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Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 9. Mai 1920.

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Allgemeine Zeitung 9. Mai 1920
[Spaltenumbruch] Interesse. Diese Politisierung, die der Zivilisationsliterat
mit allen Mitteln und Mächten erstrebt und die den Men-
schen nicht einmal geistig-seelisch sich selbst gehören lassen
will, macht den Geschäftsgeist zum Lebensinhalt des Men-
schen, den internationalen Geschäftsgeist, und löst den Deut-
schen vollends los von all seinen Bindungen der Rasse und
des Bodens. Thomas Mann tritt nicht als Bekämpfer der
Demokratie an sich auf, sondern als Feind der Politisierung,
als Verteidiger der deutschen Seele und Innerlichkeit, als
ein wesenhaft Deutscher, der noch höhere als nur politische
Ziele und Beschäftigungen, Sphären und Inhalte kennt: die
Gebiete des nationalen Universalismus, die Gebiete des
deutschen Geistes und der deutschen Seele. Die ganze ethische
Persönlichkeit Thomas Manns setzte sich hier für deutsche
Art und Gesittung ein mit unerschütterlichem Mut und
offenster Mannhaftigkeit, sich bekennend zur menschlichen
Lebenssphäre, die das Gebiet der Kunst und Religion um-
faßt. Kunst und Fortschritt, Kunst und Freiheit blieben ihm
ewig heretogene Begriffe, denn immer auillt Kunst ihm nur
rein aus der Quelle der Menschlichkeit, der Ehrfurcht und
Heiligkeit, Demut und Seelenhaftigkeit, der Arbeit an sich
selbst; Stille und Tiefe sind die Mutter der Kunst, nie der
Lärm des Tages und die Tendenz der Politik. Thomas
Mann schloß sich mit seinen "Betrachtungen" an das Goethe-
sche Deutschland an, weil seine Natur diesen Anschluß ver-
langte. Vorbereitet war dieser Anschluß schon in "Königliche
Hoheit". Vollends bewiesen ihn die letzten Früchte seines
hünstlerischen Schaffens, die Idyllen "Ver Herr und der
Hund
" und "Gesang vom Kindchen".

Zuflucht aus dem niederdrückenden Lärm des Tages,
aus der blutgetränkten Not der Zeit begehrte des Dichters
Seele. Sie hatte sich einen Bezirk geschaffen, wo sie ungestört
dem Augenblick und dem Elementaren, der Innerlichkeit
und dem eigenen Ich gehören konnte. In ihre Beziehungen
zu der Natur, wie sie sich gab im Wesen seines Hundes und
in ihre Liebe zum rein Menschlichen, wie sie sich gab im
ersten Lallen des noch ungetauften Kindchens, konnte keine
Macht eingreifen: hier war der Dichter ganz und ungestört
Erlebender und ganz Einsamer, Idylliker des vorüberflie-
ßenden Augenblicks "Hermann und Dorothea"-Stimmungen
fingen sich hier ein.

Mit kleiner, fein humoristischer Selbstverspottung wird
die Liebe zu seinem Hunde und zum Leben mit ihm auf den
Spaziergängen, in der Landschaft des Isartales, im Hause
und um das Haus herum gezeichnet voll hingebender Treue,
mit inniger Andacht zum kleinsten, mit einer Stifterschen
Erhebung des Alltäglichen ins Bedeutende, mit einer bieder-
meierschen umständlichen Wichtigtuerei und reservierter Auf-
richtigkeit des tieferen Empfindens. Hier hat sich ein sensi-
tiver Mensch mit Gbsicht in eine problemfreie Atmosphäre
gerettet, weil ihm das wirkliche Leben ein großes Leid voll
erschütternder Tragik beschert. Die harmonische Heiterkeit
der Idylle, dieser Friede auf den Spaziergängen ist gewollt
mit aller geistigen Energie: es ist ein Zeugnis von der
Größe Thomas Mannscher Gestaltungskraft, daß sich diese
gewollte Idyllenwelt in eine selbstverständliche und wirklich
lebendige umsetzt. Die Konzentrationsfähigkeit dieses Dich-
ters grenzt Ich und Welt scharf und glaubhaft voneinander
ab und stellt eine in sich abgeschlossene Welt hin, die erlöst
für Stunden von der Qual der Zeit, weil sie aufgehen läßt
in peinlichst genaue Beobachtung, die Selbstgenuß bedeutet.

