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Allgemeine Zeitung, Nr. 167, 15. Juni 1860.

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[Spaltenumbruch] daß sie vom Standpunkt parteiloser Wahrheit und durchsichtiger Schärfe zum
Rang einer factiosen und -- wir wagen es kaum auszusprechen -- einer
oberflächlichen Vertheidigerin zweifelhafter und, wie wir besorgen, gar nicht
zu rechtfertigender Thesen herabgestiegen ist, so klagen wir nicht das Ingenium
der hochgebornen Gräfin und ihren Tact für das Wahre, wir klagen den bö
sen Zauber an mit welchem sie das Studium des griechkschen Alterthums
und die Conspiration der hellenischen Trümmer von Byzanz neben der Manie
des Jahrhunderts gleichsam behext, und wie ein trügerischer Irrwisch vom
rechten Pfad abgelenkt und in der richtigen Erkenntniß der Dinge verhin-
dert hat.

Der erste Brief über das schwärmerisch geliebte Hellas ist aus Misso-
longi datirt, wo die edle Gräfin nach einer traurigen Tour durch ihr albanesi-
sches Heimathland zuerst den griechischen Boden betrat. Aber gleich in der
vierten Zeile (I, S. 342) des Briefs entdecken wir schon einen bedeutenden Irr-
thum in der Angabe daß Missolongi*) seinen Ursprung und folglich auch sei-
nen Namen einer Colonie ihrer Landsleute aus dem albanesischen Parga zu
verdanken habe. Missolongi ist kein albanisches, es ist auch kein griechisches,
es ist ein rein slavisches Wort, und heißt auf deutsch "Mittenwalde," von den
beiden slavischen Urwörtern medo, mesdju, mesdisch, milten, zwischen, und
lug, griechisch #, der Wald. Der Parganiote Pezzalas hat in verhält-
nißmäßig neuer Zeit nur einen Haufen Albanesen in das halb menschenleere
Missolongi geführt, und dem Ort den albanesischen Charakter aufgedrückt, der
beim großen Aufstand zum Vorschein kam. Das sind zwar Kleinigkeiten, in
der griechischen Sprache ist aber auch das Unbedeutende wichtig, wenn es das
Gewebe von Täuschungen zerreißen hilft mit dem man uns Abendländer um-
stricken will.

