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Allgemeine Zeitung, Nr. 22, 6. Juni 1920.

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6. Juni 1920 Allgemeine Zeitung


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Bernhard, der, geboren 1815 in Straßburg, im französischen Heere
bei den afrikanischen Jägern gedient hatte, in Straßburg später
als Schristsetzer tätig war und hier 1864 starb, über die Stel-
lung der Elsässer, ihre Sprache, ihr Heimatgefühl usw., die Haas
der kleinen Auswahl von Gedichten Bernhards vorangestellt hat.

Mit tiefer Wehmut habe ich das Buch durchblättert, das
immer wieder von der Jnnigkeit des deutschen Empfindens, von
der Eigenart und, trotz aller individuellen Unterschiede, gleich-
artigen Denkweise des deutschen Geistes Zeugnis ablegt. Mit
Sorgfalt und großem Geschick hat der Herausgeber Gedichte
gewählt, die charakteristisch hierfür und für das besondere na-
tionale Stammesempfinden der Elsässer sind, insbesondere auch
Balladen und Hymnen, denen elsässische Motive zugrunde liegen
aus Landschaft, Sage und Geschichte. Jmmer wieder kehrt z. B.
die Verherrlichung des Straßburger Münsters, vgl. die Gedichte
"Jn der Münsterkrone" von Hirtz, "Münsterbeschwörung" und
"Das Münster in der Sternennacht" von Daniel August Stöber,
"Die Münsterrose" von Ludwig Adolf Stöber, "Auf dem
Münster" von Bernhard, "Erwins Tod" von Gustav Mühl,
"Fahnen auf dem Münsterturm" von Hackenschmidt. Auch das
Gefühl der Zugehörigkeit zum großen Deutschland kommt in
vielen Liedern und Oden stark und ergreifend zum Ausdruck,
vgl. z. B. die Gedichte "Vaterlandsliebe", "Alsatia Vaterland",
"An Deutschland", "Der deutsche Rhythmus" -- im Stile
Klopstocks -- von Wilhelm August Lamey (1772--1861); "Will-
kommen an die Heimat" von Lobstein, "Mein Elsaß deutsch!"
von Karl Hackenschmidt, "Sedan" von Christian Schmidt und die
Gedichte von Friedrich Lienhard.

Künstlerisch hinterläßt die Sammlung wohl einen charakter-
vollen, aber keinen bedeutenden Eindruck. Jhr Zweck ist offen-
bar kein rein künstlerischer. Zur Hauptsache sind Dichter des
Epigonenzeitalters vertreten. Der einzelne springt nicht genug
hervor. Ganz gewiß hätten die Modernen, wie Schickele, Prevot
u. a., reicher und persönlicher vertreten sein können. Einige sehr
begabte jüngere Dichter, wie Flake, Stadler u. a., sind gar nicht
vertreten. Auch Lienhard hätte vielseitiger und persönlicher er-
scheinen können. Dagegen sind mir von älteren Dichtern -- ab-
gesehen von Pfeffel, dem Dichter der "Tobakspfeife" ("Gott grüß'
Euch, Alter, schmeckt das Pfeischen?"), mit dem die Sammlung
beginnt, als stärkere Persönlichkeit aufgefallen: Wilh. August
Lamey, Ludwig Adolf Spach, Friedrich Otte. Der interessunteste
und reizvollste elsässische Dichter der alten Zeit ist jedenfalls
Karl August Candidus, ein Lyriker von großer Begabung für
feine humorvolle Behandlung der Legende und Ballade. Auch er
ist ganz ungenügend vertreten. -- Es wäre vielleicht auch kein
Schaden gewesen, wenn einige Dichter des Mittelalters zu Worte
gekommen wären. Ich denke hierbei besonders an den elsässischen
Mönch Otfried von Weißenburg und Gottfried von Straßburg.



