungscommission überwiesen. Da gestern
zu dem Gesetzentwurf wegen Vereinigung Helgolands mit dem
Reiche ein Zusatz angenommen worden ist, so mußte eine Zu-
sammenstellung der Beschlüsse gemacht werden. Auf Grund der-
selben wird heute die Vorlage im ganzen endgültig ange-
nommen
. Die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betr. die
Feststellung des Reichshaushaltsetats für 1891/92, und betr.
die Aufnahme einer Anleibe, wird fortgesetzt.

Abg. Graf Behr (Reichsp.) bestreitet, daß die Arbeiter der
Invalidenversicherung kühl gegenüberständen. Es sei allerdings
möglich, daß viele noch nicht informirt seien, aber wenn erst ein-
mal die erste Rente gezahlt sein werde, dann würden die Arbeiter
schon anderen Sinnes werden. Wenn die Beseitigung der land-
wirthschaftlichen Zölle verlangt werde, dann müsse man auch daran
denken, die industriellen Schutzzölle zu beseitigen, welche die Land-
wirthschaft besonders belasten. Uebrigens seien die Klagen über
die Belastung der Arbeiter durch die Getreidezölle durchaus nicht
so schlimm, wie es von den Socialdemokraten immer dargestellt
werde. Bezüglich des Etats ist die größte Sparsamkeit geboten;
der vorliegende Etat an sich ist allerdings nicht ungünstig, aber
es ist doch zweifelhaft, ob diese günstige Finanzlage dauernd
sein wird. Die Ausgaben steigen im ganzen um 46 Millionen
Mark. Das ist sehr viel und man muß untersuchen, ob nicht
Ersparnisse gemacht werden können. Die Unterofficier-Prämien
sind ja eine ganz angemessene Ausgabe; aber es scheint mir, als
wenn sie schon zu frühzeitig gegeben werden sollten; man sollte den
Zeitpunkt, wo sie gewährt werden, um einige Jahre hinausschieben,
dann würde der Betrag auch kein so hoher werden. Namentlich
auch unter den einmaligen Ausgaben für Landheer und Marine
könnten Ersparnisse gemacht werden durch Hinausschiebung dieses
oder jenes Baues. Die Einnahmen aus den Zöllen und Ver-
brauchssteuern sind sehr vorsichtig veranschlagt, das ist aber auch
nothwendig, denn die Hochfluth der Zolleinnahmen wird vielleicht
bald vorüber sein. Es wird so viel von einer Aenderung des
Curses in Bezug auf die Zollpolitik gesprochen. Ich möchte die
Regierung bitten, darüber eine klare und bündige Auskunft zu
geben. Eine Beseitigung des Zollschutzes würde die Landwirth-
schaft und die Industrie außer Stand setzen, die socialpolitischen
Aufgaben zu erfüllen, welche jetzt gestellt sind. Ich bitte also, die
nicht dringlichen Ausgaben zurückzustellen, dagegen das Nothwendige
zu bewilligen im Interesse des Friedens. (Beisall rechts.)

Abg. Dr. Windthorst wendet sich zunächst dagegen, daß
10,242,500 Mark aus den Zöllen und Verbrauchssteuern über die
130,000,000 Mark hinaus, welche dem Reiche zustehen, ent-
nommen werden sollen. Das sei ein Verstoß gegen die Francken-
stein'sche Clausel, welche ein Fundamentalsatz unsrer ganzen Ver-
hältnisse geworden sei. Wie sei überhaupt im Bundesrath eine
Mehrheit für die Durchbrechung dieser Clausel zu Stande ge-
kommen? Der Reichstag werde hoffentlich darauf nicht eingehen,
weil er dadurch sein Einnahmebewilligungsrecht selbst durchlöchern
würde, denn dieses Einnahmebewilligungsrecht beruhe einzig und
allein auf den Matricularbeiträgen. Die Regierung hätte an der
Franckenstein'schen Clausel nicht rütteln sollen, denn die Be-
wegung gegen die Zölle ist ohnehin schon groß genug und
der Zolltarif ist ein Ganzes, aus welchem man keinen einzelnen
Stein herausnehmen kann. Ohne die landwirthschaftlichen
Zölle wäre unsre Land- und Forstwirthschaft wesentlich
beeinträchtigt worden. Bei den Verhandlungen mit Oesterreich
wird gerade darauf Rücksicht genommen werden müssen, und die
Herren in Oesterreich brauchen nicht zu denken, daß sie unserer-
seits leicht Concessionen erreichen können, wenn sie nicht selbst
solche machen; wir können auch mit den bestehenden Zöllen weiter
arbeiten. Ich würde auf diese Dinge nicht eingegangen sein, wenn
Hr. Richter nicht davon gesprochen hätte. Redner wendet sich
dann gegen die Socialdemokraten und hebt hervor, daß unter
ihnen ein Zwiespalt zwischen Alten und Jungen entstanden sei. Die
Jungen seien die Gewaltsameren. Wenn die Alten gesagt hätten, von
Gewalt sei keine Rede, so sei damit ein großes Wort ausgesprochen.
Aber die Socialdemokraten können ihr Ziel nicht erreichen, solange
die gegenwärtige Gesellschaftsordnung besteht, und die Beseitigung
dieser Gesellschaftsordnung ist nur durch gewaltsamen Umsturz
möglich. Gegen die Invalidenversicherung habe ich mit allen
Krästen gearbeitet und würde noch heute dagegen sprechen, wenn
das Gesetz von neuem vorgelegt werden würde. Namentlich nach
der Art und Weise, wie Bebel Hrn. Richter geantwortet hat. Er
meinte, das Gesetz sei nicht gelungen, aber der eingeschlagene Weg
sei der richtige. Aber nachdem das Gesetz einmal eingeführt ist,
müssen wir es durchführen. Aber hüten wir uns, dem Abg. Bebel
auf diesem Gebiete zu folgen, sonst versallen wir unzweifelhaft der
ganzen Consequenz der Socialdemokratie. (Heiterkeit.) Im Etat
hat mich am meisten überrascht die hohe Summe der Anleihe,
welche wieder aufgenommen werden soll. Die letzte Anleihe war
ein Räthsel, welches nicht gelöst worden ist durch die Aeußerungen
des Hrn. Schatzsecretärs, daß die Finanzverwaltung sich in einer
Zwangslage befunden habe; welcher Art war denn diese Zwangslage?
Ich babe mir bei näherem Ueberlegen gesagt: man hat die drei-
procentigen Papiere geschaffen, um sie dem Ausland schmackhafter
zu machen. Die Herren im Auslande können sich beruhigen, sie
können ihr Geld gar nicht besser anlegen. Aus der schlechten Auf-
nahme aber, welche diese Anleihe in Deutschland selbst gefunden hat,
ergibt sich, daß bei uns das baare Geld knapp geworden ist. Wir
müssen also um so mehr die größte Sparsamkeit üben. Man wird
jede einzelne Ausgabe auf ihre Nothwendigkeit prüfen müssen. Im
auswärtigen Etat befindet sich die Ausgabe für Ostafrika, deren
Höhe mich überrascht hat. Eigentlich wäre es angebracht, für diese
Angelegenheit eine besondere Commission einzusetzen, welche nament-
lich auch zu untersuchen hätte, ob und wann denn die Sache dort
zu Ende gehen soll. Der Abg. Bamberger hat allerdings gesagt,
wir sollten dort jetzt Alles im Stiche lassen. Das kann ich nicht
verantworten, denn ich denke, daß nach den großen Opfern, die
wir dort gebracht haben (Zuruf links: "Und noch weiter bringen
müssen!") doch endlich einmal etwas mehr als bisher dort gemacht
werden kann. (Zuruf links: "Wo denn?") Der Abg. Bamberger
würce mit seinem "Rein" auch nicht so schnell bei der Hand sein,
[Spaltenumbruch] wenn er nicht wüßte, der Abg. Windthorst und seine Freunde
sagen: "Ja". (Zuruf links: "Versuchen Sie es doch einmal!")
Auf die Mehrausgaben, welche die Folgen der früheren Bewilli-
gungen sind, komme ich nicht zurück. Bei den anderen Ausgaben
muß eine Beschränkung auf das unmittelbar Nothwendigste eintreten,
auch wenn die Forderungen sonst recht wünschenswerth erscheinen,
wie bezüglich der Schiffsbauten, deren Tempo erheblich verlang-
samt werden kann. Ich bitte die Commission, den Etat gründlich
zu prüfen und dabei zu beachten: das Vaterland kann mehr Steuern
nicht vertragen. (Beifall im Centrum und links.)