Von der heldenmüthigen Vertheidigung des Städtchens Missolongi durch
die albanesischen Sulioten, wobei sich auch das weibliche Geschlecht in seiner
Weise hervorthat, nimmt die Berfasserin Anlaß auf die Rolle überzu-
springen die das hellenische Weib von den ältesten Zeiten bis zur Thronbe-
steigung des Königs Otto spielte. Im byzantinischen Imperium, von Arka-
dius angefangen bis zur türkischen Eroberung von Konstantinopel unter dem
letzten Constantin, und dann in der türkischen Herrschaft selbst, sieht die edle
Gräfin nur den ungestörten Fortbestand der alten Hellenenpracht. Das un-
galante Wesen der alten Griechen, den isolirten von aller feinen Gesellschaft
und Bildung hartnäckig ausgeschlossenen Zustand, in welchem die Hellenen
ihre Weiber hielten, die Ignoranz und die Geringschätzung in welcher sie leben
mußten, will die Verfasserin nicht verschweigen, und sie geht in parteiloser
Schilderung des weiberfeindlichen Alt-Hellas ausnahmsweise so weit, daß sie
sogar die berüchtigten zehn Kategorien mittheilt in welche Simonides von
Amorgos, der ungalanteste aller hellenischen Dichter, die Frauencharaktere ein-
theilen zu müssen glaubt. Diese hellenische Classification ist aber so skandalös
und den Begriffen die man bei den Germanen vom Weib hat so widerstrebend,
daß man die Uebertragung aus der fremden Sprache kaum wagen darf.
Was sollte man aber auch von einem Mann erwarten der vom Grundsatz
ausgieng: das größte Uebel das Zeus erschuf sey das Weib, und einen
ganzen frohen Tag erlebe derjenige nicht der ein Weib habe! Wundert man
sich also wenn Simonides in der ersten und zahlreichsten Classe der Frauen
den Charakter der "truie fangeuse" erkennt, und andere in die Kategorie der
knurrenden Hündin, des stutzköpfigen Esels, des magern und diebischen Mar-
ders, der häßlichen und bösen Aeffin versetzt, und erst in der zehnten und am
wenigsten zahlreichen Classe die "arbeitsame Biene" finden kann (Bd. I, S.
345)? Leider muß man gestehen daß ganz Hellas der Meinung des Simoni-
des huldigte, und seinen Frauen-Kanon als Richtschnur der Conduite gegen
das zarte Geschlecht anerkannte. Die patriotische Verfasserin versäumt nicht
durch glänzende Exempel vom Zeitalter der Sappho und Aspasta bis zu der
berühmten von den Alexandrinischen Christen ermordeten Philosophin Hypa-
tia herab diese Geringschätzung als unberechtigt zu verdammen, da die althelle-
nischen Weiber ebensoviel Verstand, Weisheit und Energie wie die Männer
zeigten. In ihrer wahren Größe zu Tage gekommen seyen aber die bisher unge-
kannten Vorzüge des hellenischen Weibes erst durch das Christenthum, wel-
ches durch Aufstellung höherer Sittlichkeitsideen und durch völlige Umgestal-
tung der sccialen Verhältnisse die Lage des Weibes wesentlich verbessert habe.
Als lebendige Beweise christlicher Emancipation, würdevollen Wandels und
staatsmännischer Befähigung bringt die Verfasserin verschiedene regierende
Frauen des byzantinischen Kaiserhofes: St. Helena, St. Pulcheria, Eudoxia,
St. Irene, Zoe und Theodora mit einer zweiten Eudoxia auf die Bühne, und
bemerkt in einer Note (I, S. 357, Note 1): daß auch Theodora, Gemahlin
Justinians I, einen unermeßlichen Einfluß auf die orthodoxe Geschichte des
Orients übte, und daß während der Minderjährigkeit Michaels III eine dritte
Theodora Regentin war (842 n. Chr.). Nur die Usurpatorin Martina,
Wittwe Heraclius' I (642 n. Chr.), dann Theodosia, Gemahlin Leo's V (820
n. Chr.), Zoe, Tochter des Porphyrogenitus, und Theophano, Gemahlin Ro-
manus' II (955 -- 963 n. Chr.), hat die edle Gräfin weggelassen, und durch



[Spaltenumbruch] diese Weglassung fünf kaiserliche Giftmischerinnen weniger in ihr Register
tugendhafter und talentvoller Griechinnen eingetragen. Bei diesen vierzehn
kaiserlichen Frauen, die man uns als Muster des weiblichen Genius der Helle-
nen hinstellt, bleibt St. Helena, die Concubine des Constantius Chlorus, aus dem
Spiel, weil Helena erst im vorgerückten Alter von ihrem Sohn St. Constan-
tin I zwar den Titel, aber nicht die Macht und den Einfluß einer Augusta er-
halten hat, und weil sie eigentlich noch der Mythenzeit des Christenthums ange-
hört. St. Pulcheria dagegen, die Maria Theresta von Byzanz, Schwester und
Schutzgeist des an Geist und Körper blöden Theodosius II (408 -- 450
n. Chr.), und Eudoxia, die kluge und gelehrte Wittwe-Regentin Constantin
Dukas' (1067), sind die beiden einzigen achtbaren Autokratinnen von Byzanz
im Laufe von mehr als tausend Jahren. Von den übrigen haben acht aus
Herrschwuth ihre Männer und selbst ihre eigenen Söhne umgebracht; zwei
dagegen, Eudoxia, Gemahlin Theodostus' II (421 n. Chr.), und Theodora, die
ehemalige Tänzerin, öffentliche Dirne und Gemahlin Justinians I (536
n. Chr.), haben zwar ihre Männer und Söhne nicht ermordet, aber
durch ihre skandalöse Aufführung Schmach auf ihr Haus und Unehre auf ihr
ganzes Geschlecht gebracht. Die schlimmsten von allen diesen kaiserlichen
Prinzessinnen waren aber St. Irene von Athen und Kaiserin Theophano von
Byzanz. St. Irene übernahm nach dem Tod ihres Gemahls Leo (780 n.
Chr.) für ihren unmündigen Sohn Kaiser Constantin VI die Regentschaft,
ließ aber Se. kaiserliche Majestät, ihren Sohn, als er im zwanzigsten Lebens-
jahr selbst regieren wollte, zuerst auspeitschen, und später, weil er auf seine
Rechte durchaus nicht verzichten wollte, so grausam blenden, daß er in Folge
der barbarischen Operation den Geist aufgab.

