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Allgemeine Zeitung, Nr. 33, 2. Februar 1850.

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[Spaltenumbruch] mannes hieselbst veranlaßt, beginnen übrigens schon wieder Gerüchte von
seinem Rücktritt aus der Bundescommission sich geltend zu machen. Sie
sind ganz unbegründet, finden aber Nahrung in der bekannten Thatsache
daß das Wiener Cabinet beim gegenseitigen Meinungstausch über die
von den beiden Großmächten zu Bundescommissarien bezeichneten Persön-
lichkeiten zwar die ausgezeichnete Befähigung und alle sonstigen vortreff-
lichen Eigenschaften des Generals im hohen Grade anerkannt, aber doch
auch ganz verständlich auf seinen Oesterreich principiell widersprechen den
Standpunkt in der deutschen Frage hingedeutet hat. Der österreichische
Wink blieb damals unbeachtet; ich habe Grund zu vermuthen daß, wenn er
erneuert würde, ihm eine gleiche Aufnahme bevorstände. Jenes Te-
stimonium wäre vielleicht kein uninteressanter Beitrag für den neuesten
Biographen v. Radowitz's gewesen. Ich meine Emil Frensdorf, den Ver-
fasser des gediegenen Buches sur la Belgique, sowie der Biographie Camp-
hausens. Seine biographische Skizze "Joseph v. Radowitz", auf welche ich
Sie hier beiläufig aufmerksam machen möchte, ist wohl der erste beachtens-
werthe Versuch auf thatsächlichem Boden uns die wahre Charakteristik
einer Persönlichkeit zu geben welche die Schlacken der Tagespresse bis zur
Unkenntlichkeit entstellt hatten. Der Verfasser hatte, wie ich höre, Gele-
genheit durch Vermittelung eines angesehenen Abgeordneten von dem
General selbst Aufschlüsse über zweifelhafte Thatsachen zu erhalten, und
sich dadurch die Kritik eines wahren Wustes von Fictionen zu erleichtern.
Der Hauptvorzug des Buchs besteht in einer um so mehr anzuerkennenden
Objectivität, als der Verfasser zwar zur Gothaer Partei gehört, sonst aber
in Fragen der innern und äußern Politik als v. Radowitz's politischer
Gegner zu betrachten ist. Es ist unrichtig daß Graf Rechberg, der frü-
here österreichische Bevollmächtigte bei der Centralgewalt, ein neues Cre-
ditiv als Bevollmächtigter bei der Bundescommission erhalten, und deß-
halb nach Frankfurt zurückgekehrt sey. Ebensowenig wird ein preußischer
Bevollmächtigter daselbst beglaubigt werden. Von den neuen Verfassungs-
grundlinien der vier Königreiche ist noch keine, weder officielle noch ver-
trauliche, Mittheilung hieher erfolgt. Die erste Kammer wird nun doch
erst nach ausführlicher Discussion über die Beschlüsse der zweiten Kammer
selbst beschließen.


Der zweite hiestge Wahlkreis für Erfurt
ward heute durch eine eigenthümliche Meldung überrascht. Die streng
conservative Fraction hatte sich in ihrer Privatversammlung, erschreckt
durch die Nachricht daß auf der constitutionellen Seite Heinrich v. Gagern
viele Aussicht habe, für einen Candidaten ihrer Färbung in der Person
des Geheimenrathes v. Jordan vereinigt. Die constitutionelle schwankte
zwischen Gagern und v. Patow. Die Nachricht jener Vereinigung be-
wog sie, um auf den Localpatriotismus in ihrer Partei rechnen zu dür-
fen, von Gagern abzugehen, wie schmerzlich dieß auch vielen war, und
allein auf Hrn. v. Patow ihre ganze Kraft zu werfen. Inzwischen war
die Nachricht gekommen daß auf den ausdrücklichen Wunsch des Königs
Graf Brandenburg seine srühern Bedenken aufgegeben, und sich als Can-
didat für Berlin mit der Erklärung gemeldet daß es sein dringender
Wunsch sey Berlin in Erfurt zu vertreten, und daß man seine Wahl als
ein Zeichen der Dankbarkeit und loyalen Gesinnung der Berliner anneh-
men würde. Sofort ward von der Partel ihr Candidat v. Jordan ver-
lassen, und sie ging durch Acclamation (natürlich in ihrer Privatver-
sammlung) zum Ministerpräsidenten über. Bei der Abstimmung in der
Gesammtvereinigung der Fractionen heut Abend (im Saal des Schau-
spielhauses) erhielten außer einigen zersplitterten, Graf Brandenburg 80,
Frhr. v. Patow 70 Stimmen. Da viele Wahlmänner fehlten, könnte sich
bei der morgenden Vorwahl das Resultat noch sehr anders gestalten,
wenn dieß nicht schon durch eine Rede geschieht welche Professor Hensel,
ein Mitvorstand der conservativen Vereine, an die Wahlmänner zum
Schlusse hielt. Der ungefähre Inhalt war: ein loyaler Berliner könne
nun nicht in Zweifel seyn wem er seine Stimme gebe. Wenn es sich
schon von selbst verstehe daß ihm die hohe Person, der Berlin es verdanke
daß sie Wiens Schicksal entgangen, über alle Candidaten gehen müsse, so
sey es nach der hohen Weisung gar nicht mehr Wahl, sondern ein politi-
scher Staatsact. Wenn der König Berlin würdige durch seinen Minister-
präsidenten in Erfurt vertreten zu werden, so wäre es unerhört, unglaub-
lich und gar nicht anzunehmen daß Verlin diese Ehre nicht würdigen solle.
