Allgemeine Zeitung, Nr. 167, 15. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
schwer controlirbaren Massenabstimmung durch Acclama'ion, und bezwelfle Handels- und Börsennachrichten. 🜞 Wien, 11 Jun. Die Getreidepreise gehen seit einiger Zeit in die Höhe. Neueste Posten. || Frankfurt a. M., 14 Jun. Der Prinz Regent von Preußen t Koburg, 14 Jun. Heute Morgen ist der Herzog in Begleitung Verantwortliche Redaction: Dr. G. Kolb. Dr. A. J. Altenhöfer. Dr. H. Orges. Verlag der J. G. Gotta'schen Buchbandlung. [irrelevantes Material]
[Spaltenumbruch]
ſchwer controlirbaren Maſſenabſtimmung durch Acclama’ion, und bezwelfle Handels- und Börſennachrichten. 🜞 Wien, 11 Jun. Die Getreidepreiſe gehen ſeit einiger Zeit in die Höhe. Neueſte Poſten. ‖ Frankfurt a. M., 14 Jun. Der Prinz Regent von Preußen ţ Koburg, 14 Jun. Heute Morgen iſt der Herzog in Begleitung Verantwortliche Redaction: Dr. G. Kolb. Dr. A. J. Altenhöfer. Dr. H. Orges. Verlag der J. G. Gotta’ſchen Buchbandlung. [irrelevantes Material]
<TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0008" n="2788"/><cb/> ſchwer controlirbaren Maſſenabſtimmung durch Acclama’ion, und bezwelfle<lb/> ſehr daß Europa ſich ein ſolches Völkerrecht aufoctreyiren laſſe. Ferner<lb/> ſpricht er den Nizzarden rundweg das Recht ab ihre Nationalität zu veräußern.<lb/> Ein Individuum könne einen Selbſtmord begehen, aber nicht eine Nation,<lb/> deren Nationalität unveräußerlich und unzerſtörbar ſey. Nach dieſen ſicher<lb/> nicht leichten Vorwürfen gegen den Vertrag und ſeinen Urheber, ſtimmt<lb/> unter allgemeinem Staunen der Hr. Senator <hi rendition="#g">für</hi> denſelben. Graf Cavour<lb/> iſt für dieſen unerwarteteten Schluß dem Senator erkenntlich, und dankt<lb/> ihm daß er nicht weiter in ihn zur Erforſchung der Geheimniſſe von Plombières<lb/> gedrungen ſey. 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Uebrigens kann dieß auf die<lb/> Valutaverhältniſſe nur vortheilhaft einwirken, indem das Ausland, im Hinblick auf<lb/> die dortigen ungünſtigen Ernte-Ausſichten und von dem gegenwärtigen Cursſtand<lb/> der dieſſeuigen Baluta herangelockt, hierſeits Getreideinkäufe macht, und dadurch<lb/> Metallgeid ins Land bringt. Durch das Zuſtrömen des letztern wird die Nachfrage<lb/> nach demſelben im Inland ſinken, und ſomit ſein Preis ſich beffern; vorausgeſetzt<lb/> nämlich wenn keine Erſchütterung auf politiſchem Gebiet die Speculation einſchüchtert<lb/> und die Rationalbank die Umſtände geſchickt zu benützen verſteht. Ob jenes der<lb/> Fall ſeyn wird, weiß nur der bekanute Wettervogel an der Seine. Zu bedauern<lb/> iſt es allenfalls daß in Europa im gegenwärtigen Angenblick keine herrſchende In-<lb/> dividualität ihm die Wage zu halten im Stand iſt. Ob der zweite Punkt ſich be-<lb/> währen wird, ob nämlich die öſterreichiſche Rationalbank die angedeuteten Geſchäfts-<lb/> verhältniſſe geſchickt zu benützen verſteht, iſt kaum zu erwarten, indem die<lb/> Einrichtung derſelben eine derart ſchwerfällige iſt, daß ſie keine momentanen Ver-<lb/> hältuiſſe benützen kann ohne erſchütternd auf ihren Organismus einzuwirken; dazu<lb/> iſt die Leitung zwiſchen ſolchen Händen getheilt die halb in bureaukratiſcher Rath-<lb/> loſigkeit ſchmachten und andrerſeits den commerciellen Eigennutz über den Haupt-<lb/> zweck dieſes großartigen Inflituts ſetzen. Die öſterreichiſche Nationalbank erheiſcht<lb/> dringend eine zeitgemäße Reorganiſation, wenn ſie nicht früher oder ſpäter zu einer<lb/> einfachen Zettelbank herunterſinken will. Wegen