Stärker klopft die Zeit schon wieder an die Kinder-
zimmertür, die der Dichter in dem kleinen "Gesang vom
Kindchen
" öffnet, Lässige Hexameter bestimmen den leis
elegischen Ton eines doch tief glücklichen Erlebens am klei-
nen Spätling, den die Vaterliebe des erwachsenen Mannes
mit anderen Augen als einst der jünglingshaften Leiden-
schaft wie ein Geschenk der Gnade ansieht. Ganz persönlich
tritt der Dichter in Erscheinung: an der Badewanne des eben
erwachten Wesens, am Krankenbette, bei der Taufe. Und
hin und wieder schallt ein Klang aus wirrer Zeit von drau-
ßen ins helle, reinliche Säuglingszimmer. Der Dichter fand
den Ausdrucksstil für diese beseelte Welt, die einzige, die
heute unangetastetes Eigentum des einzelnen bleibt.

[Spaltenumbruch]

An diesen Idyllen war Thomas Manns gesamte Natur
ebenso stark beteiligt wie an den gedanklich und künstlerisch
umfassenderen Werken: alle Kräfte seines Wesens mitarbei-
ten lassen beim schöpferischen Akt in völliger Bewußtheit
und in willenmäßig bestimmtem Streben zur Form ist ihm
Pflicht der Aufrichtigkeit, bedeutet ihm ethische Erfüllung
seines Seins. Die Naivität des Stoffes kann doch nie eine
Naivität des Formungsweges zulassen. Gefühl und Verstand
arbeiten Hand in Hand, und nur das vom Verstand ver-
objektivierte Empfinden wird Kunstwerk, Erkennen, Beob-
achten, Erleben bleiben die Grundlagen Thomas Mannscher
Schöpfungen. Der Wille, das Erkannte, Beobachtete, Erlebte
in letzter Wahrhaftigkeit zu gestalten, nacherkennbar, mit-
beobachtbar, nacherlebbar, bestimmt die Form. Einer Syn-
these von Kunst und Wissenschaft strebt dieser Dichter ent-
gegen: im Gehalt wie in der Form sollen die in beiden
menschlichen Geistesgebieten tätigen Kräfte voll mitwirken.
Schönheit und Wahrheit bleiben sein Ziel. Er bleibt stets
ästhetischer und ethischer Mensch zugleich. Und oft ist uns,
als habe Thomas Mann die Synthese beider schon erreicht.
Noch nicht im Bedeutendsten, was von diesem Dichter er-
wartet werden muß. Nach all den reifen Schöpfungen seiner
Meisterschaft, als Epiker, der in früher Selbsterkenntnis sich
nie an ihm wesensfremde Kunstformen verschwendete, stehen
wir doch noch mit dem Blick auf zukünftige Werke vor ihm.
Wir erhoffen von ihm noch das Kunstwerk der Zeit. Die
große Tat, die befreiend und menschheitsfördernd zugleich
wirkt. Ueberall liegen die Ansätze dazu verstreut: sie sind
in stetem Wachsen. Nirgends fehlen Ernst und Zucht, Ein-
sicht und Maß, Wille und Vermögen, der ihm gestellten Auf-
gabe gerecht zu werden: über Flaubertsches Künstlertum
hinauszuwachsen zur Lebens- und Kunstbewältigung im
Goetheschen Sinne.

Bayerisches Nationalmuseum.

Ausstellung der Neuerwerbungen in den Jahren 1917--1919.

Unter vielfach erschwerenden Umständen und mit recht be-
schränkten Mitteln ist es Direktor Ph. M. Halm gelungen, dem
Nationalmuseum zum Teil hochwertige Objekte, besonders der
Groß- und Kleinplastik, zuzuführen. Neben dem staatlichen Zu-
schuß von nur 90,000 M verstand es Direktor Halm, manchen
uneigennützigen Spender oder Stifter zur Bereicherung der
Sammlung zu gewinnen.

