Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 1. Mai 1915.1. Mai 1915. Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
noch in der Walküre, wo ihn eben nach einem prächtigenAnfang im ersten Akt diese fatale Indisposition überfiel. Jene Aufführung der Walküre war besonders dadurch interessant, daß Fräulein Morena zum ersten Male nach einer schweren Operation wieder die Sieglinde sang und zwar besser und schöner als sie sie je vorher gesungen. Vor allem war eine weit ruhigere Tongebung, eine größere Festigkeit des Tones freudig anzuerkennen. Fräulein Krüger sang an jenem Abend zum ersten Male die Fricka und bestätigte neuerdings unser oben ausgesprochenes Urteil. Den Wotan sang Herr Bender, die Brünnhilde Frau Faßbender und den Hunding Herr Gill- mann. Unangenehm ist uns der offenbare Mangel einer vor- hergehenden Verständigung in der Kampfßene zwischen Sieg- mund und Hunding aufgefallen. Die Sache sah unglaubhaft und lächerlich aus. Dagegen angenehm aufgefallen ist das wirklich prachtvoll gespielte Cello-Solo im ersten Akt der Walküre, das, wie ich höre, ein neues Mitglied unseres Hof- orchesters, ein Belgier Ducles, spielte. Die meisten Neuheiten brachte natürlich das Schauspiel, Auch das Schauspielhaus griff auf ein altes Stück zurück, Feuilleton Ihre Entscheidung. "Es steht dir jederzeit frei, nach England zurückzukehren. "Eines deutschen Soldaten?" wiederholte sie, um es be- "So werden George und ich als ehrliche Soldaten ihre "Harry, du gegen meinen Bruder!" "Bitte, Helene, nenne mich nicht mehr so, mir klingt es "Ich habe dich immer so genannt und es hat dir gefallen! "Ellen," sagte er zärtlich, begütigend. Sie tat ihm un- Sie schüttelte den Kopf, sie blieb an ihrem Fensterplatz Er sah, wie es in ihr stürmte und freute sich über die Ein tiefes Rot stieg ihm bis zur Stirn hinauf. "Ich be- 1. Mai 1915. Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
noch in der Walküre, wo ihn eben nach einem prächtigenAnfang im erſten Akt dieſe fatale Indispoſition überfiel. Jene Aufführung der Walküre war beſonders dadurch intereſſant, daß Fräulein Morena zum erſten Male nach einer ſchweren Operation wieder die Sieglinde ſang und zwar beſſer und ſchöner als ſie ſie je vorher geſungen. Vor allem war eine weit ruhigere Tongebung, eine größere Feſtigkeit des Tones freudig anzuerkennen. Fräulein Krüger ſang an jenem Abend zum erſten Male die Fricka und beſtätigte neuerdings unſer oben ausgeſprochenes Urteil. Den Wotan ſang Herr Bender, die Brünnhilde Frau Faßbender und den Hunding Herr Gill- mann. Unangenehm iſt uns der offenbare Mangel einer vor- hergehenden Verſtändigung in der Kampfſzene zwiſchen Sieg- mund und Hunding aufgefallen. Die Sache ſah unglaubhaft und lächerlich aus. Dagegen angenehm aufgefallen iſt das wirklich prachtvoll geſpielte Cello-Solo im erſten Akt der Walküre, das, wie ich höre, ein neues Mitglied unſeres Hof- orcheſters, ein Belgier Duclés, ſpielte. Die meiſten Neuheiten brachte natürlich das Schauſpiel, Auch das Schauſpielhaus griff auf ein altes Stück zurück, Feuilleton Ihre Entſcheidung. „Es ſteht dir jederzeit frei, nach England zurückzukehren. „Eines deutſchen Soldaten?