Im orthodoxen Byzanz wurden nicht etwa bloß Feldherren, Staats-
minister und Patriarchen*), es wurden auch kaiserliche Prinzen öffentlich aus-
gepeitscht, die Autokraten selbst aber, um das Gleichgewicht herzustellen, wur-
den vergiftet, verstümmelt oder mit Aexten todtgeschlagen.

Kaiserin Irene suchte die Gewissensbisse über den gräßlichen Sohnes-
mord durch Wiederherstellung des Bilderdienstes und durch fromme Gaben
an die Mönche zu stillen, wurde aber doch durch eine Palastrevolution vom
Thron gestoßen (802 n. Chr.) und in ein Kloster nach Mitylene verbannt,
wo sie, wahnsinnig über die verlorne Herrschaft, bald verschied, und von den
dankbaren Mönchen der orthodoxen Kirche heilig gesprochen wurde. Wohl
fühlend daß die Beatification einer Sohnesmörderin bei gewissenhaften Lesern
im Abendland Aergerniß geben könnte, beschwichtigt die edle Gräfin unsere
Bedenken mit der Erinnerung daß es auch die römische Kirche mit der Canoni-
sation ihrer Gläubigen nicht so genau nimmt, und neben der rachsüchtigen
Königin Clotilde sogar den "blutdürstigen" Pius V in dem Heiligenkalender
eingeschrieben hat (I, S. 353). Die Verfasserin tadelt zwar die Mordthat
der heiligen Irene, entschuldigt aber das Verbrechen mit der rohen Sitte despo-
tischer Staaten des achten Jahrhunderts, und mit dem Umstand daß selbst im
18. und 19. Jahrhundert noch Peter III und Paul I von den Ruffen erdros-
selt worden seyen (I, S. 354, Note 3).

An geistiger Begabung bleibt Theophano, die jugendliche Gemahlin des
im vierundzwanzigsten Lebensjahr verstorbenen Kaisers Romanus II, hinter
St. Irene weit zurück, an Liederlichkeit und Unthaten aber geht sie ihr weit
voran. Als Regentin für ihre beiden unmündigen Söhne Basilius und Con-
stantin ließ Theophano zuerst ihren Buhlen, den siegreichen Oberfeldherrn der
Armee des Orients, Nicephorus Phocas, nach Konstantinopel kommen, und un-
mittelbar darauf den nach Lesbos verbannten Exkaiser Stevhanus im heiligen
Abendmahl vergisten. Nicephorus Phocas hielt aber Theophano im Palaft
eingesperrt, und gab ihr erst nachdem ihn das Heer zum Kaiser ausgerufen hatte,
als seiner legitimen Gemahlin, die Freiheit zurück. Nach einigen Jahren
schenkte aber Theophano, des Gemahls schon wieder überdrüssig, ihre Neigung
dem ebenfalls berühmten Feldherrn Tzimisces, und ließ den neuen Günstling
mit seiner Mörderbande bei Nacht heimlich in den Palast um den Kaiser im
Schlaf zu ermorden, und den Leichnam über die Schloßmauer in den Schnee
hinauszuwerfen (969 n. Chr.). Statt die Doppelmörderin zu heirathen, wie
sie hoffte, trieb Tzimisces das kaiserliche Ungethüm aus dem Palast, und ver-
bannte es in ein entlegenes Nonnenkloster im östlichen Kleinasten.

Nicht viel rühmlicheres ist von den beiden Schwestern Zoe und Theodora,
Töchtern Constantins VIII, des Sohns der vorgenannten Theophano, zu er-
wähnen. Beide Prinzessinnen kamen auf den Thron, und lenkten durch ihre
Intriguen, ihre Liebschaften und ihre Giftmischereien die öffentlichen Angele-
genheiten von Byzanz von 1028 bis 1056 beinahe ausschließlich. Zoe, selbst
schon 51 Jahre alt, ließ ihren ältlichen Gemahl Romanus III zuerst langsam
vergiften, und nachher im Bad ersticken, um den schönen Geldwechsler Michael
den Paphlagonier zu heirathen (1034 -- 1041), dessen Nesse und Nachfolger,
der von Zoe adoptirte Calaphates, seine Adoptivmutter wie eine Sklavin be-
handelte, und auf die Prinzeninseln exilirte. Ein Volksaufstand nöthigte ihn
aber die verbannte Gattenmörderin wieder aufzunehmen, sie mit ihrer Schwe-

*) Man findet auch die Lesart "Mesolongi."
*) Sr. Heiligkeit Kyr Johannes, dem Patriarchen des Erdkreises, wurden auf Befehl
der Kaiserin Theodora zweihundert Hiebe aufgemessen (842 n. Chr.).