Wichtige neue Bücher.
(Besprechung vorbehalten.)
Das Gewissen. Von Herm. Rudolf. Theosophischer Kultur-Verlag.
38 S.
Fünfzig Jahre bei Siemens. Von Herm. Meyer. E. S. Mittler
& Sohn, Berlin. 214 S.
Die philosophischen Grundlagen von Natorps Sozialpädagogi.
Von Dr. phil. Hermann Gschwind. Verlag der Dürr'schen
Buchhandlung. 152 S.
Die Weltgeltung der deutschen Musik. Von Paul Bekker, Schuster
& Loeffler, Berlin. 50 S.
Die schönsten Kosakengeschichten von Gogol. Ausgewählt und
eingeleitet von Walter v. Molo. Albert Langen, München.
244 Seiten.
Aus Gesterreichs Vormärz. 1., 2., 3. und 4. Band. Von Hanns
Schlitter. Almathea-Verlag, Zürich. 132 S. 118 S. 158 S.
125 S.
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Verschiedenes
Norddeutsche Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei.

Zu den
in vorliegender Nummer veröffentlichten Abschlußziffern entneh-
men wir einige Bemerkungen aus dem Jahresbericht des Vor-
standes, die von allgemeinem Jnteresse sind. Es heißt da: "Jn
dem Jahre, über das wir Jhnen heute zu berichten haben, hat
das deutsche Volk begonnen, die Früchte des verlorenen Krieges
und namentlich der Revolution zu ernten. Mochte von Jahres-
frist noch mancher den Versicherungen der durch die Ereignisse
emporgetragenen Führer der Revolution folgen und glauben,
daß trotz der tiefgreifenden Umwälzung alle Kreise des deutschen
Volkes sich in dem Streben begegnen würden, den Wiederaufbau
der deutschen Wirtschaft mit allen Kräften zu fördern, so wissen
wir heute, daß diese Hoffnung zusammengebrochen ist. Die Be-
fürchtungen, die wir in unserm letzten Bericht äußerten, haben
sich erfüllt. Von den Jdealen der Revolution ist nichts verwirk-
licht. Ohne Rücksicht auf das im Wirtschaftsleben notwendige
Gleichgewicht der Kräfte und unfähig, die wirtschaftlichen Zu-
sammenhänge zu überblicken, hat die Regierung durch eine Fülle
von Gesetzen den wirtschaftlichen Wiederaufbau ernstlich gefähr-
det. Wir verweisen auf die schweren Fehler der übereilten, un-
klaren Steuergesetzgebung, der sozialen Gesetzgebung -- im be-
sonderen erwähnen wir das Betriebsrätegesetz -- und der wirt-
schaftspolitischen Gesetzgebung. Vielfach ist beim Erlaß der Ge-
setze die Ansicht der Fachleute aus den orientierten Kreisen nicht
gehört worden. Wenn sie sich äußern konnten, sind Meinungen,
die der Auffassung des Gesetzgebers widersprachen, nicht oder fast
gar nicht beachtet worden. Nie sind in einem absolut regierten
Staate die Gesetze für das Wirtschaftsleben so autokratisch dik-
tiert wie in unserer freien Republik. Die Schäden dieser Poli-
tik, die durch die Maßnahmen erbarmungsloser Feinde vertieft
wurden, lasten heute schwer auf der deutschen Volkswirtschaft.
Die Not an allem zum Leben Notwendigen ist nicht gemildert,
sie ist in mancher Hinsicht sogar gestiegen. Die Geldwirtschaft
ist dem Zusammenbruche nahe. Die Erzwingung immer höherer
Löhne seitens der Arbeiterschaft hat zu einer ungeheuerlichen
Inflation des Geldes geführt, während das starrsinnige Festhal-
ten an der Zwangswirtschaft eine Vermehrung und Verbilligung
des Angebots an den zum Leben notwendigen Bedarfsartikeln
verhindert hat."