“ wiederholte ſie, um es be- „So werden George und ich als ehrliche Soldaten ihre „Harry, du gegen meinen Bruder!“ „Bitte, Helene, nenne mich nicht mehr ſo, mir klingt es „Ich habe dich immer ſo genannt und es hat dir gefallen! „Ellen,“ ſagte er zärtlich, begütigend. Sie tat ihm un- Sie ſchüttelte den Kopf, ſie blieb an ihrem Fenſterplatz Er ſah, wie es in ihr ſtürmte und freute ſich über die Ein tiefes Rot ſtieg ihm bis zur Stirn hinauf. „Ich be- <TEI> <text> <body> <div type="jCulturalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0009" n="Seite 271.[271]"/><fw place="top" type="header">1. Mai 1915. <hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi></fw><lb/><cb/> noch in der Walküre, wo ihn eben nach einem prächtigen<lb/> Anfang im erſten Akt dieſe fatale Indispoſition überfiel. Jene<lb/> Aufführung der Walküre war beſonders dadurch intereſſant,<lb/> daß Fräulein Morena zum erſten Male nach einer ſchweren<lb/> Operation wieder die Sieglinde ſang und zwar beſſer und<lb/> ſchöner als ſie ſie je vorher geſungen. Vor allem war eine<lb/> weit ruhigere Tongebung, eine größere Feſtigkeit des Tones<lb/> freudig anzuerkennen. Fräulein Krüger ſang an jenem Abend<lb/> zum erſten Male die Fricka und beſtätigte neuerdings unſer<lb/> oben ausgeſprochenes Urteil. Den Wotan ſang Herr Bender,<lb/> die Brünnhilde Frau Faßbender und den Hunding Herr Gill-<lb/> mann. Unangenehm iſt uns der offenbare Mangel einer vor-<lb/> hergehenden Verſtändigung in der Kampfſzene zwiſchen Sieg-<lb/> mund und Hunding aufgefallen. Die Sache ſah unglaubhaft<lb/> und lächerlich aus. Dagegen angenehm aufgefallen iſt das<lb/> wirklich prachtvoll geſpielte Cello-Solo im erſten Akt der<lb/> Walküre, das, wie ich höre, ein neues Mitglied unſeres Hof-<lb/> orcheſters, ein Belgier Ducl<hi rendition="#aq">é</hi>s, ſpielte.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Die meiſten Neuheiten brachte natürlich das Schauſpiel,<lb/> und da haben wir vor allem eines hübſchen Moli<hi rendition="#aq">è</hi>re-Abends<lb/> zu gedenken, der im Reſidenztheater ſtattfand, wo die beiden<lb/> Komödien „Spitzbubenſtreiche“ und „Der Arzt wider Willen“<lb/> nach längerer Zeit wieder einmal gegeben wurden. In beiden<lb/> Stücken war es namentlich Herr Schwannecke, der die Haupt-<lb/> koſten der Unterhaltung trug. Die beiden Stücke werden noch<lb/> in der Ueberſetzung von Georg Dröſcher und Auguſt Freſenius<lb/> aufgeführt. Die Regie hat jetzt Herr Lützenkirchen. Moli<hi rendition="#aq">è</hi>re<lb/> wie Shakeſpeare gehörten zu jener klaſſiſchen Literatur unſerer<lb/> Feinde, die auch künftig auf unſeren deutſchen Bühnen nicht<lb/> fehlen darf, denn ihr Wert geht über das Nationale hinaus<lb/> in das allgemein Menſchliche; aber franzöſiſche Darſteller,<lb/> wie einſtmals die beiden Coquelins, werden wir freilich darin<lb/> nicht mehr zu ſehen bekommen, was aber auch weiter nichts<lb/> ſchadet, iſt doch gerade