Den Grafen Brandenburg nicht wählen heiße soviel als ein Protest gegen
das Ministerium Brandenburg, zu welchem doch niemand aus der conser-
vativen Versammlung sich bekennen wolle. "Blinder Eifer schadet nur,"
heißt es in der Fabel, ob das hier der Fall seyn wird und ob die Wahl-
männer diese Auslegung des freien Wahlrechts werden gelten lassen,
steht dahin. Die Rede wurde mit Murren und Bravos unterbrochen.
Sie erinnerte an eine ähnliche im Julius versuchte Octroyirung, welche
damals Geheimerath v. Mühler zu Gunsten des Grafen Brandenburg un-
ternahm, die aber so unglücklich ausschlug daß der Ministerpräfident stei-
[Spaltenumbruch] willig zurücktrat. Gegen die hochehrenwerthe Persönlichkeit dieses ritter-
lichen Charakters wird niemand etwas einwenden, der edle Mann, der
durch seinen Muth und seine lovale Hingabe an die Sache seines Königs
und Vaterlandes schon so große Opfer gebracht, dessen wohlthätigen Einfluß
in den Vermittlungen zwischen König und Ministerium jeder anerkennt,
ist aber zu bedauern daß übereifrige Freunde ihn in so kritische Lagen
bringen, welche so hochgestellte Männer um jeden Preis vermeiden soll-
ten. Ob die Besorgniß daß Berlin Heinrich v. Gagern wählen könne
zu diesem außergewöhnlichen Verfahren Anlaß gewesen, weiß noch
niemand.


Die Beendigung unserer sogenannten "ge-
fahrvollen Krists" kann kaum eine Lösung nach irgendeiner Seite hin ge-
nannt werden! Die halbosstciellen Organe nennen heut den parlamenta-
rischen Kampf der in der Nacht vom 26 auf den 27 d. M. gekämpft wor-
den, "einen verhängnißvollen," aber dieß Verhängniß, welches nach den
Versicherungen der ministeriellen Presse schon dicht hinter uns gestanden
oder das vielleicht auch noch vor uns steht, hat weder durch den Sieg auf
der einen noch durch die Niederlage auf der andern Seite an Räthselhaf-
tigkeit etwas verloren. Wenn wir aufrichtig seyn wollen, müssen wir sa-
gen daß wir eigentlich gar nicht wissen wie uns geschehen ist! Die neue
Befestigung des Ministeriums Brandenburg ist das klarste und sicherste
was uns zunächst aus dem uns umdunkelnden Chaos wieder entgegentritt.
