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Allgemeine Zeitung, Nr. 33, 15. August 1914.

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15. August 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] die Kreuzer "Augsburg" und Magdebuerg", ferner das Erscheinen
unserer im Mittelmeer befindlichen Schiffe an der Küste von Algier
und die Beschießung der französischen Truppenverladeplätze Phi-
lippsville und Bone, zeigt so recht den offensiv-militärischen Geist,
der unsere ganze Flotte beseelt.


Der Feind im Osten.

Auch an der russischen Grenze haben wir nur Erfolge zu ver-
zeichnen. Die deutschen Truppen haben die beiden wichtigen Grenz-
orte Kalisch und Czenstochau genommen. Diese beiden Einnahmen
geben der Kreuzzeitung Gelegenheit, auf die Bedeutung der beiden
wichtigen Grenzorte hinzuweisen:

Die Russen haben ohne jeden Kampf beide Orte geräumt.
Dies muß bei Kalisch deswegen besonderes Erstaunen her-
vorrufen, weil die Russen erst vor etwa 10 Jahren lediglich
aus strategischen Gründen die Eisenbahn Warschau--Lodz--
Kalisch gebaut haben. Diese Bahn vermittelt über Skalmier-
zyce--Ostrowo einen Grenzübergang, der im Zuge der alten
Hauptverkehrsstraße aus dem Innern Deutschlands nach War-
schau in der Richtung Dresden--Sagan--Glogau--Kalisch
verläuft. Diese alte Verkehrsstraße hatte namentlich zu der-
jenigen Zeit eine sehr große Bedeutung, als die Kurfürsten
von Sachsen Könige von Polen waren. Das Besondere an
der Bahn Warschau--Kalisch ist aber, daß diese die einzige
in Russisch-Polen an die preußische Grenze heranführende
Bahn ist, die das breite russische Gleis aufweist, während die
dort vorhandenen, der Warschau-Wiener Eisenbahngesellschaft
gehörenden Bahnen die westeuropäische normale Spurweite
aufweisen. Kalisch war also der wichtige Punkt an der
Grenze, bis zu dem die russischen Eisenbahnwagen, die, wie
bekannt, erheblich breiter sind, als die unsrigen, aus dem In-
nern Rußlands gelangen konnten, während dies beispielsweise
bei dem Grenzübergang Alexandrowo nicht möglich ist, da die
Strecke Warschau--Alexandrowo die europäische Spurweite
aufweist. An der Strecke Warschau--Kalisch liegt auch Lodz,
das polnische Manchester, die größte Industriestadt Rußlands,
deren Bevölkerung von mehr als 600,000 Einwohnern wohl
zur Hälfte aus Deutschen, jetzt zumeist Nachkommen von ein-
gewanderten Reichsdeutschen, besteht. Die kolossale Industrie
dieser Stadt, die vorwiegend eine Baumwollindustrie ist, ver-
sorgt den größten Teil des weiten russischen Reiches mit ihren
Erzeugnissen. Die meisten deutschen Einwohner von Lodz
stammen aus dem Königreich Sachsen. -- Auch in Kalisch hat
sich in der letzten Zeit eine bedeutende Industrie entwickelt.
Dieser Ort spielte einst in der Zeit der turmhohen preußisch-
russischen Freundschaft eine hervorragende Rolle. In Kalisch
wurde am 28. Februar 1813 der preußisch-russische Bündnis-
vertrag von dem Könige Friedrich Wilhelm III. und dem
Kaiser Alexander I. unterzeichnet, der die Voraussetzung zu
der Erhebung Preußens gegen die französische Fremdherr-
schaft bildete. In Kalisch fand im Jahre 1831 die bekannte
Revue über die vereinigten preußischen und russischen Trup-
pen vor dem Könige Friedrich Wilhelm III. und dem Zaren
Nikolaus I. statt. Die preußischen und russischen Truppen
hatten hier in der Stärke von etwa 160,000 Mann ein
Uebungslager bezogen. Die preußischen Soldaten, die an der
Kalischer Revue teilgenommen hatten, trugen als bleibende
Erinnerung daran eine schwarz-weiß-gelbe Schnur (in den
vereinigten preußischen und russischen Farben) auf den Achsel-
klappen. In der Kriegsgeschichte ist Kalisch besonders noch
durch die Niederlage bekannt geworden, die dort Karl XII.
von Schweden im Nordischen Kriege am 29. Oktober 1706
gegenüber den vereinigten Russen und Sachsen erlitten hatte.

