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Allgemeine Zeitung, Nr. 337, 5. Dezember 1890.

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Freitag, Zweites Morgenblatt, Nr. 337 der Allgemeinen Zeitung. 5. December 1890.


[Spaltenumbruch]
Inhalts-Uebersicht.
Deutscher Reichstag.
Bayerische Chronik. -- Verschiedenes. -- Handel und
Volkswirthschaft.


Deutscher Reichstag.
Telegraphischer Privatbericht der Allg. Ztg.
35. Sitzung.

Die Sitzung wird um 2 Uhr eröffnet.
Am Tische des Bundesraths: v. Boetticher, v. Bojanowski
und Commissarien. Eingegangen ist eine Nachweisung über die
gesammten Rechnungsergebnisse der Berufsgenossen-
schaften
für das Jahr 1889. Der preußische Minister für Land-
wirthschaft v. Heyden ist zum Bundesrathsbevollmächtigten er-
nannt worden. Auf der Tagesordnung steht zunächst die zweite
Berathung des Gesetzentwurfs betreffend die Vereinigung von
Helgoland mit dem Deutschen Reiche.

Abg. Stadthagen (Soc.) beantragt, den zweiten Absatz des
§. 1, welcher bestimmt, daß das Reich seine Zustimmung dazu er-
theilt, daß Helgoland mit dem preußischen Staate vereinigt wird,
zu streichen. Wenn der Staatssecretär v. Boetticher neulich gesagt
hat, er bedaure, daß der Reichstag nicht im Stande sei, Helgoland
mit Dänemark zu vereinigen, so theile ich dieses Bedauern nicht,
weil ich es nicht für zweckmäßig halte, Helgoland mit Dänemark
zu vereinigen. Daraus ist aber nicht zu deduciren, daß Helgoland
an Preußen kommen soll. Helgoland soll deutsch, nicht preußisch
werden. Es ist ein kolossaler Irrthum, anzunehmen, daß Hamburg
nicht im Besitz von Helgoland gewesen sei. Hamburg ist seit dem
15. Jahrhundert mindestens Schutzherrin gewesen und erst seit dem
17. Jahrhundert ist Schleswig-Holstein in den Besitz der Insel gekommen.
Nun gebe ich zu, daß bezüglich der sanitären Einrichtungen,
eventuell auch der Errichtung der zoologischen Station und der übrigen
Desiderien allerdings Preußen die Wünsche der Bewohner erfüllen
kann. Ich kann dies aber nicht zugeben bezüglich des Lootsen-
gewerbes. Das Lootsengewerbe der Helgoländer besteht in dem
Hineinbugfiren der Schiffe bis nach Cuxhaven, wenn nicht bis
Hamburg, und darüber hat nicht Preußen, sondern das Reich zu
bestimmen, eventuell Hamburg. Jedenfalls müßte erst Preußen
mit Hamburg darüber in Unterhandlungen eintreten. Wenn die
Helgoländer wirklich mit Vertrauen auf die Regierung blicken, so
geschieht dies in der Annahme, daß auch ihre Erwartungen er-
füllt werden. Ueberhaupt glaube ich, daß das Reich am besten
in der Lage ist, die allgemeinen Interessen in Helgoland wahr-
zunehmen. Ich weise darauf hin, daß die Geräthe, welche für die
Rettung Schiffbrüchiger nothwendig sind, bis jetzt vom Reiche
nicht geliefert worden sind und daß der Verein zur Rettung
Schiffbrüchiger bisher allein die Sache in die Hand genommen
hat. In dieser Beziehung müßte noch vieles geschehen.

Staatssecretär v. Boetticher: Ich freue mich, daß der Vor-
redner den Gedanken, Helgoland mit Dänemark zu vereinigen,
nicht als einen solchen ansieht, dem eine praktische Folge zu geben
wäre. Ich habe neulich mit meiner Schlußbemerkung auch nur
andeuten wollen, daß für die Durchführung dieses Gedankens in
diesem Hause wohl kaum irgendeine Stimme sich erheben würde.
Wenn der Vorredner seinem Antrag auf eine selbständige Gestal-
tung Helgolands unter dem Reiche Rachdruck geben will, so würde
es auch wohl nöthig sein, die Bedingungen für die Organisation
vorzusehen, unter denen Helgoland als ein selbständiges Glied des
Reiches oder als ein neues Reichsland stehen soll. Das hat der
Vorredner nicht gethan; ich nehme an, daß er sich das für einen
späteren gesetzgeberischen Vorschlag vorbehält. Gegen den Vor-
schlag des Vorredners bestehen aber so viele praktische Bedenken,
daß wohl kaum ernstlich darauf wird eingegangen werden können.
Wenn Sie bedenken, daß Helgoland mit einem Umfange von wenig
mehr als einem halben Quadratkilometer und etwa 2000 Einwohnern
ausgestattet ist, so werden Sie kaum der Meinung sein können, daß
dieses neue Staatswesen, wie es der Vorredner sich denkt, einebesondere
Lebensfähigkeit entwickeln kann. Wollte man es als Reichsland
hinstellen, so stände dem das Bedenken entgegen, daß, um ihm
eine wirtsame Organisation auf administrativem und auf dem Ge-
biete der Rechtsprechung zu geben, dazu ein ganz außer Verhältniß
stehender Apparat nothwendig wäre, der Kosten verursachen würde,
die vielleicht den materiellen und finanziellen Besitz dieser Insel in
Frage stellen würden. Erfolgt dagegen der Anschluß Helgolands
an ein anderes Staatswesen, so ist die Organisation der Ver-
waltung und Rechtsprechung verhältnißmäßig eine außerordentlich
einfache. Wir haben eine ganze Reihe von Rordseeinseln, die vom
Festlande verwaltet werden und in veränderten Formen der Organisa-
tion der Provinz, zu der sie gehören, angeschlossen sind. Etwas ähnliches
wird man ohne sonderliche Schwierigkeit in Helgoland machen können.
Daß Hamburg die politische Schutzherrschaft über Helgoland im
Mittelalter geführt hätte, ist mir bisher unbekannt gewesen. In
den Schriften über Helgoland, die ich noch in den letzten Tagen
gelesen, habe ich nicht gefunden, daß Helgoland in einer politischen
Abhängigkeit von Hamburg jemals gestanden hätte. Richtig ist nur,
daß die wirthschaftlichen Beziehungen zwischen Helgoland und Ham-
burg ziemlich lebhaft gewesen sind; das liegt auf der Oberfläche,
weil eben Hamburg die nächste größere Seestadt ist. Aus dieser
wirthschaftlichen Affinität folgt aber keineswegs die Rothwendigkeit,
daß man jetzt, wo es sich um den politischen Anschluß der Insel
handelt, nun auch Hamburg wählt. Ich glaube kaum, daß es
für Hamburg ein sehr ersehnter Zuwachs sein würde, wenn Helgo-
land ihm angeschlossen werden sollte. Andrerseits nehme ich gerade
an, daß mit Rücksicht auf die Reichsinteressen, die sich an den
Besitz der Insel Helgoland knüpfen, es viel besser ist, die Insel
an Preußen anzuschließen. Nun sagt der Vorredner, Preußen
und das Neich habe bisher sein Wohlwollen gegenüber Helgoland
sehr schwach oder vielleicht gar nicht an den Tag gelegt. Ich mache
ihn darauf aufmerksam, daß einmal noch keine Veranlassung für
Preußen vorlag, das Wohlwollen zu bethätigen, und daß die Reichs-
verwaltung während der drei Monate, in denen sie dort amtirt, eine
solche gewesen ist, daß die Helgoländer damit vollständig zufrieden sind.
Welterschütternde Veränderungen haben wir allerdings nicht vor-
genommen, aber es war jedenfalls sehr klug von uns, das der-
jenigen Regierung zu überlassen, welche definitiv ihre Fittige über
Helgoland breiten wird. Was das Lootsenwesen anbetrifft, so
halte ich es für meine Person vollständig für ausgeschlossen, daß
die Lootsen, welche jetzt nach den bisherigen Vorschriften in Helgo-
land ihre Qualification zum Betriebe des Lootsengewerbes darge-
legt haben, irgendwie gehindert werden können, das auch in Zu-
kunft zu thun. Eine solche Barbarei pflegt die preußische Regie-
rung nicht zu üben; sie würde damit einen Besitzstand erschüttern,
der auf Fortdauer allen Anspruch hat. Die Helgoländer können
sich also durchaus darüber beruhigen, daß sie nach wie
vor ihr Lootsengewerhe ungehindert ausüben können. Daß die
Regierung noch nicht einmal für die Geräthe zur Rettung
Schiffbrüchiger gesorgt hat, darf nicht wundernehmen,
denn in der Hauptsache sorgt dafür an der ganzen deutschen See-
[Spaltenumbruch] küste gerade der von dem Vorredner gelobte und auch von mir
zu lobende Verein für die Rettung Schiffbrüchiger. Uebrigens ist
gerade dies ein Capitel, bei dem man es sehr mit der Abneigung
der Helgoländer, von alten Gewohnheiten abzugehen, zu thun hat,
und der neueste Unglücksfall auf Helgoland soll gerade darauf
zurückzuführen sein, daß die Helgoländer Fischer sich nicht ent-
schließen können, bessere Rettungsboote anzuschaffen, als sie von
ihren Altvordern übernommen haben. Ich hoffe, daß in dieser
Beziehung die technischen und wissenschaftlichen Fortschritte auch
in Helgoland Eingang finden werden. Darüber ist gar kein Zweifel,
daß die preußische Regierung Helgoland in wohlwollende Verwaltung
nehmen wird und daß man auf der Insel mit vollem Vertrauen
der Einverleibung in Preußen entgegensieht. Ich bitte Sie deßhalb,
den Antrag Stadthagen abzulehnen und der Einverleibung Helgo-
lands in Preußen Ihre freudige Zustimmung zu geben. (Beifall.)

Abg. Baumbach (Berlin): Der Abg. Stadthagen hätte doch
zum mindesten Vorschläge machen müssen, wie er sich die Ausführung
seines Vorschlages denkt. Es handelt sich hier lediglich um eine
Zweckmäßigkeitsfrage; das Gebiet der Insel ist für ein besonderes
Staatswesen zu klein; es bleibt nichts übrig, als die Insel einem
preußischen Bezirke anzuschließen. Das Territorium der Insel wird
von Jahr zu Jahr kleiner, und ein Hauptvorwurf gegen die frühere
Regierung war immer, daß sie das nicht in wirksamer Weise ver-
hinderte. Rach der Rede des Abg. Stadthagen in der ersten
Lesung nahm ich an, daß derselbe überhaupt gegen die Vereinigung
der Insel mit Deutschland sei. Auf der Insel ist, wie ich mich
bei meinem Besuche überzeugt habe, deutsches Wesen durchaus vor-
herrschend, sogar weit mehr als in manchen Theilen von Elsaß-
Lothringen. Ich empfehle die Annahme der Vorlage sans phrase.

Abg. Stadthagen: Ich bin nicht gegen die Einverleibung
Helgolands in das Deutsche Reich, sondern war nur zweifelhaft,
ob das deutsch-englische Abkommen mit dem Deutschen Reiche oder
mit dem Kaiser abgeschlossen sei. Ferner habe ich das Vedenken,
daß die Helgoländer nicht befragt sind, ob sie Deutsche sein wollen
oder nicht, und daß ihnen keine Garantie gegeben ist, daß sie nicht
etwa, wenn sie nicht für Deutschland optiren, als lästige Ausländer
aus ihrer Heimath verbannt werden. Die Helgoländer Lootsen
können ihr Gewerbe nicht bis Cuxhaven ausdehnen, sondern dürfen
nur bis zum Feuerschiff fahren, von dort muß ein neuer Lootse
angenommen werden. Eine Aenderung ist nur durch Verhand-
lungen zwischen der preußischen und der Hamburgischen Regierung
oder durch Hamburg allein möglich.

Der Antrag Stadthagen wird abgelehnt und die
§§. 1 und 2 unverändert angenommen.

Dem §. 3, welcher lautet: "Die von der Insel herstammen-
den Personen und ihre vor dem 11. August 1890 geborenen Kin-
der sind von der Wehrpflicht befreit", beantragt Abg. v. Bar
folgende Fassung zu geben: "Die vor dem 11. August 1890 ge-
borenen Helgoländer sind von der Wehrpflicht befreit" und begrün-
det diesen Antrag damit, daß der Ausdruck "herstammende Per-
sonen" einmal zu Streitigkeiten über die Erfüllung der Wehrpflicht
Veranlassung geben könnte.

Staatssecretär v. Boetticher; Ich könnte mit der Aen-
derung einverstanden sein, aber die Regierungsvorlage mußte so
gefaßt werden, weil der Text des deutsch-englischen Abkommens zu
Grunde gelegt werden mußte. Da ist dieselbe Fassung gewählt,
und dieser Text ist von der englischen Regierung vorgeschlagen.
Es wäre nun nicht loyal gegenüber dem andern Contrahenten,
eine Correctur vorzunehmen, die zwar gut, deren Unterlassung
aber nicht schädlich ist. Der Abg. v. Bar wünscht zu vermeiden,
daß einmal Jemand sagen könnte: "Ich stamme auch von der
Insel her, bin zwar längst Preuße geworden, aber ich beanspruche
auf Grund dieses Paragraphen die Befreiung von der Wehrpflicht."
Bei der Seßhaftigkeit der Helgoländer wird das kaum vorkommen,
und politische Gründe machen es räthlich, bei der vorliegenden
Fassung zu bleiben.

Abg. v. Bar: Ich ziehe nach dieser Declaration meinen
Antrag zurück, indem ich constatire, daß ein besonderer
weiterer Sinn in diesen Worten nicht enthalten sein soll.
(Heiterkeit.)

§. 3 sowie der Rest des Gesetzes werden angenommen.

Darauf wird in nochmaliger Abstimmung der gestern hand-
schriftlich eingebrachte und angenommene Antrag des Abg. Rickert,
die Wahl des Abg. v. Reden zu beanstanden und Erhebungen
über die Behauptungen des Wahlprotestes zu veranlassen, ange-
nommen.

Es folgt die erste Berathung der Novelle zum
Patentgesetz.

Staatssecretär v. Boetticher: Die Reform unseres Patent-
gesetzes beschäftigt seit langer Zeit unsere Industrie; die Vorbe-
reitungen für dieselbe sind so vollständig und gründlich gewesen,
wie kaum bei irgend einem andern Gesetz. Zur Klärung der
Frage veranstalteten wir im Jahre 1886 eine Enquete, an welcher
hervorragende Mitglieder der Industrie und hervorragende Rechts-
verständige theilgenommen haben. Im Frühjahr d. J. wurde der
erste Entwurf publicirt und eine Reihe Broschüren und Zeitungs-
literatur hat sich damit beschäftigt. Daraus ergibt sich, daß die Noth-
wendigkeit einer Abänderung gewisser Bestimmungen des Patentgesetzes
als ein Bedürfniß für unsere industriellen Kreise empfunden wurde.
Wenn die Regierung in ihren Vorschlägen vielleicht nicht so weit
geht, als namentlich eine gewisse Strömung in der Industrie ver-
langt, so hat sie dafür ihre guten Gründe. Unser Patentgesetz
hat im Gegensatz zu den Gesetzen anderer Staaten, in denen das
Anmeldeverfahren besteht, das sogenannte Vorprüfungsverfahren
acceptirt, ein Verfahren, nach dem das Patent nicht eher er-
theilt wird, als bis sich durch die Vorprüfung ergeben hat, daß
es sich um eine neue patentfähige Erfindung handelt. Dieses
Vorprüfungsverfahren hat sich, wie Sie bei unbefangener Prüfung
der Motive und unbefangener Würdigung des beigefügten stati-
stischen Materials finden werden, durchaus bewährt. Ich beziehe
mich nicht allein auf die große Zahl der Patentanmeldungen
innerhalb des Deutschen Reiches, nicht allein auf die Thatsache,
daß auch im Auslande ein deutsches Patent als ein sehr er-
strebenswerther Gegenstand angesehen wird und daß 33 1/3 Procent
aller Patentanmeldungen im Deutschen Reiche von Ausländern
eingegangen sind, sondern darauf, daß dieses Vorprüsungsverfahren
sowohl den Patentsuchern als der Industrie eine weit größere
Sicherheit gibt, als das Anmeldeverfahren. Das Vorprüfungs-
verfahren bietet dem Patentsucher die Gewähr, daß die sachver-
ständige Behörde die angemeldete Erfindung für eine neue hält
und sie diese Erfindung auch als eine patentfähige betrachtet.
Die Industrie erhält die Gewähr, daß die patentirte Erfindung
auch von Bedeutung für die gewerbliche Benützung ist. Wollten
wir nun, was ein kleiner Theil unsrer Industrie fordert, zu dem
Anmeldeverfahren übergehen, so würden wir nicht allein den
Rutzen preisgeben, der aus unsern langjährigen Erfahrungen
stammt, sondern würden das Anmeldeversahren auch wieder erst
erproben müssen und so einen Rückschritt thun. Wir würden vor
allem nicht die Sicherheit haben, daß das deutsche Patent
auf dem ganzen Erdball so hoch geschätzt wird, wie es in Folge
[Spaltenumbruch] des Vorprüfungsverfahrens gegenwärtig geschieht. Es gibt eine
Strömung in der Industrie, welche zwar das Vorprüsungs-
verfahren beibehalten, aber dieses beschränken will auf die
Untersuchung der Thatsache, ob der Gegenstand auch wirklich neu
ist. Es soll also das Patentamt ferner nicht die Befugniß
haben, die Vorprüfung darauf auszudehnen, ob der Inhalt
der Erfindung patentwürdig ist. Eine solche Bestimmung
würde gleichfalls den Werth des deutschen Patentes erheblich
herabmindern. Es liegt aber auch keine Veranlassung zu einer
solchen vor, da das Ihnen gleichzeitig vorliegende Gesetz über den
Schutz von Gebrauchsmustern eine einfache Registrirung aller der
Erfindungen vorschreibt, welche im gewerblichen Leben zwar nutz-
bringend, aber doch eines Patentes nicht würdig sind. Obgleich
ich weiß, daß der größte Theil der deutschen Industrie mit der Bei-
behaltung des Vorprüfungsverfahrens einverstanden ist, so sehe ich
doch voraus, daß von einzelnen Seiten der Versuch gemacht werden
wird, diese principielle Grundlage zu erschüttern. Deßbalb ersuche
ich Sie, die Gründe für die Beibehaltung einer gründlichen und
wohlwollenden Erwägung zu unterziehen. Auf einem anderen Ge-
biete will das Gesetz eine Aenderung in der Organisation vor-
nehmen, da die bisherige der fortschreitenden Entwicklung unsrer
Industrie auch auf dem Gebiete der Erfindungen nicht genügt hat.
Bisher arbeitete das Patentamt, abgesehen von der Person seines
Präsidenten, der ständig angestellt ist, lediglich mit im Rebenamte
beschäftigten Mitgliedern. Nach der Seite der Technik hin hat
diese Verwendung ihre Vorzüge, da solche Mitglieder in ihrem
Hauptberuf mitten im wirthschaftlichen Leben stehen und auch ihre
Kenntnisse dem Patentamte zugute kommen lassen, eine einheitliche
und constante Anwendung der Grundsätze über Patentwesen
aber wird mehr bei dauernd angestellten Mitgliedern erzielt
werden. Dadurch, daß der Entwurf für diejenige Abtheilung,
welche mit der Prüfung der Anmeldung und der Entscheidung über
die Angriffe gegen die Patente betraut ist, ständige Mitglieder
vorsieht, wird für die erste Instanz die Anwendung constanter
Principien, für die zweite die größtmögliche Gewähr bei der
Prüfung der Beschwerde gegeben, da in dieser zweiten Instanz
Sachverständige mitwirken, die mitten im praktischen Leben stehen.
Auch in dieser Beziehung sind andere Auffassungen hervorgetreten.
Man hat zum Theil durchweg dauernde Mitglieder, zum Theil nur
vorübergehende verlangt. Die einzelnen Reuerungen, wie etwa die
sehr wichtige Beschränkung in der gutachtlichen Aeußerung des
Patentamts, will ich nicht weiter anführen. Ich schließe mit dem
Wunsche, daß der Entwurf, von dem ich überzeugt bin, daß er
unsrer Industrie gute Dienste leisten wird, auch Ihren Beifall
finden möge und daß er in einer Form verabschiedet wird, die zu
Rutz und Frommen der Industrie gereicht. Wir haben keine
andere Absicht bei dem Entwurf gehabt, als unsrer Industrie einen
Dienst zu leisten. Thun Sie dasselbe.

Abg. Goldschmidt (deutschfreisinnig) erklärt, vorbehaltlich
einiger Abweichungen in Einzelheiten, sich mit der Vorlage ein-
verstanden. Das Vorprüfungsverfahren sei ein Segen für die
Industrie gewesen. Um die Wirkungen des Vorprüfungsverfahrens
vollständig zum Ausdruck kommen zu lassen, muß aber ein con-
tradictorisches Verfahren für die Patentsucher eintreten, so daß sie
ihr Recht geltend machen können, was ihnen jetzt bei dem rein
administrativen Verfahren abgeschnitten ist. Es ist ein Vorzug
der Vorlage, daß in dieser Beziehung Abhülfe geschassen ist. Eine
wesentliche Verbesserung ist die Ausdehnung des Patentschutzes
auf die mittelst eines geschützten Verfahrens hergestellten Erzeugnisse.
Die wichtigste Aenderung ist, daß die nicht ständigen Mitglieder der
Anmeldeabtheilung durch auf Lebenszeitangestellte Beamte ersetzt werden.
Es ist zu befürchten, daß diese Beamten leicht den Zusammenhang mit
dem praktischen Leben verlieren, daß sie die Patentgesuche zwar auf
ihre Reuheit, aber nicht auf ihre praktische Verwendbarkeit prüfen
können. Es ist überhaupt nicht zu ersehen, woher diese Beamten
genommen werden sollen. Wird man dafür Industrielle gewinnen?
Nach §. 27 soll der Antrag auf Richtigkeitserklärung eines Patentes
fünf Jahre nach Ertheilung desselben nicht mehr gestellt werden
dürfen. Das ist eine Ungerechtigkeit, wie zahlreiche Beispiele be-
weisen. Die Gebühren müssen ermäßigt werden, denn es kommt
ost genug vor, daß die Erfinder die Gebühren nicht bezahlen können
und deßhalb ihre Patente verfallen lassen müssen. Auch industrielle
Vereine haben sich für die Herabsetzung der Gebühren von 50 auf
30 Mark erklärt. Wünschenswerth wäre auch die Aufnahme einer
Bestimmung über die Patentanwaltschaft, welche in irgendeiner
Weise in das Gesetz eingefügt werden muß. Ich beantrage, die
Vorlage an eine Commission von 28 Mitgliedern zu verweisen.

Abg. v. Buol: Ich bin ebenfalls für Commissionsberathung.
Auch von diesem Gesetzentwurf gilt das Sprichwort: Gut Ding
will Weile haben. Die Verbesserung des Patentgesetzes hat schon
lange auf der Tagesordnung der öffentlichen Meinung gestanden,
und ich freue mich, daß die Reichsregierung alle Wünsche gehört
und gewürdigt hat. In principieller Beziehung scheint jetzt ziem-
liche Uebereinstimmung darüber zu herrschen, daß der Patentschutz
im Sinne des Entwurfes zulässig und nützlich ist. Noch bei dem
Gesetz von 1877 waren Viele entgegengesetzter Ansicht. Diese
Stimmen sind zum Schweigen gekommen. Selbst die Gegner er-
kennen an, daß der Schutz der Erfindung berechtigt und sogar für
das Volkswohl nothwendig ist. Das in der Vorlage vorgeschlagene
Vorprüfungsverfahren wird von der überwiegenden Mehrheit der
Sachverständigen und Interessenten für werthvoll bezeichnet. Was die
Nebenpunkte betrifft. so hoffe ich, daß wir in der Commission zu einer
vollen Verständigung gelangen werden. Ich begrüße es, daß der
Grundsatz ausgesprochen wird, daß das Patent nicht nur dazu be-
stimmt ist, daß der Inhaber befugt ist, gewerbsmäßig den Gegen-
stand der Erfindung herzustellen, sondern daß das Patent sich auch
auf die mittelst des Verfahrens hergestellten Erzeugnisse erstreckt.
Was das Patentamt betrifft, so begrüße ich es, daß hier voll-
ständig getrennte und übereinander stehende Abtheilungen
geschaffen werden, daß nicht dieselben Richter und Techniker
in beiden Abtheilungen ihre Ansicht aussprechen können,
und endlich, daß in allen Anmeldeabtheilungen nur stän-
dige technische Mitglieder angestellt werden können. Die
Vereinfachung des Zustellungswesens ist mir besonders an-
genehm, und ich hoffe, daß dies auf andere Gebiete übertragen
wird. Nach §. 27 soll die Richtigkeitsklage nach Verlauf von
fünf Jahren, von dem Tage der über die Ertheilung des Patents
erfolgten Bekanntmachung, in bestimmten Fällen unstatthaft sein.
Der Vorredner hat mit Unrecht den Vorwurf erhoben, daß hier
unter Umständen ein Unrecht dauernd gemacht werde. Die Nichtig-
keitsklage soll nur da eintreten, wo sie gestützt werden kann darauf,
daß der Gegenstand nicht patentfähig und keine Erfindung im
Sinne des Gesetzes war. Die Entscheidung, ob etwas neu oder
eine Erfindung im Sinne des Gesetzes ist, unterliegt absolut dem
subjectiven Ermessen; und es soll deßhalb der Patentinhaber da-
gegen geschützt werden, daß nicht fortdauernd immer die
Nichtigkeitsklage auf Grund solcher wechselnden subjec-
tiven Urtheile erhoben werden kann. Die Ausdebnung der
Hastpflicht wenigstens hinsichtlich einer Entschädigungspflicht
in Bezug auf grobe Fahrlässigkeit halte ich für gerechtfertigt. Es

Freitag, Zweites Morgenblatt, Nr. 337 der Allgemeinen Zeitung. 5. December 1890.


[Spaltenumbruch]
Inhalts-Ueberſicht.
Deutſcher Reichstag.
Bayeriſche Chronik. — Verſchiedenes. — Handel und
Volkswirthſchaft.


Deutſcher Reichstag.
Telegraphiſcher Privatbericht der Allg. Ztg.
35. Sitzung.

Die Sitzung wird um 2 Uhr eröffnet.
Am Tiſche des Bundesraths: v. Boetticher, v. Bojanowski
und Commiſſarien. Eingegangen iſt eine Nachweiſung über die
geſammten Rechnungsergebniſſe der Berufsgenoſſen-
ſchaften
für das Jahr 1889. Der preußiſche Miniſter für Land-
wirthſchaft v. Heyden iſt zum Bundesrathsbevollmächtigten er-
nannt worden. Auf der Tagesordnung ſteht zunächſt die zweite
Berathung des Geſetzentwurfs betreffend die Vereinigung von
Helgoland mit dem Deutſchen Reiche.

Abg. Stadthagen (Soc.) beantragt, den zweiten Abſatz des
§. 1, welcher beſtimmt, daß das Reich ſeine Zuſtimmung dazu er-
theilt, daß Helgoland mit dem preußiſchen Staate vereinigt wird,
zu ſtreichen. Wenn der Staatsſecretär v. Boetticher neulich geſagt
hat, er bedaure, daß der Reichstag nicht im Stande ſei, Helgoland
mit Dänemark zu vereinigen, ſo theile ich dieſes Bedauern nicht,
weil ich es nicht für zweckmäßig halte, Helgoland mit Dänemark
zu vereinigen. Daraus iſt aber nicht zu deduciren, daß Helgoland
an Preußen kommen ſoll. Helgoland ſoll deutſch, nicht preußiſch
werden. Es iſt ein koloſſaler Irrthum, anzunehmen, daß Hamburg
nicht im Beſitz von Helgoland geweſen ſei. Hamburg iſt ſeit dem
15. Jahrhundert mindeſtens Schutzherrin geweſen und erſt ſeit dem
17. Jahrhundert iſt Schleswig-Holſtein in den Beſitz der Inſel gekommen.
Nun gebe ich zu, daß bezüglich der ſanitären Einrichtungen,
eventuell auch der Errichtung der zoologiſchen Station und der übrigen
Deſiderien allerdings Preußen die Wünſche der Bewohner erfüllen
kann. Ich kann dies aber nicht zugeben bezüglich des Lootſen-
gewerbes. Das Lootſengewerbe der Helgoländer beſteht in dem
Hineinbugfiren der Schiffe bis nach Cuxhaven, wenn nicht bis
Hamburg, und darüber hat nicht Preußen, ſondern das Reich zu
beſtimmen, eventuell Hamburg. Jedenfalls müßte erſt Preußen
mit Hamburg darüber in Unterhandlungen eintreten. Wenn die
Helgoländer wirklich mit Vertrauen auf die Regierung blicken, ſo
geſchieht dies in der Annahme, daß auch ihre Erwartungen er-
füllt werden. Ueberhaupt glaube ich, daß das Reich am beſten
in der Lage iſt, die allgemeinen Intereſſen in Helgoland wahr-
zunehmen. Ich weiſe darauf hin, daß die Geräthe, welche für die
Rettung Schiffbrüchiger nothwendig ſind, bis jetzt vom Reiche
nicht geliefert worden ſind und daß der Verein zur Rettung
Schiffbrüchiger bisher allein die Sache in die Hand genommen
hat. In dieſer Beziehung müßte noch vieles geſchehen.