[Spaltenumbruch] daß ſie vom Standpunkt parteiloſer Wahrheit und durchſichtiger Schärfe zum
Rang einer factioſen und — wir wagen es kaum auszuſprechen — einer
oberflächlichen Vertheidigerin zweifelhafter und, wie wir beſorgen, gar nicht
zu rechtfertigender Theſen herabgeſtiegen iſt, ſo klagen wir nicht das Ingenium
der hochgebornen Gräfin und ihren Tact für das Wahre, wir klagen den bö
ſen Zauber an mit welchem ſie das Studium des griechkſchen Alterthums
und die Conſpiration der helleniſchen Trümmer von Byzanz neben der Manie
des Jahrhunderts gleichſam behext, und wie ein trügeriſcher Irrwiſch vom
rechten Pfad abgelenkt und in der richtigen Erkenntniß der Dinge verhin-
dert hat.

Der erſte Brief über das ſchwärmeriſch geliebte Hellas iſt aus Miſſo-
longi datirt, wo die edle Gräfin nach einer traurigen Tour durch ihr albaneſi-
ſches Heimathland zuerſt den griechiſchen Boden betrat. Aber gleich in der
vierten Zeile (I, S. 342) des Briefs entdecken wir ſchon einen bedeutenden Irr-
thum in der Angabe daß Miſſolongi*) ſeinen Urſprung und folglich auch ſei-
nen Namen einer Colonie ihrer Landsleute aus dem albaneſiſchen Parga zu
verdanken habe. Miſſolongi iſt kein albaniſches, es iſt auch kein griechiſches,
es iſt ein rein ſlaviſches Wort, und heißt auf deutſch „Mittenwalde,“ von den
beiden ſlaviſchen Urwörtern medo, mesdju, mesdisch, milten, zwiſchen, und
lug, griechiſch #, der Wald. Der Parganiote Pezzalas hat in verhält-
nißmäßig neuer Zeit nur einen Haufen Albaneſen in das halb menſchenleere
Miſſolongi geführt, und dem Ort den albaneſiſchen Charakter aufgedrückt, der
beim großen Aufſtand zum Vorſchein kam. Das ſind zwar Kleinigkeiten, in
der griechiſchen Sprache iſt aber auch das Unbedeutende wichtig, wenn es das
Gewebe von Täuſchungen zerreißen hilft mit dem man uns Abendländer um-
ſtricken will.