Staatssecretär v. Maltzahn: Zur Vermeidung von Miß-
verständnissen bei den Herren, welche in dem §. 7 des vorliegenden
Etatsgesetzes eine grundsätzliche Aenderung unsres zeitlichen Ab-
rechnungssystems zwischen dem Reich und den Einzelstaaten zu er-
blicken scheinen, muß ich betonen, daß eine Durchbrechung des bis-
herigen Systems in dem vorliegenden Entwurf weder enthalten,
noch bei der Absassung irgendwie beabsichtigt worden ist. Es soll nur ein
hervorgetretenes Bedürfniß in zweckmäßiger Weise befriedigt wer-
den. Der Reichscasse sollen zu Beginn des nächsten Etatsjahres die
Mittel zur Verfügung gestellt werden, aus der sie am ersten Tage
des nächsten Finanzjahres eine Summe von 10 Millionen erhalten
kann, die im anderen Falle das ganze nächste Etatsjahr im Be-
triebsfonds fehlen würde. Wir haben nun geglaubt, daß dieses am
zweckmäßigsten dadurch geschieht, daß man einfach aus den Mehr-
einnahmen, welche im Jahre 1890/91 gegen den Etatsansatz den
Einzelstaaten zusließen werden, diese 10 Millionen vorweg nimmt.
Zur Befriedigung dieses einmaligen Bedürfnisses und in der Er-
kenntniß, daß die Verzinsung der Reichsschuld auch im Interesse
der einzelnen Bundesstaaten ist, hat der Bundesrath dem neuen Para-
graphen einhellig zugestimmt, obwohl die principielle verfassungsmä-
ßige Bedeutung der Sache auch dort eingehend erörtert ist. Hoffent-
lich wird auch der Reichstag dazu seine Zustimmung geben.
Wenn Sie uns aber einen anderen Weg, der materiell das-
selbe erreicht, vorschlagen können, werden vielleicht auch
die verbündeten Regierungen sich damit einverstanden erklären.
Nur scheint es nothwendig, daß Sie aus den Einnahmen von
1890/91 die Verzinsungssumme, die wir am ersten Tage des Finanz-
jahres 1891/92 brauchen, gewähren. Ueberweisen Sie uns aus
den Einnahmen von 1891/92 die Summe, so nützt das Ganze
nichts. Meiner gestrigen Aeußerung, daß wir uns bei der Be-
gebung der 3proc. Anleihe in einer Zwangslage befunden haben,
steht der Abg. Windthorst wie einem Räthsel gegenüber. Ich
will ihm das Räthsel auflösen. In früherer Zeit ist eine Reichs-
anleihe verhältnißmäßig leicht durch den Verkauf von Tag zu
Tag an der Börse begeben worden. Vor etwa einem halben
Jahre zeigte sich nun mit der Zunahme der Reichsanleihen und
weil zugleich andere bedeutende Anleihebeträge auf dem deutschen
Markt unterzubringen waren, dieses Verfahren als nicht mehr
ausreichend. Wir sahen uns deßhalb veranlaßt, im Februar d. J.
einen Betrag von 129 Millionen zum Curs von 102 Proc. an
ein größeres Consortium zu begeben. Die Frage, ob für die
Reichsanleihe ein anderer Typus als der 31/2proc. zu wählen sei,
ist schon früher zur Erörterung gekommen, namentlich schon im
Herbst des vorigen Jahres, als die 3proc. Papiere von Einzel-
staaten über 90 standen. Man hat damals von der Wahl
eines anderen Typus abgesehen aus den principiellen Be-
denken, die dem 3proc. Typus der Reichsanleihe hier im
Hause wie in der Presse entgegengesetzt worden sind.
Von Seiten der Bankhäuser, mit deren über eine größere Anleihe-
übernahme verhandelt werden mußte, war die Wahl eines andern
Verzinsungstypus nicht erst im Herbst, sondern schon seit längerer
Zeit erörtert worden. Danach blieben wir im Februar bei dem
alten Typus von 31/2 Procent. Sie wissen alle, daß die Markt-
verhältnisse schwierig waren und daß der Ausgabecurs in dem
Augenblick vielleicht gerade auch etwas hoch war, daß in Folge
dessen das Consortium, welches damals die 129 Millionen über-
nommen hatte, erklärte, mit der Weitergabe an das Privatpublicum
nicht so schnell, wie es gehofft hatte, fortschreiten zu können.
Dieses und die allgemeine Lage des Marktes war für die Reichs-
sinanzverwaltung der Anlaß, mit der weiteren Begebung von
Anleihen so lange zu zögern, als es nach der wirthschaftlichen
Lage des Reiches möglich war. Wann wir Anleihen begeben
müssen, hängt nicht von der Reichsfinanzverwaltung, sondern
davon ab, zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Schnelligkeit
die Neubauten und Beschaffungen vorgenommen werden. Mit
dem Herbst dieses Jahres -- das konnte man schon im Frühjahr
voraussehen -- mußte ein Augenblick eintreten, wo wir ge-
zwungen waren, einen bedeutenden Posten Reichsanleihe zu
begeben und naturgemäß hatten wir den Wunsch, ihn so hoch
zu bezissern, daß wir für eine Reihe von Monaten gedeckt wären.
Lange bevor dieser kritische Zeitpunkt herangekommen war, ist mit
der preußischen Finanzverwaltung diese Frage hin und her in
allen Einzelheiten discutirt und in vollem Einvernehmen mit ihr
erledigt worden, von dem Moment an, wo sich herausstellte, daß
zugleich mit der Reichsanleihe auch eine preußische Staatsanleihe
begeben werden müßte. Das Geschäft ist deßhalb für beide
Theile unter den gleichen Bedingungen gemacht worden. Ganz
selbstverständlich hat die Thatsache, daß der Chef einer einzelnen
Verwaltung auf Urlaub ist oder nicht, nicht den geringsten ver-
zögernden Einfluß auf die Sache gehabt. Die Reichsverwaltung
ist so gestellt, daß, wenn nicht ein nach jeder Richtung hin zur
vollen Vertretung befugter Stellvertreter an Ort und Stelle ist,
der betreffende Reichsbeamte auch während seines Urlaubs die ihm
obliegenden wichtigeren Dienstgeschäfte ohne Verzögerung selbst
erledigt. Die Frage, ob und in welchem Moment ein größerer
Posten der Reichsanleihe begeben werden sollte, ist auch von mir
fortwährend im Auge behalten worden. Die Verhandlungen be-
gannen am 5. September und sind am 29. September zum Ab-
schluß gekommen, wo mir mitgetheilt worden ist, daß ein Con-
sortium sich mit einem dreiprocentigen Typus zum Curse von
86.40 einverstanden erklärt hat. Wir mußten einen dreiprocentigen
Typus wählen, weil das übernehmende Consortium sich völlig
außer Stande erklärte, irgend einen anderen Typus anzunehmen.
Dieser kategorischen Erklärung gegenüber, die erst gesprächs-
weise angedeutet und dann auf unser Drängen in bündiger Form
gegeben worden ist, befand sich das Reich in einer Zwangslage.
Wir standen vor der Wahl, ob man zu einem Curs, der an und
für sich genügend war, 3proc. Papiere ausgeben sollte, oder ob
man die ganze Frage der Beschaffung der Anleihe auf Monate
vertagen und sich solange mit den für diesen Fall vorgesehenen
Schatzanweisungen behelfen sollte, bis ein günstigerer Moment
auf dem Markte eingetreten sei. Die Reichsverwaltung wie die
preußische entschied sich dieser Lage gegenüber, einen Posten, der
sich für das Reich auf 170 Millionen beziffert, mit 3 Proc.
zu 86.40 zu begeben. Der Curs an und für sich ist keineswegs
ein schlechter und entspricht einem Curs der 31/2proc. über Pari,
während damals diese Papiere zwischen 97 und 98 ausgegeben
wurden; Der Vorwurf, daß wir den allerungünstigsten Moment
für die Begebung der Anleihe gewählt hätten, ist ungerechtfertigt,
denn wir konnten die Anleihe nicht länger hinausschieben und
[Spaltenumbruch] außerdem bestanden auch Monate vorher hindurch dieselben Zu-
stände. Daß das Consortium zum Theil selber den Moment
für einen günstigen hielt -- und es besteht doch aus Herren, die
man in hohem Grade zu den Sachverständigen rechnen kann --,
dafür spricht die Thatsache, daß einige der Herren, die uns das
definitive Gebot, auf Grund dessen der Abschluß erfolgt ist, mach-
ten, zwei Tage vorher 222 Millionen convertirte 4proc. Rumänier
zu 86.50 übernommen und auf den deutschen Markt gebracht
haben.