Das Ministerium kann sich indeß nicht verhehlen daß sein Sieg nicht mit
einer solchen Majorität erfochten worden ist wie dieselbe sonst, nach der
rein constitutionellen Convenienz, als Prüsstein für den Bestand eines
Cabinets gefordert zu werden pflegt. Der Sieg, der gewonnen und be-
reits in Besitz genommen wurde, schaukelt sich auf einer Majorität von
12 Stimmen, welche das Amendement Arnim-Boytzenburg zur Annahme
brachte. Schon während der entscheidungsvollen Abstimmung wurde es
klar daß nur durch den bekannten systematischen Eigensinn der polnischen
Kammer-Mitglieder die Pairie, und mithin der Kern der königlichen Bot-
schaft den Sieg davon tragen würde. Die in der zweiten Kammer befind-
lichen 14 Polen glaubten auch dießmal der Abstimmung sich enthalten zu
müssen, weil sie überhaupt ihren Antheil an der preußischen und deutschen
Volksvertretung nur so weit fassen als sie zu einer Demonstration für die
ihnen davon abgesonderte polnische Nationalsache auf diesem Wege Gele-
genheit finden können. Wenn sie daher in allen den preußischen Staat
betreffenden organischen Fragen nicht mitstimmen, so glauben sie auch
schon durch diese bloße Negation ihr nationales Recht zu wahren, denn
nach ihrer rein principiellen Taktik würden sie es schon zu compromittiren
meinen wenn sie gleich den andern preußischen Abgeordneten an dem
neuen Staatsorganismus selbst mitarbeiten. Diese polnische Taktik, de-
ren innere Zweckmäßigkeit wir hier dahingestellt seyn lassen wollen, hat
die preußische Pairiefrage und den Fortbestand des Ministeriums Bran-
denburg entschieden. Es werden darüber jetzt sehr harte, dem polnischen
Nationalcharakter ungünstige Urtheile laut, und man scheint namentlich
im constitutionell-liberalen Parteilager geneigt die Polen deßhalb in ei-
nen Anklagezustand bei der öffentlichen Meinung zu versetzen. Das Mi-
nisterium seinerseits ist geneigt die geringe Majorität mit der es aus die-
ser Krists hervorgegangen, sich keineswegs ungünstig zu deuten. Es hat
insofern Recht als bei einem Bankerott der ganzen Verfassungsurkunde,
wie er in Aussicht stand, es auf die strenge Einhaltung der constitutio-
nellen Etikette nicht ankommen konnte. Die ministeriellen Organe stellen
heut die stnnreiche Ausicht auf daß die Institution einer erblichen Pairie,
welche gewissermaßen die politische Bevorzugung einer "glücklicher situir-
ten Minderheit" sey, eigentlich gar nicht recht zum Gegenstande der Ab-
stimmung einer "minder glücklichen Mehrheit" gemacht werden könne, son-
dern am besten von oben herab geschaffen werde. Diese höchst ergötz-
liche Betrachtung, welche unmittelbar aus dem litjerarischen Cabinet des
Ministeriums gestossen, charakteristrt eigentlich am meisten den Umschlag
der Meinungen der bei uns seit kurzem stattgefunden hat. Mit ähnli-
chen, fast ans Sentimentale anstreifenden Gründen wird man freilich auch
bald deduciren können daß überhaupt mit der constitutionellen Majorität
nicht zu regieren ist, und daß es einer starken Regierung bei weitem wür-
diger sey sich auf die ausgesprochene Minorität zu stützen. Niemand kann
einsehen daß durch die Art und Weise wie die königliche Botschaft mit
ihren wesentlichsten Vorlagen angenommen worden ist, das constitutionelle
Princip in Preußen eine Stärkung erfahren habe. Wo das Schicksal ei-
ner ganzen Staatsorganisation an einem so losen Faden hing, da darf
man sich vielfachen und gerechten Zweifeln auch für die Zukunft über-
lassen. Die geheime Geschichte des Arnim-Boytzenburgischen Amende-
ments soll reich an interessanten und charakteristischen Momenten seyn.
Die entscheidende Taktik des Grafen Arnim bestand eigentlicb bei diesem
Amendement darin daß er den Grafen Schwerin, den Präsidenten der
zweiten Kammer, zur Mitunterzeichnung und Mitvertretung zu bewegen

[Spaltenumbruch] mannes hieſelbſt veranlaßt, beginnen übrigens ſchon wieder Gerüchte von
ſeinem Rücktritt aus der Bundescommiſſion ſich geltend zu machen. Sie
ſind ganz unbegründet, finden aber Nahrung in der bekannten Thatſache
daß das Wiener Cabinet beim gegenſeitigen Meinungstauſch über die
von den beiden Großmächten zu Bundescommiſſarien bezeichneten Perſön-
lichkeiten zwar die ausgezeichnete Befähigung und alle ſonſtigen vortreff-
lichen Eigenſchaften des Generals im hohen Grade anerkannt, aber doch
auch ganz verſtändlich auf ſeinen Oeſterreich principiell widerſprechen den
Standpunkt in der deutſchen Frage hingedeutet hat. Der öſterreichiſche
Wink blieb damals unbeachtet; ich habe Grund zu vermuthen daß, wenn er
erneuert würde, ihm eine gleiche Aufnahme bevorſtände. Jenes Te-
ſtimonium wäre vielleicht kein unintereſſanter Beitrag für den neueſten
Biographen v. Radowitz’s geweſen. Ich meine Emil Frensdorf, den Ver-
faſſer des gediegenen Buches sur la Belgique, ſowie der Biographie Camp-
hauſens. Seine biographiſche Skizze „Joſeph v. Radowitz“, auf welche ich
Sie hier beiläufig aufmerkſam machen möchte, iſt wohl der erſte beachtens-
werthe Verſuch auf thatſächlichem Boden uns die wahre Charakteriſtik
einer Perſönlichkeit zu geben welche die Schlacken der Tagespreſſe bis zur
Unkenntlichkeit entſtellt hatten. Der Verfaſſer hatte, wie ich höre, Gele-
genheit durch Vermittelung eines angeſehenen Abgeordneten von dem
General ſelbſt Aufſchlüſſe über zweifelhafte Thatſachen zu erhalten, und
ſich dadurch die Kritik eines wahren Wuſtes von Fictionen zu erleichtern.
