Allgemeine Zeitung, Nr. 167, 15. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
daß sie vom Standpunkt parteiloser Wahrheit und durchsichtiger Schärfe zum Der erste Brief über das schwärmerisch geliebte Hellas ist aus Misso- Von der heldenmüthigen Vertheidigung des Städtchens Missolongi durch [Spaltenumbruch] diese Weglassung fünf kaiserliche Giftmischerinnen weniger in ihr Register tugendhafter und talentvoller Griechinnen eingetragen. Bei diesen vierzehn kaiserlichen Frauen, die man uns als Muster des weiblichen Genius der Helle- nen hinstellt, bleibt St. Helena, die Concubine des Constantius Chlorus, aus dem Spiel, weil Helena erst im vorgerückten Alter von ihrem Sohn St. Constan- tin I zwar den Titel, aber nicht die Macht und den Einfluß einer Augusta er- halten hat, und weil sie eigentlich noch der Mythenzeit des Christenthums ange- hört. St. Pulcheria dagegen, die Maria Theresta von Byzanz, Schwester und Schutzgeist des an Geist und Körper blöden Theodosius II (408 -- 450 n. Chr.), und Eudoxia, die kluge und gelehrte Wittwe-Regentin Constantin Dukas' (1067), sind die beiden einzigen achtbaren Autokratinnen von Byzanz im Laufe von mehr als tausend Jahren. Von den übrigen haben acht aus Herrschwuth ihre Männer und selbst ihre eigenen Söhne umgebracht; zwei dagegen, Eudoxia, Gemahlin Theodostus' II (421 n. Chr.), und Theodora, die ehemalige Tänzerin, öffentliche Dirne und Gemahlin Justinians I (536 n. Chr.), haben zwar ihre Männer und Söhne nicht ermordet, aber durch ihre skandalöse Aufführung Schmach auf ihr Haus und Unehre auf ihr ganzes Geschlecht gebracht. Die schlimmsten von allen diesen kaiserlichen Prinzessinnen waren aber St. Irene von Athen und Kaiserin Theophano von Byzanz. St. Irene übernahm nach dem Tod ihres Gemahls Leo (780 n. Chr.) für ihren unmündigen Sohn Kaiser Constantin VI die Regentschaft, ließ aber Se. kaiserliche Majestät, ihren Sohn, als er im zwanzigsten Lebens- jahr selbst regieren wollte, zuerst auspeitschen, und später, weil er auf seine Rechte durchaus nicht verzichten wollte, so grausam blenden, daß er in Folge der barbarischen Operation den Geist aufgab. Im orthodoxen Byzanz wurden nicht etwa bloß Feldherren, Staats- Kaiserin Irene suchte die Gewissensbisse über den gräßlichen Sohnes- An geistiger Begabung bleibt Theophano, die jugendliche Gemahlin des Nicht viel rühmlicheres ist von den beiden Schwestern Zoe und Theodora, *) Man findet auch die Lesart "Mesolongi." *) Sr. Heiligkeit Kyr Johannes, dem Patriarchen des Erdkreises, wurden auf Befehl
der Kaiserin Theodora zweihundert Hiebe aufgemessen (842 n. Chr.). [Spaltenumbruch]
daß ſie vom Standpunkt parteiloſer Wahrheit und durchſichtiger Schärfe zum Der erſte Brief über das ſchwärmeriſch geliebte Hellas iſt aus Miſſo- Von der heldenmüthigen Vertheidigung des Städtchens Miſſolongi durch [Spaltenumbruch] dieſe Weglaſſung fünf kaiſerliche Giftmiſcherinnen weniger in ihr Regiſter tugendhafter und talentvoller Griechinnen eingetragen. Bei dieſen vierzehn kaiſerlichen Frauen, die man uns als Muſter des weiblichen Genius der Helle- nen hinſtellt, bleibt St. Helena, die Concubine des Conſtantius Chlorus, aus dem Spiel, weil Helena erſt im vorgerückten Alter von ihrem Sohn St. Conſtan- tin I zwar den Titel, aber nicht die Macht und den