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Allgemeine Zeitung, Nr. 20, 15. Mai 1915.

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15. Mai 1915. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]
Student und krieg.

Die deutschen Hochschulen haben zum zweiten Male in diesem
Weltkrieg ihre Pforten geöffnet, um einem Rest von weiblichen und
männlichen Akademikern die Fortführung ihres Studiums zu er-
möglichen.

Ich sage einem Rest, denn die Studierenden, die im ersten
Kriegssemester ihr Studium fortsetzten oder das Examen beenden
konnten, sind längst zur Front zu ihren deutschen Brüdern geeilt.
Der Nachschub (die Muli) fehlt, weil viele Tausende von Abiturienten
das Muluskleid mit dem Waffenrock vertauscht haben. "Die ruhm-
volle Verödung" der Hörsäle pries der Preußische Kultusminister in
der Tagung des Preußischen Landtages mit hohem Stolz. Die Er-
öffnung der Universität Frankfurt im ersten Kriegssemester war ein
deutscher Sieg, ein Sieg jenes Idealismus, der sich im deutschen
Wesen und in der deutschen Wissenschaft von jeher offenbart hat.

Und heute sind die Hörsäle leerer und leerer geworden, aber die
Professoren freuen sich darüber, sie sind stolz darauf. Stolz auf
Deutschlands akademische Jugend, die die Burschenwehre des
Friedens mit der des Krieges tauschte. Ja, sie ist noch aus demselben
Holz wie die Kommilitonen von 1813, wo Gustav Ad. Salchow
singen konnte:

"Heraus, heraus die Klingen, laßt Roß und Klepper springen,
Der Morgen graut heran, das Tagwerk heb' an! --
Für Vaterland und Ehre erheben wir die Wehre,
Für Hermanns Erb und Gut verspritzen wir das Blut. --
Und keine Wehre rastet, bevor das Land entlastet
Vom Stab der Tyrannei, bis Erd' und Himmel frei. --
Der Teufel soll versinken, die Mannlichkeit soll blinken,
Das Deutsche Reich bestehn bis Erd' und All vergehn!"

Es entsteht bei uns die Frage, wie konnte bei den großen
geistigen Anstrengungen und Anforderungen der heutigen Zeit ein
solcher Geist im Volke gepflegt werden? Wer hat ihn wach gehalten?
Dieses Ruhmesblatt gebührt neben der allgemeinen tiefen häuslichen
Familienerziehung im deutschen Volke der Deutschen Lehrer-
schaft,
vom Volksschullehrer bis hinauf zum Universitätsprofessor.
Sie legten den deutschen Heldengeist als edles Samenkorn in die
Tiefe der Herzen nieder, der, wenn er einmal erweckt wird, als der
gefürchtete furor teutonicus echter Vaterlandsliebe dem Feind ent-
gegenbraust. Ja, diese Lehrmeister können heute stolz auf ihre
Schüler sein, die in so gewaltiger Zahl freiwilligen Heeresdienst
leisten und den eisernen Baculus meisterhaft für uns, für das Vater-
land zu schwingen verstehen. Deshalb gehört in dieser Zeit unser
Denken, Fühlen und Handeln unseren Brüdern im Felde. Wir
wissen, daß die deutsche Wissenschaft eine unserer besten Waffen der
Welt war und sie soll und wird es bleiben -- trotz der Kundgebung
der französischen und englischen Gelehrten, die dem Lügenfeldzug
gegen uns nicht die Stirn, sondern die Hand boten. Welche Un-
summe von Intelligenz arbeitet draußen im Felde in einer Materie,
die ihr gänzlich fremd war. Welche Opfer allein bringt das Volk der
Dichter und Denker im Schützengraben dem Mangel an geistiger
Zerstreuung. Habt Jhr es gelesen, mit welcher Gier die Bücher
und Zeitungen verschlungen werden und wie sie unter dem Einfluß
von Schnee, Regen und Dreck verschmiert, unlesbar werden? Das
ist der "Heißhunger nach geistiger Nahrung", den das Volk der
"blutdürstigen Barbaren" auch noch im Felde bekämpfen muß. Ein
Heißhunger, der von Verlegern, Buchhändlern, Vereinen junger
Kaufleute, dem Roten Kreuz und von vielen Privaten nach Mög-
lichkeit gestillt werden mußte.

