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Allgemeine Zeitung, Nr. 20, 23. Mai 1920.

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23. Mai 1920 Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]

Punkte wegsetzte und dort, wo es glaubte, eine diplomatische
Vertretung zu benötigen, diese einfach einführte, ohne sich um
den Widerspruch der lokalen chinesischen Behörden und des Aus-
wärtigen Amtes in Peking zu kümmern. "Hier sind wir und
hier bleiben wir" war ihre Devise, und sie blieben. Den Chinesen
wurde es allmählich bei diesem Vorgehen ungemütlich, und sie
kündigten den abgelaufenen Ilivertrag genau zu der vorge-
sehenen Frist und weigerten sich, auf eine Erneuerung desselben
einzugehen. Aber die russischen Diplomaten wußten sich zu
helfen. Prompt erneuerten sie ihrerseits einseitig den Vertrag
im Jahre 1911, ohne sich um den Widerspruch der Chinesen zu
kümmern, um weitere zehn Jahre. "Right or wrong my
country"
war hier die Losung, und der einseitig erneuerte Ili-
vertrag bleib einstweilen, durch vorgeschobene Kosakenregimen-
ter kräftig unterstützt, bestehen, bis ein neuer Handelsvertrag
zustande kam, ohne daß die anderen interessierten Mächte es
gewagt hätten, dagegen zu opponieren. 1905 eröffneten die Rus-
sen ihr Konsulat im Uljasutai unter Konsul Boleyschew. Hierzu
gehörte der Uljasutai-, der Kobdo- und Uranchai-Bezirk. 1912
wurde der Kobdo-Bezirk abgetrennt und in Kobdo selbst von
Generalkonsul Luba, dem bald der Konsul Kusminski folgte, das
neue Konsulat eröffnet. Ebenso eröffnete Luba unter Bedeckung
von 25 Kosaken das Konsulat von Charusume, auf der Karte
Tulta genannt.

Dieses Vorgehen war ebenso zweckmäßig, wie eine direkte
Vertragsverletzung und Vergewaltigung. Urga ist das Zentrum
der mongolischen Politik und des Handels der äußeren Mon-
golei, rings umgeben von einer sich intensio ausbreitenden chine-
sischen Kolonisation. Uljasutai in seiner politischen Lage nicht
so günstig wie Urga, da heute nach der Vertreibung der Chinesen,
die einflußreichste Persönlichkeit in der Mongolei, Dsalchensen-
Gegen, in seinem Kloster 300 Werst von Uljasutai lebt. Der neue
Gouverneur, der heute an Stelle von Zezen-Beese, der ins
Finanzministerium berufen wurde, in Uljasutai residiert, wird
wohl schwerlich viel Selbständigkeit entwickeln. Kobdo ist zer-
stört, und die paar russischen Händler werden sich wohl kaum
dort aufhalten. Der Konsul lebt einstweilen mit seinen 500
Kosaken in Zelten und Jurten, bis die neue Stadt gebaut oder
die alte zerstörte Stadt wieder hergestellt worden ist. Seine
politische Tätigkeit scheint sich darauf beschränken zu wollen, die
Chinesen an einem nochmaligen Eindringen in den Kobdo-Bezirk
zu hindern. Charusume (Tulta) ist heute eigentlich der wichtigste
Punkt in dieser Gegend. Hier sitzt der Herzog Palta-Wan, der
treu mit dem gesamten Altai-Bezirk bei den Chinesen aushält.
Die Tätigkeit des Konsuls beschränkt sich auch dort auf ein
Beobachten der politischen und militärischen Vorgänge in Charu-
sume und Umgebung, da die drei oder vier noch lebenden rus-
sischen Untertanen eines Konsulats für ihren Handel wohl kaum
bedürfen.

Das Konsulat in Uljasutai war, als ich es zum ersten Male
sah, eine schmutzige chinesische Fansa mit Papierfenstern. Konsul
Volbyschew selbst lebte einige Jahre sogar in einer mongolischen
Jurte und wurde von der chinesischen Behörde in Uljasutai nicht
anerkannt. Ein solches Wohnen des Konsuls trug gerade nicht
zur Vermehrung des russischen Ansehens bei den Chinesen bei.
Schließlich war denn auch die Bedürfnisfrage brennend gewor-
den, aber die Duma hatte noch keine Zeit gefunden, die Gelder
zum Umbau resp. Neubau des Konsulats Uljasutai zu bewilligen.
Da griff der Konsulatssekretär Xionin kurz vor der Urlaubs-
reise des Konsuls Walter zu folgenden Mitteln.