Die Großplastik fällt zunächst durch eine Maria mit dem
Kind -- wahrscheinlich von Gregor Erhart, dem Meister des
Blaubeurer Hochaltars, um 1510 auf, in der sich Spätgotik und
Renaissance glücklich berühren. Auch der Tiroler Stephanus,
1450--1460, hat in seiner kraftvoll-rassigen Art Qualität. Eind
Nachbildung des Gnadenbildes der Wallfahrtskirche Bogenberg
in Niederbayern, um 1520, gotisch in Frührenaissanceumrahmung.
Maria, die das Kind im Leibe trägt, erweist stilistische und
malerische Dorzüge besonderer Art. Einer der Glanzpunkte der
neuen Sammlung ist die monumental und doch verinnerlicht wir-
kende hl. Magdalena, vermutlich oberdeutsch aus der Bodensee-
gegend stammend, um 1460, deren erhaltene alte Goldfassung
ganz einzig in ihrer Art wirkt.

Stark gegensätzlich zu diesen ernst-monumentalen Erschei-
nungen empfinden wir eine im "schmelzenden Gefühlsüber-
schwang des Rokoko" gestaltete schmerzhafte Mutter Gottes,
bayerisch, um 1750.

Zahlreiche Stücke weist die Kleinplastik auf, von der Gotik
bis zur Empire. Neben der in feinen Linien bewegten Ton-
statuette einer weiblichen Heiligen, bayerisch, um 1430, fällt
die Peter Flötner zugeschriebene Statuette (Renaissance) eines
Mädchens in Buchsbaumholz auf, ebenso eine deutsche Bronze,
Knabe mit Hündchen, wahrscheinlich Peter Discher, Anfang des
16. Jahrhunderts.

Entsprechend dem Charakter unseres Bayerischen National-
museums ist das Porzellan süddeutscher Herkunft sehr reich ver-
treten. Besonders freuen wir uns, Franz Bustelli (1754--1763),
den genialen Nymphenburger Plastiker und Regenerator mit
Arlequino, Colombine und Pulcinella der italienischen Stegreif-
komödie, ferner mit Läufer und Zofe u. a. wiederzufinden. Ein
hervorragendes Stüch Nymphenburg ist eine Wasserblase mit
sitzender Damenfigur von Bustelli, das, aus der Sammlung
Dr. Georg Hirth stammend, auf 21,000 M zu stehen kam. Ein
zweites Exemplar dürfte nicht vorhanden sein. Auch Bustellis
Nachfolger, Dominikus Auliczek (1765--1785) zeigt sich mit
qualitätvollen Stücken, wie Apollo, Tierhatzen, einem Relief-
medaillon Kurfürst Max III. Joseph. Frankenthal-Fr. Lück
(1758--1764) ist mit charakteristischen Plastiken: Die Komödie,
mit bemerkenswerter Bemalung, Der verwundete Soldat, usw.
vertreten; Ansbach-Bruckberg mit Plastiken von Laut (Bacchus,

Allgemeine Zeitung 9. Mai 1920
[Spaltenumbruch] Intereſſe. Dieſe Politiſierung, die der Ziviliſationsliterat
mit allen Mitteln und Mächten erſtrebt und die den Men-
ſchen nicht einmal geiſtig-ſeeliſch ſich ſelbſt gehören laſſen
will, macht den Geſchäftsgeiſt zum Lebensinhalt des Men-
ſchen, den internationalen Geſchäftsgeiſt, und löſt den Deut-
ſchen vollends los von all ſeinen Bindungen der Raſſe und
des Bodens. Thomas Mann tritt nicht als Bekämpfer der
Demokratie an ſich auf, ſondern als Feind der Politiſierung,
als Verteidiger der deutſchen Seele und Innerlichkeit, als
ein weſenhaft Deutſcher, der noch höhere als nur politiſche
Ziele und Beſchäftigungen, Sphären und Inhalte kennt: die
Gebiete des nationalen Univerſalismus, die Gebiete des
deutſchen Geiſtes und der deutſchen Seele. Die ganze ethiſche
Perſönlichkeit Thomas Manns ſetzte ſich hier für deutſche
Art und Geſittung ein mit unerſchütterlichem Mut und
offenſter Mannhaftigkeit, ſich bekennend zur menſchlichen
Lebensſphäre, die das Gebiet der Kunſt und Religion um-
faßt. Kunſt und Fortſchritt, Kunſt und Freiheit blieben ihm
ewig heretogene Begriffe, denn immer auillt Kunſt ihm nur
rein aus der Quelle der Menſchlichkeit, der Ehrfurcht und
Heiligkeit, Demut und Seelenhaftigkeit, der Arbeit an ſich
ſelbſt; Stille und Tiefe ſind die Mutter der Kunſt, nie der
Lärm des Tages und die Tendenz der Politik. Thomas
Mann ſchloß ſich mit ſeinen „Betrachtungen“ an das Goethe-
ſche Deutſchland an, weil ſeine Natur dieſen Anſchluß ver-
langte. Vorbereitet war dieſer Anſchluß ſchon in „Königliche
Hoheit“. Vollends bewieſen ihn die letzten Früchte ſeines
hünſtleriſchen Schaffens, die Idyllen „Ver Herr und der
Hund
“ und „Geſang vom Kindchen“.