Abg. v. Frege (deutschcons.): Auch wir halten es für
keinen besonders glücklichen Gedanken der verbündeten Regierungen,
einen so wichtigen Grundsatz, wie ihn die Franckenstein'sche Clausel
darstellt, wenn auch nur durch eine einmalige Maßregel abzu-
ändern. Wir wünschen, daß man es bei der alten unveränderten
Franckenstein'schen Clausel belassen möge und daß die 10 Millionen,
die zur Deckung des April-Coupons erforderlich sind, auf andere
Weise aufgebracht werden. Was die Anleihen betrifft, so beklagen
es meine politischen Freunde einstimmig, daß man überhaupt die
Conversionen angefangen hat. Es hat das Vertrauen zur Reichs-
finanzverwaltung erschüttert, so daß die Begebung der letzten Anleihe
auf Schwierigkeiten gestoßen ist. (Zustimmung rechts.) Wir be-
klagen es, daß überhaupt der mächtigste Factor im Deutschen
Reich, das Reich selbst, in Bezug auf seine Finanzgebahrung
sich ohne Consortien gar keine finanzielle Maßregel denken kann.
Es müßte doch möglich sein, das Geld in einer Weise zu be-
schassen, wie es das in dieser Frage ganz gewiß sehr vorsichtige Frank-
reich im Laufe der Geschichte wiederholt gemacht hat, nähmlich durch
directe Auflage, so daß jeder kleinste bescheidenste Staatsbürger in der
Lage wäre, für eine Anleihe zu zeichnen. Die große Mehrheit des Hauses
ist darin einig, daß es vermieden werden muß, daß das Reich sich
nicht bloß unter die Abhängigkeit eines Consortiums, sondern auch
unter die der übrigen deutschen Staaten stellt. Ferner würden wir es mit
Freuden begrüßen, wenn dem Silber wieder der richtige Werth
zurückgegeben würde. (Zustimmung rechts. Heiterkeit links.) Der
Abg. Bamberger wird mir wahrscheinlich den amerikanischen
Silberring entgegenbalten. Niemandem von uns fällt es ein, die
Manipulationen dieses Silberringes irgendwie entschuldigen zu
wollen. Aber diese Maßregel ist nur in einem republicanischen
Staate möglich. In einem monarchischen Staate würde eine solche
Maßregel, wie sie die amerikanischen Congresse durch ihre wechseln-
den Beschlüsse zu Wege bringen können, unmöglich sein. Deutsch-
land würde solchen Ausschreitungen einzelner Interessenten einen
Damm entgegensetzen und das Silber würde seinen effectiven
Werth behalten. Gott sei Dank, daß wir in Deutschland noch
keine Geldnoth besitzen, wir würden aber noch viel unabhängiger
sein, wenn das Silber seinen Werth besäße. Wenn etwa in
Rußland eines Tages die Goldwährung eingeführt würde,
so würde in Deutschland und in allen europäischen Cultur-
staaten eine Krisis entstehen, vor der uns Gott bewahren
wolle. Was den vorliegenden Etat betrifft, so begrüße ich die
Aeußerung des Reichskanzlers, daß in diesem Jahre keine Nach-
forderungen für das Heer zu erwarten wären, mit Freuden. Das
wird im Lande sehr beruhigend wirken, und ich danke Hrn. Richter,
daß er diese Erklärung schon gestern provocirt hat. Die 61/4
Millionen für das Alters- und Invaliditätsgesetz halten wir für
nothwendig; ich zweifle nicht, daß die Beamten sich der Durch-
führung dieses Gesetzes, so mühselig dieselbe auch sein mag, mit
der altbewährten Hingebung widmen werden. Was den Marine-
etat betrifft, so sind auch wir überrascht, daß schon in einem Jahre
so wesentliche Mehrkosten für neue Panzerschiffe verlangt werden.
Die Erfindungen der Nachbarstaaten dürfen allerdings nicht unbe-
achtet bleiben. Die Budgetcommission wird aber zu prüfen haben,
ob wir so schnell diese Erfindungen uns aneignen müssen. Der
Ausgabe für Unterofficiersprämien werden wir zustimmen. Der
Unterofficiersstand ist einer der wichtigsten, aus ihm recrutirt sich unser
gebildeter Mittelstand. Und ich wundere mich sehr, daß Hr. Richter,
der doch sonst immer von einer Beeinträchtigung der Civilbeamten durch
die Civilversorgungsberechtigten spricht, jetzt gegen die Prämien
ist. Wenn wir jetzt schon die Verwaltung in die Lage setzen, sorg-
fältig in der Auswahl der Unterofficiere vorgehen zu können, so
ersparen wir vielleicht sehr viele künftige Ausgaben. Ich meine
aber, daß sich auch ältere Unterofficiere sehr gut zu Beamten
qualificiren. Absolute Pünkilichkeit, Wahrheitsliebe und Tüchtig-
keit ist immer eine Zierde unsrer Beamten gewesen und ich glaube,
daß auch der ältere Unterofficier diese guten Eigenschaften im
Beamtenverhältniß bewahren wird. Auf das Gebiet der Colonial-
politik solge ich dem Abg. Richter nicht. Ich denke, er müßte
damit einverstanden sein, daß die deutsche Flagge auch erhalten
werde, wo sie einmal aufgehißt ist. Wir würden den Einfluß
unsrer Landsleute im Auslande schwächen und ihre Opferwilligkeit
und ihren Opfermuth nicht minder, wenn wir sie im Stiche ließen.
Mit einem Male kann eine Rentabilität in Ostafrika nicht erreicht
werden und es wäre sehr deplacirt, auf diesem Gebiete zu knausern,
weil der Erfolg nicht gleich mit Händen zu greifen ist.
Die militärischen Mehrforderungen und Neuforderungen werden
genauer Prüfung bedürfen, die aber deßhalb sehr schwierig ist,
weil sie doch nur von Sachverständigen erfolgen kann, was wir
der großen Mehrzahl nach zu sein nicht behaupten können. Was
zur Förderung der Cadettenausbildung gefordert wird, werden wir
gern bewilligen, ebenso die Errichtung von Unterofficiervorschulen,
ohne in letzterer Richtung den Vorwurf einer Begünstigung des
Kastengeistes zu befürchten. Die Neuformation der Fußartillerie
werden wir gleichfalls bewilligen, da die Autoritäten einig sind,
daß auf diesem Gebiete noch Manches nachzuholen ist. An
Casernen, Magazinen und ähnlichen Bauten werden wir alles geneh-
migen, was die Regierung an den Ost- und Westgrenzen des Reiches
für erforderlich hält; für Neubauten im Innern des Reichs nehmen
wir das Recht sorgfältigster Prüfung in Anspruch, obwohl wir nicht
verkennen dürfen, daß erfahrungsmäßig bei solchen Forderungen der
Militärbehörde sehr viel seltener Abstriche möglich sind, als bei
Forderungen anderer Ressorts, z. B. der Postverwaltung. Ueber
die Einwirkung der Zuckersteuer auf die Gestaltung unseres Etats
enthalte ich mich einer Vermuthung; warten wir das bevorstehende
Gesetz ab. Aber die fortdauernde Beunruhigung der Zucker-
industrie kann ihr und der Landwirthschaft nicht zum Heil ge-
reichen. Sind Steuermehreinnahmen nöthig, so gebe ich die Ein-
führung des Zündholzmonopols zu erwägen, welches leicht 20 und
selbst 30 Millionen dem Reiche bringen könnte. (Hört! links!)
Das Ordinarium des Postetats enthält recht beträchtliche Mehr-
forderungen. Diese beruhen aber wesentlich in der Umwandlung
zahlreicher außeretatsmäßiger Stellen in etatsmäßige, welche
seinerzeit vom Hause selber gefordert wurde. Sodann möchte ich dem
Hrn. Reichskanzler anheimgeben, ob nicht Maßregeln zu ergreifen
wären, welche zur Wiederherstellung des Silberwerthes führen.
(Aha! links.) Was Hr. Richter gestern in volkswirthschaft-
licher Beziehung vorbrachte, hat auf mich den Eindruck
eines Tertianerstandpunktes gemacht. (Lachen links.) Er
hat ganz vergessen, was jeder Gymnasiast wissen muß,
daß Rom dadurch und darum zu Grunde gegangen ist, weil es
seinen Bauernstand vernachlässigt hat. Hier wird die Sache so

Donnerſtag,
Zweites Morgenblatt, Nr. 343 der Allgemeinen Zeitung.
11. December 1890.


[Spaltenumbruch]

Inhalts-Ueberſicht.

Deutſcher Reichstag. — Die Schulreform-Conferenz in
Berlin. — Handel und Volkswirthſchaft.



Deutſcher Reichstag.
Telegraphiſcher Privatbericht der Allg. Ztg.
38. Sitzung.

Die Sitzung wird um 1 Uhr
eröſſnet. Am Tiſche des Bundesraths: Reichskanzler v. Caprivi,
v. Boetticher, v. Maltzahn
, Viceadmiral Hollmann, v. Mar-
ſchall
u. A.

Eingegangen iſt ein Antrag des Reichskanzlers, die Ermäch-
tigung zur Einleitung der ſtrafrechtlichen Verfolgung gegen
den (ſocialdemolratiſchen) Abg. Joeſt zu ertheilen. Derſelbe wird
der Geſchäftsordnungscommiſſion überwieſen. Da geſtern
zu dem Geſetzentwurf wegen Vereinigung Helgolands mit dem
Reiche ein Zuſatz angenommen worden iſt, ſo mußte eine Zu-
ſammenſtellung der Beſchlüſſe gemacht werden. Auf Grund der-
ſelben wird heute die Vorlage im ganzen endgültig ange-
nommen
. Die erſte Berathung des Geſetzentwurfs, betr. die
Feſtſtellung des Reichshaushaltsetats für 1891/92, und betr.
die Aufnahme einer Anleibe, wird fortgeſetzt.

Abg. Graf Behr (Reichsp.) beſtreitet, daß die Arbeiter der
Invalidenverſicherung kühl gegenüberſtänden. Es ſei allerdings
möglich, daß viele noch nicht informirt ſeien, aber wenn erſt ein-
mal die erſte Rente gezahlt ſein werde, dann würden die Arbeiter
ſchon anderen Sinnes werden. Wenn die Beſeitigung der land-
wirthſchaftlichen Zölle verlangt werde, dann müſſe man auch daran
denken, die induſtriellen Schutzzölle zu beſeitigen, welche die Land-
wirthſchaft beſonders belaſten. Uebrigens ſeien die Klagen über
die Belaſtung der Arbeiter durch die Getreidezölle durchaus nicht
ſo ſchlimm, wie es von den Socialdemokraten immer dargeſtellt
werde. Bezüglich des Etats iſt die größte Sparſamkeit geboten;
der vorliegende Etat an ſich iſt allerdings nicht ungünſtig, aber
es iſt doch zweifelhaft, ob dieſe günſtige Finanzlage dauernd
ſein wird. Die Ausgaben ſteigen im ganzen um 46 Millionen
Mark. Das iſt ſehr viel und man muß unterſuchen, ob nicht
Erſparniſſe gemacht werden können. Die Unterofficier-Prämien
ſind ja eine ganz angemeſſene Ausgabe; aber es ſcheint mir, als
wenn ſie ſchon zu frühzeitig gegeben werden ſollten; man ſollte den
Zeitpunkt, wo ſie gewährt werden, um einige Jahre hinausſchieben,
dann würde der Betrag auch kein ſo hoher werden. Namentlich
auch unter den einmaligen Ausgaben für Landheer und Marine
könnten Erſparniſſe gemacht werden durch Hinausſchiebung dieſes
oder jenes Baues. Die Einnahmen aus den Zöllen und Ver-
brauchsſteuern ſind ſehr vorſichtig veranſchlagt, das iſt aber auch
nothwendig, denn die Hochfluth der Zolleinnahmen wird vielleicht
bald vorüber ſein. Es wird ſo viel von einer Aenderung des
Curſes in Bezug auf die Zollpolitik geſprochen. Ich möchte die
Regierung bitten, darüber eine klare und bündige Auskunft zu
geben. Eine Beſeitigung des Zollſchutzes würde die Landwirth-
ſchaft und die Induſtrie außer Stand ſetzen, die ſocialpolitiſchen
Aufgaben zu erfüllen, welche jetzt geſtellt ſind. Ich bitte alſo, die
nicht dringlichen Ausgaben zurückzuſtellen, dagegen das Nothwendige
zu bewilligen im Intereſſe des Friedens. (Beiſall rechts.)