Daß diese Schwierigkeiten auch auf die Betriebe der Firma
eingewirkt haben ist erklärlich. Das Geschäft hatte dauernd
unter Kohlenmangel zu leiden und der Vorstand war wiederholt
gezwungen, einzelne Betriebe aus diesem Grunde zeitweise zu
schließen. Die Arbeiterschwierigkeiten hörten nicht auf und führ-
ten namentlich in der ersten Hälfte des Jahres vielfach zu Streiks.
Es ist jedoch möglich gewesen, sämtliche ruhenden Betriebe, wenn
auch vorläufig nur in bescheidenem Umfange, wieder in Gang
zu bringen. In den übrigen Betrieben wurde die Produktion
verstärkt. Ein befriedigender Stand konnte noch nicht erreicht
werden. Die Leitung ist dauernd damit beschäftigt, die in der
Kriegszeit entstandenen Schäden in den Anlagen wieder zu be-

[irrelevantes Material]
6. Juni 1920 Allgemeine Zeitung


[irrelevantes Material]
[Spaltenumbruch]

Bernhard, der, geboren 1815 in Straßburg, im franzöſiſchen Heere
bei den afrikaniſchen Jägern gedient hatte, in Straßburg ſpäter
als Schriſtſetzer tätig war und hier 1864 ſtarb, über die Stel-
lung der Elſäſſer, ihre Sprache, ihr Heimatgefühl uſw., die Haas
der kleinen Auswahl von Gedichten Bernhards vorangeſtellt hat.

Mit tiefer Wehmut habe ich das Buch durchblättert, das
immer wieder von der Jnnigkeit des deutſchen Empfindens, von
der Eigenart und, trotz aller individuellen Unterſchiede, gleich-
artigen Denkweiſe des deutſchen Geiſtes Zeugnis ablegt. Mit
Sorgfalt und großem Geſchick hat der Herausgeber Gedichte
gewählt, die charakteriſtiſch hierfür und für das beſondere na-
tionale Stammesempfinden der Elſäſſer ſind, insbeſondere auch
Balladen und Hymnen, denen elſäſſiſche Motive zugrunde liegen
aus Landſchaft, Sage und Geſchichte. Jmmer wieder kehrt z. B.
die Verherrlichung des Straßburger Münſters, vgl. die Gedichte
„Jn der Münſterkrone“ von Hirtz, „Münſterbeſchwörung“ und
„Das Münſter in der Sternennacht“ von Daniel Auguſt Stöber,
„Die Münſterroſe“ von Ludwig Adolf Stöber, „Auf dem
Münſter“ von Bernhard, „Erwins Tod“ von Guſtav Mühl,
„Fahnen auf dem Münſterturm“ von Hackenſchmidt. Auch das
Gefühl der Zugehörigkeit zum großen Deutſchland kommt in
vielen Liedern und Oden ſtark und ergreifend zum Ausdruck,
vgl. z. B. die Gedichte „Vaterlandsliebe“, „Alſatia Vaterland“,
„An Deutſchland“, „Der deutſche Rhythmus“ — im Stile
Klopſtocks — von Wilhelm Auguſt Lamey (1772—1861); „Will-
kommen an die Heimat“ von Lobſtein, „Mein Elſaß deutſch!“
von Karl Hackenſchmidt, „Sedan“ von Chriſtian Schmidt und die
Gedichte von Friedrich Lienhard.

