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Allgemeine Zeitung, Nr. 20, 23. Mai 1920.

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23. Mai 1920 Allgemeine Zeitung

greiflich, daß sie bei guten Löhnen im Unternehmerbetriebe
besser fahren als bei mäßigen Bezügen im sozialen Betriebe.
Ueber die Wirtschaftsform mögen Cheorie und Praxis ent-
scheiden, aus unseren Bestrebungen scheidet die Frage aus.
Das allseitige Interesse erfordert nur, daß bei allen Maß-
nahmen Vorsicht und Besonnenheit herrschen, dieses um so
mehr, als jede Umstellung mit Opfern verbunden ist, die
uns jetzt schwerer fallen als je.

Wenn es gelingt, diese Auffassung in Arbeiterkreisen
zu verbreiten und zu befestigen, so sind auch diese Arbeiter
natürliche Mitstreiter für den Aufbau.

Wie aber kann der Aufbau ins Werk gesetzt werden?
Offensichtlich nur, wenn es gelingt, große Massen für ihn zu
gewinnen, Massen, die gewillt sind, sich zur Geltung zu brin-
gen und sich nicht scheuen dafür zu kämpfen, wann und wo
es nötig ist. Sind sie zusammenzubringen, zusammenzuhal-
ten und zu Taten zu bewegen? Die heilige Not muß es tun,
die heiße Liebe zu unserem Vaterland und Volk müssen hel-
fen. Die Erkenntnis, daß etwas geschehen müsse, ist vor-
handen. Sie findet vielfachen Ausdruck in der Presse, fast
jeder Meinungsaustausch über unsere Zustände endigt da-
mit, so könne es nicht weitergehen. Diese Erkenntnis muß
zu einem einheitlichen Wollen zusammenfließen und wie eine
gewaltige Welle durch das ganze Volk gehen. Dies erfordert
eine Organisation, es ist aber schwierig und kostspielig, eine
neue Organisation zu schaffen. Dies führt zu dem Gedanken,
die bestehenden Organisationen zu einer Arbeitsgemeinschaft
zusammenzufassen. Wir haben neben den politischen Par-
teien viele Verbände, Vereine und sonstige Einrichtungen,
die auf das Volkswohl gerichtet sind. Sie haben alle ihr
besonderes Arbeitsgebiet, alle wollen aber der Allgemeinheit
nützen. Es darf angenommen werden, daß die Träger und
Mitglieder dieser Bestrebungen nicht versagen werden,
wenn sie gerufen werden, dem Volke in seiner Schicksals-
stunde zu helfen. Indem sie sich vereinigen, ist mit einem
Schlage eine breite Grundlage für die Bewegung gewonnen.
Die zentralen Leitungen schließen eine gewaltige Summe
von Einsicht und Erfahrung in sich, aus ihnen können die
Männer entnommen werden, die berufen sind, der neuen
Einrichtung mit Rat und Tat die Wege zu weisen. Die
bestehenden Organisationen haben ihre Vertretungen im
ganzen Reiche. Mann kann also überall an Bestehendes an-
knüpfen, den örtlichen Vertretungen fällt die Aufgabe zu,
die großen brachliegenden Kräfte zu mobilisieren und zu
einem Block zusammenzuschließen.

