Allgemeine Zeitung, Nr. 342, 10. Dezember 1890.
Abg. Richter: Reichskanzler v. Caprivi: Abg. Bebel begrüßt den Wegfall des Socialistengesetzes, Nach einer persönlichen Bemerkung des Abg. Richter wird Preußischer Landtag. * Berlin, 9. Dec. Abgeordnetenhaus. Telegramm. Auf der Tagesordnung der heutigen Zur Begründung der Vorlage führt Cultusminister v. Goßler Abg. Dr. Windthorst kann der Vorlage weder Lob spenden, Abg. v. Meyer-Arnswalde ist mit der Vorlage völlig einver- Finanzminister Dr. Miquel erklärt, daß die Schullast eine Abg. Rickert stimmt der Vorlage unbedingt zu, wünscht Abg. Dr. Sattler führt aus, daß zwei Bedenken gegen das Abg. Dr. Arendt (freicons.) steht im allgemeinen auf demselben Abg. Graf Limburg-Stirum (d.-cons.) erhebt schwere Be- Finanzminister Dr. Miquel tritt dem Vorredner entgegen. Die Vorlage wird der Volksschulcommission überwiesen. Der
Abg. Richter: Reichskanzler v. Caprivi: Abg. Bebel begrüßt den Wegfall des Socialiſtengeſetzes, Nach einer perſönlichen Bemerkung des Abg. Richter wird Preußiſcher Landtag. * Berlin, 9. Dec. Abgeordnetenhaus. Telegramm. Auf der Tagesordnung der heutigen Zur Begründung der Vorlage führt Cultusminiſter v. Goßler Abg. Dr. Windthorſt kann der Vorlage weder Lob ſpenden, Abg. v. Meyer-Arnswalde iſt mit der Vorlage völlig einver- Finanzminiſter Dr. Miquel erklärt, daß die Schullaſt eine Abg. Rickert ſtimmt der Vorlage unbedingt zu, wünſcht Abg. Dr. Sattler führt aus, daß zwei Bedenken gegen das Abg. Dr. Arendt (freiconſ.) ſteht im allgemeinen auf demſelben Abg. Graf Limburg-Stirum (d.-conſ.) erhebt ſchwere Be- Finanzminiſter Dr. Miquel tritt dem Vorredner entgegen. Die Vorlage wird der Volksſchulcommiſſion überwieſen. Der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p> <cit> <quote><pb facs="#f0006" n="6"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">München, Mittwoch Augemeine Zeitung</hi> 10. December 1890. Zweites Morgenblatt Nr. 342.</fw><lb/><cb/> von 322,600,000 Mark. Dieſe Matricularumlage ſteht gegen-<lb/> über den Ueberweiſungen in Höhe von mehr als 331 Millionen.<lb/> Es verbleiben danach den Einzelſtaaten nach dieſem Etat netto etwa<lb/> 8,700,000 M. Gegenüber den ſchließlichen Zahlen des Etats des lau-<lb/> fenden Jahres einſchließlich der Nachtragsetats würden Sie<lb/> danach etwas über 12 Millionen beſſer ſtehen, als 1890/91.<lb/> Entſtehen nun aber koſtſpielige Ausgaben für die Reichsverwaltung,<lb/> ſo iſt zu befürchten, daß die eigenen Einnahmen des Reiches nicht<lb/> mehr ausreichen werden und daß mindeſtens eine jede Zuweiſung<lb/> an die Einzelſtaaten fortfallen müßte. Eine derartige neue Aus-<lb/> gabe finden wir zum erſten Male in dieſem Etat berückſichtigt.<lb/> Das ſind die Ausgaben für die Einführung des Invaliditäts- und<lb/> Altersverſicherungsgeſetzes. Wenn dieſe Ausgaben ſich in Zukunft<lb/> beſonders fühlbar machen werden, dann werden die verbündeten<lb/> Regierungen die Nothwendigkeit erkennen müſſen, die eigenen Ein-<lb/> nahmen des Reiches zu vermehren. Den größten Theil der Aus-<lb/> gaben, welche der Reichscaſſe obliegen, machen die Ausgaben für<lb/> die Zwecke der Landesvertheidigung aus. Die Wehrhafterhaltung<lb/> des Reiches, die Erhaltung des Friedens, die Fortführung der<lb/> ſocialen Geſetzgebung und die Erhaltung des inneren Friedens er-<lb/> fordern Ausgaben, für die wir Einnahmen haben müſſen. Solche<lb/> Einnahmen werden Sie bewilligen, deſſen bin ich gewiß. Denn<lb/> die Ziele, zu deren Erreichung alle Ausgaben und Einnahmen des<lb/> Reiches beſtimmt ſind, ſind diejenigen, welche von Männern, die<lb/> damals Deutſchlands Namen hochhielten, von den deutſchen<lb/> Hanſeaten, als der Zweck ihrer deutſchen Gemeinweſen hingeſtellt<lb/> wurden, wenn ſie an das Thor der freien Hauſeſtadt Lübeck<lb/> ſchrieben: <hi rendition="#aq">Concordia domi, foris pax.</hi> Eintracht daheim,<lb/> draußen Frieden! (Beifall rechts.)</quote> </cit> </p><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b">Richter:</hi> <cit><quote>Zum crſten Male ſeit dem Kanzlerwechſel<lb/> liegt ein vollſtändiger Etat vor und es zeigt ſich: es geht auch<lb/> ohne den Fürſten Bismarck, auch in der auswärtigen Politik. Der<lb/> Dreibund iſt mehr als ein diplomatiſcher Vertrag. Eine Beſſerung<lb/> der auswärtigen Politik iſt zu conſtatiren. Unter dem Fürſten<lb/> Bismarck wurde jedes kleine Ereigniß durch die officiöſe Preſſe<lb/> aufgebauſcht, als wenn Deutſchlands Grenzen von wilden Völker-<lb/> ſchaften bewohnt würden. Dadurch wurde die geſchäſtliche Welt<lb/> anfgeregt. Jetzt iſt die auswärtige Politik langweilig geworden.<lb/> Ein Inventarſtück der Bismarck’ſchen Politik, das Socialiſtengeſetz,<lb/> iſt mit dem 1. October ausgeſchieden worden. Der Reichskanzler<lb/> hat conſtatirt, daß die Regierung auch ohne das Geſetz im Stande<lb/> ſei, die Ordnung aufrechtzuerhalten, was um ſo angenehmer war,<lb/> als wir ſelbſt dieſe Anſicht vertreten haben. Wir hätten<lb/> auch den Wegfall der Invalidenverſicherung gern geſehen.<lb/> weil dieſelbe auf falſchen Vorſtellungen von der Möglichkeit der<lb/> Bekämpfung der Socialdemokratie beruht. Die Bevölkerung und<lb/> namentlich diejenigen, für welche das Geſetz beſtimmt iſt, ver-<lb/> harren in eiſerner Gleichgültigkeit; ſelbſt diejenigen, die ſofort eine<lb/> Altersrente erhalten, ſind ſchwer zu bewegen, ſich die nothwendige<lb/> Beſcheinigung zu verſchaffen. Das beweist einen geſunden Sinn<lb/> der Bevölkerung, der lebendig genug iſt, um auf Selbſthülfe be-<lb/> dacht zu ſein und von der Staatshülfe nichts zu erwarten. Wenn<lb/> die Hoffnung auf Staatshülfe ſich feſtſetzt, dann wird dadurch ein<lb/> Nährboden geſchaffen für ſocialiſtiſche Ideen. Deßhalb iſt die<lb/> Einführung der Invalidenverſicherung ein verhängnißvoller Schritt,<lb/> und da wir keine Mehrheit für unſre Anſicht finden können,<lb/> müſſen wir offen vor dem Lande die Verantwortung ablehnen<lb/> für den Sprung in den hell erleuchteten Abgrund, wie<lb/> ein conſervativer Redner es genannt hat. (Veifall links.)<lb/> Was den vorliegenden Etat betrifft, ſo wäre zu wünſchen, daß<lb/> nicht nachträglich Forderungen für Militär oder Marine kommen,<lb/> weil dadurch die Etats der Einzelſtaaten verwirrt werden, wegen<lb/> der nachträglichen Erhöhung der Matricularbeiträge. Die einmaligen<lb/> Ausgaben für Landheer und Marine betragen 121 Millionen Mark.