Coquelin mit dem Moli<hi rendition="#aq">è</hi>reſchen Text<lb/> höchſt rückſichtslos umgeſprungen. —</p><lb/> <p>Auch das Schauſpielhaus griff auf ein altes Stück zurück,<lb/> als es unerwartet Gerhart Hauptmanns einſt ſo viel be-<lb/> ſchrienes Märchendrama „Die verſunkene Glocke“ aus dem<lb/> Theaterarchiv hervorſuchte. Es iſt darin ziemlich ſtaubig ge-<lb/> worden und wird auf die Dauer wohl kaum mehr zum<lb/> Leben zu erwecken ſein. Damals verblüffte und imponierte der<lb/> Reflexionsballaſt, der an dem Stücke hängt. Seither hat man<lb/> eine etwas reinere und ſchlichtere Anſchauung von den Er-<lb/> forderniſſen eines deutſchen Märchens gewonnen. Die Auf-<lb/> führung ſelbſt war recht gut. Den Glockengießer ſpielte ein<lb/> Gaſt, Kurt Gerden, ſeine Frau Annie Roſar, den Pfarrer<lb/> vortrefflich Herr Eßlair. Die alte Wittichen Fräulein Glümer,<lb/> das Rautendelein Fräulein Selbing und den Nickelmann der<lb/> Leiter der Aufführung Herr Peppler. Noch weniger Glück<lb/> aber hatte das Schauſpielhaus mit einer ziemlich überflüſſigen<lb/> Neuheit, einer dreiaktigen Komödie des bekannten Shaw-<lb/> Ueberſetzers Siegfried Trebitſch. Wenn ihm auch als ſolchen<lb/> ſeinerzeit ſchwere Mißverſtändniſſe des engliſchen Dichters<lb/> nachgewieſen worden ſind, ſo iſt uns der Ueberſetzer doch noch<lb/> immer lieber als der Autor dieſes eigenen Stückes. „Gefähr-<lb/> liche Jahre“ iſt weder eine Komödie noch irgendwie amüſant,<lb/> ſondern gehört eigentlich der Gattung jener Kokottenſtücke<lb/> nach franzöſiſchem Muſter an, die jetzt für immer für uns ab-<lb/> getan ſein ſollten. Außer den Franzoſen iſt wohl noch Arthur<lb/> Schnitzler Vorbild für den Verfaſſer geweſen, der die gefähr-<lb/> lichen Jahre einen albernen Jungen durch deſſen Vater in der<lb/> Weiſe überſtehen laſſen will, daß dieſer ihm eine angehende<lb/> Schauſpielerin als Liebſchaft kontraktlich gewinnt, damit er<lb/> nicht aus unterdrücktem Lebenstrieb wie ſeine Geſchwiſter<lb/> Selbſtmord begeht. Die einzige vernünftige Perſon in dem<lb/> Stücke, die Mutter, verſchwindet leider mit dem erſten Akt,<lb/> und wir haben noch zwei weitere auszuhalten, in denen<lb/> wenig, vor allem nichts Heiteres vorgeht, aber furchtbar geiſt-<lb/> reich über die gewöhnlichſten Dinge geredet wird. Abermals<lb/> ein Gaſt, ein Fräulein Malva Rona, ſpielte die weibliche<lb/> Hauptrolle und führte ſich damit nicht übel ein. Den Jungen<lb/> in den gefährlichen Jahren hatte Herr Bauer, ſeinen leicht-<lb/> lebigen Vater Herr Hans Raabe zu geben. Auch einem ver-<lb/> mutlich komiſch gemeinten Schauſpieler (Max Weydner)<lb/><cb/> konnte es nicht gelingen, das Publikum zu feſſeln, das ſich<lb/> zwar das Erſcheinen des hergereiſten Autors nach den letzten<lb/> beiden Akten wohl gefallen ließ, aber das Haus nicht ohne<lb/> Langeweile und Widerſpruch verließ. Leider war dieſe<lb/> Premiere eine Wohltätigkeitsvorſtellung zugunſten des öſter-<lb/> reichiſch-ungariſchen Roten Kreuzes, das hoffentlich doch einen<lb/> pekuniären Vorteil von dem ziemlich gut beſetzten Hauſe da-<lb/> vongetragen hat, dem wir aber einen würdigeren Anlaß,<lb/> d. h. ein ernſthafter zu nehmendes Stück gewünſcht hätten.