Der Hauptvorzug des Buchs beſteht in einer um ſo mehr anzuerkennenden
Objectivität, als der Verfaſſer zwar zur Gothaer Partei gehört, ſonſt aber
in Fragen der innern und äußern Politik als v. Radowitz’s politiſcher
Gegner zu betrachten iſt. Es iſt unrichtig daß Graf Rechberg, der frü-
here öſterreichiſche Bevollmächtigte bei der Centralgewalt, ein neues Cre-
ditiv als Bevollmächtigter bei der Bundescommiſſion erhalten, und deß-
halb nach Frankfurt zurückgekehrt ſey. Ebenſowenig wird ein preußiſcher
Bevollmächtigter daſelbſt beglaubigt werden. Von den neuen Verfaſſungs-
grundlinien der vier Königreiche iſt noch keine, weder officielle noch ver-
trauliche, Mittheilung hieher erfolgt. Die erſte Kammer wird nun doch
erſt nach ausführlicher Discuſſion über die Beſchlüſſe der zweiten Kammer
ſelbſt beſchließen.


Der zweite hieſtge Wahlkreis für Erfurt
ward heute durch eine eigenthümliche Meldung überraſcht. Die ſtreng
conſervative Fraction hatte ſich in ihrer Privatverſammlung, erſchreckt
durch die Nachricht daß auf der conſtitutionellen Seite Heinrich v. Gagern
viele Ausſicht habe, für einen Candidaten ihrer Färbung in der Perſon
des Geheimenrathes v. Jordan vereinigt. Die conſtitutionelle ſchwankte
zwiſchen Gagern und v. Patow. Die Nachricht jener Vereinigung be-
wog ſie, um auf den Localpatriotismus in ihrer Partei rechnen zu dür-
fen, von Gagern abzugehen, wie ſchmerzlich dieß auch vielen war, und
allein auf Hrn. v. Patow ihre ganze Kraft zu werfen. Inzwiſchen war
die Nachricht gekommen daß auf den ausdrücklichen Wunſch des Königs
Graf Brandenburg ſeine ſrühern Bedenken aufgegeben, und ſich als Can-
didat für Berlin mit der Erklärung gemeldet daß es ſein dringender
Wunſch ſey Berlin in Erfurt zu vertreten, und daß man ſeine Wahl als
ein Zeichen der Dankbarkeit und loyalen Geſinnung der Berliner anneh-
men würde. Sofort ward von der Partel ihr Candidat v. Jordan ver-
laſſen, und ſie ging durch Acclamation (natürlich in ihrer Privatver-
ſammlung) zum Miniſterpräſidenten über. Bei der Abſtimmung in der
Geſammtvereinigung der Fractionen heut Abend (im Saal des Schau-
ſpielhauſes) erhielten außer einigen zerſplitterten, Graf Brandenburg 80,
Frhr. v. Patow 70 Stimmen. Da viele Wahlmänner fehlten, könnte ſich
bei der morgenden Vorwahl das Reſultat noch ſehr anders geſtalten,
wenn dieß nicht ſchon durch eine Rede geſchieht welche Profeſſor Henſel,
ein Mitvorſtand der conſervativen Vereine, an die Wahlmänner zum
Schluſſe hielt. Der ungefähre Inhalt war: ein loyaler Berliner könne
nun nicht in Zweifel ſeyn wem er ſeine Stimme gebe. Wenn es ſich
ſchon von ſelbſt verſtehe daß ihm die hohe Perſon, der Berlin es verdanke
daß ſie Wiens Schickſal entgangen, über alle Candidaten gehen müſſe, ſo
ſey es nach der hohen Weiſung gar nicht mehr Wahl, ſondern ein politi-
ſcher Staatsact. Wenn der König Berlin würdige durch ſeinen Miniſter-
präſidenten in Erfurt vertreten zu werden, ſo wäre es unerhört, unglaub-
lich und gar nicht anzunehmen daß Verlin dieſe Ehre nicht würdigen ſolle.