Die strategische Bedeutung von Czenstochau, das
am Montag, wie bekannt, ebenfalls von den preußischen
Truppen besetzt wurde, besteht darin, daß hier die preußisch-
russische Eisenbahn-Grenzübergangsstrecke Herby--Czen-
stochau in die Warschau-Wiener Bahn einmündet. In Czen-
stochau liegt auf der Jasna Gora das Nationalheiligtum der
Polen, das berühmte Wallfahrtskloster mit dem wundertäti-
gen Muttergottesbilde, zu dem alljährlich Zehntausende von
Polen aus Rußland, Preußen und Oesterreich zu wallen
pflegen. Die Jasna Gora (der leuchtende Berg) war einst
stark befestigt. Das Kloster ist aufgebaut wie eine Burg und
trägt auf seinen Außenmauern Kriegsembleme. Sogar der
[Spaltenumbruch] Raum, in dem sich das berühmte Muttergottesbild befindet,
weist an der Decke Schlachtenbilder auf. Vor einigen Jahren
erregten die Verbrechen des Mönches Maczoch, die dieser in
dem Kloster begangen hatte (Maczoch hatte u. a. in seiner
Zelle seinen eigenen Bruder ermordet) überall das größte
Aufsehen.

Um den Zugang zur russischen Hauptstadt von der See-
seite unmöglich zu machen, zerstören die Russen ihre eigenen
Werke. So haben sie den finnischen Meerbusen Hangö
gesperrt. Aus Kopenhagen wird darüber dem Wolffschen Tele-
graphenbureau gemeldet: Eine Meldung berichtet über die Zerstö-
rung von Hangö, dem besten Hafenplatz Finnlands am Eingang
zum finnischen Meerbusen, durch die Russen. Die Russen versenk-
ten am Sonntag und Montag einen großen Dampfer im Hafen-
eingang und ebenso alle Hafenkräne, sprengten die Eisenbahn-
werkstätten und die Hafenmole in die Luft, steckten 30 Magazine
in Brand, zerstörten die Eisenbahnlinien und sperrten die Einfahrt
in den finnischen Meerbusen und besonders die Fahrrinne nach
Petersburg durch Minen. Die Einfahrt wird durch eine Torpedo-
bootsflotille bewacht.

Drei im Grenzschutz bei Eydtkuhnen stehende Kompagnien,
unterstützt durch heraneilende Feldartillerie, haben die über Romei-
ken auf Schleuben vorgehenden -- drei russischen Kavalleriedivi-
sionen (!) über die Grenze zurückgeworfen.

Die russischen Unwahrheiten nehmen ihren Fortgang. Sie
treten für jedermann sichtlich hervor in dem Orangebuch, über das
das Wolf'sche Telegraphenbureau nachstehende Depesche verbreitet:

Die russische Regierung veröffentlichte ein Orangebuch
über die diplomatischen Verhandlungen vor dem Kriegsaus-
bruch und stellt darin die Behauptung auf, Deutschland hätte
den letzten Vermittlungsvorschlag Greys abgelehnt.

Diese Behauptung ist unwahr, Deutschland unterstützte im
Gegenteil diesen letzten Vorschlag Greys, Oesterreich möchte
nach der Besetzung Belgrads und serbischen Territoriums in
Verhandlungen eintreten, in Wien nachdrücklich. Die hiermit
angestrebte Vermittlung wurde aber durch die russische Mobili-
sierung illusorisch gemacht.