Abg. Dr. Windthorſt wendet ſich zunächſt dagegen, daß
10,242,500 Mark aus den Zöllen und Verbrauchsſteuern über die
130,000,000 Mark hinaus, welche dem Reiche zuſtehen, ent-
nommen werden ſollen. Das ſei ein Verſtoß gegen die Francken-
ſtein’ſche Clauſel, welche ein Fundamentalſatz unſrer ganzen Ver-
hältniſſe geworden ſei. Wie ſei überhaupt im Bundesrath eine
Mehrheit für die Durchbrechung dieſer Clauſel zu Stande ge-
kommen? Der Reichstag werde hoffentlich darauf nicht eingehen,
weil er dadurch ſein Einnahmebewilligungsrecht ſelbſt durchlöchern
würde, denn dieſes Einnahmebewilligungsrecht beruhe einzig und
allein auf den Matricularbeiträgen. Die Regierung hätte an der
Franckenſtein’ſchen Clauſel nicht rütteln ſollen, denn die Be-
wegung gegen die Zölle iſt ohnehin ſchon groß genug und
der Zolltarif iſt ein Ganzes, aus welchem man keinen einzelnen
Stein herausnehmen kann. Ohne die landwirthſchaftlichen
Zölle wäre unſre Land- und Forſtwirthſchaft weſentlich
beeinträchtigt worden. Bei den Verhandlungen mit Oeſterreich
wird gerade darauf Rückſicht genommen werden müſſen, und die
Herren in Oeſterreich brauchen nicht zu denken, daß ſie unſerer-
ſeits leicht Conceſſionen erreichen können, wenn ſie nicht ſelbſt
ſolche machen; wir können auch mit den beſtehenden Zöllen weiter
arbeiten. Ich würde auf dieſe Dinge nicht eingegangen ſein, wenn
Hr. Richter nicht davon geſprochen hätte. Redner wendet ſich
dann gegen die Socialdemokraten und hebt hervor, daß unter
ihnen ein Zwieſpalt zwiſchen Alten und Jungen entſtanden ſei. Die
Jungen ſeien die Gewaltſameren. Wenn die Alten geſagt hätten, von
Gewalt ſei keine Rede, ſo ſei damit ein großes Wort ausgeſprochen.
Aber die Socialdemokraten können ihr Ziel nicht erreichen, ſolange
die gegenwärtige Geſellſchaftsordnung beſteht, und die Beſeitigung
dieſer Geſellſchaftsordnung iſt nur durch gewaltſamen Umſturz
möglich. Gegen die Invalidenverſicherung habe ich mit allen
Kräſten gearbeitet und würde noch heute dagegen ſprechen, wenn
das Geſetz von neuem vorgelegt werden würde. Namentlich nach
der Art und Weiſe, wie Bebel Hrn. Richter geantwortet hat. Er
meinte, das Geſetz ſei nicht gelungen, aber der eingeſchlagene Weg
ſei der richtige. Aber nachdem das Geſetz einmal eingeführt iſt,
müſſen wir es durchführen. Aber hüten wir uns, dem Abg. Bebel
auf dieſem Gebiete zu folgen, ſonſt verſallen wir unzweifelhaft der
ganzen Conſequenz der Socialdemokratie. (Heiterkeit.) Im Etat
hat mich am meiſten überraſcht die hohe Summe der Anleihe,
welche wieder aufgenommen werden ſoll. Die letzte Anleihe war
ein Räthſel, welches nicht gelöst worden iſt durch die Aeußerungen
des Hrn. Schatzſecretärs, daß die Finanzverwaltung ſich in einer
Zwangslage befunden habe; welcher Art war denn dieſe Zwangslage?
Ich babe mir bei näherem Ueberlegen geſagt: man hat die drei-
procentigen Papiere geſchaffen, um ſie dem Ausland ſchmackhafter
zu machen. Die Herren im Auslande können ſich beruhigen, ſie
können ihr Geld gar nicht beſſer anlegen. Aus der ſchlechten Auf-
nahme aber, welche dieſe Anleihe in Deutſchland ſelbſt gefunden hat,
ergibt ſich, daß bei uns das baare Geld knapp geworden iſt. Wir
müſſen alſo um ſo mehr die größte Sparſamkeit üben. Man wird
jede einzelne Ausgabe auf ihre Nothwendigkeit prüfen müſſen. Im
auswärtigen Etat befindet ſich die Ausgabe für Oſtafrika, deren
Höhe mich überraſcht hat. Eigentlich wäre es angebracht, für dieſe
Angelegenheit eine beſondere Commiſſion einzuſetzen, welche nament-
lich auch zu unterſuchen hätte, ob und wann denn die Sache dort
zu Ende gehen ſoll. Der Abg. Bamberger hat allerdings geſagt,
wir ſollten dort jetzt Alles im Stiche laſſen. Das kann ich nicht
verantworten, denn ich denke, daß nach den großen Opfern, die
wir dort gebracht haben (Zuruf links: „Und noch weiter bringen
müſſen!“) doch endlich einmal etwas mehr als bisher dort gemacht
werden kann. (Zuruf links: „Wo denn?“) Der Abg. Bamberger
würce mit ſeinem „Rein“ auch nicht ſo ſchnell bei der Hand ſein,
[Spaltenumbruch] wenn er nicht wüßte, der Abg. Windthorſt und ſeine Freunde
ſagen: „Ja“. (Zuruf links: „Verſuchen Sie es doch einmal!“)
Auf die Mehrausgaben, welche die Folgen der früheren Bewilli-
gungen ſind, komme ich nicht zurück. Bei den anderen Ausgaben
muß eine Beſchränkung auf das unmittelbar Nothwendigſte eintreten,
auch wenn die Forderungen ſonſt recht wünſchenswerth erſcheinen,
wie bezüglich der Schiffsbauten, deren Tempo erheblich verlang-
ſamt werden kann. Ich bitte die Commiſſion, den Etat gründlich
zu prüfen und dabei zu beachten: das Vaterland kann mehr Steuern
nicht vertragen. (Beifall im Centrum und links.)

Staatsſecretär v. Maltzahn: Zur Vermeidung von Miß-
verſtändniſſen bei den Herren, welche in dem §. 7 des vorliegenden
Etatsgeſetzes eine grundſätzliche Aenderung unſres zeitlichen Ab-
rechnungsſyſtems zwiſchen dem Reich und den Einzelſtaaten zu er-
blicken ſcheinen, muß ich betonen, daß eine Durchbrechung des bis-
herigen Syſtems in dem vorliegenden Entwurf weder enthalten,
noch bei der Abſaſſung irgendwie beabſichtigt worden iſt. Es ſoll nur ein
hervorgetretenes Bedürfniß in zweckmäßiger Weiſe befriedigt wer-
den. Der Reichscaſſe ſollen zu Beginn des nächſten Etatsjahres die
Mittel zur Verfügung geſtellt werden, aus der ſie am erſten Tage
des nächſten Finanzjahres eine Summe von 10 Millionen erhalten
kann, die im anderen Falle das ganze nächſte Etatsjahr im Be-
triebsfonds fehlen würde. Wir haben nun geglaubt, daß dieſes am
zweckmäßigſten dadurch geſchieht, daß man einfach aus den Mehr-
einnahmen, welche im Jahre 1890/91 gegen den Etatsanſatz den
Einzelſtaaten zuſließen werden, dieſe 10 Millionen vorweg nimmt.
Zur Befriedigung dieſes einmaligen Bedürfniſſes und in der Er-
kenntniß, daß die Verzinſung der Reichsſchuld auch im Intereſſe
der einzelnen Bundesſtaaten iſt, hat der Bundesrath dem neuen Para-
graphen einhellig zugeſtimmt, obwohl die principielle verfaſſungsmä-
ßige Bedeutung der Sache auch dort eingehend erörtert iſt. Hoffent-
lich wird auch der Reichstag dazu ſeine Zuſtimmung geben.
Wenn Sie uns aber einen anderen Weg, der materiell das-
ſelbe erreicht, vorſchlagen können, werden vielleicht auch
die verbündeten Regierungen ſich damit einverſtanden erklären.
Nur ſcheint es nothwendig, daß Sie aus den Einnahmen von
1890/91 die Verzinſungsſumme, die wir am erſten Tage des Finanz-
jahres 1891/92 brauchen, gewähren. Ueberweiſen Sie uns aus
den Einnahmen von 1891/92 die Summe, ſo nützt das Ganze
nichts. Meiner geſtrigen Aeußerung, daß wir uns bei der Be-
gebung der 3proc. Anleihe in einer Zwangslage befunden haben,
ſteht der Abg. Windthorſt wie einem Räthſel gegenüber. Ich
will ihm das Räthſel auflöſen. In früherer Zeit iſt eine Reichs-
anleihe verhältnißmäßig leicht durch den Verkauf von Tag zu
Tag an der Börſe begeben worden. Vor etwa einem halben
Jahre zeigte ſich nun mit der Zunahme der Reichsanleihen und
weil zugleich andere bedeutende Anleihebeträge auf dem deutſchen
Markt unterzubringen waren, dieſes Verfahren als nicht mehr
ausreichend. Wir ſahen uns deßhalb veranlaßt, im Februar d. J.
einen Betrag von 129 Millionen zum Curs von 102 Proc. an
ein größeres Conſortium zu begeben. Die Frage, ob für die
Reichsanleihe ein anderer Typus als der 3½proc. zu wählen ſei,
iſt ſchon früher zur Erörterung gekommen, namentlich ſchon im
Herbſt des vorigen Jahres, als die 3proc. Papiere von Einzel-
ſtaaten über 90 ſtanden. Man hat damals von der Wahl
eines anderen Typus abgeſehen aus den principiellen Be-
denken, die dem 3proc. Typus der Reichsanleihe hier im
Hauſe wie in der Preſſe entgegengeſetzt worden ſind.
Von Seiten der Bankhäuſer, mit deren über eine größere Anleihe-
übernahme verhandelt werden mußte, war die Wahl eines andern
Verzinſungstypus nicht erſt im Herbſt, ſondern ſchon ſeit längerer
Zeit erörtert worden. Danach blieben wir im Februar bei dem
alten Typus von 3½ Procent. Sie wiſſen alle, daß die Markt-
verhältniſſe ſchwierig waren und daß der Ausgabecurs in dem
Augenblick vielleicht gerade auch etwas hoch war, daß in Folge
deſſen das Conſortium, welches damals die 129 Millionen über-
nommen hatte, erklärte, mit der Weitergabe an das Privatpublicum
nicht ſo ſchnell, wie es gehofft hatte, fortſchreiten zu können.
Dieſes und die allgemeine Lage des Marktes war für die Reichs-
ſinanzverwaltung der Anlaß, mit der weiteren Begebung von
Anleihen ſo lange zu zögern, als es nach der wirthſchaftlichen
Lage des Reiches möglich war. Wann wir Anleihen begeben
müſſen, hängt nicht von der Reichsfinanzverwaltung, ſondern
davon ab, zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Schnelligkeit
die Neubauten und Beſchaffungen vorgenommen werden. Mit
dem Herbſt dieſes Jahres — das konnte man ſchon im Frühjahr
vorausſehen — mußte ein Augenblick eintreten, wo wir ge-
zwungen waren, einen bedeutenden Poſten Reichsanleihe zu
begeben und naturgemäß hatten wir den Wunſch, ihn ſo hoch
zu beziſſern, daß wir für eine Reihe von Monaten gedeckt wären.
Lange bevor dieſer kritiſche Zeitpunkt herangekommen war, iſt mit
der preußiſchen Finanzverwaltung dieſe Frage hin und her in
allen Einzelheiten discutirt und in vollem Einvernehmen mit ihr
erledigt worden, von dem Moment an, wo ſich herausſtellte, daß
zugleich mit der Reichsanleihe auch eine preußiſche Staatsanleihe
begeben werden müßte. Das Geſchäft iſt deßhalb für beide
Theile unter den gleichen Bedingungen gemacht worden. Ganz
ſelbſtverſtändlich hat die Thatſache, daß der Chef einer einzelnen
Verwaltung auf Urlaub iſt oder nicht, nicht den geringſten ver-
zögernden Einfluß auf die Sache gehabt. Die Reichsverwaltung
iſt ſo geſtellt, daß, wenn nicht ein nach jeder Richtung hin zur
vollen Vertretung befugter Stellvertreter an Ort und Stelle iſt,
der betreffende Reichsbeamte auch während ſeines Urlaubs die ihm
obliegenden wichtigeren Dienſtgeſchäfte ohne Verzögerung ſelbſt
erledigt. Die Frage, ob und in welchem Moment ein größerer
Poſten der Reichsanleihe begeben werden ſollte, iſt auch von mir
fortwährend im Auge behalten worden. Die Verhandlungen be-
gannen am 5. September und ſind am 29. September zum Ab-
ſchluß gekommen, wo mir mitgetheilt worden iſt, daß ein Con-
ſortium ſich mit einem dreiprocentigen Typus zum Curſe von
86.40 einverſtanden erklärt hat. Wir mußten einen dreiprocentigen
Typus wählen, weil das übernehmende Conſortium ſich völlig
außer Stande erklärte, irgend einen anderen Typus anzunehmen.
Dieſer kategoriſchen Erklärung gegenüber, die erſt geſprächs-
weiſe angedeutet und dann auf unſer Drängen in bündiger Form
gegeben worden iſt, befand ſich das Reich in einer Zwangslage.
Wir ſtanden vor der Wahl, ob man zu einem Curs, der an und
für ſich genügend war, 3proc. Papiere ausgeben ſollte, oder ob
man die ganze Frage der Beſchaffung der Anleihe auf Monate
vertagen und ſich ſolange mit den für dieſen Fall vorgeſehenen
Schatzanweiſungen behelfen ſollte, bis ein günſtigerer Moment
auf dem Markte eingetreten ſei. Die Reichsverwaltung wie die
preußiſche entſchied ſich dieſer Lage gegenüber, einen Poſten, der
ſich für das Reich auf 170 Millionen beziffert, mit 3 Proc.
zu 86.40 zu begeben. Der Curs an und für ſich iſt keineswegs
ein ſchlechter und entſpricht einem Curs der 3½proc. über Pari,
während damals dieſe Papiere zwiſchen 97 und 98 ausgegeben
wurden; Der Vorwurf, daß wir den allerungünſtigſten Moment
für die Begebung der Anleihe gewählt hätten, iſt ungerechtfertigt,
denn wir konnten die Anleihe nicht länger hinausſchieben und
[Spaltenumbruch] außerdem beſtanden auch Monate vorher hindurch dieſelben Zu-
ſtände. Daß das Conſortium zum Theil ſelber den Moment
für einen günſtigen hielt — und es beſteht doch aus Herren, die
man in hohem Grade zu den Sachverſtändigen rechnen kann —,
dafür ſpricht die Thatſache, daß einige der Herren, die uns das
definitive Gebot, auf Grund deſſen der Abſchluß erfolgt iſt, mach-
ten, zwei Tage vorher 222 Millionen convertirte 4proc. Rumänier
zu 86.50 übernommen und auf den deutſchen Markt gebracht
haben.