<lb/> Seit dem 1. April 1887 ſind zuſammen 949 Millionen Mark be-<lb/> willigt worden, während man 1884—1889 für Eiſenbahnen in<lb/> ganz Deutſchland nur 615 Millionen Mark verwandt hat. (Hört!)<lb/> Es ſcheint, daß man jetzt zu ſchnell Neuerungen herbeiführt, die<lb/> nicht bloß das Nothwendige, ſondern zum Theil auch das nur<lb/> Wünſchenswerthe und Angenchme betreffen. Bemerkenswerth ſind<lb/> die Vorgänge bei der Begebung der Anleihe, ob 3- oder 3 1/2pro-<lb/> centige Papiere richtig ſind, darüber will ich nicht entſcheiden; aber<lb/> der Curs der neuen Anleihe iſt zwei Tage nach der Zeichnung<lb/> unter den Begebungscurs geſunken und hat ihn nicht wie-<lb/> der erreicht; man hat alſo nicht zur feſten Anlage, ſondern<lb/> auf Speculation gezeichnet und die Reichsbank war genö-<lb/> thigt, ihren Discontoſatz zu erhöhen. Man ſagt der un-<lb/> geeignete Moment ſei gewählt worden, weil maßgebende Per-<lb/> ſonen zu ſpät von ihrem Sommeraufenthalt zurückgekehrt ſind.<lb/> Ich weiß das nicht und glaube auch, daß die Regierung ſich einem<lb/> Finanzconſortium gegenüber in einer gewiſſen Zwangslage be-<lb/> fand; aber das iſt kein wünſchenswerther Zuſtand. Wir müſſen<lb/> alle Kürzungen, die ſich anbringen laſſen, verwenden zur Er-<lb/> mäßigung der Anleihen; das iſt überhaupt ein beſſerer Weg, als<lb/> der der Schaffung eines Tilgungsfonds, während man doch immer-<lb/> fort neue Anleihen aufnehmen muß. Große Extraordinarien für<lb/> die Marine und das Reichsheer rufen eine plötzliche Nachfrage<lb/> wach, ſo daß die Induſtrie ihre Abnehmer im Auslande nicht<lb/> mehr befriedigen kann. Wenn dann der Rückſchlag eintritt, dann<lb/> kann man den ausländiſchen Abſatz nicht wieder gewinnen; dann<lb/> müſſen die Arbeiter entlaſſen werden. Die Ausgaben für Schiffs-<lb/> bauten betragen in einem Jahre 5 Millionen Mark mehr, als<lb/> Hr. v. Caprivi als Chef der Admiralität früher für fünf Jahre<lb/> in Ausſicht genommen hatte. Daher auch die große Steigerung<lb/> der Preiſe für Panzerſchiffe. Zu den früher bewilligten Neubauten<lb/> kommen die ſchleunigen Erſatzbauten für „Adler“ und „Eber“ und<lb/> der Bau der überflüſſigen Kaiſerjacht, ferner Torpedoſchiffe. Da muß<lb/> man wirklich fragen, ob man noch neue Bauten in Angriff nehmen ſoll.<lb/> Hr. v. Caprivi meinte ſelbſt, daß die Schiffsbauten nicht ſo eilig ſeien.<lb/> Beſonders groß ſind die Opfer, welche für Caſernenbauten gefordert<lb/> werden, für Preußen allein 90 neue Bauten! Und dazu kommt<lb/> noch eine Reihe von ökonomiſchen Bauten, Dienſtgebäuden,<lb/> Kirchen u. ſ. w. Das neue Pulver ſcheint doppelt ſo viel für<lb/> Uebungszwecke zu koſten als das alte. Dieſe Conſequenz wird<lb/> man, wenn ſie nothwendig iſt, nicht ablehnen können, aber hätte<lb/> man das voraus gewußt, würde man ſich anderen Militärausgaben<lb/> gegenüber kritiſcher verhalten haben; jedenfalls iſt es dringend geboten,<lb/> Alles, was nicht abſolut nothwendig iſt, zur Zeit zurückzuſtellen. Dazu<lb/> gehören die Unterofficiersprämien, welche durchaus keine Folge unſerer<lb/> Heeresverſtärkung ſind. Wenn die Unterofficiere zu Officierdienſten her-<lb/> angezogen werden ſollen, ſo ſollte man einfach Stellen für Feldwebel-<lb/> lieutenants einrichten und dadurch die Avancementsverhältniſſe beſſer<lb/> geſtalten. Die Pferdegelder für Subalternofficiere können wir<lb/> billigen, aber die Rationen für höhere Truppenbefehlshaber<lb/> müſſen viel mehr vermindert werden, als vorgeſchlagen iſt.<lb/> Der Erweiterung der Kriegsſchulen wollen wir nicht widerſprechen,<lb/> aber für neue Unterofficierſchulen und für neue Cadettenſtellen<lb/> können wir grundſätzlich neue Mittel nicht bewilligen. Hr. Miquel<lb/> hat mich aufgefordert, zu zeigen, wo die Ausgaben ermäßigt wer-<lb/> den können. Ich habe gefunden, daß die Vergütung für Eiſen-<lb/> bahnfahrten zu hoch iſt. 13 Pfennig werden für den Kilometer<lb/> gewährt, während der Preis für die zweite Claſſe nur 6.65<lb/> Pfennig iſt und durch die Rückfahrkarten ſich noch ermäßigt. Eine<lb/><cb/> Neiſe von Berlin nach Köln und zurück koſtet dem Reiche 144.50<lb/> Mark, während die Fahrkarte nur 60 M. koſtet. Für Oſtafrika<lb/> werden 3 1/2 Millionen Mark gefordert und trotz der Aufwendung<lb/> von Pulver und Blei haben unſre dortigen Bundesbrüder ſich noch<lb/> nicht civiliſirt. Wiewohl Buſchiri befeitigt iſt, hat ſich der Norden<lb/> noch nicht beruhigt; im Süden iſt noch alles in Unordnung.<lb/> Wenn Oſtafrika hier im Kaiſerhofe oder in der Philhar-<lb/> monie cultivirt werden könnte, würde ich zu der Oſtafrika-<lb/> niſchen Geſellſchaft das größte Vertrauen haben. (Heiterkeit.)<lb/> Den Vertrag, welcher abgeſchloſſen iſt, halte ich materiell und for-<lb/> mell nicht für zuläſſig, weil er die ganze Organiſation feſtlegt und<lb/> dem Reichstag nur die Prüſung der Rechnung geſtattet. Die<lb/> Finanzverhältniſſe des Reichs ſtellen ſich noch günſtiger, als der<lb/> Schatzſecretär geſchildert hat; denn es iſt diesmal kein Fehlbetrag<lb/> zu decken und die Wirkung der Zuckerſteuer kommt erſt jetzt zur<lb/> Geltung. Daher ſind die Ueberweiſungen um 73 Mill. M. über<lb/> den Etat geſtiegen und Preußen arbeitet mit einem Ueberſchuß von<lb/> 102 Millionen Mark. Es iſt doch keine Kleinigkeit, wenn den Ein-<lb/> zelſtaaten in dieſem Jahre 66 Millionen Mark mehr überwieſen<lb/> werden ſollen, und dieſe Rechnung bleibt hinter der Wirklichkeit noch<lb/> weit zurück! Die Zolleinnahmen werden 373 Millionen Mark be-<lb/> tragen, während ſie mit 285 Mill. M. in den Etat eingeſtellt<lb/> ſind. (Hört! links.) Dieſe allzu vorſichtige Aufſtellung der Zölle<lb/> und Verbrauchsſteuern muß naturgemäß Ueberſchüſſe herbei-<lb/> führen; die Veranſchlagung muß richtig geſtellt werden, dann<lb/> können die Einzelſmaten beſſer geſtellt werden. Die Aus-<lb/> gaben für die Invalidenverſicherung und für die ſteigen-<lb/> den Schuldenzinſen ſind ſo gering, daß ſie bei einem<lb/> Etat von 1100 Millionen Mark nicht in Betracht kommen.<lb/> Wir haben keine Veranlaſſung, Steuern auf Borrath zu bewilligen,<lb/> was lediglich alle Reſſorts bewegen wird, ihre Ausgaben zu er-<lb/> höhen; eine ſparſame Finanzpolitik iſt nur möglich, wenn Steuer<lb/> und Ausgabe Zug um Zug feſtgeſtellt werden. Damit iſt unſre<lb/> Stellung zur Zuckerſteuer gegeben. Wir wollen nur die Material-<lb/> ſteuer mit allen Prämien aufheben; ein Ausfall an Reichsein-<lb/> nahmen würde daraus nicht entſtehen, ſondern in Folge der Ver-<lb/> billigung des Zuckers würde die Conſumſteuer den Ausfall decken.