Von der heldenmüthigen Vertheidigung des Städtchens Miſſolongi durch
die albaneſiſchen Sulioten, wobei ſich auch das weibliche Geſchlecht in ſeiner
Weiſe hervorthat, nimmt die Berfaſſerin Anlaß auf die Rolle überzu-
ſpringen die das helleniſche Weib von den älteſten Zeiten bis zur Thronbe-
ſteigung des Königs Otto ſpielte. Im byzantiniſchen Imperium, von Arka-
dius angefangen bis zur türkiſchen Eroberung von Konſtantinopel unter dem
letzten Conſtantin, und dann in der türkiſchen Herrſchaft ſelbſt, ſieht die edle
Gräfin nur den ungeſtörten Fortbeſtand der alten Hellenenpracht. Das un-
galante Weſen der alten Griechen, den iſolirten von aller feinen Geſellſchaft
und Bildung hartnäckig ausgeſchloſſenen Zuſtand, in welchem die Hellenen
ihre Weiber hielten, die Ignoranz und die Geringſchätzung in welcher ſie leben
mußten, will die Verfaſſerin nicht verſchweigen, und ſie geht in parteiloſer
Schilderung des weiberfeindlichen Alt-Hellas ausnahmsweiſe ſo weit, daß ſie
ſogar die berüchtigten zehn Kategorien mittheilt in welche Simonides von
Amorgos, der ungalanteſte aller helleniſchen Dichter, die Frauencharaktere ein-
theilen zu müſſen glaubt. Dieſe helleniſche Claſſification iſt aber ſo ſkandalös
und den Begriffen die man bei den Germanen vom Weib hat ſo widerſtrebend,
daß man die Uebertragung aus der fremden Sprache kaum wagen darf.
Was ſollte man aber auch von einem Mann erwarten der vom Grundſatz
ausgieng: das größte Uebel das Zeus erſchuf ſey das Weib, und einen
ganzen frohen Tag erlebe derjenige nicht der ein Weib habe! Wundert man
ſich alſo wenn Simonides in der erſten und zahlreichſten Claſſe der Frauen
den Charakter der „truie fangeuse“ erkennt, und andere in die Kategorie der
knurrenden Hündin, des ſtutzköpfigen Eſels, des magern und diebiſchen Mar-
ders, der häßlichen und böſen Aeffin verſetzt, und erſt in der zehnten und am
wenigſten zahlreichen Claſſe die „arbeitſame Biene“ finden kann (Bd. I, S.
345)? Leider muß man geſtehen daß ganz Hellas der Meinung des Simoni-
des huldigte, und ſeinen Frauen-Kanon als Richtſchnur der Conduite gegen
das zarte Geſchlecht anerkannte. Die patriotiſche Verfaſſerin verſäumt nicht
durch glänzende Exempel vom Zeitalter der Sappho und Aſpaſta bis zu der
berühmten von den Alexandriniſchen Chriſten ermordeten Philoſophin Hypa-
tia herab dieſe Geringſchätzung als unberechtigt zu verdammen, da die althelle-
niſchen Weiber ebenſoviel Verſtand, Weisheit und Energie wie die Männer
zeigten. In ihrer wahren Größe zu Tage gekommen ſeyen aber die bisher unge-
kannten Vorzüge des helleniſchen Weibes erſt durch das Chriſtenthum, wel-
ches durch Aufſtellung höherer Sittlichkeitsideen und durch völlige Umgeſtal-
tung der ſccialen Verhältniſſe die Lage des Weibes weſentlich verbeſſert habe.
Als lebendige Beweiſe chriſtlicher Emancipation, würdevollen Wandels und
ſtaatsmänniſcher Befähigung bringt die Verfaſſerin verſchiedene regierende
Frauen des byzantiniſchen Kaiſerhofes: St. Helena, St. Pulcheria, Eudoxia,
St. Irene, Zoë und Theodora mit einer zweiten Eudoxia auf die Bühne, und
bemerkt in einer Note (I, S. 357, Note 1): daß auch Theodora, Gemahlin
Juſtinians I, einen unermeßlichen Einfluß auf die orthodoxe Geſchichte des
Orients übte, und daß während der Minderjährigkeit Michaels III eine dritte
Theodora Regentin war (842 n. Chr.). Nur die Uſurpatorin Martina,
Wittwe Heraclius’ I (642 n. Chr.), dann Theodoſia, Gemahlin Leo’s V (820
n. Chr.), Zoë, Tochter des Porphyrogenitus, und Theophano, Gemahlin Ro-
manus’ II (955 — 963 n. Chr.), hat die edle Gräfin weggelaſſen, und durch



[Spaltenumbruch] dieſe Weglaſſung fünf kaiſerliche Giftmiſcherinnen weniger in ihr Regiſter
tugendhafter und talentvoller Griechinnen eingetragen. Bei dieſen vierzehn
kaiſerlichen Frauen, die man uns als Muſter des weiblichen Genius der Helle-
nen hinſtellt, bleibt St. Helena, die Concubine des Conſtantius Chlorus, aus dem
Spiel, weil Helena erſt im vorgerückten Alter von ihrem Sohn St. Conſtan-
tin I zwar den Titel, aber nicht die Macht und den Einfluß einer Auguſta er-
halten hat, und weil ſie eigentlich noch der Mythenzeit des Chriſtenthums ange-
hört. St. Pulcheria dagegen, die Maria Thereſta von Byzanz, Schweſter und
Schutzgeiſt des an Geiſt und Körper blöden Theodoſius II (408 — 450
n. Chr.), und Eudoxia, die kluge und gelehrte Wittwe-Regentin Conſtantin
Dukas’ (1067), ſind die beiden einzigen achtbaren Autokratinnen von Byzanz
im Laufe von mehr als tauſend Jahren. Von den übrigen haben acht aus
Herrſchwuth ihre Männer und ſelbſt ihre eigenen Söhne umgebracht; zwei
dagegen, Eudoxia, Gemahlin Theodoſtus’ II (421 n. Chr.), und Theodora, die
ehemalige Tänzerin, öffentliche Dirne und Gemahlin Juſtinians I (536
n. Chr.), haben zwar ihre Männer und Söhne nicht ermordet, aber
durch ihre ſkandalöſe Aufführung Schmach auf ihr Haus und Unehre auf ihr
ganzes Geſchlecht gebracht. Die ſchlimmſten von allen dieſen kaiſerlichen
Prinzeſſinnen waren aber St. Irene von Athen und Kaiſerin Theophano von
Byzanz. St. Irene übernahm nach dem Tod ihres Gemahls Leo (780 n.
Chr.) für ihren unmündigen Sohn Kaiſer Conſtantin VI die Regentſchaft,
ließ aber Se. kaiſerliche Majeſtät, ihren Sohn, als er im zwanzigſten Lebens-
jahr ſelbſt regieren wollte, zuerſt auspeitſchen, und ſpäter, weil er auf ſeine
Rechte durchaus nicht verzichten wollte, ſo grauſam blenden, daß er in Folge
der barbariſchen Operation den Geiſt aufgab.

