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Allgemeine Zeitung, Nr. 342, 10. Dezember 1890.

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München, Mittwoch Augemeine Zeitung 10. December 1890. Zweites Morgenblatt Nr. 342.
[Spaltenumbruch] von 322,600,000 Mark. Diese Matricularumlage steht gegen-
über den Ueberweisungen in Höhe von mehr als 331 Millionen.
Es verbleiben danach den Einzelstaaten nach diesem Etat netto etwa
8,700,000 M. Gegenüber den schließlichen Zahlen des Etats des lau-
fenden Jahres einschließlich der Nachtragsetats würden Sie
danach etwas über 12 Millionen besser stehen, als 1890/91.
Entstehen nun aber kostspielige Ausgaben für die Reichsverwaltung,
so ist zu befürchten, daß die eigenen Einnahmen des Reiches nicht
mehr ausreichen werden und daß mindestens eine jede Zuweisung
an die Einzelstaaten fortfallen müßte. Eine derartige neue Aus-
gabe finden wir zum ersten Male in diesem Etat berücksichtigt.
Das sind die Ausgaben für die Einführung des Invaliditäts- und
Altersversicherungsgesetzes. Wenn diese Ausgaben sich in Zukunft
besonders fühlbar machen werden, dann werden die verbündeten
Regierungen die Nothwendigkeit erkennen müssen, die eigenen Ein-
nahmen des Reiches zu vermehren. Den größten Theil der Aus-
gaben, welche der Reichscasse obliegen, machen die Ausgaben für
die Zwecke der Landesvertheidigung aus. Die Wehrhafterhaltung
des Reiches, die Erhaltung des Friedens, die Fortführung der
socialen Gesetzgebung und die Erhaltung des inneren Friedens er-
fordern Ausgaben, für die wir Einnahmen haben müssen. Solche
Einnahmen werden Sie bewilligen, dessen bin ich gewiß. Denn
die Ziele, zu deren Erreichung alle Ausgaben und Einnahmen des
Reiches bestimmt sind, sind diejenigen, welche von Männern, die
damals Deutschlands Namen hochhielten, von den deutschen
Hanseaten, als der Zweck ihrer deutschen Gemeinwesen hingestellt
wurden, wenn sie an das Thor der freien Hausestadt Lübeck
schrieben: Concordia domi, foris pax. Eintracht daheim,
draußen Frieden! (Beifall rechts.)

Abg. Richter: Zum crsten Male seit dem Kanzlerwechsel
liegt ein vollständiger Etat vor und es zeigt sich: es geht auch
ohne den Fürsten Bismarck, auch in der auswärtigen Politik. Der
Dreibund ist mehr als ein diplomatischer Vertrag. Eine Besserung
der auswärtigen Politik ist zu constatiren. Unter dem Fürsten
Bismarck wurde jedes kleine Ereigniß durch die officiöse Presse
aufgebauscht, als wenn Deutschlands Grenzen von wilden Völker-
schaften bewohnt würden. Dadurch wurde die geschästliche Welt
anfgeregt. Jetzt ist die auswärtige Politik langweilig geworden.
Ein Inventarstück der Bismarck'schen Politik, das Socialistengesetz,
ist mit dem 1. October ausgeschieden worden. Der Reichskanzler
hat constatirt, daß die Regierung auch ohne das Gesetz im Stande
sei, die Ordnung aufrechtzuerhalten, was um so angenehmer war,
als wir selbst diese Ansicht vertreten haben. Wir hätten
auch den Wegfall der Invalidenversicherung gern gesehen.
weil dieselbe auf falschen Vorstellungen von der Möglichkeit der
Bekämpfung der Socialdemokratie beruht. Die Bevölkerung und
namentlich diejenigen, für welche das Gesetz bestimmt ist, ver-
harren in eiserner Gleichgültigkeit; selbst diejenigen, die sofort eine
Altersrente erhalten, sind schwer zu bewegen, sich die nothwendige
Bescheinigung zu verschaffen. Das beweist einen gesunden Sinn
der Bevölkerung, der lebendig genug ist, um auf Selbsthülfe be-
dacht zu sein und von der Staatshülfe nichts zu erwarten. Wenn
die Hoffnung auf Staatshülfe sich festsetzt, dann wird dadurch ein
Nährboden geschaffen für socialistische Ideen. Deßhalb ist die
Einführung der Invalidenversicherung ein verhängnißvoller Schritt,
und da wir keine Mehrheit für unsre Ansicht finden können,
müssen wir offen vor dem Lande die Verantwortung ablehnen
für den Sprung in den hell erleuchteten Abgrund, wie
ein conservativer Redner es genannt hat. (Veifall links.)
Was den vorliegenden Etat betrifft, so wäre zu wünschen, daß
nicht nachträglich Forderungen für Militär oder Marine kommen,
weil dadurch die Etats der Einzelstaaten verwirrt werden, wegen
der nachträglichen Erhöhung der Matricularbeiträge. Die einmaligen
Ausgaben für Landheer und Marine betragen 121 Millionen Mark.
Seit dem 1. April 1887 sind zusammen 949 Millionen Mark be-
willigt worden, während man 1884--1889 für Eisenbahnen in
ganz Deutschland nur 615 Millionen Mark verwandt hat. (Hört!)
Es scheint, daß man jetzt zu schnell Neuerungen herbeiführt, die
nicht bloß das Nothwendige, sondern zum Theil auch das nur
Wünschenswerthe und Angenchme betreffen. Bemerkenswerth sind
die Vorgänge bei der Begebung der Anleihe, ob 3- oder 3 1/2pro-
centige Papiere richtig sind, darüber will ich nicht entscheiden; aber
der Curs der neuen Anleihe ist zwei Tage nach der Zeichnung
unter den Begebungscurs gesunken und hat ihn nicht wie-
der erreicht; man hat also nicht zur festen Anlage, sondern
auf Speculation gezeichnet und die Reichsbank war genö-
thigt, ihren Discontosatz zu erhöhen. Man sagt der un-
geeignete Moment sei gewählt worden, weil maßgebende Per-
sonen zu spät von ihrem Sommeraufenthalt zurückgekehrt sind.
Ich weiß das nicht und glaube auch, daß die Regierung sich einem
Finanzconsortium gegenüber in einer gewissen Zwangslage be-
fand; aber das ist kein wünschenswerther Zustand. Wir müssen
alle Kürzungen, die sich anbringen lassen, verwenden zur Er-
mäßigung der Anleihen; das ist überhaupt ein besserer Weg, als
der der Schaffung eines Tilgungsfonds, während man doch immer-
fort neue Anleihen aufnehmen muß. Große Extraordinarien für
die Marine und das Reichsheer rufen eine plötzliche Nachfrage
wach, so daß die Industrie ihre Abnehmer im Auslande nicht
mehr befriedigen kann. Wenn dann der Rückschlag eintritt, dann
kann man den ausländischen Absatz nicht wieder gewinnen; dann
müssen die Arbeiter entlassen werden. Die Ausgaben für Schiffs-
bauten betragen in einem Jahre 5 Millionen Mark mehr, als
Hr. v. Caprivi als Chef der Admiralität früher für fünf Jahre
in Aussicht genommen hatte. Daher auch die große Steigerung
der Preise für Panzerschiffe. Zu den früher bewilligten Neubauten
kommen die schleunigen Ersatzbauten für "Adler" und "Eber" und
der Bau der überflüssigen Kaiserjacht, ferner Torpedoschiffe. Da muß
man wirklich fragen, ob man noch neue Bauten in Angriff nehmen soll.
Hr. v. Caprivi meinte selbst, daß die Schiffsbauten nicht so eilig seien.
Besonders groß sind die Opfer, welche für Casernenbauten gefordert
werden, für Preußen allein 90 neue Bauten! Und dazu kommt
noch eine Reihe von ökonomischen Bauten, Dienstgebäuden,
Kirchen u. s. w. Das neue Pulver scheint doppelt so viel für
Uebungszwecke zu kosten als das alte. Diese Consequenz wird
man, wenn sie nothwendig ist, nicht ablehnen können, aber hätte
man das voraus gewußt, würde man sich anderen Militärausgaben
gegenüber kritischer verhalten haben; jedenfalls ist es dringend geboten,
Alles, was nicht absolut nothwendig ist, zur Zeit zurückzustellen. Dazu
gehören die Unterofficiersprämien, welche durchaus keine Folge unserer
Heeresverstärkung sind. Wenn die Unterofficiere zu Officierdiensten her-
angezogen werden sollen, so sollte man einfach Stellen für Feldwebel-
lieutenants einrichten und dadurch die Avancementsverhältnisse besser
gestalten. Die Pferdegelder für Subalternofficiere können wir
billigen, aber die Rationen für höhere Truppenbefehlshaber
müssen viel mehr vermindert werden, als vorgeschlagen ist.
Der Erweiterung der Kriegsschulen wollen wir nicht widersprechen,
aber für neue Unterofficierschulen und für neue Cadettenstellen
können wir grundsätzlich neue Mittel nicht bewilligen. Hr. Miquel
hat mich aufgefordert, zu zeigen, wo die Ausgaben ermäßigt wer-
den können. Ich habe gefunden, daß die Vergütung für Eisen-
bahnfahrten zu hoch ist. 13 Pfennig werden für den Kilometer
gewährt, während der Preis für die zweite Classe nur 6.65
Pfennig ist und durch die Rückfahrkarten sich noch ermäßigt. Eine
[Spaltenumbruch] Neise von Berlin nach Köln und zurück kostet dem Reiche 144.50
Mark, während die Fahrkarte nur 60 M. kostet. Für Ostafrika
werden 3 1/2 Millionen Mark gefordert und trotz der Aufwendung
von Pulver und Blei haben unsre dortigen Bundesbrüder sich noch
nicht civilisirt. Wiewohl Buschiri befeitigt ist, hat sich der Norden
noch nicht beruhigt; im Süden ist noch alles in Unordnung.
Wenn Ostafrika hier im Kaiserhofe oder in der Philhar-
monie cultivirt werden könnte, würde ich zu der Ostafrika-
nischen Gesellschaft das größte Vertrauen haben. (Heiterkeit.)
Den Vertrag, welcher abgeschlossen ist, halte ich materiell und for-
mell nicht für zulässig, weil er die ganze Organisation festlegt und
dem Reichstag nur die Prüsung der Rechnung gestattet. Die
Finanzverhältnisse des Reichs stellen sich noch günstiger, als der
Schatzsecretär geschildert hat; denn es ist diesmal kein Fehlbetrag
zu decken und die Wirkung der Zuckersteuer kommt erst jetzt zur
Geltung. Daher sind die Ueberweisungen um 73 Mill. M. über
den Etat gestiegen und Preußen arbeitet mit einem Ueberschuß von
102 Millionen Mark. Es ist doch keine Kleinigkeit, wenn den Ein-
zelstaaten in diesem Jahre 66 Millionen Mark mehr überwiesen
werden sollen, und diese Rechnung bleibt hinter der Wirklichkeit noch
weit zurück! Die Zolleinnahmen werden 373 Millionen Mark be-
tragen, während sie mit 285 Mill. M. in den Etat eingestellt
sind. (Hört! links.) Diese allzu vorsichtige Aufstellung der Zölle
und Verbrauchssteuern muß naturgemäß Ueberschüsse herbei-
führen; die Veranschlagung muß richtig gestellt werden, dann
können die Einzelsmaten besser gestellt werden. Die Aus-
gaben für die Invalidenversicherung und für die steigen-
den Schuldenzinsen sind so gering, daß sie bei einem
Etat von 1100 Millionen Mark nicht in Betracht kommen.
Wir haben keine Veranlassung, Steuern auf Borrath zu bewilligen,
was lediglich alle Ressorts bewegen wird, ihre Ausgaben zu er-
höhen; eine sparsame Finanzpolitik ist nur möglich, wenn Steuer
und Ausgabe Zug um Zug festgestellt werden. Damit ist unsre
Stellung zur Zuckersteuer gegeben. Wir wollen nur die Material-
steuer mit allen Prämien aufheben; ein Ausfall an Reichsein-
nahmen würde daraus nicht entstehen, sondern in Folge der Ver-
billigung des Zuckers würde die Consumsteuer den Ausfall decken.
Das wäre eine wirkliche Reform, nicht bloß eine fiscalische Maß-
regel. Mit der Beseitigung der Materialsteuer würden die Fabri-
canten endlich in sichere Verhältnisse kommen, während sie jetzt
hangen und bangen wegen der Stellung des Reichstages und der
Regierung zur Frage der Prämien. Aber die Herren scheinen
die Prämien als ein wohlerworbenes Recht zu betrachten.
(Beifall links.) Die Anknüpfung von Handelsvertragsverhandlungen
mit Oesterreich begrüßen wir als einen Anfang allgemeiner Ver-
tragsverhandlungen, denn die Einführung von Differentialzöllen
würde mehr den ausländischen Importeuren, als den inländischen
Consumenten zu gute kommen. Die Handelsverträge müssen dahin
führen, daß Handel und Industrie sich auf feste Zollsätze einrichten
kann. Wir haben in unserm Antrage die Ermäßigung der Ge-
treidezölle und die Revision des Zolltarifs verlangt. Die Ermäßigung
der Getreidezölle ist um so dringender nothwendig, als die Preise eine
Höhe erreicht haben, bei welcher man es von conservativer Seite als
selbstverständlich hinstellte, daß eine Zollermäßigung eintreten müsse.
Die schlechte Kartoffelernte hat die Kartoffelpreise gesteigert; dazu
kommt die Steigerung der Fleischpreise, welche in Berlin eine Ein-
schränkung des Fleischverbrauches um 25 Procent herbeigeführt hat.
Die Viehsperre ist gemildert worden. Veterinärpolizeiliche Maß-
regeln billigen wir; aber wir müssen verlangen, daß die Zölle be-
seitigt werden, daß das Verbot für amerikanisches Schmalz und
amerikanischen Speck aufgehoben wird, welches nicht in sanitärem
Interesse, sondern unter Mißbrauch der Zollordnung zum Schutze
der Viehzucht der großen Landwirthe erlassen worden ist. Die
Kohlenpreise sind gestiegen, die Zeit der steigenden Löhne ist vor-
über, da soll keine Theuerungspolitik weiter geführt werden, im
Interesse einiger Weniger, welche Millionen belastet. (Beifall.)
Je rascher und entschiedener der Bruch mit der Zollpolitik des
Fürsten Bismarck erfolgt, desto segensreicher wird es für das Volk
sein. (Lebhafter Beifall links.)