die an der Spitze des Inſtituts be-<lb/> findliche Perſönlichkeit läßt ſich nur ſo viel bemerken daß ſie zur Ueberwachung der<lb/> Adminiſtration hauptſächlich geeignet iſt, aber zur Durchführung von großen Ope-<lb/> rationen müßte eine andere befähigte Perſon zur Seite ſtehen, die ſo zu ſtellen<lb/> wäre daß ſie aus|chließlich ihrem Beruf zu leben hätte. Es liegt nicht in meiner<lb/> Abſicht hier näher auf dieſes Thema einzugehen, und ich begnüge mich für jetzt mit<lb/> der kurzen Andeutung daß der verſtärkte Reichsrath die Initiative in dieſer für den<lb/> Geſammtſtaat äußerſt wichtigen Angelegenheit bald ergreifen dürfte.</p><lb/> <cb/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Neueſte Poſten</hi>.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>‖ <hi rendition="#b">Frankfurt a. 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So viel wir aus guter Quelle glauben ver-<lb/> ſichern zu können, ſind trotz der gegentheiligen Behauptungen der preußiſchen<lb/> Zeitungen gar keine Einladungen zum Zweck einer Theilnahme an der Bade-<lb/> ner Zuſammenkunft an die übrigen deutſchen Fürſten gerichtet worden.<lb/> Der Prinz-Regent hat unſers Wiſſens den Entſchluß auf den mehrfach geäu-<lb/> ßerten Wunſch des Kaiſers Napoleon hin gefaßt, und vom Kaiſer der Franzoſen<lb/> iſt, wenn wir nicht irren, nur noch auf den König von Bayern und auf den<lb/> König von Württemberg Rückſicht genommen worden. Welche Motive den Kaiſer<lb/> Napoleon hiezu beſtimmt haben können, iſt natürlich unbekannt, wie ebenſo<lb/> über den Zweck der Zuſammenkunft nur Vermuthungen möglich ſind. 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Ihm würden die übrigen mit unerbittlicher<lb/> Conſequenz folgen, und die deutſchen Bevölkerungen würden den Tag an-<lb/> brechen ſehen, an dem auf deutſchem Boden, wie unlängſt auf ſavoyiſchem,<lb/> der ganze Apparat des franzöſiſchen Cäſarismus in Thätigkeit geſetzt werden<lb/> würde. Bei dieſer Sachlage, über die ſich das Gefühl des deutſchen Volkes<lb/> in keiner Weiſe täuſcht, iſt es jedenfalls ſehr traurig daß Preußens Ver-<lb/> treter an den beiden, in dieſem Augenblick höchſt wichtigen, Höfen von Paris<lb/> und St. Petersburg franzöſiſch, reſpective ruſſiſch geſinnt ſeyn ſollen. Iſt<lb/> dieſe Behauptung, die von vielen Seiten gemacht wird, begründet, ſo er-<lb/> klärt ſich mancher politiſche Vorgang der letzten Zeit, der ſonſt etwas un-<lb/> begreifliches hätte. Bei einer ſolchen Lage der Dinge iſt es gewiß von er-<lb/> heblichem Vortheil daß ein wirklich deutſch-nationalgeſinnter Fürſt wie der<lb/> Herzog von Sachſen-Koburg-Gotha auch nach Baden Baden gegangen iſt.</p> </div> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jEditorialStaff" n="1"> <p> <hi rendition="#red">Verantwortliche Redaction: <hi rendition="#aq">Dr.</hi> G. <hi rendition="#g">Kolb</hi>. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> A. J. <hi rendition="#g">Altenhöfer</hi>. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> H. <hi rendition="#g">Orges</hi>.</hi> </p> </div><lb/> <div type="imprint" n="1"> <p>Verlag der J. G. <hi rendition="#g">Gotta</hi>’ſchen Buchbandlung.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jAnnouncements" n="1"> <gap reason="insignificant"/> </div> </body> </text> </TEI> [2788/0008]
ſchwer controlirbaren Maſſenabſtimmung durch Acclama’ion, und bezwelfle
ſehr daß Europa ſich ein ſolches Völkerrecht aufoctreyiren laſſe. Ferner
ſpricht er den Nizzarden rundweg das Recht ab ihre Nationalität zu veräußern.