</p><lb/> <byline> <hi rendition="#g">Alfred Frhr. v. Menſi.</hi> </byline> </div> </div><lb/> <div type="jFeuilleton" n="1"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Feuilleton</hi> </hi> </head><lb/> <floatingText> <body> <div n="1"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Ihre Entſcheidung.</hi> </hi> </head><lb/> <byline> <hi rendition="#c">Von<lb/><hi rendition="#b">Anna Hilaria von Ekhel.</hi></hi> </byline><lb/> <p>„Es ſteht dir jederzeit frei, nach England zurückzukehren.<lb/> Die Reiſe wird langweilig und umſtändlich ſein, aber ſie iſt<lb/> möglich. Ich halte dich nicht, wenn dich hier nichts hält. Du<lb/> biſt vollſtändig Herrin deiner Entſchlüſſe. Bleibſt du aber,<lb/> dann erwarte ich von dir, daß du nichts anderes biſt, als die<lb/> Frau deines Mannes — eines deutſchen Soldaten.“</p><lb/> <p>„Eines deutſchen Soldaten?“ wiederholte ſie, um es be-<lb/> greifen zu können, „du mußt mit?“ An dieſe Möglichkeit hatte<lb/> ſie noch gar nicht gedacht. Nicht daß er kämpfen ſollte, ſchreckte<lb/> ſie, unerträglich war ihr der Gedanke, daß er die Waffen gegen<lb/> ihr Volk heben wollte. „Es kann nicht ſein, du gegen England!<lb/> — Und — wenn George dir gegenüber ſteht?“</p><lb/> <p>„So werden George und ich als ehrliche Soldaten ihre<lb/> Pflicht tun.“</p><lb/> <p>„Harry, du gegen meinen Bruder!“</p><lb/> <p>„Bitte, Helene, nenne mich nicht mehr ſo, mir klingt es<lb/> wie Spott ins Ohr.“</p><lb/> <p>„Ich habe dich immer ſo genannt und es hat dir gefallen!<lb/> Ich heiße Ellen und nicht Helene. Ich — ſie war fertig mit<lb/> ihrer Kraft: „Warum ſeid ihr ſo grauſam zu mir, ihr ſeid ganz<lb/> andere Menſchen geworden, ſeit Krieg iſt. Und nun ſchickſt du<lb/> mich auch noch fort! — Und das iſt das beſte: — ich gehe!“</p><lb/> <p>„Ellen,“ ſagte er zärtlich, begütigend. Sie tat ihm un-<lb/> ſäglich leid, aber er konnte ihr nicht helfen, dieſer Kampf<lb/> mußte durchgefochten werden, denn er war entſcheidend für<lb/> ſeine Zukunft und für die Zukunft des Hardenkopſchen Hauſes.<lb/> Was dazu gehörte, mußte deutſch ſein, ſollte es nicht in die ge-<lb/> ſunde, heimiſche Art einen Zerſetzungskeim hineintragen.<lb/> „Komm, ſetz’ dich zu mir!“</p><lb/> <p>Sie ſchüttelte den Kopf, ſie blieb an ihrem Fenſterplatz<lb/> ſitzen und ihre Finger begannen wieder die Goldfäden durch<lb/> ihre unnütze kleine Flitterarbeit zu ziehen, ſie wollte das<lb/> Zittern ihrer Hände damit verbergen.</p><lb/> <p>Er ſah, wie es in ihr ſtürmte und freute ſich über die<lb/> Haltung, die ſie dabei bewahrte. Zucht und Raſſe waren<lb/> in ihr, ſie war ein Geſchlechterkind des verwandten Stammes<lb/> überm Kanal. Er dachte daran, wie ſtolz ſie alle geweſen, als<lb/> die vornehme, reiche Engländerin zu ihnen herübergekommen<lb/> war, wie ſeine Mutter, die Senatortochter und Senatorgattin,<lb/> dieſe Verbindung begünſtigt hatte, wie ſein Vater zu Onkel<lb/> Stanies von der jungen