Einfluß einer Auguſta er- halten hat, und weil ſie eigentlich noch der Mythenzeit des Chriſtenthums ange- hört. St. Pulcheria dagegen, die Maria Thereſta von Byzanz, Schweſter und Schutzgeiſt des an Geiſt und Körper blöden Theodoſius II (408 — 450 n. Chr.), und Eudoxia, die kluge und gelehrte Wittwe-Regentin Conſtantin Dukas’ (1067), ſind die beiden einzigen achtbaren Autokratinnen von Byzanz im Laufe von mehr als tauſend Jahren. Von den übrigen haben acht aus Herrſchwuth ihre Männer und ſelbſt ihre eigenen Söhne umgebracht; zwei dagegen, Eudoxia, Gemahlin Theodoſtus’ II (421 n. Chr.), und Theodora, die ehemalige Tänzerin, öffentliche Dirne und Gemahlin Juſtinians I (536 n. Chr.), haben zwar ihre Männer und Söhne nicht ermordet, aber durch ihre ſkandalöſe Aufführung Schmach auf ihr Haus und Unehre auf ihr ganzes Geſchlecht gebracht. Die ſchlimmſten von allen dieſen kaiſerlichen Prinzeſſinnen waren aber St. Irene von Athen und Kaiſerin Theophano von Byzanz. St. Irene übernahm nach dem Tod ihres Gemahls Leo (780 n. Chr.) für ihren unmündigen Sohn Kaiſer Conſtantin VI die Regentſchaft, ließ aber Se. kaiſerliche Majeſtät, ihren Sohn, als er im zwanzigſten Lebens- jahr ſelbſt regieren wollte, zuerſt auspeitſchen, und ſpäter, weil er auf ſeine Rechte durchaus nicht verzichten wollte, ſo grauſam blenden, daß er in Folge der barbariſchen Operation den Geiſt aufgab. Im orthodoxen Byzanz wurden nicht etwa bloß Feldherren, Staats- Kaiſerin Irene ſuchte die Gewiſſensbiſſe über den gräßlichen Sohnes- An geiſtiger Begabung bleibt Theophano, die jugendliche Gemahlin des Nicht viel rühmlicheres iſt von den beiden Schweſtern Zoë und Theodora, *) Man findet auch die Lesart „Meſolongi.“ *) Sr. Heiligkeit Kyr Johannes, dem Patriarchen des Erdkreiſes, wurden auf Befehl
der Kaiſerin Theodora zweihundert Hiebe aufgemeſſen (842 n. 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Das ſind zwar Kleinigkeiten, in<lb/> der griechiſchen Sprache iſt aber auch das Unbedeutende wichtig, wenn es das<lb/> Gewebe von Täuſchungen zerreißen hilft mit dem man uns Abendländer um-<lb/> ſtricken will.</p><lb/> <p>Von der heldenmüthigen Vertheidigung des Städtchens Miſſolongi durch<lb/> die albaneſiſchen Sulioten, wobei ſich auch das weibliche Geſchlecht in ſeiner<lb/> Weiſe hervorthat, nimmt die Berfaſſerin Anlaß auf die Rolle überzu-<lb/> ſpringen die das helleniſche Weib von den älteſten Zeiten bis zur Thronbe-<lb/> ſteigung des Königs Otto ſpielte. Im byzantiniſchen Imperium, von Arka-<lb/> dius angefangen bis zur türkiſchen Eroberung von Konſtantinopel unter dem<lb/> letzten Conſtantin, und dann in der türkiſchen Herrſchaft ſelbſt, ſieht die edle<lb/> Gräfin nur den ungeſtörten Fortbeſtand der alten Hellenenpracht. Das un-<lb/> galante Weſen der alten Griechen, den iſolirten von aller feinen Geſellſchaft<lb/> und Bildung hartnäckig ausgeſchloſſenen Zuſtand, in welchem die Hellenen<lb/> ihre Weiber hielten, die Ignoranz und die Geringſchätzung in welcher ſie leben<lb/> mußten, will die Verfaſſerin nicht verſchweigen, und ſie geht in parteiloſer<lb/> Schilderung des weiberfeindlichen Alt-Hellas ausnahmsweiſe ſo weit, daß ſie<lb/> ſogar die berüchtigten zehn Kategorien mittheilt in welche Simonides von<lb/> Amorgos, der ungalanteſte aller helleniſchen Dichter, die Frauencharaktere ein-<lb/> theilen zu müſſen glaubt. Dieſe helleniſche Claſſification iſt aber ſo ſkandalös<lb/> und den Begriffen die man bei den Germanen vom Weib hat ſo widerſtrebend,<lb/> daß man die Uebertragung aus der fremden Sprache kaum wagen darf.