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Allgemeine Zeitung, Nr. 31, 31. Januar 1850.

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Wien.

Die Berliner Post bleibt noch immer aus, und
wenn sie käme, wer weiß ob sie Entscheidendes brächte. Je länger man sich
unsere jetzige politische Lage überdenkt, desto gefährlicher erscheint sie.
Wenn Sie unsere Journale durchsehen, so finden Sie daß man mit großem
Ernst den Berliner Productionen zufieht. Wir hätten ja alle Ursache
jetzt vergnügt zu seyn, die wir zu Oesterreich in der deutschen Frage ge-
halten. Wo gibt es einen Staat in dem man die 48er Revolution, soweit
sie berechtigt war, so ungeschmälert anerkannt hätte als in Oesterreich?
Die Männer welche die Revolution in den Staatsrath gebracht, behaupten
sich noch heute. Sie können sagen daß sie den trefflichen Spruch des alten
Polonius befolgt haben: Bleib Dir selber treu, dann kannst Du nicht
falsch seyn gegen irgendwen! Man macht hier keinen Lärm, es geschieht
viel, und Thaten reden nachdrücklicher. Ja wir sind nicht mehr von der
Zeit fern wo man in Deutschland seine Blicke nach dem Wiener Cabinet
richten wird, wo man das vererbte Mißtrauen abschütteln und den lange
Verkannten heimlich Abbitte thun wird. Und wenn man vollends draußen
wüßte daß diese "aristokratischen" und "reactionären" Wiener Minister
äußerlich so einfach, so entfernt von jedem Beamten-Uebermuth sind, um
ohne Uebertreibung versichern zu können daß ein ganz simpler Schreiber
in einem preußischen Paßbureau mehr Amtsmajestät um sich verbreitet,
wenn man es jetzt schon glauben wollte daß diese Minister recht grund-
bürgerliche Gesinnungen haben, so würden sich über Nacht noch Tausende
mehr zum sogenannten Großdeutschthum bekehren. Das Ministerium
Brandenburg hat sich in vielen Stücken die Achtung der Zeitgenossen er-
worben, aber im Grund steht man doch daß die Minister nichts mehr und
nichts weniger waren als Diener des Monarchen. Wie Preußen den Con-
stitutionalismus versteht, das werden seine ungerecht und undankbar ge-
demüthigten Freunde in Deutschland mit Schrecken erfahren haben. Preu-
ßen hätte den kleinen Bundesstaat mit einem frivolen Constitutionalis-
mus hergestellt, Oesterreich wird uns ein größeres Gebiet, aber ein klei-
neres staatsrechtliches Feld anbieten. Die Repräsentation wird nicht ganz
nach unserem Wunsch, sondern wie verlautet, und zwar auf Bayerns Vor-
schlag, mittelst Delegation dargestellt werden. Das aber bleibt uns sicher
daß wir das Stück von Oesterreich gebotenen Constitutionalismus ehrlich
und ungeschmälert erhalten. Wir können uns darauf verlassen wie auf
ein Officierswort, denn unser Präsident ist ein General. So vergnügt
also Oesterreich über das schmerzliche Fiasco Preußens in der deutschen
Sache seyn sollte, so bedenklich ist man doch über die unklugen Berliner
Pairie-Gedanken. Durch die kühnen Griffe welche man von Potsdam in
das Nichts thut, kommt das Wiener Cabinet bei seinem zahlreichen Adel
in einige Verlegenheit. Zwar ist das Wahlgesetz zum österreichischen
Oberhaus auf den großen begüterten Adel berechnet, aber eine erbliche
Pairie ist doch noch etwas anderes. Wer sich dächte man sähe es vielleicht
in Oesterreich gern eine Pairie zwischen Thron und steuernbewilligendem
Unterhaus aufzurichten, der kennt die österreichischen Verhältnisse schlecht.
