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Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 2. Mai 1920.

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2. Mai 1920 Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] Herabgestürzt mit tausend erneuten Sonnen.
Mit Wagen Blütenduftes, mit liebestrunknem
Geflüster trauter Paare, mit tausend
Nachtigallstimmen in dunklen Rosen
Und Fliederbüschen? Atmen nicht weiche Lüfte
In süßem Kosen über die junge Erde.
Die neu erwacht im Purpurlichte
Badet? -- -- Ach nein -- nein --: nur sie ging freundlich
Vorüber und der Glanz ihrer lieben Augen
Hat mich gestreift. -- Nun ist sie schon längst verschwunden.
-- Herbst ist's ja -- horch. der Wind heult schaurig -- --
Und ich bin wieder allein -- alleine -- --

III.
Du bist wie der Mondstrahl, der in der lichten
Sommernacht mit silbernen Füßen auf des
Dunklen Waldsees träumenden Wassern hinspielt.
Daß die entzückte
Welle leise klingt, gleich als glitte ernster
Fernverwehter Harfengesang darüber. --
Du bist wie die Kerze, die am Altare
Ruhevoll schimmert.
Daß ihr reiner Glanz durch die stillen Räume
Tröstend hinfließt und im Vorübergleiten
Sanft vom goldnen Zierate aufblinkt und die
Herben Gebete
Mit sich trägt. -- Du bist wie die Heilige, die
In der kühlen, einsamen Waldkapelle
Selig träumt, wo feierlich das gedämpfte
Sonnenlicht durch die
Buntgemalten Scheiben in tausend Farben
Glühend bricht und nur ein verirrtes Bienchen
Leis' ein zartes Liedelein summt zu Ehr' des
Lieblichen Bildes! --
IV.
Wie bist du hold! Ich möchte mein müdes Herz
In deine weichen Hände legen, Erlösung dort
Von wehem Leid zu finden; -- ach, ich
Möchte mein zuckendes Antlitz bergen.
Ein wegesmatter Wandrer, in deinem Schoße: --
Ich möchte deinen freundlichen Worten lauschen
Und traumverloren vor dir knien,
Still und beseligt von deiner Nähe! --
V.
Nur ein Schatten? -- Wieder nur Traumgespenster? -- --
Nein, nein, nein! Einen Blick nur! -- -- Vergebens: Nur
Grau der Regen -- öde die Straße und ihr
Menschengewühle
Hastend wie vorher, gleich dem trüben Strome, --
Und die kalte, feindliche Nacht -- und Schweigen --:
Nieder warf ich mich auf die harte Erde:
Weinen -- nur weinen! --
VI.
"Was weinst du? -- Sieh, es klagt schon der kalte Herbstwind
Am öden Heidegrab und mit feuchten Hönden
Streicht eisig der ergraute Abend
Ueber die schauernden Stoppelfelder! --"
"Wein' ich? Kümmert's euch, wenn ein heißer Schmerz sich
Dumpf und polternd über das Herz mir wälzt? --
Wein' ich? Wehe euch, daß die bleichen Tränen
Wild, in Verzweiflung
[Spaltenumbruch] Aufschrei'n durch die sternlose Nacht des Leidens! --
Wein' ich? O des wortlosen Jammers ewig
Hoffnungsloser, bitterer Sehnsucht, gleich dem
Tode im Herzen! --
VII.
Vorbei --! Das alte Lied. Wie der scheue Traum
Vor Morgengrauen -- Wo aus den Vielen, Vielen,
Die achtlos weitergeh'n, zwei Augen
Flüchtig dich angeblickt -- abgrundtief
Ein Schmerz -- und dann ein Wahn -- und dann nichts
mehr -- nichts.
Als leer, so leer -- o, so leer! -- -- Warum wir leben?
Zu kämpfen -- leiden -- und allein
Sterben zu müssen! -- Warum -- warum --?
VIII.
Das Lied ist aus. -- Was steht ihr noch stumpf und gafft
In schaler Neugier? -- Geht! Was ist euch, euch allen
Der Heimatlose und sein Schmerz! --
Das Lied ist aus -- geht heim! -- Geht -- geht! --


Nirwana.
Bruchstück aus einem Gespräch.