<lb/> Was ſollte man aber auch von einem Mann erwarten der vom Grundſatz<lb/> ausgieng: das größte Uebel das Zeus erſchuf ſey das Weib, und einen<lb/> ganzen frohen Tag erlebe derjenige nicht der ein Weib habe! Wundert man<lb/> ſich alſo wenn Simonides in der erſten und zahlreichſten Claſſe der Frauen<lb/> den Charakter der „<hi rendition="#aq">truie fangeuse</hi>“ erkennt, und andere in die Kategorie der<lb/> knurrenden Hündin, des ſtutzköpfigen Eſels, des magern und diebiſchen Mar-<lb/> ders, der häßlichen und böſen Aeffin verſetzt, und erſt in der zehnten und am<lb/> wenigſten zahlreichen Claſſe die „arbeitſame Biene“ finden kann (Bd. <hi rendition="#aq">I,</hi> S.<lb/> 345)? Leider muß man geſtehen daß ganz Hellas der Meinung des Simoni-<lb/> des huldigte, und ſeinen Frauen-Kanon als Richtſchnur der Conduite gegen<lb/> das zarte Geſchlecht anerkannte. Die patriotiſche Verfaſſerin verſäumt nicht<lb/> durch glänzende Exempel vom Zeitalter der Sappho und Aſpaſta bis zu der<lb/> berühmten von den Alexandriniſchen Chriſten ermordeten Philoſophin Hypa-<lb/> tia herab dieſe Geringſchätzung als unberechtigt zu verdammen, da die althelle-<lb/> niſchen Weiber ebenſoviel Verſtand, Weisheit und Energie wie die Männer<lb/> zeigten. In ihrer wahren Größe zu Tage gekommen ſeyen aber die bisher unge-<lb/> kannten Vorzüge des helleniſchen Weibes erſt durch das Chriſtenthum, wel-<lb/> ches durch Aufſtellung höherer Sittlichkeitsideen und durch völlige Umgeſtal-<lb/> tung der ſccialen Verhältniſſe die Lage des Weibes weſentlich verbeſſert habe.<lb/> Als lebendige Beweiſe chriſtlicher Emancipation, würdevollen Wandels und<lb/> ſtaatsmänniſcher Befähigung bringt die Verfaſſerin verſchiedene regierende<lb/> Frauen des byzantiniſchen Kaiſerhofes: St. Helena, St. Pulcheria, Eudoxia,<lb/> St. Irene, Zoë und Theodora mit einer zweiten Eudoxia auf die Bühne, und<lb/> bemerkt in einer Note (<hi rendition="#aq">I,</hi> S. 357, Note 1): daß auch Theodora, Gemahlin<lb/> Juſtinians <hi rendition="#aq">I,</hi> einen unermeßlichen Einfluß auf die orthodoxe Geſchichte des<lb/> Orients übte, und daß während der Minderjährigkeit Michaels <hi rendition="#aq">III</hi> eine dritte<lb/> Theodora Regentin war (842 n. Chr.). Nur die Uſurpatorin Martina,<lb/> Wittwe Heraclius’ <hi rendition="#aq">I</hi> (642 n. Chr.), dann Theodoſia, Gemahlin Leo’s <hi rendition="#aq">V</hi> (820<lb/> n. Chr.), Zoë, Tochter des Porphyrogenitus, und Theophano, Gemahlin Ro-<lb/> manus’ <hi rendition="#aq">II</hi> (955 — 963 n. Chr.), hat die edle Gräfin weggelaſſen, und durch<lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><cb/> dieſe Weglaſſung fünf kaiſerliche Giftmiſcherinnen weniger in ihr Regiſter<lb/> tugendhafter und talentvoller Griechinnen eingetragen. Bei dieſen vierzehn<lb/> kaiſerlichen Frauen, die man uns als Muſter des weiblichen Genius der Helle-<lb/> nen hinſtellt, bleibt St. Helena, die Concubine des Conſtantius Chlorus, aus dem<lb/> Spiel, weil Helena erſt im vorgerückten Alter von ihrem Sohn