Aber ein ganz besonderes Verdienst hat sich in diesem Kriege
ein akademischer Verband um die Kommilitonen im Felde erworben,
das ist ein Verband, der sich bescheiden unter dem Kennwort "Eine
Liebesgabe deutscher Hochschüler" verbirgt: die Deutsche Christ-
liche Studenten-Vereinigung,
die die schöne Idee ihres
rührigen Geschäftsführers, des Herausgebers der "Furche", Dr. G.
Niedermeyer, in die Tat umsetzte. 30,000 Stücke "Deutsche Weih-
nacht" wurden ohne Wahl an die Kommilitonen im Felde versandt
und wanderten dort von Hand zu Hand. Es ist ein eigens für
diesen Zweck geschaffenes Buch mit wertvollem Inhalt, das Beiträge
von Männern verschiedenster Geistesrichtung enthält und wie alle
folgenden Bücher des Furche-Verlages Kassel im Buchhandel er-
schienen ist. Etwa 10,000 Antwortkarten, die dem Büchlein bei-
lagen, waren "der Lohn, der reichlich lohnet" für die Mühe, die
mit Herstellung und Versand verbunden war. In den 10,000 Ant-

[Spaltenumbruch]

wortkarten liegt ein solches Material von Fülle des Denkens, Er-
lebens, des Humors und der Not des Studenten und auch des Nicht-
akademikers vor, wie wir es wohl in keiner Sammelstelle wieder-
finden werden.

Eine wertvolle Auslese dieser Karten bringt das Heft "Der
deutsche Student im Felde". Mit Recht hat die D. C. S. V. aus
diesem Material den Schluß gezogen, daß den geistigen Bedürfnissen
der Kommilitonen und der anderen Brüder im Felde mehr Rech-
nung als bisher getragen werden müsse, -- und ließ die Tat folgen
Sie ist bis jetzt in 50,000 Exemplaren als "Deutscher März", zweite
Liebesgabe deutscher Hochschüler, ins Feld gewandert, mit faksimi-
lierten Geleitworten Adolph Wagners und sämtlicher Hochschul-
rektoren Deutschlands. Und die dritte Liebesgabe soll im Wonne-
monat folgen.

Das sind Taten wahrer christlicher Nächstenliebe! Dank und
Anerkennung diesem Verbande, der die "Liebesgaben deutscher Hoch-
schüler" durchgeführt hat.

Die Ausgaben für die Osterliebesgaben seitens des "Fonds
zur Versendung von Liebesgaben an Dozenten und Studenten", der
auf Anregung der Deutschen Christlichen Studenten-Vereinigung
gegründet ist und den Zweck hat, vor allem geistige Nahrung ins
Feld zu senden, betrugen allein 15,600 Mark. Wenn ich hier einen
Aufruf an Freunde und Gönner dieses Liebeswerkes richte, durch
Geldbeiträge diese Bestrebungen aufs wärmste zu unterstützen (Ge-
schäftsstelle Berlin C. 2, Kleine Museumstraße 5 b), so geschieht das
in dem Bewußtsein der dringenden Notwendigkeit.

Und noch ein Zeichen warmer Nächstenliebe hat der Verband
-- wenn auch wohl durch persönliche Tatkraft seines Geschäftsfüh-
rers -- unternommen. Der Deutschen Christlichen Studenten-Ver-
einigung ist vom Kriegsministerium die geistige Aufklärungsarbeit
vor allem durch geeignete literarische Veröffentlichungen in den
Kriegsgefangenenlagern Deutschlands übertragen worden. Diese
Arbeit geschieht im Zusammenhange mit einer großzügigen Hilfs-
aktion seitens der amerikanischen christlichen Vereine junger Männer,
die eine geeignete Versorgung und Hilfeleistung für alle in unserem
Land wie in den feindlichen Ländern befindlichen Kriegsgefange-
nen ins Auge gefaßt hat. Es ist zu hoffen, daß die Zulassung
dieser Arbeit seitens des Kriegsministeriums bei uns eine durch-
greifende Besserung der Lage unserer Brüder in den anderen Län-
dern, vor allem in Rußland, erwirkt. Am Donnerstag, den
15. April, fand die Einweihung eines den Verhältnissen angepaßten
Versammlungshauses, das in erster Linie Vortrags- und Lehrzwecken
dient, in Göttingen statt. Der spanische Botschafter und eine
Vertretung des amerikanischen waren erschienen.

Und ein anderes Wunder hat der Krieg gezeitigt. Es ist der
Zusammenschluß der gesamten deutschen Studentenschaft im "Aka-
demischen Hilfsbund",
der am 8. April im Reichstagsge-
bäude gegründet wurde. Trat schon in der Sonderausstellung
"Der Student" auf der Leipziger Weltausstellung im letzten Jahre
eine gewisse Einmütigkeit zutage, so hat sich diese Einmütigkeit durch
Gründung des Akademischen Hilfsbundes, dessen Gedanke die Deut-
sche Burschenschaft gebar, dauernd gefestigt und es besteht die Hoff-
nung, daß diese Bestrebungen, die jetzt der Fürsorge für kriegs-
beschädigte Akademiker gelten, den Krieg und die Folgezeit über-
dauern, und daß andere Probleme, die sonst an der Zerrissenheit
der studentischen Lager scheitern würde, schnellere und größere Er-
folge zeitigen.

Schwere Opfer fordert der Krieg. Mancher Kommilitone wird
seine Alma mater nicht wiedersehen, viele werden gebrochen in
der Jugendkraft, teilweise verstümmelt, in die Heimat zurückkehren
und in Grübeleien über ihre vernichtete Zukunft verfallen wollen.
Das sollen sie nicht! Da setzt der Hilfsbund ein, der es sich
zur heiligen Ehrenpflicht gemacht hat, den Akademikern zu helfen,
die infolge ihrer erlittenen Beschädigung der Beratung oder Unter-
stützung für ihre weitere Bildung oder künftige Erwerbstätigkeit
bedürfen. Der akademische Mittelstand nimmt damit selbst die Opfer
auf sich, entlastet die staatliche Fürsorge um einen Teil der Dankes-
schuld und unterstützt dadurch den Staat, so daß dieser mehr Auf-
merksamkeit und Fürsorge den anderen Berufsarten zuwenden kann.
Der Akademische Hilfsbund fördert und gönnt jedem Stande das
Seine. Jhn treiben nicht Absonderungswünsche oder Standes-
dünkel, ihn treibt das Gefühl der Pflicht, diese besonderen Nöte
nicht anderen aufzuladen, sondern sie in treuer Gemeinschaft zu
tragen. Er fordert deshalb alle Akademiker und Gönner in einem
Aufruf, der von Mitgliedern aller Parteien der Volksvertretung,
der Geistlichkeit, der Behörden, von Männern der Kunst und Wissen-

15. Mai 1915. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]
Student und krieg.

Die deutſchen Hochſchulen haben zum zweiten Male in dieſem
Weltkrieg ihre Pforten geöffnet, um einem Reſt von weiblichen und
männlichen Akademikern die Fortführung ihres Studiums zu er-
möglichen.

Ich ſage einem Reſt, denn die Studierenden, die im erſten
Kriegsſemeſter ihr Studium fortſetzten oder das Examen beenden
konnten, ſind längſt zur Front zu ihren deutſchen Brüdern geeilt.
Der Nachſchub (die Muli) fehlt, weil viele Tauſende von Abiturienten
das Muluskleid mit dem Waffenrock vertauſcht haben. „Die ruhm-
volle Verödung“ der Hörſäle pries der Preußiſche Kultusminiſter in
der Tagung des Preußiſchen Landtages mit hohem Stolz. Die Er-
öffnung der Univerſität Frankfurt im erſten Kriegsſemeſter war ein
deutſcher Sieg, ein Sieg jenes Idealismus, der ſich im deutſchen
Weſen und in der deutſchen Wiſſenſchaft von jeher offenbart hat.

Und heute ſind die Hörſäle leerer und leerer geworden, aber die
Profeſſoren freuen ſich darüber, ſie ſind ſtolz darauf. Stolz auf
Deutſchlands akademiſche Jugend, die die Burſchenwehre des
Friedens mit der des Krieges tauſchte. Ja, ſie iſt noch aus demſelben
Holz wie die Kommilitonen von 1813, wo Guſtav Ad. Salchow
ſingen konnte:

„Heraus, heraus die Klingen, laßt Roß und Klepper ſpringen,
Der Morgen graut heran, das Tagwerk heb’ an! —
Für Vaterland und Ehre erheben wir die Wehre,
Für Hermanns Erb und Gut verſpritzen wir das Blut. —
Und keine Wehre raſtet, bevor das Land entlaſtet
Vom Stab der Tyrannei, bis Erd’ und Himmel frei. —
Der Teufel ſoll verſinken, die Mannlichkeit ſoll blinken,
Das Deutſche Reich beſtehn bis Erd’ und All vergehn!“

Es entſteht bei uns die Frage, wie konnte bei den großen
geiſtigen Anſtrengungen und Anforderungen der heutigen Zeit ein
ſolcher Geiſt im Volke gepflegt werden? Wer hat ihn wach gehalten?
Dieſes Ruhmesblatt gebührt neben der allgemeinen tiefen häuslichen
Familienerziehung im deutſchen Volke der Deutſchen Lehrer-
ſchaft,
vom Volksſchullehrer bis hinauf zum Univerſitätsprofeſſor.
Sie legten den deutſchen Heldengeiſt als edles Samenkorn in die
Tiefe der Herzen nieder, der, wenn er einmal erweckt wird, als der
gefürchtete furor teutonicus echter Vaterlandsliebe dem Feind ent-
gegenbrauſt. Ja, dieſe Lehrmeiſter können heute ſtolz auf ihre
Schüler ſein, die in ſo gewaltiger Zahl freiwilligen Heeresdienſt
leiſten und den eiſernen Baculus meiſterhaft für uns, für das Vater-
land zu ſchwingen verſtehen. Deshalb gehört in dieſer Zeit unſer
Denken, Fühlen und Handeln unſeren Brüdern im Felde. Wir
wiſſen, daß die deutſche Wiſſenſchaft eine unſerer beſten Waffen der
Welt war und ſie ſoll und wird es bleiben — trotz der Kundgebung
der franzöſiſchen und engliſchen Gelehrten, die dem Lügenfeldzug
gegen uns nicht die Stirn, ſondern die Hand boten. Welche Un-
ſumme von Intelligenz arbeitet draußen im Felde in einer Materie,
die ihr gänzlich fremd war. Welche Opfer allein bringt das Volk der
Dichter und Denker im Schützengraben dem Mangel an geiſtiger
Zerſtreuung. Habt Jhr es geleſen, mit welcher Gier die Bücher
und Zeitungen verſchlungen werden und wie ſie unter dem Einfluß
von Schnee, Regen und Dreck verſchmiert, unlesbar werden? Das
iſt der „Heißhunger nach geiſtiger Nahrung“, den das Volk der
„blutdürſtigen Barbaren“ auch noch im Felde bekämpfen muß. Ein
Heißhunger, der von Verlegern, Buchhändlern, Vereinen junger
Kaufleute, dem Roten Kreuz und von vielen Privaten nach Mög-
lichkeit geſtillt werden mußte.

Aber ein ganz beſonderes Verdienſt hat ſich in dieſem Kriege
ein akademiſcher Verband um die Kommilitonen im Felde erworben,
das iſt ein Verband, der ſich beſcheiden unter dem Kennwort „Eine
Liebesgabe deutſcher Hochſchüler“ verbirgt: die Deutſche Chriſt-
liche Studenten-Vereinigung,
die die ſchöne Idee ihres
rührigen Geſchäftsführers, des Herausgebers der „Furche“, Dr. G.
Niedermeyer, in die Tat umſetzte. 30,000 Stücke „Deutſche Weih-
nacht“ wurden ohne Wahl an die Kommilitonen im Felde verſandt
und wanderten dort von Hand zu Hand. Es iſt ein eigens für
dieſen Zweck geſchaffenes Buch mit wertvollem Inhalt, das Beiträge
von Männern verſchiedenſter Geiſtesrichtung enthält und wie alle
folgenden Bücher des Furche-Verlages Kaſſel im Buchhandel er-
ſchienen iſt. Etwa 10,000 Antwortkarten, die dem Büchlein bei-
lagen, waren „der Lohn, der reichlich lohnet“ für die Mühe, die
mit Herſtellung und Verſand verbunden war. In den 10,000 Ant-

[Spaltenumbruch]

wortkarten liegt ein ſolches Material von Fülle des Denkens, Er-
lebens, des Humors und der Not des Studenten und auch des Nicht-
akademikers vor, wie wir es wohl in keiner Sammelſtelle wieder-
finden werden.

Eine wertvolle Ausleſe dieſer Karten bringt das Heft „Der
deutſche Student im Felde“. Mit Recht hat die D. C. S. V. aus
dieſem Material den Schluß gezogen, daß den geiſtigen Bedürfniſſen
der Kommilitonen und der anderen Brüder im Felde mehr Rech-
nung als bisher getragen werden müſſe, — und ließ die Tat folgen
Sie iſt bis jetzt in 50,000 Exemplaren als „Deutſcher März“, zweite
Liebesgabe deutſcher Hochſchüler, ins Feld gewandert, mit fakſimi-
lierten Geleitworten Adolph Wagners und ſämtlicher Hochſchul-
rektoren Deutſchlands. Und die dritte Liebesgabe ſoll im Wonne-
monat folgen.

Das ſind Taten wahrer chriſtlicher Nächſtenliebe! Dank und
Anerkennung dieſem Verbande, der die „Liebesgaben deutſcher Hoch-
ſchüler“ durchgeführt hat.

Die Ausgaben für die Oſterliebesgaben ſeitens des „Fonds
zur Verſendung von Liebesgaben an Dozenten und Studenten“, der
auf Anregung der Deutſchen Chriſtlichen Studenten-Vereinigung
gegründet iſt und den Zweck hat, vor allem geiſtige Nahrung ins
Feld zu ſenden, betrugen allein 15,600 Mark. Wenn ich hier einen
Aufruf an Freunde und Gönner dieſes Liebeswerkes richte, durch
Geldbeiträge dieſe Beſtrebungen aufs wärmſte zu unterſtützen (Ge-
ſchäftsſtelle Berlin C. 2, Kleine Muſeumſtraße 5 b), ſo geſchieht das
in dem Bewußtſein der dringenden Notwendigkeit.

Und noch ein Zeichen warmer Nächſtenliebe hat der Verband
— wenn auch wohl durch perſönliche Tatkraft ſeines Geſchäftsfüh-
rers — unternommen. Der Deutſchen Chriſtlichen Studenten-Ver-
einigung iſt vom Kriegsminiſterium die geiſtige Aufklärungsarbeit
vor allem durch geeignete literariſche Veröffentlichungen in den
Kriegsgefangenenlagern Deutſchlands übertragen worden. Dieſe
Arbeit geſchieht im Zuſammenhange mit einer großzügigen Hilfs-
aktion ſeitens der amerikaniſchen chriſtlichen Vereine junger Männer,
die eine geeignete Verſorgung und Hilfeleiſtung für alle in unſerem
Land wie in den feindlichen Ländern befindlichen Kriegsgefange-
nen ins Auge gefaßt hat. Es iſt zu hoffen, daß die Zulaſſung
dieſer Arbeit ſeitens des Kriegsminiſteriums bei uns eine durch-
greifende Beſſerung der Lage unſerer Brüder in den anderen Län-
dern, vor allem in Rußland, erwirkt. Am Donnerstag, den
15. April, fand die Einweihung eines den Verhältniſſen angepaßten
Verſammlungshauſes, das in erſter Linie Vortrags- und Lehrzwecken
dient, in Göttingen ſtatt. Der ſpaniſche Botſchafter und eine
Vertretung des amerikaniſchen waren erſchienen.

Und ein anderes Wunder hat der Krieg gezeitigt. Es iſt der
Zuſammenſchluß der geſamten deutſchen Studentenſchaft im „Aka-
demiſchen Hilfsbund“,
der am 8. April im Reichstagsge-
bäude gegründet wurde. Trat ſchon in der Sonderausſtellung
„Der Student“ auf der Leipziger Weltausſtellung im letzten Jahre
eine gewiſſe Einmütigkeit zutage, ſo hat ſich dieſe Einmütigkeit durch
Gründung des Akademiſchen Hilfsbundes, deſſen Gedanke die Deut-
ſche Burſchenſchaft gebar, dauernd gefeſtigt und es beſteht die Hoff-
nung, daß dieſe Beſtrebungen, die jetzt der Fürſorge für kriegs-
beſchädigte Akademiker gelten, den Krieg und die Folgezeit über-
dauern, und daß andere Probleme, die ſonſt an der Zerriſſenheit
der ſtudentiſchen Lager ſcheitern würde, ſchnellere und größere Er-
folge zeitigen.

Schwere Opfer fordert der Krieg. Mancher Kommilitone wird
ſeine Alma mater nicht wiederſehen, viele werden gebrochen in
der Jugendkraft, teilweiſe verſtümmelt, in die Heimat zurückkehren
und in Grübeleien über ihre vernichtete Zukunft verfallen wollen.
Das ſollen ſie nicht! Da ſetzt der Hilfsbund ein, der es ſich
zur heiligen Ehrenpflicht gemacht hat, den Akademikern zu helfen,
die infolge ihrer erlittenen Beſchädigung der Beratung oder Unter-
ſtützung für ihre weitere Bildung oder künftige Erwerbstätigkeit
bedürfen. Der akademiſche Mittelſtand nimmt damit ſelbſt die Opfer
auf ſich, entlaſtet die ſtaatliche Fürſorge um einen Teil der Dankes-
ſchuld und unterſtützt dadurch den Staat, ſo daß dieſer mehr Auf-
merkſamkeit und Fürſorge den anderen Berufsarten zuwenden kann.
Der Akademiſche Hilfsbund fördert und gönnt jedem Stande das
Seine. Jhn treiben nicht Abſonderungswünſche oder Standes-
dünkel, ihn treibt das Gefühl der Pflicht, dieſe beſonderen Nöte
nicht anderen aufzuladen, ſondern ſie in treuer Gemeinſchaft zu
tragen. Er fordert deshalb alle Akademiker und Gönner in einem
Aufruf, der von Mitgliedern aller Parteien der Volksvertretung,
der Geiſtlichkeit, der Behörden, von Männern der Kunſt und Wiſſen-

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[295/0009] 15. Mai 1915. Allgemeine Zeitung Student und krieg. Von Dr. E. Uetrecht. Die deutſchen Hochſchulen haben zum zweiten Male in dieſem Weltkrieg ihre Pforten geöffnet, um einem Reſt von weiblichen und männlichen Akademikern die Fortführung ihres Studiums zu er- möglichen. Ich ſage einem Reſt, denn die Studierenden, die im erſten Kriegsſemeſter ihr Studium fortſetzten oder das Examen beenden konnten, ſind längſt zur Front zu ihren deutſchen Brüdern geeilt. Der Nachſchub (die Muli) fehlt, weil viele Tauſende von Abiturienten das Muluskleid mit dem Waffenrock vertauſcht haben. „Die ruhm- volle Verödung“ der Hörſäle pries der Preußiſche Kultusminiſter in der Tagung des Preußiſchen Landtages mit hohem Stolz. Die Er- öffnung der Univerſität Frankfurt im erſten Kriegsſemeſter war ein deutſcher Sieg, ein Sieg jenes Idealismus, der ſich im deutſchen Weſen und in der deutſchen Wiſſenſchaft von jeher offenbart hat. Und heute ſind die Hörſäle leerer und leerer geworden, aber die Profeſſoren freuen ſich darüber, ſie ſind ſtolz darauf. Stolz auf Deutſchlands akademiſche Jugend, die die Burſchenwehre des Friedens mit der des Krieges tauſchte. Ja, ſie iſt noch aus demſelben Holz wie die Kommilitonen von 1813, wo Guſtav Ad. Salchow ſingen konnte: „Heraus, heraus die Klingen, laßt Roß und Klepper ſpringen, Der Morgen graut heran, das Tagwerk heb’ an! — Für Vaterland und Ehre erheben wir die Wehre, Für Hermanns Erb und Gut verſpritzen wir das Blut. — Und keine Wehre raſtet, bevor das Land entlaſtet Vom Stab der Tyrannei, bis Erd’ und Himmel frei. — Der Teufel ſoll verſinken, die Mannlichkeit ſoll blinken, Das Deutſche Reich beſtehn bis Erd’ und All vergehn!“ Es entſteht bei uns die Frage, wie konnte bei den großen geiſtigen Anſtrengungen und Anforderungen der heutigen Zeit ein ſolcher Geiſt im Volke gepflegt werden? Wer hat ihn wach gehalten? Dieſes Ruhmesblatt gebührt neben der allgemeinen tiefen häuslichen Familienerziehung im deutſchen Volke der Deutſchen Lehrer- ſchaft, vom Volksſchullehrer bis hinauf zum Univerſitätsprofeſſor. Sie legten den deutſchen Heldengeiſt als edles Samenkorn in die Tiefe der Herzen nieder, der, wenn er einmal erweckt wird, als der gefürchtete furor teutonicus echter Vaterlandsliebe dem Feind ent- gegenbrauſt. Ja, dieſe Lehrmeiſter können heute ſtolz auf ihre Schüler ſein, die in ſo gewaltiger Zahl freiwilligen Heeresdienſt leiſten und den eiſernen Baculus meiſterhaft für uns, für das Vater- land zu ſchwingen verſtehen. Deshalb gehört in dieſer Zeit unſer Denken, Fühlen und Handeln unſeren Brüdern im Felde. Wir wiſſen, daß die deutſche Wiſſenſchaft eine unſerer beſten Waffen der Welt war und ſie ſoll und wird es bleiben — trotz der Kundgebung der franzöſiſchen und engliſchen Gelehrten, die dem Lügenfeldzug gegen uns nicht die Stirn, ſondern die Hand boten. Welche Un- ſumme von Intelligenz arbeitet draußen im Felde in einer Materie, die ihr gänzlich fremd war. Welche Opfer allein bringt das Volk der Dichter und Denker im Schützengraben dem Mangel an geiſtiger Zerſtreuung. Habt Jhr es geleſen, mit welcher Gier die Bücher und Zeitungen verſchlungen werden und wie ſie unter dem Einfluß von Schnee, Regen und Dreck verſchmiert, unlesbar werden? Das iſt der „Heißhunger nach geiſtiger Nahrung“, den das Volk der „blutdürſtigen Barbaren“ auch noch im Felde bekämpfen muß. Ein Heißhunger, der von Verlegern, Buchhändlern, Vereinen junger Kaufleute, dem Roten Kreuz und von vielen Privaten nach Mög- lichkeit geſtillt werden mußte. Aber ein ganz beſonderes Verdienſt hat ſich in dieſem Kriege ein akademiſcher Verband um die Kommilitonen im Felde erworben, das iſt ein Verband, der ſich beſcheiden unter dem Kennwort „Eine Liebesgabe deutſcher Hochſchüler“ verbirgt: die Deutſche Chriſt- liche Studenten-Vereinigung, die die ſchöne Idee ihres rührigen Geſchäftsführers, des Herausgebers der „Furche“, Dr. G. Niedermeyer, in die Tat umſetzte. 30,000 Stücke „Deutſche Weih- nacht“ wurden ohne Wahl an die Kommilitonen im Felde verſandt und wanderten dort von Hand zu Hand. Es iſt ein eigens für dieſen Zweck geſchaffenes Buch mit wertvollem Inhalt, das Beiträge von Männern verſchiedenſter Geiſtesrichtung enthält und wie alle folgenden Bücher des Furche-Verlages Kaſſel im Buchhandel er- ſchienen iſt. Etwa 10,000 Antwortkarten, die dem Büchlein bei- lagen, waren „der Lohn, der reichlich lohnet“ für die Mühe, die mit Herſtellung und Verſand verbunden war. In den 10,000 Ant- wortkarten liegt ein ſolches Material von Fülle des Denkens, Er- lebens, des Humors und der Not des Studenten und auch des Nicht- akademikers vor, wie wir es wohl in keiner Sammelſtelle