Der ungarische, italienische, polnische und zum Theil auch der böhmische
Adel sind gerade die gefürchteten Danaer, die hartgesottenen Föderalisten,
die unversöhnlichen Nationalen, die robotsüchtigen Grundherren, die ge-
fährlichsten Feinde der Einheit und der Gleichheit. Darum ist die Sorge
über die Folgen hier bei weitem größer als die Freude über das glückliche
Naturell womit man in Potsdam deutsche Anhänglichkeit und Begeiste-
rung abzukühlen verstand. Um so begieriger warten wir auf Nachrichten
die Sie uns etwa über die Münchener Conferenz bringen werden. Wir
haben großes Zutrauen zu Oesterreichs gesunder Politik auch in der deut-
schen Sache, die Ansichten welche von hier aus der Bundescommission in
der Thurn und Taxis'schen Frage zur Norm gegeben wurden, und die wir
zuerst durch Ihren Correspondenten von Frankfurt erfahren haben,
zeigen im kleinen die Politik welche Oesterreich im großen seit dem letzten
Ministerwechsel mit Ausdauer durchzusetzen versucht. Keine Verletzungen
des formalen Rechts, aber auch kein Zudrücken der Augen als wäre gar
nichts geschehen seit 1848. -- Heute gibt es nichts locales zu berichten,
außer daß wir in den nächsten Tagen die Publication der deutschen Wech-
selordnung für das ganze Gebiet des Kaiserstaates erwarten; ich höre
übrigens daß sie schon vom 1 Mai l. J. in Kraft treten soll. Nachschrift.
Heute erhalten wir auf einmal vier Posten von Berlin, aber sie sind leer.
Ob leider! oder zum Glück! wer mag das bestimmen?



Paris.

Die Bergpartei beklagt sich sehr über einen
Spruch des Cassationshofes, dem zufolge die Ausnahme welche das von
der Constituante ausgegangene Gesetz gegen die nicht von den zuständigen
Behörden ermächtigten Placate zu Gunsten von Bekanntmachungen dieser
[Spaltenumbruch] Art während der Wahlen macht, bloß von den allgemeinen Wahlen ver-
standen werden darf, und daher auf die zwischen zwei Legislaturen statt-
findenden Einzelwahlen keine Anwendung findet. Sie sagt: diese Auslegung
sey offenbar der Absicht des Gesetzgebers zuwider und nicht von juristi-
schen Betrachtungen eingegeben, wohl aber von politischen Beweggründen
dem Gesetz aufgedrungen worden. Es scheint jedoch daß die demokrati-
schen Kritiker des Cassationshofes die Absicht des Gesetzgebers nicht auf
dem Wege vorsichtiger Erkundigung kennen lernten, sondern sich dieselbe
aus ihren eigenen Leidenschaften und Wünschen heraus bequem und will-
kürlich construirt hatten. Dahin geht wenigstens die Behauptung von
einem Mitglied der Constituante, das durchaus nicht zu der Rechten hält,
sondern in derselben Linie wie Cavaignac, Bedeau und die Mittelpartei
steht. Es versicherte mich nämlich dieser nicht wieder erwählte Deputirte
daß er, sowie viele seiner Collegen die gleich ihm die bestehende Regie-
rungsform aufrecht zu erhalten und auszubilden fest entschlossen seyen,
durchaus nicht im Sinne gehabt habe obenerwähnte Ausnahme auf
die Einzelwahlen zu erstrecken, und er gab als Grund dafür an daß un-
ermächtigte Bekanntmachungen immer gefährlich, daher so selten als
möglich zu gestatten seyen; daß er jedoch geglaubt habe es müsse für die
Zeit der allgemeinen Wahlen deßwegen eine Ausnahme gemacht werden,
weil es sich dann darum handle der im Lande vorherrschenden Meinung
das Uebergewicht in der Regierung zu verschaffen; in einem solchen Au-
genblick außerdem, wo jede Partei Aussicht auf einen gesetzlichen Triumph
habe, oder sich doch zu haben schmeichle, ein Versuch zum Umsturz we-
niger als sonst je zu befürchten sey, und man am Ende alle drei Jahre
einmal fünf bis sechs Wochen außerordentliche Aufregung ohne zu großen
Schaden ertragen könne. Bei den Einzelwahlen dagegen komme, den schwer
anzunehmenden Fall einer in zwei gleiche Hälften getheilten Kammer
abgerechnet, es darauf nicht an der im Lande vorherrschenden Meinung
auch in der Regierung das Uebergewicht zu verschaffen, daher könnten
durch die Heftigkeit der Placate leicht Unruhen bei der Partei die nicht
das Steuer führe, erzeugt werden, und endlich würde die Anwendung
der Ausnahme zu oft statthaben.