Ein Individuum könne einen Selbſtmord begehen, aber nicht eine Nation,
deren Nationalität unveräußerlich und unzerſtörbar ſey. Nach dieſen ſicher
nicht leichten Vorwürfen gegen den Vertrag und ſeinen Urheber, ſtimmt
unter allgemeinem Staunen der Hr. Senator für denſelben. Graf Cavour
iſt für dieſen unerwarteteten Schluß dem Senator erkenntlich, und dankt
ihm daß er nicht weiter in ihn zur Erforſchung der Geheimniſſe von Plombières
gedrungen ſey. Daß Venedig noch in öſterreichiſcher Verwahrung ſey, ſchmerze
auch ihn; doch ſey der Erwerb der Romagna nicht weniger wichtig, denn der
Brief des Kaiſers an den Papſt ſtelle ein großes Princip auf von mächtiger
Tragweite. Der Souverän des mächtigſten Reichs in Europa, und zugleich
ein katholiſcher Souverän, erklärt darin daß die weltliche Macht des Papſtes
zum Glauben nicht erforderlich ſey. „Dieß iſt ſo wichtig als die Schlacht
bei Solferino, und die Thatſache die Romagna der weltlichen Macht des
Papſtes entzogen zu haben iſt eben ſo wichtig als die Befreiung Venedigs.
Man wirft uns vor, da wir Frankreich in der toscaniſchen Angelegenheit
Widerſtand entgegengeſetzt haben, ſo hätten wir es auch in Betreff Nizza’s
thun ſollen. Ich erkläre offen daß ich Frankreich oft widerſtand, beſonders
in Bezug auf Toscana, allein ich hielt es für meine Pflicht in Betreff Sa-
voyens und Nizza’s nachzugeben. Ich war überzeugt daß ich durch Wider-
ſtand das franzöſiſche Nationalgefühl beleidigt und die Allianz ſchwer com-
promittirt hätte. ... Uebrigens iſt der Vertrag längſt abgeſchloſſen, und ich
glaube, daß es in Folge der hochwichtigen Ereigniſſe die ſich im ſüdlichen Ita-
lien und anderwärts vorbereiten, Zeit wäre die Discuſſion zu ſchließen. Die
ſem Wunſch trägt der Senat nach einigen Worten Mamiani’s und Impe-
riali’s gehorſam Rechnung, und Savoyen und Nizza fallen unter den 92
Kugeln des italieniſchen Senats. Graf Cavour aber reibt ſich unter Schmun-
zeln die Hände. Das Geſchäftchen wäre abgethan.
Handels- und Börſennachrichten.
🜞 Wien, 11 Jun. Die Getreidepreiſe gehen ſeit einiger Zeit in die Höhe.
Die Nachfrage ſteigert ſich; aber die Geber halten zurück. Der Stand der Saaten
iſt wohl hier verſprechend, allein verläßliche Berichte aus Franken und dem deutſchen
Südweſten, ſo wie aus Frankreich lauten über die dortigen Saatverhältniſſe nicht
beſonders günſtig. Die Speculation bemächtigt ſich dieſes Umſtandes mit allem er-
denklichen Eifer, und treibt die Preiſe aufwärts. Uebrigens kann dieß auf die
Valutaverhältniſſe nur vortheilhaft einwirken, indem das Ausland, im Hinblick auf
die dortigen ungünſtigen Ernte-Ausſichten und von dem gegenwärtigen Cursſtand
der dieſſeuigen Baluta herangelockt, hierſeits Getreideinkäufe macht, und dadurch
Metallgeid ins Land bringt. Durch das Zuſtrömen des letztern wird die Nachfrage
nach demſelben im Inland ſinken, und ſomit ſein Preis ſich beffern; vorausgeſetzt
nämlich wenn keine Erſchütterung auf politiſchem Gebiet die Speculation einſchüchtert
und die Rationalbank die Umſtände geſchickt zu benützen verſteht. Ob jenes der
Fall ſeyn wird, weiß nur der bekanute Wettervogel an der Seine. Zu bedauern
iſt es allenfalls daß in Europa im gegenwärtigen Angenblick keine herrſchende In-
dividualität ihm die Wage zu halten im Stand iſt. Ob der zweite Punkt ſich be-
währen wird, ob nämlich die öſterreichiſche Rationalbank die angedeuteten Geſchäfts-
verhältniſſe geſchickt zu benützen verſteht, iſt kaum zu erwarten, indem die
Einrichtung derſelben eine derart ſchwerfällige iſt, daß ſie keine momentanen Ver-
hältuiſſe benützen kann ohne erſchütternd auf ihren Organismus einzuwirken; dazu
iſt die Leitung zwiſchen ſolchen Händen getheilt die halb in bureaukratiſcher Rath-
loſigkeit ſchmachten und andrerſeits den commerciellen Eigennutz über den Haupt-
zweck dieſes großartigen Inflituts ſetzen. Die öſterreichiſche Nationalbank erheiſcht
dringend eine zeitgemäße Reorganiſation, wenn ſie nicht früher oder ſpäter zu einer
einfachen Zettelbank herunterſinken will. Wegen die an der Spitze des Inſtituts be-
findliche Perſönlichkeit läßt ſich nur ſo viel bemerken daß ſie zur Ueberwachung der
Adminiſtration hauptſächlich geeignet iſt, aber zur Durchführung von großen Ope-
rationen müßte eine andere befähigte Perſon zur Seite ſtehen, die ſo zu ſtellen
wäre daß ſie aus|chließlich ihrem Beruf zu leben hätte. Es liegt nicht in meiner
Abſicht hier näher auf dieſes Thema einzugehen, und ich begnüge mich für jetzt mit
der kurzen Andeutung daß der verſtärkte Reichsrath die Initiative in dieſer für den
Geſammtſtaat äußerſt wichtigen Angelegenheit bald ergreifen dürfte.
Neueſte Poſten.
‖ Frankfurt a. M., 14 Jun. Der Prinz Regent von Preußen
traf heute gegen 10 Uhr mit dem Berliner Schnellzug hier ein, und muſterte
auf dem Roßmarkt die preußiſche Garniſon, aus dem 30. Infanterieregiment
mit drei Bataillonen, einer Schwadron Huſaren und einer Batterie Artillerie
beſtehend. Der öſterreichiſche General v. Rzekowski, Obercommandant der
hieſigen Bundesgarniſon, die Mitglieder der Bundesmilitärcommiſſion, das
öfterreichiſche, bayeriſche und Frankfurter Officiercorps empflengen den Prinzen.
