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Allgemeine Zeitung, Nr. 167, 15. Juni 1860.

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[Spaltenumbruch] schwer controlirbaren Massenabstimmung durch Acclama'ion, und bezwelfle
sehr daß Europa sich ein solches Völkerrecht aufoctreyiren lasse. Ferner
spricht er den Nizzarden rundweg das Recht ab ihre Nationalität zu veräußern.
Ein Individuum könne einen Selbstmord begehen, aber nicht eine Nation,
deren Nationalität unveräußerlich und unzerstörbar sey. Nach diesen sicher
nicht leichten Vorwürfen gegen den Vertrag und seinen Urheber, stimmt
unter allgemeinem Staunen der Hr. Senator für denselben. Graf Cavour
ist für diesen unerwarteteten Schluß dem Senator erkenntlich, und dankt
ihm daß er nicht weiter in ihn zur Erforschung der Geheimnisse von Plombieres
gedrungen sey. Daß Venedig noch in österreichischer Verwahrung sey, schmerze
auch ihn; doch sey der Erwerb der Romagna nicht weniger wichtig, denn der
Brief des Kaisers an den Papst stelle ein großes Princip auf von mächtiger
Tragweite. Der Souverän des mächtigsten Reichs in Europa, und zugleich
ein katholischer Souverän, erklärt darin daß die weltliche Macht des Papstes
zum Glauben nicht erforderlich sey. "Dieß ist so wichtig als die Schlacht
bei Solferino, und die Thatsache die Romagna der weltlichen Macht des
Papstes entzogen zu haben ist eben so wichtig als die Befreiung Venedigs.
Man wirft uns vor, da wir Frankreich in der toscanischen Angelegenheit
Widerstand entgegengesetzt haben, so hätten wir es auch in Betreff Nizza's
thun sollen. Ich erkläre offen daß ich Frankreich oft widerstand, besonders
in Bezug auf Toscana, allein ich hielt es für meine Pflicht in Betreff Sa-
voyens und Nizza's nachzugeben. Ich war überzeugt daß ich durch Wider-
stand das französische Nationalgefühl beleidigt und die Allianz schwer com-
promittirt hätte. ... Uebrigens ist der Vertrag längst abgeschlossen, und ich
glaube, daß es in Folge der hochwichtigen Ereignisse die sich im südlichen Ita-
lien und anderwärts vorbereiten, Zeit wäre die Discussion zu schließen. Die
sem Wunsch trägt der Senat nach einigen Worten Mamiani's und Impe-
riali's gehorsam Rechnung, und Savoyen und Nizza fallen unter den 92
Kugeln des italienischen Senats. Graf Cavour aber reibt sich unter Schmun-
zeln die Hände. Das Geschäftchen wäre abgethan.

Handels- und Börsennachrichten.

Die Getreidepreise gehen seit einiger Zeit in die Höhe.
Die Nachfrage steigert sich; aber die Geber halten zurück. Der Stand der Saaten
ist wohl hier versprechend, allein verläßliche Berichte aus Franken und dem deutschen
Südwesten, so wie aus Frankreich lauten über die dortigen Saatverhältnisse nicht
besonders günstig. Die Speculation bemächtigt sich dieses Umstandes mit allem er-
denklichen Eifer, und treibt die Preise aufwärts. Uebrigens kann dieß auf die
Valutaverhältnisse nur vortheilhaft einwirken, indem das Ausland, im Hinblick auf
die dortigen ungünstigen Ernte-Aussichten und von dem gegenwärtigen Cursstand
der diesseuigen Baluta herangelockt, hierseits Getreideinkäufe macht, und dadurch
Metallgeid ins Land bringt. Durch das Zuströmen des letztern wird die Nachfrage
nach demselben im Inland sinken, und somit sein Preis sich beffern; vorausgesetzt
nämlich wenn keine Erschütterung auf politischem Gebiet die Speculation einschüchtert
und die Rationalbank die Umstände geschickt zu benützen versteht. Ob jenes der
Fall seyn wird, weiß nur der bekanute Wettervogel an der Seine. Zu bedauern
ist es allenfalls daß in Europa im gegenwärtigen Angenblick keine herrschende In-
dividualität ihm die Wage zu halten im Stand ist. Ob der zweite Punkt sich be-
währen wird, ob nämlich die österreichische Rationalbank die angedeuteten Geschäfts-
verhältnisse geschickt zu benützen versteht, ist kaum zu erwarten, indem die
Einrichtung derselben eine derart schwerfällige ist, daß sie keine momentanen Ver-
hältuisse benützen kann ohne erschütternd auf ihren Organismus einzuwirken; dazu
ist die Leitung zwischen solchen Händen getheilt die halb in bureaukratischer Rath-
losigkeit schmachten und andrerseits den commerciellen Eigennutz über den Haupt-
zweck dieses großartigen Inflituts setzen. Die österreichische Nationalbank erheischt
dringend eine zeitgemäße Reorganisation, wenn sie nicht früher oder später zu einer
einfachen Zettelbank heruntersinken will. Wegen die an der Spitze des Instituts be-
findliche Persönlichkeit läßt sich nur so viel bemerken daß sie zur Ueberwachung der
Administration hauptsächlich geeignet ist, aber zur Durchführung von großen Ope-
rationen müßte eine andere befähigte Person zur Seite stehen, die so zu stellen
wäre daß sie aus|chließlich ihrem Beruf zu leben hätte. Es liegt nicht in meiner
Absicht hier näher auf dieses Thema einzugehen, und ich begnüge mich für jetzt mit
der kurzen Andeutung daß der verstärkte Reichsrath die Initiative in dieser für den
Gesammtstaat äußerst wichtigen Angelegenheit bald ergreifen dürfte.

[Spaltenumbruch]
Neueste Posten.

Der Prinz Regent von Preußen
traf heute gegen 10 Uhr mit dem Berliner Schnellzug hier ein, und musterte
auf dem Roßmarkt die preußische Garnison, aus dem 30. Infanterieregiment
mit drei Bataillonen, einer Schwadron Husaren und einer Batterie Artillerie
bestehend. Der österreichische General v. Rzekowski, Obercommandant der
hiesigen Bundesgarnison, die Mitglieder der Bundesmilitärcommission, das
öfterreichische, bayerische und Frankfurter Officiercorps empflengen den Prinzen.
Trotz des Regens war die Zuschauermenge bedeutend. Die Truppen defilirten
zweimal. Mit dem halb 1 Uhr Zug der Main-Neckar Bahn reist der Prinz-
Regent nach Baden-Baden ab. Man versichert hier auch der König von Han-
nover werde sich dorthin begeben.

Heute Morgen ist der Herzog in Begleitung
des geheimen Cabinetsraths von Meyern, der übermorgen stattsindenden Zu-
sammenkunft des Kaisers der Franzosen und des Prinz Regenten von Preußen
wegen nach Baden Baden abgereist, und wird, wie wir hören, erst in einigen
Tagen hieher zurückkehren. So viel wir aus guter Quelle glauben ver-
sichern zu können, sind trotz der gegentheiligen Behauptungen der preußischen
Zeitungen gar keine Einladungen zum Zweck einer Theilnahme an der Bade-
ner Zusammenkunft an die übrigen deutschen Fürsten gerichtet worden.
Der Prinz-Regent hat unsers Wissens den Entschluß auf den mehrfach geäu-
ßerten Wunsch des Kaisers Napoleon hin gefaßt, und vom Kaiser der Franzosen
ist, wenn wir nicht irren, nur noch auf den König von Bayern und auf den
König von Württemberg Rücksicht genommen worden. Welche Motive den Kaiser
Napoleon hiezu bestimmt haben können, ist natürlich unbekannt, wie ebenso
über den Zweck der Zusammenkunft nur Vermuthungen möglich sind. Sehr
wahrscheinlich wird es aber dem Manne des 2 December darauf ankommen
den deutschen Fürsten persönlich versichern zu können daß es durchaus keine
der Idees Napoleoniennes sey Deutschland in irgendeiner Weise zu bedrohen,
und daß deßhalb auch Deutschland und seine Regierungen Zuversicht und
Vertrauen zu ihm haben könnten. Hoffentlich werden aber derartige Ver-
sicherungen nicht im Stande seyn die deutschen Regiernngen zu bewegen die
Dinge anders zu betrachten als sie wirklich sind. Das gefährlichste
würde aber seyn wenn es Napoleon gefiele sich als Protector des kleindeut-
schen Programms zu gebärden, und wenn es ihm auf diese Weise gelänge eine
Annäherung an Preußen zuwege zu bringen. Das wäre der erste Schritt zur
innern Vernichtung Deutschlands. Ihm würden die übrigen mit unerbittlicher
Consequenz folgen, und die deutschen Bevölkerungen würden den Tag an-
brechen sehen, an dem auf deutschem Boden, wie unlängst auf savoyischem,
der ganze Apparat des französischen Cäsarismus in Thätigkeit gesetzt werden
würde. Bei dieser Sachlage, über die sich das Gefühl des deutschen Volkes
in keiner Weise täuscht, ist es jedenfalls sehr traurig daß Preußens Ver-
treter an den beiden, in diesem Augenblick höchst wichtigen, Höfen von Paris
und St. Petersburg französisch, respective russisch gesinnt seyn sollen. Ist
diese Behauptung, die von vielen Seiten gemacht wird, begründet, so er-
klärt sich mancher politische Vorgang der letzten Zeit, der sonst etwas un-
begreifliches hätte. Bei einer solchen Lage der Dinge ist es gewiß von er-
heblichem Vortheil daß ein wirklich deutsch-nationalgesinnter Fürst wie der
Herzog von Sachsen-Koburg-Gotha auch nach Baden Baden gegangen ist.



Verantwortliche Redaction: Dr. G. Kolb. Dr. A. J. Altenhöfer. Dr. H. Orges.

Verlag der J. G. Gotta'schen Buchbandlung.



[irrelevantes Material]

[Spaltenumbruch] ſchwer controlirbaren Maſſenabſtimmung durch Acclama’ion, und bezwelfle
ſehr daß Europa ſich ein ſolches Völkerrecht aufoctreyiren laſſe. Ferner
ſpricht er den Nizzarden rundweg das Recht ab ihre Nationalität zu veräußern.
Ein Individuum könne einen Selbſtmord begehen, aber nicht eine Nation,
deren Nationalität unveräußerlich und unzerſtörbar ſey. Nach dieſen ſicher
nicht leichten Vorwürfen gegen den Vertrag und ſeinen Urheber, ſtimmt
unter allgemeinem Staunen der Hr. Senator für denſelben. Graf Cavour
iſt für dieſen unerwarteteten Schluß dem Senator erkenntlich, und dankt
ihm daß er nicht weiter in ihn zur Erforſchung der Geheimniſſe von Plombières
gedrungen ſey. Daß Venedig noch in öſterreichiſcher Verwahrung ſey, ſchmerze
auch ihn; doch ſey der Erwerb der Romagna nicht weniger wichtig, denn der
Brief des Kaiſers an den Papſt ſtelle ein großes Princip auf von mächtiger
Tragweite. Der Souverän des mächtigſten Reichs in Europa, und zugleich
ein katholiſcher Souverän, erklärt darin daß die weltliche Macht des Papſtes
zum Glauben nicht erforderlich ſey. „Dieß iſt ſo wichtig als die Schlacht
bei Solferino, und die Thatſache die Romagna der weltlichen Macht des
Papſtes entzogen zu haben iſt eben ſo wichtig als die Befreiung Venedigs.
Man wirft uns vor, da wir Frankreich in der toscaniſchen Angelegenheit
Widerſtand entgegengeſetzt haben, ſo hätten wir es auch in Betreff Nizza’s
thun ſollen. Ich erkläre offen daß ich Frankreich oft widerſtand, beſonders
in Bezug auf Toscana, allein ich hielt es für meine Pflicht in Betreff Sa-
voyens und Nizza’s nachzugeben. Ich war überzeugt daß ich durch Wider-
ſtand das franzöſiſche Nationalgefühl beleidigt und die Allianz ſchwer com-
promittirt hätte. ... Uebrigens iſt der Vertrag längſt abgeſchloſſen, und ich
glaube, daß es in Folge der hochwichtigen Ereigniſſe die ſich im ſüdlichen Ita-
lien und anderwärts vorbereiten, Zeit wäre die Discuſſion zu ſchließen. Die
ſem Wunſch trägt der Senat nach einigen Worten Mamiani’s und Impe-
riali’s gehorſam Rechnung, und Savoyen und Nizza fallen unter den 92
Kugeln des italieniſchen Senats. Graf Cavour aber reibt ſich unter Schmun-
zeln die Hände. Das Geſchäftchen wäre abgethan.

Handels- und Börſennachrichten.

Die Getreidepreiſe gehen ſeit einiger Zeit in die Höhe.
Die Nachfrage ſteigert ſich; aber die Geber halten zurück. Der Stand der Saaten
iſt wohl hier verſprechend, allein verläßliche Berichte aus Franken und dem deutſchen
Südweſten, ſo wie aus Frankreich lauten über die dortigen Saatverhältniſſe nicht
beſonders günſtig. Die Speculation bemächtigt ſich dieſes Umſtandes mit allem er-
denklichen Eifer, und treibt die Preiſe aufwärts. Uebrigens kann dieß auf die
Valutaverhältniſſe nur vortheilhaft einwirken, indem das Ausland, im Hinblick auf
die dortigen ungünſtigen Ernte-Ausſichten und von dem gegenwärtigen Cursſtand
der dieſſeuigen Baluta herangelockt, hierſeits Getreideinkäufe macht, und dadurch
Metallgeid ins Land bringt. Durch das Zuſtrömen des letztern wird die Nachfrage
nach demſelben im Inland ſinken, und ſomit ſein Preis ſich beffern; vorausgeſetzt
nämlich wenn keine Erſchütterung auf politiſchem Gebiet die Speculation einſchüchtert
und die Rationalbank die Umſtände geſchickt zu benützen verſteht. Ob jenes der
Fall ſeyn wird, weiß nur der bekanute Wettervogel an der Seine. Zu bedauern
iſt es allenfalls daß in Europa im gegenwärtigen Angenblick keine herrſchende In-
dividualität ihm die Wage zu halten im Stand iſt. Ob der zweite Punkt ſich be-
währen wird, ob nämlich die öſterreichiſche Rationalbank die angedeuteten Geſchäfts-
verhältniſſe geſchickt zu benützen verſteht, iſt kaum zu erwarten, indem die
Einrichtung derſelben eine derart ſchwerfällige iſt, daß ſie keine momentanen Ver-
hältuiſſe benützen kann ohne erſchütternd auf ihren Organismus einzuwirken; dazu
iſt die Leitung zwiſchen ſolchen Händen getheilt die halb in bureaukratiſcher Rath-
loſigkeit ſchmachten und andrerſeits den commerciellen Eigennutz über den Haupt-
zweck dieſes großartigen Inflituts ſetzen. Die öſterreichiſche Nationalbank erheiſcht
dringend eine zeitgemäße Reorganiſation, wenn ſie nicht früher oder ſpäter zu einer
einfachen Zettelbank herunterſinken will. Wegen die an der Spitze des Inſtituts be-
findliche Perſönlichkeit läßt ſich nur ſo viel bemerken daß ſie zur Ueberwachung der
Adminiſtration hauptſächlich geeignet iſt, aber zur Durchführung von großen Ope-
rationen müßte eine andere befähigte Perſon zur Seite ſtehen, die ſo zu ſtellen
wäre daß ſie aus|chließlich ihrem Beruf zu leben hätte. Es liegt nicht in meiner
Abſicht hier näher auf dieſes Thema einzugehen, und ich begnüge mich für jetzt mit
der kurzen Andeutung daß der verſtärkte Reichsrath die Initiative in dieſer für den
Geſammtſtaat äußerſt wichtigen Angelegenheit bald ergreifen dürfte.

[Spaltenumbruch]
Neueſte Poſten.

Der Prinz Regent von Preußen
traf heute gegen 10 Uhr mit dem Berliner Schnellzug hier ein, und muſterte
auf dem Roßmarkt die preußiſche Garniſon, aus dem 30. Infanterieregiment
mit drei Bataillonen, einer Schwadron Huſaren und einer Batterie Artillerie
beſtehend. Der öſterreichiſche General v. Rzekowski, Obercommandant der
hieſigen Bundesgarniſon, die Mitglieder der Bundesmilitärcommiſſion, das
öfterreichiſche, bayeriſche und Frankfurter Officiercorps empflengen den Prinzen.
Trotz des Regens war die Zuſchauermenge bedeutend. Die Truppen defilirten
zweimal. Mit dem halb 1 Uhr Zug der Main-Neckar Bahn reist der Prinz-
Regent nach Baden-Baden ab. Man verſichert hier auch der König von Han-
nover werde ſich dorthin begeben.

Heute Morgen iſt der Herzog in Begleitung
des geheimen Cabinetsraths von Meyern, der übermorgen ſtattſindenden Zu-
ſammenkunft des Kaiſers der Franzoſen und des Prinz Regenten von Preußen
wegen nach Baden Baden abgereist, und wird, wie wir hören, erſt in einigen
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ſichern zu können, ſind trotz der gegentheiligen Behauptungen der preußiſchen
Zeitungen gar keine Einladungen zum Zweck einer Theilnahme an der Bade-
ner Zuſammenkunft an die übrigen deutſchen Fürſten gerichtet worden.
Der Prinz-Regent hat unſers Wiſſens den Entſchluß auf den mehrfach geäu-
ßerten Wunſch des Kaiſers Napoleon hin gefaßt, und vom Kaiſer der Franzoſen
iſt, wenn wir nicht irren, nur noch auf den König von Bayern und auf den
König von Württemberg Rückſicht genommen worden. Welche Motive den Kaiſer
Napoleon hiezu beſtimmt haben können, iſt natürlich unbekannt, wie ebenſo
über den Zweck der Zuſammenkunft nur Vermuthungen möglich ſind. Sehr
wahrſcheinlich wird es aber dem Manne des 2 December darauf ankommen
den deutſchen Fürſten perſönlich verſichern zu können daß es durchaus keine
der Idées Napoléoniennes ſey Deutſchland in irgendeiner Weiſe zu bedrohen,
und daß deßhalb auch Deutſchland und ſeine Regierungen Zuverſicht und
Vertrauen zu ihm haben könnten. Hoffentlich werden aber derartige Ver-
ſicherungen nicht im Stande ſeyn die deutſchen Regiernngen zu bewegen die
Dinge anders zu betrachten als ſie wirklich ſind. Das gefährlichſte
würde aber ſeyn wenn es Napoleon gefiele ſich als Protector des kleindeut-
ſchen Programms zu gebärden, und wenn es ihm auf dieſe Weiſe gelänge eine
Annäherung an Preußen zuwege zu bringen. Das wäre der erſte Schritt zur
innern Vernichtung Deutſchlands. Ihm würden die übrigen mit unerbittlicher
Conſequenz folgen, und die deutſchen Bevölkerungen würden den Tag an-
brechen ſehen, an dem auf deutſchem Boden, wie unlängſt auf ſavoyiſchem,
der ganze Apparat des franzöſiſchen Cäſarismus in Thätigkeit geſetzt werden
würde. Bei dieſer Sachlage, über die ſich das Gefühl des deutſchen Volkes
in keiner Weiſe täuſcht, iſt es jedenfalls ſehr traurig daß Preußens Ver-
treter an den beiden, in dieſem Augenblick höchſt wichtigen, Höfen von Paris
und St. Petersburg franzöſiſch, reſpective ruſſiſch geſinnt ſeyn ſollen. Iſt
dieſe Behauptung, die von vielen Seiten gemacht wird, begründet, ſo er-
klärt ſich mancher politiſche Vorgang der letzten Zeit, der ſonſt etwas un-
begreifliches hätte. Bei einer ſolchen Lage der Dinge iſt es gewiß von er-
heblichem Vortheil daß ein wirklich deutſch-nationalgeſinnter Fürſt wie der
Herzog von Sachſen-Koburg-Gotha auch nach Baden Baden gegangen iſt.



Verantwortliche Redaction: Dr. G. Kolb. Dr. A. J. Altenhöfer. Dr. H. Orges.

Verlag der J. G. Gotta’ſchen Buchbandlung.



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[2788/0008] ſchwer controlirbaren Maſſenabſtimmung durch Acclama’ion, und bezwelfle ſehr daß Europa ſich ein ſolches Völkerrecht aufoctreyiren laſſe. Ferner ſpricht er den Nizzarden rundweg das Recht ab ihre Nationalität zu veräußern. Ein Individuum könne einen Selbſtmord begehen, aber nicht eine Nation, deren Nationalität unveräußerlich und unzerſtörbar ſey. Nach dieſen ſicher nicht leichten Vorwürfen gegen den Vertrag und ſeinen Urheber, ſtimmt unter allgemeinem Staunen der Hr. Senator für denſelben. Graf Cavour iſt für dieſen unerwarteteten Schluß dem Senator erkenntlich, und dankt ihm daß er nicht weiter in ihn zur Erforſchung der Geheimniſſe von Plombières gedrungen ſey. Daß Venedig noch in öſterreichiſcher Verwahrung ſey, ſchmerze auch ihn; doch ſey der Erwerb der Romagna nicht weniger wichtig, denn der Brief des Kaiſers an den Papſt ſtelle ein großes Princip auf von mächtiger Tragweite. Der Souverän des mächtigſten Reichs in Europa, und zugleich ein katholiſcher Souverän, erklärt darin daß die weltliche Macht des Papſtes zum Glauben nicht erforderlich ſey. „Dieß iſt ſo wichtig als die Schlacht bei Solferino, und die Thatſache die Romagna der weltlichen Macht des Papſtes entzogen zu haben iſt eben ſo wichtig als die Befreiung Venedigs. Man wirft uns vor, da wir Frankreich in der toscaniſchen Angelegenheit Widerſtand entgegengeſetzt haben, ſo hätten wir es auch in Betreff Nizza’s thun ſollen. Ich erkläre offen daß ich Frankreich oft widerſtand, beſonders in Bezug auf Toscana, allein ich hielt es für meine Pflicht in Betreff Sa- voyens und Nizza’s nachzugeben. Ich war überzeugt daß ich durch Wider- ſtand das franzöſiſche Nationalgefühl beleidigt und die Allianz ſchwer com- promittirt hätte. ... Uebrigens iſt der Vertrag längſt abgeſchloſſen, und ich glaube, daß es in Folge der hochwichtigen Ereigniſſe die ſich im ſüdlichen Ita- lien und anderwärts vorbereiten, Zeit wäre die Discuſſion zu ſchließen. Die ſem Wunſch trägt der Senat nach einigen Worten Mamiani’s und Impe- riali’s gehorſam Rechnung, und Savoyen und Nizza fallen unter den 92 Kugeln des italieniſchen Senats. Graf Cavour aber reibt ſich unter Schmun- zeln die Hände. Das Geſchäftchen wäre abgethan. Handels- und Börſennachrichten. &#x1F71E; Wien, 11 Jun. Die Getreidepreiſe gehen ſeit einiger Zeit in die Höhe. Die Nachfrage ſteigert ſich; aber die Geber halten zurück. Der Stand der Saaten iſt wohl hier verſprechend, allein verläßliche Berichte aus Franken und dem deutſchen Südweſten, ſo wie aus Frankreich lauten über die dortigen Saatverhältniſſe nicht beſonders günſtig. Die Speculation bemächtigt ſich dieſes Umſtandes mit allem er- denklichen Eifer, und treibt die Preiſe aufwärts. Uebrigens kann dieß auf die Valutaverhältniſſe nur vortheilhaft einwirken, indem das Ausland, im Hinblick auf die dortigen ungünſtigen Ernte-Ausſichten und von dem gegenwärtigen Cursſtand der dieſſeuigen Baluta herangelockt, hierſeits Getreideinkäufe macht, und dadurch Metallgeid ins Land bringt. Durch das Zuſtrömen des letztern wird die Nachfrage nach demſelben im Inland ſinken, und ſomit ſein Preis ſich beffern; vorausgeſetzt nämlich wenn keine Erſchütterung auf politiſchem Gebiet die Speculation einſchüchtert und die Rationalbank die Umſtände geſchickt zu benützen verſteht. Ob jenes der Fall ſeyn wird, weiß nur der bekanute Wettervogel an der Seine. Zu bedauern iſt es allenfalls daß in Europa im gegenwärtigen Angenblick keine herrſchende In- dividualität ihm die Wage zu halten im Stand iſt. Ob der zweite Punkt ſich be- währen wird, ob nämlich die öſterreichiſche Rationalbank die angedeuteten Geſchäfts- verhältniſſe geſchickt zu benützen verſteht, iſt kaum zu erwarten, indem die Einrichtung derſelben eine derart ſchwerfällige iſt, daß ſie keine momentanen Ver- hältuiſſe benützen kann ohne erſchütternd auf ihren Organismus einzuwirken; dazu iſt die Leitung zwiſchen ſolchen Händen getheilt die halb in bureaukratiſcher Rath- loſigkeit ſchmachten und andrerſeits den commerciellen Eigennutz über den Haupt- zweck dieſes großartigen Inflituts ſetzen. Die öſterreichiſche Nationalbank erheiſcht dringend eine zeitgemäße Reorganiſation, wenn ſie nicht früher oder ſpäter zu einer einfachen Zettelbank herunterſinken will. Wegen die an der Spitze des Inſtituts be- findliche Perſönlichkeit läßt ſich nur ſo viel bemerken daß ſie zur Ueberwachung der Adminiſtration hauptſächlich geeignet iſt, aber zur Durchführung von großen Ope- rationen müßte eine andere befähigte Perſon zur Seite ſtehen, die ſo zu ſtellen wäre daß ſie aus|chließlich ihrem Beruf zu leben hätte. Es liegt nicht in meiner Abſicht hier näher auf dieſes Thema einzugehen, und ich begnüge mich für jetzt mit der kurzen Andeutung daß der verſtärkte Reichsrath die Initiative in dieſer für den Geſammtſtaat äußerſt wichtigen Angelegenheit bald ergreifen dürfte. Neueſte Poſten. ‖ Frankfurt a. M., 14 Jun. Der Prinz Regent von Preußen traf heute gegen 10 Uhr mit dem Berliner Schnellzug hier ein, und muſterte auf dem Roßmarkt die preußiſche Garniſon, aus dem 30. Infanterieregiment mit drei Bataillonen, einer Schwadron Huſaren und einer Batterie Artillerie beſtehend. Der öſterreichiſche General v. Rzekowski, Obercommandant der hieſigen Bundesgarniſon, die Mitglieder der Bundesmilitärcommiſſion, das öfterreichiſche, bayeriſche und Frankfurter Officiercorps empflengen den Prinzen. Trotz des Regens war die Zuſchauermenge bedeutend. Die Truppen defilirten zweimal. Mit dem halb 1 Uhr Zug der Main-Neckar Bahn reist der Prinz- Regent nach Baden-Baden ab. Man verſichert hier auch der König von Han- nover werde ſich dorthin begeben. ţ Koburg, 14 Jun. Heute Morgen iſt der Herzog in Begleitung des geheimen Cabinetsraths von Meyern, der übermorgen ſtattſindenden Zu- ſammenkunft des Kaiſers der Franzoſen und des Prinz Regenten von Preußen wegen nach Baden Baden abgereist, und wird, wie wir hören, erſt in einigen Tagen hieher zurückkehren. So viel wir aus guter Quelle glauben ver- ſichern zu können, ſind trotz der gegentheiligen Behauptungen der preußiſchen Zeitungen gar keine Einladungen zum Zweck einer Theilnahme an der Bade- ner Zuſammenkunft an die übrigen deutſchen Fürſten gerichtet worden. Der Prinz-Regent hat unſers Wiſſens den Entſchluß auf den mehrfach geäu- ßerten Wunſch des Kaiſers Napoleon hin gefaßt, und vom Kaiſer der Franzoſen iſt, wenn wir nicht irren, nur noch auf den König von Bayern und auf den König von Württemberg Rückſicht genommen worden. Welche Motive den Kaiſer Napoleon hiezu beſtimmt haben können, iſt natürlich unbekannt, wie ebenſo über den Zweck der Zuſammenkunft nur Vermuthungen möglich ſind. Sehr wahrſcheinlich wird es aber dem Manne des 2 December darauf ankommen den deutſchen Fürſten perſönlich verſichern zu können daß es durchaus keine der Idées Napoléoniennes ſey Deutſchland in irgendeiner Weiſe zu bedrohen, und daß deßhalb auch Deutſchland und ſeine Regierungen Zuverſicht und Vertrauen zu ihm haben könnten. Hoffentlich werden aber derartige Ver- ſicherungen nicht im Stande ſeyn die deutſchen Regiernngen zu bewegen die Dinge anders zu betrachten als ſie wirklich ſind. Das gefährlichſte würde aber ſeyn wenn es Napoleon gefiele ſich als Protector des kleindeut- ſchen Programms zu gebärden, und wenn es ihm auf dieſe Weiſe gelänge eine Annäherung an Preußen zuwege zu bringen. Das wäre der erſte Schritt zur innern Vernichtung Deutſchlands. Ihm würden die übrigen mit unerbittlicher Conſequenz folgen, und die deutſchen Bevölkerungen würden den Tag an- brechen ſehen, an dem auf deutſchem Boden, wie unlängſt auf ſavoyiſchem, der ganze Apparat des franzöſiſchen Cäſarismus in Thätigkeit geſetzt werden würde. Bei dieſer Sachlage, über die ſich das Gefühl des deutſchen Volkes in keiner Weiſe täuſcht, iſt es jedenfalls ſehr traurig daß Preußens Ver- treter an den beiden, in dieſem Augenblick höchſt wichtigen, Höfen von Paris und St. Petersburg franzöſiſch, reſpective ruſſiſch geſinnt ſeyn ſollen. Iſt dieſe Behauptung, die von vielen Seiten gemacht wird, begründet, ſo er- klärt ſich mancher politiſche Vorgang der letzten Zeit, der ſonſt etwas un- begreifliches hätte. Bei einer ſolchen Lage der Dinge iſt es gewiß von er- heblichem Vortheil daß ein wirklich deutſch-nationalgeſinnter Fürſt wie der Herzog von Sachſen-Koburg-Gotha auch nach Baden Baden gegangen iſt. Verantwortliche Redaction: Dr. G. Kolb. Dr. A. J. Altenhöfer. Dr. H. Orges. Verlag der J. G. Gotta’ſchen Buchbandlung. _

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 167, 15. Juni 1860, S. 2788. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine167_1860/8>, abgerufen am 21.11.2024.