Im orthodoxen Byzanz wurden nicht etwa bloß Feldherren, Staats-
miniſter und Patriarchen*), es wurden auch kaiſerliche Prinzen öffentlich aus-
gepeitſcht, die Autokraten ſelbſt aber, um das Gleichgewicht herzuſtellen, wur-
den vergiftet, verſtümmelt oder mit Aexten todtgeſchlagen.

Kaiſerin Irene ſuchte die Gewiſſensbiſſe über den gräßlichen Sohnes-
mord durch Wiederherſtellung des Bilderdienſtes und durch fromme Gaben
an die Mönche zu ſtillen, wurde aber doch durch eine Palaſtrevolution vom
Thron geſtoßen (802 n. Chr.) und in ein Kloſter nach Mitylene verbannt,
wo ſie, wahnſinnig über die verlorne Herrſchaft, bald verſchied, und von den
dankbaren Mönchen der orthodoxen Kirche heilig geſprochen wurde. Wohl
fühlend daß die Beatification einer Sohnesmörderin bei gewiſſenhaften Leſern
im Abendland Aergerniß geben könnte, beſchwichtigt die edle Gräfin unſere
Bedenken mit der Erinnerung daß es auch die römiſche Kirche mit der Canoni-
ſation ihrer Gläubigen nicht ſo genau nimmt, und neben der rachſüchtigen
Königin Clotilde ſogar den „blutdürſtigen“ Pius V in dem Heiligenkalender
eingeſchrieben hat (I, S. 353). Die Verfaſſerin tadelt zwar die Mordthat
der heiligen Irene, entſchuldigt aber das Verbrechen mit der rohen Sitte deſpo-
tiſcher Staaten des achten Jahrhunderts, und mit dem Umſtand daß ſelbſt im
18. und 19. Jahrhundert noch Peter III und Paul I von den Ruffen erdroſ-
ſelt worden ſeyen (I, S. 354, Note 3).

An geiſtiger Begabung bleibt Theophano, die jugendliche Gemahlin des
im vierundzwanzigſten Lebensjahr verſtorbenen Kaiſers Romanus II, hinter
St. Irene weit zurück, an Liederlichkeit und Unthaten aber geht ſie ihr weit
voran. Als Regentin für ihre beiden unmündigen Söhne Baſilius und Con-
ſtantin ließ Theophano zuerſt ihren Buhlen, den ſiegreichen Oberfeldherrn der
Armee des Orients, Nicephorus Phocas, nach Konſtantinopel kommen, und un-
mittelbar darauf den nach Lesbos verbannten Exkaiſer Stevhanus im heiligen
Abendmahl vergiſten. Nicephorus Phocas hielt aber Theophano im Palaft
eingeſperrt, und gab ihr erſt nachdem ihn das Heer zum Kaiſer ausgerufen hatte,
als ſeiner legitimen Gemahlin, die Freiheit zurück. Nach einigen Jahren
ſchenkte aber Theophano, des Gemahls ſchon wieder überdrüſſig, ihre Neigung
dem ebenfalls berühmten Feldherrn Tzimisces, und ließ den neuen Günſtling
mit ſeiner Mörderbande bei Nacht heimlich in den Palaſt um den Kaiſer im
Schlaf zu ermorden, und den Leichnam über die Schloßmauer in den Schnee
hinauszuwerfen (969 n. Chr.). Statt die Doppelmörderin zu heirathen, wie
ſie hoffte, trieb Tzimisces das kaiſerliche Ungethüm aus dem Palaſt, und ver-
bannte es in ein entlegenes Nonnenkloſter im öſtlichen Kleinaſten.