Zuflucht aus dem niederdrückenden Lärm des Tages,
aus der blutgetränkten Not der Zeit begehrte des Dichters
Seele. Sie hatte ſich einen Bezirk geſchaffen, wo ſie ungeſtört
dem Augenblick und dem Elementaren, der Innerlichkeit
und dem eigenen Ich gehören konnte. In ihre Beziehungen
zu der Natur, wie ſie ſich gab im Weſen ſeines Hundes und
in ihre Liebe zum rein Menſchlichen, wie ſie ſich gab im
erſten Lallen des noch ungetauften Kindchens, konnte keine
Macht eingreifen: hier war der Dichter ganz und ungeſtört
Erlebender und ganz Einſamer, Idylliker des vorüberflie-
ßenden Augenblicks „Hermann und Dorothea“-Stimmungen
fingen ſich hier ein.

Mit kleiner, fein humoriſtiſcher Selbſtverſpottung wird
die Liebe zu ſeinem Hunde und zum Leben mit ihm auf den
Spaziergängen, in der Landſchaft des Iſartales, im Hauſe
und um das Haus herum gezeichnet voll hingebender Treue,
mit inniger Andacht zum kleinſten, mit einer Stifterſchen
Erhebung des Alltäglichen ins Bedeutende, mit einer bieder-
meierſchen umſtändlichen Wichtigtuerei und reſervierter Auf-
richtigkeit des tieferen Empfindens. Hier hat ſich ein ſenſi-
tiver Menſch mit Gbſicht in eine problemfreie Atmoſphäre
gerettet, weil ihm das wirkliche Leben ein großes Leid voll
erſchütternder Tragik beſchert. Die harmoniſche Heiterkeit
der Idylle, dieſer Friede auf den Spaziergängen iſt gewollt
mit aller geiſtigen Energie: es iſt ein Zeugnis von der
Größe Thomas Mannſcher Geſtaltungskraft, daß ſich dieſe
gewollte Idyllenwelt in eine ſelbſtverſtändliche und wirklich
lebendige umſetzt. Die Konzentrationsfähigkeit dieſes Dich-
ters grenzt Ich und Welt ſcharf und glaubhaft voneinander
ab und ſtellt eine in ſich abgeſchloſſene Welt hin, die erlöſt
für Stunden von der Qual der Zeit, weil ſie aufgehen läßt
in peinlichſt genaue Beobachtung, die Selbſtgenuß bedeutet.

Stärker klopft die Zeit ſchon wieder an die Kinder-
zimmertür, die der Dichter in dem kleinen „Geſang vom
Kindchen
“ öffnet, Läſſige Hexameter beſtimmen den leis
elegiſchen Ton eines doch tief glücklichen Erlebens am klei-
nen Spätling, den die Vaterliebe des erwachſenen Mannes
mit anderen Augen als einſt der jünglingshaften Leiden-
ſchaft wie ein Geſchenk der Gnade anſieht. Ganz perſönlich
tritt der Dichter in Erſcheinung: an der Badewanne des eben
erwachten Weſens, am Krankenbette, bei der Taufe. Und
hin und wieder ſchallt ein Klang aus wirrer Zeit von drau-
ßen ins helle, reinliche Säuglingszimmer. Der Dichter fand
den Ausdrucksſtil für dieſe beſeelte Welt, die einzige, die
heute unangetaſtetes Eigentum des einzelnen bleibt.

[Spaltenumbruch]

An dieſen Idyllen war Thomas Manns geſamte Natur
ebenſo ſtark beteiligt wie an den gedanklich und künſtleriſch
umfaſſenderen Werken: alle Kräfte ſeines Weſens mitarbei-
ten laſſen beim ſchöpferiſchen Akt in völliger Bewußtheit
und in willenmäßig beſtimmtem Streben zur Form iſt ihm
Pflicht der Aufrichtigkeit, bedeutet ihm ethiſche Erfüllung
ſeines Seins. Die Naivität des Stoffes kann doch nie eine
Naivität des Formungsweges zulaſſen. Gefühl und Verſtand
arbeiten Hand in Hand, und nur das vom Verſtand ver-
objektivierte Empfinden wird Kunſtwerk, Erkennen, Beob-
achten, Erleben bleiben die Grundlagen Thomas Mannſcher
Schöpfungen. Der Wille, das Erkannte, Beobachtete, Erlebte
in letzter Wahrhaftigkeit zu geſtalten, nacherkennbar, mit-
beobachtbar, nacherlebbar, beſtimmt die Form. Einer Syn-
theſe von Kunſt und Wiſſenſchaft ſtrebt dieſer Dichter ent-
gegen: im Gehalt wie in der Form ſollen die in beiden
menſchlichen Geiſtesgebieten tätigen Kräfte voll mitwirken.
Schönheit und Wahrheit bleiben ſein Ziel. Er bleibt ſtets
äſthetiſcher und ethiſcher Menſch zugleich. Und oft iſt uns,
als habe Thomas Mann die Syntheſe beider ſchon erreicht.
Noch nicht im Bedeutendſten, was von dieſem Dichter er-
wartet werden muß. Nach all den reifen Schöpfungen ſeiner
Meiſterſchaft, als Epiker, der in früher Selbſterkenntnis ſich
nie an ihm weſensfremde Kunſtformen verſchwendete, ſtehen
wir doch noch mit dem Blick auf zukünftige Werke vor ihm.
Wir erhoffen von ihm noch das Kunſtwerk der Zeit. Die
große Tat, die befreiend und menſchheitsfördernd zugleich
wirkt. Ueberall liegen die Anſätze dazu verſtreut: ſie ſind
in ſtetem Wachſen. Nirgends fehlen Ernſt und Zucht, Ein-
ſicht und Maß, Wille und Vermögen, der ihm geſtellten Auf-
gabe gerecht zu werden: über Flaubertſches Künſtlertum
hinauszuwachſen zur Lebens- und Kunſtbewältigung im
Goetheſchen Sinne.

Bayeriſches Nationalmuſeum.

Ausſtellung der Neuerwerbungen in den Jahren 1917—1919.

Unter vielfach erſchwerenden Umſtänden und mit recht be-
ſchränkten Mitteln iſt es Direktor Ph. M. Halm gelungen, dem
Nationalmuſeum zum Teil hochwertige Objekte, beſonders der
Groß- und Kleinplaſtik, zuzuführen. Neben dem ſtaatlichen Zu-
ſchuß von nur 90,000 M verſtand es Direktor Halm, manchen
uneigennützigen Spender oder Stifter zur Bereicherung der
Sammlung zu gewinnen.

Die Großplaſtik fällt zunächſt durch eine Maria mit dem
Kind — wahrſcheinlich von Gregor Erhart, dem Meiſter des
Blaubeurer Hochaltars, um 1510 auf, in der ſich Spätgotik und
Renaiſſance glücklich berühren. Auch der Tiroler Stephanus,
1450—1460, hat in ſeiner kraftvoll-raſſigen Art Qualität. Eind
Nachbildung des Gnadenbildes der Wallfahrtskirche Bogenberg
in Niederbayern, um 1520, gotiſch in Frührenaiſſanceumrahmung.
Maria, die das Kind im Leibe trägt, erweiſt ſtiliſtiſche und
maleriſche Dorzüge beſonderer Art. Einer der Glanzpunkte der
neuen Sammlung iſt die monumental und doch verinnerlicht wir-
kende hl. Magdalena, vermutlich oberdeutſch aus der Bodenſee-
gegend ſtammend, um 1460, deren erhaltene alte Goldfaſſung
ganz einzig in ihrer Art wirkt.

Stark gegenſätzlich zu dieſen ernſt-monumentalen Erſchei-
nungen empfinden wir eine im „ſchmelzenden Gefühlsüber-
ſchwang des Rokoko“ geſtaltete ſchmerzhafte Mutter Gottes,
bayeriſch, um 1750.

Zahlreiche Stücke weiſt die Kleinplaſtik auf, von der Gotik
bis zur Empire. Neben der in feinen Linien bewegten Ton-
ſtatuette einer weiblichen Heiligen, bayeriſch, um 1430, fällt
die Peter Flötner zugeſchriebene Statuette (Renaiſſance) eines
Mädchens in Buchsbaumholz auf, ebenſo eine deutſche Bronze,
Knabe mit Hündchen, wahrſcheinlich Peter Diſcher, Anfang des
16. Jahrhunderts.

Entſprechend dem Charakter unſeres Bayeriſchen National-
muſeums iſt das Porzellan ſüddeutſcher Herkunft ſehr reich ver-
treten. Beſonders freuen wir uns, Franz Buſtelli (1754—1763),
den genialen Nymphenburger Plaſtiker und Regenerator mit
Arlequino, Colombine und Pulcinella der italieniſchen Stegreif-
komödie, ferner mit Läufer und Zofe u. a. wiederzufinden. Ein
hervorragendes Stüch Nymphenburg iſt eine Waſſerblaſe mit
ſitzender Damenfigur von Buſtelli, das, aus der Sammlung
Dr. Georg Hirth ſtammend, auf 21,000 M zu ſtehen kam. Ein
zweites Exemplar dürfte nicht vorhanden ſein. Auch Buſtellis
Nachfolger, Dominikus Auliczek (1765—1785) zeigt ſich mit
qualitätvollen Stücken, wie Apollo, Tierhatzen, einem Relief-
medaillon Kurfürſt Max III. Joſeph. Frankenthal-Fr. Lück
(1758—1764) iſt mit charakteriſtiſchen Plaſtiken: Die Komödie,
mit bemerkenswerter Bemalung, Der verwundete Soldat, uſw.
vertreten; Ansbach-Bruckberg mit Plaſtiken von Laut (Bacchus,

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[176/0006] Allgemeine Zeitung 9. Mai 1920 Intereſſe. Dieſe Politiſierung, die der Ziviliſationsliterat mit allen Mitteln und Mächten erſtrebt und die den Men- ſchen nicht einmal geiſtig-ſeeliſch ſich ſelbſt gehören laſſen will, macht den Geſchäftsgeiſt zum Lebensinhalt des Men- ſchen, den internationalen Geſchäftsgeiſt, und löſt den Deut- ſchen vollends los von all ſeinen Bindungen der Raſſe und des Bodens. Thomas Mann tritt nicht als Bekämpfer der Demokratie an ſich auf, ſondern als Feind der Politiſierung, als Verteidiger der deutſchen Seele und Innerlichkeit, als ein weſenhaft Deutſcher, der noch höhere als nur politiſche Ziele und Beſchäftigungen, Sphären und Inhalte kennt: die Gebiete des nationalen Univerſalismus, die Gebiete des deutſchen Geiſtes und der deutſchen Seele. Die ganze ethiſche Perſönlichkeit Thomas Manns ſetzte ſich hier für deutſche Art und Geſittung ein mit unerſchütterlichem Mut und offenſter Mannhaftigkeit, ſich bekennend zur menſchlichen Lebensſphäre, die das Gebiet der Kunſt und Religion um- faßt. Kunſt und Fortſchritt, Kunſt und Freiheit blieben ihm ewig heretogene Begriffe, denn immer auillt Kunſt ihm nur rein aus der Quelle der Menſchlichkeit, der Ehrfurcht und Heiligkeit, Demut und Seelenhaftigkeit, der Arbeit an ſich ſelbſt; Stille und Tiefe ſind die Mutter der Kunſt, nie der Lärm des Tages und die Tendenz der Politik. Thomas Mann ſchloß ſich mit ſeinen „Betrachtungen“ an das Goethe- ſche Deutſchland an, weil ſeine Natur dieſen Anſchluß ver- langte. Vorbereitet war dieſer Anſchluß ſchon in „Königliche Hoheit“. Vollends bewieſen ihn die letzten Früchte ſeines hünſtleriſchen Schaffens, die Idyllen „Ver Herr und der Hund“ und „Geſang vom Kindchen“. Zuflucht aus dem niederdrückenden Lärm des Tages, aus der blutgetränkten Not der Zeit begehrte des Dichters Seele. Sie hatte ſich einen Bezirk geſchaffen, wo ſie ungeſtört dem Augenblick und dem Elementaren, der Innerlichkeit und dem eigenen Ich gehören konnte. In ihre Beziehungen zu der Natur, wie ſie ſich gab im Weſen ſeines Hundes und in ihre Liebe zum rein Menſchlichen, wie ſie ſich gab im erſten Lallen des noch ungetauften Kindchens, konnte keine Macht eingreifen: hier war der Dichter ganz und ungeſtört Erlebender und ganz Einſamer, Idylliker des vorüberflie- ßenden Augenblicks „Hermann und Dorothea“-Stimmungen fingen ſich hier ein. Mit kleiner, fein humoriſtiſcher Selbſtverſpottung wird die Liebe zu ſeinem Hunde und zum Leben mit ihm auf den Spaziergängen, in der Landſchaft des Iſartales, im Hauſe und um das Haus herum gezeichnet voll hingebender Treue, mit inniger Andacht zum kleinſten, mit einer Stifterſchen Erhebung des Alltäglichen ins Bedeutende, mit einer bieder- meierſchen umſtändlichen Wichtigtuerei und reſervierter Auf- richtigkeit des tieferen Empfindens. Hier hat ſich ein ſenſi- tiver Menſch mit Gbſicht in eine problemfreie Atmoſphäre gerettet, weil ihm das wirkliche Leben ein großes Leid voll erſchütternder Tragik beſchert. Die harmoniſche Heiterkeit der Idylle, dieſer Friede auf den Spaziergängen iſt gewollt mit aller geiſtigen Energie: es iſt ein Zeugnis von der Größe Thomas Mannſcher Geſtaltungskraft, daß ſich dieſe gewollte Idyllenwelt in eine ſelbſtverſtändliche und wirklich lebendige umſetzt. Die Konzentrationsfähigkeit dieſes Dich- ters grenzt Ich und Welt ſcharf und glaubhaft voneinander ab und ſtellt eine in ſich abgeſchloſſene Welt hin, die erlöſt für Stunden von der Qual der Zeit, weil ſie aufgehen läßt in peinlichſt genaue Beobachtung, die Selbſtgenuß bedeutet. Stärker klopft die Zeit ſchon wieder an die Kinder- zimmertür, die der Dichter in dem kleinen „Geſang vom Kindchen“ öffnet, Läſſige Hexameter beſtimmen den leis elegiſchen Ton eines doch tief glücklichen Erlebens am klei- nen Spätling, den die Vaterliebe des erwachſenen Mannes mit anderen Augen als einſt der jünglingshaften Leiden- ſchaft wie ein Geſchenk der Gnade anſieht. Ganz perſönlich tritt der Dichter in Erſcheinung: an der Badewanne des eben erwachten Weſens, am Krankenbette, bei der Taufe. Und hin und wieder ſchallt ein Klang aus wirrer Zeit von drau- ßen ins helle, reinliche Säuglingszimmer. Der Dichter