Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 9. Mai 1920.9. Mai 1920 Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
stürmischer und vorbehaltloser in Heinrich Manns fastgleichzeitig erschienener Romandichtung: "Die kleine Stadt" zum Ausdruck gelangt." Errettung bringt schließlich nach diesem Werk die Einsicht, daß das Ringen um das Werk die ethische Erfüllung des Daseins bedeutet. Thomas Mann hatte nun eine Höhe seiner inneren Ent- So findet der Künstler in Thomas Mann nicht zur Ein- Der Ausbruch des Weltkrieges allein war es nicht, der Wie er damit rang, enthüllte er in Tagebuchform in den In dieser Tat barg sich das fünfzehnjährige Kämpfen 9. Mai 1920 Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
ſtürmiſcher und vorbehaltloſer in Heinrich Manns faſtgleichzeitig erſchienener Romandichtung: „Die kleine Stadt“ zum Ausdruck gelangt.“ Errettung bringt ſchließlich nach dieſem Werk die Einſicht, daß das Ringen um das Werk die ethiſche Erfüllung des Daſeins bedeutet. Thomas Mann hatte nun eine Höhe ſeiner inneren Ent- So findet der Künſtler in Thomas Mann nicht zur Ein- Der Ausbruch des Weltkrieges allein war es nicht, der Wie er damit rang, enthüllte er in Tagebuchform in den In dieſer Tat barg ſich das fünfzehnjährige Kämpfen <TEI> <text> <body> <div type="jCulturalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0005" n="175"/><fw place="top" type="header">9. Mai 1920 Allgemeine Zeitung</fw><lb/><cb/> ſtürmiſcher und vorbehaltloſer in Heinrich Manns faſt<lb/> gleichzeitig erſchienener Romandichtung: „Die kleine Stadt“<lb/> zum Ausdruck gelangt.“ Errettung bringt ſchließlich nach<lb/> dieſem Werk die Einſicht, daß das Ringen um das Werk<lb/> die ethiſche Erfüllung des Daſeins bedeutet.</p><lb/> <p>Thomas Mann hatte nun eine Höhe ſeiner inneren Ent-<lb/> wicklung erreicht. Mit deren einer Seite, der artiſtiſchen,<lb/> rechnete er im folgenden Werke „<hi rendition="#g">Der Todin Venedig</hi>“<lb/> nochmals ab. Er ſchrieb ſich in dieſer koſtbaren Novelle<lb/> die Qual ſeiner Arbeitsweiſe von der Seele und geriet<lb/> darüber in die beklemmende Sterbenserfahrung Venedigs,<lb/> ohne Erlöſung zu finden. Aus dem äſthetiſchen Genuß der<lb/> Knabenſchönheit erwächſt menſchlichſte Leidenſchaft voll allen<lb/> Grauens der ſexuellen Phantaſie und des männlichen Wol-<lb/> lens. Nur ein nicht geſuchter Tod befreit von der völligen<lb/> Zerſetzung des inneren Seins. Erſchütternd bekennt der<lb/> Dichter das ewig Zweideutige, Zweifelhafte, Anrüchige in<lb/> der Natur des Künſtlers: alles, was er ſich aufgebaut, um<lb/> Schönheit und Sittlichkeit, um Schönheit und Würde ganz<lb/> zu vereinen, zu beſitzen, zerfällt.</p><lb/> <p>So findet der Künſtler in Thomas Mann nicht zur Ein-<lb/> heit mit dem Menſchen. Während dieſer darauf aus iſt, ſich<lb/> eine ſittliche Welt zu erwerben, muß jener ſie immer wieder<lb/> aus Erlebnis- und Schönheitsbegier verneinen, ablehnen.<lb/> Der ewige Zwieſpalt bleibt. Was Thomas Mann ſubjektiv<lb/> in ſich erfuhr und zu Ende dachte, geſtaltete er zu typiſcher<lb/> Geltung: das Künſtlertum geht nie einig mit dem Menſchen-<lb/> tum. 