Staatsſecretär v. Boetticher: Ich freue mich, daß der Vor-
redner den Gedanken, Helgoland mit Dänemark zu vereinigen,
nicht als einen ſolchen anſieht, dem eine praktiſche Folge zu geben
wäre. Ich habe neulich mit meiner Schlußbemerkung auch nur
andeuten wollen, daß für die Durchführung dieſes Gedankens in
dieſem Hauſe wohl kaum irgendeine Stimme ſich erheben würde.
Wenn der Vorredner ſeinem Antrag auf eine ſelbſtändige Geſtal-
tung Helgolands unter dem Reiche Rachdruck geben will, ſo würde
es auch wohl nöthig ſein, die Bedingungen für die Organiſation
vorzuſehen, unter denen Helgoland als ein ſelbſtändiges Glied des
Reiches oder als ein neues Reichsland ſtehen ſoll. Das hat der
Vorredner nicht gethan; ich nehme an, daß er ſich das für einen
ſpäteren geſetzgeberiſchen Vorſchlag vorbehält. Gegen den Vor-
ſchlag des Vorredners beſtehen aber ſo viele praktiſche Bedenken,
daß wohl kaum ernſtlich darauf wird eingegangen werden können.
Wenn Sie bedenken, daß Helgoland mit einem Umfange von wenig
mehr als einem halben Quadratkilometer und etwa 2000 Einwohnern
ausgeſtattet iſt, ſo werden Sie kaum der Meinung ſein können, daß
dieſes neue Staatsweſen, wie es der Vorredner ſich denkt, einebeſondere
Lebensfähigkeit entwickeln kann. Wollte man es als Reichsland
hinſtellen, ſo ſtände dem das Bedenken entgegen, daß, um ihm
eine wirtſame Organiſation auf adminiſtrativem und auf dem Ge-
biete der Rechtſprechung zu geben, dazu ein ganz außer Verhältniß
ſtehender Apparat nothwendig wäre, der Koſten verurſachen würde,
die vielleicht den materiellen und finanziellen Beſitz dieſer Inſel in
Frage ſtellen würden. Erfolgt dagegen der Anſchluß Helgolands
an ein anderes Staatsweſen, ſo iſt die Organiſation der Ver-
waltung und Rechtſprechung verhältnißmäßig eine außerordentlich
einfache. Wir haben eine ganze Reihe von Rordſeeinſeln, die vom
Feſtlande verwaltet werden und in veränderten Formen der Organiſa-
tion der Provinz, zu der ſie gehören, angeſchloſſen ſind. Etwas ähnliches
wird man ohne ſonderliche Schwierigkeit in Helgoland machen können.
Daß Hamburg die politiſche Schutzherrſchaft über Helgoland im
Mittelalter geführt hätte, iſt mir bisher unbekannt geweſen. In
den Schriften über Helgoland, die ich noch in den letzten Tagen
geleſen, habe ich nicht gefunden, daß Helgoland in einer politiſchen
Abhängigkeit von Hamburg jemals geſtanden hätte. Richtig iſt nur,
daß die wirthſchaftlichen Beziehungen zwiſchen Helgoland und Ham-
burg ziemlich lebhaft geweſen ſind; das liegt auf der Oberfläche,
weil eben Hamburg die nächſte größere Seeſtadt iſt. Aus dieſer
wirthſchaftlichen Affinität folgt aber keineswegs die Rothwendigkeit,
daß man jetzt, wo es ſich um den politiſchen Anſchluß der Inſel
handelt, nun auch Hamburg wählt. Ich glaube kaum, daß es
für Hamburg ein ſehr erſehnter Zuwachs ſein würde, wenn Helgo-
land ihm angeſchloſſen werden ſollte. Andrerſeits nehme ich gerade
an, daß mit Rückſicht auf die Reichsintereſſen, die ſich an den
Beſitz der Inſel Helgoland knüpfen, es viel beſſer iſt, die Inſel
an Preußen anzuſchließen. Nun ſagt der Vorredner, Preußen
und das Neich habe bisher ſein Wohlwollen gegenüber Helgoland
ſehr ſchwach oder vielleicht gar nicht an den Tag gelegt. Ich mache
ihn darauf aufmerkſam, daß einmal noch keine Veranlaſſung für
Preußen vorlag, das Wohlwollen zu bethätigen, und daß die Reichs-
verwaltung während der drei Monate, in denen ſie dort amtirt, eine
ſolche geweſen iſt, daß die Helgoländer damit vollſtändig zufrieden ſind.
Welterſchütternde Veränderungen haben wir allerdings nicht vor-
genommen, aber es war jedenfalls ſehr klug von uns, das der-
jenigen Regierung zu überlaſſen, welche definitiv ihre Fittige über
Helgoland breiten wird. Was das Lootſenweſen anbetrifft, ſo
halte ich es für meine Perſon vollſtändig für ausgeſchloſſen, daß
die Lootſen, welche jetzt nach den bisherigen Vorſchriften in Helgo-
land ihre Qualification zum Betriebe des Lootſengewerbes darge-
legt haben, irgendwie gehindert werden können, das auch in Zu-
kunft zu thun. Eine ſolche Barbarei pflegt die preußiſche Regie-
rung nicht zu üben; ſie würde damit einen Beſitzſtand erſchüttern,
der auf Fortdauer allen Anſpruch hat. Die Helgoländer können
ſich alſo durchaus darüber beruhigen, daß ſie nach wie
vor ihr Lootſengewerhe ungehindert ausüben können. Daß die
Regierung noch nicht einmal für die Geräthe zur Rettung
Schiffbrüchiger geſorgt hat, darf nicht wundernehmen,
denn in der Hauptſache ſorgt dafür an der ganzen deutſchen See-
[Spaltenumbruch] küſte gerade der von dem Vorredner gelobte und auch von mir
zu lobende Verein für die Rettung Schiffbrüchiger. Uebrigens iſt
gerade dies ein Capitel, bei dem man es ſehr mit der Abneigung
der Helgoländer, von alten Gewohnheiten abzugehen, zu thun hat,
und der neueſte Unglücksfall auf Helgoland ſoll gerade darauf
zurückzuführen ſein, daß die Helgoländer Fiſcher ſich nicht ent-
ſchließen können, beſſere Rettungsboote anzuſchaffen, als ſie von
ihren Altvordern übernommen haben. Ich hoffe, daß in dieſer
Beziehung die techniſchen und wiſſenſchaftlichen Fortſchritte auch
in Helgoland Eingang finden werden. Darüber iſt gar kein Zweifel,
daß die preußiſche Regierung Helgoland in wohlwollende Verwaltung
nehmen wird und daß man auf der Inſel mit vollem Vertrauen
der Einverleibung in Preußen entgegenſieht. Ich bitte Sie deßhalb,
den Antrag Stadthagen abzulehnen und der Einverleibung Helgo-
lands in Preußen Ihre freudige Zuſtimmung zu geben. (Beifall.)

Abg. Baumbach (Berlin): Der Abg. Stadthagen hätte doch
zum mindeſten Vorſchläge machen müſſen, wie er ſich die Ausführung
ſeines Vorſchlages denkt. Es handelt ſich hier lediglich um eine
Zweckmäßigkeitsfrage; das Gebiet der Inſel iſt für ein beſonderes
Staatsweſen zu klein; es bleibt nichts übrig, als die Inſel einem
preußiſchen Bezirke anzuſchließen. Das Territorium der Inſel wird
von Jahr zu Jahr kleiner, und ein Hauptvorwurf gegen die frühere
Regierung war immer, daß ſie das nicht in wirkſamer Weiſe ver-
hinderte. Rach der Rede des Abg. Stadthagen in der erſten
Leſung nahm ich an, daß derſelbe überhaupt gegen die Vereinigung
der Inſel mit Deutſchland ſei. Auf der Inſel iſt, wie ich mich
bei meinem Beſuche überzeugt habe, deutſches Weſen durchaus vor-
herrſchend, ſogar weit mehr als in manchen Theilen von Elſaß-
Lothringen. Ich empfehle die Annahme der Vorlage sans phrase.

Abg. Stadthagen: Ich bin nicht gegen die Einverleibung
Helgolands in das Deutſche Reich, ſondern war nur zweifelhaft,
ob das deutſch-engliſche Abkommen mit dem Deutſchen Reiche oder
mit dem Kaiſer abgeſchloſſen ſei. Ferner habe ich das Vedenken,
daß die Helgoländer nicht befragt ſind, ob ſie Deutſche ſein wollen
oder nicht, und daß ihnen keine Garantie gegeben iſt, daß ſie nicht
etwa, wenn ſie nicht für Deutſchland optiren, als läſtige Ausländer
aus ihrer Heimath verbannt werden. Die Helgoländer Lootſen
können ihr Gewerbe nicht bis Cuxhaven ausdehnen, ſondern dürfen
nur bis zum Feuerſchiff fahren, von dort muß ein neuer Lootſe
angenommen werden. Eine Aenderung iſt nur durch Verhand-
lungen zwiſchen der preußiſchen und der Hamburgiſchen Regierung
oder durch Hamburg allein möglich.

Der Antrag Stadthagen wird abgelehnt und die
§§. 1 und 2 unverändert angenommen.

Dem §. 3, welcher lautet: „Die von der Inſel herſtammen-
den Perſonen und ihre vor dem 11. Auguſt 1890 geborenen Kin-
der ſind von der Wehrpflicht befreit“, beantragt Abg. v. Bar
folgende Faſſung zu geben: „Die vor dem 11. Auguſt 1890 ge-
borenen Helgoländer ſind von der Wehrpflicht befreit“ und begrün-
det dieſen Antrag damit, daß der Ausdruck „herſtammende Per-
ſonen“ einmal zu Streitigkeiten über die Erfüllung der Wehrpflicht
Veranlaſſung geben könnte.

Staatsſecretär v. Boetticher; Ich könnte mit der Aen-
derung einverſtanden ſein, aber die Regierungsvorlage mußte ſo
gefaßt werden, weil der Text des deutſch-engliſchen Abkommens zu
Grunde gelegt werden mußte. Da iſt dieſelbe Faſſung gewählt,
und dieſer Text iſt von der engliſchen Regierung vorgeſchlagen.
Es wäre nun nicht loyal gegenüber dem andern Contrahenten,
eine Correctur vorzunehmen, die zwar gut, deren Unterlaſſung
aber nicht ſchädlich iſt. Der Abg. v. Bar wünſcht zu vermeiden,
daß einmal Jemand ſagen könnte: „Ich ſtamme auch von der
Inſel her, bin zwar längſt Preuße geworden, aber ich beanſpruche
auf Grund dieſes Paragraphen die Befreiung von der Wehrpflicht.“
Bei der Seßhaftigkeit der Helgoländer wird das kaum vorkommen,
und politiſche Gründe machen es räthlich, bei der vorliegenden
Faſſung zu bleiben.

Abg. v. Bar: Ich ziehe nach dieſer Declaration meinen
Antrag zurück, indem ich conſtatire, daß ein beſonderer
weiterer Sinn in dieſen Worten nicht enthalten ſein ſoll.
(Heiterkeit.)

§. 3 ſowie der Reſt des Geſetzes werden angenommen.

Darauf wird in nochmaliger Abſtimmung der geſtern hand-
ſchriftlich eingebrachte und angenommene Antrag des Abg. Rickert,
die Wahl des Abg. v. Reden zu beanſtanden und Erhebungen
über die Behauptungen des Wahlproteſtes zu veranlaſſen, ange-
nommen.

Es folgt die erſte Berathung der Novelle zum
Patentgeſetz.