Ferner wird von der russischen Regierung behauptet, die
deutsche Regierung ordnete, während die Verhandlungen in
vollem Gange waren, die Mobilisierung an, stellte ein Ultima-
tum und erklärte den Krieg. -- Diese Darstellung ist falsch. Die
russische Regierung stellt die Tatsachen direkt auf den Kopf.
Noch am Donnerstag, 30. Juli, wurde dem russischen Minister
des Aeußern vom kaiserlichen Botschafter eröffnet, daß die
Vermittlungsaktion der kaiserlichen Regierung fortgesetzt wird
und daß eine Antwort auf den letzten vom Berliner Kabinett
in Wien getanen Schritt noch ausstehe. Die am nächsten
Morgen bekannt gewordene Mobilmachung der ganzen russi-
schen Armee und Flotte mußte unter diesen Umständen in
Deutschland um so mehr als eine Provokation wirken, als vom
russischen Generalstabschef wenige Tage vorher dem deutschen
Militärattache versichert wurde, daß im Falle eines Ueber-
schreitens der serbischen Grenze durch die Oesterreicher nur die
russischen Militärbezirke an der österreichischen Grenze, nicht
aber an der deutschen Grenze mobil gemacht würden.


Kläglich ist der Eindruck der Rechtfertigungsversuche des Krie-
ges, den der Zar in einer Ansprache, sowie sein Minister des
Aeußern in der Reichsduma unternommen haben. Wenn diese
Reden etwas weiter zurückliegen, dürfen sie doch heute noch kultu-
relles Interesse beanspruchen.

Der Zar empfing im Winterpalais in Gegenwart des Genera-
lissimus, Großfürsten Nikolaus Nikolajewitsch, und sämtlicher Mini-
ster die Mitglieder der Reichsduma und des Reichsrates in feier-
licher Audienz und hielt dabei folgende Ansprache:

In diesen bedeutungsvollen Tagen der Aufregung und der
Unruhe, welche Rußland durchmacht, entbiete ich Euch meinen Gruß.
Das Deutsche Reich und darauf Oesterreich-Ungarn haben Rußland
den Krieg erklärt. Der ungeheure Aufschwung patriotischer Ge-
fühle, der Liebe und der Treue für den Thron, der wie ein Sturm-
wind durch unser ganzes Land ging, ist mir wie Euch eine Bürg-
schaft. Ich hoffe, daß das große Rußland den Krieg, den ihm der
Herr schickt, zu einem glücklichen Ende führen wird. Aus diesem
einmütigen Sturm von Liebe und Eifer, selbst das Leben zu opfern,
schöpfe ich meine Kraft, um der Zukunft mit Ruhe und Festigkeit

15. Auguſt 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] die Kreuzer „Augsburg“ und Magdebuerg“, ferner das Erſcheinen
unſerer im Mittelmeer befindlichen Schiffe an der Küſte von Algier
und die Beſchießung der franzöſiſchen Truppenverladeplätze Phi-
lippsville und Bône, zeigt ſo recht den offenſiv-militäriſchen Geiſt,
der unſere ganze Flotte beſeelt.


Der Feind im Oſten.

Auch an der ruſſiſchen Grenze haben wir nur Erfolge zu ver-
zeichnen. Die deutſchen Truppen haben die beiden wichtigen Grenz-
orte Kaliſch und Czenſtochau genommen. Dieſe beiden Einnahmen
geben der Kreuzzeitung Gelegenheit, auf die Bedeutung der beiden
wichtigen Grenzorte hinzuweiſen:

Die Ruſſen haben ohne jeden Kampf beide Orte geräumt.
Dies muß bei Kaliſch deswegen beſonderes Erſtaunen her-
vorrufen, weil die Ruſſen erſt vor etwa 10 Jahren lediglich
aus ſtrategiſchen Gründen die Eiſenbahn Warſchau—Lodz—
Kaliſch gebaut haben. Dieſe Bahn vermittelt über Skalmier-
zyce—Oſtrowo einen Grenzübergang, der im Zuge der alten
Hauptverkehrsſtraße aus dem Innern Deutſchlands nach War-
ſchau in der Richtung Dresden—Sagan—Glogau—Kaliſch
verläuft. Dieſe alte Verkehrsſtraße hatte namentlich zu der-
jenigen Zeit eine ſehr große Bedeutung, als die Kurfürſten
von Sachſen Könige von Polen waren. Das Beſondere an
der Bahn Warſchau—Kaliſch iſt aber, daß dieſe die einzige
in Ruſſiſch-Polen an die preußiſche Grenze heranführende
Bahn iſt, die das breite ruſſiſche Gleis aufweiſt, während die
dort vorhandenen, der Warſchau-Wiener Eiſenbahngeſellſchaft
gehörenden Bahnen die weſteuropäiſche normale Spurweite
aufweiſen. Kaliſch war alſo der wichtige Punkt an der
Grenze, bis zu dem die ruſſiſchen Eiſenbahnwagen, die, wie
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nern Rußlands gelangen konnten, während dies beiſpielsweiſe
bei dem Grenzübergang Alexandrowo nicht möglich iſt, da die
Strecke Warſchau—Alexandrowo die europäiſche Spurweite
aufweiſt. An der Strecke Warſchau—Kaliſch liegt auch Lodz,
das polniſche Mancheſter, die größte Induſtrieſtadt Rußlands,
deren Bevölkerung von mehr als 600,000 Einwohnern wohl
zur Hälfte aus Deutſchen, jetzt zumeiſt Nachkommen von ein-
gewanderten Reichsdeutſchen, beſteht. Die koloſſale Induſtrie
dieſer Stadt, die vorwiegend eine Baumwollinduſtrie iſt, ver-
ſorgt den größten Teil des weiten ruſſiſchen Reiches mit ihren
Erzeugniſſen. Die meiſten deutſchen Einwohner von Lodz
ſtammen aus dem Königreich Sachſen. — Auch in Kaliſch hat
ſich in der letzten Zeit eine bedeutende Induſtrie entwickelt.
Dieſer Ort ſpielte einſt in der Zeit der turmhohen preußiſch-
ruſſiſchen Freundſchaft eine hervorragende Rolle. In Kaliſch
wurde am 28. Februar 1813 der preußiſch-ruſſiſche Bündnis-
vertrag von dem Könige Friedrich Wilhelm III. und dem
Kaiſer Alexander I. unterzeichnet, der die Vorausſetzung zu
der Erhebung Preußens gegen die franzöſiſche Fremdherr-
ſchaft bildete. In Kaliſch fand im Jahre 1831 die bekannte
Revue über die vereinigten preußiſchen und ruſſiſchen Trup-
pen vor dem Könige Friedrich Wilhelm III. und dem Zaren
Nikolaus I. ſtatt. Die preußiſchen und ruſſiſchen Truppen
hatten hier in der Stärke von etwa 160,000 Mann ein
Uebungslager bezogen. Die preußiſchen Soldaten, die an der
Kaliſcher Revue teilgenommen hatten, trugen als bleibende
Erinnerung daran eine ſchwarz-weiß-gelbe Schnur (in den
vereinigten preußiſchen und ruſſiſchen Farben) auf den Achſel-
klappen. In der Kriegsgeſchichte iſt Kaliſch beſonders noch
durch die Niederlage bekannt geworden, die dort Karl XII.
von Schweden im Nordiſchen Kriege am 29. Oktober 1706
gegenüber den vereinigten Ruſſen und Sachſen erlitten hatte.

Die ſtrategiſche Bedeutung von Czenſtochau, das
am Montag, wie bekannt, ebenfalls von den preußiſchen
Truppen beſetzt wurde, beſteht darin, daß hier die preußiſch-
ruſſiſche Eiſenbahn-Grenzübergangsſtrecke Herby—Czen-
ſtochau in die Warſchau-Wiener Bahn einmündet. In Czen-
ſtochau liegt auf der Jasna Gora das Nationalheiligtum der
Polen, das berühmte Wallfahrtskloſter mit dem wundertäti-
gen Muttergottesbilde, zu dem alljährlich Zehntauſende von
Polen aus Rußland, Preußen und Oeſterreich zu wallen
pflegen. Die Jasna Gora (der leuchtende Berg) war einſt
ſtark befeſtigt. Das Kloſter iſt aufgebaut wie eine Burg und
trägt auf ſeinen Außenmauern Kriegsembleme. Sogar der
[Spaltenumbruch] Raum, in dem ſich das berühmte Muttergottesbild befindet,
weiſt an der Decke Schlachtenbilder auf. Vor einigen Jahren
erregten die Verbrechen des Mönches Maczoch, die dieſer in
dem Kloſter begangen hatte (Maczoch hatte u. a. in ſeiner
Zelle ſeinen eigenen Bruder ermordet) überall das größte
Aufſehen.