Pharro: Weg mit den Rosenphantasien, Freunde, die
uns nur erweichen. Der Krieg ist zu Ende, der Griechen-
land zerfleischt hat. Aber ein Friede ist uns heraufge-
kommen, der schlimmer fast erscheint als der Krieg. Dem
Denkenden erwächst die Frage, hart und dräuend: wie
rüsten wir uns, ihn zu tragen? Wir müssen unsere Herzen
stählen, Freunde, und neue Opfer bringen.

Erechtheus: So spricht, der noch opfern kann. Mir
hat es Vater und Bruder genommen, und unser Haus liegt
verwüstet. Ich wüßte nicht, was ich noch opfern sollte, es
sei denn mich selbst.

Pharro: Dein Aufbegehren tut mir unrecht, junger
Freund. Die Zeit wird dich ruhiger denken lehren. Mögen
die Guten in Nirwana, um die du trauerst, dir beistehen!

Salmonides: Schlechten Trost reichst du ihm, dünkt
mich, mit einer Lüge. "Nirwana", was soll das Hirngespinst
den Trauernden? Du gibst uns heute, Pharro, Steine statt
Brot. Laß mich dein Märchen widerlegen. D[u] sagst also,
Erechtheus Vater und Bruder und alle die anderen, die
wir verloren, sie leben in Nirwana fort?

Pharro: Nenn' es Nirwana, Götterhimmel, Olymp.
Paradies, ewige Seligkeit -- genug sie leben.

Salmonides: Und du Erechtheus, glaubst du daran?

Erechtheus: Ich möchte daran glauben, allein ich
kann es nicht.

Salmonides: Ich breche in dein Leid ein, wie in
ein dunkles Zimmer. Aber vielleicht bringt dieser Einbruch
doch zuletzt eine Erhellung. Zuletzt -- denn vorerst sehe ich
nur schwarze Nacht. -- Wenn Erechtheus Betrauerte lebten,
[P]harro, würden sie sich ihm nicht zeigen, ihn mit Trost be-
gaben, ihm Stärkung bringen?

Erechtheus: Ich denke ähnlich. Pharro. wider-
strebend zwar, aber ich muß so dennen.

Salmonides: Laßt's mich genauer sagen. Wenn es
ein Fortleben nach dem Tode gibt, so ist es, darin sind wir
uns wohl einig, ein Fortleben in höherer Form. Denn wir
erschauern nur vor dem Nichts und ersehnen ein Weiter-
leben, weil wir dessen gewiß sind, daß es ein besseres Leben
sein muß. Wir ersehnen es somit als ein Glück. Wie aber
sollen die drüben in Nirwana glücklich sein, wenn sie uns
hier trauern sehen? Das erste, was sie an Freude fordern
müßten, wäre doch, daß sie sich bemerkbar machen könnten,
daß sie den in diesem Leben Verbliebenen zurufen dürften:

2. Mai 1920 Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] Herabgeſtürzt mit tauſend erneuten Sonnen.
Mit Wagen Blütenduftes, mit liebestrunknem
Geflüſter trauter Paare, mit tauſend
Nachtigallſtimmen in dunklen Roſen
Und Fliederbüſchen? Atmen nicht weiche Lüfte
In ſüßem Koſen über die junge Erde.
Die neu erwacht im Purpurlichte
Badet? — — Ach nein — nein —: nur ſie ging freundlich
Vorüber und der Glanz ihrer lieben Augen
Hat mich geſtreift. — Nun iſt ſie ſchon längſt verſchwunden.
— Herbſt iſt’s ja — horch. der Wind heult ſchaurig — —
Und ich bin wieder allein — alleine — —