<lb/> Das wäre eine wirkliche Reform, nicht bloß eine fiscaliſche Maß-<lb/> regel. Mit der Beſeitigung der Materialſteuer würden die Fabri-<lb/> canten endlich in ſichere Verhältniſſe kommen, während ſie jetzt<lb/> hangen und bangen wegen der Stellung des Reichstages und der<lb/> Regierung zur Frage der Prämien. Aber die Herren ſcheinen<lb/> die Prämien als ein wohlerworbenes Recht zu betrachten.<lb/> (Beifall links.) Die Anknüpfung von Handelsvertragsverhandlungen<lb/> mit Oeſterreich begrüßen wir als einen Anfang allgemeiner Ver-<lb/> tragsverhandlungen, denn die Einführung von Differentialzöllen<lb/> würde mehr den ausländiſchen Importeuren, als den inländiſchen<lb/> Conſumenten zu gute kommen. Die Handelsverträge müſſen dahin<lb/> führen, daß Handel und Induſtrie ſich auf feſte Zollſätze einrichten<lb/> kann. Wir haben in unſerm Antrage die Ermäßigung der Ge-<lb/> treidezölle und die Reviſion des Zolltarifs verlangt. Die Ermäßigung<lb/> der Getreidezölle iſt um ſo dringender nothwendig, als die Preiſe eine<lb/> Höhe erreicht haben, bei welcher man es von conſervativer Seite als<lb/> ſelbſtverſtändlich hinſtellte, daß eine Zollermäßigung eintreten müſſe.<lb/> Die ſchlechte Kartoffelernte hat die Kartoffelpreiſe geſteigert; dazu<lb/> kommt die Steigerung der Fleiſchpreiſe, welche in Berlin eine Ein-<lb/> ſchränkung des Fleiſchverbrauches um 25 Procent herbeigeführt hat.<lb/> Die Viehſperre iſt gemildert worden. Veterinärpolizeiliche Maß-<lb/> regeln billigen wir; aber wir müſſen verlangen, daß die Zölle be-<lb/> ſeitigt werden, daß das Verbot für amerikaniſches Schmalz und<lb/> amerikaniſchen Speck aufgehoben wird, welches nicht in ſanitärem<lb/> Intereſſe, ſondern unter Mißbrauch der Zollordnung zum Schutze<lb/> der Viehzucht der großen Landwirthe erlaſſen worden iſt. Die<lb/> Kohlenpreiſe ſind geſtiegen, die Zeit der ſteigenden Löhne iſt vor-<lb/> über, da ſoll keine Theuerungspolitik weiter geführt werden, im<lb/> Intereſſe einiger Weniger, welche Millionen belaſtet. (Beifall.)<lb/> Je raſcher und entſchiedener der Bruch mit der Zollpolitik des<lb/> Fürſten Bismarck erfolgt, deſto ſegensreicher wird es für das Volk<lb/> ſein. (Lebhafter Beifall links.)</quote></cit></p><lb/> <p>Reichskanzler <hi rendition="#b">v. Caprivi:</hi> <cit><quote>Es iſt nicht meine Abſicht, dem<lb/> Herrn Vorredner auf das Gebiet der Colonialpolitik zu folgen, in-<lb/> dem ich von der Vorausſetzung ausgehe, daß die dunklen Schatten,<lb/> die er auf ſein Bild geworfen hat, ſchon aus dem Haufe ſelbſt<lb/> bei Fortſetzung der Debatte zum großen Theil werden entfernt wer-<lb/> den. Es iſt auch nicht meine Abſicht, ihm auf das Gebiet der<lb/> Zölle, die vielleicht dereinſt geändert werden könnten, zu folgen.<lb/> Ich will mich auf die Bemerkung beſchränken, daß das, was er<lb/> heute ſprach, einen ähnlichen Klang hatte, wie das, was ich wochen-<lb/> lang in der freiſinnigen Preſſe geleſen habe, und ich kann mich<lb/> auf die Verſicherung beſchränken, daß derartige Expectorationen<lb/> nicht geeignet ſind, die Verhandlungen mit fremden Regierungen<lb/> zu erleichtern. (Sehr wahr! rechts.) Auch in Bezug auf das<lb/> Seuchengeſetz nur ein einziges Wort. Die Politik der Beſchrän-<lb/> kung, die wir vom Fürſten Bismarck übernommen haben und die<lb/> den Zweck hat, krankes fremdes Vieh auszuſperren, ſchildert der<lb/> Abg. Richter als eine ſchlechte und begrüßt mit Freuden den gewiſſen<lb/> Nachlaß, der darin eingetreten iſt. Ich weiß nicht, ob er den<lb/> Moment günſtig gewählt, ob er das Telegramm geleſen hat,<lb/> welches geſtern von Beuthen meldete, daß von 107 eingeführten<lb/> ruſſiſchen Schweinen 30 krank geweſen ſind. (Hört! hört; rechts.<lb/> Zuruf links.) Was mich veranlaßt, jetzt das Wort zu nehmen,<lb/> ſind die Aeußerungen, die der Abg. Richter über das Alters- und<lb/> Invaliditätsgeſetz und deſſen Einführung zum 1. Januar ge-<lb/> macht hat. Ich will mich darüber jetzt äußern, da ich glaube,<lb/> daß das eine Specialität des verehrten Abgeordneten iſt, und es<lb/> mir zweifelhaft ſcheint, ob von anderer Seite auf dieſes Thema<lb/> im Laufe der Generaldebatte zurückgekommen werden wird. Der Hr.<lb/> Abgeordnete bemängelt den Beſchluß der Regierungen, den<lb/> 1. Januar als den Termin zu fixiren, an dem das<lb/> Geſetz zur Ausführung kommen ſoll; er bemängelt aber zu-<lb/> gleich das Geſetz ſelbſt, er bezeichnet es als ein Geſetz, welches<lb/> Unzufriedenheit in den weiteſten Kreiſen hervorbringen werde.<lb/> Was das Geſetz ſelbſt angeht, ſo kann ich mich einer Kritik ent-<lb/> halten. Ich bin der entgegengeſetzten Anſicht. Ich glaube, daß<lb/> das Geſetz noch manche Verbeſſerung wird erfahren können, ich<lb/> halte es aber für den erſten Schritt auf einer glücklichen und<lb/> ſegensvollen Baſis. Ich glaube auch, ich brauche das hier nicht<lb/> weiter auszuführen; denn wenn die verbündeten Regierungen<lb/> und dieſes hohe Haus nicht derſelben Anſicht geweſen wären, ſo<lb/> würde dieſes Geſetz nicht Geſetz geworden ſein. (Sehr gut! rechts.<lb/> Bewegung links.) Wir ſind über die Schwierigkeiten, die mit der<lb/> Einführung dieſes Geſetzes verbunden ſind, keinen Augenblick im<lb/> Unklaren geweſen; wir waren namentlich darüber nicht im Zweifel,<lb/> daß die höchſten Anforderungen an die Beamten werden geſtellt<lb/> werden müſſen. Wir ſind aber davor nicht zurückgeſchreckt, wir<lb/> haben dieſe Anforderungen geſtellt, weil wir uns geſagt haben:<lb/> das Geſetz iſt ein ſegensreiches, auf das die Augen von Tauſen-<lb/> den ſchon gerichtet ſind, und wir wollen dieſe Wohl-<lb/> that dem Volke nicht einen Tag ſpäter zutheil werden<lb/> laſſen, als eine abſolute Nothwendigkeit vorliegt. (Bravo! rechts.)<lb/> Der Hr. Abg. Richter hat auf die Möglichkeit und Nothwendigkeit<lb/> einer Verbeſſerung der Lage der Militärinsaliden hingewieſen. Die<lb/> Militärverwaltung wird von ſeinen Worten gern Act nehmen;<lb/><cb/> ich wünſchte aber, er hätte dasſelbe warme Herz für die Invaliden<lb/> der Arbeit, wie er es hier für Invaliden des Heeres gezeigt hat.