Trotz des Regens war die Zuſchauermenge bedeutend. Die Truppen defilirten
zweimal. Mit dem halb 1 Uhr Zug der Main-Neckar Bahn reist der Prinz-
Regent nach Baden-Baden ab. Man verſichert hier auch der König von Han-
nover werde ſich dorthin begeben.
ţ Koburg, 14 Jun. Heute Morgen iſt der Herzog in Begleitung
des geheimen Cabinetsraths von Meyern, der übermorgen ſtattſindenden Zu-
ſammenkunft des Kaiſers der Franzoſen und des Prinz Regenten von Preußen
wegen nach Baden Baden abgereist, und wird, wie wir hören, erſt in einigen
Tagen hieher zurückkehren. So viel wir aus guter Quelle glauben ver-
ſichern zu können, ſind trotz der gegentheiligen Behauptungen der preußiſchen
Zeitungen gar keine Einladungen zum Zweck einer Theilnahme an der Bade-
ner Zuſammenkunft an die übrigen deutſchen Fürſten gerichtet worden.
Der Prinz-Regent hat unſers Wiſſens den Entſchluß auf den mehrfach geäu-
ßerten Wunſch des Kaiſers Napoleon hin gefaßt, und vom Kaiſer der Franzoſen
iſt, wenn wir nicht irren, nur noch auf den König von Bayern und auf den
König von Württemberg Rückſicht genommen worden. Welche Motive den Kaiſer
Napoleon hiezu beſtimmt haben können, iſt natürlich unbekannt, wie ebenſo
über den Zweck der Zuſammenkunft nur Vermuthungen möglich ſind. Sehr
wahrſcheinlich wird es aber dem Manne des 2 December darauf ankommen
den deutſchen Fürſten perſönlich verſichern zu können daß es durchaus keine
der Idées Napoléoniennes ſey Deutſchland in irgendeiner Weiſe zu bedrohen,
und daß deßhalb auch Deutſchland und ſeine Regierungen Zuverſicht und
Vertrauen zu ihm haben könnten. Hoffentlich werden aber derartige Ver-
ſicherungen nicht im Stande ſeyn die deutſchen Regiernngen zu bewegen die
Dinge anders zu betrachten als ſie wirklich ſind. Das gefährlichſte
würde aber ſeyn wenn es Napoleon gefiele ſich als Protector des kleindeut-
ſchen Programms zu gebärden, und wenn es ihm auf dieſe Weiſe gelänge eine
Annäherung an Preußen zuwege zu bringen. Das wäre der erſte Schritt zur
innern Vernichtung Deutſchlands. Ihm würden die übrigen mit unerbittlicher
Conſequenz folgen, und die deutſchen Bevölkerungen würden den Tag an-
brechen ſehen, an dem auf deutſchem Boden, wie unlängſt auf ſavoyiſchem,
der ganze Apparat des franzöſiſchen Cäſarismus in Thätigkeit geſetzt werden
würde. Bei dieſer Sachlage, über die ſich das Gefühl des deutſchen Volkes
in keiner Weiſe täuſcht, iſt es jedenfalls ſehr traurig daß Preußens Ver-
treter an den beiden, in dieſem Augenblick höchſt wichtigen, Höfen von Paris
und St. Petersburg franzöſiſch, reſpective ruſſiſch geſinnt ſeyn ſollen. Iſt
dieſe Behauptung, die von vielen Seiten gemacht wird, begründet, ſo er-
klärt ſich mancher politiſche Vorgang der letzten Zeit, der ſonſt etwas un-
begreifliches hätte. Bei einer ſolchen Lage der Dinge iſt es gewiß von er-
heblichem Vortheil daß ein wirklich deutſch-nationalgeſinnter Fürſt wie der
Herzog von Sachſen-Koburg-Gotha auch nach Baden Baden gegangen iſt.
Verantwortliche Redaction: Dr. G. Kolb. Dr. A. J. Altenhöfer. Dr. H. Orges.
Verlag der J. G. Gotta’ſchen Buchbandlung.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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