St. Conſtan-<lb/> tin <hi rendition="#aq">I</hi> zwar den Titel, aber nicht die Macht und den Einfluß einer Auguſta er-<lb/> halten hat, und weil ſie eigentlich noch der Mythenzeit des Chriſtenthums ange-<lb/> hört. St. Pulcheria dagegen, die Maria Thereſta von Byzanz, Schweſter und<lb/> Schutzgeiſt des an Geiſt und Körper blöden Theodoſius <hi rendition="#aq">II</hi> (408 — 450<lb/> n. Chr.), und Eudoxia, die kluge und gelehrte Wittwe-Regentin Conſtantin<lb/> Dukas’ (1067), ſind die beiden einzigen achtbaren Autokratinnen von Byzanz<lb/> im Laufe von mehr als tauſend Jahren. Von den übrigen haben acht aus<lb/> Herrſchwuth ihre Männer und ſelbſt ihre eigenen Söhne umgebracht; zwei<lb/> dagegen, Eudoxia, Gemahlin Theodoſtus’ <hi rendition="#aq">II</hi> (421 n. Chr.), und Theodora, die<lb/> ehemalige Tänzerin, öffentliche Dirne und Gemahlin Juſtinians <hi rendition="#aq">I</hi> (536<lb/> n. Chr.), haben zwar ihre Männer und Söhne nicht ermordet, aber<lb/> durch ihre ſkandalöſe Aufführung Schmach auf ihr Haus und Unehre auf ihr<lb/> ganzes Geſchlecht gebracht. Die ſchlimmſten von allen dieſen kaiſerlichen<lb/> Prinzeſſinnen waren aber St. Irene von Athen und Kaiſerin Theophano von<lb/> Byzanz. St. Irene übernahm nach dem Tod ihres Gemahls Leo (780 n.<lb/> Chr.) für ihren unmündigen Sohn Kaiſer Conſtantin <hi rendition="#aq">VI</hi> die Regentſchaft,<lb/> ließ aber Se. kaiſerliche Majeſtät, ihren Sohn, als er im zwanzigſten Lebens-<lb/> jahr ſelbſt regieren wollte, zuerſt auspeitſchen, und ſpäter, weil er auf ſeine<lb/> Rechte durchaus nicht verzichten wollte, ſo grauſam blenden, daß er in Folge<lb/> der barbariſchen Operation den Geiſt aufgab.</p><lb/> <p>Im orthodoxen Byzanz wurden nicht etwa bloß Feldherren, Staats-<lb/> miniſter und Patriarchen<note place="foot" n="*)">Sr. Heiligkeit Kyr Johannes, dem Patriarchen des Erdkreiſes, wurden auf Befehl<lb/> der Kaiſerin Theodora zweihundert Hiebe aufgemeſſen (842 n. Chr.).</note>, es wurden auch kaiſerliche Prinzen öffentlich aus-<lb/> gepeitſcht, die Autokraten ſelbſt aber, um das Gleichgewicht herzuſtellen, wur-<lb/> den vergiftet, verſtümmelt oder mit Aexten todtgeſchlagen.</p><lb/> <p>Kaiſerin Irene ſuchte die Gewiſſensbiſſe über den gräßlichen Sohnes-<lb/> mord durch Wiederherſtellung des Bilderdienſtes und durch fromme Gaben<lb/> an die Mönche zu ſtillen, wurde aber doch durch eine Palaſtrevolution vom<lb/> Thron geſtoßen (802 n. Chr.) und in ein Kloſter nach Mitylene verbannt,<lb/> wo ſie, wahnſinnig über die verlorne Herrſchaft, bald verſchied, und von den<lb/> dankbaren Mönchen der orthodoxen Kirche heilig geſprochen wurde. Wohl<lb/> fühlend daß die Beatification einer Sohnesmörderin bei gewiſſenhaften Leſern<lb/> im Abendland Aergerniß geben könnte, beſchwichtigt die edle Gräfin unſere<lb/> Bedenken mit der Erinnerung daß es auch die römiſche Kirche mit der Canoni-<lb/> ſation ihrer Gläubigen nicht ſo genau nimmt, und neben der rachſüchtigen<lb/> Königin Clotilde ſogar den „blutdürſtigen“ Pius <hi rendition="#aq">V</hi> in dem Heiligenkalender<lb/> eingeſchrieben hat (<hi rendition="#aq">I,</hi> S. 353). Die Verfaſſerin tadelt zwar die Mordthat<lb/> der heiligen Irene, entſchuldigt aber das Verbrechen mit der rohen Sitte deſpo-<lb/> tiſcher Staaten des achten Jahrhunderts, und mit dem Umſtand daß ſelbſt im<lb/> 18. und 19. Jahrhundert noch Peter <hi rendition="#aq">III</hi> und Paul <hi rendition="#aq">I</hi> von den Ruffen erdroſ-<lb/> ſelt worden ſeyen (<hi rendition="#aq">I,</hi> S. 354, Note 3).