Herr Xionin ließ fünf oder sechs Vertreter der größten chine-
sischen Firmen zu sich rufen und bat sie, da das Konsulatsgebäude
doch das Eigentum eines Chinesen sei, die nötige Summe für
den Umbau vorzuschießen. Die Chinesen erbaten sich einen Tag
Bedenkzeit, darauf erklärten sie dem Konsulatssekretär, sie wür-
den die verlangte Summe vorschießen, wenn er sich verpflichtete,
sie im Uranchai-Bezirk, wo diese Chinesen mit Hunderttausenden
Lans interessiert wären, zu schützen, und die Plünderung ihrer
Läden dort zu verhindern, was Xionin auch versprach. Die
Chinesen garantierten daraufhin die Bausumme und zahlten diese
ratenweise ein. Trotzdem plünderten die Mongolen die Läden
der betreffenden Firmen im Uranchai-Bezirk, ohne daß die
Chinesen bei dem Herrn Xionin die versprochene Hilfe fanden.
Sie verloren ihr Vermögen und waren schließlich auch noch ver-
pflichtet, die letzten Ratenzahlungen zur Fertigstellung des

[Spaltenumbruch]

Baues zu leisten. Bei ihrer offiziellen Beschwerde im russischen
Konsulat wurden sie einfach aus dem Konsulat verwiesen. Mein
Gewährsmann mußte, um überhaupt zahlen zu können, sein
Brennholz -- Brennholz besitzt in Uljasutai während der Win-
terzeit sehr großen Wert -- verkaufen. Als aber die Uranschaizen
auch die Russen bedrohten, nachdem sie den chinesischen Handel
glücklich zur stillen Freude des russischen Konsulatssekretärs ver-
nichtet hatten, wurden von Herrn Xionin vier Kosaken abge-
schickt, die ohne Widerstand der Mongolen die überlebenden chine-
sischen Angestellten jener Firmen, die zum Ausbau des Konsu-
lats Geld beigesteuert hatten, über die russische Grenze geleiteten.
Das Konsulatsgebäude war bei unserer Ankunft in Uljasutai
beinahe fertig, und Herr Xionin fuhr nach den Anstrengungen
der diplomatischen Kampagne nach Südfrankreich, um sich dort
auf sein diplomatisches Examen vorzubereiten. Hinter ihm her
schalten die Verwünschungen der ausgeplünderten und ruinierten
chinesischen Kaufleute. Aber trotz alledem kann man dem Mann
in seinem fanatischen Haß gegen alles nicht rein Nationalrussische,
obwohl selber ein Fremdstämmiger, wegen seiner aufs Prak-
tische aufgebauten Politik eine gewisse Anerkennung nicht ver-
sagen. Die Tätigkeit der russischen Konsuln in der Mongolei be-
stand lange Zeit einfach darin, daß sie mit mehr oder weniger
Energie und persönlichem Interesse auf die Einhaltung der Ver-
träge achteten. Dazu gehörte eben keine besondere Diplomatie.
Sie fußten, durch die ganze Organisation des Konsulatsdienstes
veranlaßt, auf dem Vergangenen, und beschränkten sich darauf,
den etwa einlaufenden Klagen der russischen Untertanen so gut
es ging abzuhelfen. Die geschickten chinesischen Diplomaten
nutzten selbstverständlich ein solches Verhalten der Konsulats-
behörden gründlich aus, die russischen Händler versuchten trotz
aller Schikanen der Chinesen ihre Ziel auf hundert krummen
Wegen zu erreichen, und seit langer Zeit war eine allgemeine
Spannung durch den vollständigen Niedergang des russischen
Handels eingetreten, die schließlich zur Katastrophe führen mußte.
Die russischen Konsuln der jüngeren Generation richteten Note
auf Note an ihren Gesandten nach Peking oder an ihre Regie-
rung nach Petersburg. China aber kümmerte sich wenig um
all diese papiernen Drohungen, war doch das Ansehen Rußlands
durch den russisch-japanischen Krieg bei der gelben Rasse stark
gesunken.