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Das gleiche<lb/> Prohlem lag vor wie bei ſeinen bisherigen Büchern, nun<lb/> aber nicht mehr auf pſychologiſch-künſtleriſchem, ſondern<lb/> auf politiſch-nationalem Gebiete. Der Kriegsausbruch ließ<lb/> den großen Abſchluß der Studien und ihr volles Ausreifen<lb/> zum Kunſtwerk nicht zu: vorzeitig wurde der „Abriß für<lb/> den Tag und die Stunde“ fertiggeſtellt. Voll ſymboliſcher<lb/> Kraft: die Geſtalt des Königs wurde zu Deutſchland —<lb/> Deutſchland wurde Friedrich der Große. In einer Figur, in<lb/> deren Formung Thomas Manns Wiſſen um den Menſchen<lb/> Blutwärme erzeugte, ſammelte ſich wie in einer Linſe ſeine<lb/> Liebe zu allem, was deutſch iſt. Er ſuchte hinter das Weſen<lb/> der Politik zu ſchauen, auch hier das Menſchliche als das<lb/> Fruchttreibende erkennend. Er ſah Friedrich den Großen<lb/> als Problem nach Rouſſeauſchem Ausſpruch: „<hi rendition="#aq">il pense en<lb/> philosophe et se conduit en roi</hi>“. 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Das Problem des<lb/> Ichs war überwunden, Thomas Mann ging über ſich hinaus<lb/> zum Problem des Deutſchtums überhaupt.</p><lb/> <p>Wie er damit rang, enthüllte er in Tagebuchform in den<lb/> „<hi rendition="#g">Betrachtungen eines Unpolitiſchen</hi>“ (1918).<lb/> Eine zweite Seite ſeines Weſens, ſein denkendes Erleben<lb/> als Zeitgenoſſe, ward hier unter Beobachtung, Selbſterkennt-<lb/> nis genommen, zur Selbſtdarſtellung gebracht durch Aus-<lb/> einanderſetzung mit einer zweiten Perſon, einem Gegen-<lb/> ſpieler, dem Ziviliſationsliteraten. Der ſammelte all die<lb/> Eigenſchaften in ſich, die er in ſeinem ringenden Künſtler-<lb/> leben als unfruchtbar und gefahrvoll erkannt hatte: die<lb/> wurzelloſe Hingabe an den Geiſt und die verantwortungsloſe<lb/> Betätigung dieſes Gebietes ohne Rückſicht auf Wirklichkeit,<lb/> Staat, Volk, Familie, Sittlichkeit und Kultur. Alles, was<lb/> Thomas Mann zu dieſem Thema auf der Seele hatte, drängte<lb/> nun heraus: nicht in Geſtaltung, ſondern in Rhetorik, in<lb/> hemmungsloſem Strome, in ſteter Auseinanderſetzung, ſtel-<lb/> lenweiſe ohne ſcharfe Selbſtkritik, nur in der Sucht nach<lb/> Ausſprache, nach innerlicher Erlöſung von dem furchtbaren<lb/> Drucke, unter dem die Innenwelt infolge der Zuſtände der<lb/> Außenwelt lebte, nur um frei zu werden von all dem das<lb/> künſtleriſche Schaffen hemmenden Denkſtoff, nur um zu be-<lb/> kennen, um mit dem Bekennen eine Tat für ſein Volk<lb/> zu tun.</p><lb/> <p>In dieſer Tat barg ſich das fünfzehnjährige Kämpfen<lb/> des Dichters um ſeine Weltanſchauung und um das Gewin-<lb/> nen eines feſten Standpunktes gegenüber den politiſchen<lb/> und kulturellen Problemen. Klar ergab ſich der Umriß der<lb/> Perſönlichkeit, ihres Bildungsuntergrundes auf Schopen-<lb/> hauer, Nietzſche, Wagner, um nur die Nichtklaſſiker zu nen-<lb/> nen, und der Abſage eines ehrlich und überzeugt national<lb/> empfindenden Menſchen gegen den kosmopolitiſchen Geiſt<lb/> der Demokratie. Er ſah die deutſche Welt ſeit anderthalb<lb/> Jahrzehnten geſpalten in eine Gegenſätzlichkeit, die das<lb/> alte Reich ſchließlich zerriſſen hat: auf der einen Seite die<lb/> deutſche Bürgerlichkeit, die gebildete humane, kultivierte<lb/> Bürgerlichkeit in ihrem nicht im Patrizierſinne konſer-<lb/> vativen Verhältnis zur Politik, das auf patriarchaliſcher<lb/> Ordnung beruhende Ethos ariſtokratiſcher Menſchen, und<lb/> auf der anderen Seite das in ſeiner Ausdehnung und Macht<lb/> nicht ſtark genug einzuſchätzende Literatentum mit ſeiner<lb/> offenen Neigung zur weſteuropäiſchen Weltauffaſſung, zur<lb/> romaniſch