</p><lb/> <p>An geiſtiger Begabung bleibt Theophano, die jugendliche Gemahlin des<lb/> im vierundzwanzigſten Lebensjahr verſtorbenen Kaiſers Romanus <hi rendition="#aq">II,</hi> hinter<lb/> St. Irene weit zurück, an Liederlichkeit und Unthaten aber geht ſie ihr weit<lb/> voran. Als Regentin für ihre beiden unmündigen Söhne Baſilius und Con-<lb/> ſtantin ließ Theophano zuerſt ihren Buhlen, den ſiegreichen Oberfeldherrn der<lb/> Armee des Orients, Nicephorus Phocas, nach Konſtantinopel kommen, und un-<lb/> mittelbar darauf den nach Lesbos verbannten Exkaiſer Stevhanus im heiligen<lb/> Abendmahl vergiſten. Nicephorus Phocas hielt aber Theophano im Palaft<lb/> eingeſperrt, und gab ihr erſt nachdem ihn das Heer zum Kaiſer ausgerufen hatte,<lb/> als ſeiner legitimen Gemahlin, die Freiheit zurück. Nach einigen Jahren<lb/> ſchenkte aber Theophano, des Gemahls ſchon wieder überdrüſſig, ihre Neigung<lb/> dem ebenfalls berühmten Feldherrn Tzimisces, und ließ den neuen Günſtling<lb/> mit ſeiner Mörderbande bei Nacht heimlich in den Palaſt um den Kaiſer im<lb/> Schlaf zu ermorden, und den Leichnam über die Schloßmauer in den Schnee<lb/> hinauszuwerfen (969 n. Chr.). Statt die Doppelmörderin zu heirathen, wie<lb/> ſie hoffte, trieb Tzimisces das kaiſerliche Ungethüm aus dem Palaſt, und ver-<lb/> bannte es in ein entlegenes Nonnenkloſter im öſtlichen Kleinaſten.</p><lb/> <p>Nicht viel rühmlicheres iſt von den beiden Schweſtern Zoë und Theodora,<lb/> Töchtern Conſtantins <hi rendition="#aq">VIII,</hi> des Sohns der vorgenannten Theophano, zu er-<lb/> wähnen. Beide Prinzeſſinnen kamen auf den Thron, und lenkten durch ihre<lb/> Intriguen, ihre Liebſchaften und ihre Giftmiſchereien die öffentlichen Angele-<lb/> genheiten von Byzanz von 1028 bis 1056 beinahe ausſchließlich. Zoë, ſelbſt<lb/> ſchon 51 Jahre alt, ließ ihren ältlichen Gemahl Romanus <hi rendition="#aq">III</hi> zuerſt langſam<lb/> vergiften, und nachher im Bad erſticken, um den ſchönen Geldwechsler Michael<lb/> den Paphlagonier zu heirathen (1034 — 1041), deſſen Neſſe und Nachfolger,<lb/> der von Zoë adoptirte Calaphates, ſeine Adoptivmutter wie eine Sklavin be-<lb/> handelte, und auf die Prinzeninſeln exilirte. Ein Volksaufſtand nöthigte ihn<lb/> aber die verbannte Gattenmörderin wieder aufzunehmen, ſie mit ihrer Schwe-<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [2790/0010]
daß ſie vom Standpunkt parteiloſer Wahrheit und durchſichtiger Schärfe zum
Rang einer factioſen und — wir wagen es kaum auszuſprechen — einer
oberflächlichen Vertheidigerin zweifelhafter und, wie wir beſorgen, gar nicht
zu rechtfertigender Theſen herabgeſtiegen iſt, ſo klagen wir nicht das Ingenium
der hochgebornen Gräfin und ihren Tact für das Wahre, wir klagen den bö
ſen Zauber an mit welchem ſie das Studium des griechkſchen Alterthums
und die Conſpiration der helleniſchen Trümmer von Byzanz neben der Manie
des Jahrhunderts gleichſam behext, und wie ein trügeriſcher Irrwiſch vom
rechten Pfad abgelenkt und in der richtigen Erkenntniß der Dinge verhin-
dert hat.
Der erſte Brief über das ſchwärmeriſch geliebte Hellas iſt aus Miſſo-
longi datirt, wo die edle Gräfin nach einer traurigen Tour durch ihr albaneſi-
ſches Heimathland zuerſt den griechiſchen Boden betrat. Aber gleich in der
vierten Zeile (I, S. 342) des Briefs entdecken wir ſchon einen bedeutenden Irr-
thum in der Angabe daß Miſſolongi *) ſeinen Urſprung und folglich auch ſei-
nen Namen einer Colonie ihrer Landsleute aus dem albaneſiſchen Parga zu
verdanken habe. Miſſolongi iſt kein albaniſches, es iſt auch kein griechiſches,
es iſt ein rein ſlaviſches Wort, und heißt auf deutſch „Mittenwalde,“ von den
beiden ſlaviſchen Urwörtern medo, mesdju, mesdisch, milten, zwiſchen, und
lug, griechiſch #, der Wald. Der Parganiote Pezzalas hat in verhält-
nißmäßig neuer Zeit nur einen Haufen Albaneſen in das halb menſchenleere
Miſſolongi geführt, und dem Ort den albaneſiſchen Charakter aufgedrückt, der
beim großen Aufſtand zum Vorſchein kam. Das ſind zwar Kleinigkeiten, in
der griechiſchen Sprache iſt aber auch das Unbedeutende wichtig, wenn es das
Gewebe von Täuſchungen zerreißen hilft mit dem man uns Abendländer um-
ſtricken will.
Von der heldenmüthigen Vertheidigung des Städtchens Miſſolongi durch
die albaneſiſchen Sulioten, wobei ſich auch das weibliche Geſchlecht in ſeiner
Weiſe hervorthat, nimmt die Berfaſſerin Anlaß auf die Rolle überzu-
ſpringen die das helleniſche Weib von den älteſten Zeiten bis zur Thronbe-
ſteigung des Königs Otto ſpielte. Im byzantiniſchen Imperium, von Arka-
dius angefangen bis zur türkiſchen Eroberung von Konſtantinopel unter dem
letzten Conſtantin, und dann in der türkiſchen Herrſchaft ſelbſt, ſieht die edle
Gräfin nur den ungeſtörten Fortbeſtand der alten Hellenenpracht. Das un-
galante Weſen der alten Griechen, den iſolirten von aller feinen Geſellſchaft
und Bildung hartnäckig ausgeſchloſſenen Zuſtand, in welchem die Hellenen
ihre Weiber hielten, die Ignoranz und die Geringſchätzung in welcher ſie leben
mußten, will die Verfaſſerin nicht verſchweigen, und ſie geht in parteiloſer
Schilderung des weiberfeindlichen Alt-Hellas ausnahmsweiſe ſo weit, daß ſie
ſogar die berüchtigten zehn Kategorien mittheilt in welche Simonides von
Amorgos, der ungalanteſte aller helleniſchen Dichter, die Frauencharaktere ein-
theilen zu müſſen glaubt. Dieſe helleniſche Claſſification iſt aber ſo ſkandalös
und den Begriffen die man bei den Germanen vom Weib hat ſo widerſtrebend,
daß man die Uebertragung aus der fremden Sprache kaum wagen darf.
Was ſollte man aber auch von einem Mann erwarten der vom Grundſatz
ausgieng: das größte Uebel das Zeus erſchuf ſey das Weib, und einen
ganzen frohen Tag erlebe derjenige nicht der ein Weib habe! Wundert man
ſich alſo wenn Simonides in der erſten und zahlreichſten Claſſe der Frauen
den Charakter der „truie fangeuse“ erkennt, und andere in die Kategorie der
knurrenden Hündin, des ſtutzköpfigen Eſels, des magern und diebiſchen Mar-
ders, der häßlichen und böſen Aeffin verſetzt, und erſt in der zehnten und am
wenigſten zahlreichen Claſſe die „arbeitſame Biene“ finden kann (Bd. I, S.
345)? Leider muß man geſtehen daß ganz Hellas der Meinung des Simoni-
des huldigte, und ſeinen Frauen-Kanon als Richtſchnur der Conduite gegen
das zarte Geſchlecht anerkannte. Die patriotiſche Verfaſſerin verſäumt nicht
durch glänzende Exempel vom Zeitalter der Sappho und Aſpaſta bis zu der
berühmten von den Alexandriniſchen Chriſten ermordeten Philoſophin Hypa-
tia herab dieſe Geringſchätzung als unberechtigt zu verdammen, da die althelle-
niſchen Weiber ebenſoviel Verſtand, Weisheit und Energie wie die Männer
zeigten. In ihrer wahren Größe zu Tage gekommen ſeyen aber die bisher unge-
kannten Vorzüge des helleniſchen Weibes erſt durch das Chriſtenthum, wel-
ches durch Aufſtellung höherer Sittlichkeitsideen und durch völlige Umgeſtal-
tung der ſccialen Verhältniſſe die Lage des Weibes weſentlich verbeſſert habe.
Als lebendige Beweiſe chriſtlicher Emancipation, würdevollen Wandels und
ſtaatsmänniſcher Befähigung bringt die Verfaſſerin verſchiedene regierende
Frauen des byzantiniſchen Kaiſerhofes: St. Helena, St. Pulcheria, Eudoxia,
St. Irene, Zoë und Theodora mit einer zweiten Eudoxia auf die Bühne, und
bemerkt in einer Note (I, S. 357, Note 1): daß auch Theodora, Gemahlin
Juſtinians I, einen unermeßlichen Einfluß auf die orthodoxe Geſchichte des
Orients übte, und daß während der Minderjährigkeit Michaels III eine dritte
Theodora Regentin war (842 n. Chr.). Nur die Uſurpatorin Martina,
Wittwe Heraclius’ I (642 n. Chr.), dann Theodoſia, Gemahlin Leo’s V (820
n. Chr.), Zoë, Tochter des Porphyrogenitus, und Theophano, Gemahlin Ro-
manus’ II (955 — 963 n. Chr.), hat die edle Gräfin weggelaſſen, und durch
dieſe Weglaſſung fünf kaiſerliche Giftmiſcherinnen weniger in ihr Regiſter
tugendhafter und talentvoller Griechinnen eingetragen. Bei dieſen vierzehn
kaiſerlichen Frauen, die man uns als Muſter des weiblichen Genius der Helle-
nen hinſtellt, bleibt St. Helena, die Concubine des Conſtantius Chlorus, aus dem
Spiel, weil Helena erſt im vorgerückten Alter von ihrem Sohn St. Conſtan-
tin I zwar den Titel, aber nicht die Macht und den Einfluß einer Auguſta er-
halten hat, und weil ſie eigentlich noch der Mythenzeit des Chriſtenthums ange-
hört. St. Pulcheria dagegen, die Maria Thereſta von Byzanz, Schweſter und
Schutzgeiſt des an Geiſt und Körper blöden Theodoſius II (408 — 450
n. Chr.), und Eudoxia, die kluge und gelehrte Wittwe-Regentin Conſtantin
Dukas’ (1067), ſind die beiden einzigen achtbaren Autokratinnen von Byzanz
im Laufe von mehr als tauſend Jahren. Von den übrigen haben acht aus
Herrſchwuth ihre Männer und ſelbſt ihre eigenen Söhne umgebracht; zwei
dagegen, Eudoxia, Gemahlin Theodoſtus’ II (421 n. Chr.), und Theodora, die
ehemalige Tänzerin, öffentliche Dirne und Gemahlin Juſtinians I (536
n. Chr.), haben zwar ihre Männer und Söhne nicht ermordet, aber
durch ihre ſkandalöſe Aufführung Schmach auf ihr Haus und Unehre auf ihr
ganzes Geſchlecht gebracht. Die ſchlimmſten von allen dieſen kaiſerlichen
Prinzeſſinnen waren aber St. Irene von Athen und Kaiſerin Theophano von
Byzanz. St. Irene übernahm nach dem Tod ihres Gemahls Leo (780 n.
Chr.) für ihren unmündigen Sohn Kaiſer Conſtantin VI die Regentſchaft,
ließ aber Se. kaiſerliche Majeſtät, ihren Sohn, als er im zwanzigſten Lebens-
jahr ſelbſt regieren wollte, zuerſt auspeitſchen, und ſpäter, weil er auf ſeine
Rechte durchaus nicht verzichten wollte, ſo grauſam blenden, daß er in Folge
der barbariſchen Operation den Geiſt aufgab.
Im orthodoxen Byzanz wurden nicht etwa bloß Feldherren, Staats-
miniſter und Patriarchen *), es wurden auch kaiſerliche Prinzen öffentlich aus-
gepeitſcht, die Autokraten ſelbſt aber, um das Gleichgewicht herzuſtellen, wur-
den vergiftet, verſtümmelt oder mit Aexten todtgeſchlagen.