Man stelle sich nun die Lage der russischen Konsuln in der
äußeren Mongolei vor. Bis vor kurzem in schlechten Gebäuden
untergebracht, nur mit solchen Möbeln versehen, die sie hier und
da von einem chinesischen Großkaufmann, der ihnen zum Dank
verpflichtet war, geschenkt erhalten oder von chinesischen Hand-
werkern hatten anfertigen lassen, ohne tägliche Zeitungen und
Telegramme, die sie schnell von allem, was in ihrem Bezirk vor-
geht, unterrichten könnten, sind sie beauftragt, die Interessen der
russischen Untertanen zu wahren, die selbst weit in einem großen
Bezirk zerstreut leben und die im Durchschnitt in kultureller
Beziehung nicht weit über den Mongolen und tief unter dem
chinesischen Durchschnittskaufmann stehen; gibt es doch viele
unter den russischen Händlern, die heute noch wenig Vertrauen
zu ihren Konsuln haben und andere, die allen Grund haben, sich
vor den Konsuln zu verstecken. Der Konsul soll den Mittelpunkt
der Kolonie bilden, in dessen Händen alle Fäden politischer, sowie
handelspolitischer Art zusammenlaufen, aber dies ist bei der
Größe des Bezirkes leider unmöglich. So sind die statistischen
Angaben, die die Konsuln von ihren eigenen Untertanen über
ihr Handeln, ihren Umsatz, die Art des Handels erhalten, alle
mit großer Vorsicht aufzunehmen, da, wie ich selbst feststellen
konnte, viele russische Groß- und Kleinhändler falsche Angaben
über Güte, Bezugsquelle und besonders über die Gangbarkeit
der Waren machen, weil sie fürchten, durch die richtigen An-
gaben ihren Konkurrenten eventuelle Handhaben zu geben. Für
gewöhnlich macht der Konsul nur dann die Bekanntschaft seiner
Landsleute, wenn sie selber zu ihm kommen, um ihn zu bitten,
ihre Interessen wahrzunehmen, oder aber, wenn von den mongo-
lischen oder chinesischen Behörden Klagen gegen sie erhoben wer-
den. In solchen Fällen ist dann der Konsul Richter und Schieds-
richter zu gleicher Zeit. Es hält natürlich bei der Lage der Dinge
schwer, wenn der Konsul nicht schon durch vorhergehende Er-
fahrung mit seinem russischen Landsmann bekannt und mit
seiner mehr oder minder ehrlichen Veranlagung vertraut ist, das
Recht vom Unrecht zu unterscheiden, und häufig hört man Klagen

23. Mai 1920 Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]

Punkte wegſetzte und dort, wo es glaubte, eine diplomatiſche
Vertretung zu benötigen, dieſe einfach einführte, ohne ſich um
den Widerſpruch der lokalen chineſiſchen Behörden und des Aus-
wärtigen Amtes in Peking zu kümmern. „Hier ſind wir und
hier bleiben wir“ war ihre Deviſe, und ſie blieben. Den Chineſen
wurde es allmählich bei dieſem Vorgehen ungemütlich, und ſie
kündigten den abgelaufenen Ilivertrag genau zu der vorge-
ſehenen Friſt und weigerten ſich, auf eine Erneuerung desſelben
einzugehen. Aber die ruſſiſchen Diplomaten wußten ſich zu
helfen. Prompt erneuerten ſie ihrerſeits einſeitig den Vertrag
im Jahre 1911, ohne ſich um den Widerſpruch der Chineſen zu
kümmern, um weitere zehn Jahre. „Right or wrong my
country“
war hier die Loſung, und der einſeitig erneuerte Ili-
vertrag bleib einſtweilen, durch vorgeſchobene Koſakenregimen-
ter kräftig unterſtützt, beſtehen, bis ein neuer Handelsvertrag
zuſtande kam, ohne daß die anderen intereſſierten Mächte es
gewagt hätten, dagegen zu opponieren. 1905 eröffneten die Ruſ-
ſen ihr Konſulat im Uljaſutai unter Konſul Boleyſchew. Hierzu
gehörte der Uljaſutai-, der Kobdo- und Uranchai-Bezirk. 1912
wurde der Kobdo-Bezirk abgetrennt und in Kobdo ſelbſt von
Generalkonſul Luba, dem bald der Konſul Kusminſki folgte, das
neue Konſulat eröffnet. Ebenſo eröffnete Luba unter Bedeckung
von 25 Koſaken das Konſulat von Charuſumè, auf der Karte
Tulta genannt.