beſtimmten Kunſt, zur demokratiſchen Staats- und<lb/> Lebensordnung und zur ſozialiſtiſchen Zukunftsentwicklung<lb/> im Sinne des Internationalismus. Thomas Mann hatte<lb/> erlebt, wie das Literatentum mehr und mehr erreichte, was<lb/> es erſtrebte: die geiſtige Welt Deutſchlands zu politiſieren,<lb/> ſo daß keine reine Welt-, Menſchen- und Kunſtbetrachtung<lb/> mehr möglich war und ſein ſollte, ſo daß es gefährlich wurde,<lb/> national ſelbſt über den Parteien zu ſein, weil darin ſchon<lb/> ein Angriff auf das idealiſierte demokratiſche Prinzip — ein<lb/> Prinzip der Ziviliſation und nicht der Kultur, weil allein<lb/> des Verſtandes — erblickt wurde. Thomas Mann kämpft<lb/> wieder den uralten Kampf der Kultur gegen die Ziviliſation!<lb/> Einen tragiſchen Kampf! Warum? Um Deutſchland deutſch<lb/> zu erhalten! Deutſch ſein h<supplied cert="high">ei</supplied>ßt nichts anderes als ein An-<lb/> erkenntnis der deutſchen Innerlichkeit, der menſchlichen<lb/> Seele, wie die Demokratie ſie nicht kennt. 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9. Mai 1920 Allgemeine Zeitung
ſtürmiſcher und vorbehaltloſer in Heinrich Manns faſt
gleichzeitig erſchienener Romandichtung: „Die kleine Stadt“
zum Ausdruck gelangt.“ Errettung bringt ſchließlich nach
dieſem Werk die Einſicht, daß das Ringen um das Werk
die ethiſche Erfüllung des Daſeins bedeutet.
Thomas Mann hatte nun eine Höhe ſeiner inneren Ent-
wicklung erreicht. Mit deren einer Seite, der artiſtiſchen,
rechnete er im folgenden Werke „Der Todin Venedig“
nochmals ab. Er ſchrieb ſich in dieſer koſtbaren Novelle
die Qual ſeiner Arbeitsweiſe von der Seele und geriet
darüber in die beklemmende Sterbenserfahrung Venedigs,
ohne Erlöſung zu finden. Aus dem äſthetiſchen Genuß der
Knabenſchönheit erwächſt menſchlichſte Leidenſchaft voll allen
Grauens der ſexuellen Phantaſie und des männlichen Wol-
lens. Nur ein nicht geſuchter Tod befreit von der völligen
Zerſetzung des inneren Seins. Erſchütternd bekennt der
Dichter das ewig Zweideutige, Zweifelhafte, Anrüchige in
der Natur des Künſtlers: alles, was er ſich aufgebaut, um
Schönheit und Sittlichkeit, um Schönheit und Würde ganz
zu vereinen, zu beſitzen, zerfällt.
So findet der Künſtler in Thomas Mann nicht zur Ein-
heit mit dem Menſchen. Während dieſer darauf aus iſt, ſich
eine ſittliche Welt zu erwerben, muß jener ſie immer wieder
aus Erlebnis- und Schönheitsbegier verneinen, ablehnen.
Der ewige Zwieſpalt bleibt. Was Thomas Mann ſubjektiv
in ſich erfuhr und zu Ende dachte, geſtaltete er zu typiſcher
Geltung: das Künſtlertum geht nie einig mit dem Menſchen-
tum. Freilich: der Denker leiſtet hier Thomas Mann ſcharfe
Hilfe: im „Tod in Venedig“ ſteht höchſt Anſchauliches neben
völlig Abſtraktem, die epiſche und eſſayiſtiſche Ausdrucks-
weiſe wechſeln beſtändig; die zu kleine Erkenntnis löſt die
Geſtaltungskraft auf. Der Individualismus wird letzten
Endes zur Sackgaſſe und der Einzelfall Thomas Mann kann
nicht für die Geſamtgattung der Künſtler Gültigkeit haben,
ſondern nur für eine Künſtlerart, für alle die, in denen die
Sehnſucht nach naivem Erleben ebenſo unmittelbar iſt wie
ihr Drang, Schaffender zu ſein. In kleinen Werkſtücken,
die das größere Schaffen begleiteten, wiederholte der Dichter
zur Uebung und Erholung, aus Studiumszwecken und zur
eigenen Klärung die Unterſuchung und Geſtaltung des Pro-
blems: im „Wunderkind“ (1914).