fand den Ausdrucksſtil für dieſe beſeelte Welt, die einzige, die heute unangetaſtetes Eigentum des einzelnen bleibt. An dieſen Idyllen war Thomas Manns geſamte Natur ebenſo ſtark beteiligt wie an den gedanklich und künſtleriſch umfaſſenderen Werken: alle Kräfte ſeines Weſens mitarbei- ten laſſen beim ſchöpferiſchen Akt in völliger Bewußtheit und in willenmäßig beſtimmtem Streben zur Form iſt ihm Pflicht der Aufrichtigkeit, bedeutet ihm ethiſche Erfüllung ſeines Seins. Die Naivität des Stoffes kann doch nie eine Naivität des Formungsweges zulaſſen. Gefühl und Verſtand arbeiten Hand in Hand, und nur das vom Verſtand ver- objektivierte Empfinden wird Kunſtwerk, Erkennen, Beob- achten, Erleben bleiben die Grundlagen Thomas Mannſcher Schöpfungen. Der Wille, das Erkannte, Beobachtete, Erlebte in letzter Wahrhaftigkeit zu geſtalten, nacherkennbar, mit- beobachtbar, nacherlebbar, beſtimmt die Form. Einer Syn- theſe von Kunſt und Wiſſenſchaft ſtrebt dieſer Dichter ent- gegen: im Gehalt wie in der Form ſollen die in beiden menſchlichen Geiſtesgebieten tätigen Kräfte voll mitwirken. Schönheit und Wahrheit bleiben ſein Ziel. Er bleibt ſtets äſthetiſcher und ethiſcher Menſch zugleich. Und oft iſt uns, als habe Thomas Mann die Syntheſe beider ſchon erreicht. Noch nicht im Bedeutendſten, was von dieſem Dichter er- wartet werden muß. Nach all den reifen Schöpfungen ſeiner Meiſterſchaft, als Epiker, der in früher Selbſterkenntnis ſich nie an ihm weſensfremde Kunſtformen verſchwendete, ſtehen wir doch noch mit dem Blick auf zukünftige Werke vor ihm. Wir erhoffen von ihm noch das Kunſtwerk der Zeit. Die große Tat, die befreiend und menſchheitsfördernd zugleich wirkt. Ueberall liegen die Anſätze dazu verſtreut: ſie ſind in ſtetem Wachſen. Nirgends fehlen Ernſt und Zucht, Ein- ſicht und Maß, Wille und Vermögen, der ihm geſtellten Auf- gabe gerecht zu werden: über Flaubertſches Künſtlertum hinauszuwachſen zur Lebens- und Kunſtbewältigung im Goetheſchen Sinne. Bayeriſches Nationalmuſeum. Ausſtellung der Neuerwerbungen in den Jahren 1917—1919. Unter vielfach erſchwerenden Umſtänden und mit recht be- ſchränkten Mitteln iſt es Direktor Ph. M. Halm gelungen, dem Nationalmuſeum zum Teil hochwertige Objekte, beſonders der Groß- und Kleinplaſtik, zuzuführen. Neben dem ſtaatlichen Zu- ſchuß von nur 90,000 M verſtand es Direktor Halm, manchen uneigennützigen Spender oder Stifter zur Bereicherung der Sammlung zu gewinnen. Die Großplaſtik fällt zunächſt durch eine Maria mit dem Kind — wahrſcheinlich von Gregor Erhart, dem Meiſter des Blaubeurer Hochaltars, um 1510 auf, in der ſich Spätgotik und Renaiſſance glücklich berühren. Auch der Tiroler Stephanus, 1450—1460, hat in ſeiner kraftvoll-raſſigen Art Qualität. 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Neben der in feinen Linien bewegten Ton- ſtatuette einer weiblichen Heiligen, bayeriſch, um 1430, fällt die Peter Flötner zugeſchriebene Statuette (Renaiſſance) eines Mädchens in Buchsbaumholz auf, ebenſo eine deutſche Bronze, Knabe mit Hündchen, wahrſcheinlich Peter Diſcher, Anfang des 16. Jahrhunderts. Entſprechend dem Charakter unſeres Bayeriſchen National- muſeums iſt das Porzellan ſüddeutſcher Herkunft ſehr reich ver- treten. Beſonders freuen wir uns, Franz Buſtelli (1754—1763), den genialen Nymphenburger Plaſtiker und Regenerator mit Arlequino, Colombine und Pulcinella der italieniſchen Stegreif- komödie, ferner mit Läufer und Zofe u. a. wiederzufinden. Ein hervorragendes Stüch Nymphenburg iſt eine Waſſerblaſe mit ſitzender Damenfigur von Buſtelli, das, aus der Sammlung Dr. Georg Hirth ſtammend, auf 21,000 M zu ſtehen kam. Ein zweites Exemplar dürfte nicht vorhanden ſein. Auch Buſtellis Nachfolger, Dominikus Auliczek (1765—1785) zeigt ſich mit qualitätvollen Stücken, wie Apollo, Tierhatzen, einem Relief- medaillon Kurfürſt Max III. Joſeph. Frankenthal-Fr. Lück (1758—1764) iſt mit charakteriſtiſchen Plaſtiken: Die Komödie, mit bemerkenswerter Bemalung, Der verwundete Soldat, uſw. vertreten; Ansbach-Bruckberg mit Plaſtiken von Laut (Bacchus,

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 9. Mai 1920, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine18_1920/6>, abgerufen am 22.11.2024.