wieder- finden werden. Eine wertvolle Ausleſe dieſer Karten bringt das Heft „Der deutſche Student im Felde“. Mit Recht hat die D. C. S. V. aus dieſem Material den Schluß gezogen, daß den geiſtigen Bedürfniſſen der Kommilitonen und der anderen Brüder im Felde mehr Rech- nung als bisher getragen werden müſſe, — und ließ die Tat folgen Sie iſt bis jetzt in 50,000 Exemplaren als „Deutſcher März“, zweite Liebesgabe deutſcher Hochſchüler, ins Feld gewandert, mit fakſimi- lierten Geleitworten Adolph Wagners und ſämtlicher Hochſchul- rektoren Deutſchlands. Und die dritte Liebesgabe ſoll im Wonne- monat folgen. Das ſind Taten wahrer chriſtlicher Nächſtenliebe! Dank und Anerkennung dieſem Verbande, der die „Liebesgaben deutſcher Hoch- ſchüler“ durchgeführt hat. Die Ausgaben für die Oſterliebesgaben ſeitens des „Fonds zur Verſendung von Liebesgaben an Dozenten und Studenten“, der auf Anregung der Deutſchen Chriſtlichen Studenten-Vereinigung gegründet iſt und den Zweck hat, vor allem geiſtige Nahrung ins Feld zu ſenden, betrugen allein 15,600 Mark. Wenn ich hier einen Aufruf an Freunde und Gönner dieſes Liebeswerkes richte, durch Geldbeiträge dieſe Beſtrebungen aufs wärmſte zu unterſtützen (Ge- ſchäftsſtelle Berlin C. 2, Kleine Muſeumſtraße 5 b), ſo geſchieht das in dem Bewußtſein der dringenden Notwendigkeit. Und noch ein Zeichen warmer Nächſtenliebe hat der Verband — wenn auch wohl durch perſönliche Tatkraft ſeines Geſchäftsfüh- rers — unternommen. Der Deutſchen Chriſtlichen Studenten-Ver- einigung iſt vom Kriegsminiſterium die geiſtige Aufklärungsarbeit vor allem durch geeignete literariſche Veröffentlichungen in den Kriegsgefangenenlagern Deutſchlands übertragen worden. Dieſe Arbeit geſchieht im Zuſammenhange mit einer großzügigen Hilfs- aktion ſeitens der amerikaniſchen chriſtlichen Vereine junger Männer, die eine geeignete Verſorgung und Hilfeleiſtung für alle in unſerem Land wie in den feindlichen Ländern befindlichen Kriegsgefange- nen ins Auge gefaßt hat. Es iſt zu hoffen, daß die Zulaſſung dieſer Arbeit ſeitens des Kriegsminiſteriums bei uns eine durch- greifende Beſſerung der Lage unſerer Brüder in den anderen Län- dern, vor allem in Rußland, erwirkt. Am Donnerstag, den 15. April, fand die Einweihung eines den Verhältniſſen angepaßten Verſammlungshauſes, das in erſter Linie Vortrags- und Lehrzwecken dient, in Göttingen ſtatt. Der ſpaniſche Botſchafter und eine Vertretung des amerikaniſchen waren erſchienen. Und ein anderes Wunder hat der Krieg gezeitigt. Es iſt der Zuſammenſchluß der geſamten deutſchen Studentenſchaft im „Aka- demiſchen Hilfsbund“, der am 8. April im Reichstagsge- bäude gegründet wurde. Trat ſchon in der Sonderausſtellung „Der Student“ auf der Leipziger Weltausſtellung im letzten Jahre eine gewiſſe Einmütigkeit zutage, ſo hat ſich dieſe Einmütigkeit durch Gründung des Akademiſchen Hilfsbundes, deſſen Gedanke die Deut- ſche Burſchenſchaft gebar, dauernd gefeſtigt und es beſteht die Hoff- nung, daß dieſe Beſtrebungen, die jetzt der Fürſorge für kriegs- beſchädigte Akademiker gelten, den Krieg und die Folgezeit über- dauern, und daß andere Probleme, die ſonſt an der Zerriſſenheit der ſtudentiſchen Lager ſcheitern würde, ſchnellere und größere Er- folge zeitigen. Schwere Opfer fordert der Krieg. Mancher Kommilitone wird ſeine Alma mater nicht wiederſehen, viele werden gebrochen in der Jugendkraft, teilweiſe verſtümmelt, in die Heimat zurückkehren und in Grübeleien über ihre vernichtete Zukunft verfallen wollen. Das ſollen ſie nicht! Da ſetzt der Hilfsbund ein, der es ſich zur heiligen Ehrenpflicht gemacht hat, den Akademikern zu helfen, die infolge ihrer erlittenen Beſchädigung der Beratung oder Unter- ſtützung für ihre weitere Bildung oder künftige Erwerbstätigkeit bedürfen. Der akademiſche Mittelſtand nimmt damit ſelbſt die Opfer auf ſich, entlaſtet die ſtaatliche Fürſorge um einen Teil der Dankes- ſchuld und unterſtützt dadurch den Staat, ſo daß dieſer mehr Auf- merkſamkeit und Fürſorge den anderen Berufsarten zuwenden kann. Der Akademiſche Hilfsbund fördert und gönnt jedem Stande das Seine. Jhn treiben nicht Abſonderungswünſche oder Standes- dünkel, ihn treibt das Gefühl der Pflicht, dieſe beſonderen Nöte nicht anderen aufzuladen, ſondern ſie in treuer Gemeinſchaft zu tragen. Er fordert deshalb alle Akademiker und Gönner in einem Aufruf, der von Mitgliedern aller Parteien der Volksvertretung, der Geiſtlichkeit, der Behörden, von Männern der Kunſt und Wiſſen-

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-24T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 20, 15. Mai 1915, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine20_1915/9>, abgerufen am 23.11.2024.