Dieſes Vorgehen war ebenſo zweckmäßig, wie eine direkte
Vertragsverletzung und Vergewaltigung. Urga iſt das Zentrum
der mongoliſchen Politik und des Handels der äußeren Mon-
golei, rings umgeben von einer ſich intenſio ausbreitenden chine-
ſiſchen Koloniſation. Uljaſutai in ſeiner politiſchen Lage nicht
ſo günſtig wie Urga, da heute nach der Vertreibung der Chineſen,
die einflußreichſte Perſönlichkeit in der Mongolei, Dſalchenſen-
Gegen, in ſeinem Kloſter 300 Werſt von Uljaſutai lebt. Der neue
Gouverneur, der heute an Stelle von Zezen-Beeſe, der ins
Finanzminiſterium berufen wurde, in Uljaſutai reſidiert, wird
wohl ſchwerlich viel Selbſtändigkeit entwickeln. Kobdo iſt zer-
ſtört, und die paar ruſſiſchen Händler werden ſich wohl kaum
dort aufhalten. Der Konſul lebt einſtweilen mit ſeinen 500
Koſaken in Zelten und Jurten, bis die neue Stadt gebaut oder
die alte zerſtörte Stadt wieder hergeſtellt worden iſt. Seine
politiſche Tätigkeit ſcheint ſich darauf beſchränken zu wollen, die
Chineſen an einem nochmaligen Eindringen in den Kobdo-Bezirk
zu hindern. Charuſumè (Tulta) iſt heute eigentlich der wichtigſte
Punkt in dieſer Gegend. Hier ſitzt der Herzog Palta-Wan, der
treu mit dem geſamten Altai-Bezirk bei den Chineſen aushält.
Die Tätigkeit des Konſuls beſchränkt ſich auch dort auf ein
Beobachten der politiſchen und militäriſchen Vorgänge in Charu-
ſumè und Umgebung, da die drei oder vier noch lebenden ruſ-
ſiſchen Untertanen eines Konſulats für ihren Handel wohl kaum
bedürfen.

Das Konſulat in Uljaſutai war, als ich es zum erſten Male
ſah, eine ſchmutzige chineſiſche Fanſa mit Papierfenſtern. Konſul
Volbyſchew ſelbſt lebte einige Jahre ſogar in einer mongoliſchen
Jurte und wurde von der chineſiſchen Behörde in Uljaſutai nicht
anerkannt. Ein ſolches Wohnen des Konſuls trug gerade nicht
zur Vermehrung des ruſſiſchen Anſehens bei den Chineſen bei.
Schließlich war denn auch die Bedürfnisfrage brennend gewor-
den, aber die Duma hatte noch keine Zeit gefunden, die Gelder
zum Umbau reſp. Neubau des Konſulats Uljaſutai zu bewilligen.
Da griff der Konſulatsſekretär Xionin kurz vor der Urlaubs-
reiſe des Konſuls Walter zu folgenden Mitteln.

Herr Xionin ließ fünf oder ſechs Vertreter der größten chine-
ſiſchen Firmen zu ſich rufen und bat ſie, da das Konſulatsgebäude
doch das Eigentum eines Chineſen ſei, die nötige Summe für
den Umbau vorzuſchießen. Die Chineſen erbaten ſich einen Tag
Bedenkzeit, darauf erklärten ſie dem Konſulatsſekretär, ſie wür-
den die verlangte Summe vorſchießen, wenn er ſich verpflichtete,
ſie im Uranchai-Bezirk, wo dieſe Chineſen mit Hunderttauſenden
Lans intereſſiert wären, zu ſchützen, und die Plünderung ihrer
Läden dort zu verhindern, was Xionin auch verſprach. Die
Chineſen garantierten daraufhin die Bauſumme und zahlten dieſe
ratenweiſe ein. Trotzdem plünderten die Mongolen die Läden
der betreffenden Firmen im Uranchai-Bezirk, ohne daß die
Chineſen bei dem Herrn Xionin die verſprochene Hilfe fanden.
Sie verloren ihr Vermögen und waren ſchließlich auch noch ver-
pflichtet, die letzten Ratenzahlungen zur Fertigſtellung des

[Spaltenumbruch]

Baues zu leiſten. Bei ihrer offiziellen Beſchwerde im ruſſiſchen
Konſulat wurden ſie einfach aus dem Konſulat verwieſen. Mein
Gewährsmann mußte, um überhaupt zahlen zu können, ſein
Brennholz — Brennholz beſitzt in Uljaſutai während der Win-
terzeit ſehr großen Wert — verkaufen. Als aber die Uranſchaizen
auch die Ruſſen bedrohten, nachdem ſie den chineſiſchen Handel
glücklich zur ſtillen Freude des ruſſiſchen Konſulatsſekretärs ver-
nichtet hatten, wurden von Herrn Xionin vier Koſaken abge-
ſchickt, die ohne Widerſtand der Mongolen die überlebenden chine-
ſiſchen Angeſtellten jener Firmen, die zum Ausbau des Konſu-
lats Geld beigeſteuert hatten, über die ruſſiſche Grenze geleiteten.
Das Konſulatsgebäude war bei unſerer Ankunft in Uljaſutai
beinahe fertig, und Herr Xionin fuhr nach den Anſtrengungen
der diplomatiſchen Kampagne nach Südfrankreich, um ſich dort
auf ſein diplomatiſches Examen vorzubereiten. Hinter ihm her
ſchalten die Verwünſchungen der ausgeplünderten und ruinierten
chineſiſchen Kaufleute. Aber trotz alledem kann man dem Mann
in ſeinem fanatiſchen Haß gegen alles nicht rein Nationalruſſiſche,
obwohl ſelber ein Fremdſtämmiger, wegen ſeiner aufs Prak-
tiſche aufgebauten Politik eine gewiſſe Anerkennung nicht ver-
ſagen. Die Tätigkeit der ruſſiſchen Konſuln in der Mongolei be-
ſtand lange Zeit einfach darin, daß ſie mit mehr oder weniger
Energie und perſönlichem Intereſſe auf die Einhaltung der Ver-
träge achteten. Dazu gehörte eben keine beſondere Diplomatie.
Sie fußten, durch die ganze Organiſation des Konſulatsdienſtes
veranlaßt, auf dem Vergangenen, und beſchränkten ſich darauf,
den etwa einlaufenden Klagen der ruſſiſchen Untertanen ſo gut
es ging abzuhelfen. Die geſchickten chineſiſchen Diplomaten
nutzten ſelbſtverſtändlich ein ſolches Verhalten der Konſulats-
behörden gründlich aus, die ruſſiſchen Händler verſuchten trotz
aller Schikanen der Chineſen ihre Ziel auf hundert krummen
Wegen zu erreichen, und ſeit langer Zeit war eine allgemeine
Spannung durch den vollſtändigen Niedergang des ruſſiſchen
Handels eingetreten, die ſchließlich zur Kataſtrophe führen mußte.
Die ruſſiſchen Konſuln der jüngeren Generation richteten Note
auf Note an ihren Geſandten nach Peking oder an ihre Regie-
rung nach Petersburg. China aber kümmerte ſich wenig um
all dieſe papiernen Drohungen, war doch das Anſehen Rußlands
durch den ruſſiſch-japaniſchen Krieg bei der gelben Raſſe ſtark
geſunken.

Man ſtelle ſich nun die Lage der ruſſiſchen Konſuln in der
äußeren Mongolei vor. Bis vor kurzem in ſchlechten Gebäuden
untergebracht, nur mit ſolchen Möbeln verſehen, die ſie hier und
da von einem chineſiſchen Großkaufmann, der ihnen zum Dank
verpflichtet war, geſchenkt erhalten oder von chineſiſchen Hand-
werkern hatten anfertigen laſſen, ohne tägliche Zeitungen und
Telegramme, die ſie ſchnell von allem, was in ihrem Bezirk vor-
geht, unterrichten könnten, ſind ſie beauftragt, die Intereſſen der
ruſſiſchen Untertanen zu wahren, die ſelbſt weit in einem großen
Bezirk zerſtreut leben und die im Durchſchnitt in kultureller
Beziehung nicht weit über den Mongolen und tief unter dem
chineſiſchen Durchſchnittskaufmann ſtehen; gibt es doch viele
unter den ruſſiſchen Händlern, die heute noch wenig Vertrauen
zu ihren Konſuln haben und andere, die allen Grund haben, ſich
vor den Konſuln zu verſtecken. Der Konſul ſoll den Mittelpunkt
der Kolonie bilden, in deſſen Händen alle Fäden politiſcher, ſowie
handelspolitiſcher Art zuſammenlaufen, aber dies iſt bei der
Größe des Bezirkes leider unmöglich. So ſind die ſtatiſtiſchen
Angaben, die die Konſuln von ihren eigenen Untertanen über
ihr Handeln, ihren Umſatz, die Art des Handels erhalten, alle
mit großer Vorſicht aufzunehmen, da, wie ich ſelbſt feſtſtellen
konnte, viele ruſſiſche Groß- und Kleinhändler falſche Angaben
über Güte, Bezugsquelle und beſonders über die Gangbarkeit
der Waren machen, weil ſie fürchten, durch die richtigen An-
gaben ihren Konkurrenten eventuelle Handhaben zu geben. Für
gewöhnlich macht der Konſul nur dann die Bekanntſchaft ſeiner
Landsleute, wenn ſie ſelber zu ihm kommen, um ihn zu bitten,
ihre Intereſſen wahrzunehmen, oder aber, wenn von den mongo-
liſchen oder chineſiſchen Behörden Klagen gegen ſie erhoben wer-
den. In ſolchen Fällen iſt dann der Konſul Richter und Schieds-
richter zu gleicher Zeit. Es hält natürlich bei der Lage der Dinge
ſchwer, wenn der Konſul nicht ſchon durch vorhergehende Er-
fahrung mit ſeinem ruſſiſchen Landsmann bekannt und mit
ſeiner mehr oder minder ehrlichen Veranlagung vertraut iſt, das
Recht vom Unrecht zu unterſcheiden, und häufig hört man Klagen

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[193/0007] 23. Mai 1920 Allgemeine Zeitung Punkte wegſetzte und dort, wo es glaubte, eine diplomatiſche Vertretung zu benötigen, dieſe einfach einführte, ohne ſich um den Widerſpruch der lokalen chineſiſchen Behörden und des Aus- wärtigen Amtes in Peking zu kümmern. „Hier ſind wir und hier bleiben wir“ war ihre Deviſe, und ſie blieben. Den Chineſen wurde es allmählich bei dieſem Vorgehen ungemütlich, und ſie kündigten den abgelaufenen Ilivertrag genau zu der vorge- ſehenen Friſt und weigerten ſich, auf eine Erneuerung desſelben einzugehen. Aber die ruſſiſchen Diplomaten wußten ſich zu helfen. Prompt erneuerten ſie ihrerſeits einſeitig den Vertrag im Jahre 1911, ohne ſich um den Widerſpruch der Chineſen zu kümmern, um weitere zehn Jahre. „Right or wrong my country“ war hier die Loſung, und der einſeitig erneuerte Ili- vertrag bleib einſtweilen, durch vorgeſchobene Koſakenregimen- ter kräftig unterſtützt, beſtehen, bis ein neuer Handelsvertrag zuſtande kam, ohne daß die anderen intereſſierten Mächte es gewagt hätten, dagegen zu opponieren. 1905 eröffneten die Ruſ- ſen ihr Konſulat im Uljaſutai unter Konſul Boleyſchew. Hierzu gehörte der Uljaſutai-, der Kobdo- und Uranchai-Bezirk. 1912 wurde der Kobdo-Bezirk abgetrennt und in Kobdo ſelbſt von Generalkonſul Luba, dem bald der Konſul Kusminſki folgte, das neue Konſulat eröffnet. Ebenſo eröffnete Luba unter Bedeckung von 25 Koſaken das Konſulat von Charuſumè, auf der Karte Tulta genannt. Dieſes Vorgehen war ebenſo zweckmäßig, wie eine direkte Vertragsverletzung und Vergewaltigung. Urga iſt das Zentrum der mongoliſchen Politik und des Handels der äußeren Mon- golei, rings umgeben von einer ſich intenſio ausbreitenden chine- ſiſchen Koloniſation. Uljaſutai in ſeiner politiſchen Lage nicht ſo günſtig wie Urga, da heute nach der Vertreibung der Chineſen, die einflußreichſte Perſönlichkeit in der Mongolei, Dſalchenſen- Gegen, in ſeinem Kloſter 300 Werſt von Uljaſutai lebt. Der neue Gouverneur, der heute an Stelle von Zezen-Beeſe, der ins Finanzminiſterium berufen wurde, in Uljaſutai reſidiert, wird wohl ſchwerlich viel Selbſtändigkeit entwickeln. Kobdo iſt zer- ſtört, und die paar ruſſiſchen Händler werden ſich wohl kaum dort aufhalten. Der Konſul lebt einſtweilen mit ſeinen 500 Koſaken in Zelten und Jurten, bis die neue Stadt gebaut oder die alte zerſtörte Stadt wieder hergeſtellt worden iſt. Seine politiſche Tätigkeit ſcheint ſich darauf beſchränken zu wollen, die Chineſen an einem nochmaligen Eindringen in den Kobdo-Bezirk zu hindern. Charuſumè (Tulta) iſt heute eigentlich der wichtigſte Punkt in dieſer Gegend. Hier ſitzt der Herzog Palta-Wan, der treu mit dem geſamten Altai-Bezirk bei den Chineſen aushält. Die Tätigkeit des Konſuls beſchränkt ſich auch dort auf ein Beobachten der politiſchen und militäriſchen Vorgänge in Charu- ſumè und Umgebung, da die drei oder vier noch lebenden ruſ- ſiſchen Untertanen eines Konſulats für ihren Handel wohl kaum bedürfen. Das Konſulat in Uljaſutai war, als ich es zum erſten Male ſah, eine ſchmutzige chineſiſche Fanſa mit Papierfenſtern. Konſul Volbyſchew ſelbſt lebte einige Jahre ſogar in einer mongoliſchen Jurte und wurde von der chineſiſchen Behörde in Uljaſutai nicht anerkannt. Ein ſolches Wohnen des Konſuls trug gerade nicht zur Vermehrung des ruſſiſchen Anſehens bei den Chineſen bei. Schließlich war denn auch die Bedürfnisfrage brennend gewor- den, aber die Duma hatte noch keine Zeit gefunden, die Gelder zum Umbau reſp. Neubau des Konſulats Uljaſutai zu bewilligen. Da griff der Konſulatsſekretär Xionin kurz vor der Urlaubs- reiſe des Konſuls Walter zu folgenden Mitteln. Herr Xionin ließ fünf oder ſechs Vertreter der größten chine- ſiſchen Firmen zu ſich rufen und bat ſie, da das Konſulatsgebäude doch das Eigentum eines Chineſen ſei, die nötige Summe für den Umbau vorzuſchießen. Die Chineſen erbaten ſich einen Tag Bedenkzeit, darauf erklärten ſie dem Konſulatsſekretär, ſie wür- den die verlangte Summe vorſchießen, wenn er ſich verpflichtete, ſie im Uranchai-Bezirk, wo dieſe Chineſen mit Hunderttauſenden Lans intereſſiert wären, zu ſchützen, und die Plünderung ihrer Läden dort zu verhindern, was Xionin auch verſprach. Die Chineſen