<lb/> (Sehr gut! rechts.) Dann würde er ſich mit mir freuen, wenn<lb/> der erſte Arbeiter, der erſte Invalide, der erſte Alte nach dem<lb/> 70. Jahre eine Penſion aus dieſem Geſetz bezieht. (Sehr gut!<lb/> rechts.) Dann noch eine kurze Bemerkung. Es hat bei dem Hrn.<lb/> Abg. Richter gemunkelt von ſehr bedeutenden weiteren Forderungen<lb/> für das Militär, er munkelte im vorigen Jahre auch ſo. Ich weiß<lb/> nicht, wo er es her hat, ich kann mich auf die Bemerkung be-<lb/> ſchränken, daß die Quellen, die er in dieſer Veziehung gehabt<lb/> haben muß, ſehr ſchlechte waren; denn es iſt mit einer ſolchen Ver-<lb/> mehrung der Ausgaben für das Heer nichts! (Bravo! rechts und links.)</quote></cit></p><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b">Bebel</hi> begrüßt den Wegfall des Socialiſtengeſetzes,<lb/> wodurch der Kampf mit den geiſtigen Waffen ermöglicht werde:<lb/><cit><quote>Hr. Nichter ſei ja ſchon in die Arena herabgeſtiegen durch die<lb/> Broſchüre über die ſocialdemokratiſchen Irrlehren. Wenn die<lb/> ſocialiſtiſchen Lehren irrig ſind, dann werden die Socialdemokraten<lb/> unterliegen. Die Invalidenverſicherung billigen wir in ihrer<lb/> Ausführung nicht, wohl aber im Princip, ſie iſt ein erſter Schritt<lb/> auf dem richtigen Wege, und die Zeit, wo Hrn. Richters Ideal<lb/> herrſchte, wo das <hi rendition="#aq">Laissez aller</hi> galt, wird nicht mehr wieder-<lb/> kehren. Die auswärtige Politik iſt langweilig geworden, ſagt Hr.<lb/> Richter mit Recht. Es iſt Alles friedlich aber trotzdem macht<lb/> ſich der Militarismus bei uns im Etat ſehr empfindlich bemerklich.<lb/> Redner gibt eine Ueberſicht der in den letzten fünf Jahren für<lb/> Militärzwecke gemachten Ausgaben und hebt hervor, daß dieſe<lb/> Laſten vornehmlich getragen würden von den ärmeren Volksclaſſen,<lb/> welche durch die indirecten Steuern mehr belaſtet ſeien, als die<lb/> Woblhabenden, welche Letztere auch gewiſſe Privilegien genießen.<lb/> Ja ſelbſt die Steuern und Zölle müſſen den beſitzenden Claſſen<lb/> Vortheile bringen, ſo z. B. die Schutzzölle der Eiſeninduſtrie, die<lb/> Zuckerſteuer durch die Prämien den Zuckerbaronen, die Liebes-<lb/> gaben bei der Branntweinſteuer für die Brenner. Für die<lb/> reichen Claſſen wird geforgt, ſie ſorgen für ſich durch die Ringe<lb/> und Truſts; den reichen Leuten werden die Stempelſteuern für die<lb/> Fideicommißſtiftungen erlaſſen, während man ſonſt Hunderte von<lb/> Millionen auf die Schultern der armen Leute legt und durch die<lb/> Getreide- und Fleiſchpreiſe die Arbeiter zwingt, zur minderwerthigen<lb/> Kartoſſel ihre Zuflucht zu nehmen. Solche Zuſtände ſind der<lb/> geeignetſte Nährboden für die Beſtrebungen unſrer Partei. Durch<lb/> die Vorlegung der Geſetze über die Einkommen- und Erbſchaftsſteuer<lb/> hat man den Beweis geliefert, daß die wohlhabenden Claſſen nicht<lb/> hinreichend zur Steuer herangezogen ſind. Aber wenn man denkt,<lb/> daß durch die indirecten Steuern die Arbeiter mit ihren Familien<lb/> bis zu 20 vom Hundert ihres Einkommens belaſtet werden, dann<lb/> iſt die Velaſtung von 3 vom Hundert ſehr niedrig. Die Ausga-<lb/> ben, welche einen Culturfortſchritt hervorzurufen geeignet ſind, werden<lb/> wir bewilligen, die anderen aber ablehnen und ſchließlich auch den<lb/> ganzen Etat verwerfen, weil wir das jetzige Syſtem überhaupt<lb/> nicht billigen. (Beifall bei den Socialdemokraten.)</quote></cit></p><lb/> <p>Nach einer perſönlichen Bemerkung des Abg. <hi rendition="#g">Richter</hi> wird<lb/> die weitere Verhandlung nach 4 Uhr auf Mittwoch 1 Uhr vertagt.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Preußiſcher Landtag.</hi><lb/> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Abgeordnetenhaus.<lb/> Telegramm.</hi> </hi> </head><lb/> <dateline>* <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 9. Dec.</dateline> <p>Auf der Tagesordnung <hi rendition="#b">der</hi> heutigen<lb/> Sitzung ſteht die erſte Berathung des Geſetzentwurfs, betreffend die<lb/><hi rendition="#g">Abänderung der</hi> <hi rendition="#aq">Lex Huene,</hi> welcher für die nächſten beiden<lb/> Etatsjahre je 10 Millionen Mark dem Unterrichtsminiſter zur<lb/> Unterſtützung von Gemeinden bei Volksſchulbauten überweist.</p><lb/> <p>Zur Begründung der Vorlage führt Cultusminiſter <hi rendition="#b">v. Goßler</hi><lb/> aus: <cit><quote>Die Novelle verdanke ihren Urſprung zwar nur dem Volks-<lb/> ſchulgeſetze, aber falls auch letzteres nicht zur Erledigung kommen<lb/> ſollte, ſo würde die Regierung doch für nothwendig halten, die<lb/> Novelle durchzuführen. Es handle ſich in der Hauptſache mehr<lb/> um eine Deckung von Schulden, als um eine Verbeſſerung des<lb/> gegenwärtigen Zuſtandes. Zwar ſei bei Schaſſung der <hi rendition="#aq">Lex Huene</hi><lb/> der Antrag abgelehnt worden, aus den Ueberweiſungen Schul-<lb/> bauten der Gemeinden zu unterſtützen, aber es ſei allgemein der<lb/> Wunſch ausgeſprochen worden, daß die Communalverbände zur<lb/> Errichtung von Schulbauten aus den überwieſenen Mitteln ver-<lb/> anlaßt würden. Ein ſolcher Wunſch reiche aber nicht aus, es<lb/> müſſe daher der Staat durch das Geſetz die Verwendung regeln.</quote></cit></p><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">Dr.</hi> Windthorſt</hi> kann der Vorlage weder Lob ſpenden,<lb/> noch will er ſie völlig verwerfen. Er empfehle Commiſſions-<lb/> berathung.</p><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b">v. Meyer-</hi>Arnswalde iſt mit der Vorlage völlig einver-<lb/> ſtanden, wünſcht aber die Novelle nicht nur auf 2 Jahre, ſondern<lb/> auf die Dauer eingeführt zu ſehen.</p><lb/> <p>Finanzminiſter <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">Dr.</hi> Miquel</hi> erklärt, daß die Schullaſt eine<lb/> vom Staat auferlegte Zwangslaſt ſei und daß deßhalb der Staat<lb/> leiſtungsunfähige Gemeinden unterſtützen müſſe. Die Grundlage<lb/> der <hi rendition="#aq">Lex Huene</hi> ſei durch die Erhöhung der Getreidezölle ſo we-<lb/> ſentlich verſchoben worden, daß jetzt die Gemeinden mehr bekom-<lb/> men, als beabſichtigt war. Deßhalb halte ſich der Staat für be-<lb/> rechtigt, aus den Ueberweiſungen etwas für ſich zu behalten, um<lb/> es leiſtungsunfähigen Gemeinden zu Schulzwecken zuzuwenden.