Gestern zog eine Menge Kriegsvolk aller
Waffengattungen durch die Straßen von Paris, und machte viel Lärm
und noch mehr Aufsehen. Besonders die vielen Geschütze, die schwerfällig
über das Pflaster rasselten, veranlaßten die Pariser zu allerlei Glossen
und thörichten Vermuthungen. Das geschieht, sagten die einen, um die
Rothen einzuschüchtern; das deutet auf einen Staatsstreich, flüsterten die
andern; auf keinen Fall ist das gleichgültig, bemerkten die dritten. Die
Zahl der Truppen wurde, wie Sie das sich denken können, fabelhast
überschätzt, und meine beiden Nachbarn an der Tafel wo ich des Abends
speiste, ließen es sich einmal nicht ausreden es seyen wenigstens hundert-
tausend Mann gewesen. Dabei wurde natürlich stark darüber verhandelt
von welchem Geist die Armee beseelt sey. Ich meldete Ihnen kürzlich
daß sie, wie die Nation, mannichfach getheilt sey; ich stützte mich hierbei
auf die Aussage von Männern welche die Sache wissen können und täg-
lich mit Personen vom Militär verkehren. Eine so uneigennützige An-
schauung paßt nicht in den Kram unserer politischen Dilettanten, wenn
ich unter der Herrschaft des allgemeinen Stimmrechts, kraft dessen es
keine Dilettanten in der Politik mehr gibt und jeder Stiefelputzer ein
Staatsmann von Haus aus ist, eines so majestätsbeleidigenden Ausdrucks
mich bedienen darf. Jeder knetet sich eine Armee nach seinem Ideal; der
Republicaner steht schon das Palladium der rothen Republik in den
Herzen aller Soldaten, die Orleanisten sagen halblaut: das Heer habe
die Prinzen nicht vergessen, und die Bonapartisten behaupten steif und
fest Ludwig Bonaparte sey das Idol aller rothen Hosen, und er könne
gegen die Socialisten sowohl als gegen die Advocaten der Nationalver-
sammlung auf alles was eine Uniform in Frankreich trage unbedingt
zählen. Sie sagen mit einem gezierten Nachdruck: seine Truppen, seine
Leute u. s. w. Wenn man ihnen widerspricht und auch Symptome an-
derer Gefinnung in der Armee entdeckt zu haben erklärt, so antworten
sie gerne man würde schon sehen und solle nur nachfragen in der Caserne
des Quai d'Orsay. Dort liegt nämlich ein sehr schönes, vortrefflich be-
rittenes Dragonerregiment, das allerdings durch die äußerst geschickte
Behandlung des Obersten Goyon, der es befehligt und auch nicht wenig
stolz darauf ist für die Sache der Ordnung, und da sich diese gegenwärtig
in Ludwig Bonaparte personificirt, für Ludwig Bonaparte fester als viel-
leicht irgendein anderes in ganz Frankreich einsteht. Daß aber diese Er-
gebenheit bis zur Unterstützung despotischer Gelüste gehen werde, das hab'
ich, da ich den Obersten Goyon als einen Ehrenmann kenne, einige Mühe
anzunehmen.



[Spaltenumbruch]
Wien.

Die Berliner Poſt bleibt noch immer aus, und
wenn ſie käme, wer weiß ob ſie Entſcheidendes brächte. Je länger man ſich
unſere jetzige politiſche Lage überdenkt, deſto gefährlicher erſcheint ſie.
Wenn Sie unſere Journale durchſehen, ſo finden Sie daß man mit großem
Ernſt den Berliner Productionen zufieht. Wir hätten ja alle Urſache
jetzt vergnügt zu ſeyn, die wir zu Oeſterreich in der deutſchen Frage ge-
halten. Wo gibt es einen Staat in dem man die 48er Revolution, ſoweit
ſie berechtigt war, ſo ungeſchmälert anerkannt hätte als in Oeſterreich?
Die Männer welche die Revolution in den Staatsrath gebracht, behaupten
ſich noch heute. Sie können ſagen daß ſie den trefflichen Spruch des alten
Polonius befolgt haben: Bleib Dir ſelber treu, dann kannſt Du nicht
falſch ſeyn gegen irgendwen! Man macht hier keinen Lärm, es geſchieht
viel, und Thaten reden nachdrücklicher. Ja wir ſind nicht mehr von der
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richten wird, wo man das vererbte Mißtrauen abſchütteln und den lange
Verkannten heimlich Abbitte thun wird. Und wenn man vollends draußen
wüßte daß dieſe „ariſtokratiſchen“ und „reactionären“ Wiener Miniſter
äußerlich ſo einfach, ſo entfernt von jedem Beamten-Uebermuth ſind, um
ohne Uebertreibung verſichern zu können daß ein ganz ſimpler Schreiber
in einem preußiſchen Paßbureau mehr Amtsmajeſtät um ſich verbreitet,
wenn man es jetzt ſchon glauben wollte daß dieſe Miniſter recht grund-
bürgerliche Geſinnungen haben, ſo würden ſich über Nacht noch Tauſende
mehr zum ſogenannten Großdeutſchthum bekehren. Das Miniſterium
Brandenburg hat ſich in vielen Stücken die Achtung der Zeitgenoſſen er-
worben, aber im Grund ſteht man doch daß die Miniſter nichts mehr und
nichts weniger waren als Diener des Monarchen. Wie Preußen den Con-
ſtitutionalismus verſteht, das werden ſeine ungerecht und undankbar ge-
demüthigten Freunde in Deutſchland mit Schrecken erfahren haben. Preu-
ßen hätte den kleinen Bundesſtaat mit einem frivolen Conſtitutionalis-
mus hergeſtellt, Oeſterreich wird uns ein größeres Gebiet, aber ein klei-
neres ſtaatsrechtliches Feld anbieten. Die Repräſentation wird nicht ganz
nach unſerem Wunſch, ſondern wie verlautet, und zwar auf Bayerns Vor-
ſchlag, mittelſt Delegation dargeſtellt werden. Das aber bleibt uns ſicher
daß wir das Stück von Oeſterreich gebotenen Conſtitutionalismus ehrlich
und ungeſchmälert erhalten. Wir können uns darauf verlaſſen wie auf
ein Officierswort, denn unſer Präſident iſt ein General. So vergnügt
alſo Oeſterreich über das ſchmerzliche Fiasco Preußens in der deutſchen
Sache ſeyn ſollte, ſo bedenklich iſt man doch über die unklugen Berliner
Pairie-Gedanken. Durch die kühnen Griffe welche man von Potsdam in
das Nichts thut, kommt das Wiener Cabinet bei ſeinem zahlreichen Adel
in einige Verlegenheit. Zwar iſt das Wahlgeſetz zum öſterreichiſchen
Oberhaus auf den großen begüterten Adel berechnet, aber eine erbliche
Pairie iſt doch noch etwas anderes. Wer ſich dächte man ſähe es vielleicht
in Oeſterreich gern eine Pairie zwiſchen Thron und ſteuernbewilligendem
Unterhaus aufzurichten, der kennt die öſterreichiſchen Verhältniſſe ſchlecht.
Der ungariſche, italieniſche, polniſche und zum Theil auch der böhmiſche
Adel ſind gerade die gefürchteten Danaer, die hartgeſottenen Föderaliſten,
die unverſöhnlichen Nationalen, die robotſüchtigen Grundherren, die ge-
fährlichſten Feinde der Einheit und der Gleichheit. Darum iſt die Sorge
über die Folgen hier bei weitem größer als die Freude über das glückliche
Naturell womit man in Potsdam deutſche Anhänglichkeit und Begeiſte-
rung abzukühlen verſtand. Um ſo begieriger warten wir auf Nachrichten
die Sie uns etwa über die Münchener Conferenz bringen werden. Wir
haben großes Zutrauen zu Oeſterreichs geſunder Politik auch in der deut-
ſchen Sache, die Anſichten welche von hier aus der Bundescommiſſion in
der Thurn und Taxis’ſchen Frage zur Norm gegeben wurden, und die wir
zuerſt durch Ihren ✡ Correſpondenten von Frankfurt erfahren haben,
zeigen im kleinen die Politik welche Oeſterreich im großen ſeit dem letzten
Miniſterwechſel mit Ausdauer durchzuſetzen verſucht. Keine Verletzungen
des formalen Rechts, aber auch kein Zudrücken der Augen als wäre gar
nichts geſchehen ſeit 1848. — Heute gibt es nichts locales zu berichten,
außer daß wir in den nächſten Tagen die Publication der deutſchen Wech-
ſelordnung für das ganze Gebiet des Kaiſerſtaates erwarten; ich höre
übrigens daß ſie ſchon vom 1 Mai l. J. in Kraft treten ſoll. Nachſchrift.
Heute erhalten wir auf einmal vier Poſten von Berlin, aber ſie ſind leer.
Ob leider! oder zum Glück! wer mag das beſtimmen?



Paris.

Die Bergpartei beklagt ſich ſehr über einen
Spruch des Caſſationshofes, dem zufolge die Ausnahme welche das von
der Conſtituante ausgegangene Geſetz gegen die nicht von den zuſtändigen
Behörden ermächtigten Placate zu Gunſten von Bekanntmachungen dieſer
[Spaltenumbruch] Art während der Wahlen macht, bloß von den allgemeinen Wahlen ver-
ſtanden werden darf, und daher auf die zwiſchen zwei Legislaturen ſtatt-
findenden Einzelwahlen keine Anwendung findet. Sie ſagt: dieſe Auslegung
ſey offenbar der Abſicht des Geſetzgebers zuwider und nicht von juriſti-
ſchen Betrachtungen eingegeben, wohl aber von politiſchen Beweggründen
dem Geſetz aufgedrungen worden. Es ſcheint jedoch daß die demokrati-
ſchen Kritiker des Caſſationshofes die Abſicht des Geſetzgebers nicht auf
dem Wege vorſichtiger Erkundigung kennen lernten, ſondern ſich dieſelbe
aus ihren eigenen Leidenſchaften und Wünſchen heraus bequem und will-
kürlich conſtruirt hatten. Dahin geht wenigſtens die Behauptung von
einem Mitglied der Conſtituante, das durchaus nicht zu der Rechten hält,
ſondern in derſelben Linie wie Cavaignac, Bedeau und die Mittelpartei
ſteht. Es verſicherte mich nämlich dieſer nicht wieder erwählte Deputirte
daß er, ſowie viele ſeiner Collegen die gleich ihm die beſtehende Regie-
rungsform aufrecht zu erhalten und auszubilden feſt entſchloſſen ſeyen,
durchaus nicht im Sinne gehabt habe obenerwähnte Ausnahme auf
die Einzelwahlen zu erſtrecken, und er gab als Grund dafür an daß un-
ermächtigte Bekanntmachungen immer gefährlich, daher ſo ſelten als
möglich zu geſtatten ſeyen; daß er jedoch geglaubt habe es müſſe für die
Zeit der allgemeinen Wahlen deßwegen eine Ausnahme gemacht werden,
weil es ſich dann darum handle der im Lande vorherrſchenden Meinung
das Uebergewicht in der Regierung zu verſchaffen; in einem ſolchen Au-
genblick außerdem, wo jede Partei Ausſicht auf einen geſetzlichen Triumph
habe, oder ſich doch zu haben ſchmeichle, ein Verſuch zum Umſturz we-
niger als ſonſt je zu befürchten ſey, und man am Ende alle drei Jahre
einmal fünf bis ſechs Wochen außerordentliche Aufregung ohne zu großen
Schaden ertragen könne. Bei den Einzelwahlen dagegen komme, den ſchwer
anzunehmenden Fall einer in zwei gleiche Hälften getheilten Kammer
abgerechnet, es darauf nicht an der im Lande vorherrſchenden Meinung
auch in der Regierung das Uebergewicht zu verſchaffen, daher könnten
durch die Heftigkeit der Placate leicht Unruhen bei der Partei die nicht
das Steuer führe, erzeugt werden, und endlich würde die Anwendung
der Ausnahme zu oft ſtatthaben.

Geſtern zog eine Menge Kriegsvolk aller
Waffengattungen durch die Straßen von Paris, und machte viel Lärm
und noch mehr Aufſehen. Beſonders die vielen Geſchütze, die ſchwerfällig
über das Pflaſter raſſelten, veranlaßten die Pariſer zu allerlei Gloſſen
und thörichten Vermuthungen. Das geſchieht, ſagten die einen, um die
Rothen einzuſchüchtern; das deutet auf einen Staatsſtreich, flüſterten die
andern; auf keinen Fall iſt das gleichgültig, bemerkten die dritten. Die
Zahl der Truppen wurde, wie Sie das ſich denken können, fabelhaſt
überſchätzt, und meine beiden Nachbarn an der Tafel wo ich des Abends
ſpeiste, ließen es ſich einmal nicht ausreden es ſeyen wenigſtens hundert-
tauſend Mann geweſen. Dabei wurde natürlich ſtark darüber verhandelt
von welchem Geiſt die Armee beſeelt ſey. Ich meldete Ihnen kürzlich
daß ſie, wie die Nation, mannichfach getheilt ſey; ich ſtützte mich hierbei
auf die Ausſage von Männern welche die Sache wiſſen können und täg-
lich mit Perſonen vom Militär verkehren. Eine ſo uneigennützige An-
ſchauung paßt nicht in den Kram unſerer politiſchen Dilettanten, wenn
ich unter der Herrſchaft des allgemeinen Stimmrechts, kraft deſſen es
keine Dilettanten in der Politik mehr gibt und jeder Stiefelputzer ein
Staatsmann von Haus aus iſt, eines ſo majeſtätsbeleidigenden Ausdrucks
mich bedienen darf. Jeder knetet ſich eine Armee nach ſeinem Ideal; der
Republicaner ſteht ſchon das Palladium der rothen Republik in den
Herzen aller Soldaten, die Orleaniſten ſagen halblaut: das Heer habe
die Prinzen nicht vergeſſen, und die Bonapartiſten behaupten ſteif und
feſt Ludwig Bonaparte ſey das Idol aller rothen Hoſen, und er könne
gegen die Socialiſten ſowohl als gegen die Advocaten der Nationalver-
ſammlung auf alles was eine Uniform in Frankreich trage unbedingt
zählen. Sie ſagen mit einem gezierten Nachdruck: ſeine Truppen, ſeine
Leute u. ſ. w. Wenn man ihnen widerſpricht und auch Symptome an-
derer Gefinnung in der Armee entdeckt zu haben erklärt, ſo antworten
ſie gerne man würde ſchon ſehen und ſolle nur nachfragen in der Caſerne
des Quai d’Orſay. Dort liegt nämlich ein ſehr ſchönes, vortrefflich be-
rittenes Dragonerregiment, das allerdings durch die äußerſt geſchickte
Behandlung des Oberſten Goyon, der es befehligt und auch nicht wenig
ſtolz darauf iſt für die Sache der Ordnung, und da ſich dieſe gegenwärtig
in Ludwig Bonaparte perſonificirt, für Ludwig Bonaparte feſter als viel-
leicht irgendein anderes in ganz Frankreich einſteht. Daß aber dieſe Er-
gebenheit bis zur Unterſtützung deſpotiſcher Gelüſte gehen werde, das hab’
ich, da ich den Oberſten Goyon als einen Ehrenmann kenne, einige Mühe
anzunehmen.