Reichskanzler v. Caprivi: Es ist nicht meine Absicht, dem
Herrn Vorredner auf das Gebiet der Colonialpolitik zu folgen, in-
dem ich von der Voraussetzung ausgehe, daß die dunklen Schatten,
die er auf sein Bild geworfen hat, schon aus dem Haufe selbst
bei Fortsetzung der Debatte zum großen Theil werden entfernt wer-
den. Es ist auch nicht meine Absicht, ihm auf das Gebiet der
Zölle, die vielleicht dereinst geändert werden könnten, zu folgen.
Ich will mich auf die Bemerkung beschränken, daß das, was er
heute sprach, einen ähnlichen Klang hatte, wie das, was ich wochen-
lang in der freisinnigen Presse gelesen habe, und ich kann mich
auf die Versicherung beschränken, daß derartige Expectorationen
nicht geeignet sind, die Verhandlungen mit fremden Regierungen
zu erleichtern. (Sehr wahr! rechts.) Auch in Bezug auf das
Seuchengesetz nur ein einziges Wort. Die Politik der Beschrän-
kung, die wir vom Fürsten Bismarck übernommen haben und die
den Zweck hat, krankes fremdes Vieh auszusperren, schildert der
Abg. Richter als eine schlechte und begrüßt mit Freuden den gewissen
Nachlaß, der darin eingetreten ist. Ich weiß nicht, ob er den
Moment günstig gewählt, ob er das Telegramm gelesen hat,
welches gestern von Beuthen meldete, daß von 107 eingeführten
russischen Schweinen 30 krank gewesen sind. (Hört! hört; rechts.
Zuruf links.) Was mich veranlaßt, jetzt das Wort zu nehmen,
sind die Aeußerungen, die der Abg. Richter über das Alters- und
Invaliditätsgesetz und dessen Einführung zum 1. Januar ge-
macht hat. Ich will mich darüber jetzt äußern, da ich glaube,
daß das eine Specialität des verehrten Abgeordneten ist, und es
mir zweifelhaft scheint, ob von anderer Seite auf dieses Thema
im Laufe der Generaldebatte zurückgekommen werden wird. Der Hr.
Abgeordnete bemängelt den Beschluß der Regierungen, den
1. Januar als den Termin zu fixiren, an dem das
Gesetz zur Ausführung kommen soll; er bemängelt aber zu-
gleich das Gesetz selbst, er bezeichnet es als ein Gesetz, welches
Unzufriedenheit in den weitesten Kreisen hervorbringen werde.
Was das Gesetz selbst angeht, so kann ich mich einer Kritik ent-
halten. Ich bin der entgegengesetzten Ansicht. Ich glaube, daß
das Gesetz noch manche Verbesserung wird erfahren können, ich
halte es aber für den ersten Schritt auf einer glücklichen und
segensvollen Basis. Ich glaube auch, ich brauche das hier nicht
weiter auszuführen; denn wenn die verbündeten Regierungen
und dieses hohe Haus nicht derselben Ansicht gewesen wären, so
würde dieses Gesetz nicht Gesetz geworden sein. (Sehr gut! rechts.
Bewegung links.) Wir sind über die Schwierigkeiten, die mit der
Einführung dieses Gesetzes verbunden sind, keinen Augenblick im
Unklaren gewesen; wir waren namentlich darüber nicht im Zweifel,
daß die höchsten Anforderungen an die Beamten werden gestellt
werden müssen. Wir sind aber davor nicht zurückgeschreckt, wir
haben diese Anforderungen gestellt, weil wir uns gesagt haben:
das Gesetz ist ein segensreiches, auf das die Augen von Tausen-
den schon gerichtet sind, und wir wollen diese Wohl-
that dem Volke nicht einen Tag später zutheil werden
lassen, als eine absolute Nothwendigkeit vorliegt. (Bravo! rechts.)
Der Hr. Abg. Richter hat auf die Möglichkeit und Nothwendigkeit
einer Verbesserung der Lage der Militärinsaliden hingewiesen. Die
Militärverwaltung wird von seinen Worten gern Act nehmen;
[Spaltenumbruch] ich wünschte aber, er hätte dasselbe warme Herz für die Invaliden
der Arbeit, wie er es hier für Invaliden des Heeres gezeigt hat.
(Sehr gut! rechts.) Dann würde er sich mit mir freuen, wenn
der erste Arbeiter, der erste Invalide, der erste Alte nach dem
70. Jahre eine Pension aus diesem Gesetz bezieht. (Sehr gut!
rechts.) Dann noch eine kurze Bemerkung. Es hat bei dem Hrn.
Abg. Richter gemunkelt von sehr bedeutenden weiteren Forderungen
für das Militär, er munkelte im vorigen Jahre auch so. Ich weiß
nicht, wo er es her hat, ich kann mich auf die Bemerkung be-
schränken, daß die Quellen, die er in dieser Veziehung gehabt
haben muß, sehr schlechte waren; denn es ist mit einer solchen Ver-
mehrung der Ausgaben für das Heer nichts! (Bravo! rechts und links.)

Abg. Bebel begrüßt den Wegfall des Socialistengesetzes,
wodurch der Kampf mit den geistigen Waffen ermöglicht werde:
Hr. Nichter sei ja schon in die Arena herabgestiegen durch die
Broschüre über die socialdemokratischen Irrlehren. Wenn die
socialistischen Lehren irrig sind, dann werden die Socialdemokraten
unterliegen. Die Invalidenversicherung billigen wir in ihrer
Ausführung nicht, wohl aber im Princip, sie ist ein erster Schritt
auf dem richtigen Wege, und die Zeit, wo Hrn. Richters Ideal
herrschte, wo das Laissez aller galt, wird nicht mehr wieder-
kehren. Die auswärtige Politik ist langweilig geworden, sagt Hr.
Richter mit Recht. Es ist Alles friedlich aber trotzdem macht
sich der Militarismus bei uns im Etat sehr empfindlich bemerklich.
Redner gibt eine Uebersicht der in den letzten fünf Jahren für
Militärzwecke gemachten Ausgaben und hebt hervor, daß diese
Lasten vornehmlich getragen würden von den ärmeren Volksclassen,
welche durch die indirecten Steuern mehr belastet seien, als die
Woblhabenden, welche Letztere auch gewisse Privilegien genießen.
Ja selbst die Steuern und Zölle müssen den besitzenden Classen
Vortheile bringen, so z. B. die Schutzzölle der Eisenindustrie, die
Zuckersteuer durch die Prämien den Zuckerbaronen, die Liebes-
gaben bei der Branntweinsteuer für die Brenner. Für die
reichen Classen wird geforgt, sie sorgen für sich durch die Ringe
und Trusts; den reichen Leuten werden die Stempelsteuern für die
Fideicommißstiftungen erlassen, während man sonst Hunderte von
Millionen auf die Schultern der armen Leute legt und durch die
Getreide- und Fleischpreise die Arbeiter zwingt, zur minderwerthigen
Kartossel ihre Zuflucht zu nehmen. Solche Zustände sind der
geeignetste Nährboden für die Bestrebungen unsrer Partei. Durch
die Vorlegung der Gesetze über die Einkommen- und Erbschaftssteuer
hat man den Beweis geliefert, daß die wohlhabenden Classen nicht
hinreichend zur Steuer herangezogen sind. Aber wenn man denkt,
daß durch die indirecten Steuern die Arbeiter mit ihren Familien
bis zu 20 vom Hundert ihres Einkommens belastet werden, dann
ist die Velastung von 3 vom Hundert sehr niedrig. Die Ausga-
ben, welche einen Culturfortschritt hervorzurufen geeignet sind, werden
wir bewilligen, die anderen aber ablehnen und schließlich auch den
ganzen Etat verwerfen, weil wir das jetzige System überhaupt
nicht billigen. (Beifall bei den Socialdemokraten.)