Den Grafen Brandenburg nicht wählen heiße ſoviel als ein Proteſt gegen
das Miniſterium Brandenburg, zu welchem doch niemand aus der conſer-
vativen Verſammlung ſich bekennen wolle. „Blinder Eifer ſchadet nur,“
heißt es in der Fabel, ob das hier der Fall ſeyn wird und ob die Wahl-
männer dieſe Auslegung des freien Wahlrechts werden gelten laſſen,
ſteht dahin. Die Rede wurde mit Murren und Bravos unterbrochen.
Sie erinnerte an eine ähnliche im Julius verſuchte Octroyirung, welche
damals Geheimerath v. Mühler zu Gunſten des Grafen Brandenburg un-
ternahm, die aber ſo unglücklich ausſchlug daß der Miniſterpräfident ſtei-
[Spaltenumbruch] willig zurücktrat. Gegen die hochehrenwerthe Perſönlichkeit dieſes ritter-
lichen Charakters wird niemand etwas einwenden, der edle Mann, der
durch ſeinen Muth und ſeine lovale Hingabe an die Sache ſeines Königs
und Vaterlandes ſchon ſo große Opfer gebracht, deſſen wohlthätigen Einfluß
in den Vermittlungen zwiſchen König und Miniſterium jeder anerkennt,
iſt aber zu bedauern daß übereifrige Freunde ihn in ſo kritiſche Lagen
bringen, welche ſo hochgeſtellte Männer um jeden Preis vermeiden ſoll-
ten. Ob die Beſorgniß daß Berlin Heinrich v. Gagern wählen könne
zu dieſem außergewöhnlichen Verfahren Anlaß geweſen, weiß noch
niemand.


Die Beendigung unſerer ſogenannten „ge-
fahrvollen Kriſts“ kann kaum eine Löſung nach irgendeiner Seite hin ge-
nannt werden! Die halboſſtciellen Organe nennen heut den parlamenta-
riſchen Kampf der in der Nacht vom 26 auf den 27 d. M. gekämpft wor-
den, „einen verhängnißvollen,“ aber dieß Verhängniß, welches nach den
Verſicherungen der miniſteriellen Preſſe ſchon dicht hinter uns geſtanden
oder das vielleicht auch noch vor uns ſteht, hat weder durch den Sieg auf
der einen noch durch die Niederlage auf der andern Seite an Räthſelhaf-
tigkeit etwas verloren. Wenn wir aufrichtig ſeyn wollen, müſſen wir ſa-
gen daß wir eigentlich gar nicht wiſſen wie uns geſchehen iſt! Die neue
Befeſtigung des Miniſteriums Brandenburg iſt das klarſte und ſicherſte
was uns zunächſt aus dem uns umdunkelnden Chaos wieder entgegentritt.
Das Miniſterium kann ſich indeß nicht verhehlen daß ſein Sieg nicht mit
einer ſolchen Majorität erfochten worden iſt wie dieſelbe ſonſt, nach der
rein conſtitutionellen Convenienz, als Prüſſtein für den Beſtand eines
Cabinets gefordert zu werden pflegt. Der Sieg, der gewonnen und be-
reits in Beſitz genommen wurde, ſchaukelt ſich auf einer Majorität von
12 Stimmen, welche das Amendement Arnim-Boytzenburg zur Annahme
brachte. Schon während der entſcheidungsvollen Abſtimmung wurde es
klar daß nur durch den bekannten ſyſtematiſchen Eigenſinn der polniſchen
Kammer-Mitglieder die Pairie, und mithin der Kern der königlichen Bot-
ſchaft den Sieg davon tragen würde. Die in der zweiten Kammer befind-
lichen 14 Polen glaubten auch dießmal der Abſtimmung ſich enthalten zu
müſſen, weil ſie überhaupt ihren Antheil an der preußiſchen und deutſchen
Volksvertretung nur ſo weit faſſen als ſie zu einer Demonſtration für die
ihnen davon abgeſonderte polniſche Nationalſache auf dieſem Wege Gele-
genheit finden können. Wenn ſie daher in allen den preußiſchen Staat
betreffenden organiſchen Fragen nicht mitſtimmen, ſo glauben ſie auch
ſchon durch dieſe bloße Negation ihr nationales Recht zu wahren, denn
nach ihrer rein principiellen Taktik würden ſie es ſchon zu compromittiren
meinen wenn ſie gleich den andern preußiſchen Abgeordneten an dem
neuen Staatsorganismus ſelbſt mitarbeiten. Dieſe polniſche Taktik, de-
ren innere Zweckmäßigkeit wir hier dahingeſtellt ſeyn laſſen wollen, hat
die preußiſche Pairiefrage und den Fortbeſtand des Miniſteriums Bran-
denburg entſchieden. Es werden darüber jetzt ſehr harte, dem polniſchen