Kaiſerin Irene ſuchte die Gewiſſensbiſſe über den gräßlichen Sohnes-
mord durch Wiederherſtellung des Bilderdienſtes und durch fromme Gaben
an die Mönche zu ſtillen, wurde aber doch durch eine Palaſtrevolution vom
Thron geſtoßen (802 n. Chr.) und in ein Kloſter nach Mitylene verbannt,
wo ſie, wahnſinnig über die verlorne Herrſchaft, bald verſchied, und von den
dankbaren Mönchen der orthodoxen Kirche heilig geſprochen wurde. Wohl
fühlend daß die Beatification einer Sohnesmörderin bei gewiſſenhaften Leſern
im Abendland Aergerniß geben könnte, beſchwichtigt die edle Gräfin unſere
Bedenken mit der Erinnerung daß es auch die römiſche Kirche mit der Canoni-
ſation ihrer Gläubigen nicht ſo genau nimmt, und neben der rachſüchtigen
Königin Clotilde ſogar den „blutdürſtigen“ Pius V in dem Heiligenkalender
eingeſchrieben hat (I, S. 353). Die Verfaſſerin tadelt zwar die Mordthat
der heiligen Irene, entſchuldigt aber das Verbrechen mit der rohen Sitte deſpo-
tiſcher Staaten des achten Jahrhunderts, und mit dem Umſtand daß ſelbſt im
18. und 19. Jahrhundert noch Peter III und Paul I von den Ruffen erdroſ-
ſelt worden ſeyen (I, S. 354, Note 3).
An geiſtiger Begabung bleibt Theophano, die jugendliche Gemahlin des
im vierundzwanzigſten Lebensjahr verſtorbenen Kaiſers Romanus II, hinter
St. Irene weit zurück, an Liederlichkeit und Unthaten aber geht ſie ihr weit
voran. Als Regentin für ihre beiden unmündigen Söhne Baſilius und Con-
ſtantin ließ Theophano zuerſt ihren Buhlen, den ſiegreichen Oberfeldherrn der
Armee des Orients, Nicephorus Phocas, nach Konſtantinopel kommen, und un-
mittelbar darauf den nach Lesbos verbannten Exkaiſer Stevhanus im heiligen
Abendmahl vergiſten. Nicephorus Phocas hielt aber Theophano im Palaft
eingeſperrt, und gab ihr erſt nachdem ihn das Heer zum Kaiſer ausgerufen hatte,
als ſeiner legitimen Gemahlin, die Freiheit zurück. Nach einigen Jahren
ſchenkte aber Theophano, des Gemahls ſchon wieder überdrüſſig, ihre Neigung
dem ebenfalls berühmten Feldherrn Tzimisces, und ließ den neuen Günſtling
mit ſeiner Mörderbande bei Nacht heimlich in den Palaſt um den Kaiſer im
Schlaf zu ermorden, und den Leichnam über die Schloßmauer in den Schnee
hinauszuwerfen (969 n. Chr.). Statt die Doppelmörderin zu heirathen, wie
ſie hoffte, trieb Tzimisces das kaiſerliche Ungethüm aus dem Palaſt, und ver-
bannte es in ein entlegenes Nonnenkloſter im öſtlichen Kleinaſten.
Nicht viel rühmlicheres iſt von den beiden Schweſtern Zoë und Theodora,
Töchtern Conſtantins VIII, des Sohns der vorgenannten Theophano, zu er-
wähnen. Beide Prinzeſſinnen kamen auf den Thron, und lenkten durch ihre
Intriguen, ihre Liebſchaften und ihre Giftmiſchereien die öffentlichen Angele-
genheiten von Byzanz von 1028 bis 1056 beinahe ausſchließlich. Zoë, ſelbſt
ſchon 51 Jahre alt, ließ ihren ältlichen Gemahl Romanus III zuerſt langſam
vergiften, und nachher im Bad erſticken, um den ſchönen Geldwechsler Michael
den Paphlagonier zu heirathen (1034 — 1041), deſſen Neſſe und Nachfolger,
der von Zoë adoptirte Calaphates, ſeine Adoptivmutter wie eine Sklavin be-
handelte, und auf die Prinzeninſeln exilirte. Ein Volksaufſtand nöthigte ihn
aber die verbannte Gattenmörderin wieder aufzunehmen, ſie mit ihrer Schwe-
*) Man findet auch die Lesart „Meſolongi.“
*) Sr. Heiligkeit Kyr Johannes, dem Patriarchen des Erdkreiſes, wurden auf Befehl
der Kaiſerin Theodora zweihundert Hiebe aufgemeſſen (842 n. Chr.).
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Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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