Nach einer persönlichen Bemerkung des Abg. Richter wird
die weitere Verhandlung nach 4 Uhr auf Mittwoch 1 Uhr vertagt.



Preußischer Landtag.
Abgeordnetenhaus.
Telegramm.

Auf der Tagesordnung der heutigen
Sitzung steht die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die
Abänderung der Lex Huene, welcher für die nächsten beiden
Etatsjahre je 10 Millionen Mark dem Unterrichtsminister zur
Unterstützung von Gemeinden bei Volksschulbauten überweist.

Zur Begründung der Vorlage führt Cultusminister v. Goßler
aus: Die Novelle verdanke ihren Ursprung zwar nur dem Volks-
schulgesetze, aber falls auch letzteres nicht zur Erledigung kommen
sollte, so würde die Regierung doch für nothwendig halten, die
Novelle durchzuführen. Es handle sich in der Hauptsache mehr
um eine Deckung von Schulden, als um eine Verbesserung des
gegenwärtigen Zustandes. Zwar sei bei Schassung der Lex Huene
der Antrag abgelehnt worden, aus den Ueberweisungen Schul-
bauten der Gemeinden zu unterstützen, aber es sei allgemein der
Wunsch ausgesprochen worden, daß die Communalverbände zur
Errichtung von Schulbauten aus den überwiesenen Mitteln ver-
anlaßt würden. Ein solcher Wunsch reiche aber nicht aus, es
müsse daher der Staat durch das Gesetz die Verwendung regeln.

Abg. Dr. Windthorst kann der Vorlage weder Lob spenden,
noch will er sie völlig verwerfen. Er empfehle Commissions-
berathung.

Abg. v. Meyer-Arnswalde ist mit der Vorlage völlig einver-
standen, wünscht aber die Novelle nicht nur auf 2 Jahre, sondern
auf die Dauer eingeführt zu sehen.

Finanzminister Dr. Miquel erklärt, daß die Schullast eine
vom Staat auferlegte Zwangslast sei und daß deßhalb der Staat
leistungsunfähige Gemeinden unterstützen müsse. Die Grundlage
der Lex Huene sei durch die Erhöhung der Getreidezölle so we-
sentlich verschoben worden, daß jetzt die Gemeinden mehr bekom-
men, als beabsichtigt war. Deßhalb halte sich der Staat für be-
rechtigt, aus den Ueberweisungen etwas für sich zu behalten, um
es leistungsunfähigen Gemeinden zu Schulzwecken zuzuwenden.

Abg. Rickert stimmt der Vorlage unbedingt zu, wünscht
aber eine Bestimmung, durch welche die Verwendung der Gelder
dem discretionären Ermessen des Cultusministers entzogen wird.

Abg. Dr. Sattler führt aus, daß zwei Bedenken gegen das
Gesetz vorlägen: Das Bedürfniß nach Schulbauten sei nicht ge-
nügend motivirt und die Entnahme des Betrages aus der Lex
Huene
sei nicht zu billigen. Nach Beseitigung dieser Bedenken
könne er dem Gesetze zustimmen.

Abg. Dr. Arendt (freicons.) steht im allgemeinen auf demselben
Standpunkt. Er hoffe, daß die Vorlage nicht die Beseitigung der Lex
Huene
oder die Ermäßigung der Getreidezölle herbeiführen werde.
Hoffentlich werde der Finanzminister den Betrag auch durch An-
leihe beschaffen.

Abg. Graf Limburg-Stirum (d.-cons.) erhebt schwere Be-
denken gegen die Vorlage, in welcher er den Nachweis des Bedürfnisses
nach so vielen Bauten vermisse. Auch sei das Land schwer beunruhigt
durch die Furcht, daß die Regierung der Beseitigung der Lex Huene
oder der Ermäßigung der Getreidezölle zustimmen könne. Er
wünscht deßhalb Garantien von der Regierung, daß dies nicht be-
absichtigt ist, und bittet, die Vorlage der Volksschulcommission zu
überweisen.

Finanzminister Dr. Miquel tritt dem Vorredner entgegen.
Der Betrag werde der Lex Huene nur für zwei Jahre entnommen.
Die Entnahme durch den Staat sei gerechtfertigt in Folge der
durch die Erhöhung der Getreidezölle vermehrten Ueberweisungen.
Auch bleibe man damit innerhalb der Intentionen der Lex Huene
und der preußischen Finanztradition, außerordentliche Ausgaben
durch laufende Einnahmen zu decken.

Die Vorlage wird der Volksschulcommission überwiesen. Der
Antrag Schultz-Lupitz betreffend die Errichtung einer
Versuchsanstalt
für Pflanzenschutz wird nach der Be-
gründung durch den Antragsteller der Agrarcommission überwiefen.
Nächste Sitzung unbestimmt.

München, Mittwoch Augemeine Zeitung 10. December 1890. Zweites Morgenblatt Nr. 342.
[Spaltenumbruch] von 322,600,000 Mark. Dieſe Matricularumlage ſteht gegen-
über den Ueberweiſungen in Höhe von mehr als 331 Millionen.
Es verbleiben danach den Einzelſtaaten nach dieſem Etat netto etwa
8,700,000 M. Gegenüber den ſchließlichen Zahlen des Etats des lau-
fenden Jahres einſchließlich der Nachtragsetats würden Sie
danach etwas über 12 Millionen beſſer ſtehen, als 1890/91.
Entſtehen nun aber koſtſpielige Ausgaben für die Reichsverwaltung,
ſo iſt zu befürchten, daß die eigenen Einnahmen des Reiches nicht
mehr ausreichen werden und daß mindeſtens eine jede Zuweiſung
an die Einzelſtaaten fortfallen müßte. Eine derartige neue Aus-
gabe finden wir zum erſten Male in dieſem Etat berückſichtigt.
Das ſind die Ausgaben für die Einführung des Invaliditäts- und
Altersverſicherungsgeſetzes. Wenn dieſe Ausgaben ſich in Zukunft
beſonders fühlbar machen werden, dann werden die verbündeten
Regierungen die Nothwendigkeit erkennen müſſen, die eigenen Ein-
nahmen des Reiches zu vermehren. Den größten Theil der Aus-
gaben, welche der Reichscaſſe obliegen, machen die Ausgaben für
die Zwecke der Landesvertheidigung aus. Die Wehrhafterhaltung
des Reiches, die Erhaltung des Friedens, die Fortführung der
ſocialen Geſetzgebung und die Erhaltung des inneren Friedens er-
fordern Ausgaben, für die wir Einnahmen haben müſſen. Solche
Einnahmen werden Sie bewilligen, deſſen bin ich gewiß. Denn
die Ziele, zu deren Erreichung alle Ausgaben und Einnahmen des
Reiches beſtimmt ſind, ſind diejenigen, welche von Männern, die
damals Deutſchlands Namen hochhielten, von den deutſchen
Hanſeaten, als der Zweck ihrer deutſchen Gemeinweſen hingeſtellt
wurden, wenn ſie an das Thor der freien Hauſeſtadt Lübeck
ſchrieben: Concordia domi, foris pax. Eintracht daheim,
draußen Frieden! (Beifall rechts.)

Abg. Richter: Zum crſten Male ſeit dem Kanzlerwechſel
liegt ein vollſtändiger Etat vor und es zeigt ſich: es geht auch
ohne den Fürſten Bismarck, auch in der auswärtigen Politik. Der
Dreibund iſt mehr als ein diplomatiſcher Vertrag. Eine Beſſerung
der auswärtigen Politik iſt zu conſtatiren. Unter dem Fürſten
Bismarck wurde jedes kleine Ereigniß durch die officiöſe Preſſe
aufgebauſcht, als wenn Deutſchlands Grenzen von wilden Völker-
ſchaften bewohnt würden. Dadurch wurde die geſchäſtliche Welt
anfgeregt. Jetzt iſt die auswärtige Politik langweilig geworden.
Ein Inventarſtück der Bismarck’ſchen Politik, das Socialiſtengeſetz,
iſt mit dem 1. October ausgeſchieden worden. Der Reichskanzler
hat conſtatirt, daß die Regierung auch ohne das Geſetz im Stande
ſei, die Ordnung aufrechtzuerhalten, was um ſo angenehmer war,
als wir ſelbſt dieſe Anſicht vertreten haben. Wir hätten
auch den Wegfall der Invalidenverſicherung gern geſehen.
weil dieſelbe auf falſchen Vorſtellungen von der Möglichkeit der
Bekämpfung der Socialdemokratie beruht. Die Bevölkerung und
namentlich diejenigen, für welche das Geſetz beſtimmt iſt, ver-
harren in eiſerner Gleichgültigkeit; ſelbſt diejenigen, die ſofort eine
Altersrente erhalten, ſind ſchwer zu bewegen, ſich die nothwendige
Beſcheinigung zu verſchaffen. Das beweist einen geſunden Sinn
der Bevölkerung, der lebendig genug iſt, um auf Selbſthülfe be-
dacht zu ſein und von der Staatshülfe nichts zu erwarten. Wenn
die Hoffnung auf Staatshülfe ſich feſtſetzt, dann wird dadurch ein
Nährboden geſchaffen für ſocialiſtiſche Ideen. Deßhalb iſt die
Einführung der Invalidenverſicherung ein verhängnißvoller Schritt,
und da wir keine Mehrheit für unſre Anſicht finden können,
müſſen wir offen vor dem Lande die Verantwortung ablehnen
für den Sprung in den hell erleuchteten Abgrund, wie
ein conſervativer Redner es genannt hat. (Veifall links.)
Was den vorliegenden Etat betrifft, ſo wäre zu wünſchen, daß
nicht nachträglich Forderungen für Militär oder Marine kommen,
weil dadurch die Etats der Einzelſtaaten verwirrt werden, wegen
der nachträglichen Erhöhung der Matricularbeiträge. Die einmaligen
Ausgaben für Landheer und Marine betragen 121 Millionen Mark.
Seit dem 1. April 1887 ſind zuſammen 949 Millionen Mark be-
willigt worden, während man 1884—1889 für Eiſenbahnen in
ganz Deutſchland nur 615 Millionen Mark verwandt hat. (Hört!)
Es ſcheint, daß man jetzt zu ſchnell Neuerungen herbeiführt, die
nicht bloß das Nothwendige, ſondern zum Theil auch das nur
Wünſchenswerthe und Angenchme betreffen. Bemerkenswerth ſind
die Vorgänge bei der Begebung der Anleihe, ob 3- oder 3 1/2pro-
centige Papiere richtig ſind, darüber will ich nicht entſcheiden; aber
der Curs der neuen Anleihe iſt zwei Tage nach der Zeichnung
unter den Begebungscurs geſunken und hat ihn nicht wie-
der erreicht; man hat alſo nicht zur feſten Anlage, ſondern
auf Speculation gezeichnet und die Reichsbank war genö-
thigt, ihren Discontoſatz zu erhöhen. Man ſagt der un-
geeignete Moment ſei gewählt worden, weil maßgebende Per-
ſonen zu ſpät von ihrem Sommeraufenthalt zurückgekehrt ſind.
Ich weiß das nicht und glaube auch, daß die Regierung ſich einem
Finanzconſortium gegenüber in einer gewiſſen Zwangslage be-
fand; aber das iſt kein wünſchenswerther Zuſtand. Wir müſſen
alle Kürzungen, die ſich anbringen laſſen, verwenden zur Er-
mäßigung der Anleihen; das iſt überhaupt ein beſſerer Weg, als
der der Schaffung eines Tilgungsfonds, während man doch immer-
fort neue Anleihen aufnehmen muß. Große Extraordinarien für
die Marine und das Reichsheer rufen eine plötzliche Nachfrage
wach, ſo daß die Induſtrie ihre Abnehmer im Auslande nicht
mehr befriedigen kann. Wenn dann der Rückſchlag eintritt, dann
kann man den ausländiſchen Abſatz nicht wieder gewinnen; dann
müſſen die Arbeiter entlaſſen werden. Die Ausgaben für Schiffs-
bauten betragen in einem Jahre 5 Millionen Mark mehr, als
Hr. v. Caprivi als Chef der Admiralität früher für fünf Jahre
in Ausſicht genommen hatte. Daher auch die große Steigerung
der Preiſe für Panzerſchiffe. Zu den früher bewilligten Neubauten
kommen die ſchleunigen Erſatzbauten für „Adler“ und „Eber“ und
der Bau der überflüſſigen Kaiſerjacht, ferner Torpedoſchiffe. Da muß
man wirklich fragen, ob man noch neue Bauten in Angriff nehmen ſoll.
Hr. v. Caprivi meinte ſelbſt, daß die Schiffsbauten nicht ſo eilig ſeien.
Beſonders groß ſind die Opfer, welche für Caſernenbauten gefordert
werden, für Preußen allein 90 neue Bauten! Und dazu kommt
noch eine Reihe von ökonomiſchen Bauten, Dienſtgebäuden,
Kirchen u. ſ. w. Das neue Pulver ſcheint doppelt ſo viel für
Uebungszwecke zu koſten als das alte. Dieſe Conſequenz wird
man, wenn ſie nothwendig iſt, nicht ablehnen können, aber hätte
man das voraus gewußt, würde man ſich anderen Militärausgaben
gegenüber kritiſcher verhalten haben; jedenfalls iſt es dringend geboten,
Alles, was nicht abſolut nothwendig iſt, zur Zeit zurückzuſtellen. Dazu
gehören die Unterofficiersprämien, welche durchaus keine Folge unſerer
Heeresverſtärkung ſind. Wenn die Unterofficiere zu Officierdienſten her-
angezogen werden ſollen, ſo ſollte man einfach Stellen für Feldwebel-
lieutenants einrichten und dadurch die Avancementsverhältniſſe beſſer
geſtalten. Die Pferdegelder für Subalternofficiere können wir
billigen, aber die Rationen für höhere Truppenbefehlshaber
müſſen viel mehr vermindert werden, als vorgeſchlagen iſt.
Der Erweiterung der Kriegsſchulen wollen wir nicht widerſprechen,
aber für neue Unterofficierſchulen und für neue Cadettenſtellen
können wir grundſätzlich neue Mittel nicht bewilligen. Hr. Miquel
hat mich aufgefordert, zu zeigen, wo die Ausgaben ermäßigt wer-
den können. Ich habe gefunden, daß die Vergütung für Eiſen-
bahnfahrten zu hoch iſt. 13 Pfennig werden für den Kilometer
gewährt, während der Preis für die zweite Claſſe nur 6.65
Pfennig iſt und durch die Rückfahrkarten ſich noch ermäßigt. Eine
[Spaltenumbruch] Neiſe von Berlin nach Köln und zurück koſtet dem Reiche 144.50
Mark, während die Fahrkarte nur 60 M. koſtet. Für Oſtafrika
werden 3 1/2 Millionen Mark gefordert und trotz der Aufwendung
von Pulver und Blei haben unſre dortigen Bundesbrüder ſich noch
nicht civiliſirt. Wiewohl Buſchiri befeitigt iſt, hat ſich der Norden
noch nicht beruhigt; im Süden iſt noch alles in Unordnung.
Wenn Oſtafrika hier im Kaiſerhofe oder in der Philhar-
monie cultivirt werden könnte, würde ich zu der Oſtafrika-
niſchen Geſellſchaft das größte Vertrauen haben. (Heiterkeit.)
Den Vertrag, welcher abgeſchloſſen iſt, halte ich materiell und for-
mell nicht für zuläſſig, weil er die ganze Organiſation feſtlegt und
dem Reichstag nur die Prüſung der Rechnung geſtattet. Die
Finanzverhältniſſe des Reichs ſtellen ſich noch günſtiger, als der
Schatzſecretär geſchildert hat; denn es iſt diesmal kein Fehlbetrag
zu decken und die Wirkung der Zuckerſteuer kommt erſt jetzt zur
Geltung. Daher ſind die Ueberweiſungen um 73 Mill. M. über
den Etat geſtiegen und Preußen arbeitet mit einem Ueberſchuß von
102 Millionen Mark. Es iſt doch keine Kleinigkeit, wenn den Ein-
zelſtaaten in dieſem Jahre 66 Millionen Mark mehr überwieſen
werden ſollen, und dieſe Rechnung bleibt hinter der Wirklichkeit noch
weit zurück! Die Zolleinnahmen werden 373 Millionen Mark be-
tragen, während ſie mit 285 Mill. M. in den Etat eingeſtellt
ſind. (Hört! links.) Dieſe allzu vorſichtige Aufſtellung der Zölle
und Verbrauchsſteuern muß naturgemäß Ueberſchüſſe herbei-
führen; die Veranſchlagung muß richtig geſtellt werden, dann
können die Einzelſmaten beſſer geſtellt werden. Die Aus-
gaben für die Invalidenverſicherung und für die ſteigen-
den Schuldenzinſen ſind ſo gering, daß ſie bei einem
Etat von 1100 Millionen Mark nicht in Betracht kommen.
Wir haben keine Veranlaſſung, Steuern auf Borrath zu bewilligen,
was lediglich alle Reſſorts bewegen wird, ihre Ausgaben zu er-
höhen; eine ſparſame Finanzpolitik iſt nur möglich, wenn Steuer
und Ausgabe Zug um Zug feſtgeſtellt werden. Damit iſt unſre
Stellung zur Zuckerſteuer gegeben. Wir wollen nur die Material-
ſteuer mit allen Prämien aufheben; ein Ausfall an Reichsein-
nahmen würde daraus nicht entſtehen, ſondern in Folge der Ver-
billigung des Zuckers würde die Conſumſteuer den Ausfall decken.
Das wäre eine wirkliche Reform, nicht bloß eine fiscaliſche Maß-
regel. Mit der Beſeitigung der Materialſteuer würden die Fabri-
canten endlich in ſichere Verhältniſſe kommen, während ſie jetzt
hangen und bangen wegen der Stellung des Reichstages und der
Regierung zur Frage der Prämien. Aber die Herren ſcheinen
die Prämien als ein wohlerworbenes Recht zu betrachten.
(Beifall links.) Die Anknüpfung von Handelsvertragsverhandlungen
mit Oeſterreich begrüßen wir als einen Anfang allgemeiner Ver-
tragsverhandlungen, denn die Einführung von Differentialzöllen
würde mehr den ausländiſchen Importeuren, als den inländiſchen
Conſumenten zu gute kommen. Die Handelsverträge müſſen dahin
führen, daß Handel und Induſtrie ſich auf feſte Zollſätze einrichten
kann. Wir haben in unſerm Antrage die Ermäßigung der Ge-
treidezölle und die Reviſion des Zolltarifs verlangt. Die Ermäßigung
der Getreidezölle iſt um ſo dringender nothwendig, als die Preiſe eine
Höhe erreicht haben, bei welcher man es von conſervativer Seite als
ſelbſtverſtändlich hinſtellte, daß eine Zollermäßigung eintreten müſſe.
Die ſchlechte Kartoffelernte hat die Kartoffelpreiſe geſteigert; dazu
kommt die Steigerung der Fleiſchpreiſe, welche in Berlin eine Ein-
ſchränkung des Fleiſchverbrauches um 25 Procent herbeigeführt hat.
Die Viehſperre iſt gemildert worden. Veterinärpolizeiliche Maß-
regeln billigen wir; aber wir müſſen verlangen, daß die Zölle be-
ſeitigt werden, daß das Verbot für amerikaniſches Schmalz und
amerikaniſchen Speck aufgehoben wird, welches nicht in ſanitärem
Intereſſe, ſondern unter Mißbrauch der Zollordnung zum Schutze
der Viehzucht der großen Landwirthe erlaſſen worden iſt. Die
Kohlenpreiſe ſind geſtiegen, die Zeit der ſteigenden Löhne iſt vor-
über, da ſoll keine Theuerungspolitik weiter geführt werden, im
Intereſſe einiger Weniger, welche Millionen belaſtet. (Beifall.)
Je raſcher und entſchiedener der Bruch mit der Zollpolitik des
Fürſten Bismarck erfolgt, deſto ſegensreicher wird es für das Volk
ſein. (Lebhafter Beifall links.)

Reichskanzler v. Caprivi: Es iſt nicht meine Abſicht, dem
Herrn Vorredner auf das Gebiet der Colonialpolitik zu folgen, in-
dem ich von der Vorausſetzung ausgehe, daß die dunklen Schatten,
die er auf ſein Bild geworfen hat, ſchon aus dem Haufe ſelbſt
bei Fortſetzung der Debatte zum großen Theil werden entfernt wer-
den. Es iſt auch nicht meine Abſicht, ihm auf das Gebiet der
Zölle, die vielleicht dereinſt geändert werden könnten, zu folgen.
Ich will mich auf die Bemerkung beſchränken, daß das, was er
heute ſprach, einen ähnlichen Klang hatte, wie das, was ich wochen-
lang in der freiſinnigen Preſſe geleſen habe, und ich kann mich
auf die Verſicherung beſchränken, daß derartige Expectorationen
nicht geeignet ſind, die Verhandlungen mit fremden Regierungen
zu erleichtern. (Sehr wahr! rechts.) Auch in Bezug auf das
Seuchengeſetz nur ein einziges Wort. Die Politik der Beſchrän-
kung, die wir vom Fürſten Bismarck übernommen haben und die
den Zweck hat, krankes fremdes Vieh auszuſperren, ſchildert der
Abg. Richter als eine ſchlechte und begrüßt mit Freuden den gewiſſen
Nachlaß, der darin eingetreten iſt. Ich weiß nicht, ob er den
Moment günſtig gewählt, ob er das Telegramm geleſen hat,
welches geſtern von Beuthen meldete, daß von 107 eingeführten
ruſſiſchen Schweinen 30 krank geweſen ſind. (Hört! hört; rechts.
Zuruf links.) Was mich veranlaßt, jetzt das Wort zu nehmen,
ſind die Aeußerungen, die der Abg. Richter über das Alters- und
Invaliditätsgeſetz und deſſen Einführung zum 1. Januar ge-
macht hat. Ich will mich darüber jetzt äußern, da ich glaube,
daß das eine Specialität des verehrten Abgeordneten iſt, und es
mir zweifelhaft ſcheint, ob von anderer Seite auf dieſes Thema
im Laufe der Generaldebatte zurückgekommen werden wird. Der Hr.
Abgeordnete bemängelt den Beſchluß der Regierungen, den
1. Januar als den Termin zu fixiren, an dem das
Geſetz zur Ausführung kommen ſoll; er bemängelt aber zu-
gleich das Geſetz ſelbſt, er bezeichnet es als ein Geſetz, welches
Unzufriedenheit in den weiteſten Kreiſen hervorbringen werde.
Was das Geſetz ſelbſt angeht, ſo kann ich mich einer Kritik ent-
halten. Ich bin der entgegengeſetzten Anſicht. Ich glaube, daß
das Geſetz noch manche Verbeſſerung wird erfahren können, ich
halte es aber für den erſten Schritt auf einer glücklichen und
ſegensvollen Baſis. Ich glaube auch, ich brauche das hier nicht
weiter auszuführen; denn wenn die verbündeten Regierungen
und dieſes hohe Haus nicht derſelben Anſicht geweſen wären, ſo
würde dieſes Geſetz nicht Geſetz geworden ſein. (Sehr gut! rechts.
Bewegung links.) Wir ſind über die Schwierigkeiten, die mit der
Einführung dieſes Geſetzes verbunden ſind, keinen Augenblick im
Unklaren geweſen; wir waren namentlich darüber nicht im Zweifel,
daß die höchſten Anforderungen an die Beamten werden geſtellt
werden müſſen. Wir ſind aber davor nicht zurückgeſchreckt, wir
haben dieſe Anforderungen geſtellt, weil wir uns geſagt haben:
das Geſetz iſt ein ſegensreiches, auf das die Augen von Tauſen-
den ſchon gerichtet ſind, und wir wollen dieſe Wohl-
that dem Volke nicht einen Tag ſpäter zutheil werden
laſſen, als eine abſolute Nothwendigkeit vorliegt. (Bravo! rechts.)
Der Hr. Abg. Richter hat auf die Möglichkeit und Nothwendigkeit
einer Verbeſſerung der Lage der Militärinsaliden hingewieſen. Die
Militärverwaltung wird von ſeinen Worten gern Act nehmen;
[Spaltenumbruch] ich wünſchte aber, er hätte dasſelbe warme Herz für die Invaliden
der Arbeit, wie er es hier für Invaliden des Heeres gezeigt hat.
(Sehr gut! rechts.) Dann würde er ſich mit mir freuen, wenn
der erſte Arbeiter, der erſte Invalide, der erſte Alte nach dem
70. Jahre eine Penſion aus dieſem Geſetz bezieht. (Sehr gut!
rechts.) Dann noch eine kurze Bemerkung. Es hat bei dem Hrn.
Abg. Richter gemunkelt von ſehr bedeutenden weiteren Forderungen
für das Militär, er munkelte im vorigen Jahre auch ſo. Ich weiß
nicht, wo er es her hat, ich kann mich auf die Bemerkung be-
ſchränken, daß die Quellen, die er in dieſer Veziehung gehabt
haben muß, ſehr ſchlechte waren; denn es iſt mit einer ſolchen Ver-
mehrung der Ausgaben für das Heer nichts! (Bravo! rechts und links.)

Abg. Bebel begrüßt den Wegfall des Socialiſtengeſetzes,
wodurch der Kampf mit den geiſtigen Waffen ermöglicht werde:
Hr. Nichter ſei ja ſchon in die Arena herabgeſtiegen durch die
Broſchüre über die ſocialdemokratiſchen Irrlehren. Wenn die
ſocialiſtiſchen Lehren irrig ſind, dann werden die Socialdemokraten
unterliegen. Die Invalidenverſicherung billigen wir in ihrer
Ausführung nicht, wohl aber im Princip, ſie iſt ein erſter Schritt
auf dem richtigen Wege, und die Zeit, wo Hrn. Richters Ideal
herrſchte, wo das Laissez aller galt, wird nicht mehr wieder-
kehren. Die auswärtige Politik iſt langweilig geworden, ſagt Hr.
Richter mit Recht. Es iſt Alles friedlich aber trotzdem macht
ſich der Militarismus bei uns im Etat ſehr empfindlich bemerklich.
Redner gibt eine Ueberſicht der in den letzten fünf Jahren für
Militärzwecke gemachten Ausgaben und hebt hervor, daß dieſe
Laſten vornehmlich getragen würden von den ärmeren Volksclaſſen,
welche durch die indirecten Steuern mehr belaſtet ſeien, als die
Woblhabenden, welche Letztere auch gewiſſe Privilegien genießen.
Ja ſelbſt die Steuern und Zölle müſſen den beſitzenden Claſſen
Vortheile bringen, ſo z. B. die Schutzzölle der Eiſeninduſtrie, die
Zuckerſteuer durch die Prämien den Zuckerbaronen, die Liebes-
gaben bei der Branntweinſteuer für die Brenner. Für die
reichen Claſſen wird geforgt, ſie ſorgen für ſich durch die Ringe
und Truſts; den reichen Leuten werden die Stempelſteuern für die
Fideicommißſtiftungen erlaſſen, während man ſonſt Hunderte von
Millionen auf die Schultern der armen Leute legt und durch die
Getreide- und Fleiſchpreiſe die Arbeiter zwingt, zur minderwerthigen
Kartoſſel ihre Zuflucht zu nehmen. Solche Zuſtände ſind der
geeignetſte Nährboden für die Beſtrebungen unſrer Partei. Durch
die Vorlegung der Geſetze über die Einkommen- und Erbſchaftsſteuer
hat man den Beweis geliefert, daß die wohlhabenden Claſſen nicht
hinreichend zur Steuer herangezogen ſind. Aber wenn man denkt,
daß durch die indirecten Steuern die Arbeiter mit ihren Familien
bis zu 20 vom Hundert ihres Einkommens belaſtet werden, dann
iſt die Velaſtung von 3 vom Hundert ſehr niedrig. Die Ausga-
ben, welche einen Culturfortſchritt hervorzurufen geeignet ſind, werden
wir bewilligen, die anderen aber ablehnen und ſchließlich auch den
ganzen Etat verwerfen, weil wir das jetzige Syſtem überhaupt
nicht billigen. (Beifall bei den Socialdemokraten.)

Nach einer perſönlichen Bemerkung des Abg. Richter wird
die weitere Verhandlung nach 4 Uhr auf Mittwoch 1 Uhr vertagt.



Preußiſcher Landtag.
Abgeordnetenhaus.
Telegramm.

Auf der Tagesordnung der heutigen
Sitzung ſteht die erſte Berathung des Geſetzentwurfs, betreffend die
Abänderung der Lex Huene, welcher für die nächſten beiden
Etatsjahre je 10 Millionen Mark dem Unterrichtsminiſter zur
Unterſtützung von Gemeinden bei Volksſchulbauten überweist.

Zur Begründung der Vorlage führt Cultusminiſter v. Goßler
aus: Die Novelle verdanke ihren Urſprung zwar nur dem Volks-
ſchulgeſetze, aber falls auch letzteres nicht zur Erledigung kommen
ſollte, ſo würde die Regierung doch für nothwendig halten, die
Novelle durchzuführen. Es handle ſich in der Hauptſache mehr
um eine Deckung von Schulden, als um eine Verbeſſerung des
gegenwärtigen Zuſtandes. Zwar ſei bei Schaſſung der Lex Huene
der Antrag abgelehnt worden, aus den Ueberweiſungen Schul-
bauten der Gemeinden zu unterſtützen, aber es ſei allgemein der
Wunſch ausgeſprochen worden, daß die Communalverbände zur
Errichtung von Schulbauten aus den überwieſenen Mitteln ver-
anlaßt würden. Ein ſolcher Wunſch reiche aber nicht aus, es
müſſe daher der Staat durch das Geſetz die Verwendung regeln.

Abg. Dr. Windthorſt kann der Vorlage weder Lob ſpenden,
noch will er ſie völlig verwerfen. Er empfehle Commiſſions-
berathung.

Abg. v. Meyer-Arnswalde iſt mit der Vorlage völlig einver-
ſtanden, wünſcht aber die Novelle nicht nur auf 2 Jahre, ſondern
auf die Dauer eingeführt zu ſehen.

Finanzminiſter Dr. Miquel erklärt, daß die Schullaſt eine
vom Staat auferlegte Zwangslaſt ſei und daß deßhalb der Staat
leiſtungsunfähige Gemeinden unterſtützen müſſe. Die Grundlage
der Lex Huene ſei durch die Erhöhung der Getreidezölle ſo we-
ſentlich verſchoben worden, daß jetzt die Gemeinden mehr bekom-
men, als beabſichtigt war. Deßhalb halte ſich der Staat für be-
rechtigt, aus den Ueberweiſungen etwas für ſich zu behalten, um
es leiſtungsunfähigen Gemeinden zu Schulzwecken zuzuwenden.

Abg. Rickert ſtimmt der Vorlage unbedingt zu, wünſcht
aber eine Beſtimmung, durch welche die Verwendung der Gelder
dem discretionären Ermeſſen des Cultusminiſters entzogen wird.

Abg. Dr. Sattler führt aus, daß zwei Bedenken gegen das
Geſetz vorlägen: Das Bedürfniß nach Schulbauten ſei nicht ge-
nügend motivirt und die Entnahme des Betrages aus der Lex
Huene
ſei nicht zu billigen. Nach Beſeitigung dieſer Bedenken
könne er dem Geſetze zuſtimmen.

Abg. Dr. Arendt (freiconſ.) ſteht im allgemeinen auf demſelben
Standpunkt. Er hoffe, daß die Vorlage nicht die Beſeitigung der Lex
Huene
oder die Ermäßigung der Getreidezölle herbeiführen werde.
Hoffentlich werde der Finanzminiſter den Betrag auch durch An-
leihe beſchaffen.

Abg. Graf Limburg-Stirum (d.-conſ.) erhebt ſchwere Be-
denken gegen die Vorlage, in welcher er den Nachweis des Bedürfniſſes
nach ſo vielen Bauten vermiſſe. Auch ſei das Land ſchwer beunruhigt
durch die Furcht, daß die Regierung der Beſeitigung der Lex Huene
oder der Ermäßigung der Getreidezölle zuſtimmen könne. Er
wünſcht deßhalb Garantien von der Regierung, daß dies nicht be-
abſichtigt iſt, und bittet, die Vorlage der Volksſchulcommiſſion zu
überweiſen.

Finanzminiſter Dr. Miquel tritt dem Vorredner entgegen.
Der Betrag werde der Lex Huene nur für zwei Jahre entnommen.
Die Entnahme durch den Staat ſei gerechtfertigt in Folge der
durch die Erhöhung der Getreidezölle vermehrten Ueberweiſungen.
Auch bleibe man damit innerhalb der Intentionen der Lex Huene
und der preußiſchen Finanztradition, außerordentliche Ausgaben
durch laufende Einnahmen zu decken.

Die Vorlage wird der Volksſchulcommiſſion überwieſen. Der
Antrag Schultz-Lupitz betreffend die Errichtung einer
Verſuchsanſtalt
für Pflanzenſchutz wird nach der Be-
gründung durch den Antragſteller der Agrarcommiſſion überwiefen.
Nächſte Sitzung unbeſtimmt.

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Der Erweiterung der Kriegs&#x017F;chulen wollen wir nicht wider&#x017F;prechen,<lb/>
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Pfennig i&#x017F;t und durch die Rückfahrkarten &#x017F;ich noch ermäßigt. Eine<lb/><cb/>
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Schatz&#x017F;ecretär ge&#x017F;childert hat; denn es i&#x017F;t diesmal kein Fehlbetrag<lb/>
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Geltung. Daher &#x017F;ind die Ueberwei&#x017F;ungen um 73 Mill. M. über<lb/>
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Regierung zur Frage der Prämien. Aber die Herren &#x017F;cheinen<lb/>
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(Beifall links.) Die Anknüpfung von Handelsvertragsverhandlungen<lb/>
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Con&#x017F;umenten zu gute kommen. Die Handelsverträge mü&#x017F;&#x017F;en dahin<lb/>
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Die &#x017F;chlechte Kartoffelernte hat die Kartoffelprei&#x017F;e ge&#x017F;teigert; dazu<lb/>
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&#x017F;eitigt werden, daß das Verbot für amerikani&#x017F;ches Schmalz und<lb/>
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Ich will mich auf die Bemerkung be&#x017F;chränken, daß das, was er<lb/>
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Abg. Richter als eine &#x017F;chlechte und begrüßt mit Freuden den gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Nachlaß, der darin eingetreten i&#x017F;t. Ich weiß nicht, ob er den<lb/>
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&#x017F;ind die Aeußerungen, die der Abg. Richter über das Alters- und<lb/>
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[6/0006] München, Mittwoch Augemeine Zeitung 10. December 1890. Zweites Morgenblatt Nr. 342. von 322,600,000 Mark. Dieſe Matricularumlage ſteht gegen- über den Ueberweiſungen in Höhe von mehr als 331 Millionen. Es verbleiben danach den Einzelſtaaten nach dieſem Etat netto etwa 8,700,000 M. Gegenüber den ſchließlichen Zahlen des Etats des lau- fenden Jahres einſchließlich der Nachtragsetats würden Sie danach etwas über 12 Millionen beſſer ſtehen, als 1890/91. Entſtehen nun aber koſtſpielige Ausgaben für die Reichsverwaltung, ſo iſt zu befürchten, daß die eigenen Einnahmen des Reiches nicht mehr ausreichen werden und daß mindeſtens eine jede Zuweiſung an die Einzelſtaaten fortfallen müßte. Eine derartige neue Aus- gabe finden wir zum erſten Male in dieſem Etat berückſichtigt. Das ſind die Ausgaben für die Einführung des Invaliditäts- und Altersverſicherungsgeſetzes. Wenn dieſe Ausgaben ſich in Zukunft beſonders fühlbar machen werden, dann werden die verbündeten Regierungen die Nothwendigkeit erkennen müſſen, die eigenen Ein- nahmen des Reiches zu vermehren. Den größten Theil der Aus- gaben, welche der Reichscaſſe obliegen, machen die Ausgaben für die Zwecke der Landesvertheidigung aus. Die Wehrhafterhaltung des Reiches, die Erhaltung des Friedens, die Fortführung der ſocialen Geſetzgebung und die Erhaltung des inneren Friedens er- fordern Ausgaben, für die wir Einnahmen haben müſſen. Solche Einnahmen werden Sie bewilligen, deſſen bin ich gewiß. Denn die Ziele, zu deren Erreichung alle Ausgaben und Einnahmen des Reiches beſtimmt ſind, ſind diejenigen, welche von Männern, die damals Deutſchlands Namen hochhielten, von den deutſchen Hanſeaten, als der Zweck ihrer deutſchen Gemeinweſen hingeſtellt wurden, wenn ſie an das Thor der freien Hauſeſtadt Lübeck ſchrieben: Concordia domi, foris pax. Eintracht daheim, draußen Frieden! (Beifall rechts.) Abg. Richter: Zum crſten Male ſeit dem Kanzlerwechſel liegt ein vollſtändiger Etat vor und es zeigt ſich: es geht auch ohne den Fürſten Bismarck, auch in der auswärtigen Politik. Der Dreibund iſt mehr als ein diplomatiſcher Vertrag. Eine Beſſerung der auswärtigen Politik iſt zu conſtatiren. Unter dem Fürſten Bismarck wurde jedes kleine Ereigniß durch die officiöſe Preſſe aufgebauſcht, als wenn Deutſchlands Grenzen von wilden Völker- ſchaften bewohnt würden. Dadurch wurde die geſchäſtliche Welt anfgeregt. Jetzt iſt die auswärtige Politik langweilig geworden. Ein Inventarſtück der Bismarck’ſchen Politik, das Socialiſtengeſetz, iſt mit dem 1. October ausgeſchieden worden. Der Reichskanzler hat conſtatirt, daß die Regierung auch ohne das Geſetz im Stande ſei, die Ordnung aufrechtzuerhalten, was um ſo angenehmer war, als wir ſelbſt dieſe Anſicht vertreten haben. Wir hätten auch den Wegfall der Invalidenverſicherung gern geſehen. weil dieſelbe auf falſchen Vorſtellungen von der Möglichkeit der Bekämpfung der Socialdemokratie beruht. Die Bevölkerung und namentlich diejenigen, für welche das Geſetz beſtimmt iſt, ver- harren in eiſerner Gleichgültigkeit; ſelbſt diejenigen, die ſofort eine Altersrente erhalten, ſind ſchwer zu bewegen, ſich die nothwendige Beſcheinigung zu verſchaffen. Das beweist einen geſunden Sinn der Bevölkerung, der lebendig genug iſt, um auf Selbſthülfe be- dacht zu ſein und von der Staatshülfe nichts zu erwarten. Wenn die Hoffnung auf Staatshülfe ſich feſtſetzt, dann wird dadurch ein Nährboden geſchaffen für ſocialiſtiſche Ideen. Deßhalb iſt die Einführung der Invalidenverſicherung ein verhängnißvoller Schritt, und da wir keine Mehrheit für unſre Anſicht finden können, müſſen wir offen vor dem Lande die Verantwortung ablehnen für den Sprung in den hell erleuchteten Abgrund, wie ein conſervativer Redner es genannt hat. (Veifall links.) Was den vorliegenden Etat betrifft, ſo wäre zu wünſchen, daß nicht nachträglich Forderungen für Militär oder Marine kommen, weil dadurch die Etats der Einzelſtaaten verwirrt werden, wegen der nachträglichen Erhöhung der Matricularbeiträge. Die einmaligen Ausgaben für Landheer und Marine betragen 121 Millionen Mark. Seit dem 1. April 1887 ſind zuſammen 949 Millionen Mark be- willigt worden, während man 1884—1889 für Eiſenbahnen in ganz Deutſchland nur 615 Millionen Mark verwandt hat. (Hört!) Es ſcheint, daß man jetzt zu ſchnell Neuerungen herbeiführt, die nicht bloß das Nothwendige, ſondern zum Theil auch das nur Wünſchenswerthe und Angenchme betreffen. Bemerkenswerth ſind die Vorgänge bei der Begebung der Anleihe, ob 3- oder 3 1/2pro- centige Papiere richtig ſind, darüber will ich nicht entſcheiden; aber der Curs der neuen Anleihe iſt zwei Tage nach der Zeichnung unter den Begebungscurs geſunken und hat ihn nicht wie- der erreicht; man hat alſo nicht zur feſten Anlage, ſondern auf Speculation gezeichnet und die Reichsbank war genö- thigt, ihren Discontoſatz zu erhöhen. Man ſagt der un- geeignete Moment ſei gewählt worden, weil maßgebende Per- ſonen zu ſpät von ihrem Sommeraufenthalt zurückgekehrt ſind. Ich weiß das nicht und glaube auch, daß die Regierung ſich einem Finanzconſortium gegenüber in einer gewiſſen Zwangslage be- fand; aber das iſt kein wünſchenswerther Zuſtand. Wir müſſen alle Kürzungen, die ſich anbringen laſſen, verwenden zur Er- mäßigung der Anleihen; das iſt überhaupt ein beſſerer Weg, als der der Schaffung eines Tilgungsfonds, während man doch immer- fort neue Anleihen aufnehmen muß. Große Extraordinarien für die Marine und das Reichsheer rufen eine plötzliche Nachfrage wach, ſo daß die Induſtrie ihre Abnehmer im Auslande nicht mehr befriedigen kann. Wenn dann der Rückſchlag eintritt, dann kann man den ausländiſchen Abſatz nicht wieder gewinnen; dann müſſen die Arbeiter entlaſſen werden. Die Ausgaben für Schiffs- bauten betragen in einem Jahre 5 Millionen Mark mehr, als Hr. v. Caprivi als Chef der Admiralität früher für fünf Jahre in Ausſicht genommen hatte. Daher auch die große Steigerung der Preiſe für Panzerſchiffe. Zu den früher bewilligten Neubauten kommen die ſchleunigen Erſatzbauten für „Adler“ und „Eber“ und der Bau der überflüſſigen Kaiſerjacht, ferner Torpedoſchiffe. Da muß man wirklich fragen, ob man noch neue Bauten in Angriff nehmen ſoll. Hr. v. Caprivi meinte ſelbſt, daß die Schiffsbauten nicht ſo eilig ſeien. Beſonders groß ſind die Opfer, welche für Caſernenbauten gefordert werden, für Preußen allein 90 neue Bauten! Und dazu kommt noch eine Reihe von ökonomiſchen Bauten, Dienſtgebäuden, Kirchen u. ſ. w. Das neue Pulver ſcheint doppelt ſo viel für Uebungszwecke zu koſten als das alte. Dieſe Conſequenz wird man, wenn ſie nothwendig iſt, nicht ablehnen können, aber hätte man das voraus gewußt, würde man ſich anderen Militärausgaben gegenüber kritiſcher verhalten haben; jedenfalls iſt es dringend geboten, Alles, was nicht abſolut nothwendig iſt, zur Zeit zurückzuſtellen. Dazu gehören die Unterofficiersprämien, welche durchaus keine Folge unſerer Heeresverſtärkung ſind. Wenn die Unterofficiere zu Officierdienſten her- angezogen werden ſollen, ſo ſollte man einfach Stellen für Feldwebel- lieutenants einrichten und dadurch die Avancementsverhältniſſe beſſer geſtalten. Die Pferdegelder für Subalternofficiere können wir billigen, aber die Rationen für höhere Truppenbefehlshaber müſſen viel mehr vermindert werden, als vorgeſchlagen iſt. Der Erweiterung der Kriegsſchulen wollen wir nicht widerſprechen, aber für neue Unterofficierſchulen und für neue Cadettenſtellen können wir grundſätzlich neue Mittel nicht bewilligen. Hr. Miquel hat mich aufgefordert, zu zeigen, wo die Ausgaben ermäßigt wer- den können. Ich habe gefunden, daß die Vergütung für Eiſen- bahnfahrten zu hoch iſt. 13 Pfennig werden für den Kilometer gewährt, während der Preis für die zweite Claſſe nur 6.65 Pfennig iſt und durch die Rückfahrkarten ſich noch ermäßigt. Eine Neiſe von Berlin nach Köln und zurück koſtet dem Reiche 144.50 Mark, während die Fahrkarte nur 60 M. koſtet. Für Oſtafrika werden 3 1/2 Millionen Mark gefordert und trotz der Aufwendung von Pulver und Blei haben unſre dortigen Bundesbrüder ſich noch nicht civiliſirt. Wiewohl Buſchiri befeitigt iſt, hat ſich der Norden noch nicht beruhigt; im Süden iſt noch alles in Unordnung. Wenn Oſtafrika hier im Kaiſerhofe oder in der Philhar- monie cultivirt werden könnte, würde ich zu der Oſtafrika- niſchen Geſellſchaft das größte Vertrauen haben. (Heiterkeit.) Den Vertrag, welcher abgeſchloſſen iſt, halte ich materiell und for- mell nicht für zuläſſig, weil er die ganze Organiſation feſtlegt und dem Reichstag nur die Prüſung der Rechnung geſtattet. Die Finanzverhältniſſe des Reichs ſtellen ſich noch günſtiger, als der Schatzſecretär geſchildert hat; denn es iſt diesmal kein Fehlbetrag zu decken und die Wirkung der Zuckerſteuer kommt erſt jetzt zur Geltung. Daher ſind die Ueberweiſungen um 73 Mill. M. über den Etat geſtiegen und Preußen arbeitet mit einem Ueberſchuß von 102 Millionen Mark. Es iſt doch keine Kleinigkeit, wenn den Ein- zelſtaaten in dieſem Jahre 66 Millionen Mark mehr überwieſen werden ſollen, und dieſe Rechnung bleibt hinter der Wirklichkeit noch weit zurück! Die Zolleinnahmen werden 373 Millionen Mark be- tragen, während ſie mit 285 Mill. M. in den Etat eingeſtellt ſind. (Hört! links.) Dieſe allzu vorſichtige Aufſtellung der Zölle und Verbrauchsſteuern muß naturgemäß Ueberſchüſſe herbei- führen; die Veranſchlagung muß richtig geſtellt werden, dann können die Einzelſmaten beſſer geſtellt werden. Die Aus- gaben für die Invalidenverſicherung und für die ſteigen- den Schuldenzinſen ſind ſo gering, daß ſie bei einem Etat von 1100 Millionen Mark nicht in Betracht kommen. Wir haben keine Veranlaſſung, Steuern auf Borrath zu bewilligen, was lediglich alle Reſſorts bewegen wird, ihre Ausgaben zu er- höhen; eine ſparſame Finanzpolitik iſt nur möglich, wenn Steuer und Ausgabe Zug um Zug feſtgeſtellt werden. Damit iſt unſre Stellung zur Zuckerſteuer gegeben. Wir wollen nur die Material- ſteuer mit allen Prämien aufheben; ein Ausfall an Reichsein- nahmen würde daraus nicht entſtehen, ſondern in Folge der Ver- billigung des Zuckers würde die Conſumſteuer den Ausfall decken. Das wäre eine wirkliche Reform, nicht bloß eine fiscaliſche Maß- regel. Mit der Beſeitigung der Materialſteuer würden die Fabri- canten endlich in ſichere Verhältniſſe kommen, während ſie jetzt hangen und bangen wegen der Stellung des Reichstages und der Regierung zur Frage der Prämien. Aber die Herren ſcheinen die Prämien als ein wohlerworbenes Recht zu betrachten. (Beifall