Künſtleriſch hinterläßt die Sammlung wohl einen charakter-
vollen, aber keinen bedeutenden Eindruck. Jhr Zweck iſt offen-
bar kein rein künſtleriſcher. Zur Hauptſache ſind Dichter des
Epigonenzeitalters vertreten. Der einzelne ſpringt nicht genug
hervor. Ganz gewiß hätten die Modernen, wie Schickele, Prévot
u. a., reicher und perſönlicher vertreten ſein können. Einige ſehr
begabte jüngere Dichter, wie Flake, Stadler u. a., ſind gar nicht
vertreten. Auch Lienhard hätte vielſeitiger und perſönlicher er-
ſcheinen können. Dagegen ſind mir von älteren Dichtern — ab-
geſehen von Pfeffel, dem Dichter der „Tobakspfeife“ („Gott grüß’
Euch, Alter, ſchmeckt das Pfeiſchen?“), mit dem die Sammlung
beginnt, als ſtärkere Perſönlichkeit aufgefallen: Wilh. Auguſt
Lamey, Ludwig Adolf Spach, Friedrich Otte. Der intereſſunteſte
und reizvollſte elſäſſiſche Dichter der alten Zeit iſt jedenfalls
Karl Auguſt Candidus, ein Lyriker von großer Begabung für
feine humorvolle Behandlung der Legende und Ballade. Auch er
iſt ganz ungenügend vertreten. — Es wäre vielleicht auch kein
Schaden geweſen, wenn einige Dichter des Mittelalters zu Worte
gekommen wären. Ich denke hierbei beſonders an den elſäſſiſchen
Mönch Otfried von Weißenburg und Gottfried von Straßburg.



Wichtige neue Bücher.
(Beſprechung vorbehalten.)
Das Gewiſſen. Von Herm. Rudolf. Theoſophiſcher Kultur-Verlag.
38 S.
Fünfzig Jahre bei Siemens. Von Herm. Meyer. E. S. Mittler
& Sohn, Berlin. 214 S.
Die philoſophiſchen Grundlagen von Natorps Sozialpädagogi.
Von Dr. phil. Hermann Gſchwind. Verlag der Dürr’ſchen
Buchhandlung. 152 S.
Die Weltgeltung der deutſchen Muſik. Von Paul Bekker, Schuſter
& Loeffler, Berlin. 50 S.
Die ſchönſten Koſakengeſchichten von Gogol. Ausgewählt und
eingeleitet von Walter v. Molo. Albert Langen, München.
244 Seiten.
Aus Geſterreichs Vormärz. 1., 2., 3. und 4. Band. Von Hanns
Schlitter. Almathea-Verlag, Zürich. 132 S. 118 S. 158 S.
125 S.
[Spaltenumbruch]
Verſchiedenes
Norddeutſche Wollkämmerei und Kammgarnſpinnerei.