Nicht viel rühmlicheres iſt von den beiden Schweſtern Zoë und Theodora,
Töchtern Conſtantins VIII, des Sohns der vorgenannten Theophano, zu er-
wähnen. Beide Prinzeſſinnen kamen auf den Thron, und lenkten durch ihre
Intriguen, ihre Liebſchaften und ihre Giftmiſchereien die öffentlichen Angele-
genheiten von Byzanz von 1028 bis 1056 beinahe ausſchließlich. Zoë, ſelbſt
ſchon 51 Jahre alt, ließ ihren ältlichen Gemahl Romanus III zuerſt langſam
vergiften, und nachher im Bad erſticken, um den ſchönen Geldwechsler Michael
den Paphlagonier zu heirathen (1034 — 1041), deſſen Neſſe und Nachfolger,
der von Zoë adoptirte Calaphates, ſeine Adoptivmutter wie eine Sklavin be-
handelte, und auf die Prinzeninſeln exilirte. Ein Volksaufſtand nöthigte ihn
aber die verbannte Gattenmörderin wieder aufzunehmen, ſie mit ihrer Schwe-

*) Man findet auch die Lesart „Meſolongi.“
*) Sr. Heiligkeit Kyr Johannes, dem Patriarchen des Erdkreiſes, wurden auf Befehl
der Kaiſerin Theodora zweihundert Hiebe aufgemeſſen (842 n. Chr.).
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[2790/0010] daß ſie vom Standpunkt parteiloſer Wahrheit und durchſichtiger Schärfe zum Rang einer factioſen und — wir wagen es kaum auszuſprechen — einer oberflächlichen Vertheidigerin zweifelhafter und, wie wir beſorgen, gar nicht zu rechtfertigender Theſen herabgeſtiegen iſt, ſo klagen wir nicht das Ingenium der hochgebornen Gräfin und ihren Tact für das Wahre, wir klagen den bö ſen Zauber an mit welchem ſie das Studium des griechkſchen Alterthums und die Conſpiration der helleniſchen Trümmer von Byzanz neben der Manie des Jahrhunderts gleichſam behext, und wie ein trügeriſcher Irrwiſch vom rechten Pfad abgelenkt und in der richtigen Erkenntniß der Dinge verhin- dert hat. Der erſte Brief über das ſchwärmeriſch geliebte Hellas iſt aus Miſſo- longi datirt, wo die edle Gräfin nach einer traurigen Tour durch ihr albaneſi- ſches Heimathland zuerſt den griechiſchen Boden betrat. Aber gleich in der vierten Zeile (I, S. 342) des Briefs entdecken wir ſchon einen bedeutenden Irr- thum in der Angabe daß Miſſolongi *) ſeinen Urſprung und folglich auch ſei- nen Namen einer Colonie ihrer Landsleute aus dem albaneſiſchen Parga zu verdanken habe. Miſſolongi iſt kein albaniſches, es iſt auch kein griechiſches, es iſt ein rein ſlaviſches Wort, und heißt auf deutſch „Mittenwalde,“ von den beiden ſlaviſchen Urwörtern medo, mesdju, mesdisch, milten, zwiſchen, und lug, griechiſch #, der Wald. Der Parganiote Pezzalas hat in verhält- nißmäßig neuer Zeit nur einen Haufen Albaneſen in das halb menſchenleere Miſſolongi geführt, und dem Ort den albaneſiſchen Charakter aufgedrückt, der beim großen Aufſtand zum Vorſchein kam. Das ſind zwar Kleinigkeiten, in der griechiſchen Sprache iſt aber auch das Unbedeutende wichtig, wenn es das Gewebe von Täuſchungen zerreißen hilft mit dem man uns Abendländer um- ſtricken will. 