Abg. v. Frege (deutſchconſ.): Auch wir halten es für
keinen beſonders glücklichen Gedanken der verbündeten Regierungen,
einen ſo wichtigen Grundſatz, wie ihn die Franckenſtein’ſche Clauſel
darſtellt, wenn auch nur durch eine einmalige Maßregel abzu-
ändern. Wir wünſchen, daß man es bei der alten unveränderten
Franckenſtein’ſchen Clauſel belaſſen möge und daß die 10 Millionen,
die zur Deckung des April-Coupons erforderlich ſind, auf andere
Weiſe aufgebracht werden. Was die Anleihen betrifft, ſo beklagen
es meine politiſchen Freunde einſtimmig, daß man überhaupt die
Converſionen angefangen hat. Es hat das Vertrauen zur Reichs-
finanzverwaltung erſchüttert, ſo daß die Begebung der letzten Anleihe
auf Schwierigkeiten geſtoßen iſt. (Zuſtimmung rechts.) Wir be-
klagen es, daß überhaupt der mächtigſte Factor im Deutſchen
Reich, das Reich ſelbſt, in Bezug auf ſeine Finanzgebahrung
ſich ohne Conſortien gar keine finanzielle Maßregel denken kann.
Es müßte doch möglich ſein, das Geld in einer Weiſe zu be-
ſchaſſen, wie es das in dieſer Frage ganz gewiß ſehr vorſichtige Frank-
reich im Laufe der Geſchichte wiederholt gemacht hat, nähmlich durch
directe Auflage, ſo daß jeder kleinſte beſcheidenſte Staatsbürger in der
Lage wäre, für eine Anleihe zu zeichnen. Die große Mehrheit des Hauſes
iſt darin einig, daß es vermieden werden muß, daß das Reich ſich
nicht bloß unter die Abhängigkeit eines Conſortiums, ſondern auch
unter die der übrigen deutſchen Staaten ſtellt. Ferner würden wir es mit
Freuden begrüßen, wenn dem Silber wieder der richtige Werth
zurückgegeben würde. (Zuſtimmung rechts. Heiterkeit links.) Der
Abg. Bamberger wird mir wahrſcheinlich den amerikaniſchen
Silberring entgegenbalten. Niemandem von uns fällt es ein, die
Manipulationen dieſes Silberringes irgendwie entſchuldigen zu
wollen. Aber dieſe Maßregel iſt nur in einem republicaniſchen
Staate möglich. In einem monarchiſchen Staate würde eine ſolche
Maßregel, wie ſie die amerikaniſchen Congreſſe durch ihre wechſeln-
den Beſchlüſſe zu Wege bringen können, unmöglich ſein. Deutſch-
land würde ſolchen Ausſchreitungen einzelner Intereſſenten einen
Damm entgegenſetzen und das Silber würde ſeinen effectiven
Werth behalten. Gott ſei Dank, daß wir in Deutſchland noch
keine Geldnoth beſitzen, wir würden aber noch viel unabhängiger
ſein, wenn das Silber ſeinen Werth beſäße. Wenn etwa in
Rußland eines Tages die Goldwährung eingeführt würde,
ſo würde in Deutſchland und in allen europäiſchen Cultur-
ſtaaten eine Kriſis entſtehen, vor der uns Gott bewahren
wolle. Was den vorliegenden Etat betrifft, ſo begrüße ich die
Aeußerung des Reichskanzlers, daß in dieſem Jahre keine Nach-
forderungen für das Heer zu erwarten wären, mit Freuden. Das
wird im Lande ſehr beruhigend wirken, und ich danke Hrn. Richter,
daß er dieſe Erklärung ſchon geſtern provocirt hat. Die 6¼
Millionen für das Alters- und Invaliditätsgeſetz halten wir für
nothwendig; ich zweifle nicht, daß die Beamten ſich der Durch-
führung dieſes Geſetzes, ſo mühſelig dieſelbe auch ſein mag, mit
der altbewährten Hingebung widmen werden. Was den Marine-
etat betrifft, ſo ſind auch wir überraſcht, daß ſchon in einem Jahre
ſo weſentliche Mehrkoſten für neue Panzerſchiffe verlangt werden.
Die Erfindungen der Nachbarſtaaten dürfen allerdings nicht unbe-
achtet bleiben. Die Budgetcommiſſion wird aber zu prüfen haben,
ob wir ſo ſchnell dieſe Erfindungen uns aneignen müſſen. Der
Ausgabe für Unterofficiersprämien werden wir zuſtimmen. Der
Unterofficiersſtand iſt einer der wichtigſten, aus ihm recrutirt ſich unſer
gebildeter Mittelſtand. Und ich wundere mich ſehr, daß Hr. Richter,
der doch ſonſt immer von einer Beeinträchtigung der Civilbeamten durch
die Civilverſorgungsberechtigten ſpricht, jetzt gegen die Prämien
iſt. Wenn wir jetzt ſchon die Verwaltung in die Lage ſetzen, ſorg-
fältig in der Auswahl der Unterofficiere vorgehen zu können, ſo
erſparen wir vielleicht ſehr viele künftige Ausgaben. Ich meine
aber, daß ſich auch ältere Unterofficiere ſehr gut zu Beamten
qualificiren. Abſolute Pünkilichkeit, Wahrheitsliebe und Tüchtig-
keit iſt immer eine Zierde unſrer Beamten geweſen und ich glaube,
daß auch der ältere Unterofficier dieſe guten Eigenſchaften im
Beamtenverhältniß bewahren wird. Auf das Gebiet der Colonial-
politik ſolge ich dem Abg. Richter nicht. Ich denke, er müßte
damit einverſtanden ſein, daß die deutſche Flagge auch erhalten
werde, wo ſie einmal aufgehißt iſt. Wir würden den Einfluß
unſrer Landsleute im Auslande ſchwächen und ihre Opferwilligkeit
und ihren Opfermuth nicht minder, wenn wir ſie im Stiche ließen.
Mit einem Male kann eine Rentabilität in Oſtafrika nicht erreicht
werden und es wäre ſehr deplacirt, auf dieſem Gebiete zu knauſern,
weil der Erfolg nicht gleich mit Händen zu greifen iſt.
Die militäriſchen Mehrforderungen und Neuforderungen werden
genauer Prüfung bedürfen, die aber deßhalb ſehr ſchwierig iſt,
weil ſie doch nur von Sachverſtändigen erfolgen kann, was wir
der großen Mehrzahl nach zu ſein nicht behaupten können. Was
zur Förderung der Cadettenausbildung gefordert wird, werden wir
gern bewilligen, ebenſo die Errichtung von Unterofficiervorſchulen,
ohne in letzterer Richtung den Vorwurf einer Begünſtigung des
Kaſtengeiſtes zu befürchten. Die Neuformation der Fußartillerie
werden wir gleichfalls bewilligen, da die Autoritäten einig ſind,
daß auf dieſem Gebiete noch Manches nachzuholen iſt. An
Caſernen, Magazinen und ähnlichen Bauten werden wir alles geneh-
migen, was die Regierung an den Oſt- und Weſtgrenzen des Reiches
für erforderlich hält; für Neubauten im Innern des Reichs nehmen
wir das Recht ſorgfältigſter Prüfung in Anſpruch, obwohl wir nicht
verkennen dürfen, daß erfahrungsmäßig bei ſolchen Forderungen der
Militärbehörde ſehr viel ſeltener Abſtriche möglich ſind, als bei
Forderungen anderer Reſſorts, z. B. der Poſtverwaltung. Ueber
die Einwirkung der Zuckerſteuer auf die Geſtaltung unſeres Etats
enthalte ich mich einer Vermuthung; warten wir das bevorſtehende
Geſetz ab. Aber die fortdauernde Beunruhigung der Zucker-
induſtrie kann ihr und der Landwirthſchaft nicht zum Heil ge-
reichen. Sind Steuermehreinnahmen nöthig, ſo gebe ich die Ein-
führung des Zündholzmonopols zu erwägen, welches leicht 20 und
ſelbſt 30 Millionen dem Reiche bringen könnte. (Hört! links!)
Das Ordinarium des Poſtetats enthält recht beträchtliche Mehr-
forderungen. Dieſe beruhen aber weſentlich in der Umwandlung
zahlreicher außeretatsmäßiger Stellen in etatsmäßige, welche
ſeinerzeit vom Hauſe ſelber gefordert wurde. Sodann möchte ich dem
Hrn. Reichskanzler anheimgeben, ob nicht Maßregeln zu ergreifen
wären, welche zur Wiederherſtellung des Silberwerthes führen.
(Aha! links.) Was Hr. Richter geſtern in volkswirthſchaft-
licher Beziehung vorbrachte, hat auf mich den Eindruck
eines Tertianerſtandpunktes gemacht. (Lachen links.) Er
hat ganz vergeſſen, was jeder Gymnaſiaſt wiſſen muß,
daß Rom dadurch und darum zu Grunde gegangen iſt, weil es
ſeinen Bauernſtand vernachläſſigt hat. Hier wird die Sache ſo