Um den Zugang zur ruſſiſchen Hauptſtadt von der See-
ſeite unmöglich zu machen, zerſtören die Ruſſen ihre eigenen
Werke. So haben ſie den finniſchen Meerbuſen Hangö
geſperrt. Aus Kopenhagen wird darüber dem Wolffſchen Tele-
graphenbureau gemeldet: Eine Meldung berichtet über die Zerſtö-
rung von Hangö, dem beſten Hafenplatz Finnlands am Eingang
zum finniſchen Meerbuſen, durch die Ruſſen. Die Ruſſen verſenk-
ten am Sonntag und Montag einen großen Dampfer im Hafen-
eingang und ebenſo alle Hafenkräne, ſprengten die Eiſenbahn-
werkſtätten und die Hafenmole in die Luft, ſteckten 30 Magazine
in Brand, zerſtörten die Eiſenbahnlinien und ſperrten die Einfahrt
in den finniſchen Meerbuſen und beſonders die Fahrrinne nach
Petersburg durch Minen. Die Einfahrt wird durch eine Torpedo-
bootsflotille bewacht.

Drei im Grenzſchutz bei Eydtkuhnen ſtehende Kompagnien,
unterſtützt durch heraneilende Feldartillerie, haben die über Romei-
ken auf Schleuben vorgehenden — drei ruſſiſchen Kavalleriedivi-
ſionen (!) über die Grenze zurückgeworfen.

Die ruſſiſchen Unwahrheiten nehmen ihren Fortgang. Sie
treten für jedermann ſichtlich hervor in dem Orangebuch, über das
das Wolf’ſche Telegraphenbureau nachſtehende Depeſche verbreitet:

Die ruſſiſche Regierung veröffentlichte ein Orangebuch
über die diplomatiſchen Verhandlungen vor dem Kriegsaus-
bruch und ſtellt darin die Behauptung auf, Deutſchland hätte
den letzten Vermittlungsvorſchlag Greys abgelehnt.

Dieſe Behauptung iſt unwahr, Deutſchland unterſtützte im
Gegenteil dieſen letzten Vorſchlag Greys, Oeſterreich möchte
nach der Beſetzung Belgrads und ſerbiſchen Territoriums in
Verhandlungen eintreten, in Wien nachdrücklich. Die hiermit
angeſtrebte Vermittlung wurde aber durch die ruſſiſche Mobili-
ſierung illuſoriſch gemacht.

Ferner wird von der ruſſiſchen Regierung behauptet, die
deutſche Regierung ordnete, während die Verhandlungen in
vollem Gange waren, die Mobiliſierung an, ſtellte ein Ultima-
tum und erklärte den Krieg. — Dieſe Darſtellung iſt falſch. Die
ruſſiſche Regierung ſtellt die Tatſachen direkt auf den Kopf.
Noch am Donnerstag, 30. Juli, wurde dem ruſſiſchen Miniſter
des Aeußern vom kaiſerlichen Botſchafter eröffnet, daß die
Vermittlungsaktion der kaiſerlichen Regierung fortgeſetzt wird
und daß eine Antwort auf den letzten vom Berliner Kabinett
in Wien getanen Schritt noch ausſtehe. Die am nächſten
Morgen bekannt gewordene Mobilmachung der ganzen ruſſi-
ſchen Armee und Flotte mußte unter dieſen Umſtänden in
Deutſchland um ſo mehr als eine Provokation wirken, als vom
ruſſiſchen Generalſtabschef wenige Tage vorher dem deutſchen
Militärattaché verſichert wurde, daß im Falle eines Ueber-
ſchreitens der ſerbiſchen Grenze durch die Oeſterreicher nur die
ruſſiſchen Militärbezirke an der öſterreichiſchen Grenze, nicht
aber an der deutſchen Grenze mobil gemacht würden.


Kläglich iſt der Eindruck der Rechtfertigungsverſuche des Krie-
ges, den der Zar in einer Anſprache, ſowie ſein Miniſter des
Aeußern in der Reichsduma unternommen haben. Wenn dieſe
Reden etwas weiter zurückliegen, dürfen ſie doch heute noch kultu-
relles Intereſſe beanſpruchen.

Der Zar empfing im Winterpalais in Gegenwart des Genera-
liſſimus, Großfürſten Nikolaus Nikolajewitſch, und ſämtlicher Mini-
ſter die Mitglieder der Reichsduma und des Reichsrates in feier-
licher Audienz und hielt dabei folgende Anſprache:

In dieſen bedeutungsvollen Tagen der Aufregung und der
Unruhe, welche Rußland durchmacht, entbiete ich Euch meinen Gruß.
Das Deutſche Reich und darauf Oeſterreich-Ungarn haben Rußland
den Krieg erklärt. Der ungeheure Aufſchwung patriotiſcher Ge-
fühle, der Liebe und der Treue für den Thron, der wie ein Sturm-
wind durch unſer ganzes Land ging, iſt mir wie Euch eine Bürg-
ſchaft. Ich hoffe, daß das große Rußland den Krieg, den ihm der
Herr ſchickt, zu einem glücklichen Ende führen wird. Aus dieſem
einmütigen Sturm von Liebe und Eifer, ſelbſt das Leben zu opfern,
ſchöpfe ich meine Kraft, um der Zukunft mit Ruhe und Feſtigkeit

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[511/0005] 15. Auguſt 1914. Allgemeine Zeitung die Kreuzer „Augsburg“ und Magdebuerg“, ferner das Erſcheinen unſerer im Mittelmeer befindlichen Schiffe an der Küſte von Algier und die Beſchießung der franzöſiſchen Truppenverladeplätze Phi- lippsville und Bône, zeigt ſo recht den offenſiv-militäriſchen Geiſt, der unſere ganze Flotte beſeelt. Der Feind im Oſten. Auch an der ruſſiſchen Grenze haben wir nur Erfolge zu ver- zeichnen. Die deutſchen Truppen haben die beiden wichtigen Grenz- orte Kaliſch und Czenſtochau genommen. Dieſe beiden Einnahmen geben der Kreuzzeitung Gelegenheit, auf die Bedeutung der beiden wichtigen Grenzorte hinzuweiſen: Die Ruſſen haben ohne jeden Kampf beide Orte geräumt. Dies muß bei Kaliſch deswegen beſonderes Erſtaunen her- vorrufen, weil die Ruſſen erſt vor etwa 10 Jahren lediglich aus ſtrategiſchen Gründen die Eiſenbahn Warſchau—Lodz— Kaliſch gebaut haben. Dieſe Bahn vermittelt über Skalmier- zyce—Oſtrowo einen Grenzübergang, der im Zuge der alten Hauptverkehrsſtraße aus dem Innern Deutſchlands nach War- ſchau in der Richtung Dresden—Sagan—Glogau—Kaliſch verläuft. Dieſe alte Verkehrsſtraße hatte namentlich zu der- jenigen Zeit eine ſehr große Bedeutung, als die Kurfürſten von Sachſen Könige von Polen waren. Das Beſondere an der Bahn Warſchau—Kaliſch iſt aber, daß dieſe die einzige in Ruſſiſch-Polen an die preußiſche Grenze heranführende Bahn iſt, die das breite ruſſiſche Gleis aufweiſt, während die dort vorhandenen, der Warſchau-Wiener Eiſenbahngeſellſchaft gehörenden Bahnen die weſteuropäiſche normale Spurweite aufweiſen. Kaliſch war alſo der wichtige Punkt an der Grenze, bis zu dem die ruſſiſchen Eiſenbahnwagen, die, wie bekannt, erheblich breiter ſind, als die unſrigen, aus dem In- nern Rußlands gelangen konnten, während dies beiſpielsweiſe bei dem Grenzübergang Alexandrowo nicht möglich iſt, da die Strecke Warſchau—Alexandrowo die europäiſche Spurweite aufweiſt. An der Strecke Warſchau—Kaliſch liegt auch Lodz, das polniſche Mancheſter, die größte Induſtrieſtadt Rußlands, deren Bevölkerung von mehr als 600,000 Einwohnern wohl zur Hälfte aus Deutſchen, jetzt zumeiſt Nachkommen von ein- gewanderten Reichsdeutſchen, beſteht. Die koloſſale Induſtrie dieſer Stadt, die vorwiegend eine Baumwollinduſtrie iſt, ver- ſorgt den größten Teil des weiten ruſſiſchen Reiches mit ihren Erzeugniſſen. Die meiſten deutſchen Einwohner von Lodz ſtammen aus dem Königreich Sachſen. — Auch in Kaliſch hat ſich in der letzten Zeit eine bedeutende Induſtrie entwickelt. Dieſer Ort ſpielte einſt in der Zeit der turmhohen preußiſch- ruſſiſchen Freundſchaft eine hervorragende Rolle. In Kaliſch wurde am 28. Februar 1813 der preußiſch-ruſſiſche Bündnis- vertrag von dem Könige Friedrich Wilhelm III. und dem Kaiſer Alexander I. unterzeichnet, der die Vorausſetzung zu der Erhebung Preußens gegen die franzöſiſche Fremdherr- ſchaft bildete. In Kaliſch fand im Jahre 1831 die bekannte Revue über die vereinigten preußiſchen und ruſſiſchen Trup- pen vor dem Könige Friedrich Wilhelm III. und dem Zaren Nikolaus I. ſtatt. Die preußiſchen und ruſſiſchen Truppen hatten hier in der Stärke von etwa 160,000 Mann ein Uebungslager bezogen. Die preußiſchen Soldaten, die an der Kaliſcher Revue teilgenommen hatten, trugen als bleibende Erinnerung daran eine ſchwarz-weiß-gelbe Schnur (in den vereinigten preußiſchen und ruſſiſchen Farben) auf den Achſel- klappen. In der Kriegsgeſchichte iſt Kaliſch beſonders noch durch die Niederlage bekannt geworden, die dort Karl XII. von Schweden im Nordiſchen Kriege am 29. Oktober 1706 gegenüber den vereinigten Ruſſen und Sachſen erlitten hatte. Die ſtrategiſche Bedeutung von Czenſtochau, das am Montag, wie bekannt, ebenfalls von den preußiſchen Truppen beſetzt wurde, beſteht darin, daß hier die preußiſch- ruſſiſche Eiſenbahn-Grenzübergangsſtrecke Herby—Czen- ſtochau in die Warſchau-Wiener Bahn einmündet. In Czen- ſtochau liegt auf der Jasna Gora das Nationalheiligtum der Polen, das berühmte Wallfahrtskloſter mit dem wundertäti- gen Muttergottesbilde, zu dem alljährlich Zehntauſende von Polen aus Rußland, Preußen und Oeſterreich zu wallen pflegen. Die Jasna Gora (der leuchtende Berg) war einſt ſtark befeſtigt. Das Kloſter iſt aufgebaut wie eine Burg und trägt auf ſeinen Außenmauern Kriegsembleme. Sogar der Raum, in dem ſich das berühmte Muttergottesbild befindet, weiſt an der Decke Schlachtenbilder auf. Vor einigen Jahren erregten die Verbrechen des Mönches Maczoch, die dieſer in dem Kloſter begangen hatte (Maczoch hatte u. a. in ſeiner Zelle ſeinen eigenen Bruder ermordet) überall das größte Aufſehen. Um den Zugang zur ruſſiſchen Hauptſtadt von der See- ſeite unmöglich zu machen, zerſtören die Ruſſen ihre eigenen Werke. So haben ſie den finniſchen Meerbuſen Hangö geſperrt. Aus Kopenhagen wird darüber dem Wolffſchen Tele- graphenbureau gemeldet: Eine Meldung berichtet über die Zerſtö- rung von Hangö, dem beſten Hafenplatz Finnlands am Eingang zum finniſchen Meerbuſen, durch die Ruſſen. Die Ruſſen verſenk- ten am Sonntag und Montag einen großen Dampfer im Hafen- eingang und ebenſo alle Hafenkräne, ſprengten die Eiſenbahn- werkſtätten und die Hafenmole in die Luft, ſteckten 30 Magazine in Brand, zerſtörten die Eiſenbahnlinien und ſperrten die Einfahrt in den finniſchen Meerbuſen und beſonders die Fahrrinne nach Petersburg durch Minen. Die Einfahrt wird durch eine Torpedo- bootsflotille bewacht. Drei im Grenzſchutz bei Eydtkuhnen ſtehende Kompagnien, unterſtützt durch heraneilende Feldartillerie, haben die über Romei- ken