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Wundert man ſich alſo wenn Simonides in der erſten und zahlreichſten Claſſe der Frauen den Charakter der „truie fangeuse“ erkennt, und andere in die Kategorie der knurrenden Hündin, des ſtutzköpfigen Eſels, des magern und diebiſchen Mar- ders, der häßlichen und böſen Aeffin verſetzt, und erſt in der zehnten und am wenigſten zahlreichen Claſſe die „arbeitſame Biene“ finden kann (Bd. I, S. 345)? Leider muß man geſtehen daß ganz Hellas der Meinung des Simoni- des huldigte, und ſeinen Frauen-Kanon als Richtſchnur der Conduite gegen das zarte Geſchlecht anerkannte. Die patriotiſche Verfaſſerin verſäumt nicht durch glänzende Exempel vom Zeitalter der Sappho und Aſpaſta bis zu der berühmten von den Alexandriniſchen Chriſten ermordeten Philoſophin Hypa- tia herab dieſe Geringſchätzung als unberechtigt zu verdammen, da die althelle- niſchen Weiber ebenſoviel Verſtand, Weisheit und Energie wie die Männer zeigten. In ihrer wahren Größe zu Tage gekommen ſeyen aber die bisher unge- kannten Vorzüge des helleniſchen Weibes erſt durch das Chriſtenthum, wel- ches durch Aufſtellung höherer Sittlichkeitsideen und durch völlige Umgeſtal- tung der ſccialen Verhältniſſe die Lage des Weibes weſentlich verbeſſert habe. Als lebendige Beweiſe chriſtlicher Emancipation, würdevollen Wandels und ſtaatsmänniſcher Befähigung bringt die Verfaſſerin verſchiedene regierende Frauen des byzantiniſchen Kaiſerhofes: St. Helena, St. Pulcheria, Eudoxia, St. Irene, Zoë und Theodora mit einer zweiten Eudoxia auf die Bühne, und bemerkt in einer Note (I, S. 357, Note 1): daß auch Theodora, Gemahlin Juſtinians I, einen unermeßlichen Einfluß auf die orthodoxe Geſchichte des Orients übte, und daß während der Minderjährigkeit Michaels III eine dritte Theodora Regentin war (842 n. Chr.). Nur die Uſurpatorin Martina, Wittwe Heraclius’ I (642 n. Chr.), dann Theodoſia, Gemahlin Leo’s V (820 n. 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Chr.) für ihren unmündigen Sohn Kaiſer Conſtantin VI die Regentſchaft, ließ aber Se. kaiſerliche Majeſtät, ihren Sohn, als er im zwanzigſten Lebens- jahr ſelbſt regieren wollte, zuerſt auspeitſchen, und ſpäter, weil er auf ſeine Rechte durchaus nicht verzichten wollte, ſo grauſam blenden, daß er in Folge der barbariſchen Operation den Geiſt aufgab. Im orthodoxen Byzanz wurden nicht etwa bloß Feldherren, Staats- miniſter und Patriarchen *), es wurden auch kaiſerliche Prinzen öffentlich aus- gepeitſcht, die Autokraten ſelbſt aber, um das Gleichgewicht herzuſtellen, wur- den vergiftet, verſtümmelt oder mit Aexten todtgeſchlagen. Kaiſerin Irene ſuchte die Gewiſſensbiſſe über den gräßlichen Sohnes- mord durch Wiederherſtellung des Bilderdienſtes und durch fromme Gaben an die Mönche zu ſtillen, wurde aber doch durch eine Palaſtrevolution vom Thron geſtoßen (802 n. 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An geiſtiger Begabung bleibt Theophano, die jugendliche Gemahlin des im vierundzwanzigſten Lebensjahr verſtorbenen Kaiſers Romanus II, hinter St. Irene weit zurück, an Liederlichkeit und Unthaten aber geht ſie ihr weit voran. Als Regentin für ihre beiden unmündigen Söhne Baſilius und Con- ſtantin ließ Theophano zuerſt ihren Buhlen, den ſiegreichen Oberfeldherrn der Armee des Orients, Nicephorus Phocas, nach Konſtantinopel kommen, und un- mittelbar darauf den nach Lesbos verbannten Exkaiſer Stevhanus im heiligen Abendmahl vergiſten. Nicephorus Phocas hielt aber Theophano im Palaft eingeſperrt, und gab ihr erſt nachdem ihn das Heer zum Kaiſer ausgerufen hatte, als ſeiner legitimen Gemahlin, die Freiheit zurück. 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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 167, 15. Juni 1860, S. 2790. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine167_1860/10>, abgerufen am 21.11.2024.