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[0005] Donnerſtag, Zweites Morgenblatt, Nr. 343 der Allgemeinen Zeitung. 11. December 1890. Inhalts-Ueberſicht. Deutſcher Reichstag. — Die Schulreform-Conferenz in Berlin. — Handel und Volkswirthſchaft. Deutſcher Reichstag. Telegraphiſcher Privatbericht der Allg. Ztg. 38. Sitzung. ⎈ Berlin, 10. Dec. Die Sitzung wird um 1 Uhr eröſſnet. Am Tiſche des Bundesraths: Reichskanzler v. Caprivi, v. Boetticher, v. Maltzahn, Viceadmiral Hollmann, v. Mar- ſchall u. A. Eingegangen iſt ein Antrag des Reichskanzlers, die Ermäch- tigung zur Einleitung der ſtrafrechtlichen Verfolgung gegen den (ſocialdemolratiſchen) Abg. Joeſt zu ertheilen. Derſelbe wird der Geſchäftsordnungscommiſſion überwieſen. Da geſtern zu dem Geſetzentwurf wegen Vereinigung Helgolands mit dem Reiche ein Zuſatz angenommen worden iſt, ſo mußte eine Zu- ſammenſtellung der Beſchlüſſe gemacht werden. Auf Grund der- ſelben wird heute die Vorlage im ganzen endgültig ange- nommen. Die erſte Berathung des Geſetzentwurfs, betr. die Feſtſtellung des Reichshaushaltsetats für 1891/92, und betr. die Aufnahme einer Anleibe, wird fortgeſetzt. Abg. Graf Behr (Reichsp.) beſtreitet, daß die Arbeiter der Invalidenverſicherung kühl gegenüberſtänden. Es ſei allerdings möglich, daß viele noch nicht informirt ſeien, aber wenn erſt ein- mal die erſte Rente gezahlt ſein werde, dann würden die Arbeiter ſchon anderen Sinnes werden. Wenn die Beſeitigung der land- wirthſchaftlichen Zölle verlangt werde, dann müſſe man auch daran denken, die induſtriellen Schutzzölle zu beſeitigen, welche die Land- wirthſchaft beſonders belaſten. Uebrigens ſeien die Klagen über die Belaſtung der Arbeiter durch die Getreidezölle durchaus nicht ſo ſchlimm, wie es von den Socialdemokraten immer dargeſtellt werde. Bezüglich des Etats iſt die größte Sparſamkeit geboten; der vorliegende Etat an ſich iſt allerdings nicht ungünſtig, aber es iſt doch zweifelhaft, ob dieſe günſtige Finanzlage dauernd ſein wird. Die Ausgaben ſteigen im ganzen um 46 Millionen Mark. Das iſt ſehr viel und man muß unterſuchen, ob nicht Erſparniſſe gemacht werden können. Die Unterofficier-Prämien ſind ja eine ganz angemeſſene Ausgabe; aber es ſcheint mir, als wenn ſie ſchon zu frühzeitig gegeben werden ſollten; man ſollte den Zeitpunkt, wo ſie gewährt werden, um einige Jahre hinausſchieben, dann würde der Betrag auch kein ſo hoher werden. Namentlich auch unter den einmaligen Ausgaben für Landheer und Marine könnten Erſparniſſe gemacht werden durch Hinausſchiebung dieſes oder jenes Baues. Die Einnahmen aus den Zöllen und Ver- brauchsſteuern ſind ſehr vorſichtig veranſchlagt, das iſt aber auch nothwendig, denn die Hochfluth der Zolleinnahmen wird vielleicht bald vorüber ſein. Es wird ſo viel von einer Aenderung des Curſes in Bezug auf die Zollpolitik geſprochen. Ich möchte die Regierung bitten, darüber eine klare und bündige Auskunft zu geben. Eine Beſeitigung des Zollſchutzes würde die Landwirth- ſchaft und die Induſtrie außer Stand ſetzen, die ſocialpolitiſchen Aufgaben zu erfüllen, welche jetzt geſtellt ſind. Ich bitte alſo, die nicht dringlichen Ausgaben zurückzuſtellen, dagegen das Nothwendige zu bewilligen im Intereſſe des Friedens. (Beiſall rechts.) Abg. Dr. Windthorſt wendet ſich zunächſt dagegen, daß 10,242,500 Mark aus den Zöllen und Verbrauchsſteuern über die 130,000,000 Mark hinaus, welche dem Reiche zuſtehen, ent- nommen werden ſollen. Das ſei ein Verſtoß gegen die Francken- ſtein’ſche Clauſel, welche ein Fundamentalſatz unſrer ganzen Ver- hältniſſe geworden ſei. Wie ſei überhaupt im Bundesrath eine Mehrheit für die Durchbrechung dieſer Clauſel zu Stande ge- kommen? Der Reichstag werde hoffentlich darauf nicht eingehen, weil er dadurch ſein Einnahmebewilligungsrecht ſelbſt durchlöchern würde, denn dieſes Einnahmebewilligungsrecht beruhe einzig und allein auf den Matricularbeiträgen. Die Regierung hätte an der Franckenſtein’ſchen Clauſel nicht rütteln ſollen, denn die Be- wegung gegen die Zölle iſt ohnehin ſchon groß genug und der Zolltarif iſt ein Ganzes, aus welchem man keinen einzelnen Stein herausnehmen kann. Ohne die landwirthſchaftlichen Zölle wäre unſre Land- und Forſtwirthſchaft weſentlich beeinträchtigt worden. Bei den Verhandlungen mit Oeſterreich wird gerade darauf Rückſicht genommen werden müſſen, und die Herren in Oeſterreich brauchen nicht zu denken, daß ſie unſerer- ſeits leicht Conceſſionen erreichen können, wenn ſie nicht ſelbſt ſolche machen; wir können auch mit den beſtehenden Zöllen weiter arbeiten. Ich würde auf dieſe Dinge nicht eingegangen ſein, wenn Hr. Richter nicht davon geſprochen hätte. Redner wendet ſich dann gegen die Socialdemokraten und hebt hervor, daß unter ihnen ein Zwieſpalt zwiſchen Alten und Jungen entſtanden ſei. Die Jungen ſeien die Gewaltſameren. Wenn die Alten geſagt hätten, von Gewalt ſei keine Rede, ſo ſei damit ein großes Wort ausgeſprochen. Aber die Socialdemokraten können ihr Ziel nicht erreichen, ſolange die gegenwärtige Geſellſchaftsordnung beſteht, und die Beſeitigung dieſer Geſellſchaftsordnung iſt nur durch gewaltſamen Umſturz möglich. Gegen die Invalidenverſicherung habe ich mit allen Kräſten gearbeitet und würde noch heute dagegen ſprechen, wenn das Geſetz von neuem vorgelegt werden würde. Namentlich nach der Art und Weiſe, wie Bebel Hrn. Richter geantwortet hat. Er meinte, das Geſetz ſei nicht gelungen, aber der eingeſchlagene Weg ſei der richtige. Aber nachdem das Geſetz einmal eingeführt iſt, müſſen wir es durchführen. Aber hüten wir uns, dem Abg. Bebel auf dieſem Gebiete zu folgen, ſonſt verſallen wir unzweifelhaft der ganzen Conſequenz der Socialdemokratie. (Heiterkeit.) Im Etat hat mich am meiſten überraſcht die hohe Summe der Anleihe, welche wieder aufgenommen werden ſoll. Die letzte Anleihe war ein Räthſel, welches nicht gelöst worden iſt durch die Aeußerungen des Hrn. Schatzſecretärs, daß die Finanzverwaltung ſich in einer Zwangslage befunden habe; welcher Art war denn dieſe Zwangslage? Ich babe mir bei näherem Ueberlegen geſagt: man hat die drei- procentigen Papiere geſchaffen, um ſie dem Ausland ſchmackhafter zu machen. Die Herren im Auslande können ſich beruhigen, ſie können ihr Geld gar nicht beſſer anlegen. Aus der ſchlechten Auf- nahme aber, welche dieſe Anleihe in Deutſchland ſelbſt gefunden hat, ergibt ſich, daß bei uns das baare Geld knapp geworden iſt. Wir müſſen alſo um ſo mehr die größte Sparſamkeit üben. Man wird jede einzelne Ausgabe auf ihre Nothwendigkeit prüfen müſſen. Im auswärtigen Etat befindet ſich die Ausgabe für Oſtafrika, deren Höhe mich überraſcht hat. Eigentlich wäre es angebracht, für dieſe Angelegenheit eine beſondere Commiſſion einzuſetzen, welche nament- lich auch zu unterſuchen hätte, ob und wann denn die Sache dort zu Ende gehen ſoll. Der Abg. Bamberger hat allerdings geſagt, wir ſollten dort jetzt Alles im Stiche laſſen. Das kann ich nicht verantworten, denn ich denke, daß nach den großen Opfern, die wir dort gebracht haben (Zuruf links: „Und noch weiter bringen müſſen!“) doch endlich einmal etwas mehr als bisher dort gemacht werden kann. (Zuruf links: „Wo denn?“) Der Abg. Bamberger würce mit ſeinem „Rein“ auch nicht ſo ſchnell bei der Hand ſein, wenn er nicht wüßte, der Abg. Windthorſt und ſeine Freunde ſagen: „Ja“. (Zuruf links: „Verſuchen Sie es doch einmal!