</p><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b">Rickert</hi> ſtimmt der Vorlage unbedingt zu, wünſcht<lb/> aber eine Beſtimmung, durch welche die Verwendung der Gelder<lb/> dem discretionären Ermeſſen des Cultusminiſters entzogen wird.</p><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">Dr.</hi> Sattler</hi> führt aus, daß zwei Bedenken gegen das<lb/> Geſetz vorlägen: Das Bedürfniß nach Schulbauten ſei nicht ge-<lb/> nügend motivirt und die Entnahme des Betrages aus der <hi rendition="#aq">Lex<lb/> Huene</hi> ſei nicht zu billigen. Nach Beſeitigung dieſer Bedenken<lb/> könne er dem Geſetze zuſtimmen.</p><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">Dr.</hi> Arendt</hi> (freiconſ.) ſteht im allgemeinen auf demſelben<lb/> Standpunkt. Er hoffe, daß die Vorlage nicht die Beſeitigung der <hi rendition="#aq">Lex<lb/> Huene</hi> oder die Ermäßigung der Getreidezölle herbeiführen werde.<lb/> Hoffentlich werde der Finanzminiſter den Betrag auch durch An-<lb/> leihe beſchaffen.</p><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b">Graf Limburg-Stirum</hi> (d.-conſ.) erhebt ſchwere Be-<lb/> denken gegen die Vorlage, in welcher er den Nachweis des Bedürfniſſes<lb/> nach ſo vielen Bauten vermiſſe. Auch ſei das Land ſchwer beunruhigt<lb/> durch die Furcht, daß die Regierung der Beſeitigung der <hi rendition="#aq">Lex Huene</hi><lb/> oder der Ermäßigung der Getreidezölle zuſtimmen könne. Er<lb/> wünſcht deßhalb Garantien von der Regierung, daß dies nicht be-<lb/> abſichtigt iſt, und bittet, die Vorlage der Volksſchulcommiſſion zu<lb/> überweiſen.</p><lb/> <p>Finanzminiſter <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">Dr.</hi> Miquel</hi> tritt dem Vorredner entgegen.<lb/> Der Betrag werde der <hi rendition="#aq">Lex Huene</hi> nur für zwei Jahre entnommen.<lb/> Die Entnahme durch den Staat ſei gerechtfertigt in Folge der<lb/> durch die Erhöhung der Getreidezölle vermehrten Ueberweiſungen.<lb/> Auch bleibe man damit innerhalb der Intentionen der <hi rendition="#aq">Lex Huene</hi><lb/> und der preußiſchen Finanztradition, außerordentliche Ausgaben<lb/> durch laufende Einnahmen zu decken.</p><lb/> <p>Die Vorlage wird der Volksſchulcommiſſion überwieſen. Der<lb/><hi rendition="#g">Antrag Schultz-Lupitz</hi> betreffend die <hi rendition="#g">Errichtung einer<lb/> Verſuchsanſtalt</hi> für <hi rendition="#g">Pflanzenſchutz</hi> wird nach der Be-<lb/> gründung durch den Antragſteller der Agrarcommiſſion überwiefen.<lb/> Nächſte Sitzung unbeſtimmt.</p> </div> </div><lb/> </body> </floatingText> </p> </div> </body> </text> </TEI> [6/0006]
München, Mittwoch Augemeine Zeitung 10. December 1890. Zweites Morgenblatt Nr. 342.
von 322,600,000 Mark. Dieſe Matricularumlage ſteht gegen-
über den Ueberweiſungen in Höhe von mehr als 331 Millionen.
Es verbleiben danach den Einzelſtaaten nach dieſem Etat netto etwa
8,700,000 M. Gegenüber den ſchließlichen Zahlen des Etats des lau-
fenden Jahres einſchließlich der Nachtragsetats würden Sie
danach etwas über 12 Millionen beſſer ſtehen, als 1890/91.
Entſtehen nun aber koſtſpielige Ausgaben für die Reichsverwaltung,
ſo iſt zu befürchten, daß die eigenen Einnahmen des Reiches nicht
mehr ausreichen werden und daß mindeſtens eine jede Zuweiſung
an die Einzelſtaaten fortfallen müßte. Eine derartige neue Aus-
gabe finden wir zum erſten Male in dieſem Etat berückſichtigt.
Das ſind die Ausgaben für die Einführung des Invaliditäts- und
Altersverſicherungsgeſetzes. Wenn dieſe Ausgaben ſich in Zukunft
beſonders fühlbar machen werden, dann werden die verbündeten
Regierungen die Nothwendigkeit erkennen müſſen, die eigenen Ein-
nahmen des Reiches zu vermehren. Den größten Theil der Aus-
gaben, welche der Reichscaſſe obliegen, machen die Ausgaben für
die Zwecke der Landesvertheidigung aus. Die Wehrhafterhaltung
des Reiches, die Erhaltung des Friedens, die Fortführung der
ſocialen Geſetzgebung und die Erhaltung des inneren Friedens er-
fordern Ausgaben, für die wir Einnahmen haben müſſen. Solche
Einnahmen werden Sie bewilligen, deſſen bin ich gewiß. Denn
die Ziele, zu deren Erreichung alle Ausgaben und Einnahmen des
Reiches beſtimmt ſind, ſind diejenigen, welche von Männern, die
damals Deutſchlands Namen hochhielten, von den deutſchen
Hanſeaten, als der Zweck ihrer deutſchen Gemeinweſen hingeſtellt
wurden, wenn ſie an das Thor der freien Hauſeſtadt Lübeck
ſchrieben: Concordia domi, foris pax. Eintracht daheim,
draußen Frieden! (Beifall rechts.)
Abg. Richter: Zum crſten Male ſeit dem Kanzlerwechſel
liegt ein vollſtändiger Etat vor und es zeigt ſich: es geht auch
ohne den Fürſten Bismarck, auch in der auswärtigen Politik. Der
Dreibund iſt mehr als ein diplomatiſcher Vertrag. Eine Beſſerung
der auswärtigen Politik iſt zu conſtatiren. Unter dem Fürſten
Bismarck wurde jedes kleine Ereigniß durch die officiöſe Preſſe
aufgebauſcht, als wenn Deutſchlands Grenzen von wilden Völker-
ſchaften bewohnt würden. Dadurch wurde die geſchäſtliche Welt
anfgeregt. Jetzt iſt die auswärtige Politik langweilig geworden.
Ein Inventarſtück der Bismarck’ſchen Politik, das Socialiſtengeſetz,
iſt mit dem 1. October ausgeſchieden worden. Der Reichskanzler
hat conſtatirt, daß die Regierung auch ohne das Geſetz im Stande
ſei, die Ordnung aufrechtzuerhalten, was um ſo angenehmer war,
als wir ſelbſt dieſe Anſicht vertreten haben. Wir hätten
auch den Wegfall der Invalidenverſicherung gern geſehen.
weil dieſelbe auf falſchen Vorſtellungen von der Möglichkeit der
Bekämpfung der Socialdemokratie beruht. Die Bevölkerung und
namentlich diejenigen, für welche das Geſetz beſtimmt iſt, ver-
harren in eiſerner Gleichgültigkeit; ſelbſt diejenigen, die ſofort eine
Altersrente erhalten, ſind ſchwer zu bewegen, ſich die nothwendige
Beſcheinigung zu verſchaffen. Das beweist einen geſunden Sinn
der Bevölkerung, der lebendig genug iſt, um auf Selbſthülfe be-
dacht zu ſein und von der Staatshülfe nichts zu erwarten. Wenn
die Hoffnung auf Staatshülfe ſich feſtſetzt, dann wird dadurch ein
Nährboden geſchaffen für ſocialiſtiſche Ideen. Deßhalb iſt die
Einführung der Invalidenverſicherung ein verhängnißvoller Schritt,
und da wir keine Mehrheit für unſre Anſicht finden können,
müſſen wir offen vor dem Lande die Verantwortung ablehnen
für den Sprung in den hell erleuchteten Abgrund, wie
ein conſervativer Redner es genannt hat. (Veifall links.)