Zu den
in vorliegender Nummer veröffentlichten Abſchlußziffern entneh-
men wir einige Bemerkungen aus dem Jahresbericht des Vor-
ſtandes, die von allgemeinem Jntereſſe ſind. Es heißt da: „Jn
dem Jahre, über das wir Jhnen heute zu berichten haben, hat
das deutſche Volk begonnen, die Früchte des verlorenen Krieges
und namentlich der Revolution zu ernten. Mochte von Jahres-
friſt noch mancher den Verſicherungen der durch die Ereigniſſe
emporgetragenen Führer der Revolution folgen und glauben,
daß trotz der tiefgreifenden Umwälzung alle Kreiſe des deutſchen
Volkes ſich in dem Streben begegnen würden, den Wiederaufbau
der deutſchen Wirtſchaft mit allen Kräften zu fördern, ſo wiſſen
wir heute, daß dieſe Hoffnung zuſammengebrochen iſt. Die Be-
fürchtungen, die wir in unſerm letzten Bericht äußerten, haben
ſich erfüllt. Von den Jdealen der Revolution iſt nichts verwirk-
licht. Ohne Rückſicht auf das im Wirtſchaftsleben notwendige
Gleichgewicht der Kräfte und unfähig, die wirtſchaftlichen Zu-
ſammenhänge zu überblicken, hat die Regierung durch eine Fülle
von Geſetzen den wirtſchaftlichen Wiederaufbau ernſtlich gefähr-
det. Wir verweiſen auf die ſchweren Fehler der übereilten, un-
klaren Steuergeſetzgebung, der ſozialen Geſetzgebung — im be-
ſonderen erwähnen wir das Betriebsrätegeſetz — und der wirt-
ſchaftspolitiſchen Geſetzgebung. Vielfach iſt beim Erlaß der Ge-
ſetze die Anſicht der Fachleute aus den orientierten Kreiſen nicht
gehört worden. Wenn ſie ſich äußern konnten, ſind Meinungen,
die der Auffaſſung des Geſetzgebers widerſprachen, nicht oder faſt
gar nicht beachtet worden. Nie ſind in einem abſolut regierten
Staate die Geſetze für das Wirtſchaftsleben ſo autokratiſch dik-
tiert wie in unſerer freien Republik. Die Schäden dieſer Poli-
tik, die durch die Maßnahmen erbarmungsloſer Feinde vertieft
wurden, laſten heute ſchwer auf der deutſchen Volkswirtſchaft.
Die Not an allem zum Leben Notwendigen iſt nicht gemildert,
ſie iſt in mancher Hinſicht ſogar geſtiegen. Die Geldwirtſchaft
iſt dem Zuſammenbruche nahe. Die Erzwingung immer höherer
Löhne ſeitens der Arbeiterſchaft hat zu einer ungeheuerlichen
Inflation des Geldes geführt, während das ſtarrſinnige Feſthal-
ten an der Zwangswirtſchaft eine Vermehrung und Verbilligung
des Angebots an den zum Leben notwendigen Bedarfsartikeln
verhindert hat.“

Daß dieſe Schwierigkeiten auch auf die Betriebe der Firma
eingewirkt haben iſt erklärlich. Das Geſchäft hatte dauernd
unter Kohlenmangel zu leiden und der Vorſtand war wiederholt
gezwungen, einzelne Betriebe aus dieſem Grunde zeitweiſe zu
ſchließen. Die Arbeiterſchwierigkeiten hörten nicht auf und führ-
ten namentlich in der erſten Hälfte des Jahres vielfach zu Streiks.
Es iſt jedoch möglich geweſen, ſämtliche ruhenden Betriebe, wenn
auch vorläufig nur in beſcheidenem Umfange, wieder in Gang
zu bringen. In den übrigen Betrieben wurde die Produktion
verſtärkt. Ein befriedigender Stand konnte noch nicht erreicht
werden. Die Leitung iſt dauernd damit beſchäftigt, die in der
Kriegszeit entſtandenen Schäden in den Anlagen wieder zu be-