III.
Du biſt wie der Mondſtrahl, der in der lichten
Sommernacht mit ſilbernen Füßen auf des
Dunklen Waldſees träumenden Waſſern hinſpielt.
Daß die entzückte
Welle leiſe klingt, gleich als glitte ernſter
Fernverwehter Harfengeſang darüber. —
Du biſt wie die Kerze, die am Altare
Ruhevoll ſchimmert.
Daß ihr reiner Glanz durch die ſtillen Räume
Tröſtend hinfließt und im Vorübergleiten
Sanft vom goldnen Zierate aufblinkt und die
Herben Gebete
Mit ſich trägt. — Du biſt wie die Heilige, die
In der kühlen, einſamen Waldkapelle
Selig träumt, wo feierlich das gedämpfte
Sonnenlicht durch die
Buntgemalten Scheiben in tauſend Farben
Glühend bricht und nur ein verirrtes Bienchen
Leiſ’ ein zartes Liedelein ſummt zu Ehr’ des
Lieblichen Bildes! —
IV.
Wie biſt du hold! Ich möchte mein müdes Herz
In deine weichen Hände legen, Erlöſung dort
Von wehem Leid zu finden; — ach, ich
Möchte mein zuckendes Antlitz bergen.
Ein wegesmatter Wandrer, in deinem Schoße: —
Ich möchte deinen freundlichen Worten lauſchen
Und traumverloren vor dir knien,
Still und beſeligt von deiner Nähe! —
V.
Nur ein Schatten? — Wieder nur Traumgeſpenſter? — —
Nein, nein, nein! Einen Blick nur! — — Vergebens: Nur
Grau der Regen — öde die Straße und ihr
Menſchengewühle
Haſtend wie vorher, gleich dem trüben Strome, —
Und die kalte, feindliche Nacht — und Schweigen —:
Nieder warf ich mich auf die harte Erde:
Weinen — nur weinen! —
VI.
„Was weinſt du? — Sieh, es klagt ſchon der kalte Herbſtwind
Am öden Heidegrab und mit feuchten Hönden
Streicht eiſig der ergraute Abend
Ueber die ſchauernden Stoppelfelder! —“
„Wein’ ich? Kümmert’s euch, wenn ein heißer Schmerz ſich
Dumpf und polternd über das Herz mir wälzt? —
Wein’ ich? Wehe euch, daß die bleichen Tränen
Wild, in Verzweiflung
[Spaltenumbruch] Aufſchrei’n durch die ſternloſe Nacht des Leidens! —
Wein’ ich? O des wortloſen Jammers ewig
Hoffnungsloſer, bitterer Sehnſucht, gleich dem
Tode im Herzen! —
VII.
Vorbei —! Das alte Lied. Wie der ſcheue Traum
Vor Morgengrauen — Wo aus den Vielen, Vielen,
Die achtlos weitergeh’n, zwei Augen
Flüchtig dich angeblickt — abgrundtief
Ein Schmerz — und dann ein Wahn — und dann nichts
mehr — nichts.
Als leer, ſo leer — o, ſo leer! — — Warum wir leben?
Zu kämpfen — leiden — und allein
Sterben zu müſſen! — Warum — warum —?
VIII.
Das Lied iſt aus. — Was ſteht ihr noch ſtumpf und gafft
In ſchaler Neugier? — Geht! Was iſt euch, euch allen
Der Heimatloſe und ſein Schmerz! —
Das Lied iſt aus — geht heim! — Geht — geht! —


Nirwana.
Bruchſtück aus einem Geſpräch.

Pharro: Weg mit den Roſenphantaſien, Freunde, die
uns nur erweichen. Der Krieg iſt zu Ende, der Griechen-
land zerfleiſcht hat. Aber ein Friede iſt uns heraufge-
kommen, der ſchlimmer faſt erſcheint als der Krieg. Dem
Denkenden erwächſt die Frage, hart und dräuend: wie
rüſten wir uns, ihn zu tragen? Wir müſſen unſere Herzen
ſtählen, Freunde, und neue Opfer bringen.

Erechtheus: So ſpricht, der noch opfern kann. Mir
hat es Vater und Bruder genommen, und unſer Haus liegt
verwüſtet. Ich wüßte nicht, was ich noch opfern ſollte, es
ſei denn mich ſelbſt.

Pharro: Dein Aufbegehren tut mir unrecht, junger
Freund. Die Zeit wird dich ruhiger denken lehren. Mögen
die Guten in Nirwana, um die du trauerſt, dir beiſtehen!

Salmonides: Schlechten Troſt reichſt du ihm, dünkt
mich, mit einer Lüge. „Nirwana“, was ſoll das Hirngeſpinſt
den Trauernden? Du gibſt uns heute, Pharro, Steine ſtatt
Brot. Laß mich dein Märchen widerlegen. D[u] ſagſt alſo,
Erechtheus Vater und Bruder und alle die anderen, die
wir verloren, ſie leben in Nirwana fort?

Pharro: Nenn’ es Nirwana, Götterhimmel, Olymp.
Paradies, ewige Seligkeit — genug ſie leben.

Salmonides: Und du Erechtheus, glaubſt du daran?