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[493/0013] Wien. ss Wien, 26 Jan. Die Berliner Poſt bleibt noch immer aus, und wenn ſie käme, wer weiß ob ſie Entſcheidendes brächte. Je länger man ſich unſere jetzige politiſche Lage überdenkt, deſto gefährlicher erſcheint ſie. Wenn Sie unſere Journale durchſehen, ſo finden Sie daß man mit großem Ernſt den Berliner Productionen zufieht. Wir hätten ja alle Urſache jetzt vergnügt zu ſeyn, die wir zu Oeſterreich in der deutſchen Frage ge- halten. Wo gibt es einen Staat in dem man die 48er Revolution, ſoweit ſie berechtigt war, ſo ungeſchmälert anerkannt hätte als in Oeſterreich? Die Männer welche die Revolution in den Staatsrath gebracht, behaupten ſich noch heute. Sie können ſagen daß ſie den trefflichen Spruch des alten Polonius befolgt haben: Bleib Dir ſelber treu, dann kannſt Du nicht falſch ſeyn gegen irgendwen! Man macht hier keinen Lärm, es geſchieht viel, und Thaten reden nachdrücklicher. Ja wir ſind nicht mehr von der Zeit fern wo man in Deutſchland ſeine Blicke nach dem Wiener Cabinet richten wird, wo man das vererbte Mißtrauen abſchütteln und den lange Verkannten heimlich Abbitte thun wird. Und wenn man vollends draußen wüßte daß dieſe „ariſtokratiſchen“ und „reactionären“ Wiener Miniſter äußerlich ſo einfach, ſo entfernt von jedem Beamten-Uebermuth ſind, um ohne Uebertreibung verſichern zu können daß ein ganz ſimpler Schreiber in einem preußiſchen Paßbureau mehr Amtsmajeſtät um ſich verbreitet, wenn man es jetzt ſchon glauben wollte daß dieſe Miniſter recht grund- bürgerliche Geſinnungen haben, ſo würden ſich über Nacht noch Tauſende mehr zum ſogenannten Großdeutſchthum bekehren. Das Miniſterium Brandenburg hat ſich in vielen Stücken die Achtung der Zeitgenoſſen er- worben, aber im Grund ſteht man doch daß die Miniſter nichts mehr und nichts weniger waren als Diener des Monarchen. Wie Preußen den Con- ſtitutionalismus verſteht, das werden ſeine ungerecht und undankbar ge- demüthigten Freunde in Deutſchland mit Schrecken erfahren haben. Preu- ßen hätte den kleinen Bundesſtaat mit einem frivolen Conſtitutionalis- mus hergeſtellt, Oeſterreich wird uns ein größeres Gebiet, aber ein klei- neres ſtaatsrechtliches Feld anbieten. Die Repräſentation wird nicht ganz nach unſerem Wunſch, ſondern wie verlautet, und zwar auf Bayerns Vor- ſchlag, mittelſt Delegation dargeſtellt werden. Das aber bleibt uns ſicher daß wir das Stück von Oeſterreich gebotenen Conſtitutionalismus ehrlich und ungeſchmälert erhalten. Wir können uns darauf verlaſſen wie auf ein Officierswort, denn unſer Präſident iſt ein General. So vergnügt alſo Oeſterreich über das ſchmerzliche Fiasco Preußens in der deutſchen Sache ſeyn ſollte, ſo bedenklich iſt man doch über die unklugen Berliner Pairie-Gedanken. Durch die kühnen Griffe welche man von Potsdam in das Nichts thut, kommt das Wiener Cabinet bei ſeinem zahlreichen Adel in einige Verlegenheit. Zwar iſt das Wahlgeſetz zum öſterreichiſchen Oberhaus auf den großen begüterten Adel berechnet, aber eine erbliche Pairie iſt doch noch etwas anderes. Wer ſich dächte man ſähe es vielleicht in Oeſterreich gern eine Pairie zwiſchen Thron und ſteuernbewilligendem Unterhaus aufzurichten, der kennt die öſterreichiſchen Verhältniſſe ſchlecht. Der ungariſche, italieniſche, polniſche und zum Theil auch der böhmiſche Adel ſind gerade die gefürchteten Danaer, die hartgeſottenen Föderaliſten, die unverſöhnlichen Nationalen, die robotſüchtigen Grundherren, die ge- fährlichſten Feinde der Einheit und der Gleichheit. Darum iſt die Sorge über die Folgen hier bei weitem größer als die Freude über das glückliche Naturell womit man in Potsdam deutſche Anhänglichkeit und Begeiſte- rung abzukühlen verſtand. Um ſo begieriger warten wir auf Nachrichten die Sie uns etwa über die Münchener Conferenz bringen werden. Wir haben großes Zutrauen zu Oeſterreichs geſunder Politik auch in der deut- ſchen Sache, die Anſichten welche von hier aus der Bundescommiſſion in der Thurn und Taxis’ſchen Frage zur Norm gegeben wurden, und die wir zuerſt durch Ihren ✡ Correſpondenten von Frankfurt erfahren haben, zeigen im kleinen die Politik welche Oeſterreich im großen ſeit dem letzten Miniſterwechſel mit Ausdauer durchzuſetzen verſucht. Keine Verletzungen des formalen Rechts, aber auch kein Zudrücken der Augen als wäre gar nichts geſchehen ſeit 1848. — Heute gibt es nichts locales zu berichten, außer daß wir in den nächſten Tagen die Publication der deutſchen Wech- ſelordnung für das ganze Gebiet des Kaiſerſtaates erwarten; ich höre übrigens daß ſie ſchon vom 1 Mai l. J. in Kraft treten ſoll. Nachſchrift. Heute erhalten wir auf einmal vier Poſten von Berlin, aber ſie ſind leer. Ob leider! oder zum Glück! wer mag das beſtimmen? Paris. ♂ Paris, 24 Jan. Die Bergpartei beklagt ſich ſehr über einen Spruch des Caſſationshofes, dem zufolge die Ausnahme welche das von der Conſtituante ausgegangene Geſetz gegen die nicht von den zuſtändigen Behörden ermächtigten Placate zu Gunſten von Bekanntmachungen dieſer Art während der Wahlen macht, bloß von den allgemeinen Wahlen ver- ſtanden werden darf, und daher auf die zwiſchen zwei Legislaturen ſtatt- findenden Einzelwahlen keine Anwendung findet. Sie ſagt: dieſe Auslegung ſey offenbar der Abſicht des Geſetzgebers zuwider und nicht von juriſti- ſchen Betrachtungen eingegeben, wohl aber von politiſchen Beweggründen dem Geſetz aufgedrungen worden. Es ſcheint jedoch daß die demokrati- ſchen Kritiker des Caſſationshofes die Abſicht des Geſetzgebers nicht auf dem Wege vorſichtiger Erkundigung kennen lernten, ſondern ſich dieſelbe aus ihren eigenen Leidenſchaften und Wünſchen heraus bequem und will- kürlich conſtruirt hatten. Dahin geht wenigſtens die Behauptung von einem Mitglied der Conſtituante, das durchaus nicht zu der Rechten hält, ſondern in derſelben Linie wie Cavaignac, Bedeau und die Mittelpartei ſteht. Es verſicherte mich nämlich dieſer nicht wieder erwählte Deputirte daß er, ſowie viele ſeiner Collegen die gleich ihm die beſtehende Regie- rungsform aufrecht zu erhalten und auszubilden feſt entſchloſſen ſeyen, durchaus nicht im Sinne gehabt habe obenerwähnte Ausnahme auf die Einzelwahlen zu erſtrecken, und er gab als Grund dafür an daß un- ermächtigte Bekanntmachungen immer gefährlich, daher ſo ſelten als möglich zu geſtatten ſeyen; daß er jedoch geglaubt habe es müſſe für die Zeit der allgemeinen Wahlen deßwegen eine Ausnahme gemacht werden, weil es ſich dann darum handle der im Lande vorherrſchenden Meinung das Uebergewicht in der Regierung zu verſchaffen; in einem ſolchen Au- genblick außerdem, wo jede Partei Ausſicht auf einen geſetzlichen Triumph habe, oder ſich doch zu haben ſchmeichle, ein Verſuch zum Umſturz we- niger als ſonſt je zu befürchten ſey, und man am Ende alle drei Jahre einmal fünf bis ſechs Wochen außerordentliche Aufregung ohne zu großen Schaden ertragen könne. Bei den Einzelwahlen dagegen komme, den ſchwer anzunehmenden Fall einer in zwei gleiche Hälften getheilten Kammer abgerechnet, es darauf nicht an der im Lande vorherrſchenden Meinung auch in der Regierung das Uebergewicht zu verſchaffen, daher könnten durch die Heftigkeit der Placate leicht Unruhen bei der Partei die nicht das Steuer führe, erzeugt werden, und endlich würde die Anwendung der Ausnahme zu oft ſtatthaben. ♂ Paris, 25 Jan. Geſtern zog eine Menge Kriegsvolk aller Waffengattungen durch die Straßen von Paris, und machte viel Lärm und noch mehr Aufſehen. Beſonders die vielen Geſchütze, die ſchwerfällig über das Pflaſter raſſelten, veranlaßten die Pariſer zu allerlei Gloſſen und thörichten Vermuthungen. Das geſchieht, ſagten die einen, um die Rothen einzuſchüchtern; das deutet auf einen Staatsſtreich, flüſterten die andern; auf keinen Fall iſt das gleichgültig, bemerkten die dritten. Die Zahl der Truppen wurde, wie Sie das ſich denken können, fabelhaſt überſchätzt, und meine beiden Nachbarn an der Tafel wo ich des Abends ſpeiste, ließen es ſich einmal nicht ausreden es ſeyen wenigſtens hundert- tauſend Mann geweſen. Dabei wurde natürlich ſtark darüber verhandelt von welchem Geiſt die Armee beſeelt ſey. Ich meldete Ihnen kürzlich daß ſie, wie die Nation, mannichfach getheilt ſey; ich ſtützte mich hierbei auf die Ausſage von Männern welche die Sache wiſſen können und täg- lich mit Perſonen vom Militär verkehren. Eine ſo uneigennützige An- ſchauung paßt nicht in den Kram unſerer politiſchen Dilettanten, wenn ich unter der Herrſchaft des allgemeinen Stimmrechts, kraft deſſen es keine Dilettanten in der Politik mehr gibt und jeder Stiefelputzer ein Staatsmann von Haus aus iſt, eines ſo majeſtätsbeleidigenden Ausdrucks mich bedienen darf. Jeder knetet ſich eine Armee nach ſeinem Ideal; der Republicaner ſteht ſchon das Palladium der rothen Republik in den Herzen aller Soldaten, die Orleaniſten ſagen halblaut: das Heer habe die Prinzen nicht vergeſſen, und die Bonapartiſten behaupten ſteif und feſt Ludwig Bonaparte ſey das Idol aller rothen Hoſen, und er könne gegen die Socialiſten ſowohl als gegen die Advocaten der Nationalver- ſammlung auf alles was eine Uniform in Frankreich trage unbedingt zählen. Sie ſagen mit einem gezierten Nachdruck: ſeine Truppen, ſeine Leute u. ſ. w. Wenn man ihnen widerſpricht und auch Symptome an- derer Gefinnung in der Armee entdeckt zu haben erklärt, ſo antworten ſie gerne man würde ſchon ſehen und ſolle nur nachfragen in der Caſerne des Quai d’Orſay. Dort liegt nämlich ein ſehr ſchönes, vortrefflich be- rittenes Dragonerregiment, das allerdings durch die äußerſt geſchickte Behandlung des Oberſten Goyon, der es befehligt und auch nicht wenig ſtolz darauf iſt für die Sache der Ordnung, und da ſich dieſe gegenwärtig in Ludwig Bonaparte perſonificirt, für Ludwig Bonaparte feſter als viel- leicht irgendein anderes in ganz Frankreich einſteht. Daß aber dieſe Er- gebenheit bis zur Unterſtützung deſpotiſcher Gelüſte gehen werde, das hab’ ich, da ich den Oberſten Goyon als einen Ehrenmann kenne, einige Mühe anzunehmen.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 31, 31. Januar 1850, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine31_1850/13>, abgerufen am 23.11.2024.