Braut immer als: <hi rendition="#aq">our english girl</hi><lb/> geſprochen, ein leiſer Anflug von Ueberlegenheit hatte durch-<lb/> geklungen, der arme Stanies hatte ja nur deutſche Schwieger-<lb/> töchter! Schweſter und Schwager, die ganze große Harden-<lb/> kopſche Sippe hatten ſie verzogen; ihre Art, den Haushalt zu<lb/> führen, ihre Art ſich zu kleiden, alles war entzückend und nach-<lb/> ahmenswert geweſen! Er ſelbſt? — Zwei Dinge hatten ihn<lb/> zur Anglomanie verführt: Der Sport den Knaben, den<lb/> Mann — ſie war ja auch zum Kopfverdrehen, ſeine kleine<lb/> Engländerin!</p><lb/> <p>Ein tiefes Rot ſtieg ihm bis zur Stirn hinauf. „Ich be-<lb/> greife dich, Ellen,“ ſagte er mit der allen Hardenkops eigenen<lb/> ſtrengen Sachlichkeit, die ſich um keine Selbſtkritik drückte.<lb/> „Du mußt dir plötzlich wie in ein Tollhaus verſetzt vorkommen,<lb/> wir waren bis vor kurzem die Affen Englands, nan ſind wir<lb/> ſeine Gegner und Richter. Ich kann nicht von dir verlangen,<lb/></p> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [Seite 271.[271]/0009]
1. Mai 1915. Allgemeine Zeitung
noch in der Walküre, wo ihn eben nach einem prächtigen
Anfang im erſten Akt dieſe fatale Indispoſition überfiel. Jene
Aufführung der Walküre war beſonders dadurch intereſſant,
daß Fräulein Morena zum erſten Male nach einer ſchweren
Operation wieder die Sieglinde ſang und zwar beſſer und
ſchöner als ſie ſie je vorher geſungen. Vor allem war eine
weit ruhigere Tongebung, eine größere Feſtigkeit des Tones
freudig anzuerkennen. Fräulein Krüger ſang an jenem Abend
zum erſten Male die Fricka und beſtätigte neuerdings unſer
oben ausgeſprochenes Urteil. Den Wotan ſang Herr Bender,
die Brünnhilde Frau Faßbender und den Hunding Herr Gill-
mann. Unangenehm iſt uns der offenbare Mangel einer vor-
hergehenden Verſtändigung in der Kampfſzene zwiſchen Sieg-
mund und Hunding aufgefallen. Die Sache ſah unglaubhaft
und lächerlich aus. Dagegen angenehm aufgefallen iſt das
wirklich prachtvoll geſpielte Cello-Solo im erſten Akt der
Walküre, das, wie ich höre, ein neues Mitglied unſeres Hof-
orcheſters, ein Belgier Duclés, ſpielte.
Die meiſten Neuheiten brachte natürlich das Schauſpiel,
und da haben wir vor allem eines hübſchen Molière-Abends
zu gedenken, der im Reſidenztheater ſtattfand, wo die beiden
Komödien „Spitzbubenſtreiche“ und „Der Arzt wider Willen“
nach längerer Zeit wieder einmal gegeben wurden. In beiden
Stücken war es namentlich Herr Schwannecke, der die Haupt-
koſten der Unterhaltung trug. Die beiden Stücke werden noch
in der Ueberſetzung von Georg Dröſcher und Auguſt Freſenius
aufgeführt. Die Regie hat jetzt Herr Lützenkirchen. Molière
wie Shakeſpeare gehörten zu jener klaſſiſchen Literatur unſerer
Feinde, die auch künftig auf unſeren deutſchen Bühnen nicht
fehlen darf, denn ihr Wert geht über das Nationale hinaus
in das allgemein Menſchliche; aber franzöſiſche Darſteller,
wie einſtmals die beiden Coquelins, werden wir freilich darin
nicht mehr zu ſehen bekommen, was aber auch weiter nichts