Nationalcharakter ungünſtige Urtheile laut, und man ſcheint namentlich
im conſtitutionell-liberalen Parteilager geneigt die Polen deßhalb in ei-
nen Anklagezuſtand bei der öffentlichen Meinung zu verſetzen. Das Mi-
niſterium ſeinerſeits iſt geneigt die geringe Majorität mit der es aus die-
ſer Kriſts hervorgegangen, ſich keineswegs ungünſtig zu deuten. Es hat
inſofern Recht als bei einem Bankerott der ganzen Verfaſſungsurkunde,
wie er in Ausſicht ſtand, es auf die ſtrenge Einhaltung der conſtitutio-
nellen Etikette nicht ankommen konnte. Die miniſteriellen Organe ſtellen
heut die ſtnnreiche Auſicht auf daß die Inſtitution einer erblichen Pairie,
welche gewiſſermaßen die politiſche Bevorzugung einer „glücklicher ſituir-
ten Minderheit“ ſey, eigentlich gar nicht recht zum Gegenſtande der Ab-
ſtimmung einer „minder glücklichen Mehrheit“ gemacht werden könne, ſon-
dern am beſten von oben herab geſchaffen werde. Dieſe höchſt ergötz-
liche Betrachtung, welche unmittelbar aus dem litjerariſchen Cabinet des
Miniſteriums geſtoſſen, charakteriſtrt eigentlich am meiſten den Umſchlag
der Meinungen der bei uns ſeit kurzem ſtattgefunden hat. Mit ähnli-
chen, faſt ans Sentimentale anſtreifenden Gründen wird man freilich auch
bald deduciren können daß überhaupt mit der conſtitutionellen Majorität
nicht zu regieren iſt, und daß es einer ſtarken Regierung bei weitem wür-
diger ſey ſich auf die ausgeſprochene Minorität zu ſtützen. Niemand kann
einſehen daß durch die Art und Weiſe wie die königliche Botſchaft mit
ihren weſentlichſten Vorlagen angenommen worden iſt, das conſtitutionelle
Princip in Preußen eine Stärkung erfahren habe. Wo das Schickſal ei-
ner ganzen Staatsorganiſation an einem ſo loſen Faden hing, da darf
man ſich vielfachen und gerechten Zweifeln auch für die Zukunft über-
laſſen. Die geheime Geſchichte des Arnim-Boytzenburgiſchen Amende-
ments ſoll reich an intereſſanten und charakteriſtiſchen Momenten ſeyn.
Die entſcheidende Taktik des Grafen Arnim beſtand eigentlicb bei dieſem
Amendement darin daß er den Grafen Schwerin, den Präſidenten der
zweiten Kammer, zur Mitunterzeichnung und Mitvertretung zu bewegen

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[516/0004] mannes hieſelbſt veranlaßt, beginnen übrigens ſchon wieder Gerüchte von ſeinem Rücktritt aus der Bundescommiſſion ſich geltend zu machen. Sie ſind ganz unbegründet, finden aber Nahrung in der bekannten Thatſache daß das Wiener Cabinet beim gegenſeitigen Meinungstauſch über die von den beiden Großmächten zu Bundescommiſſarien bezeichneten Perſön- lichkeiten zwar die ausgezeichnete Befähigung und alle ſonſtigen vortreff- lichen Eigenſchaften des Generals im hohen Grade anerkannt, aber doch auch ganz verſtändlich auf ſeinen Oeſterreich principiell widerſprechen den Standpunkt in der deutſchen Frage hingedeutet hat. Der öſterreichiſche Wink blieb damals unbeachtet; ich habe Grund zu vermuthen daß, wenn er erneuert würde, ihm eine gleiche Aufnahme bevorſtände. Jenes Te- ſtimonium wäre vielleicht kein unintereſſanter Beitrag für den neueſten Biographen v. Radowitz’s geweſen. Ich meine Emil Frensdorf, den Ver- faſſer des gediegenen Buches sur la Belgique, ſowie der Biographie Camp- hauſens. Seine biographiſche Skizze „Joſeph v. Radowitz“, auf welche ich Sie hier beiläufig aufmerkſam machen möchte, iſt wohl der erſte beachtens- werthe Verſuch auf thatſächlichem Boden uns die wahre Charakteriſtik einer Perſönlichkeit zu geben welche die Schlacken der Tagespreſſe bis zur Unkenntlichkeit entſtellt hatten. Der Verfaſſer hatte, wie ich höre, Gele- genheit durch Vermittelung eines angeſehenen Abgeordneten von dem General ſelbſt Aufſchlüſſe über zweifelhafte Thatſachen zu erhalten, und ſich dadurch die