garantierten daraufhin die Bauſumme und zahlten dieſe ratenweiſe ein. Trotzdem plünderten die Mongolen die Läden der betreffenden Firmen im Uranchai-Bezirk, ohne daß die Chineſen bei dem Herrn Xionin die verſprochene Hilfe fanden. Sie verloren ihr Vermögen und waren ſchließlich auch noch ver- pflichtet, die letzten Ratenzahlungen zur Fertigſtellung des Baues zu leiſten. Bei ihrer offiziellen Beſchwerde im ruſſiſchen Konſulat wurden ſie einfach aus dem Konſulat verwieſen. Mein Gewährsmann mußte, um überhaupt zahlen zu können, ſein Brennholz — Brennholz beſitzt in Uljaſutai während der Win- terzeit ſehr großen Wert — verkaufen. Als aber die Uranſchaizen auch die Ruſſen bedrohten, nachdem ſie den chineſiſchen Handel glücklich zur ſtillen Freude des ruſſiſchen Konſulatsſekretärs ver- nichtet hatten, wurden von Herrn Xionin vier Koſaken abge- ſchickt, die ohne Widerſtand der Mongolen die überlebenden chine- ſiſchen Angeſtellten jener Firmen, die zum Ausbau des Konſu- lats Geld beigeſteuert hatten, über die ruſſiſche Grenze geleiteten. Das Konſulatsgebäude war bei unſerer Ankunft in Uljaſutai beinahe fertig, und Herr Xionin fuhr nach den Anſtrengungen der diplomatiſchen Kampagne nach Südfrankreich, um ſich dort auf ſein diplomatiſches Examen vorzubereiten. Hinter ihm her ſchalten die Verwünſchungen der ausgeplünderten und ruinierten chineſiſchen Kaufleute. Aber trotz alledem kann man dem Mann in ſeinem fanatiſchen Haß gegen alles nicht rein Nationalruſſiſche, obwohl ſelber ein Fremdſtämmiger, wegen ſeiner aufs Prak- tiſche aufgebauten Politik eine gewiſſe Anerkennung nicht ver- ſagen. Die Tätigkeit der ruſſiſchen Konſuln in der Mongolei be- ſtand lange Zeit einfach darin, daß ſie mit mehr oder weniger Energie und perſönlichem Intereſſe auf die Einhaltung der Ver- träge achteten. Dazu gehörte eben keine beſondere Diplomatie. Sie fußten, durch die ganze Organiſation des Konſulatsdienſtes veranlaßt, auf dem Vergangenen, und beſchränkten ſich darauf, den etwa einlaufenden Klagen der ruſſiſchen Untertanen ſo gut es ging abzuhelfen. Die geſchickten chineſiſchen Diplomaten nutzten ſelbſtverſtändlich ein ſolches Verhalten der Konſulats- behörden gründlich aus, die ruſſiſchen Händler verſuchten trotz aller Schikanen der Chineſen ihre Ziel auf hundert krummen Wegen zu erreichen, und ſeit langer Zeit war eine allgemeine Spannung durch den vollſtändigen Niedergang des ruſſiſchen Handels eingetreten, die ſchließlich zur Kataſtrophe führen mußte. Die ruſſiſchen Konſuln der jüngeren Generation richteten Note auf Note an ihren Geſandten nach Peking oder an ihre Regie- rung nach Petersburg. China aber kümmerte ſich wenig um all dieſe papiernen Drohungen, war doch das Anſehen Rußlands durch den ruſſiſch-japaniſchen Krieg bei der gelben Raſſe ſtark geſunken. Man ſtelle ſich nun die Lage der ruſſiſchen Konſuln in der äußeren Mongolei vor. Bis vor kurzem in ſchlechten Gebäuden untergebracht, nur mit ſolchen Möbeln verſehen, die ſie hier und da von einem chineſiſchen Großkaufmann, der ihnen zum Dank verpflichtet war, geſchenkt erhalten oder von chineſiſchen Hand- werkern hatten anfertigen laſſen, ohne tägliche Zeitungen und Telegramme, die ſie ſchnell von allem, was in ihrem Bezirk vor- geht, unterrichten könnten, ſind ſie beauftragt, die Intereſſen der ruſſiſchen Untertanen zu wahren, die ſelbſt weit in einem großen Bezirk zerſtreut leben und die im Durchſchnitt in kultureller Beziehung nicht weit über den Mongolen und tief unter dem chineſiſchen Durchſchnittskaufmann ſtehen; gibt es doch viele unter den ruſſiſchen Händlern, die heute noch wenig Vertrauen zu ihren Konſuln haben und andere, die allen Grund haben, ſich vor den Konſuln zu verſtecken. 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Es hält natürlich bei der Lage der Dinge ſchwer, wenn der Konſul nicht ſchon durch vorhergehende Er- fahrung mit ſeinem ruſſiſchen Landsmann bekannt und mit ſeiner mehr oder minder ehrlichen Veranlagung vertraut iſt, das Recht vom Unrecht zu unterſcheiden, und häufig hört man Klagen

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-24T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 20, 23. Mai 1920, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine20_1920/7>, abgerufen am 23.11.2024.