Was den vorliegenden Etat betrifft, ſo wäre zu wünſchen, daß
nicht nachträglich Forderungen für Militär oder Marine kommen,
weil dadurch die Etats der Einzelſtaaten verwirrt werden, wegen
der nachträglichen Erhöhung der Matricularbeiträge. Die einmaligen
Ausgaben für Landheer und Marine betragen 121 Millionen Mark.
Seit dem 1. April 1887 ſind zuſammen 949 Millionen Mark be-
willigt worden, während man 1884—1889 für Eiſenbahnen in
ganz Deutſchland nur 615 Millionen Mark verwandt hat. (Hört!)
Es ſcheint, daß man jetzt zu ſchnell Neuerungen herbeiführt, die
nicht bloß das Nothwendige, ſondern zum Theil auch das nur
Wünſchenswerthe und Angenchme betreffen. Bemerkenswerth ſind
die Vorgänge bei der Begebung der Anleihe, ob 3- oder 3 1/2pro-
centige Papiere richtig ſind, darüber will ich nicht entſcheiden; aber
der Curs der neuen Anleihe iſt zwei Tage nach der Zeichnung
unter den Begebungscurs geſunken und hat ihn nicht wie-
der erreicht; man hat alſo nicht zur feſten Anlage, ſondern
auf Speculation gezeichnet und die Reichsbank war genö-
thigt, ihren Discontoſatz zu erhöhen. Man ſagt der un-
geeignete Moment ſei gewählt worden, weil maßgebende Per-
ſonen zu ſpät von ihrem Sommeraufenthalt zurückgekehrt ſind.
Ich weiß das nicht und glaube auch, daß die Regierung ſich einem
Finanzconſortium gegenüber in einer gewiſſen Zwangslage be-
fand; aber das iſt kein wünſchenswerther Zuſtand. Wir müſſen
alle Kürzungen, die ſich anbringen laſſen, verwenden zur Er-
mäßigung der Anleihen; das iſt überhaupt ein beſſerer Weg, als
der der Schaffung eines Tilgungsfonds, während man doch immer-
fort neue Anleihen aufnehmen muß. Große Extraordinarien für
die Marine und das Reichsheer rufen eine plötzliche Nachfrage
wach, ſo daß die Induſtrie ihre Abnehmer im Auslande nicht
mehr befriedigen kann. Wenn dann der Rückſchlag eintritt, dann
kann man den ausländiſchen Abſatz nicht wieder gewinnen; dann
müſſen die Arbeiter entlaſſen werden. Die Ausgaben für Schiffs-
bauten betragen in einem Jahre 5 Millionen Mark mehr, als
Hr. v. Caprivi als Chef der Admiralität früher für fünf Jahre
in Ausſicht genommen hatte. Daher auch die große Steigerung
der Preiſe für Panzerſchiffe. Zu den früher bewilligten Neubauten
kommen die ſchleunigen Erſatzbauten für „Adler“ und „Eber“ und
der Bau der überflüſſigen Kaiſerjacht, ferner Torpedoſchiffe. Da muß
man wirklich fragen, ob man noch neue Bauten in Angriff nehmen ſoll.
Hr. v. Caprivi meinte ſelbſt, daß die Schiffsbauten nicht ſo eilig ſeien.
Beſonders groß ſind die Opfer, welche für Caſernenbauten gefordert
werden, für Preußen allein 90 neue Bauten! Und dazu kommt
noch eine Reihe von ökonomiſchen Bauten, Dienſtgebäuden,
Kirchen u. ſ. w. Das neue Pulver ſcheint doppelt ſo viel für
Uebungszwecke zu koſten als das alte. Dieſe Conſequenz wird
man, wenn ſie nothwendig iſt, nicht ablehnen können, aber hätte
man das voraus gewußt, würde man ſich anderen Militärausgaben
gegenüber kritiſcher verhalten haben; jedenfalls iſt es dringend geboten,
Alles, was nicht abſolut nothwendig iſt, zur Zeit zurückzuſtellen. Dazu
gehören die Unterofficiersprämien, welche durchaus keine Folge unſerer
Heeresverſtärkung ſind. Wenn die Unterofficiere zu Officierdienſten her-
angezogen werden ſollen, ſo ſollte man einfach Stellen für Feldwebel-
lieutenants einrichten und dadurch die Avancementsverhältniſſe beſſer
geſtalten. Die Pferdegelder für Subalternofficiere können wir
billigen, aber die Rationen für höhere Truppenbefehlshaber
müſſen viel mehr vermindert werden, als vorgeſchlagen iſt.
Der Erweiterung der Kriegsſchulen wollen wir nicht widerſprechen,
aber für neue Unterofficierſchulen und für neue Cadettenſtellen
können wir grundſätzlich neue Mittel nicht bewilligen. Hr. Miquel
hat mich aufgefordert, zu zeigen, wo die Ausgaben ermäßigt wer-
den können. Ich habe gefunden, daß die Vergütung für Eiſen-
bahnfahrten zu hoch iſt. 13 Pfennig werden für den Kilometer
gewährt, während der Preis für die zweite Claſſe nur 6.65
Pfennig iſt und durch die Rückfahrkarten ſich noch ermäßigt. Eine
Neiſe von Berlin nach Köln und zurück koſtet dem Reiche 144.50
Mark, während die Fahrkarte nur 60 M. koſtet. Für Oſtafrika
werden 3 1/2 Millionen Mark gefordert und trotz der Aufwendung
von Pulver und Blei haben unſre dortigen Bundesbrüder ſich noch
nicht civiliſirt. Wiewohl Buſchiri befeitigt iſt, hat ſich der Norden
noch nicht beruhigt; im Süden iſt noch alles in Unordnung.
Wenn Oſtafrika hier im Kaiſerhofe oder in der Philhar-
monie cultivirt werden könnte, würde ich zu der Oſtafrika-
niſchen Geſellſchaft das größte Vertrauen haben. (Heiterkeit.)
Den Vertrag, welcher abgeſchloſſen iſt, halte ich materiell und for-
mell nicht für zuläſſig, weil er die ganze Organiſation feſtlegt und
dem Reichstag nur die Prüſung der Rechnung geſtattet. Die
Finanzverhältniſſe des Reichs ſtellen ſich noch günſtiger, als der
Schatzſecretär geſchildert hat; denn es iſt diesmal kein Fehlbetrag
zu decken und die Wirkung der Zuckerſteuer kommt erſt jetzt zur
Geltung. Daher ſind die Ueberweiſungen um 73 Mill. M. über
den Etat geſtiegen und Preußen arbeitet mit einem Ueberſchuß von
102 Millionen Mark. Es iſt doch keine Kleinigkeit, wenn den Ein-
zelſtaaten in dieſem Jahre 66 Millionen Mark mehr überwieſen
werden ſollen, und dieſe Rechnung bleibt hinter der Wirklichkeit noch
weit zurück! Die Zolleinnahmen werden 373 Millionen Mark be-
tragen, während ſie mit 285 Mill. M. in den Etat eingeſtellt
ſind. (Hört! links.) Dieſe allzu vorſichtige Aufſtellung der Zölle
und Verbrauchsſteuern muß naturgemäß Ueberſchüſſe herbei-
führen; die Veranſchlagung muß richtig geſtellt werden, dann
können die Einzelſmaten beſſer geſtellt werden. Die Aus-
gaben für die Invalidenverſicherung und für die ſteigen-
den Schuldenzinſen ſind ſo gering, daß ſie bei einem
Etat von 1100 Millionen Mark nicht in Betracht kommen.
Wir haben keine Veranlaſſung, Steuern auf Borrath zu bewilligen,
was lediglich alle Reſſorts bewegen wird, ihre Ausgaben zu er-
höhen; eine ſparſame Finanzpolitik iſt nur möglich, wenn Steuer
und Ausgabe Zug um Zug feſtgeſtellt werden. Damit iſt unſre
Stellung zur Zuckerſteuer gegeben. Wir wollen nur die Material-
ſteuer mit allen Prämien aufheben; ein Ausfall an Reichsein-
nahmen würde daraus nicht entſtehen, ſondern in Folge der Ver-
billigung des Zuckers würde die Conſumſteuer den Ausfall decken.