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[215/0009] 6. Juni 1920 Allgemeine Zeitung _ Bernhard, der, geboren 1815 in Straßburg, im franzöſiſchen Heere bei den afrikaniſchen Jägern gedient hatte, in Straßburg ſpäter als Schriſtſetzer tätig war und hier 1864 ſtarb, über die Stel- lung der Elſäſſer, ihre Sprache, ihr Heimatgefühl uſw., die Haas der kleinen Auswahl von Gedichten Bernhards vorangeſtellt hat. Mit tiefer Wehmut habe ich das Buch durchblättert, das immer wieder von der Jnnigkeit des deutſchen Empfindens, von der Eigenart und, trotz aller individuellen Unterſchiede, gleich- artigen Denkweiſe des deutſchen Geiſtes Zeugnis ablegt. Mit Sorgfalt und großem Geſchick hat der Herausgeber Gedichte gewählt, die charakteriſtiſch hierfür und für das beſondere na- tionale Stammesempfinden der Elſäſſer ſind, insbeſondere auch Balladen und Hymnen, denen elſäſſiſche Motive zugrunde liegen aus Landſchaft, Sage und Geſchichte. Jmmer wieder kehrt z. B. die Verherrlichung des Straßburger Münſters, vgl. die Gedichte „Jn der Münſterkrone“ von Hirtz, „Münſterbeſchwörung“ und „Das Münſter in der Sternennacht“ von Daniel Auguſt Stöber, „Die Münſterroſe“ von Ludwig Adolf Stöber, „Auf dem Münſter“ von Bernhard, „Erwins Tod“ von Guſtav Mühl, „Fahnen auf dem Münſterturm“ von Hackenſchmidt. Auch das Gefühl der Zugehörigkeit zum großen Deutſchland kommt in vielen Liedern und Oden ſtark und ergreifend zum Ausdruck, vgl. z. B. die Gedichte „Vaterlandsliebe“, „Alſatia Vaterland“, „An Deutſchland“, „Der deutſche Rhythmus“ — im Stile Klopſtocks — von Wilhelm Auguſt Lamey (1772—1861); „Will- kommen an die Heimat“ von Lobſtein, „Mein Elſaß deutſch!“ von Karl Hackenſchmidt, „Sedan“ von Chriſtian Schmidt und die Gedichte von Friedrich Lienhard. Künſtleriſch hinterläßt die Sammlung wohl einen charakter- vollen, aber keinen bedeutenden Eindruck. Jhr Zweck iſt offen- bar kein rein künſtleriſcher. Zur Hauptſache ſind Dichter des Epigonenzeitalters vertreten. Der einzelne ſpringt nicht genug hervor. Ganz gewiß hätten die Modernen, wie Schickele, Prévot u. a., reicher und perſönlicher vertreten ſein können. Einige ſehr begabte jüngere Dichter, wie Flake, Stadler u. a., ſind gar nicht vertreten. Auch Lienhard hätte vielſeitiger und perſönlicher er- ſcheinen können. Dagegen ſind mir von älteren Dichtern — ab- geſehen von Pfeffel, dem Dichter der „Tobakspfeife“ („Gott grüß’ Euch, Alter, ſchmeckt das Pfeiſchen?“), mit dem die Sammlung beginnt, als ſtärkere Perſönlichkeit aufgefallen: Wilh. Auguſt Lamey, Ludwig Adolf Spach, Friedrich Otte. Der intereſſunteſte und reizvollſte elſäſſiſche Dichter der alten Zeit iſt jedenfalls Karl Auguſt Candidus, ein Lyriker von großer Begabung für feine humorvolle Behandlung der Legende und Ballade. Auch er iſt ganz ungenügend vertreten. — Es wäre vielleicht auch kein Schaden geweſen, wenn einige Dichter des Mittelalters zu Worte gekommen wären. Ich denke hierbei beſonders an den elſäſſiſchen Mönch Otfried von Weißenburg und Gottfried von Straßburg. Dr. Hans Benzmann. Wichtige neue Bücher. (Beſprechung vorbehalten.) Das Gewiſſen. Von Herm. Rudolf. Theoſophiſcher Kultur-Verlag. 38 S. Fünfzig Jahre bei Siemens. Von Herm. Meyer. E. S. Mittler & Sohn, Berlin. 214 S. Die philoſophiſchen Grundlagen von Natorps Sozialpädagogi. Von Dr. phil. Hermann Gſchwind. Verlag der Dürr’ſchen Buchhandlung. 152 S. Die Weltgeltung der deutſchen Muſik. Von Paul Bekker, Schuſter & Loeffler, Berlin. 50 S. Die ſchönſten Koſakengeſchichten von Gogol. Ausgewählt und eingeleitet von Walter v. Molo. Albert Langen, München. 244 Seiten. Aus Geſterreichs Vormärz. 1., 2., 3. und 4. Band. Von Hanns Schlitter. Almathea-Verlag, Zürich. 132 S. 118 S. 158 S. 125 S. Verſchiedenes Norddeutſche Wollkämmerei und Kammgarnſpinnerei. Zu den in vorliegender Nummer veröffentlichten Abſchlußziffern entneh- men wir einige Bemerkungen aus dem Jahresbericht des Vor- ſtandes, die von allgemeinem Jntereſſe ſind. Es heißt da: „Jn dem Jahre, über das wir Jhnen heute zu berichten haben, hat das deutſche Volk begonnen, die Früchte des verlorenen Krieges und namentlich der Revolution zu ernten. Mochte von Jahres- friſt noch mancher den Verſicherungen der durch die Ereigniſſe emporgetragenen Führer der Revolution folgen und glauben, daß trotz der tiefgreifenden Umwälzung alle Kreiſe des deutſchen Volkes ſich in dem Streben begegnen würden, den Wiederaufbau der deutſchen Wirtſchaft mit allen Kräften zu fördern, ſo wiſſen wir heute, daß dieſe Hoffnung zuſammengebrochen iſt. Die Be- fürchtungen, die wir in unſerm letzten Bericht äußerten, haben ſich erfüllt. Von den Jdealen der Revolution iſt nichts verwirk- licht. Ohne Rückſicht auf das im Wirtſchaftsleben notwendige Gleichgewicht der Kräfte und unfähig, die wirtſchaftlichen Zu- ſammenhänge zu überblicken, hat die Regierung durch eine Fülle von Geſetzen den wirtſchaftlichen Wiederaufbau ernſtlich gefähr- det. Wir verweiſen auf die ſchweren Fehler der übereilten, un- klaren Steuergeſetzgebung, der ſozialen Geſetzgebung — im be- ſonderen erwähnen wir das Betriebsrätegeſetz — und der wirt- ſchaftspolitiſchen Geſetzgebung. Vielfach iſt beim Erlaß der Ge- ſetze die Anſicht der Fachleute aus den orientierten Kreiſen nicht gehört worden. Wenn ſie ſich äußern konnten, ſind Meinungen, die der Auffaſſung des Geſetzgebers widerſprachen, nicht oder faſt gar nicht beachtet worden. Nie ſind in einem abſolut regierten Staate die Geſetze für das Wirtſchaftsleben ſo autokratiſch dik- tiert wie in unſerer freien Republik. Die Schäden dieſer Poli- tik, die durch die Maßnahmen erbarmungsloſer Feinde vertieft wurden, laſten heute ſchwer auf der deutſchen Volkswirtſchaft. Die Not an allem zum Leben Notwendigen iſt nicht gemildert, ſie iſt in mancher Hinſicht ſogar geſtiegen. Die Geldwirtſchaft iſt dem Zuſammenbruche nahe. Die Erzwingung immer höherer Löhne ſeitens der Arbeiterſchaft hat zu einer ungeheuerlichen Inflation des Geldes geführt, während das ſtarrſinnige Feſthal- ten an der Zwangswirtſchaft eine Vermehrung und Verbilligung des Angebots an den zum Leben notwendigen Bedarfsartikeln verhindert hat.“ Daß dieſe Schwierigkeiten auch auf die Betriebe der Firma eingewirkt haben iſt erklärlich. Das Geſchäft hatte dauernd unter Kohlenmangel zu leiden und der Vorſtand war wiederholt gezwungen, einzelne Betriebe aus dieſem Grunde zeitweiſe zu ſchließen. Die Arbeiterſchwierigkeiten hörten nicht auf und führ- ten namentlich in der erſten Hälfte des Jahres vielfach zu Streiks. Es iſt jedoch möglich geweſen, ſämtliche ruhenden Betriebe, wenn auch vorläufig nur in beſcheidenem Umfange, wieder in Gang zu bringen. In den übrigen Betrieben wurde die Produktion verſtärkt. Ein befriedigender Stand konnte noch nicht erreicht werden. Die Leitung iſt dauernd damit beſchäftigt, die in der Kriegszeit entſtandenen Schäden in den Anlagen wieder zu be- _

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-24T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 22, 6. Juni 1920, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine22_1920/9>, abgerufen am 24.11.2024.