ſchadet, iſt doch gerade Coquelin mit dem Molièreſchen Text
höchſt rückſichtslos umgeſprungen. —
Auch das Schauſpielhaus griff auf ein altes Stück zurück,
als es unerwartet Gerhart Hauptmanns einſt ſo viel be-
ſchrienes Märchendrama „Die verſunkene Glocke“ aus dem
Theaterarchiv hervorſuchte. Es iſt darin ziemlich ſtaubig ge-
worden und wird auf die Dauer wohl kaum mehr zum
Leben zu erwecken ſein. Damals verblüffte und imponierte der
Reflexionsballaſt, der an dem Stücke hängt. Seither hat man
eine etwas reinere und ſchlichtere Anſchauung von den Er-
forderniſſen eines deutſchen Märchens gewonnen. Die Auf-
führung ſelbſt war recht gut. Den Glockengießer ſpielte ein
Gaſt, Kurt Gerden, ſeine Frau Annie Roſar, den Pfarrer
vortrefflich Herr Eßlair. Die alte Wittichen Fräulein Glümer,
das Rautendelein Fräulein Selbing und den Nickelmann der
Leiter der Aufführung Herr Peppler. Noch weniger Glück
aber hatte das Schauſpielhaus mit einer ziemlich überflüſſigen
Neuheit, einer dreiaktigen Komödie des bekannten Shaw-
Ueberſetzers Siegfried Trebitſch. Wenn ihm auch als ſolchen
ſeinerzeit ſchwere Mißverſtändniſſe des engliſchen Dichters
nachgewieſen worden ſind, ſo iſt uns der Ueberſetzer doch noch
immer lieber als der Autor dieſes eigenen Stückes. „Gefähr-
liche Jahre“ iſt weder eine Komödie noch irgendwie amüſant,
ſondern gehört eigentlich der Gattung jener Kokottenſtücke
nach franzöſiſchem Muſter an, die jetzt für immer für uns ab-
getan ſein ſollten. Außer den Franzoſen iſt wohl noch Arthur
Schnitzler Vorbild für den Verfaſſer geweſen, der die gefähr-
lichen Jahre einen albernen Jungen durch deſſen Vater in der
Weiſe überſtehen laſſen will, daß dieſer ihm eine angehende
Schauſpielerin als Liebſchaft kontraktlich gewinnt, damit er
nicht aus unterdrücktem Lebenstrieb wie ſeine Geſchwiſter
Selbſtmord begeht. Die einzige vernünftige Perſon in dem
Stücke, die Mutter, verſchwindet leider mit dem erſten Akt,
und wir haben noch zwei weitere auszuhalten, in denen
wenig, vor allem nichts Heiteres vorgeht, aber furchtbar geiſt-
reich über die gewöhnlichſten Dinge geredet wird. Abermals
ein Gaſt, ein Fräulein Malva Rona, ſpielte die weibliche
Hauptrolle und führte ſich damit nicht übel ein. Den Jungen
in den gefährlichen Jahren hatte Herr Bauer, ſeinen leicht-
lebigen Vater Herr Hans Raabe zu geben. Auch einem ver-
mutlich komiſch gemeinten Schauſpieler (Max Weydner)
konnte es nicht gelingen, das Publikum zu feſſeln, das ſich
zwar das Erſcheinen des hergereiſten Autors nach den letzten
beiden Akten wohl gefallen ließ, aber das Haus nicht ohne
Langeweile und Widerſpruch verließ. Leider war dieſe
Premiere eine Wohltätigkeitsvorſtellung zugunſten des öſter-
reichiſch-ungariſchen Roten Kreuzes, das hoffentlich doch einen
pekuniären Vorteil von dem ziemlich gut beſetzten Hauſe da-
vongetragen hat, dem wir aber einen würdigeren Anlaß,
d. h. ein ernſthafter zu nehmendes Stück gewünſcht hätten.
Alfred Frhr. v. Menſi.
Feuilleton
Ihre Entſcheidung.
Von
Anna Hilaria von Ekhel.
„Es ſteht dir jederzeit frei, nach England zurückzukehren.