Das wäre eine wirkliche Reform, nicht bloß eine fiscaliſche Maß-
regel. Mit der Beſeitigung der Materialſteuer würden die Fabri-
canten endlich in ſichere Verhältniſſe kommen, während ſie jetzt
hangen und bangen wegen der Stellung des Reichstages und der
Regierung zur Frage der Prämien. Aber die Herren ſcheinen
die Prämien als ein wohlerworbenes Recht zu betrachten.
(Beifall links.) Die Anknüpfung von Handelsvertragsverhandlungen
mit Oeſterreich begrüßen wir als einen Anfang allgemeiner Ver-
tragsverhandlungen, denn die Einführung von Differentialzöllen
würde mehr den ausländiſchen Importeuren, als den inländiſchen
Conſumenten zu gute kommen. Die Handelsverträge müſſen dahin
führen, daß Handel und Induſtrie ſich auf feſte Zollſätze einrichten
kann. Wir haben in unſerm Antrage die Ermäßigung der Ge-
treidezölle und die Reviſion des Zolltarifs verlangt. Die Ermäßigung
der Getreidezölle iſt um ſo dringender nothwendig, als die Preiſe eine
Höhe erreicht haben, bei welcher man es von conſervativer Seite als
ſelbſtverſtändlich hinſtellte, daß eine Zollermäßigung eintreten müſſe.
Die ſchlechte Kartoffelernte hat die Kartoffelpreiſe geſteigert; dazu
kommt die Steigerung der Fleiſchpreiſe, welche in Berlin eine Ein-
ſchränkung des Fleiſchverbrauches um 25 Procent herbeigeführt hat.
Die Viehſperre iſt gemildert worden. Veterinärpolizeiliche Maß-
regeln billigen wir; aber wir müſſen verlangen, daß die Zölle be-
ſeitigt werden, daß das Verbot für amerikaniſches Schmalz und
amerikaniſchen Speck aufgehoben wird, welches nicht in ſanitärem
Intereſſe, ſondern unter Mißbrauch der Zollordnung zum Schutze
der Viehzucht der großen Landwirthe erlaſſen worden iſt. Die
Kohlenpreiſe ſind geſtiegen, die Zeit der ſteigenden Löhne iſt vor-
über, da ſoll keine Theuerungspolitik weiter geführt werden, im
Intereſſe einiger Weniger, welche Millionen belaſtet. (Beifall.)
Je raſcher und entſchiedener der Bruch mit der Zollpolitik des
Fürſten Bismarck erfolgt, deſto ſegensreicher wird es für das Volk
ſein. (Lebhafter Beifall links.)
Reichskanzler v. Caprivi: Es iſt nicht meine Abſicht, dem
Herrn Vorredner auf das Gebiet der Colonialpolitik zu folgen, in-
dem ich von der Vorausſetzung ausgehe, daß die dunklen Schatten,
die er auf ſein Bild geworfen hat, ſchon aus dem Haufe ſelbſt
bei Fortſetzung der Debatte zum großen Theil werden entfernt wer-
den. Es iſt auch nicht meine Abſicht, ihm auf das Gebiet der
Zölle, die vielleicht dereinſt geändert werden könnten, zu folgen.
Ich will mich auf die Bemerkung beſchränken, daß das, was er
heute ſprach, einen ähnlichen Klang hatte, wie das, was ich wochen-
lang in der freiſinnigen Preſſe geleſen habe, und ich kann mich
auf die Verſicherung beſchränken, daß derartige Expectorationen
nicht geeignet ſind, die Verhandlungen mit fremden Regierungen
zu erleichtern. (Sehr wahr! rechts.) Auch in Bezug auf das
Seuchengeſetz nur ein einziges Wort. Die Politik der Beſchrän-
kung, die wir vom Fürſten Bismarck übernommen haben und die
den Zweck hat, krankes fremdes Vieh auszuſperren, ſchildert der
Abg. Richter als eine ſchlechte und begrüßt mit Freuden den gewiſſen
Nachlaß, der darin eingetreten iſt. Ich weiß nicht, ob er den
Moment günſtig gewählt, ob er das Telegramm geleſen hat,
welches geſtern von Beuthen meldete, daß von 107 eingeführten
ruſſiſchen Schweinen 30 krank geweſen ſind. (Hört! hört; rechts.
Zuruf links.) Was mich veranlaßt, jetzt das Wort zu nehmen,
ſind die Aeußerungen, die der Abg. Richter über das Alters- und
Invaliditätsgeſetz und deſſen Einführung zum 1. Januar ge-
macht hat. Ich will mich darüber jetzt äußern, da ich glaube,
daß das eine Specialität des verehrten Abgeordneten iſt, und es
mir zweifelhaft ſcheint, ob von anderer Seite auf dieſes Thema
im Laufe der Generaldebatte zurückgekommen werden wird. Der Hr.
Abgeordnete bemängelt den Beſchluß der Regierungen, den
1. Januar als den Termin zu fixiren, an dem das
Geſetz zur Ausführung kommen ſoll; er bemängelt aber zu-
gleich das Geſetz ſelbſt, er bezeichnet es als ein Geſetz, welches
Unzufriedenheit in den weiteſten Kreiſen hervorbringen werde.
Was das Geſetz ſelbſt angeht, ſo kann ich mich einer Kritik ent-
halten. Ich bin der entgegengeſetzten Anſicht. Ich glaube, daß
das Geſetz noch manche Verbeſſerung wird erfahren können, ich
halte es aber für den erſten Schritt auf einer glücklichen und
ſegensvollen Baſis. Ich glaube auch, ich brauche das hier nicht
weiter auszuführen; denn wenn die verbündeten Regierungen
und dieſes hohe Haus nicht derſelben Anſicht geweſen wären, ſo
würde dieſes Geſetz nicht Geſetz geworden ſein. (Sehr gut! rechts.
Bewegung links.) Wir ſind über die Schwierigkeiten, die mit der
Einführung dieſes Geſetzes verbunden ſind, keinen Augenblick im
Unklaren geweſen; wir waren namentlich darüber nicht im Zweifel,
daß die höchſten Anforderungen an die Beamten werden geſtellt
werden müſſen. Wir ſind aber davor nicht zurückgeſchreckt, wir
haben dieſe Anforderungen geſtellt, weil wir uns geſagt haben:
das Geſetz iſt ein ſegensreiches, auf das die Augen von Tauſen-
den ſchon gerichtet ſind, und wir wollen dieſe Wohl-
that dem Volke nicht einen Tag ſpäter zutheil werden
laſſen, als eine abſolute Nothwendigkeit vorliegt. (Bravo! rechts.)
Der Hr. Abg. Richter hat auf die Möglichkeit und Nothwendigkeit
einer Verbeſſerung der Lage der Militärinsaliden hingewieſen. Die
Militärverwaltung wird von ſeinen Worten gern Act nehmen;
ich wünſchte aber, er hätte dasſelbe warme Herz für die Invaliden
der Arbeit, wie er es hier für Invaliden des Heeres gezeigt hat.
(Sehr gut! rechts.) Dann würde er ſich mit mir freuen, wenn
der erſte Arbeiter, der erſte Invalide, der erſte Alte nach dem
70. Jahre eine Penſion aus dieſem Geſetz bezieht. (Sehr gut!
rechts.) Dann noch eine kurze Bemerkung. Es hat bei dem Hrn.
Abg. Richter gemunkelt von ſehr bedeutenden weiteren Forderungen
für das Militär, er munkelte im vorigen Jahre auch ſo. Ich weiß
nicht, wo er es her hat, ich kann mich auf die Bemerkung be-
ſchränken, daß die Quellen, die er in dieſer Veziehung gehabt
haben muß, ſehr ſchlechte waren; denn es iſt mit einer ſolchen Ver-
mehrung der Ausgaben für das Heer nichts! (Bravo! rechts und links.)