Staatsſecretär v. Boetticher: Die Reform unſeres Patent-
geſetzes beſchäftigt ſeit langer Zeit unſere Induſtrie; die Vorbe-
reitungen für dieſelbe ſind ſo vollſtändig und gründlich geweſen,
wie kaum bei irgend einem andern Geſetz. Zur Klärung der
Frage veranſtalteten wir im Jahre 1886 eine Enquête, an welcher
hervorragende Mitglieder der Induſtrie und hervorragende Rechts-
verſtändige theilgenommen haben. Im Frühjahr d. J. wurde der
erſte Entwurf publicirt und eine Reihe Broſchüren und Zeitungs-
literatur hat ſich damit beſchäftigt. Daraus ergibt ſich, daß die Noth-
wendigkeit einer Abänderung gewiſſer Beſtimmungen des Patentgeſetzes
als ein Bedürfniß für unſere induſtriellen Kreiſe empfunden wurde.
Wenn die Regierung in ihren Vorſchlägen vielleicht nicht ſo weit
geht, als namentlich eine gewiſſe Strömung in der Induſtrie ver-
langt, ſo hat ſie dafür ihre guten Gründe. Unſer Patentgeſetz
hat im Gegenſatz zu den Geſetzen anderer Staaten, in denen das
Anmeldeverfahren beſteht, das ſogenannte Vorprüfungsverfahren
acceptirt, ein Verfahren, nach dem das Patent nicht eher er-
theilt wird, als bis ſich durch die Vorprüfung ergeben hat, daß
es ſich um eine neue patentfähige Erfindung handelt. Dieſes
Vorprüfungsverfahren hat ſich, wie Sie bei unbefangener Prüfung
der Motive und unbefangener Würdigung des beigefügten ſtati-
ſtiſchen Materials finden werden, durchaus bewährt. Ich beziehe
mich nicht allein auf die große Zahl der Patentanmeldungen
innerhalb des Deutſchen Reiches, nicht allein auf die Thatſache,
daß auch im Auslande ein deutſches Patent als ein ſehr er-
ſtrebenswerther Gegenſtand angeſehen wird und daß 33⅓ Procent
aller Patentanmeldungen im Deutſchen Reiche von Ausländern
eingegangen ſind, ſondern darauf, daß dieſes Vorprüſungsverfahren
ſowohl den Patentſuchern als der Induſtrie eine weit größere
Sicherheit gibt, als das Anmeldeverfahren. Das Vorprüfungs-
verfahren bietet dem Patentſucher die Gewähr, daß die ſachver-
ſtändige Behörde die angemeldete Erfindung für eine neue hält
und ſie dieſe Erfindung auch als eine patentfähige betrachtet.
Die Induſtrie erhält die Gewähr, daß die patentirte Erfindung
auch von Bedeutung für die gewerbliche Benützung iſt. Wollten
wir nun, was ein kleiner Theil unſrer Induſtrie fordert, zu dem
Anmeldeverfahren übergehen, ſo würden wir nicht allein den
Rutzen preisgeben, der aus unſern langjährigen Erfahrungen
ſtammt, ſondern würden das Anmeldeverſahren auch wieder erſt
erproben müſſen und ſo einen Rückſchritt thun. Wir würden vor
allem nicht die Sicherheit haben, daß das deutſche Patent
auf dem ganzen Erdball ſo hoch geſchätzt wird, wie es in Folge
[Spaltenumbruch] des Vorprüfungsverfahrens gegenwärtig geſchieht. Es gibt eine
Strömung in der Induſtrie, welche zwar das Vorprüſungs-
verfahren beibehalten, aber dieſes beſchränken will auf die
Unterſuchung der Thatſache, ob der Gegenſtand auch wirklich neu
iſt. Es ſoll alſo das Patentamt ferner nicht die Befugniß
haben, die Vorprüfung darauf auszudehnen, ob der Inhalt
der Erfindung patentwürdig iſt. Eine ſolche Beſtimmung
würde gleichfalls den Werth des deutſchen Patentes erheblich
herabmindern. Es liegt aber auch keine Veranlaſſung zu einer
ſolchen vor, da das Ihnen gleichzeitig vorliegende Geſetz über den
Schutz von Gebrauchsmuſtern eine einfache Regiſtrirung aller der
Erfindungen vorſchreibt, welche im gewerblichen Leben zwar nutz-
bringend, aber doch eines Patentes nicht würdig ſind. Obgleich
ich weiß, daß der größte Theil der deutſchen Induſtrie mit der Bei-
behaltung des Vorprüfungsverfahrens einverſtanden iſt, ſo ſehe ich
doch voraus, daß von einzelnen Seiten der Verſuch gemacht werden
wird, dieſe principielle Grundlage zu erſchüttern. Deßbalb erſuche
ich Sie, die Gründe für die Beibehaltung einer gründlichen und
wohlwollenden Erwägung zu unterziehen. Auf einem anderen Ge-
biete will das Geſetz eine Aenderung in der Organiſation vor-
nehmen, da die bisherige der fortſchreitenden Entwicklung unſrer
Induſtrie auch auf dem Gebiete der Erfindungen nicht genügt hat.
Bisher arbeitete das Patentamt, abgeſehen von der Perſon ſeines
Präſidenten, der ſtändig angeſtellt iſt, lediglich mit im Rebenamte
beſchäftigten Mitgliedern. Nach der Seite der Technik hin hat
dieſe Verwendung ihre Vorzüge, da ſolche Mitglieder in ihrem
Hauptberuf mitten im wirthſchaftlichen Leben ſtehen und auch ihre
Kenntniſſe dem Patentamte zugute kommen laſſen, eine einheitliche
und conſtante Anwendung der Grundſätze über Patentweſen
aber wird mehr bei dauernd angeſtellten Mitgliedern erzielt
werden. Dadurch, daß der Entwurf für diejenige Abtheilung,
welche mit der Prüfung der Anmeldung und der Entſcheidung über
die Angriffe gegen die Patente betraut iſt, ſtändige Mitglieder
vorſieht, wird für die erſte Inſtanz die Anwendung conſtanter
Principien, für die zweite die größtmögliche Gewähr bei der
Prüfung der Beſchwerde gegeben, da in dieſer zweiten Inſtanz
Sachverſtändige mitwirken, die mitten im praktiſchen Leben ſtehen.
Auch in dieſer Beziehung ſind andere Auffaſſungen hervorgetreten.
Man hat zum Theil durchweg dauernde Mitglieder, zum Theil nur
vorübergehende verlangt. Die einzelnen Reuerungen, wie etwa die
ſehr wichtige Beſchränkung in der gutachtlichen Aeußerung des
Patentamts, will ich nicht weiter anführen. Ich ſchließe mit dem
Wunſche, daß der Entwurf, von dem ich überzeugt bin, daß er
unſrer Induſtrie gute Dienſte leiſten wird, auch Ihren Beifall
finden möge und daß er in einer Form verabſchiedet wird, die zu
Rutz und Frommen der Induſtrie gereicht. Wir haben keine
andere Abſicht bei dem Entwurf gehabt, als unſrer Induſtrie einen
Dienſt zu leiſten. Thun Sie dasſelbe.

Abg. Goldſchmidt (deutſchfreiſinnig) erklärt, vorbehaltlich
einiger Abweichungen in Einzelheiten, ſich mit der Vorlage ein-
verſtanden. Das Vorprüfungsverfahren ſei ein Segen für die
Induſtrie geweſen. Um die Wirkungen des Vorprüfungsverfahrens
vollſtändig zum Ausdruck kommen zu laſſen, muß aber ein con-
tradictoriſches Verfahren für die Patentſucher eintreten, ſo daß ſie
ihr Recht geltend machen können, was ihnen jetzt bei dem rein
adminiſtrativen Verfahren abgeſchnitten iſt. Es iſt ein Vorzug
der Vorlage, daß in dieſer Beziehung Abhülfe geſchaſſen iſt. Eine
weſentliche Verbeſſerung iſt die Ausdehnung des Patentſchutzes
auf die mittelſt eines geſchützten Verfahrens hergeſtellten Erzeugniſſe.
Die wichtigſte Aenderung iſt, daß die nicht ſtändigen Mitglieder der
Anmeldeabtheilung durch auf Lebenszeitangeſtellte Beamte erſetzt werden.
Es iſt zu befürchten, daß dieſe Beamten leicht den Zuſammenhang mit
dem praktiſchen Leben verlieren, daß ſie die Patentgeſuche zwar auf
ihre Reuheit, aber nicht auf ihre praktiſche Verwendbarkeit prüfen
können. Es iſt überhaupt nicht zu erſehen, woher dieſe Beamten
genommen werden ſollen. Wird man dafür Induſtrielle gewinnen?
Nach §. 27 ſoll der Antrag auf Richtigkeitserklärung eines Patentes
fünf Jahre nach Ertheilung desſelben nicht mehr geſtellt werden
dürfen. Das iſt eine Ungerechtigkeit, wie zahlreiche Beiſpiele be-
weiſen. Die Gebühren müſſen ermäßigt werden, denn es kommt
oſt genug vor, daß die Erfinder die Gebühren nicht bezahlen können
und deßhalb ihre Patente verfallen laſſen müſſen. Auch induſtrielle
Vereine haben ſich für die Herabſetzung der Gebühren von 50 auf
30 Mark erklärt. Wünſchenswerth wäre auch die Aufnahme einer
Beſtimmung über die Patentanwaltſchaft, welche in irgendeiner
Weiſe in das Geſetz eingefügt werden muß. Ich beantrage, die
Vorlage an eine Commiſſion von 28 Mitgliedern zu verweiſen.

Abg. v. Buol: Ich bin ebenfalls für Commiſſionsberathung.
Auch von dieſem Geſetzentwurf gilt das Sprichwort: Gut Ding
will Weile haben. Die Verbeſſerung des Patentgeſetzes hat ſchon
lange auf der Tagesordnung der öffentlichen Meinung geſtanden,
und ich freue mich, daß die Reichsregierung alle Wünſche gehört
und gewürdigt hat. In principieller Beziehung ſcheint jetzt ziem-
liche Uebereinſtimmung darüber zu herrſchen, daß der Patentſchutz
im Sinne des Entwurfes zuläſſig und nützlich iſt. Noch bei dem
Geſetz von 1877 waren Viele entgegengeſetzter Anſicht. Dieſe
Stimmen ſind zum Schweigen gekommen. Selbſt die Gegner er-
kennen an, daß der Schutz der Erfindung berechtigt und ſogar für
das Volkswohl nothwendig iſt. Das in der Vorlage vorgeſchlagene
Vorprüfungsverfahren wird von der überwiegenden Mehrheit der
Sachverſtändigen und Intereſſenten für werthvoll bezeichnet. Was die
Nebenpunkte betrifft. ſo hoffe ich, daß wir in der Commiſſion zu einer
vollen Verſtändigung gelangen werden. Ich begrüße es, daß der
Grundſatz ausgeſprochen wird, daß das Patent nicht nur dazu be-
ſtimmt iſt, daß der Inhaber befugt iſt, gewerbsmäßig den Gegen-
ſtand der Erfindung herzuſtellen, ſondern daß das Patent ſich auch
auf die mittelſt des Verfahrens hergeſtellten Erzeugniſſe erſtreckt.
Was das Patentamt betrifft, ſo begrüße ich es, daß hier voll-
ſtändig getrennte und übereinander ſtehende Abtheilungen
geſchaffen werden, daß nicht dieſelben Richter und Techniker
in beiden Abtheilungen ihre Anſicht ausſprechen können,
und endlich, daß in allen Anmeldeabtheilungen nur ſtän-
dige techniſche Mitglieder angeſtellt werden können. Die
Vereinfachung des Zuſtellungsweſens iſt mir beſonders an-
genehm, und ich hoffe, daß dies auf andere Gebiete übertragen
wird. Nach §. 27 ſoll die Richtigkeitsklage nach Verlauf von
fünf Jahren, von dem Tage der über die Ertheilung des Patents
erfolgten Bekanntmachung, in beſtimmten Fällen unſtatthaft ſein.
Der Vorredner hat mit Unrecht den Vorwurf erhoben, daß hier
unter Umſtänden ein Unrecht dauernd gemacht werde. Die Nichtig-
keitsklage ſoll nur da eintreten, wo ſie geſtützt werden kann darauf,
daß der Gegenſtand nicht patentfähig und keine Erfindung im
Sinne des Geſetzes war. Die Entſcheidung, ob etwas neu oder
eine Erfindung im Sinne des Geſetzes iſt, unterliegt abſolut dem
ſubjectiven Ermeſſen; und es ſoll deßhalb der Patentinhaber da-
gegen geſchützt werden, daß nicht fortdauernd immer die
Nichtigkeitsklage auf Grund ſolcher wechſelnden ſubjec-
tiven Urtheile erhoben werden kann. Die Ausdebnung der
Haſtpflicht wenigſtens hinſichtlich einer Entſchädigungspflicht
in Bezug auf grobe Fahrläſſigkeit halte ich für gerechtfertigt. Es

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&#x017F;chließen können, be&#x017F;&#x017F;ere Rettungsboote anzu&#x017F;chaffen, als &#x017F;ie von<lb/>
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der Einverleibung in Preußen entgegen&#x017F;ieht. Ich bitte Sie deßhalb,<lb/>
den Antrag Stadthagen abzulehnen und der Einverleibung Helgo-<lb/>
lands in Preußen Ihre freudige Zu&#x017F;timmung zu geben. (Beifall.)</p><lb/>
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&#x017F;eines Vor&#x017F;chlages denkt. Es handelt &#x017F;ich hier lediglich um eine<lb/>
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Staatswe&#x017F;en zu klein; es bleibt nichts übrig, als die In&#x017F;el einem<lb/>
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Bei der Seßhaftigkeit der Helgoländer wird das kaum vorkommen,<lb/>
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&#x017F;chriftlich eingebrachte und angenommene Antrag des Abg. <hi rendition="#g">Rickert,</hi><lb/>
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[0005] Freitag, Zweites Morgenblatt, Nr. 337 der Allgemeinen Zeitung. 5. December 1890. Inhalts-Ueberſicht. Deutſcher Reichstag. Bayeriſche Chronik. — Verſchiedenes. — Handel und Volkswirthſchaft. Deutſcher Reichstag. Telegraphiſcher Privatbericht der Allg. Ztg. 35. Sitzung. &#xfffc; Berlin, 4. Dec.Die Sitzung wird um 2 Uhr eröffnet. Am Tiſche des Bundesraths: v. Boetticher, v. Bojanowski und Commiſſarien. Eingegangen iſt eine Nachweiſung über die geſammten Rechnungsergebniſſe der Berufsgenoſſen- ſchaften für das Jahr 1889. Der preußiſche Miniſter für Land- wirthſchaft v. Heyden iſt zum Bundesrathsbevollmächtigten er- nannt worden. Auf der Tagesordnung ſteht zunächſt die zweite Berathung des Geſetzentwurfs betreffend die Vereinigung von Helgoland mit dem Deutſchen Reiche. Abg. Stadthagen (Soc.) beantragt, den zweiten Abſatz des §. 1, welcher beſtimmt, daß das Reich ſeine Zuſtimmung dazu er- theilt, daß Helgoland mit dem preußiſchen Staate vereinigt wird, zu ſtreichen. Wenn der Staatsſecretär v. Boetticher neulich geſagt hat, er bedaure, daß der Reichstag nicht im Stande ſei, Helgoland mit Dänemark zu vereinigen, ſo theile ich dieſes Bedauern nicht, weil ich es nicht für zweckmäßig halte, Helgoland mit Dänemark zu vereinigen. Daraus iſt aber nicht zu deduciren, daß Helgoland an Preußen kommen ſoll. Helgoland ſoll deutſch, nicht preußiſch werden. Es iſt ein koloſſaler Irrthum, anzunehmen, daß Hamburg nicht im Beſitz von Helgoland geweſen ſei. Hamburg iſt ſeit dem 15. Jahrhundert mindeſtens Schutzherrin geweſen und erſt ſeit dem 17. Jahrhundert iſt Schleswig-Holſtein in den Beſitz der Inſel gekommen. Nun gebe ich zu, daß bezüglich der ſanitären Einrichtungen, eventuell auch der Errichtung der zoologiſchen Station und der übrigen Deſiderien allerdings Preußen die Wünſche der Bewohner erfüllen kann. Ich kann dies aber nicht zugeben bezüglich des Lootſen- gewerbes. Das Lootſengewerbe der Helgoländer beſteht in dem Hineinbugfiren der Schiffe bis nach Cuxhaven, wenn nicht bis Hamburg, und darüber hat nicht Preußen, ſondern das Reich zu beſtimmen, eventuell Hamburg. Jedenfalls müßte erſt Preußen mit Hamburg darüber in Unterhandlungen eintreten. Wenn die Helgoländer wirklich mit Vertrauen auf die Regierung blicken, ſo geſchieht dies in der Annahme, daß auch ihre Erwartungen er- füllt werden. Ueberhaupt glaube ich, daß das Reich am beſten in der Lage iſt, die allgemeinen Intereſſen in Helgoland wahr- zunehmen. Ich weiſe darauf hin, daß die Geräthe, welche für die Rettung Schiffbrüchiger nothwendig ſind, bis jetzt vom Reiche nicht geliefert worden ſind und daß der Verein zur Rettung Schiffbrüchiger bisher allein die Sache in die Hand genommen hat. In dieſer Beziehung müßte noch vieles geſchehen. Staatsſecretär v. Boetticher: Ich freue mich, daß der Vor- redner den Gedanken, Helgoland mit Dänemark zu vereinigen, nicht als einen ſolchen anſieht, dem eine praktiſche Folge zu geben wäre. Ich habe neulich mit meiner Schlußbemerkung auch nur andeuten wollen, daß für die Durchführung dieſes Gedankens in dieſem Hauſe wohl kaum irgendeine Stimme ſich erheben würde. Wenn der Vorredner ſeinem Antrag auf eine ſelbſtändige Geſtal- tung Helgolands unter dem Reiche Rachdruck geben will, ſo würde es auch wohl nöthig ſein, die Bedingungen für die Organiſation vorzuſehen, unter denen Helgoland als ein ſelbſtändiges Glied des Reiches oder als ein neues Reichsland ſtehen ſoll. Das hat der Vorredner nicht gethan; ich nehme an, daß er ſich das für einen ſpäteren geſetzgeberiſchen Vorſchlag vorbehält. Gegen den Vor- ſchlag des Vorredners beſtehen aber ſo viele praktiſche Bedenken, daß wohl kaum ernſtlich darauf wird eingegangen werden können. Wenn Sie bedenken, daß Helgoland mit einem Umfange von wenig mehr als einem halben Quadratkilometer und etwa 2000 Einwohnern ausgeſtattet iſt, ſo werden Sie kaum der Meinung ſein können, daß dieſes neue Staatsweſen, wie es der Vorredner ſich denkt, einebeſondere Lebensfähigkeit entwickeln kann. Wollte man es als Reichsland hinſtellen, ſo ſtände dem das Bedenken entgegen, daß, um ihm eine wirtſame Organiſation auf adminiſtrativem und auf dem Ge- biete der Rechtſprechung zu geben, dazu ein ganz außer Verhältniß ſtehender Apparat nothwendig wäre, der Koſten verurſachen würde, die vielleicht den materiellen und finanziellen Beſitz dieſer Inſel in Frage ſtellen würden. Erfolgt dagegen der Anſchluß Helgolands an ein anderes Staatsweſen, ſo iſt die Organiſation der Ver- waltung und Rechtſprechung verhältnißmäßig eine außerordentlich einfache. Wir haben eine ganze Reihe von Rordſeeinſeln, die vom Feſtlande verwaltet werden und in veränderten Formen der Organiſa- tion der Provinz, zu der ſie gehören, angeſchloſſen ſind. Etwas ähnliches wird man ohne ſonderliche Schwierigkeit in Helgoland machen können. Daß Hamburg die politiſche Schutzherrſchaft über Helgoland im Mittelalter geführt hätte, iſt mir bisher unbekannt geweſen. In den Schriften über Helgoland, die ich noch in den letzten Tagen geleſen, habe ich nicht gefunden, daß Helgoland in einer politiſchen Abhängigkeit von Hamburg jemals geſtanden hätte. Richtig iſt nur, daß die wirthſchaftlichen Beziehungen zwiſchen Helgoland und Ham- burg ziemlich lebhaft geweſen ſind; das liegt auf der Oberfläche, weil eben Hamburg die nächſte größere Seeſtadt iſt. Aus dieſer wirthſchaftlichen Affinität folgt aber keineswegs die Rothwendigkeit, daß man jetzt, wo es ſich um den politiſchen Anſchluß der Inſel handelt, nun auch Hamburg wählt. Ich glaube kaum, daß es für Hamburg ein ſehr erſehnter Zuwachs ſein würde, wenn Helgo- land ihm angeſchloſſen werden ſollte. Andrerſeits nehme ich gerade an, daß mit Rückſicht auf die Reichsintereſſen, die ſich an den Beſitz der Inſel Helgoland knüpfen, es viel beſſer iſt, die Inſel an Preußen anzuſchließen. Nun ſagt der Vorredner, Preußen und das Neich habe bisher ſein Wohlwollen gegenüber Helgoland ſehr ſchwach oder vielleicht gar nicht an den Tag gelegt. Ich mache ihn darauf aufmerkſam, daß einmal noch keine Veranlaſſung für Preußen vorlag, das Wohlwollen zu bethätigen, und daß die Reichs- verwaltung während der drei Monate, in denen ſie dort amtirt, eine ſolche geweſen iſt, daß die Helgoländer damit vollſtändig zufrieden ſind. Welterſchütternde Veränderungen haben wir allerdings nicht vor- genommen, aber es war jedenfalls ſehr klug von uns, das der- jenigen Regierung zu überlaſſen, welche definitiv ihre Fittige über Helgoland breiten wird. Was das Lootſenweſen anbetrifft, ſo halte ich es für meine Perſon vollſtändig für ausgeſchloſſen, daß die Lootſen, welche jetzt nach den bisherigen Vorſchriften in Helgo- land ihre Qualification zum Betriebe des Lootſengewerbes darge- legt haben, irgendwie gehindert werden können, das auch in Zu- kunft zu thun. Eine ſolche Barbarei pflegt die preußiſche Regie- rung nicht zu üben; ſie würde damit einen Beſitzſtand erſchüttern, der auf Fortdauer allen Anſpruch hat. Die Helgoländer können ſich alſo durchaus darüber beruhigen, daß ſie nach wie vor ihr Lootſengewerhe ungehindert ausüben können. Daß die Regierung noch nicht einmal für die Geräthe zur Rettung Schiffbrüchiger geſorgt hat, darf nicht wundernehmen, denn in der Hauptſache ſorgt dafür an der ganzen deutſchen See- küſte gerade der von dem Vorredner gelobte und auch von mir zu lobende Verein für die Rettung Schiffbrüchiger. Uebrigens iſt gerade dies ein Capitel, bei dem man es ſehr mit der Abneigung der Helgoländer, von alten Gewohnheiten abzugehen, zu thun hat, und der neueſte Unglücksfall auf Helgoland ſoll gerade darauf zurückzuführen ſein, daß die Helgoländer Fiſcher ſich nicht ent- ſchließen können, beſſere Rettungsboote anzuſchaffen, als ſie von ihren Altvordern übernommen haben. Ich hoffe, daß in dieſer Beziehung die techniſchen und wiſſenſchaftlichen Fortſchritte auch in Helgoland Eingang finden werden. Darüber iſt gar kein Zweifel, daß die preußiſche Regierung Helgoland in wohlwollende Verwaltung nehmen wird und daß man auf der Inſel mit vollem Vertrauen der Einverleibung in Preußen entgegenſieht. Ich bitte Sie deßhalb, den Antrag Stadthagen abzulehnen und der Einverleibung Helgo- lands in Preußen Ihre freudige Zuſtimmung zu geben. (Beifall.) Abg. Baumbach (Berlin): Der Abg. Stadthagen hätte doch zum mindeſten Vorſchläge machen müſſen, wie er ſich die Ausführung ſeines Vorſchlages denkt. Es handelt ſich hier lediglich um eine Zweckmäßigkeitsfrage; das Gebiet der Inſel iſt für ein beſonderes Staatsweſen zu klein; es bleibt nichts übrig, als die Inſel einem preußiſchen Bezirke anzuſchließen. Das Territorium der Inſel wird von Jahr zu Jahr kleiner, und ein Hauptvorwurf gegen die frühere Regierung war immer, daß ſie das nicht in wirkſamer Weiſe ver- hinderte. Rach der Rede des Abg. Stadthagen in der erſten Leſung nahm ich an, daß derſelbe überhaupt gegen die Vereinigung der Inſel mit Deutſchland ſei. Auf der Inſel iſt, wie ich mich bei meinem Beſuche überzeugt habe, deutſches Weſen durchaus vor- herrſchend, ſogar weit mehr als in manchen Theilen von Elſaß- Lothringen. Ich empfehle die Annahme der Vorlage sans phrase. Abg. Stadthagen: Ich bin nicht gegen die Einverleibung Helgolands in das Deutſche Reich, ſondern war nur zweifelhaft, ob das deutſch-engliſche Abkommen mit dem Deutſchen Reiche oder mit dem Kaiſer abgeſchloſſen ſei. Ferner habe ich das Vedenken, daß die Helgoländer nicht befragt ſind, ob ſie Deutſche ſein wollen oder nicht, und daß ihnen keine Garantie gegeben iſt, daß ſie nicht etwa, wenn ſie nicht für Deutſchland optiren, als läſtige Ausländer aus ihrer Heimath verbannt werden. Die Helgoländer Lootſen können ihr Gewerbe nicht bis Cuxhaven ausdehnen, ſondern dürfen nur bis zum Feuerſchiff fahren, von dort muß ein neuer Lootſe angenommen werden. Eine Aenderung iſt nur durch Verhand- lungen zwiſchen der preußiſchen und der Hamburgiſchen Regierung oder durch Hamburg allein möglich. Der Antrag Stadthagen wird abgelehnt und die §§. 1 und 2 unverändert angenommen. Dem §. 3, welcher lautet: „Die von der Inſel herſtammen- den Perſonen und ihre vor dem 11. Auguſt 1890 geborenen Kin- der ſind von der Wehrpflicht befreit“, beantragt Abg. v. Bar folgende Faſſung zu geben: „Die vor dem 11. Auguſt 1890 ge- borenen Helgoländer ſind von der Wehrpflicht befreit“ und begrün- det dieſen Antrag damit, daß der Ausdruck „herſtammende Per- ſonen“ einmal zu Streitigkeiten über die Erfüllung der Wehrpflicht Veranlaſſung geben könnte. Staatsſecretär v. Boetticher; Ich könnte mit der Aen- derung einverſtanden ſein, aber die Regierungsvorlage mußte ſo gefaßt werden, weil der Text des deutſch-engliſchen Abkommens zu Grunde gelegt werden mußte. Da iſt dieſelbe Faſſung gewählt, und dieſer Text iſt von der engliſchen Regierung vorgeſchlagen. Es wäre nun nicht loyal gegenüber dem andern Contrahenten, eine Correctur vorzunehmen, die zwar gut, deren Unterlaſſung aber nicht ſchädlich iſt. Der Abg. v. Bar wünſcht zu vermeiden, daß einmal Jemand ſagen könnte: „Ich ſtamme auch von der Inſel her, bin zwar längſt Preuße geworden, aber ich beanſpruche auf Grund dieſes Paragraphen die Befreiung von der Wehrpflicht.“ Bei der Seßhaftigkeit der Helgoländer wird das kaum vorkommen, und politiſche Gründe machen es räthlich, bei der vorliegenden Faſſung zu bleiben. Abg. v. Bar: Ich ziehe nach dieſer Declaration meinen Antrag zurück, indem ich conſtatire, daß ein beſonderer weiterer Sinn in dieſen Worten nicht enthalten ſein ſoll. (Heiterkeit.) §. 3 ſowie der Reſt des Geſetzes werden angenommen. Darauf wird in nochmaliger Abſtimmung der geſtern hand- ſchriftlich eingebrachte und angenommene Antrag des Abg. Rickert, die Wahl des Abg. v. Reden zu beanſtanden und Erhebungen über die Behauptungen des Wahlproteſtes zu veranlaſſen, ange- nommen. Es folgt die erſte Berathung der Novelle zum Patentgeſetz. Staatsſecretär v. Boetticher: Die Reform unſeres Patent- geſetzes beſchäftigt ſeit langer Zeit unſere Induſtrie; die Vorbe- reitungen für dieſelbe ſind ſo vollſtändig und gründlich geweſen, wie kaum bei irgend einem andern Geſetz. Zur Klärung der Frage veranſtalteten wir im Jahre 1886 eine Enquête, an welcher hervorragende Mitglieder der Induſtrie und hervorragende Rechts- verſtändige theilgenommen haben. Im Frühjahr d. J. wurde der erſte Entwurf publicirt und eine Reihe Broſchüren und Zeitungs- literatur hat ſich damit beſchäftigt. Daraus ergibt ſich, daß die Noth- wendigkeit einer Abänderung gewiſſer Beſtimmungen des Patentgeſetzes als ein Bedürfniß für unſere induſtriellen Kreiſe empfunden wurde. Wenn die Regierung in ihren Vorſchlägen vielleicht nicht ſo weit geht, als namentlich eine gewiſſe Strömung in der Induſtrie ver- langt, ſo hat ſie dafür ihre guten Gründe. Unſer Patentgeſetz hat im Gegenſatz zu den Geſetzen anderer Staaten, in denen das Anmeldeverfahren beſteht, das ſogenannte Vorprüfungsverfahren acceptirt, ein Verfahren, nach dem das Patent nicht eher er- theilt wird, als bis ſich durch die Vorprüfung ergeben hat, daß es ſich um eine neue patentfähige Erfindung handelt. Dieſes Vorprüfungsverfahren hat ſich, wie Sie bei unbefangener Prüfung der Motive und unbefangener Würdigung des beigefügten ſtati- ſtiſchen Materials finden werden, durchaus bewährt. Ich beziehe mich nicht allein auf die große Zahl der Patentanmeldungen innerhalb des Deutſchen Reiches, nicht allein auf die Thatſache, daß auch im Auslande ein deutſches Patent als ein ſehr er- ſtrebenswerther Gegenſtand angeſehen wird und daß 33⅓ Procent aller Patentanmeldungen im Deutſchen Reiche von Ausländern eingegangen ſind, ſondern darauf, daß dieſes Vorprüſungsverfahren ſowohl den Patentſuchern als der Induſtrie eine weit größere Sicherheit gibt, als das Anmeldeverfahren. Das Vorprüfungs- verfahren bietet dem Patentſucher die Gewähr, daß die ſachver- ſtändige Behörde die angemeldete Erfindung für eine neue hält und ſie dieſe Erfindung auch als eine patentfähige betrachtet. Die Induſtrie erhält die Gewähr, daß die patentirte Erfindung auch von Bedeutung für die gewerbliche Benützung iſt. Wollten wir nun, was ein kleiner Theil unſrer Induſtrie fordert, zu dem Anmeldeverfahren übergehen, ſo würden wir nicht allein den Rutzen preisgeben, der aus unſern langjährigen Erfahrungen ſtammt, ſondern würden das Anmeldeverſahren auch wieder erſt erproben müſſen und ſo einen Rückſchritt thun. Wir würden vor allem nicht die Sicherheit haben, daß das deutſche Patent auf dem ganzen Erdball ſo hoch geſchätzt wird, wie es in Folge des Vorprüfungsverfahrens gegenwärtig geſchieht. Es gibt eine Strömung in der Induſtrie, welche zwar das Vorprüſungs- verfahren beibehalten, aber dieſes beſchränken will auf die Unterſuchung der Thatſache, ob der Gegenſtand auch wirklich neu iſt. Es ſoll alſo das Patentamt ferner nicht die Befugniß haben, die Vorprüfung darauf auszudehnen, ob der Inhalt der Erfindung patentwürdig iſt. Eine ſolche Beſtimmung würde gleichfalls den Werth des deutſchen Patentes erheblich herabmindern. Es liegt aber auch keine Veranlaſſung zu einer ſolchen vor, da das Ihnen gleichzeitig vorliegende Geſetz über den Schutz von Gebrauchsmuſtern eine einfache Regiſtrirung aller der Erfindungen vorſchreibt, welche im gewerblichen Leben zwar nutz- bringend, aber doch eines Patentes nicht würdig ſind. Obgleich ich weiß, daß der größte Theil der deutſchen Induſtrie mit der Bei- behaltung des Vorprüfungsverfahrens einverſtanden iſt, ſo ſehe ich doch voraus, daß von einzelnen Seiten der Verſuch gemacht werden wird, dieſe principielle Grundlage zu erſchüttern. Deßbalb erſuche ich Sie, die Gründe für die Beibehaltung einer gründlichen und wohlwollenden Erwägung zu unterziehen. Auf einem anderen Ge- biete will das Geſetz eine Aenderung in der Organiſation vor- nehmen, da die bisherige der fortſchreitenden Entwicklung unſrer Induſtrie auch auf dem Gebiete der Erfindungen nicht genügt hat. Bisher arbeitete das Patentamt, abgeſehen von der Perſon ſeines Präſidenten, der ſtändig angeſtellt iſt, lediglich mit im Rebenamte beſchäftigten Mitgliedern. Nach der Seite der Technik hin hat dieſe Verwendung ihre Vorzüge, da ſolche Mitglieder in ihrem Hauptberuf mitten im wirthſchaftlichen Leben ſtehen und auch ihre Kenntniſſe dem Patentamte zugute kommen laſſen, eine einheitliche und conſtante Anwendung der Grundſätze über Patentweſen aber wird mehr bei dauernd angeſtellten Mitgliedern erzielt werden. Dadurch, daß der Entwurf für diejenige Abtheilung, welche mit der Prüfung der Anmeldung und der Entſcheidung über die Angriffe gegen die Patente betraut iſt, ſtändige Mitglieder vorſieht, wird für die erſte Inſtanz die Anwendung conſtanter Principien, für die zweite die größtmögliche Gewähr bei der Prüfung der Beſchwerde gegeben, da in dieſer zweiten Inſtanz Sachverſtändige mitwirken, die mitten im praktiſchen Leben ſtehen. Auch in dieſer Beziehung ſind andere Auffaſſungen hervorgetreten. Man hat zum Theil durchweg dauernde Mitglieder, zum Theil nur vorübergehende verlangt. Die einzelnen Reuerungen, wie etwa die ſehr wichtige Beſchränkung in der gutachtlichen Aeußerung des Patentamts, will ich nicht weiter anführen. Ich ſchließe mit dem Wunſche, daß der Entwurf, von dem ich überzeugt bin, daß er unſrer Induſtrie gute Dienſte leiſten wird, auch Ihren Beifall finden möge und daß er in einer Form verabſchiedet wird, die zu Rutz und Frommen der Induſtrie gereicht. Wir haben keine andere Abſicht bei dem Entwurf gehabt, als unſrer Induſtrie einen Dienſt zu leiſten. Thun Sie dasſelbe. Abg. Goldſchmidt (deutſchfreiſinnig) erklärt, vorbehaltlich einiger Abweichungen in Einzelheiten, ſich mit der Vorlage ein- verſtanden. Das Vorprüfungsverfahren ſei ein Segen für die Induſtrie geweſen. Um die Wirkungen des Vorprüfungsverfahrens vollſtändig zum Ausdruck kommen zu laſſen, muß aber ein con- tradictoriſches Verfahren für die Patentſucher eintreten, ſo daß ſie ihr Recht geltend machen können, was ihnen jetzt bei dem rein adminiſtrativen Verfahren abgeſchnitten iſt. Es iſt ein Vorzug der Vorlage, daß in dieſer Beziehung Abhülfe geſchaſſen iſt. Eine weſentliche Verbeſſerung iſt die Ausdehnung des Patentſchutzes auf die mittelſt eines geſchützten Verfahrens hergeſtellten Erzeugniſſe. Die wichtigſte Aenderung iſt, daß die nicht ſtändigen Mitglieder der Anmeldeabtheilung durch auf Lebenszeitangeſtellte Beamte erſetzt werden. Es iſt zu befürchten, daß dieſe Beamten leicht den Zuſammenhang mit dem praktiſchen Leben verlieren, daß ſie die Patentgeſuche zwar auf ihre Reuheit, aber nicht auf ihre praktiſche Verwendbarkeit prüfen können. Es iſt überhaupt nicht zu erſehen, woher dieſe Beamten genommen werden ſollen. Wird man dafür Induſtrielle gewinnen? Nach §. 27 ſoll der Antrag auf Richtigkeitserklärung eines Patentes fünf Jahre nach Ertheilung desſelben nicht mehr geſtellt werden dürfen. Das iſt eine Ungerechtigkeit, wie zahlreiche Beiſpiele be- weiſen. Die Gebühren müſſen ermäßigt werden, denn es kommt oſt genug vor, daß die Erfinder die Gebühren nicht bezahlen können und deßhalb ihre Patente verfallen laſſen müſſen. Auch induſtrielle Vereine haben ſich für die Herabſetzung der Gebühren von 50 auf 30 Mark erklärt. Wünſchenswerth wäre auch die Aufnahme einer Beſtimmung über die Patentanwaltſchaft, welche in irgendeiner Weiſe in das Geſetz eingefügt werden muß. Ich beantrage, die Vorlage an eine Commiſſion von 28 Mitgliedern zu verweiſen. Abg. v. Buol: Ich bin ebenfalls für Commiſſionsberathung. Auch von dieſem Geſetzentwurf gilt das Sprichwort: Gut Ding will Weile haben. Die Verbeſſerung des Patentgeſetzes hat ſchon lange auf der Tagesordnung der öffentlichen Meinung geſtanden, und ich freue mich, daß die Reichsregierung alle Wünſche gehört und gewürdigt hat. In principieller Beziehung ſcheint jetzt ziem- liche Uebereinſtimmung darüber zu herrſchen, daß der Patentſchutz im Sinne des Entwurfes zuläſſig und nützlich iſt. Noch bei dem Geſetz von 1877 waren Viele entgegengeſetzter Anſicht. Dieſe Stimmen ſind zum Schweigen gekommen. Selbſt die Gegner er- kennen an, daß der Schutz der Erfindung berechtigt und ſogar für das Volkswohl nothwendig iſt. Das in der Vorlage vorgeſchlagene Vorprüfungsverfahren wird von der überwiegenden Mehrheit der Sachverſtändigen und Intereſſenten für werthvoll bezeichnet. Was die Nebenpunkte betrifft. ſo hoffe ich, daß wir in der Commiſſion zu einer vollen Verſtändigung gelangen werden. Ich begrüße es, daß der Grundſatz ausgeſprochen wird, daß das Patent nicht nur dazu be- ſtimmt iſt, daß der Inhaber befugt iſt, gewerbsmäßig den Gegen- ſtand der Erfindung herzuſtellen, ſondern daß das Patent ſich auch auf die mittelſt des Verfahrens hergeſtellten Erzeugniſſe erſtreckt. Was das Patentamt betrifft, ſo begrüße ich es, daß hier voll- ſtändig getrennte und übereinander ſtehende Abtheilungen geſchaffen werden, daß nicht dieſelben Richter und Techniker in beiden Abtheilungen ihre Anſicht ausſprechen können, und endlich, daß in allen Anmeldeabtheilungen nur ſtän- dige techniſche Mitglieder angeſtellt werden können. Die Vereinfachung des Zuſtellungsweſens iſt mir beſonders an- genehm, und ich hoffe, daß dies auf andere Gebiete übertragen wird. Nach §. 27 ſoll die Richtigkeitsklage nach Verlauf von fünf Jahren, von dem Tage der über die Ertheilung des Patents erfolgten Bekanntmachung, in beſtimmten Fällen unſtatthaft ſein. Der Vorredner hat mit Unrecht den Vorwurf erhoben, daß hier unter Umſtänden ein Unrecht dauernd gemacht werde. Die Nichtig- keitsklage ſoll nur da eintreten, wo ſie geſtützt werden kann darauf, daß der Gegenſtand nicht patentfähig und keine Erfindung im Sinne des Geſetzes war. Die Entſcheidung, ob etwas neu oder eine Erfindung im Sinne des Geſetzes iſt, unterliegt abſolut dem ſubjectiven Ermeſſen; und es ſoll deßhalb der Patentinhaber da- gegen geſchützt werden, daß nicht fortdauernd immer die Nichtigkeitsklage auf Grund ſolcher wechſelnden ſubjec- tiven Urtheile erhoben werden kann. Die Ausdebnung der Haſtpflicht wenigſtens hinſichtlich einer Entſchädigungspflicht in Bezug auf grobe Fahrläſſigkeit halte ich für gerechtfertigt. Es

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-03-29T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 337, 5. Dezember 1890, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine337_1890/5>, abgerufen am 24.11.2024.