Erechtheus: Ich möchte daran glauben, allein ich
kann es nicht.

Salmonides: Ich breche in dein Leid ein, wie in
ein dunkles Zimmer. Aber vielleicht bringt dieſer Einbruch
doch zuletzt eine Erhellung. Zuletzt — denn vorerſt ſehe ich
nur ſchwarze Nacht. — Wenn Erechtheus Betrauerte lebten,
[P]harro, würden ſie ſich ihm nicht zeigen, ihn mit Troſt be-
gaben, ihm Stärkung bringen?

Erechtheus: Ich denke ähnlich. Pharro. wider-
ſtrebend zwar, aber ich muß ſo dennen.

Salmonides: Laßt’s mich genauer ſagen. Wenn es
ein Fortleben nach dem Tode gibt, ſo iſt es, darin ſind wir
uns wohl einig, ein Fortleben in höherer Form. Denn wir
erſchauern nur vor dem Nichts und erſehnen ein Weiter-
leben, weil wir deſſen gewiß ſind, daß es ein beſſeres Leben
ſein muß. Wir erſehnen es ſomit als ein Glück. Wie aber
ſollen die drüben in Nirwana glücklich ſein, wenn ſie uns
hier trauern ſehen? Das erſte, was ſie an Freude fordern
müßten, wäre doch, daß ſie ſich bemerkbar machen könnten,
daß ſie den in dieſem Leben Verbliebenen zurufen dürften:

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[Seite 169[169]/0011] 2. Mai 1920 Allgemeine Zeitung Herabgeſtürzt mit tauſend erneuten Sonnen. Mit Wagen Blütenduftes, mit liebestrunknem Geflüſter trauter Paare, mit tauſend Nachtigallſtimmen in dunklen Roſen Und Fliederbüſchen? Atmen nicht weiche Lüfte In ſüßem Koſen über die junge Erde. Die neu erwacht im Purpurlichte Badet? — — Ach nein — nein —: nur ſie ging freundlich Vorüber und der Glanz ihrer lieben Augen Hat mich geſtreift. — Nun iſt ſie ſchon längſt verſchwunden. — Herbſt iſt’s ja — horch. der Wind heult ſchaurig — — Und ich bin wieder allein — alleine — — III. Du biſt wie der Mondſtrahl, der in der lichten Sommernacht mit ſilbernen Füßen auf des Dunklen Waldſees träumenden Waſſern hinſpielt. Daß die entzückte Welle leiſe klingt, gleich als glitte ernſter Fernverwehter Harfengeſang darüber. — Du biſt wie die Kerze, die am Altare Ruhevoll ſchimmert. Daß ihr reiner Glanz durch die ſtillen Räume Tröſtend hinfließt und im Vorübergleiten Sanft vom goldnen Zierate aufblinkt und die Herben Gebete Mit ſich trägt. — Du biſt wie die Heilige, die In der kühlen, einſamen Waldkapelle Selig träumt, wo feierlich das gedämpfte Sonnenlicht durch die Buntgemalten Scheiben in tauſend Farben Glühend bricht und nur ein verirrtes Bienchen Leiſ’ ein zartes Liedelein ſummt zu Ehr’ des Lieblichen Bildes! — IV. Wie biſt du hold! Ich möchte mein müdes Herz In deine weichen Hände legen, Erlöſung dort Von wehem Leid zu finden; — ach, ich Möchte mein zuckendes Antlitz bergen. Ein wegesmatter Wandrer, in deinem Schoße: — Ich möchte deinen freundlichen Worten lauſchen Und traumverloren vor dir knien, Still und beſeligt von deiner Nähe! — V. Nur ein Schatten? — Wieder nur Traumgeſpenſter? — — Nein, nein, nein! Einen Blick nur! — — Vergebens: Nur Grau der Regen — öde die Straße und ihr Menſchengewühle Haſtend wie vorher, gleich dem trüben Strome, — Und die kalte, feindliche Nacht — und Schweigen —: Nieder warf ich mich auf die harte Erde: Weinen — nur weinen! — VI. „Was weinſt du? — Sieh, es klagt ſchon der kalte Herbſtwind Am öden Heidegrab und mit feuchten Hönden Streicht eiſig der ergraute Abend Ueber die ſchauernden Stoppelfelder! —“ „Wein’ ich? Kümmert’s euch, wenn ein heißer Schmerz ſich Dumpf und polternd über das Herz mir wälzt? — Wein’ ich? Wehe euch, daß die bleichen Tränen Wild, in Verzweiflung Aufſchrei’n durch die ſternloſe Nacht des Leidens! — Wein’ ich? O des wortloſen Jammers ewig Hoffnungsloſer, bitterer Sehnſucht, gleich dem Tode im Herzen! — VII. Vorbei —! Das alte Lied. Wie der ſcheue Traum Vor Morgengrauen — Wo aus den Vielen, Vielen, Die achtlos weitergeh’n, zwei Augen Flüchtig dich angeblickt — abgrundtief Ein Schmerz — und dann ein Wahn — und dann nichts mehr — nichts. Als leer, ſo leer — o, ſo leer! — — Warum wir leben? Zu kämpfen — leiden — und allein Sterben zu müſſen! — Warum — warum —? VIII. Das Lied iſt aus. — Was ſteht ihr noch ſtumpf und gafft In ſchaler Neugier? — Geht! Was iſt euch, euch allen Der Heimatloſe und ſein Schmerz! — Das Lied iſt aus — geht heim! — Geht — geht! — Nirwana. Bruchſtück aus einem Geſpräch. Von Reinhard Weer. Pharro: Weg mit den Roſenphantaſien, Freunde, die uns nur erweichen. Der Krieg iſt zu Ende, der Griechen- land zerfleiſcht hat. Aber ein Friede iſt uns heraufge- kommen, der ſchlimmer faſt erſcheint als der Krieg. Dem Denkenden erwächſt die Frage, hart und dräuend: wie rüſten wir uns, ihn zu tragen? Wir müſſen unſere Herzen ſtählen, Freunde, und neue Opfer bringen. Erechtheus: So ſpricht, der noch opfern kann. Mir hat es Vater und Bruder genommen, und unſer Haus liegt verwüſtet. Ich wüßte nicht, was ich noch opfern ſollte, es ſei denn mich ſelbſt. Pharro: Dein Aufbegehren tut mir unrecht, junger Freund. Die Zeit wird dich ruhiger denken lehren. Mögen die Guten in Nirwana, um die du trauerſt, dir beiſtehen! Salmonides: Schlechten Troſt reichſt du ihm, dünkt mich, mit einer Lüge. „Nirwana“, was ſoll das Hirngeſpinſt den Trauernden? Du gibſt uns heute, Pharro, Steine ſtatt Brot. Laß mich dein Märchen widerlegen. Du ſagſt alſo, Erechtheus Vater und Bruder und alle die anderen, die wir verloren, ſie leben in Nirwana fort? Pharro: Nenn’ es Nirwana, Götterhimmel, Olymp. Paradies, ewige Seligkeit — genug ſie leben. Salmonides: Und du Erechtheus, glaubſt du daran? Erechtheus: Ich möchte daran glauben, allein ich kann es nicht. Salmonides: Ich breche in dein Leid ein, wie in ein dunkles Zimmer. Aber vielleicht bringt dieſer Einbruch doch zuletzt eine Erhellung. Zuletzt — denn vorerſt ſehe ich nur ſchwarze Nacht. — Wenn Erechtheus Betrauerte lebten, Pharro, würden ſie ſich ihm nicht zeigen, ihn mit Troſt be- gaben, ihm Stärkung bringen? Erechtheus: Ich denke ähnlich. Pharro. wider- ſtrebend zwar, aber ich muß ſo dennen. Salmonides: Laßt’s mich genauer ſagen. Wenn es ein Fortleben nach dem Tode gibt, ſo iſt es, darin ſind wir uns wohl einig, ein Fortleben in höherer Form. Denn wir erſchauern nur vor dem Nichts und erſehnen ein Weiter- leben, weil wir deſſen gewiß ſind, daß es ein beſſeres Leben ſein muß. Wir erſehnen es ſomit als ein Glück. Wie aber ſollen die drüben in Nirwana glücklich ſein, wenn ſie uns hier trauern ſehen? Das erſte, was ſie an Freude fordern müßten, wäre doch, daß ſie ſich bemerkbar machen könnten, daß ſie den in dieſem Leben Verbliebenen zurufen dürften:

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2020-10-02T09:49:36Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 2. Mai 1920, S. Seite 169[169]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine17_1920/11>, abgerufen am 22.12.2024.