Die Reiſe wird langweilig und umſtändlich ſein, aber ſie iſt
möglich. Ich halte dich nicht, wenn dich hier nichts hält. Du
biſt vollſtändig Herrin deiner Entſchlüſſe. Bleibſt du aber,
dann erwarte ich von dir, daß du nichts anderes biſt, als die
Frau deines Mannes — eines deutſchen Soldaten.“
„Eines deutſchen Soldaten?“ wiederholte ſie, um es be-
greifen zu können, „du mußt mit?“ An dieſe Möglichkeit hatte
ſie noch gar nicht gedacht. Nicht daß er kämpfen ſollte, ſchreckte
ſie, unerträglich war ihr der Gedanke, daß er die Waffen gegen
ihr Volk heben wollte. „Es kann nicht ſein, du gegen England!
— Und — wenn George dir gegenüber ſteht?“
„So werden George und ich als ehrliche Soldaten ihre
Pflicht tun.“
„Harry, du gegen meinen Bruder!“
„Bitte, Helene, nenne mich nicht mehr ſo, mir klingt es
wie Spott ins Ohr.“
„Ich habe dich immer ſo genannt und es hat dir gefallen!
Ich heiße Ellen und nicht Helene. Ich — ſie war fertig mit
ihrer Kraft: „Warum ſeid ihr ſo grauſam zu mir, ihr ſeid ganz
andere Menſchen geworden, ſeit Krieg iſt. Und nun ſchickſt du
mich auch noch fort! — Und das iſt das beſte: — ich gehe!“
„Ellen,“ ſagte er zärtlich, begütigend. Sie tat ihm un-
ſäglich leid, aber er konnte ihr nicht helfen, dieſer Kampf
mußte durchgefochten werden, denn er war entſcheidend für
ſeine Zukunft und für die Zukunft des Hardenkopſchen Hauſes.
Was dazu gehörte, mußte deutſch ſein, ſollte es nicht in die ge-
ſunde, heimiſche Art einen Zerſetzungskeim hineintragen.
„Komm, ſetz’ dich zu mir!“
Sie ſchüttelte den Kopf, ſie blieb an ihrem Fenſterplatz
ſitzen und ihre Finger begannen wieder die Goldfäden durch
ihre unnütze kleine Flitterarbeit zu ziehen, ſie wollte das
Zittern ihrer Hände damit verbergen.
Er ſah, wie es in ihr ſtürmte und freute ſich über die
Haltung, die ſie dabei bewahrte. Zucht und Raſſe waren
in ihr, ſie war ein Geſchlechterkind des verwandten Stammes
überm Kanal. Er dachte daran, wie ſtolz ſie alle geweſen, als
die vornehme, reiche Engländerin zu ihnen herübergekommen
war, wie ſeine Mutter, die Senatortochter und Senatorgattin,
dieſe Verbindung begünſtigt hatte, wie ſein Vater zu Onkel
Stanies von der jungen Braut immer als: our english girl
geſprochen, ein leiſer Anflug von Ueberlegenheit hatte durch-
geklungen, der arme Stanies hatte ja nur deutſche Schwieger-
töchter! Schweſter und Schwager, die ganze große Harden-
kopſche Sippe hatten ſie verzogen; ihre Art, den Haushalt zu
führen, ihre Art ſich zu kleiden, alles war entzückend und nach-
ahmenswert geweſen! Er ſelbſt? — Zwei Dinge hatten ihn
zur Anglomanie verführt: Der Sport den Knaben, den
Mann — ſie war ja auch zum Kopfverdrehen, ſeine kleine
Engländerin!
Ein tiefes Rot ſtieg ihm bis zur Stirn hinauf. „Ich be-
greife dich, Ellen,“ ſagte er mit der allen Hardenkops eigenen
ſtrengen Sachlichkeit, die ſich um keine Selbſtkritik drückte.
„Du mußt dir plötzlich wie in ein Tollhaus verſetzt vorkommen,
wir waren bis vor kurzem die Affen Englands, nan ſind wir
ſeine Gegner und Richter. Ich kann nicht von dir verlangen,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-04-24T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |