Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 24. April 1915.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeine Zeitung 24. April 1915.
[Spaltenumbruch] Hinterhalt drohte, behandelten sie alles und jedes und jeder-
mann mit geradezu göttlichem Gleichmute (supreme in-
difference).
Ihre Absicht war bald erkennbar Eine Abteilung
eilte zur Telegraphenstation, die andern wandten sich zum
Funkenturm. Nach einigen Minuten angstvollen Wartens
hieß es plötzlich, daß wir vor dem Gebäude antreten sollten.
Dieses war ungefähr 6.40 Uhr, eine reichlich frühe Stunde,
um vollzählig versammelt zu sein. Ich muß es daher euch
überlassen, euch den wunderbaren Aufzug auszumalen, in
dem wir 29 Mann antraten. Nach einigen Minuten waren
wir gemustert und man hatte uns eine Wache gegeben. In-
zwischen ging auch die Zerstörungsarbeit am Telegraphen-
gebäude ihren Gang und Schritte wurden unternommen, den
Funkenturm in die Luft zu sprengen. Wir wurden nun lang-
sam nach den Gebäuden in der Strandrichtung abgeschoben.

Unsre Wache war anfänglich kurz angebunden, aber all-
mählich gewannen wir sie und sie wurde bald freundlich mit
uns und antwortete sogar auf einige unsrer Bemerkungen.
Gewiß, anfänglich sehr einsilbig, aber allmählich sprachen sie
mit uns in einem Englisch, welches ihrer eigenen Sprache sehr
ähnlich war. Schließlich wurde uns Aufenthalt in einem
Bootsschuppen angewiesen und da hatten wir so lange zu
bleiben, als den Deutschen gefiel, ihr Zerstörungswerk zu
vollenden. Während dieser ganzen Zeit erklang ein unauf-
hörlicher Lärm von Axt und Hammer, und das fortgesetzte
Krachen erinnerte an ein großes Feuer, an das Geräusch der
Feuerwehrbeile, an einstürzende Wände und Geklirr von
zerbrechenden Fensterscheiben.

Kurz darauf erfolgte die erste Explosion am Funkturm.
"Du guter alter Funkturm," murmelten wir aufgeregt, denn
er hatte sich kaum bewegt. Eine zweite Explosion schien etwas
mehr Erfolg zu haben, denn der Turm schwankte und zitterte
hin und her, stand aber noch. Unsre Aufregung stieg auf den
Höhepunkt und lenkte unsre Aufmerksamkeit ganz und gar
von dem Maschinengewehr ab, welches uns während der
ganzen Zeit gierig angeblickt hatte. Kurz darauf ließ ein un-
geheurer Knall uns herumfahren und wir gewahrten den
Materialschuppen in eine dichte Rauchwolke gehüllt. Alle
möglichen Dinge wurden dort aufbewahrt, Farbe, Maschinen-
teile, Kabelutensilien usw. Während der ganzen Zeit hatte
der Lärm in dem Telegraphengebäude nicht aufgehört. In-
zwischen war eine dritte Ladung am Funkenturm zur Ex-
plosion gebracht, der nun mit beinahe menschlichem Schauer
zusammenbrach. Während dieser ganzen Zeit sahen wir, wie
die Fremden alles einer genauen Untersuchung unterzogen,
und der Gedanke an unsre kleinen Habseligkeiten, die wir
vielleicht verlieren könnten, ließ uns allmählich unsre Laune
verlieren, denn dieses tatenlose Zusehen war das Schlimmste
von allem. Eine bessere Einsicht sagte uns indessen, daß die
Hauptursache zuviel Aufregung und zu wenig Frühstück war
und wir taten sofort unser Bestes, dem abzuhelfen. Etwas
Abwechslung brachte uns der Befehl, unsre Waffen abzu-
liefern, und ich ging mit den andern, um meinen Browning
abzugeben, den ich unter einem zerbrochenen Blumentopf in
einem Kehrichthaufen versteckt hatte. Die Deutschen hatten
aber gründlich alles untersucht, denn mein Browning war be-
reits gefunden. Die Patronen, welche in einer leeren Oel-
kanne in demselben Haufen versteckt waren, waren ihrer Auf-
merksamkeit entgangen. Nun zurück zum Frühstück. Wie ich
schon gesagt habe, wurden wir gut behandelt und unsre Wache
erwies sich zugänglich. Augenscheinlich waren die Leute selbst
hungrig, denn bald darauf erschienen zwei Jungen mit heißem
Kaffee und Butterbrötchen. Es gelang mir, in der Schnellig-
keit ein Butterbrot zu verschlingen und eine Tasse Kaffee zu
erlangen, welche mich wieder Mensch werden ließ.

Währenddessen war von der Landungsmannschaft eine
Dampfbarkasse herumgeschickt, um die Kabel aufzusuchen. Ob-
wohl es in dem durchsichtigen klaren Wasser leicht war, die
Stellen aufzufinden, wo dieselben verankert waren, obwohl
es eine einfache Sache war, herunterzutauchen und die Kabel
an die Oberfläche zu bringen; das Durchschneiden der Kabel
war eine andere und schwierige Sache. Indessen, Axt und
Säge taten das ihrige und nach kurzer Zeit waren zwei Kabel
erledigt. Bei dem dritten war man beschäftigt, als plötzlich
mit dem Zerstörungswerk aufgehört wurde, aus Gründen, die
[Spaltenumbruch] uns nicht klar waren, außer, daß wir annahmen, daß der
andre Teil der Landungsmannschaft seine Arbeit beendet
hatte. Da plötzlich hörten wir die Dampfpfeife der "Emden"
ertönen, maßen dem aber keine Bedeutung bei glaubten auch
nur, daß man an Bord vielleicht befürchten könne, unsre durch
die Funkenstation abgegebenen Notrufe wären irgendwo auf-
genommen und daß man daher den Besuch nicht länger aus-
dehnen wollte, denn es war inzwischen 9 Uhr geworden. Aber
die Dampfpfeife ertönte weiter, die Landungsmannschaft eilte
zum Pier und bald war nur noch ein Offizier zurück, der mit
unserm Chef verhandelte. Kurz darauf wurden wir frei-
gelassen und wir eilten sofort zu unsern Kameras. Dann be-
gleiteten wir den Offizier zum Pier, denn wir haben uns
überzeugen müssen, daß die Deutschen sehr viel
netterseinkönnen, als man siebeiuns immer
darstellt.
Obwohl unsre Gefühle natürlich gemischte
waren, das eine Gefühl der Bewunderung für diese Mann-
schaft war nach meiner Meinung vorwiegend in uns allen,
denn sie hatten nur das getan, was sie für ihre Pflicht gegen
ihr Vaterland hielten, unter völliger Respektierung allen
persönlichen und privaten Eigentums. So weit sind sie in
ihrer Rücksicht gegangen, daß sie häufig hierdurch
Zeitverlust hatten.
Sei dem wie ihm wolle, wir
brachten ein dreifaches Hurra aus und eilten dann zurück. Die
"Emden" vor Anker liegen zu sehen, war zweifellos der
leitende Gedanke in uns und zu diesem Zwecke hatten wir
nach Westpoint zu gehen ungefähr eine Meile entfernt.

Einer von uns war inzwischen wieder auf das Dach ge-
gangen und rief uns mit gellender Stimme etwas zu. Eine dicke
schwarze Rauchwolke aus Nordosten zeigte uns, daß ein Schiff
mit voller Kraft auf die Insel losdampfte und als wir alle
auf dem Dache anlangten, war die "Emden" bereits aus dem
Hafen heraus, ungefähr eine halbe Meile entfernt mit vollem
Dampf nach Nordwesten fahrend. Die Dampfbarkasse war
in der Mittellagune und hatte ihre beiden Pinassen mit
48 Mann und 4 Maschinengewehren noch im Schlepptau.
Aller Augen waren auf den weiten Ozean gerichtet, wo sich
jetzt das Drama von Tod und Leben abspielen sollte. Der
australische Kreuzer "Sydney" kam mit Volldampf in diago-
naler Richtung, um der "Emden" den Weg abzuschneiden und
hatte das Signal gehißt: "Heraus zum Kampfe!"
(Come out and fight!) Und die "Emden", die nun in die
Enge getrieben wurde, schien durchaus nicht unwillig und
feuerte den ersten Schuß ab, beinahe in demselben Augen-
blicke, als sie klar vor den Inseln war. Die Entfernung war
ungefähr 6 Meilen, aber zu groß und es stellte sich auch bald
heraus, daß die "Sydney" das schnellere Schiff war. Der
Kampf war nur eine Frage von Manövern. Zwei Minuten
darauf waren sie im vollen Gange, die "Emden" oft mit
ihren sechs Geschützen auf die vier der "Sydney" antwortend.
Worte sind wohl überflüssig, um das Pandemonium auf
unserm Dache zu beschreiben. Blasphemierende, ver-
wünschende, fluchende, grunzende und kreischende Laute er-
füllten die Luft, je nachdem ein Schuß saß oder traf. Andre
wieder starrten aufgeregt und zitternd an allen Gliedern in
die Weite. Diese Augenblicke der Aufregung waren entsetzlich
und manche von uns liefen hinunter an die Nordspitze der
Insel in vergeblichem Bemühen, dem Kampfplatze näher zu
sein.

Bei Ankunft daselbst schien es uns, als ob die "Sydney"
Feuer an Bord hätte, so völlig war sie in dichten schwarzen
Rauch eingehüllt. Beinahe Todesstille herrschte jetzt unter
uns, nur unterbrochen durch das dumpfe Donnern der Ge-
schütze, und unsre Aufmerksamkeit war nur darauf gelenkt,
die Resultate der einzelnen Schüsse festzustellen. Granaten
fielen nun in nächster Nähe der "Emden" umher, aber ihre
eigenen Geschütze konnten trotz besten Schießens die "Sydney"
nicht erreichen. Unsre Spannung war zu groß, um auch nur
einen Ton äußern zu können und ein Schuß, der ins Wasser
ging und eine Wassersäule, höher als die Masten der "Em-
den" verursachte, konnte uns nur einen tiefen Seufzer ab-
ringen.

Wir aber, wir stummen Zuschauer bei diesem schrecklichen
Kampfe, die wir alles um uns herum vergessen hatten,
wurden mit einem Schlage in die Wirklichkeit zurückgebracht

Allgemeine Zeitung 24. April 1915.
[Spaltenumbruch] Hinterhalt drohte, behandelten ſie alles und jedes und jeder-
mann mit geradezu göttlichem Gleichmute (supreme in-
difference).
Ihre Abſicht war bald erkennbar Eine Abteilung
eilte zur Telegraphenſtation, die andern wandten ſich zum
Funkenturm. Nach einigen Minuten angſtvollen Wartens
hieß es plötzlich, daß wir vor dem Gebäude antreten ſollten.
Dieſes war ungefähr 6.40 Uhr, eine reichlich frühe Stunde,
um vollzählig verſammelt zu ſein. Ich muß es daher euch
überlaſſen, euch den wunderbaren Aufzug auszumalen, in
dem wir 29 Mann antraten. Nach einigen Minuten waren
wir gemuſtert und man hatte uns eine Wache gegeben. In-
zwiſchen ging auch die Zerſtörungsarbeit am Telegraphen-
gebäude ihren Gang und Schritte wurden unternommen, den
Funkenturm in die Luft zu ſprengen. Wir wurden nun lang-
ſam nach den Gebäuden in der Strandrichtung abgeſchoben.

Unſre Wache war anfänglich kurz angebunden, aber all-
mählich gewannen wir ſie und ſie wurde bald freundlich mit
uns und antwortete ſogar auf einige unſrer Bemerkungen.
Gewiß, anfänglich ſehr einſilbig, aber allmählich ſprachen ſie
mit uns in einem Engliſch, welches ihrer eigenen Sprache ſehr
ähnlich war. Schließlich wurde uns Aufenthalt in einem
Bootsſchuppen angewieſen und da hatten wir ſo lange zu
bleiben, als den Deutſchen gefiel, ihr Zerſtörungswerk zu
vollenden. Während dieſer ganzen Zeit erklang ein unauf-
hörlicher Lärm von Axt und Hammer, und das fortgeſetzte
Krachen erinnerte an ein großes Feuer, an das Geräuſch der
Feuerwehrbeile, an einſtürzende Wände und Geklirr von
zerbrechenden Fenſterſcheiben.

Kurz darauf erfolgte die erſte Exploſion am Funkturm.
„Du guter alter Funkturm,“ murmelten wir aufgeregt, denn
er hatte ſich kaum bewegt. Eine zweite Exploſion ſchien etwas
mehr Erfolg zu haben, denn der Turm ſchwankte und zitterte
hin und her, ſtand aber noch. Unſre Aufregung ſtieg auf den
Höhepunkt und lenkte unſre Aufmerkſamkeit ganz und gar
von dem Maſchinengewehr ab, welches uns während der
ganzen Zeit gierig angeblickt hatte. Kurz darauf ließ ein un-
geheurer Knall uns herumfahren und wir gewahrten den
Materialſchuppen in eine dichte Rauchwolke gehüllt. Alle
möglichen Dinge wurden dort aufbewahrt, Farbe, Maſchinen-
teile, Kabelutenſilien uſw. Während der ganzen Zeit hatte
der Lärm in dem Telegraphengebäude nicht aufgehört. In-
zwiſchen war eine dritte Ladung am Funkenturm zur Ex-
ploſion gebracht, der nun mit beinahe menſchlichem Schauer
zuſammenbrach. Während dieſer ganzen Zeit ſahen wir, wie
die Fremden alles einer genauen Unterſuchung unterzogen,
und der Gedanke an unſre kleinen Habſeligkeiten, die wir
vielleicht verlieren könnten, ließ uns allmählich unſre Laune
verlieren, denn dieſes tatenloſe Zuſehen war das Schlimmſte
von allem. Eine beſſere Einſicht ſagte uns indeſſen, daß die
Haupturſache zuviel Aufregung und zu wenig Frühſtück war
und wir taten ſofort unſer Beſtes, dem abzuhelfen. Etwas
Abwechſlung brachte uns der Befehl, unſre Waffen abzu-
liefern, und ich ging mit den andern, um meinen Browning
abzugeben, den ich unter einem zerbrochenen Blumentopf in
einem Kehrichthaufen verſteckt hatte. Die Deutſchen hatten
aber gründlich alles unterſucht, denn mein Browning war be-
reits gefunden. Die Patronen, welche in einer leeren Oel-
kanne in demſelben Haufen verſteckt waren, waren ihrer Auf-
merkſamkeit entgangen. Nun zurück zum Frühſtück. Wie ich
ſchon geſagt habe, wurden wir gut behandelt und unſre Wache
erwies ſich zugänglich. Augenſcheinlich waren die Leute ſelbſt
hungrig, denn bald darauf erſchienen zwei Jungen mit heißem
Kaffee und Butterbrötchen. Es gelang mir, in der Schnellig-
keit ein Butterbrot zu verſchlingen und eine Taſſe Kaffee zu
erlangen, welche mich wieder Menſch werden ließ.

Währenddeſſen war von der Landungsmannſchaft eine
Dampfbarkaſſe herumgeſchickt, um die Kabel aufzuſuchen. Ob-
wohl es in dem durchſichtigen klaren Waſſer leicht war, die
Stellen aufzufinden, wo dieſelben verankert waren, obwohl
es eine einfache Sache war, herunterzutauchen und die Kabel
an die Oberfläche zu bringen; das Durchſchneiden der Kabel
war eine andere und ſchwierige Sache. Indeſſen, Axt und
Säge taten das ihrige und nach kurzer Zeit waren zwei Kabel
erledigt. Bei dem dritten war man beſchäftigt, als plötzlich
mit dem Zerſtörungswerk aufgehört wurde, aus Gründen, die
[Spaltenumbruch] uns nicht klar waren, außer, daß wir annahmen, daß der
andre Teil der Landungsmannſchaft ſeine Arbeit beendet
hatte. Da plötzlich hörten wir die Dampfpfeife der „Emden“
ertönen, maßen dem aber keine Bedeutung bei glaubten auch
nur, daß man an Bord vielleicht befürchten könne, unſre durch
die Funkenſtation abgegebenen Notrufe wären irgendwo auf-
genommen und daß man daher den Beſuch nicht länger aus-
dehnen wollte, denn es war inzwiſchen 9 Uhr geworden. Aber
die Dampfpfeife ertönte weiter, die Landungsmannſchaft eilte
zum Pier und bald war nur noch ein Offizier zurück, der mit
unſerm Chef verhandelte. Kurz darauf wurden wir frei-
gelaſſen und wir eilten ſofort zu unſern Kameras. Dann be-
gleiteten wir den Offizier zum Pier, denn wir haben uns
überzeugen müſſen, daß die Deutſchen ſehr viel
netterſeinkönnen, als man ſiebeiuns immer
darſtellt.
Obwohl unſre Gefühle natürlich gemiſchte
waren, das eine Gefühl der Bewunderung für dieſe Mann-
ſchaft war nach meiner Meinung vorwiegend in uns allen,
denn ſie hatten nur das getan, was ſie für ihre Pflicht gegen
ihr Vaterland hielten, unter völliger Reſpektierung allen
perſönlichen und privaten Eigentums. So weit ſind ſie in
ihrer Rückſicht gegangen, daß ſie häufig hierdurch
Zeitverluſt hatten.
Sei dem wie ihm wolle, wir
brachten ein dreifaches Hurra aus und eilten dann zurück. Die
„Emden“ vor Anker liegen zu ſehen, war zweifellos der
leitende Gedanke in uns und zu dieſem Zwecke hatten wir
nach Weſtpoint zu gehen ungefähr eine Meile entfernt.

Einer von uns war inzwiſchen wieder auf das Dach ge-
gangen und rief uns mit gellender Stimme etwas zu. Eine dicke
ſchwarze Rauchwolke aus Nordoſten zeigte uns, daß ein Schiff
mit voller Kraft auf die Inſel losdampfte und als wir alle
auf dem Dache anlangten, war die „Emden“ bereits aus dem
Hafen heraus, ungefähr eine halbe Meile entfernt mit vollem
Dampf nach Nordweſten fahrend. Die Dampfbarkaſſe war
in der Mittellagune und hatte ihre beiden Pinaſſen mit
48 Mann und 4 Maſchinengewehren noch im Schlepptau.
Aller Augen waren auf den weiten Ozean gerichtet, wo ſich
jetzt das Drama von Tod und Leben abſpielen ſollte. Der
auſtraliſche Kreuzer „Sydney“ kam mit Volldampf in diago-
naler Richtung, um der „Emden“ den Weg abzuſchneiden und
hatte das Signal gehißt: „Heraus zum Kampfe!“
(Come out and fight!) Und die „Emden“, die nun in die
Enge getrieben wurde, ſchien durchaus nicht unwillig und
feuerte den erſten Schuß ab, beinahe in demſelben Augen-
blicke, als ſie klar vor den Inſeln war. Die Entfernung war
ungefähr 6 Meilen, aber zu groß und es ſtellte ſich auch bald
heraus, daß die „Sydney“ das ſchnellere Schiff war. Der
Kampf war nur eine Frage von Manövern. Zwei Minuten
darauf waren ſie im vollen Gange, die „Emden“ oft mit
ihren ſechs Geſchützen auf die vier der „Sydney“ antwortend.
Worte ſind wohl überflüſſig, um das Pandemonium auf
unſerm Dache zu beſchreiben. Blasphemierende, ver-
wünſchende, fluchende, grunzende und kreiſchende Laute er-
füllten die Luft, je nachdem ein Schuß ſaß oder traf. Andre
wieder ſtarrten aufgeregt und zitternd an allen Gliedern in
die Weite. Dieſe Augenblicke der Aufregung waren entſetzlich
und manche von uns liefen hinunter an die Nordſpitze der
Inſel in vergeblichem Bemühen, dem Kampfplatze näher zu
ſein.

Bei Ankunft daſelbſt ſchien es uns, als ob die „Sydney“
Feuer an Bord hätte, ſo völlig war ſie in dichten ſchwarzen
Rauch eingehüllt. Beinahe Todesſtille herrſchte jetzt unter
uns, nur unterbrochen durch das dumpfe Donnern der Ge-
ſchütze, und unſre Aufmerkſamkeit war nur darauf gelenkt,
die Reſultate der einzelnen Schüſſe feſtzuſtellen. Granaten
fielen nun in nächſter Nähe der „Emden“ umher, aber ihre
eigenen Geſchütze konnten trotz beſten Schießens die „Sydney“
nicht erreichen. Unſre Spannung war zu groß, um auch nur
einen Ton äußern zu können und ein Schuß, der ins Waſſer
ging und eine Waſſerſäule, höher als die Maſten der „Em-
den“ verurſachte, konnte uns nur einen tiefen Seufzer ab-
ringen.

Wir aber, wir ſtummen Zuſchauer bei dieſem ſchrecklichen
Kampfe, die wir alles um uns herum vergeſſen hatten,
wurden mit einem Schlage in die Wirklichkeit zurückgebracht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jFeuilleton" n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <cit>
            <quote>
              <p><pb facs="#f0012" n="Seite 258.[258]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 24. April 1915.</fw><lb/><cb/>
Hinterhalt drohte, behandelten &#x017F;ie alles und jedes und jeder-<lb/>
mann mit geradezu göttlichem Gleichmute <hi rendition="#aq">(supreme in-<lb/>
difference).</hi> Ihre Ab&#x017F;icht war bald erkennbar Eine Abteilung<lb/>
eilte zur Telegraphen&#x017F;tation, die andern wandten &#x017F;ich zum<lb/>
Funkenturm. Nach einigen Minuten ang&#x017F;tvollen Wartens<lb/>
hieß es plötzlich, daß wir vor dem Gebäude antreten &#x017F;ollten.<lb/>
Die&#x017F;es war ungefähr 6.40 Uhr, eine reichlich frühe Stunde,<lb/>
um vollzählig ver&#x017F;ammelt zu &#x017F;ein. Ich muß es daher euch<lb/>
überla&#x017F;&#x017F;en, euch den wunderbaren Aufzug auszumalen, in<lb/>
dem wir 29 Mann antraten. Nach einigen Minuten waren<lb/>
wir gemu&#x017F;tert und man hatte uns eine Wache gegeben. In-<lb/>
zwi&#x017F;chen ging auch die Zer&#x017F;törungsarbeit am Telegraphen-<lb/>
gebäude ihren Gang und Schritte wurden unternommen, den<lb/>
Funkenturm in die Luft zu &#x017F;prengen. Wir wurden nun lang-<lb/>
&#x017F;am nach den Gebäuden in der Strandrichtung abge&#x017F;choben.</p><lb/>
              <p>Un&#x017F;re Wache war anfänglich kurz angebunden, aber all-<lb/>
mählich gewannen wir &#x017F;ie und &#x017F;ie wurde bald freundlich mit<lb/>
uns und antwortete &#x017F;ogar auf einige un&#x017F;rer Bemerkungen.<lb/>
Gewiß, anfänglich &#x017F;ehr ein&#x017F;ilbig, aber allmählich &#x017F;prachen &#x017F;ie<lb/>
mit uns in einem Engli&#x017F;ch, welches ihrer eigenen Sprache &#x017F;ehr<lb/>
ähnlich war. Schließlich wurde uns Aufenthalt in einem<lb/>
Boots&#x017F;chuppen angewie&#x017F;en und da hatten wir &#x017F;o lange zu<lb/>
bleiben, als den Deut&#x017F;chen gefiel, ihr Zer&#x017F;törungswerk zu<lb/>
vollenden. Während die&#x017F;er ganzen Zeit erklang ein unauf-<lb/>
hörlicher Lärm von Axt und Hammer, und das fortge&#x017F;etzte<lb/>
Krachen erinnerte an ein großes Feuer, an das Geräu&#x017F;ch der<lb/>
Feuerwehrbeile, an ein&#x017F;türzende Wände und Geklirr von<lb/>
zerbrechenden Fen&#x017F;ter&#x017F;cheiben.</p><lb/>
              <p>Kurz darauf erfolgte die er&#x017F;te Explo&#x017F;ion am Funkturm.<lb/>
&#x201E;Du guter alter Funkturm,&#x201C; murmelten wir aufgeregt, denn<lb/>
er hatte &#x017F;ich kaum bewegt. Eine zweite Explo&#x017F;ion &#x017F;chien etwas<lb/>
mehr Erfolg zu haben, denn der Turm &#x017F;chwankte und zitterte<lb/>
hin und her, &#x017F;tand aber noch. Un&#x017F;re Aufregung &#x017F;tieg auf den<lb/>
Höhepunkt und lenkte un&#x017F;re Aufmerk&#x017F;amkeit ganz und gar<lb/>
von dem Ma&#x017F;chinengewehr ab, welches uns während der<lb/>
ganzen Zeit gierig angeblickt hatte. Kurz darauf ließ ein un-<lb/>
geheurer Knall uns herumfahren und wir gewahrten den<lb/>
Material&#x017F;chuppen in eine dichte Rauchwolke gehüllt. Alle<lb/>
möglichen Dinge wurden dort aufbewahrt, Farbe, Ma&#x017F;chinen-<lb/>
teile, Kabeluten&#x017F;ilien u&#x017F;w. Während der ganzen Zeit hatte<lb/>
der Lärm in dem Telegraphengebäude nicht aufgehört. In-<lb/>
zwi&#x017F;chen war eine dritte Ladung am Funkenturm zur Ex-<lb/>
plo&#x017F;ion gebracht, der nun mit beinahe men&#x017F;chlichem Schauer<lb/>
zu&#x017F;ammenbrach. Während die&#x017F;er ganzen Zeit &#x017F;ahen wir, wie<lb/>
die Fremden alles einer genauen Unter&#x017F;uchung unterzogen,<lb/>
und der Gedanke an un&#x017F;re kleinen Hab&#x017F;eligkeiten, die wir<lb/>
vielleicht verlieren könnten, ließ uns allmählich un&#x017F;re Laune<lb/>
verlieren, denn die&#x017F;es tatenlo&#x017F;e Zu&#x017F;ehen war das Schlimm&#x017F;te<lb/>
von allem. Eine be&#x017F;&#x017F;ere Ein&#x017F;icht &#x017F;agte uns inde&#x017F;&#x017F;en, daß die<lb/>
Hauptur&#x017F;ache zuviel Aufregung und zu wenig Früh&#x017F;tück war<lb/>
und wir taten &#x017F;ofort un&#x017F;er Be&#x017F;tes, dem abzuhelfen. Etwas<lb/>
Abwech&#x017F;lung brachte uns der Befehl, un&#x017F;re Waffen abzu-<lb/>
liefern, und ich ging mit den andern, um meinen Browning<lb/>
abzugeben, den ich unter einem zerbrochenen Blumentopf in<lb/>
einem Kehrichthaufen ver&#x017F;teckt hatte. Die Deut&#x017F;chen hatten<lb/>
aber gründlich alles unter&#x017F;ucht, denn mein Browning war be-<lb/>
reits gefunden. Die Patronen, welche in einer leeren Oel-<lb/>
kanne in dem&#x017F;elben Haufen ver&#x017F;teckt waren, waren ihrer Auf-<lb/>
merk&#x017F;amkeit entgangen. Nun zurück zum Früh&#x017F;tück. Wie ich<lb/>
&#x017F;chon ge&#x017F;agt habe, wurden wir gut behandelt und un&#x017F;re Wache<lb/>
erwies &#x017F;ich zugänglich. Augen&#x017F;cheinlich waren die Leute &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
hungrig, denn bald darauf er&#x017F;chienen zwei Jungen mit heißem<lb/>
Kaffee und Butterbrötchen. Es gelang mir, in der Schnellig-<lb/>
keit ein Butterbrot zu ver&#x017F;chlingen und eine Ta&#x017F;&#x017F;e Kaffee zu<lb/>
erlangen, welche mich wieder Men&#x017F;ch werden ließ.</p><lb/>
              <p>Währendde&#x017F;&#x017F;en war von der Landungsmann&#x017F;chaft eine<lb/>
Dampfbarka&#x017F;&#x017F;e herumge&#x017F;chickt, um die Kabel aufzu&#x017F;uchen. Ob-<lb/>
wohl es in dem durch&#x017F;ichtigen klaren Wa&#x017F;&#x017F;er leicht war, die<lb/>
Stellen aufzufinden, wo die&#x017F;elben verankert waren, obwohl<lb/>
es eine einfache Sache war, herunterzutauchen und die Kabel<lb/>
an die Oberfläche zu bringen; das Durch&#x017F;chneiden der Kabel<lb/>
war eine andere und &#x017F;chwierige Sache. Inde&#x017F;&#x017F;en, Axt und<lb/>
Säge taten das ihrige und nach kurzer Zeit waren zwei Kabel<lb/>
erledigt. Bei dem dritten war man be&#x017F;chäftigt, als plötzlich<lb/>
mit dem Zer&#x017F;törungswerk aufgehört wurde, aus Gründen, die<lb/><cb/>
uns nicht klar waren, außer, daß wir annahmen, daß der<lb/>
andre Teil der Landungsmann&#x017F;chaft &#x017F;eine Arbeit beendet<lb/>
hatte. Da plötzlich hörten wir die Dampfpfeife der &#x201E;Emden&#x201C;<lb/>
ertönen, maßen dem aber keine Bedeutung bei glaubten auch<lb/>
nur, daß man an Bord vielleicht befürchten könne, un&#x017F;re durch<lb/>
die Funken&#x017F;tation abgegebenen Notrufe wären irgendwo auf-<lb/>
genommen und daß man daher den Be&#x017F;uch nicht länger aus-<lb/>
dehnen wollte, denn es war inzwi&#x017F;chen 9 Uhr geworden. Aber<lb/>
die Dampfpfeife ertönte weiter, die Landungsmann&#x017F;chaft eilte<lb/>
zum Pier und bald war nur noch ein Offizier zurück, der mit<lb/>
un&#x017F;erm Chef verhandelte. Kurz darauf wurden wir frei-<lb/>
gela&#x017F;&#x017F;en und wir eilten &#x017F;ofort zu un&#x017F;ern Kameras. Dann be-<lb/>
gleiteten wir den Offizier zum Pier, denn wir haben uns<lb/>
überzeugen mü&#x017F;&#x017F;en, <hi rendition="#g">daß die Deut&#x017F;chen &#x017F;ehr viel<lb/>
netter&#x017F;einkönnen, als man &#x017F;iebeiuns immer<lb/>
dar&#x017F;tellt.</hi> Obwohl un&#x017F;re Gefühle natürlich gemi&#x017F;chte<lb/>
waren, das eine Gefühl der Bewunderung für die&#x017F;e Mann-<lb/>
&#x017F;chaft war nach meiner Meinung vorwiegend in uns allen,<lb/>
denn &#x017F;ie hatten nur das getan, was &#x017F;ie für ihre Pflicht gegen<lb/>
ihr Vaterland hielten, unter völliger Re&#x017F;pektierung allen<lb/>
per&#x017F;önlichen und privaten Eigentums. So weit &#x017F;ind &#x017F;ie in<lb/>
ihrer Rück&#x017F;icht gegangen, <hi rendition="#g">daß &#x017F;ie häufig hierdurch<lb/>
Zeitverlu&#x017F;t hatten.</hi> Sei dem wie ihm wolle, wir<lb/>
brachten ein dreifaches Hurra aus und eilten dann zurück. Die<lb/>
&#x201E;Emden&#x201C; vor Anker liegen zu &#x017F;ehen, war zweifellos der<lb/>
leitende Gedanke in uns und zu die&#x017F;em Zwecke hatten wir<lb/>
nach We&#x017F;tpoint zu gehen ungefähr eine Meile entfernt.</p><lb/>
              <p>Einer von uns war inzwi&#x017F;chen wieder auf das Dach ge-<lb/>
gangen und rief uns mit gellender Stimme etwas zu. Eine dicke<lb/>
&#x017F;chwarze Rauchwolke aus Nordo&#x017F;ten zeigte uns, daß ein Schiff<lb/>
mit voller Kraft auf die In&#x017F;el losdampfte und als wir alle<lb/>
auf dem Dache anlangten, war die &#x201E;Emden&#x201C; bereits aus dem<lb/>
Hafen heraus, ungefähr eine halbe Meile entfernt mit vollem<lb/>
Dampf nach Nordwe&#x017F;ten fahrend. Die Dampfbarka&#x017F;&#x017F;e war<lb/>
in der Mittellagune und hatte ihre beiden Pina&#x017F;&#x017F;en mit<lb/>
48 Mann und 4 Ma&#x017F;chinengewehren noch im Schlepptau.<lb/>
Aller Augen waren auf den weiten Ozean gerichtet, wo &#x017F;ich<lb/>
jetzt das Drama von Tod und Leben ab&#x017F;pielen &#x017F;ollte. Der<lb/>
au&#x017F;trali&#x017F;che Kreuzer &#x201E;Sydney&#x201C; kam mit Volldampf in diago-<lb/>
naler Richtung, um der &#x201E;Emden&#x201C; den Weg abzu&#x017F;chneiden und<lb/>
hatte das Signal gehißt: <hi rendition="#g">&#x201E;Heraus zum Kampfe!&#x201C;</hi><lb/><hi rendition="#aq">(Come out and fight!)</hi> Und die &#x201E;Emden&#x201C;, die nun in die<lb/>
Enge getrieben wurde, &#x017F;chien durchaus nicht unwillig und<lb/>
feuerte den er&#x017F;ten Schuß ab, beinahe in dem&#x017F;elben Augen-<lb/>
blicke, als &#x017F;ie klar vor den In&#x017F;eln war. Die Entfernung war<lb/>
ungefähr 6 Meilen, aber zu groß und es &#x017F;tellte &#x017F;ich auch bald<lb/>
heraus, daß die &#x201E;Sydney&#x201C; das &#x017F;chnellere Schiff war. Der<lb/>
Kampf war nur eine Frage von Manövern. Zwei Minuten<lb/>
darauf waren &#x017F;ie im vollen Gange, die &#x201E;Emden&#x201C; oft mit<lb/>
ihren &#x017F;echs Ge&#x017F;chützen auf die vier der &#x201E;Sydney&#x201C; antwortend.<lb/>
Worte &#x017F;ind wohl überflü&#x017F;&#x017F;ig, um das Pandemonium auf<lb/>
un&#x017F;erm Dache zu be&#x017F;chreiben. Blasphemierende, ver-<lb/>
wün&#x017F;chende, fluchende, grunzende und krei&#x017F;chende Laute er-<lb/>
füllten die Luft, je nachdem ein Schuß &#x017F;aß oder traf. Andre<lb/>
wieder &#x017F;tarrten aufgeregt und zitternd an allen Gliedern in<lb/>
die Weite. Die&#x017F;e Augenblicke der Aufregung waren ent&#x017F;etzlich<lb/>
und manche von uns liefen hinunter an die Nord&#x017F;pitze der<lb/>
In&#x017F;el in vergeblichem Bemühen, dem Kampfplatze näher zu<lb/>
&#x017F;ein.</p><lb/>
              <p>Bei Ankunft da&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chien es uns, als ob die &#x201E;Sydney&#x201C;<lb/>
Feuer an Bord hätte, &#x017F;o völlig war &#x017F;ie in dichten &#x017F;chwarzen<lb/>
Rauch eingehüllt. Beinahe Todes&#x017F;tille herr&#x017F;chte jetzt unter<lb/>
uns, nur unterbrochen durch das dumpfe Donnern der Ge-<lb/>
&#x017F;chütze, und un&#x017F;re Aufmerk&#x017F;amkeit war nur darauf gelenkt,<lb/>
die Re&#x017F;ultate der einzelnen Schü&#x017F;&#x017F;e fe&#x017F;tzu&#x017F;tellen. Granaten<lb/>
fielen nun in näch&#x017F;ter Nähe der &#x201E;Emden&#x201C; umher, aber ihre<lb/>
eigenen Ge&#x017F;chütze konnten trotz be&#x017F;ten Schießens die &#x201E;Sydney&#x201C;<lb/>
nicht erreichen. Un&#x017F;re Spannung war zu groß, um auch nur<lb/>
einen Ton äußern zu können und ein Schuß, der ins Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
ging und eine Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;äule, höher als die Ma&#x017F;ten der &#x201E;Em-<lb/>
den&#x201C; verur&#x017F;achte, konnte uns nur einen tiefen Seufzer ab-<lb/>
ringen.</p><lb/>
              <p>Wir aber, wir &#x017F;tummen Zu&#x017F;chauer bei die&#x017F;em &#x017F;chrecklichen<lb/>
Kampfe, die wir alles um uns herum verge&#x017F;&#x017F;en hatten,<lb/>
wurden mit einem Schlage in die Wirklichkeit zurückgebracht<lb/></p>
            </quote>
          </cit>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[Seite 258.[258]/0012] Allgemeine Zeitung 24. April 1915. Hinterhalt drohte, behandelten ſie alles und jedes und jeder- mann mit geradezu göttlichem Gleichmute (supreme in- difference). Ihre Abſicht war bald erkennbar Eine Abteilung eilte zur Telegraphenſtation, die andern wandten ſich zum Funkenturm. Nach einigen Minuten angſtvollen Wartens hieß es plötzlich, daß wir vor dem Gebäude antreten ſollten. Dieſes war ungefähr 6.40 Uhr, eine reichlich frühe Stunde, um vollzählig verſammelt zu ſein. Ich muß es daher euch überlaſſen, euch den wunderbaren Aufzug auszumalen, in dem wir 29 Mann antraten. Nach einigen Minuten waren wir gemuſtert und man hatte uns eine Wache gegeben. In- zwiſchen ging auch die Zerſtörungsarbeit am Telegraphen- gebäude ihren Gang und Schritte wurden unternommen, den Funkenturm in die Luft zu ſprengen. Wir wurden nun lang- ſam nach den Gebäuden in der Strandrichtung abgeſchoben. Unſre Wache war anfänglich kurz angebunden, aber all- mählich gewannen wir ſie und ſie wurde bald freundlich mit uns und antwortete ſogar auf einige unſrer Bemerkungen. Gewiß, anfänglich ſehr einſilbig, aber allmählich ſprachen ſie mit uns in einem Engliſch, welches ihrer eigenen Sprache ſehr ähnlich war. Schließlich wurde uns Aufenthalt in einem Bootsſchuppen angewieſen und da hatten wir ſo lange zu bleiben, als den Deutſchen gefiel, ihr Zerſtörungswerk zu vollenden. Während dieſer ganzen Zeit erklang ein unauf- hörlicher Lärm von Axt und Hammer, und das fortgeſetzte Krachen erinnerte an ein großes Feuer, an das Geräuſch der Feuerwehrbeile, an einſtürzende Wände und Geklirr von zerbrechenden Fenſterſcheiben. Kurz darauf erfolgte die erſte Exploſion am Funkturm. „Du guter alter Funkturm,“ murmelten wir aufgeregt, denn er hatte ſich kaum bewegt. Eine zweite Exploſion ſchien etwas mehr Erfolg zu haben, denn der Turm ſchwankte und zitterte hin und her, ſtand aber noch. Unſre Aufregung ſtieg auf den Höhepunkt und lenkte unſre Aufmerkſamkeit ganz und gar von dem Maſchinengewehr ab, welches uns während der ganzen Zeit gierig angeblickt hatte. Kurz darauf ließ ein un- geheurer Knall uns herumfahren und wir gewahrten den Materialſchuppen in eine dichte Rauchwolke gehüllt. Alle möglichen Dinge wurden dort aufbewahrt, Farbe, Maſchinen- teile, Kabelutenſilien uſw. Während der ganzen Zeit hatte der Lärm in dem Telegraphengebäude nicht aufgehört. In- zwiſchen war eine dritte Ladung am Funkenturm zur Ex- ploſion gebracht, der nun mit beinahe menſchlichem Schauer zuſammenbrach. Während dieſer ganzen Zeit ſahen wir, wie die Fremden alles einer genauen Unterſuchung unterzogen, und der Gedanke an unſre kleinen Habſeligkeiten, die wir vielleicht verlieren könnten, ließ uns allmählich unſre Laune verlieren, denn dieſes tatenloſe Zuſehen war das Schlimmſte von allem. Eine beſſere Einſicht ſagte uns indeſſen, daß die Haupturſache zuviel Aufregung und zu wenig Frühſtück war und wir taten ſofort unſer Beſtes, dem abzuhelfen. Etwas Abwechſlung brachte uns der Befehl, unſre Waffen abzu- liefern, und ich ging mit den andern, um meinen Browning abzugeben, den ich unter einem zerbrochenen Blumentopf in einem Kehrichthaufen verſteckt hatte. Die Deutſchen hatten aber gründlich alles unterſucht, denn mein Browning war be- reits gefunden. Die Patronen, welche in einer leeren Oel- kanne in demſelben Haufen verſteckt waren, waren ihrer Auf- merkſamkeit entgangen. Nun zurück zum Frühſtück. Wie ich ſchon geſagt habe, wurden wir gut behandelt und unſre Wache erwies ſich zugänglich. Augenſcheinlich waren die Leute ſelbſt hungrig, denn bald darauf erſchienen zwei Jungen mit heißem Kaffee und Butterbrötchen. Es gelang mir, in der Schnellig- keit ein Butterbrot zu verſchlingen und eine Taſſe Kaffee zu erlangen, welche mich wieder Menſch werden ließ. Währenddeſſen war von der Landungsmannſchaft eine Dampfbarkaſſe herumgeſchickt, um die Kabel aufzuſuchen. Ob- wohl es in dem durchſichtigen klaren Waſſer leicht war, die Stellen aufzufinden, wo dieſelben verankert waren, obwohl es eine einfache Sache war, herunterzutauchen und die Kabel an die Oberfläche zu bringen; das Durchſchneiden der Kabel war eine andere und ſchwierige Sache. Indeſſen, Axt und Säge taten das ihrige und nach kurzer Zeit waren zwei Kabel erledigt. Bei dem dritten war man beſchäftigt, als plötzlich mit dem Zerſtörungswerk aufgehört wurde, aus Gründen, die uns nicht klar waren, außer, daß wir annahmen, daß der andre Teil der Landungsmannſchaft ſeine Arbeit beendet hatte. Da plötzlich hörten wir die Dampfpfeife der „Emden“ ertönen, maßen dem aber keine Bedeutung bei glaubten auch nur, daß man an Bord vielleicht befürchten könne, unſre durch die Funkenſtation abgegebenen Notrufe wären irgendwo auf- genommen und daß man daher den Beſuch nicht länger aus- dehnen wollte, denn es war inzwiſchen 9 Uhr geworden. Aber die Dampfpfeife ertönte weiter, die Landungsmannſchaft eilte zum Pier und bald war nur noch ein Offizier zurück, der mit unſerm Chef verhandelte. Kurz darauf wurden wir frei- gelaſſen und wir eilten ſofort zu unſern Kameras. Dann be- gleiteten wir den Offizier zum Pier, denn wir haben uns überzeugen müſſen, daß die Deutſchen ſehr viel netterſeinkönnen, als man ſiebeiuns immer darſtellt. Obwohl unſre Gefühle natürlich gemiſchte waren, das eine Gefühl der Bewunderung für dieſe Mann- ſchaft war nach meiner Meinung vorwiegend in uns allen, denn ſie hatten nur das getan, was ſie für ihre Pflicht gegen ihr Vaterland hielten, unter völliger Reſpektierung allen perſönlichen und privaten Eigentums. So weit ſind ſie in ihrer Rückſicht gegangen, daß ſie häufig hierdurch Zeitverluſt hatten. Sei dem wie ihm wolle, wir brachten ein dreifaches Hurra aus und eilten dann zurück. Die „Emden“ vor Anker liegen zu ſehen, war zweifellos der leitende Gedanke in uns und zu dieſem Zwecke hatten wir nach Weſtpoint zu gehen ungefähr eine Meile entfernt. Einer von uns war inzwiſchen wieder auf das Dach ge- gangen und rief uns mit gellender Stimme etwas zu. Eine dicke ſchwarze Rauchwolke aus Nordoſten zeigte uns, daß ein Schiff mit voller Kraft auf die Inſel losdampfte und als wir alle auf dem Dache anlangten, war die „Emden“ bereits aus dem Hafen heraus, ungefähr eine halbe Meile entfernt mit vollem Dampf nach Nordweſten fahrend. Die Dampfbarkaſſe war in der Mittellagune und hatte ihre beiden Pinaſſen mit 48 Mann und 4 Maſchinengewehren noch im Schlepptau. Aller Augen waren auf den weiten Ozean gerichtet, wo ſich jetzt das Drama von Tod und Leben abſpielen ſollte. Der auſtraliſche Kreuzer „Sydney“ kam mit Volldampf in diago- naler Richtung, um der „Emden“ den Weg abzuſchneiden und hatte das Signal gehißt: „Heraus zum Kampfe!“ (Come out and fight!) Und die „Emden“, die nun in die Enge getrieben wurde, ſchien durchaus nicht unwillig und feuerte den erſten Schuß ab, beinahe in demſelben Augen- blicke, als ſie klar vor den Inſeln war. Die Entfernung war ungefähr 6 Meilen, aber zu groß und es ſtellte ſich auch bald heraus, daß die „Sydney“ das ſchnellere Schiff war. Der Kampf war nur eine Frage von Manövern. Zwei Minuten darauf waren ſie im vollen Gange, die „Emden“ oft mit ihren ſechs Geſchützen auf die vier der „Sydney“ antwortend. Worte ſind wohl überflüſſig, um das Pandemonium auf unſerm Dache zu beſchreiben. Blasphemierende, ver- wünſchende, fluchende, grunzende und kreiſchende Laute er- füllten die Luft, je nachdem ein Schuß ſaß oder traf. Andre wieder ſtarrten aufgeregt und zitternd an allen Gliedern in die Weite. Dieſe Augenblicke der Aufregung waren entſetzlich und manche von uns liefen hinunter an die Nordſpitze der Inſel in vergeblichem Bemühen, dem Kampfplatze näher zu ſein. Bei Ankunft daſelbſt ſchien es uns, als ob die „Sydney“ Feuer an Bord hätte, ſo völlig war ſie in dichten ſchwarzen Rauch eingehüllt. Beinahe Todesſtille herrſchte jetzt unter uns, nur unterbrochen durch das dumpfe Donnern der Ge- ſchütze, und unſre Aufmerkſamkeit war nur darauf gelenkt, die Reſultate der einzelnen Schüſſe feſtzuſtellen. Granaten fielen nun in nächſter Nähe der „Emden“ umher, aber ihre eigenen Geſchütze konnten trotz beſten Schießens die „Sydney“ nicht erreichen. Unſre Spannung war zu groß, um auch nur einen Ton äußern zu können und ein Schuß, der ins Waſſer ging und eine Waſſerſäule, höher als die Maſten der „Em- den“ verurſachte, konnte uns nur einen tiefen Seufzer ab- ringen. Wir aber, wir ſtummen Zuſchauer bei dieſem ſchrecklichen Kampfe, die wir alles um uns herum vergeſſen hatten, wurden mit einem Schlage in die Wirklichkeit zurückgebracht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-24T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine17_1915
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine17_1915/12
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 24. April 1915, S. Seite 258.[258]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine17_1915/12>, abgerufen am 24.11.2024.