Auf diesem Wege wird erreicht, daß die Bewegung von
vornherein mit einer solchen Wucht auftritt, daß sie beachtet
werden muß. Es wird die gefährliche Klippe vermieden,
daß die zagenden und zweifelnden Elemente sich in dem Ge-
danken zurückhalten, es werde doch wohl nichts Rechtes aus
der Sache werden. Man darf hoffen und erwarten, daß von
vornherein ansehnliche Kräfte zusammengebracht werden,
das Weitere hängt davon ab, daß ein Arbeitsprogramm ge-
funden wird, das sie in lebendiger Tätigkeit zusammenhält.
Hierzu gehört in erster Linie eine weise Selbstbeschränkung.
Es muß ausgeschieden werden, was trennt und Mißtrauen
erregt. Die eigentliche Politik, die Standesangelegenheiten
und die sozialen Grundfragen werden nicht in Betracht ge-
zogen, wenigstens nicht unmittelbar. Nur daß die Kardinal-
sätze des Aufbaues Beachtung finden, wird verlangt. Diese
aber sind Ordnung und Wirtschaftlichkeit. Nach diesen Ge-
sichtspunkten ins öffentliche Leben einzugreifen, erfordert
eine Unsumme von Arbeit und Ueberlegung. Das ist gut,
denn lebensfähig sind nur die Gebilde, die eine befriedigende
Tätigkeit entfalten. Der Aufbau will eine Kontrollinstanz
des öffentlichen Lebens in seinen großen Fragen sein, er
will eine öffentliche Meinung bilden, die auf seine For-
derungen eingestellt ist. Deshalb müssen die Fragen von all-
gemeiner Bedeutung durch die Zentralstelle den örtlichen
Vertretungen zur Erörterung verstellt werden. Sie wird
durch ihr Organ vorarbeiten, nicht um den Vertretungen
vorzugreifen, sondern um ihnen das Material zu bringen
und die Punkte, auf die es ankommt, herauszuarbeiten.
Die Beschlüsse der Vertretungen laufen bei der Zentrale zu-

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sammen und werden dort verarbeitet. In dieser Form geben
sie Stoff zu neuen Erörterungen. All dies erfordert viel
Geschicklichkeit und Takt, da das Trennende vermieden, das
Einigende hervorgeholt werden soll. Es schadet aber auch
nicht, wenn das Ergebnis der Erörterungen im kleinen und
großen Kreise nicht immer einheitlich ist. Auch wenn man
nicht zu einer völligen Einigung kommt, nützt doch eine
von großzügigem Geist getragene Erörterung insofern, als
man lernt, die Gründe des anderen zu würdigen. Hiermit
wird dem Streit sein Stachel genommen, die Neigung zum
Mißtrauen und zur Verdächtigung der Gesinnung des
Gegners bekämpft, eine Wandlung, die man dem deutschen
Volke von Herzen wünschen möchte.

Bei den Beschlüssen soll es aber nicht bleiben, sie sollen
sich in eine Kritik von der Schärfe, die den Umständen ent-
spricht, umsetzen. Schonungslos soll sie sich an den Stellen,
bei denen der Mangel liegt, geltend machen, und aus ihrer
Nichtbeachtung sollen die nötigen Folgerungen mit dem
Stimmzettel gezogen werden. Alle Veranstaltungen, die die
Ziele des Aufbaues verfolgen, werden unterstützt, alle Wah-
len in diesem Sinne beeinflußt, wobei es nicht auf die Par-
teirichtung des Kandidaten, sondern auf seine Gesinnung an-
kommt.

Eine eifrige und nachhaltige Werbetätigkeit muß ent-
faltet werden. Versammlungen müssen abgehalten und der
Kampf mit den Gegnern muß aufgenommen werden. Er
wird vielen wegen der Form, die er anzunehmen pflegt, nicht
liegen, aber um der Sache willen muß die Scheu überwunden
werden. Dies wird dadurch erleichtert, daß der Kämpfer für
den Aufbau immer das moralische Uebergewicht hat, denn
er läßt jedem seine sachliche Meinung und vertritt nur,
was Vernunft, Recht und Billigkeit verlangen. Neben dem
öffentlichen Auftreten muß die persönliche Werbetätigkeit
hergehen. Von den Vertretern des Umsturzes müssen wir
lernen, daß jedem einzelnen nachgegangen werden muß, na-
mentlich den Arbeitern. Die verständigen müssen angeregt
werden, sich geltend zu machen, nicht tatenlos beiseite zu
stehen, wenn verborgene Drahtzieher und jugendliche Schreier
die Führung in die Hand nehmen. Sie müssen sich nicht
locken lassen durch den Ruf der Kameradschaftlichkeit, denn
nicht der Standesgenosse, sondern der Gleichgesinnte ist ein
wirklicher Kamerad. Die Gleichgesinnten aber sollen sich
sammeln und durch Zusammenschluß den Terror bekämpfen.