auf Schleuben vorgehenden — drei ruſſiſchen Kavalleriedivi- ſionen (!) über die Grenze zurückgeworfen. Die ruſſiſchen Unwahrheiten nehmen ihren Fortgang. Sie treten für jedermann ſichtlich hervor in dem Orangebuch, über das das Wolf’ſche Telegraphenbureau nachſtehende Depeſche verbreitet: Die ruſſiſche Regierung veröffentlichte ein Orangebuch über die diplomatiſchen Verhandlungen vor dem Kriegsaus- bruch und ſtellt darin die Behauptung auf, Deutſchland hätte den letzten Vermittlungsvorſchlag Greys abgelehnt. Dieſe Behauptung iſt unwahr, Deutſchland unterſtützte im Gegenteil dieſen letzten Vorſchlag Greys, Oeſterreich möchte nach der Beſetzung Belgrads und ſerbiſchen Territoriums in Verhandlungen eintreten, in Wien nachdrücklich. Die hiermit angeſtrebte Vermittlung wurde aber durch die ruſſiſche Mobili- ſierung illuſoriſch gemacht. Ferner wird von der ruſſiſchen Regierung behauptet, die deutſche Regierung ordnete, während die Verhandlungen in vollem Gange waren, die Mobiliſierung an, ſtellte ein Ultima- tum und erklärte den Krieg. — Dieſe Darſtellung iſt falſch. Die ruſſiſche Regierung ſtellt die Tatſachen direkt auf den Kopf. Noch am Donnerstag, 30. Juli, wurde dem ruſſiſchen Miniſter des Aeußern vom kaiſerlichen Botſchafter eröffnet, daß die Vermittlungsaktion der kaiſerlichen Regierung fortgeſetzt wird und daß eine Antwort auf den letzten vom Berliner Kabinett in Wien getanen Schritt noch ausſtehe. Die am nächſten Morgen bekannt gewordene Mobilmachung der ganzen ruſſi- ſchen Armee und Flotte mußte unter dieſen Umſtänden in Deutſchland um ſo mehr als eine Provokation wirken, als vom ruſſiſchen Generalſtabschef wenige Tage vorher dem deutſchen Militärattaché verſichert wurde, daß im Falle eines Ueber- ſchreitens der ſerbiſchen Grenze durch die Oeſterreicher nur die ruſſiſchen Militärbezirke an der öſterreichiſchen Grenze, nicht aber an der deutſchen Grenze mobil gemacht würden. Kläglich iſt der Eindruck der Rechtfertigungsverſuche des Krie- ges, den der Zar in einer Anſprache, ſowie ſein Miniſter des Aeußern in der Reichsduma unternommen haben. Wenn dieſe Reden etwas weiter zurückliegen, dürfen ſie doch heute noch kultu- relles Intereſſe beanſpruchen. Der Zar empfing im Winterpalais in Gegenwart des Genera- liſſimus, Großfürſten Nikolaus Nikolajewitſch, und ſämtlicher Mini- ſter die Mitglieder der Reichsduma und des Reichsrates in feier- licher Audienz und hielt dabei folgende Anſprache: In dieſen bedeutungsvollen Tagen der Aufregung und der Unruhe, welche Rußland durchmacht, entbiete ich Euch meinen Gruß. Das Deutſche Reich und darauf Oeſterreich-Ungarn haben Rußland den Krieg erklärt. Der ungeheure Aufſchwung patriotiſcher Ge- fühle, der Liebe und der Treue für den Thron, der wie ein Sturm- wind durch unſer ganzes Land ging, iſt mir wie Euch eine Bürg- ſchaft. Ich hoffe, daß das große Rußland den Krieg, den ihm der Herr ſchickt, zu einem glücklichen Ende führen wird. Aus dieſem einmütigen Sturm von Liebe und Eifer, ſelbſt das Leben zu opfern, ſchöpfe ich meine Kraft, um der Zukunft mit Ruhe und Feſtigkeit

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 33, 15. August 1914, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine33_1914/5>, abgerufen am 21.11.2024.