links.) Die Anknüpfung von Handelsvertragsverhandlungen mit Oeſterreich begrüßen wir als einen Anfang allgemeiner Ver- tragsverhandlungen, denn die Einführung von Differentialzöllen würde mehr den ausländiſchen Importeuren, als den inländiſchen Conſumenten zu gute kommen. Die Handelsverträge müſſen dahin führen, daß Handel und Induſtrie ſich auf feſte Zollſätze einrichten kann. Wir haben in unſerm Antrage die Ermäßigung der Ge- treidezölle und die Reviſion des Zolltarifs verlangt. Die Ermäßigung der Getreidezölle iſt um ſo dringender nothwendig, als die Preiſe eine Höhe erreicht haben, bei welcher man es von conſervativer Seite als ſelbſtverſtändlich hinſtellte, daß eine Zollermäßigung eintreten müſſe. Die ſchlechte Kartoffelernte hat die Kartoffelpreiſe geſteigert; dazu kommt die Steigerung der Fleiſchpreiſe, welche in Berlin eine Ein- ſchränkung des Fleiſchverbrauches um 25 Procent herbeigeführt hat. Die Viehſperre iſt gemildert worden. Veterinärpolizeiliche Maß- regeln billigen wir; aber wir müſſen verlangen, daß die Zölle be- ſeitigt werden, daß das Verbot für amerikaniſches Schmalz und amerikaniſchen Speck aufgehoben wird, welches nicht in ſanitärem Intereſſe, ſondern unter Mißbrauch der Zollordnung zum Schutze der Viehzucht der großen Landwirthe erlaſſen worden iſt. Die Kohlenpreiſe ſind geſtiegen, die Zeit der ſteigenden Löhne iſt vor- über, da ſoll keine Theuerungspolitik weiter geführt werden, im Intereſſe einiger Weniger, welche Millionen belaſtet. (Beifall.) Je raſcher und entſchiedener der Bruch mit der Zollpolitik des Fürſten Bismarck erfolgt, deſto ſegensreicher wird es für das Volk ſein. (Lebhafter Beifall links.) Reichskanzler v. Caprivi: Es iſt nicht meine Abſicht, dem Herrn Vorredner auf das Gebiet der Colonialpolitik zu folgen, in- dem ich von der Vorausſetzung ausgehe, daß die dunklen Schatten, die er auf ſein Bild geworfen hat, ſchon aus dem Haufe ſelbſt bei Fortſetzung der Debatte zum großen Theil werden entfernt wer- den. Es iſt auch nicht meine Abſicht, ihm auf das Gebiet der Zölle, die vielleicht dereinſt geändert werden könnten, zu folgen. Ich will mich auf die Bemerkung beſchränken, daß das, was er heute ſprach, einen ähnlichen Klang hatte, wie das, was ich wochen- lang in der freiſinnigen Preſſe geleſen habe, und ich kann mich auf die Verſicherung beſchränken, daß derartige Expectorationen nicht geeignet ſind, die Verhandlungen mit fremden Regierungen zu erleichtern. (Sehr wahr! rechts.) Auch in Bezug auf das Seuchengeſetz nur ein einziges Wort. Die Politik der Beſchrän- kung, die wir vom Fürſten Bismarck übernommen haben und die den Zweck hat, krankes fremdes Vieh auszuſperren, ſchildert der Abg. Richter als eine ſchlechte und begrüßt mit Freuden den gewiſſen Nachlaß, der darin eingetreten iſt. Ich weiß nicht, ob er den Moment günſtig gewählt, ob er das Telegramm geleſen hat, welches geſtern von Beuthen meldete, daß von 107 eingeführten ruſſiſchen Schweinen 30 krank geweſen ſind. (Hört! hört; rechts. Zuruf links.) Was mich veranlaßt, jetzt das Wort zu nehmen, ſind die Aeußerungen, die der Abg. Richter über das Alters- und Invaliditätsgeſetz und deſſen Einführung zum 1. Januar ge- macht hat. Ich will mich darüber jetzt äußern, da ich glaube, daß das eine Specialität des verehrten Abgeordneten iſt, und es mir zweifelhaft ſcheint, ob von anderer Seite auf dieſes Thema im Laufe der Generaldebatte zurückgekommen werden wird. Der Hr. Abgeordnete bemängelt den Beſchluß der Regierungen, den 1. Januar als den Termin zu fixiren, an dem das Geſetz zur Ausführung kommen ſoll; er bemängelt aber zu- gleich das Geſetz ſelbſt, er bezeichnet es als ein Geſetz, welches Unzufriedenheit in den weiteſten Kreiſen hervorbringen werde. Was das Geſetz ſelbſt angeht, ſo kann ich mich einer Kritik ent- halten. Ich bin der entgegengeſetzten Anſicht. Ich glaube, daß das Geſetz noch manche Verbeſſerung wird erfahren können, ich halte es aber für den erſten Schritt auf einer glücklichen und ſegensvollen Baſis. Ich glaube auch, ich brauche das hier nicht weiter auszuführen; denn wenn die verbündeten Regierungen und dieſes hohe Haus nicht derſelben Anſicht geweſen wären, ſo würde dieſes Geſetz nicht Geſetz geworden ſein. (Sehr gut! rechts. Bewegung links.) Wir ſind über die Schwierigkeiten, die mit der Einführung dieſes Geſetzes verbunden ſind, keinen Augenblick im Unklaren geweſen; wir waren namentlich darüber nicht im Zweifel, daß die höchſten Anforderungen an die Beamten werden geſtellt werden müſſen. Wir ſind aber davor nicht zurückgeſchreckt, wir haben dieſe Anforderungen geſtellt, weil wir uns geſagt haben: das Geſetz iſt ein ſegensreiches, auf das die Augen von Tauſen- den ſchon gerichtet ſind, und wir wollen dieſe Wohl- that dem Volke nicht einen Tag ſpäter zutheil werden laſſen, als eine abſolute Nothwendigkeit vorliegt. (Bravo! rechts.) Der Hr. Abg. Richter hat auf die Möglichkeit und Nothwendigkeit einer Verbeſſerung der Lage der Militärinsaliden hingewieſen. Die Militärverwaltung wird von ſeinen Worten gern Act nehmen; ich wünſchte aber, er hätte dasſelbe warme Herz für die Invaliden der Arbeit, wie er es hier für Invaliden des Heeres gezeigt hat. (Sehr gut! rechts.) Dann würde er ſich mit mir freuen, wenn der erſte Arbeiter, der erſte Invalide, der erſte Alte nach dem 70. Jahre eine Penſion aus dieſem Geſetz bezieht. (Sehr gut! rechts.) Dann noch eine kurze Bemerkung. Es hat bei dem Hrn. Abg. Richter gemunkelt von ſehr bedeutenden weiteren Forderungen für das Militär, er munkelte im vorigen Jahre auch ſo. Ich weiß nicht, wo er es her hat, ich kann mich auf die Bemerkung be- ſchränken, daß die Quellen, die er in dieſer Veziehung gehabt haben muß, ſehr ſchlechte waren; denn es iſt mit einer ſolchen Ver- mehrung der Ausgaben für das Heer nichts! (Bravo! rechts und links.) Abg. Bebel begrüßt den Wegfall des Socialiſtengeſetzes, wodurch der Kampf mit den geiſtigen Waffen ermöglicht werde: Hr. Nichter ſei ja ſchon in die Arena herabgeſtiegen durch die Broſchüre über die ſocialdemokratiſchen Irrlehren. Wenn die ſocialiſtiſchen Lehren irrig ſind, dann werden die Socialdemokraten unterliegen. Die Invalidenverſicherung billigen wir in ihrer Ausführung nicht, wohl aber im Princip, ſie iſt ein erſter Schritt auf dem richtigen Wege, und die Zeit, wo Hrn. Richters Ideal herrſchte, wo das Laissez aller galt, wird nicht mehr wieder- kehren. Die auswärtige Politik iſt langweilig geworden, ſagt Hr. Richter mit Recht. Es iſt Alles friedlich aber trotzdem macht ſich der Militarismus bei uns im Etat ſehr empfindlich bemerklich. Redner gibt eine Ueberſicht der in den letzten fünf Jahren für Militärzwecke gemachten Ausgaben und hebt hervor, daß dieſe Laſten vornehmlich getragen würden von den ärmeren Volksclaſſen, welche durch die indirecten Steuern mehr belaſtet ſeien, als die Woblhabenden, welche Letztere auch gewiſſe Privilegien genießen. Ja ſelbſt die Steuern und Zölle müſſen den beſitzenden Claſſen Vortheile bringen, ſo z. B. die Schutzzölle der Eiſeninduſtrie, die Zuckerſteuer durch die Prämien den Zuckerbaronen, die Liebes- gaben bei der Branntweinſteuer für die Brenner. Für die reichen Claſſen wird geforgt, ſie ſorgen für ſich durch die Ringe und Truſts; den reichen Leuten werden die Stempelſteuern für die Fideicommißſtiftungen erlaſſen, während man ſonſt Hunderte von Millionen auf die Schultern der armen Leute legt und durch die Getreide- und Fleiſchpreiſe die Arbeiter zwingt, zur minderwerthigen Kartoſſel ihre Zuflucht zu nehmen. Solche Zuſtände ſind der geeignetſte Nährboden für die Beſtrebungen unſrer Partei. Durch die Vorlegung der Geſetze über die Einkommen- und Erbſchaftsſteuer hat man den Beweis geliefert, daß die wohlhabenden Claſſen nicht hinreichend zur Steuer herangezogen ſind. Aber wenn man denkt, daß durch die indirecten Steuern die Arbeiter mit ihren Familien bis zu 20 vom Hundert ihres Einkommens belaſtet werden, dann iſt die Velaſtung von 3 vom Hundert ſehr niedrig. Die Ausga- ben, welche einen Culturfortſchritt hervorzurufen geeignet ſind, werden wir bewilligen, die anderen aber ablehnen und ſchließlich auch den ganzen Etat verwerfen, weil wir das jetzige Syſtem überhaupt nicht billigen. (Beifall bei den Socialdemokraten.) Nach einer perſönlichen Bemerkung des Abg. Richter wird die weitere Verhandlung nach 4 Uhr auf Mittwoch 1 Uhr vertagt. Preußiſcher Landtag. Abgeordnetenhaus. Telegramm. * Berlin, 9. Dec. Auf der Tagesordnung der heutigen Sitzung ſteht die erſte Berathung des Geſetzentwurfs, betreffend die Abänderung der Lex Huene, welcher für die nächſten beiden Etatsjahre je 10 Millionen Mark dem Unterrichtsminiſter zur Unterſtützung von Gemeinden bei Volksſchulbauten überweist. Zur Begründung der Vorlage führt Cultusminiſter v. Goßler aus: Die Novelle verdanke ihren Urſprung zwar nur dem Volks- ſchulgeſetze, aber falls auch letzteres nicht zur Erledigung kommen ſollte, ſo würde die Regierung doch für nothwendig halten, die Novelle durchzuführen. Es handle ſich in der Hauptſache mehr um eine Deckung von Schulden, als um eine Verbeſſerung des gegenwärtigen Zuſtandes. Zwar ſei bei Schaſſung der Lex Huene der Antrag abgelehnt worden, aus den Ueberweiſungen Schul- bauten der Gemeinden zu unterſtützen, aber es ſei allgemein der Wunſch ausgeſprochen worden, daß die Communalverbände zur Errichtung von Schulbauten aus den überwieſenen Mitteln ver- anlaßt würden. Ein ſolcher Wunſch reiche aber nicht aus, es müſſe daher der Staat durch das Geſetz die Verwendung regeln. Abg. Dr. Windthorſt kann der Vorlage weder Lob ſpenden, noch will er ſie völlig verwerfen. Er empfehle Commiſſions- berathung. Abg. v. Meyer-Arnswalde iſt mit der Vorlage völlig einver- ſtanden, wünſcht aber die Novelle nicht nur auf 2 Jahre, ſondern auf die Dauer eingeführt zu ſehen. Finanzminiſter Dr. Miquel erklärt, daß die Schullaſt eine vom Staat auferlegte Zwangslaſt ſei und daß deßhalb der Staat leiſtungsunfähige Gemeinden unterſtützen müſſe. Die Grundlage der Lex Huene ſei durch die Erhöhung der Getreidezölle ſo we- ſentlich verſchoben worden, daß jetzt die Gemeinden mehr bekom- men, als beabſichtigt war. Deßhalb halte ſich der Staat für be- rechtigt, aus den Ueberweiſungen etwas für ſich zu behalten, um es leiſtungsunfähigen Gemeinden zu Schulzwecken zuzuwenden. Abg. Rickert ſtimmt der Vorlage unbedingt zu, wünſcht aber eine Beſtimmung, durch welche die Verwendung der Gelder dem discretionären Ermeſſen des Cultusminiſters entzogen wird. Abg. Dr. Sattler führt aus, daß zwei Bedenken gegen das Geſetz vorlägen: Das Bedürfniß nach Schulbauten ſei nicht ge- nügend motivirt und die Entnahme des Betrages aus der Lex Huene ſei nicht zu billigen. Nach Beſeitigung dieſer Bedenken könne er dem Geſetze zuſtimmen. Abg. Dr. Arendt (freiconſ.) ſteht im allgemeinen auf demſelben Standpunkt. Er hoffe, daß die Vorlage nicht die Beſeitigung der Lex Huene oder die Ermäßigung der Getreidezölle herbeiführen werde. Hoffentlich werde der Finanzminiſter den Betrag auch durch An- leihe beſchaffen. Abg. Graf Limburg-Stirum (d.-conſ.) erhebt ſchwere Be- denken gegen die Vorlage, in welcher er den Nachweis des Bedürfniſſes nach ſo vielen Bauten vermiſſe. Auch ſei das Land ſchwer beunruhigt durch die Furcht, daß die Regierung der Beſeitigung der Lex Huene oder der Ermäßigung der Getreidezölle zuſtimmen könne. Er wünſcht deßhalb Garantien von der Regierung, daß dies nicht be- abſichtigt iſt, und bittet, die Vorlage der Volksſchulcommiſſion zu überweiſen. Finanzminiſter Dr. Miquel tritt dem Vorredner entgegen. Der Betrag werde der Lex Huene nur für zwei Jahre entnommen. Die Entnahme durch den Staat ſei gerechtfertigt in Folge der durch die Erhöhung der Getreidezölle vermehrten Ueberweiſungen. Auch bleibe man damit innerhalb der Intentionen der Lex Huene und der preußiſchen Finanztradition, außerordentliche Ausgaben durch laufende Einnahmen zu decken. Die Vorlage wird der Volksſchulcommiſſion überwieſen. Der Antrag Schultz-Lupitz betreffend die Errichtung einer Verſuchsanſtalt für Pflanzenſchutz wird nach der Be- gründung durch den Antragſteller der Agrarcommiſſion überwiefen. Nächſte Sitzung unbeſtimmt.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 342, 10. Dezember 1890, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine342_1890/6>, abgerufen am 22.11.2024.