Wir kommen zu dem Ergebnis, daß das Werk des Auf-
baues, so groß, so schwierig und dornenvoll es ist, um un-
seres Volkes willen unternommen werden muß. Es ist nötig
und nicht aussichtslos. An ihm zu arbeiten aber ist das
einzige, was in dieser Zeit wirkliche Befriedigung gewähren
kann.



Die Lage in Elsaß-Lothringen.

Mit aller Deutlichkeit hat der Streik in Elsaß-Lothringen
die außerordentliche Unzufriedenheit der Einwohner beider Pro-
vinzen mit der französischen Herrschaft gezeigt. Es war von
vornherein klar ersichtlich, daß es sich nicht um einen Kampf
mit wirtschaftlichen Zielen, sondern um eine politische Auseinan-
dersetzung handelte, die vielfach revolutionären Charakter an-
nahm. Sicherem Einvernehmen nach erklärten sich die lothrin-
gischen Abgeordneten mit dem Streik solidarisch, und auch die
elsaß-lothringische Beamten- und Lehrerschaft stellte sich auf die
Seite der Streikenden.

Es ist heute noch nicht klar ersichtlich, welche politischen Fol-
gen sich insgesamt aus dem Streik ergeben. Der Generalstreik
aber in seiner Wucht und Schärfe bestätigt unsere schon mehrfach
ausgesprochenen Vermutungen, daß ein beträchtlicher Teil der
Elsaß-Lothringer bereits heute wieder offen von Frankreich
wegstrebt. Die Verhaftungen während der Streiktage richteten
sich vornehmlich gegen solche Personen, die neutralistischer Be-
strebungen bezichtigt wurden. Daß sich unter den Anführern des
Streiks auch kommunistische Elemente befanden, ist bei der
heutigen sozialen Lage in fast allen Weltstaaten selbstverständlich.

In den Forderungen der Arbeiter findet sich manch eine
wirtschaftliche Klausel. In der Hauptsache aber sind es solche

23. Mai 1920 Allgemeine Zeitung

greiflich, daß ſie bei guten Löhnen im Unternehmerbetriebe
beſſer fahren als bei mäßigen Bezügen im ſozialen Betriebe.
Ueber die Wirtſchaftsform mögen Cheorie und Praxis ent-
ſcheiden, aus unſeren Beſtrebungen ſcheidet die Frage aus.
Das allſeitige Intereſſe erfordert nur, daß bei allen Maß-
nahmen Vorſicht und Beſonnenheit herrſchen, dieſes um ſo
mehr, als jede Umſtellung mit Opfern verbunden iſt, die
uns jetzt ſchwerer fallen als je.

Wenn es gelingt, dieſe Auffaſſung in Arbeiterkreiſen
zu verbreiten und zu befeſtigen, ſo ſind auch dieſe Arbeiter
natürliche Mitſtreiter für den Aufbau.

Wie aber kann der Aufbau ins Werk geſetzt werden?
Offenſichtlich nur, wenn es gelingt, große Maſſen für ihn zu
gewinnen, Maſſen, die gewillt ſind, ſich zur Geltung zu brin-
gen und ſich nicht ſcheuen dafür zu kämpfen, wann und wo
es nötig iſt. Sind ſie zuſammenzubringen, zuſammenzuhal-
ten und zu Taten zu bewegen? Die heilige Not muß es tun,
die heiße Liebe zu unſerem Vaterland und Volk müſſen hel-
fen. Die Erkenntnis, daß etwas geſchehen müſſe, iſt vor-
handen. Sie findet vielfachen Ausdruck in der Preſſe, faſt
jeder Meinungsaustauſch über unſere Zuſtände endigt da-
mit, ſo könne es nicht weitergehen. Dieſe Erkenntnis muß
zu einem einheitlichen Wollen zuſammenfließen und wie eine
gewaltige Welle durch das ganze Volk gehen. Dies erfordert
eine Organiſation, es iſt aber ſchwierig und koſtſpielig, eine
neue Organiſation zu ſchaffen. Dies führt zu dem Gedanken,
die beſtehenden Organiſationen zu einer Arbeitsgemeinſchaft
zuſammenzufaſſen. Wir haben neben den politiſchen Par-
teien viele Verbände, Vereine und ſonſtige Einrichtungen,
die auf das Volkswohl gerichtet ſind. Sie haben alle ihr
beſonderes Arbeitsgebiet, alle wollen aber der Allgemeinheit
nützen. Es darf angenommen werden, daß die Träger und
Mitglieder dieſer Beſtrebungen nicht verſagen werden,
wenn ſie gerufen werden, dem Volke in ſeiner Schickſals-
ſtunde zu helfen. Indem ſie ſich vereinigen, iſt mit einem
Schlage eine breite Grundlage für die Bewegung gewonnen.
Die zentralen Leitungen ſchließen eine gewaltige Summe
von Einſicht und Erfahrung in ſich, aus ihnen können die
Männer entnommen werden, die berufen ſind, der neuen
Einrichtung mit Rat und Tat die Wege zu weiſen. Die
beſtehenden Organiſationen haben ihre Vertretungen im
ganzen Reiche. Mann kann alſo überall an Beſtehendes an-
knüpfen, den örtlichen Vertretungen fällt die Aufgabe zu,
die großen brachliegenden Kräfte zu mobiliſieren und zu
einem Block zuſammenzuſchließen.

Auf dieſem Wege wird erreicht, daß die Bewegung von
vornherein mit einer ſolchen Wucht auftritt, daß ſie beachtet
werden muß. Es wird die gefährliche Klippe vermieden,
daß die zagenden und zweifelnden Elemente ſich in dem Ge-
danken zurückhalten, es werde doch wohl nichts Rechtes aus
der Sache werden. Man darf hoffen und erwarten, daß von
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das Weitere hängt davon ab, daß ein Arbeitsprogramm ge-
funden wird, das ſie in lebendiger Tätigkeit zuſammenhält.
Hierzu gehört in erſter Linie eine weiſe Selbſtbeſchränkung.
Es muß ausgeſchieden werden, was trennt und Mißtrauen
erregt. Die eigentliche Politik, die Standesangelegenheiten
und die ſozialen Grundfragen werden nicht in Betracht ge-
zogen, wenigſtens nicht unmittelbar. Nur daß die Kardinal-
ſätze des Aufbaues Beachtung finden, wird verlangt. Dieſe
aber ſind Ordnung und Wirtſchaftlichkeit. Nach dieſen Ge-
ſichtspunkten ins öffentliche Leben einzugreifen, erfordert
eine Unſumme von Arbeit und Ueberlegung. Das iſt gut,
denn lebensfähig ſind nur die Gebilde, die eine befriedigende
Tätigkeit entfalten. Der Aufbau will eine Kontrollinſtanz
des öffentlichen Lebens in ſeinen großen Fragen ſein, er
will eine öffentliche Meinung bilden, die auf ſeine For-
derungen eingeſtellt iſt. Deshalb müſſen die Fragen von all-
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Vertretungen zur Erörterung verſtellt werden. Sie wird
durch ihr Organ vorarbeiten, nicht um den Vertretungen
vorzugreifen, ſondern um ihnen das Material zu bringen
und die Punkte, auf die es ankommt, herauszuarbeiten.
Die Beſchlüſſe der Vertretungen laufen bei der Zentrale zu-

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ſammen und werden dort verarbeitet. In dieſer Form geben
ſie Stoff zu neuen Erörterungen. All dies erfordert viel
Geſchicklichkeit und Takt, da das Trennende vermieden, das
Einigende hervorgeholt werden ſoll. Es ſchadet aber auch
nicht, wenn das Ergebnis der Erörterungen im kleinen und
großen Kreiſe nicht immer einheitlich iſt. Auch wenn man
nicht zu einer völligen Einigung kommt, nützt doch eine
von großzügigem Geiſt getragene Erörterung inſofern, als
man lernt, die Gründe des anderen zu würdigen. Hiermit
wird dem Streit ſein Stachel genommen, die Neigung zum
Mißtrauen und zur Verdächtigung der Geſinnung des
Gegners bekämpft, eine Wandlung, die man dem deutſchen
Volke von Herzen wünſchen möchte.

Bei den Beſchlüſſen ſoll es aber nicht bleiben, ſie ſollen
ſich in eine Kritik von der Schärfe, die den Umſtänden ent-
ſpricht, umſetzen. Schonungslos ſoll ſie ſich an den Stellen,
bei denen der Mangel liegt, geltend machen, und aus ihrer
Nichtbeachtung ſollen die nötigen Folgerungen mit dem
Stimmzettel gezogen werden. Alle Veranſtaltungen, die die
Ziele des Aufbaues verfolgen, werden unterſtützt, alle Wah-
len in dieſem Sinne beeinflußt, wobei es nicht auf die Par-
teirichtung des Kandidaten, ſondern auf ſeine Geſinnung an-
kommt.

Eine eifrige und nachhaltige Werbetätigkeit muß ent-
faltet werden. Verſammlungen müſſen abgehalten und der
Kampf mit den Gegnern muß aufgenommen werden. Er
wird vielen wegen der Form, die er anzunehmen pflegt, nicht
liegen, aber um der Sache willen muß die Scheu überwunden
werden. Dies wird dadurch erleichtert, daß der Kämpfer für
den Aufbau immer das moraliſche Uebergewicht hat, denn
er läßt jedem ſeine ſachliche Meinung und vertritt nur,
was Vernunft, Recht und Billigkeit verlangen. Neben dem
öffentlichen Auftreten muß die perſönliche Werbetätigkeit
hergehen. Von den Vertretern des Umſturzes müſſen wir
lernen, daß jedem einzelnen nachgegangen werden muß, na-
mentlich den Arbeitern. Die verſtändigen müſſen angeregt
werden, ſich geltend zu machen, nicht tatenlos beiſeite zu
ſtehen, wenn verborgene Drahtzieher und jugendliche Schreier
die Führung in die Hand nehmen. Sie müſſen ſich nicht
locken laſſen durch den Ruf der Kameradſchaftlichkeit, denn
nicht der Standesgenoſſe, ſondern der Gleichgeſinnte iſt ein
wirklicher Kamerad. Die Gleichgeſinnten aber ſollen ſich
ſammeln und durch Zuſammenſchluß den Terror bekämpfen.

Wir kommen zu dem Ergebnis, daß das Werk des Auf-
baues, ſo groß, ſo ſchwierig und dornenvoll es iſt, um un-
ſeres Volkes willen unternommen werden muß. Es iſt nötig
und nicht ausſichtslos. An ihm zu arbeiten aber iſt das
einzige, was in dieſer Zeit wirkliche Befriedigung gewähren
kann.



Die Lage in Elſaß-Lothringen.

Mit aller Deutlichkeit hat der Streik in Elſaß-Lothringen
die außerordentliche Unzufriedenheit der Einwohner beider Pro-
vinzen mit der franzöſiſchen Herrſchaft gezeigt. Es war von
vornherein klar erſichtlich, daß es ſich nicht um einen Kampf
mit wirtſchaftlichen Zielen, ſondern um eine politiſche Auseinan-
derſetzung handelte, die vielfach revolutionären Charakter an-
nahm. Sicherem Einvernehmen nach erklärten ſich die lothrin-
giſchen Abgeordneten mit dem Streik ſolidariſch, und auch die
elſaß-lothringiſche Beamten- und Lehrerſchaft ſtellte ſich auf die
Seite der Streikenden.

Es iſt heute noch nicht klar erſichtlich, welche politiſchen Fol-
gen ſich insgeſamt aus dem Streik ergeben. Der Generalſtreik
aber in ſeiner Wucht und Schärfe beſtätigt unſere ſchon mehrfach
ausgeſprochenen Vermutungen, daß ein beträchtlicher Teil der
Elſaß-Lothringer bereits heute wieder offen von Frankreich
wegſtrebt. Die Verhaftungen während der Streiktage richteten
ſich vornehmlich gegen ſolche Perſonen, die neutraliſtiſcher Be-
ſtrebungen bezichtigt wurden. Daß ſich unter den Anführern des
Streiks auch kommuniſtiſche Elemente befanden, iſt bei der
heutigen ſozialen Lage in faſt allen Weltſtaaten ſelbſtverſtändlich.

In den Forderungen der Arbeiter findet ſich manch eine
wirtſchaftliche Klauſel. In der Hauptſache aber ſind es ſolche

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[191/0005] 23. Mai 1920 Allgemeine Zeitung greiflich, daß ſie bei guten Löhnen im Unternehmerbetriebe beſſer fahren als bei mäßigen Bezügen im ſozialen Betriebe. Ueber die Wirtſchaftsform mögen Cheorie und Praxis ent- ſcheiden, aus unſeren Beſtrebungen ſcheidet die Frage aus. Das allſeitige Intereſſe erfordert nur, daß bei allen Maß- nahmen Vorſicht und Beſonnenheit herrſchen, dieſes um ſo mehr, als jede Umſtellung mit Opfern verbunden iſt, die uns jetzt ſchwerer fallen als je. Wenn es gelingt, dieſe Auffaſſung in Arbeiterkreiſen zu verbreiten und zu befeſtigen, ſo ſind auch dieſe Arbeiter natürliche Mitſtreiter für den Aufbau. Wie aber kann der Aufbau ins Werk geſetzt werden? Offenſichtlich nur, wenn es gelingt, große Maſſen für ihn zu gewinnen, Maſſen, die gewillt ſind, ſich zur Geltung zu brin- gen und ſich nicht ſcheuen dafür zu kämpfen, wann und wo es nötig iſt. Sind ſie zuſammenzubringen, zuſammenzuhal- ten und zu Taten zu bewegen? Die heilige Not muß es tun, die heiße Liebe zu unſerem Vaterland und Volk müſſen hel- fen. Die Erkenntnis, daß etwas geſchehen müſſe, iſt vor- handen. Sie findet vielfachen Ausdruck in der Preſſe, faſt jeder Meinungsaustauſch über unſere Zuſtände endigt da- mit, ſo könne es nicht weitergehen. Dieſe Erkenntnis muß zu einem einheitlichen Wollen zuſammenfließen und wie eine gewaltige Welle durch das ganze Volk gehen. Dies erfordert eine Organiſation, es iſt aber ſchwierig und koſtſpielig, eine neue Organiſation zu ſchaffen. Dies führt zu dem Gedanken, die beſtehenden Organiſationen zu einer Arbeitsgemeinſchaft zuſammenzufaſſen. Wir haben neben den politiſchen Par- teien viele Verbände, Vereine und ſonſtige Einrichtungen, die auf das Volkswohl gerichtet ſind. Sie haben alle ihr beſonderes Arbeitsgebiet, alle wollen aber der Allgemeinheit nützen. Es darf angenommen werden, daß die Träger und Mitglieder dieſer Beſtrebungen nicht verſagen werden, wenn ſie gerufen werden, dem Volke in ſeiner Schickſals- ſtunde zu helfen. Indem ſie ſich vereinigen, iſt mit einem Schlage eine breite Grundlage für die Bewegung gewonnen. Die zentralen Leitungen ſchließen eine gewaltige Summe von Einſicht und Erfahrung in ſich, aus ihnen können die Männer entnommen werden, die berufen ſind, der neuen Einrichtung mit Rat und Tat die Wege zu weiſen. Die beſtehenden Organiſationen haben ihre Vertretungen im ganzen Reiche. Mann kann alſo überall an Beſtehendes an- knüpfen, den örtlichen Vertretungen fällt die Aufgabe zu, die großen brachliegenden Kräfte zu mobiliſieren und zu einem Block zuſammenzuſchließen. Auf dieſem Wege wird erreicht, daß die Bewegung von vornherein mit einer ſolchen Wucht auftritt, daß ſie beachtet werden muß. Es wird die gefährliche Klippe vermieden, daß die zagenden und zweifelnden Elemente ſich in dem Ge- danken zurückhalten, es werde doch wohl nichts Rechtes aus der Sache werden. Man darf hoffen und erwarten, daß von vornherein anſehnliche Kräfte zuſammengebracht werden, das Weitere hängt davon ab, daß ein Arbeitsprogramm ge- funden wird, das ſie in lebendiger Tätigkeit zuſammenhält. Hierzu gehört in erſter Linie eine weiſe Selbſtbeſchränkung. Es muß ausgeſchieden werden, was trennt und Mißtrauen erregt. Die eigentliche Politik, die Standesangelegenheiten und die ſozialen Grundfragen werden nicht in Betracht ge- zogen, wenigſtens nicht unmittelbar. Nur daß die Kardinal- ſätze des Aufbaues Beachtung finden, wird verlangt. Dieſe aber ſind Ordnung und Wirtſchaftlichkeit. Nach dieſen Ge- ſichtspunkten ins öffentliche Leben einzugreifen, erfordert eine Unſumme von Arbeit und Ueberlegung. Das iſt gut, denn lebensfähig ſind nur die Gebilde, die eine befriedigende Tätigkeit entfalten. Der Aufbau will eine Kontrollinſtanz des öffentlichen Lebens in ſeinen großen Fragen ſein, er will eine öffentliche Meinung bilden, die auf ſeine For- derungen eingeſtellt iſt. Deshalb müſſen die Fragen von all- gemeiner Bedeutung durch die Zentralſtelle den örtlichen Vertretungen zur Erörterung verſtellt werden. Sie wird durch ihr Organ vorarbeiten, nicht um den Vertretungen vorzugreifen, ſondern um ihnen das Material zu bringen und die Punkte, auf die es ankommt, herauszuarbeiten. Die Beſchlüſſe der Vertretungen laufen bei der Zentrale zu- ſammen und werden dort verarbeitet. In dieſer Form geben ſie Stoff zu neuen Erörterungen. All dies erfordert viel Geſchicklichkeit und Takt, da das Trennende vermieden, das Einigende hervorgeholt werden ſoll. Es ſchadet aber auch nicht, wenn das Ergebnis der Erörterungen im kleinen und großen Kreiſe nicht immer einheitlich iſt. Auch wenn man nicht zu einer völligen Einigung kommt, nützt doch eine von großzügigem Geiſt getragene Erörterung inſofern, als man lernt, die Gründe des anderen zu würdigen. Hiermit wird dem Streit ſein Stachel genommen, die Neigung zum Mißtrauen und zur Verdächtigung der Geſinnung des Gegners bekämpft, eine Wandlung, die man dem deutſchen Volke von Herzen wünſchen möchte. Bei den Beſchlüſſen ſoll es aber nicht bleiben, ſie ſollen ſich in eine Kritik von der Schärfe, die den Umſtänden ent- ſpricht, umſetzen. Schonungslos ſoll ſie ſich an den Stellen, bei denen der Mangel liegt, geltend machen, und aus ihrer Nichtbeachtung ſollen die nötigen Folgerungen mit dem Stimmzettel gezogen werden. Alle Veranſtaltungen, die die Ziele des Aufbaues verfolgen, werden unterſtützt, alle Wah- len in dieſem Sinne beeinflußt, wobei es nicht auf die Par- teirichtung des Kandidaten, ſondern auf ſeine Geſinnung an- kommt. Eine eifrige und nachhaltige Werbetätigkeit muß ent- faltet werden. Verſammlungen müſſen abgehalten und der Kampf mit den Gegnern muß aufgenommen werden. Er wird vielen wegen der Form, die er anzunehmen pflegt, nicht liegen, aber um der Sache willen muß die Scheu überwunden werden. Dies wird dadurch erleichtert, daß der Kämpfer für den Aufbau immer das moraliſche Uebergewicht hat, denn er läßt jedem ſeine ſachliche Meinung und vertritt nur, was Vernunft, Recht und Billigkeit verlangen. Neben dem öffentlichen Auftreten muß die perſönliche Werbetätigkeit hergehen. Von den Vertretern des Umſturzes müſſen wir lernen, daß jedem einzelnen nachgegangen werden muß, na- mentlich den Arbeitern. Die verſtändigen müſſen angeregt werden, ſich geltend zu machen, nicht tatenlos beiſeite zu ſtehen, wenn verborgene Drahtzieher und jugendliche Schreier die Führung in die Hand nehmen. Sie müſſen ſich nicht locken laſſen durch den Ruf der Kameradſchaftlichkeit, denn nicht der Standesgenoſſe, ſondern der Gleichgeſinnte iſt ein wirklicher Kamerad. Die Gleichgeſinnten aber ſollen ſich ſammeln und durch Zuſammenſchluß den Terror bekämpfen. Wir kommen zu dem Ergebnis, daß das Werk des Auf- baues, ſo groß, ſo ſchwierig und dornenvoll es iſt, um un- ſeres Volkes willen unternommen werden muß. Es iſt nötig und nicht ausſichtslos. An ihm zu arbeiten aber iſt das einzige, was in dieſer Zeit wirkliche Befriedigung gewähren kann. Die Lage in Elſaß-Lothringen. Mit aller Deutlichkeit hat der Streik in Elſaß-Lothringen die außerordentliche Unzufriedenheit der Einwohner beider Pro- vinzen mit der franzöſiſchen Herrſchaft gezeigt. Es war von vornherein klar erſichtlich, daß es ſich nicht um einen Kampf mit wirtſchaftlichen Zielen, ſondern um eine politiſche Auseinan- derſetzung handelte, die vielfach revolutionären Charakter an- nahm. Sicherem Einvernehmen nach erklärten ſich die lothrin- giſchen Abgeordneten mit dem Streik ſolidariſch, und auch die elſaß-lothringiſche Beamten- und Lehrerſchaft ſtellte ſich auf die Seite der Streikenden. Es iſt heute noch nicht klar erſichtlich, welche politiſchen Fol- gen ſich insgeſamt aus dem Streik ergeben. Der Generalſtreik aber in ſeiner Wucht und Schärfe beſtätigt unſere ſchon mehrfach ausgeſprochenen Vermutungen, daß ein beträchtlicher Teil der Elſaß-Lothringer bereits heute wieder offen von Frankreich wegſtrebt. Die Verhaftungen während der Streiktage richteten ſich vornehmlich gegen ſolche Perſonen, die neutraliſtiſcher Be- ſtrebungen bezichtigt wurden. Daß ſich unter den Anführern des Streiks auch kommuniſtiſche Elemente befanden, iſt bei der heutigen ſozialen Lage in faſt allen Weltſtaaten ſelbſtverſtändlich. In den Forderungen der Arbeiter findet ſich manch eine wirtſchaftliche Klauſel. In der Hauptſache aber ſind es ſolche

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-24T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 20, 23. Mai 1920, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine20_1920/5>, abgerufen am 27.11.2024.