Der Ausbruch des Weltkrieges allein war es nicht, der
den Dichter aus der Sackgaſſe herausführte. Schon im
Roman „Königliche Hoheit“ meldeten ſich erſte Aufblicke in
eine neue Entwicklung bei Betrachtung des Fürſtenproblems
in ethiſch-ſozialer Hinſicht. Ebenſo führer die Studien zu
„Friedrich und die große Koalition“ vor das
Jahr 1914 zurück. Der Wille, ſich mit dem ihm perſönlich
tief verbundenen nationalen Problem auseinanderzuſetzen,
wuchs. Thomas Mann ſah den Weg der Gegenwartsentwick-
lung, dumpf ahnend, halb unbewußt und unklar. Seine
konſervative Natur trieb ihn, das Volk zu lieben auf
patriarchaliſcher Grundlage; ſeine individualiſtiſche Kultur
zur Bejahung des Ariſtokratismus, der Perſönlichkeit, der
Bedeutung alles Führertums. In Friedrich dem Großen
wuchs ihm die Geſtalt zu, in der er einen einzelnen ſich
herausheben ſah aus einer Maſſe ihn anfeindender Men-
ſchen und in der er dieſen einzelnen ſiegen ſah. Das gleiche
Prohlem lag vor wie bei ſeinen bisherigen Büchern, nun
aber nicht mehr auf pſychologiſch-künſtleriſchem, ſondern
auf politiſch-nationalem Gebiete. Der Kriegsausbruch ließ
den großen Abſchluß der Studien und ihr volles Ausreifen
zum Kunſtwerk nicht zu: vorzeitig wurde der „Abriß für
den Tag und die Stunde“ fertiggeſtellt. Voll ſymboliſcher
Kraft: die Geſtalt des Königs wurde zu Deutſchland —
Deutſchland wurde Friedrich der Große. In einer Figur, in
deren Formung Thomas Manns Wiſſen um den Menſchen
Blutwärme erzeugte, ſammelte ſich wie in einer Linſe ſeine
Liebe zu allem, was deutſch iſt. Er ſuchte hinter das Weſen
der Politik zu ſchauen, auch hier das Menſchliche als das
Fruchttreibende erkennend. Er ſah Friedrich den Großen
als Problem nach Rouſſeauſchem Ausſpruch: „il pense en
philosophe et se conduit en roi“. Er ſah auch dieſen
König ausgeliefert dem Widerſtreit eines Dualismus, der
natürliches Genie und Lebensaufgabe kontraſtierte und den
Menſchen zum Opfer machte, Leidenſchaft unter preußiſche
Diſziplin und ſtrengſtes Zweckbewußtſein zwang und dadurch
ein haßerzeugendes Mißtrauen gegen das eigene Handeln
aus nie erſchlaffender Vitalität erzeugte. Auch über dieſen
König herrſchte ein Unglück gebärender innerer Konflikt
zwiſchen dem angeborenen Geiſt und der ererbten Verpflich-
tung, ein Konflikt, der durch ſeine Folgen die Verleumdung
der Welt auslöſte, wie er für ſeinen Träger den Haß des
Desilluſionierten gegen die Frauen mit ſich brachte: dieſen
Haß, dieſe Verleumdung trug er aber, „damit eines großen
Volkes Erdenſendung ſich erfülle“. Reinſte Männlichkeit
enthüllte ſich in dieſem Spiel der Kräfte. Das Problem des
Ichs war überwunden, Thomas Mann ging über ſich hinaus
zum Problem des Deutſchtums überhaupt.
Wie er damit rang, enthüllte er in Tagebuchform in den
„Betrachtungen eines Unpolitiſchen“ (1918).