“) Auf die Mehrausgaben, welche die Folgen der früheren Bewilli- gungen ſind, komme ich nicht zurück. Bei den anderen Ausgaben muß eine Beſchränkung auf das unmittelbar Nothwendigſte eintreten, auch wenn die Forderungen ſonſt recht wünſchenswerth erſcheinen, wie bezüglich der Schiffsbauten, deren Tempo erheblich verlang- ſamt werden kann. Ich bitte die Commiſſion, den Etat gründlich zu prüfen und dabei zu beachten: das Vaterland kann mehr Steuern nicht vertragen. (Beifall im Centrum und links.) Staatsſecretär v. Maltzahn: Zur Vermeidung von Miß- verſtändniſſen bei den Herren, welche in dem §. 7 des vorliegenden Etatsgeſetzes eine grundſätzliche Aenderung unſres zeitlichen Ab- rechnungsſyſtems zwiſchen dem Reich und den Einzelſtaaten zu er- blicken ſcheinen, muß ich betonen, daß eine Durchbrechung des bis- herigen Syſtems in dem vorliegenden Entwurf weder enthalten, noch bei der Abſaſſung irgendwie beabſichtigt worden iſt. Es ſoll nur ein hervorgetretenes Bedürfniß in zweckmäßiger Weiſe befriedigt wer- den. Der Reichscaſſe ſollen zu Beginn des nächſten Etatsjahres die Mittel zur Verfügung geſtellt werden, aus der ſie am erſten Tage des nächſten Finanzjahres eine Summe von 10 Millionen erhalten kann, die im anderen Falle das ganze nächſte Etatsjahr im Be- triebsfonds fehlen würde. Wir haben nun geglaubt, daß dieſes am zweckmäßigſten dadurch geſchieht, daß man einfach aus den Mehr- einnahmen, welche im Jahre 1890/91 gegen den Etatsanſatz den Einzelſtaaten zuſließen werden, dieſe 10 Millionen vorweg nimmt. Zur Befriedigung dieſes einmaligen Bedürfniſſes und in der Er- kenntniß, daß die Verzinſung der Reichsſchuld auch im Intereſſe der einzelnen Bundesſtaaten iſt, hat der Bundesrath dem neuen Para- graphen einhellig zugeſtimmt, obwohl die principielle verfaſſungsmä- ßige Bedeutung der Sache auch dort eingehend erörtert iſt. Hoffent- lich wird auch der Reichstag dazu ſeine Zuſtimmung geben. Wenn Sie uns aber einen anderen Weg, der materiell das- ſelbe erreicht, vorſchlagen können, werden vielleicht auch die verbündeten Regierungen ſich damit einverſtanden erklären. Nur ſcheint es nothwendig, daß Sie aus den Einnahmen von 1890/91 die Verzinſungsſumme, die wir am erſten Tage des Finanz- jahres 1891/92 brauchen, gewähren. Ueberweiſen Sie uns aus den Einnahmen von 1891/92 die Summe, ſo nützt das Ganze nichts. Meiner geſtrigen Aeußerung, daß wir uns bei der Be- gebung der 3proc. Anleihe in einer Zwangslage befunden haben, ſteht der Abg. Windthorſt wie einem Räthſel gegenüber. Ich will ihm das Räthſel auflöſen. In früherer Zeit iſt eine Reichs- anleihe verhältnißmäßig leicht durch den Verkauf von Tag zu Tag an der Börſe begeben worden. Vor etwa einem halben Jahre zeigte ſich nun mit der Zunahme der Reichsanleihen und weil zugleich andere bedeutende Anleihebeträge auf dem deutſchen Markt unterzubringen waren, dieſes Verfahren als nicht mehr ausreichend. Wir ſahen uns deßhalb veranlaßt, im Februar d. J. einen Betrag von 129 Millionen zum Curs von 102 Proc. an ein größeres Conſortium zu begeben. Die Frage, ob für die Reichsanleihe ein anderer Typus als der 3½proc. zu wählen ſei, iſt ſchon früher zur Erörterung gekommen, namentlich ſchon im Herbſt des vorigen Jahres, als die 3proc. Papiere von Einzel- ſtaaten über 90 ſtanden. Man hat damals von der Wahl eines anderen Typus abgeſehen aus den principiellen Be- denken, die dem 3proc. Typus der Reichsanleihe hier im Hauſe wie in der Preſſe entgegengeſetzt worden ſind. Von Seiten der Bankhäuſer, mit deren über eine größere Anleihe- übernahme verhandelt werden mußte, war die Wahl eines andern Verzinſungstypus nicht erſt im Herbſt, ſondern ſchon ſeit längerer Zeit erörtert worden. Danach blieben wir im Februar bei dem alten Typus von 3½ Procent. Sie wiſſen alle, daß die Markt- verhältniſſe ſchwierig waren und daß der Ausgabecurs in dem Augenblick vielleicht gerade auch etwas hoch war, daß in Folge deſſen das Conſortium, welches damals die 129 Millionen über- nommen hatte, erklärte, mit der Weitergabe an das Privatpublicum nicht ſo ſchnell, wie es gehofft hatte, fortſchreiten zu können. Dieſes und die allgemeine Lage des Marktes war für die Reichs- ſinanzverwaltung der Anlaß, mit der weiteren Begebung von Anleihen ſo lange zu zögern, als es nach der wirthſchaftlichen Lage des Reiches möglich war. Wann wir Anleihen begeben müſſen, hängt nicht von der Reichsfinanzverwaltung, ſondern davon ab, zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Schnelligkeit die Neubauten und Beſchaffungen vorgenommen werden. Mit dem Herbſt dieſes Jahres — das konnte man ſchon im Frühjahr vorausſehen — mußte ein Augenblick eintreten, wo wir ge- zwungen waren, einen bedeutenden Poſten Reichsanleihe zu begeben und naturgemäß hatten wir den Wunſch, ihn ſo hoch zu beziſſern, daß wir für eine Reihe von Monaten gedeckt wären. Lange bevor dieſer kritiſche Zeitpunkt herangekommen war, iſt mit der preußiſchen Finanzverwaltung dieſe Frage hin und her in allen Einzelheiten discutirt und in vollem Einvernehmen mit ihr erledigt worden, von dem Moment an, wo ſich herausſtellte, daß zugleich mit der Reichsanleihe auch eine preußiſche Staatsanleihe begeben werden müßte. Das Geſchäft iſt deßhalb für beide Theile unter den gleichen Bedingungen gemacht worden. Ganz ſelbſtverſtändlich hat die Thatſache, daß der Chef einer einzelnen Verwaltung auf Urlaub iſt oder nicht, nicht den geringſten ver- zögernden Einfluß auf die Sache gehabt. Die Reichsverwaltung iſt ſo geſtellt, daß, wenn nicht ein nach jeder Richtung hin zur vollen Vertretung befugter Stellvertreter an Ort und Stelle iſt, der betreffende Reichsbeamte auch während ſeines Urlaubs die ihm obliegenden wichtigeren Dienſtgeſchäfte ohne Verzögerung ſelbſt erledigt. Die Frage, ob und in welchem Moment ein größerer Poſten der Reichsanleihe begeben werden ſollte, iſt auch von mir fortwährend im Auge behalten worden. Die Verhandlungen be- gannen am 5. September und ſind am 29. September zum Ab- ſchluß gekommen, wo mir mitgetheilt worden iſt, daß ein Con- ſortium ſich mit einem dreiprocentigen Typus zum Curſe von 86.40 einverſtanden erklärt hat. Wir mußten einen dreiprocentigen Typus wählen, weil das übernehmende Conſortium ſich völlig außer Stande erklärte, irgend einen anderen Typus anzunehmen. Dieſer kategoriſchen Erklärung gegenüber, die erſt geſprächs- weiſe angedeutet und dann auf unſer Drängen in bündiger Form gegeben worden iſt, befand ſich das Reich in einer Zwangslage. Wir ſtanden vor der Wahl, ob man zu einem Curs, der an und für ſich genügend war, 3proc. Papiere ausgeben ſollte, oder ob man die ganze Frage der Beſchaffung der Anleihe auf Monate vertagen und ſich ſolange mit den für dieſen Fall vorgeſehenen Schatzanweiſungen behelfen ſollte, bis ein günſtigerer Moment auf dem Markte eingetreten ſei. Die Reichsverwaltung wie die preußiſche entſchied ſich dieſer Lage gegenüber, einen Poſten, der ſich für das Reich auf 170 Millionen beziffert, mit 3 Proc. zu 86.40 zu begeben. Der Curs an und für ſich iſt keineswegs ein ſchlechter und entſpricht einem Curs der 3½proc. über Pari, während damals dieſe Papiere zwiſchen 97 und 98 ausgegeben wurden; Der Vorwurf, daß wir den allerungünſtigſten Moment für die Begebung der Anleihe gewählt hätten, iſt ungerechtfertigt, denn wir konnten die Anleihe nicht länger hinausſchieben und außerdem beſtanden auch Monate vorher hindurch dieſelben Zu- ſtände. Daß das Conſortium zum Theil ſelber den Moment für einen günſtigen hielt — und es beſteht doch aus Herren, die man in hohem Grade zu den Sachverſtändigen rechnen kann —, dafür