Kritik eines wahren Wuſtes von Fictionen zu erleichtern. Der Hauptvorzug des Buchs beſteht in einer um ſo mehr anzuerkennenden Objectivität, als der Verfaſſer zwar zur Gothaer Partei gehört, ſonſt aber in Fragen der innern und äußern Politik als v. Radowitz’s politiſcher Gegner zu betrachten iſt. Es iſt unrichtig daß Graf Rechberg, der frü- here öſterreichiſche Bevollmächtigte bei der Centralgewalt, ein neues Cre- ditiv als Bevollmächtigter bei der Bundescommiſſion erhalten, und deß- halb nach Frankfurt zurückgekehrt ſey. Ebenſowenig wird ein preußiſcher Bevollmächtigter daſelbſt beglaubigt werden. Von den neuen Verfaſſungs- grundlinien der vier Königreiche iſt noch keine, weder officielle noch ver- trauliche, Mittheilung hieher erfolgt. Die erſte Kammer wird nun doch erſt nach ausführlicher Discuſſion über die Beſchlüſſe der zweiten Kammer ſelbſt beſchließen. ∸ Berlin, 29 Jan. Der zweite hieſtge Wahlkreis für Erfurt ward heute durch eine eigenthümliche Meldung überraſcht. Die ſtreng conſervative Fraction hatte ſich in ihrer Privatverſammlung, erſchreckt durch die Nachricht daß auf der conſtitutionellen Seite Heinrich v. Gagern viele Ausſicht habe, für einen Candidaten ihrer Färbung in der Perſon des Geheimenrathes v. Jordan vereinigt. Die conſtitutionelle ſchwankte zwiſchen Gagern und v. Patow. Die Nachricht jener Vereinigung be- wog ſie, um auf den Localpatriotismus in ihrer Partei rechnen zu dür- fen, von Gagern abzugehen, wie ſchmerzlich dieß auch vielen war, und allein auf Hrn. v. Patow ihre ganze Kraft zu werfen. Inzwiſchen war die Nachricht gekommen daß auf den ausdrücklichen Wunſch des Königs Graf Brandenburg ſeine ſrühern Bedenken aufgegeben, und ſich als Can- didat für Berlin mit der Erklärung gemeldet daß es ſein dringender Wunſch ſey Berlin in Erfurt zu vertreten, und daß man ſeine Wahl als ein Zeichen der Dankbarkeit und loyalen Geſinnung der Berliner anneh- men würde. Sofort ward von der Partel ihr Candidat v. Jordan ver- laſſen, und ſie ging durch Acclamation (natürlich in ihrer Privatver- ſammlung) zum Miniſterpräſidenten über. Bei der Abſtimmung in der Geſammtvereinigung der Fractionen heut Abend (im Saal des Schau- ſpielhauſes) erhielten außer einigen zerſplitterten, Graf Brandenburg 80, Frhr. v. Patow 70 Stimmen. Da viele Wahlmänner fehlten, könnte ſich bei der morgenden Vorwahl das Reſultat noch ſehr anders geſtalten, wenn dieß nicht ſchon durch eine Rede geſchieht welche Profeſſor Henſel, ein Mitvorſtand der conſervativen Vereine, an die Wahlmänner zum Schluſſe hielt. Der ungefähre Inhalt war: ein loyaler Berliner könne nun nicht in Zweifel ſeyn wem er ſeine Stimme gebe. Wenn es ſich ſchon von ſelbſt verſtehe daß ihm die hohe Perſon, der Berlin es verdanke daß ſie Wiens Schickſal entgangen, über alle Candidaten gehen müſſe, ſo ſey es nach der hohen Weiſung gar nicht mehr Wahl, ſondern ein politi- ſcher Staatsact. Wenn der König Berlin würdige durch ſeinen Miniſter- präſidenten in Erfurt vertreten zu werden, ſo wäre es unerhört, unglaub- lich und gar nicht anzunehmen daß Verlin dieſe Ehre nicht würdigen ſolle. Den Grafen Brandenburg nicht wählen heiße ſoviel als ein Proteſt gegen das Miniſterium Brandenburg, zu welchem doch niemand aus der conſer- vativen Verſammlung ſich bekennen wolle. „Blinder Eifer ſchadet nur,“ heißt es in der Fabel, ob das hier der Fall ſeyn wird und ob die Wahl- männer dieſe Auslegung des freien Wahlrechts werden gelten laſſen, ſteht dahin. Die Rede wurde mit Murren und Bravos unterbrochen. Sie erinnerte an eine ähnliche im Julius verſuchte Octroyirung, welche damals Geheimerath v. Mühler zu Gunſten des Grafen Brandenburg un- ternahm, die aber ſo unglücklich ausſchlug daß der Miniſterpräfident ſtei- willig zurücktrat. Gegen