Eine zweite Seite ſeines Weſens, ſein denkendes Erleben
als Zeitgenoſſe, ward hier unter Beobachtung, Selbſterkennt-
nis genommen, zur Selbſtdarſtellung gebracht durch Aus-
einanderſetzung mit einer zweiten Perſon, einem Gegen-
ſpieler, dem Ziviliſationsliteraten. Der ſammelte all die
Eigenſchaften in ſich, die er in ſeinem ringenden Künſtler-
leben als unfruchtbar und gefahrvoll erkannt hatte: die
wurzelloſe Hingabe an den Geiſt und die verantwortungsloſe
Betätigung dieſes Gebietes ohne Rückſicht auf Wirklichkeit,
Staat, Volk, Familie, Sittlichkeit und Kultur. Alles, was
Thomas Mann zu dieſem Thema auf der Seele hatte, drängte
nun heraus: nicht in Geſtaltung, ſondern in Rhetorik, in
hemmungsloſem Strome, in ſteter Auseinanderſetzung, ſtel-
lenweiſe ohne ſcharfe Selbſtkritik, nur in der Sucht nach
Ausſprache, nach innerlicher Erlöſung von dem furchtbaren
Drucke, unter dem die Innenwelt infolge der Zuſtände der
Außenwelt lebte, nur um frei zu werden von all dem das
künſtleriſche Schaffen hemmenden Denkſtoff, nur um zu be-
kennen, um mit dem Bekennen eine Tat für ſein Volk
zu tun.
In dieſer Tat barg ſich das fünfzehnjährige Kämpfen
des Dichters um ſeine Weltanſchauung und um das Gewin-
nen eines feſten Standpunktes gegenüber den politiſchen
und kulturellen Problemen. Klar ergab ſich der Umriß der
Perſönlichkeit, ihres Bildungsuntergrundes auf Schopen-
hauer, Nietzſche, Wagner, um nur die Nichtklaſſiker zu nen-
nen, und der Abſage eines ehrlich und überzeugt national
empfindenden Menſchen gegen den kosmopolitiſchen Geiſt
der Demokratie. Er ſah die deutſche Welt ſeit anderthalb
Jahrzehnten geſpalten in eine Gegenſätzlichkeit, die das
alte Reich ſchließlich zerriſſen hat: auf der einen Seite die
deutſche Bürgerlichkeit, die gebildete humane, kultivierte
Bürgerlichkeit in ihrem nicht im Patrizierſinne konſer-
vativen Verhältnis zur Politik, das auf patriarchaliſcher
Ordnung beruhende Ethos ariſtokratiſcher Menſchen, und
auf der anderen Seite das in ſeiner Ausdehnung und Macht
nicht ſtark genug einzuſchätzende Literatentum mit ſeiner
offenen Neigung zur weſteuropäiſchen Weltauffaſſung, zur
romaniſch beſtimmten Kunſt, zur demokratiſchen Staats- und
Lebensordnung und zur ſozialiſtiſchen Zukunftsentwicklung
im Sinne des Internationalismus. Thomas Mann hatte
erlebt, wie das Literatentum mehr und mehr erreichte, was
es erſtrebte: die geiſtige Welt Deutſchlands zu politiſieren,
ſo daß keine reine Welt-, Menſchen- und Kunſtbetrachtung
mehr möglich war und ſein ſollte, ſo daß es gefährlich wurde,
national ſelbſt über den Parteien zu ſein, weil darin ſchon
ein Angriff auf das idealiſierte demokratiſche Prinzip — ein
Prinzip der Ziviliſation und nicht der Kultur, weil allein
des Verſtandes — erblickt wurde. Thomas Mann kämpft
wieder den uralten Kampf der Kultur gegen die Ziviliſation!
Einen tragiſchen Kampf! Warum? Um Deutſchland deutſch
zu erhalten! Deutſch ſein heißt nichts anderes als ein An-
erkenntnis der deutſchen Innerlichkeit, der menſchlichen
Seele, wie die Demokratie ſie nicht kennt. Denn ſie will
die Glücksfrage mit der Politik beantworten, ſie politiſiert
das Ausdrucksgebiet der Innerlichkeit, der Seele, das gei-
ſtige Leben, die Kunſt, die Erziehung, die „Menſchenbildung“
iſt, das nationale Leben, das erhaben über jedes politiſche
Intereſſe ſein muß, vollends über jedes parteipolitiſche
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(2020-10-02T09:49:36Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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