ſpricht die Thatſache, daß einige der Herren, die uns das definitive Gebot, auf Grund deſſen der Abſchluß erfolgt iſt, mach- ten, zwei Tage vorher 222 Millionen convertirte 4proc. Rumänier zu 86.50 übernommen und auf den deutſchen Markt gebracht haben. Abg. v. Frege (deutſchconſ.): Auch wir halten es für keinen beſonders glücklichen Gedanken der verbündeten Regierungen, einen ſo wichtigen Grundſatz, wie ihn die Franckenſtein’ſche Clauſel darſtellt, wenn auch nur durch eine einmalige Maßregel abzu- ändern. Wir wünſchen, daß man es bei der alten unveränderten Franckenſtein’ſchen Clauſel belaſſen möge und daß die 10 Millionen, die zur Deckung des April-Coupons erforderlich ſind, auf andere Weiſe aufgebracht werden. Was die Anleihen betrifft, ſo beklagen es meine politiſchen Freunde einſtimmig, daß man überhaupt die Converſionen angefangen hat. Es hat das Vertrauen zur Reichs- finanzverwaltung erſchüttert, ſo daß die Begebung der letzten Anleihe auf Schwierigkeiten geſtoßen iſt. (Zuſtimmung rechts.) Wir be- klagen es, daß überhaupt der mächtigſte Factor im Deutſchen Reich, das Reich ſelbſt, in Bezug auf ſeine Finanzgebahrung ſich ohne Conſortien gar keine finanzielle Maßregel denken kann. Es müßte doch möglich ſein, das Geld in einer Weiſe zu be- ſchaſſen, wie es das in dieſer Frage ganz gewiß ſehr vorſichtige Frank- reich im Laufe der Geſchichte wiederholt gemacht hat, nähmlich durch directe Auflage, ſo daß jeder kleinſte beſcheidenſte Staatsbürger in der Lage wäre, für eine Anleihe zu zeichnen. Die große Mehrheit des Hauſes iſt darin einig, daß es vermieden werden muß, daß das Reich ſich nicht bloß unter die Abhängigkeit eines Conſortiums, ſondern auch unter die der übrigen deutſchen Staaten ſtellt. Ferner würden wir es mit Freuden begrüßen, wenn dem Silber wieder der richtige Werth zurückgegeben würde. (Zuſtimmung rechts. Heiterkeit links.) Der Abg. Bamberger wird mir wahrſcheinlich den amerikaniſchen Silberring entgegenbalten. Niemandem von uns fällt es ein, die Manipulationen dieſes Silberringes irgendwie entſchuldigen zu wollen. Aber dieſe Maßregel iſt nur in einem republicaniſchen Staate möglich. In einem monarchiſchen Staate würde eine ſolche Maßregel, wie ſie die amerikaniſchen Congreſſe durch ihre wechſeln- den Beſchlüſſe zu Wege bringen können, unmöglich ſein. Deutſch- land würde ſolchen Ausſchreitungen einzelner Intereſſenten einen Damm entgegenſetzen und das Silber würde ſeinen effectiven Werth behalten. Gott ſei Dank, daß wir in Deutſchland noch keine Geldnoth beſitzen, wir würden aber noch viel unabhängiger ſein, wenn das Silber ſeinen Werth beſäße. Wenn etwa in Rußland eines Tages die Goldwährung eingeführt würde, ſo würde in Deutſchland und in allen europäiſchen Cultur- ſtaaten eine Kriſis entſtehen, vor der uns Gott bewahren wolle. Was den vorliegenden Etat betrifft, ſo begrüße ich die Aeußerung des Reichskanzlers, daß in dieſem Jahre keine Nach- forderungen für das Heer zu erwarten wären, mit Freuden. Das wird im Lande ſehr beruhigend wirken, und ich danke Hrn. Richter, daß er dieſe Erklärung ſchon geſtern provocirt hat. Die 6¼ Millionen für das Alters- und Invaliditätsgeſetz halten wir für nothwendig; ich zweifle nicht, daß die Beamten ſich der Durch- führung dieſes Geſetzes, ſo mühſelig dieſelbe auch ſein mag, mit der altbewährten Hingebung widmen werden. Was den Marine- etat betrifft, ſo ſind auch wir überraſcht, daß ſchon in einem Jahre ſo weſentliche Mehrkoſten für neue Panzerſchiffe verlangt werden. Die Erfindungen der Nachbarſtaaten dürfen allerdings nicht unbe- achtet bleiben. Die Budgetcommiſſion wird aber zu prüfen haben, ob wir ſo ſchnell dieſe Erfindungen uns aneignen müſſen. Der Ausgabe für Unterofficiersprämien werden wir zuſtimmen. Der Unterofficiersſtand iſt einer der wichtigſten, aus ihm recrutirt ſich unſer gebildeter Mittelſtand. Und ich wundere mich ſehr, daß Hr. Richter, der doch ſonſt immer von einer Beeinträchtigung der Civilbeamten durch die Civilverſorgungsberechtigten ſpricht, jetzt gegen die Prämien iſt. Wenn wir jetzt ſchon die Verwaltung in die Lage ſetzen, ſorg- fältig in der Auswahl der Unterofficiere vorgehen zu können, ſo erſparen wir vielleicht ſehr viele künftige Ausgaben. Ich meine aber, daß ſich auch ältere Unterofficiere ſehr gut zu Beamten qualificiren. Abſolute Pünkilichkeit, Wahrheitsliebe und Tüchtig- keit iſt immer eine Zierde unſrer Beamten geweſen und ich glaube, daß auch der ältere Unterofficier dieſe guten Eigenſchaften im Beamtenverhältniß bewahren wird. Auf das Gebiet der Colonial- politik ſolge ich dem Abg. Richter nicht. Ich denke, er müßte damit einverſtanden ſein, daß die deutſche Flagge auch erhalten werde, wo ſie einmal aufgehißt iſt. Wir würden den Einfluß unſrer Landsleute im Auslande ſchwächen und ihre Opferwilligkeit und ihren Opfermuth nicht minder, wenn wir ſie im Stiche ließen. Mit einem Male kann eine Rentabilität in Oſtafrika nicht erreicht werden und es wäre ſehr deplacirt, auf dieſem Gebiete zu knauſern, weil der Erfolg nicht gleich mit Händen zu greifen iſt. Die militäriſchen Mehrforderungen und Neuforderungen werden genauer Prüfung bedürfen, die aber deßhalb ſehr ſchwierig iſt, weil ſie doch nur von Sachverſtändigen erfolgen kann, was wir der großen Mehrzahl nach zu ſein nicht behaupten können. Was zur Förderung der Cadettenausbildung gefordert wird, werden wir gern bewilligen, ebenſo die Errichtung von Unterofficiervorſchulen, ohne in letzterer Richtung den Vorwurf einer Begünſtigung des Kaſtengeiſtes zu befürchten. Die Neuformation der Fußartillerie werden wir gleichfalls bewilligen, da die Autoritäten einig ſind, daß auf dieſem Gebiete noch Manches nachzuholen iſt. An Caſernen, Magazinen und ähnlichen Bauten werden wir alles geneh- migen, was die Regierung an den Oſt- und Weſtgrenzen des Reiches für erforderlich hält; für Neubauten im Innern des Reichs nehmen wir das Recht ſorgfältigſter Prüfung in Anſpruch, obwohl wir nicht verkennen dürfen, daß erfahrungsmäßig bei ſolchen Forderungen der Militärbehörde ſehr viel ſeltener Abſtriche möglich ſind, als bei Forderungen anderer Reſſorts, z. B. der Poſtverwaltung. Ueber die Einwirkung der Zuckerſteuer auf die Geſtaltung unſeres Etats enthalte ich mich einer Vermuthung; warten wir das bevorſtehende Geſetz ab. Aber die fortdauernde Beunruhigung der Zucker- induſtrie kann ihr und der Landwirthſchaft nicht zum Heil ge- reichen. Sind Steuermehreinnahmen nöthig, ſo gebe ich die Ein- führung des Zündholzmonopols zu erwägen, welches leicht 20 und ſelbſt 30 Millionen dem Reiche bringen könnte. (Hört! links!) Das Ordinarium des Poſtetats enthält recht beträchtliche Mehr- forderungen. Dieſe beruhen aber weſentlich in der Umwandlung zahlreicher außeretatsmäßiger Stellen in etatsmäßige, welche ſeinerzeit vom Hauſe ſelber gefordert wurde. Sodann möchte ich dem Hrn. Reichskanzler anheimgeben, ob nicht Maßregeln zu ergreifen wären, welche zur Wiederherſtellung des Silberwerthes führen. (Aha! links.) Was Hr. Richter geſtern in volkswirthſchaft- licher Beziehung vorbrachte, hat auf mich den Eindruck eines Tertianerſtandpunktes gemacht. (Lachen links.) Er hat ganz vergeſſen, was jeder Gymnaſiaſt wiſſen muß, daß Rom dadurch und darum zu Grunde gegangen iſt, weil es ſeinen Bauernſtand vernachläſſigt hat. Hier wird die Sache ſo

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 343, 11. Dezember 1890, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine343_1890/5>, abgerufen am 16.07.2024.