die hochehrenwerthe Perſönlichkeit dieſes ritter- lichen Charakters wird niemand etwas einwenden, der edle Mann, der durch ſeinen Muth und ſeine lovale Hingabe an die Sache ſeines Königs und Vaterlandes ſchon ſo große Opfer gebracht, deſſen wohlthätigen Einfluß in den Vermittlungen zwiſchen König und Miniſterium jeder anerkennt, iſt aber zu bedauern daß übereifrige Freunde ihn in ſo kritiſche Lagen bringen, welche ſo hochgeſtellte Männer um jeden Preis vermeiden ſoll- ten. Ob die Beſorgniß daß Berlin Heinrich v. Gagern wählen könne zu dieſem außergewöhnlichen Verfahren Anlaß geweſen, weiß noch niemand. □ Berlin, 29 Jan. Die Beendigung unſerer ſogenannten „ge- fahrvollen Kriſts“ kann kaum eine Löſung nach irgendeiner Seite hin ge- nannt werden! Die halboſſtciellen Organe nennen heut den parlamenta- riſchen Kampf der in der Nacht vom 26 auf den 27 d. M. gekämpft wor- den, „einen verhängnißvollen,“ aber dieß Verhängniß, welches nach den Verſicherungen der miniſteriellen Preſſe ſchon dicht hinter uns geſtanden oder das vielleicht auch noch vor uns ſteht, hat weder durch den Sieg auf der einen noch durch die Niederlage auf der andern Seite an Räthſelhaf- tigkeit etwas verloren. Wenn wir aufrichtig ſeyn wollen, müſſen wir ſa- gen daß wir eigentlich gar nicht wiſſen wie uns geſchehen iſt! Die neue Befeſtigung des Miniſteriums Brandenburg iſt das klarſte und ſicherſte was uns zunächſt aus dem uns umdunkelnden Chaos wieder entgegentritt. Das Miniſterium kann ſich indeß nicht verhehlen daß ſein Sieg nicht mit einer ſolchen Majorität erfochten worden iſt wie dieſelbe ſonſt, nach der rein conſtitutionellen Convenienz, als Prüſſtein für den Beſtand eines Cabinets gefordert zu werden pflegt. Der Sieg, der gewonnen und be- reits in Beſitz genommen wurde, ſchaukelt ſich auf einer Majorität von 12 Stimmen, welche das Amendement Arnim-Boytzenburg zur Annahme brachte. Schon während der entſcheidungsvollen Abſtimmung wurde es klar daß nur durch den bekannten ſyſtematiſchen Eigenſinn der polniſchen Kammer-Mitglieder die Pairie, und mithin der Kern der königlichen Bot- ſchaft den Sieg davon tragen würde. Die in der zweiten Kammer befind- lichen 14 Polen glaubten auch dießmal der Abſtimmung ſich enthalten zu müſſen, weil ſie überhaupt ihren Antheil an der preußiſchen und deutſchen Volksvertretung nur ſo weit faſſen als ſie zu einer Demonſtration für die ihnen davon abgeſonderte polniſche Nationalſache auf dieſem Wege Gele- genheit finden können. Wenn ſie daher in allen den preußiſchen Staat betreffenden organiſchen Fragen nicht mitſtimmen, ſo glauben ſie auch ſchon durch dieſe bloße Negation ihr nationales Recht zu wahren, denn nach ihrer rein principiellen Taktik würden ſie es ſchon zu compromittiren meinen wenn ſie gleich den andern preußiſchen Abgeordneten an dem neuen Staatsorganismus ſelbſt mitarbeiten. Dieſe polniſche Taktik, de- ren innere Zweckmäßigkeit wir hier dahingeſtellt ſeyn laſſen wollen, hat die preußiſche Pairiefrage und den Fortbeſtand des Miniſteriums Bran- denburg entſchieden. Es werden darüber jetzt ſehr harte, dem polniſchen Nationalcharakter ungünſtige Urtheile laut, und man ſcheint namentlich im conſtitutionell-liberalen Parteilager geneigt die Polen deßhalb in ei- nen Anklagezuſtand bei der öffentlichen Meinung zu verſetzen. Das Mi- niſterium ſeinerſeits iſt geneigt die geringe Majorität mit der es aus die- ſer Kriſts hervorgegangen, ſich keineswegs ungünſtig zu deuten. 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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2021-08-16T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 33, 2. Februar 1850, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine33_1850/4>, abgerufen am 17.07.2024.