Abg. Bebel begrüßt den Wegfall des Socialiſtengeſetzes,
wodurch der Kampf mit den geiſtigen Waffen ermöglicht werde:
Hr. Nichter ſei ja ſchon in die Arena herabgeſtiegen durch die
Broſchüre über die ſocialdemokratiſchen Irrlehren. Wenn die
ſocialiſtiſchen Lehren irrig ſind, dann werden die Socialdemokraten
unterliegen. Die Invalidenverſicherung billigen wir in ihrer
Ausführung nicht, wohl aber im Princip, ſie iſt ein erſter Schritt
auf dem richtigen Wege, und die Zeit, wo Hrn. Richters Ideal
herrſchte, wo das Laissez aller galt, wird nicht mehr wieder-
kehren. Die auswärtige Politik iſt langweilig geworden, ſagt Hr.
Richter mit Recht. Es iſt Alles friedlich aber trotzdem macht
ſich der Militarismus bei uns im Etat ſehr empfindlich bemerklich.
Redner gibt eine Ueberſicht der in den letzten fünf Jahren für
Militärzwecke gemachten Ausgaben und hebt hervor, daß dieſe
Laſten vornehmlich getragen würden von den ärmeren Volksclaſſen,
welche durch die indirecten Steuern mehr belaſtet ſeien, als die
Woblhabenden, welche Letztere auch gewiſſe Privilegien genießen.
Ja ſelbſt die Steuern und Zölle müſſen den beſitzenden Claſſen
Vortheile bringen, ſo z. B. die Schutzzölle der Eiſeninduſtrie, die
Zuckerſteuer durch die Prämien den Zuckerbaronen, die Liebes-
gaben bei der Branntweinſteuer für die Brenner. Für die
reichen Claſſen wird geforgt, ſie ſorgen für ſich durch die Ringe
und Truſts; den reichen Leuten werden die Stempelſteuern für die
Fideicommißſtiftungen erlaſſen, während man ſonſt Hunderte von
Millionen auf die Schultern der armen Leute legt und durch die
Getreide- und Fleiſchpreiſe die Arbeiter zwingt, zur minderwerthigen
Kartoſſel ihre Zuflucht zu nehmen. Solche Zuſtände ſind der
geeignetſte Nährboden für die Beſtrebungen unſrer Partei. Durch
die Vorlegung der Geſetze über die Einkommen- und Erbſchaftsſteuer
hat man den Beweis geliefert, daß die wohlhabenden Claſſen nicht
hinreichend zur Steuer herangezogen ſind. Aber wenn man denkt,
daß durch die indirecten Steuern die Arbeiter mit ihren Familien
bis zu 20 vom Hundert ihres Einkommens belaſtet werden, dann
iſt die Velaſtung von 3 vom Hundert ſehr niedrig. Die Ausga-
ben, welche einen Culturfortſchritt hervorzurufen geeignet ſind, werden
wir bewilligen, die anderen aber ablehnen und ſchließlich auch den
ganzen Etat verwerfen, weil wir das jetzige Syſtem überhaupt
nicht billigen. (Beifall bei den Socialdemokraten.)
Nach einer perſönlichen Bemerkung des Abg. Richter wird
die weitere Verhandlung nach 4 Uhr auf Mittwoch 1 Uhr vertagt.
Preußiſcher Landtag.
Abgeordnetenhaus.
Telegramm.
* Berlin, 9. Dec. Auf der Tagesordnung der heutigen
Sitzung ſteht die erſte Berathung des Geſetzentwurfs, betreffend die
Abänderung der Lex Huene, welcher für die nächſten beiden
Etatsjahre je 10 Millionen Mark dem Unterrichtsminiſter zur
Unterſtützung von Gemeinden bei Volksſchulbauten überweist.
Zur Begründung der Vorlage führt Cultusminiſter v. Goßler
aus: Die Novelle verdanke ihren Urſprung zwar nur dem Volks-
ſchulgeſetze, aber falls auch letzteres nicht zur Erledigung kommen
ſollte, ſo würde die Regierung doch für nothwendig halten, die
Novelle durchzuführen. Es handle ſich in der Hauptſache mehr
um eine Deckung von Schulden, als um eine Verbeſſerung des
gegenwärtigen Zuſtandes. Zwar ſei bei Schaſſung der Lex Huene
der Antrag abgelehnt worden, aus den Ueberweiſungen Schul-
bauten der Gemeinden zu unterſtützen, aber es ſei allgemein der
Wunſch ausgeſprochen worden, daß die Communalverbände zur
Errichtung von Schulbauten aus den überwieſenen Mitteln ver-
anlaßt würden. Ein ſolcher Wunſch reiche aber nicht aus, es
müſſe daher der Staat durch das Geſetz die Verwendung regeln.
Abg. Dr. Windthorſt kann der Vorlage weder Lob ſpenden,
noch will er ſie völlig verwerfen. Er empfehle Commiſſions-
berathung.
Abg. v. Meyer-Arnswalde iſt mit der Vorlage völlig einver-
ſtanden, wünſcht aber die Novelle nicht nur auf 2 Jahre, ſondern
auf die Dauer eingeführt zu ſehen.
Finanzminiſter Dr. Miquel erklärt, daß die Schullaſt eine
vom Staat auferlegte Zwangslaſt ſei und daß deßhalb der Staat
leiſtungsunfähige Gemeinden unterſtützen müſſe. Die Grundlage
der Lex Huene ſei durch die Erhöhung der Getreidezölle ſo we-
ſentlich verſchoben worden, daß jetzt die Gemeinden mehr bekom-
men, als beabſichtigt war. Deßhalb halte ſich der Staat für be-
rechtigt, aus den Ueberweiſungen etwas für ſich zu behalten, um
es leiſtungsunfähigen Gemeinden zu Schulzwecken zuzuwenden.
Abg. Rickert ſtimmt der Vorlage unbedingt zu, wünſcht
aber eine Beſtimmung, durch welche die Verwendung der Gelder
dem discretionären Ermeſſen des Cultusminiſters entzogen wird.
Abg. Dr. Sattler führt aus, daß zwei Bedenken gegen das
Geſetz vorlägen: Das Bedürfniß nach Schulbauten ſei nicht ge-
nügend motivirt und die Entnahme des Betrages aus der Lex
Huene ſei nicht zu billigen. Nach Beſeitigung dieſer Bedenken
könne er dem Geſetze zuſtimmen.
Abg. Dr. Arendt (freiconſ.) ſteht im allgemeinen auf demſelben
Standpunkt. Er hoffe, daß die Vorlage nicht die Beſeitigung der Lex
Huene oder die Ermäßigung der Getreidezölle herbeiführen werde.
Hoffentlich werde der Finanzminiſter den Betrag auch durch An-
leihe beſchaffen.
Abg. Graf Limburg-Stirum (d.-conſ.) erhebt ſchwere Be-
denken gegen die Vorlage, in welcher er den Nachweis des Bedürfniſſes
nach ſo vielen Bauten vermiſſe. Auch ſei das Land ſchwer beunruhigt
durch die Furcht, daß die Regierung der Beſeitigung der Lex Huene
oder der Ermäßigung der Getreidezölle zuſtimmen könne. Er
wünſcht deßhalb Garantien von der Regierung, daß dies nicht be-
abſichtigt iſt, und bittet, die Vorlage der Volksſchulcommiſſion zu
überweiſen.
Finanzminiſter Dr. Miquel tritt dem Vorredner entgegen.
Der Betrag werde der Lex Huene nur für zwei Jahre entnommen.
Die Entnahme durch den Staat ſei gerechtfertigt in Folge der
durch die Erhöhung der Getreidezölle vermehrten Ueberweiſungen.
Auch bleibe man damit innerhalb der Intentionen der Lex Huene
und der preußiſchen Finanztradition, außerordentliche Ausgaben
durch laufende Einnahmen zu decken.
Die Vorlage wird der Volksſchulcommiſſion überwieſen. Der
Antrag Schultz-Lupitz betreffend die Errichtung einer
Verſuchsanſtalt für Pflanzenſchutz wird nach der Be-
gründung durch den Antragſteller der Agrarcommiſſion überwiefen.
Nächſte Sitzung unbeſtimmt.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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