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Allgemeine Zeitung, Nr. 163, 11. Juni 1860.

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Montag
Beilage zu Nr. 163 der Allg. Zeitung.
11 Junius 1860.


[Spaltenumbruch]
Uebersicht.

Eduard Platner. (Nekrolog.) -- Spohrs Selbsibiographie. (II.) --
Franz von Sickingen, ein erzählendes Gedicht aus dem Reformationszeitalter,
von Paul Pressel. -- Katholische und protestantische Stimmen aus Baden.
Neueste Posten. Darmstadt. (Abreise Sr. Maj. des Königs
Max und seiner Gemahlin. Besuch Sr. Maj. des Königs Ludwig.) --
Kassel. (Verössentlichung des Gesetzes betreffend die Wahl der Landstände.)
-- Rudolstadt. (Die regierende Fürstin +.) -- Dresden. (Herzog Karl
Theodor in Bayern auf der Durchreise nach Wien.) -- Berlin. (Tages-
bericht.) -- Wien. (Verordnung über die Organisation Ungarns. Tages-
bericht.) -- Triest. (Neueste Levantepost.) -- Madrid. (Ernennungen.
Aus den Cortes.) -- London. (Reformen in Venedig. Aus Neapel. Ober-
hausdebatten über Italien.) -- Paris. (Inhalt der Tagesblätter.) --
Neapel. (Tagesbericht.) -- St. Petersburg. (Circular des Fürsten
Gortschakoff.)



Telegraphische Berichte.

*) Eine Depesche der Times bestätigt die
Capitulation und die Räumung Palermo's. Die königl. Truppen
campiren inzwischen am Monte Pellegrino.

Man versichert: eine zweite Flotten-
division sey von Toulon nach Sicilien abgegangen. Patrie: Der
englische Admiral oceupirt Castellamare, die Räumung von Palermo
beginnt am 7 Jun.



Eduard Platuer.

Gestorben am 5 Juni.

"Wenn ein Mann aus der Welt geht der
durch eine überwiegende Kraft des Geistes sich Ruhm und Ansehen unter den
Menschen erworben hat, so ist ein jeder eifrig bemüht alles was sich von sei-
nem geistigen Nachlaß auffinden läßt zusammenzutragen und es der Ber-
gessenheit zu entreißen." Diese Worte mit welchen Platner vor 48 Jahren
seine Schrift "Ueber die wissenschaftliche Behandlung der römischen Antiqui-
täten" (Marburg 1812) ansieng, erinnern die Universität, deren Stolz er
eben so lange war, an die Pflicht welche sie gegen ihn hat, es an einer umfassen-
den Darstellung seines Lebens und seiner Verdienste nicht sehlen zu lassen;
mögen jetzt, wo der Verlust noch neu ist, nur einige flüchtige Andeutungen ge-
stattet seyn, so viel als möglich aus seinen eigenen Worten geschöpft.

Eduard Platner war am 30 Aug. 1786 zu Leipzig geboren als das
jüngste von sechs Kindern seines Vaters, des als philosophischer und anthro-
pologischer Schriststeller zu seiner Zeit hochgeschätzten Professors der Medicin
und Philosophie Ernst Platner, geb. 1744, gest. 1818. "In der Erziehung
seiner Kinder," so äußert sich der Sohn über seinen Vater, "beobachtete die-
ser durchaus liberale Grundsätze, indem er der Individualität eines jeden
Charakters eine freie selbständige Entwicklung gestattete; auf diese Weise bil-
deten sich in jedem seiner Kinder eigenthümliche Ansichten, welche oft den seini-
gen entgegengesetzt waren." Die Freiheit, welcher dabei auch der jüngste
Sohn von früh an überlassen wurde, war an diesem nicht verschwendet; zu-
erst ließ man ihn, sagt er selbst, "als ungebärdigen wilden Jungen ohne alle
Zucht und Politur aufwachsen, der bis in sein neuntes Jahr nichts gelernt
hatte als lesen und schreiben;" dann erhielt er fähige Hauslehrer, aber der
Unterricht derselben "hatte einzig und allein die griechische und lateinische
Sprache zum Gegenstand," hatte aber auch einen Erfolg daß er im vierzehn-
ten Jahr Student wurde, und auch dann nichts weiter als die Alten und im-
iner nur die Alten lesen und treiben mochte, und daß ihm lebenslang von dort-
her nicht nur die höchste Solidität seiner Ausbildung in beiden alten Spra-
chen, die elegante Leichtigkeit lateinisch ebenso durchsichtig und gedankenreich
wie deutsch zu schreiben und zu reden, eigen wurde, sondern auch der männ-
liche und große Sinn des Alterthums, die Erhebung "über das Kleinliche,
Gemeine, Selbsüchtige, über die Engherzigkeit des alltäglichen Lebens," die
Erfüllung der "Phantasie mit edlen Formen," das Bedürfniß der "Anmuth
und Würde der Darstellung;" so preist er selbst dieses "beste Erziehungsmit-
tel für den Geist, um ihn vor dem Geschmacklosen, Nichtigen, Leeren, Fla-
[Spaltenumbruch] chen zu bewahren." Gottfried Hermann wurde ihm dabei sein theuerster
Lehrer, und bald sein innig geistesverwandter Freund; er schreibt ihm und Clo-
dius "den entschiedensten Einfluß auf seine intellectuelle und sittliche Entwick-
lung" zu, "beide durch ihren lebendigen Sinn für das Wahre und Edle,"
und Hermann "insbesondere durch die Energie, Klarheit und Bestimmtheit
seines Wesens, durch seine wissenschaftliche Schärfe und Präcision, welche sei-
ner unstäten Natur Haltung gegeben, und in sein Denken Regel und Ord-
nung gebracht habe." Neben seiner enthusiastischen Bertiefung in die Dichter
der Griechen und Römer giengen damals eigene poetische Versuche her, von
welchen auch einiges, z. B. ein Lustspiel das Geburtstagsgedicht, in der Mi-
nerva von 1810 gedruckt ist; für die dramatische Kunst schwärmte er beson-
ders nach Ifflands Auftreten in Leipzig so sehr, daß er noch als Dr. juris
einmal entschlossen war Schauspieler zu werden. Sechzehn Jahre alt im
Jahr 1803 hatte er schon bei Hermanns Eintritt in die philosophische Facul-
tät als dessen Socius öffentlich mitdisputirt, und 1805 wurde er Baccalau-
reus und 1809 Magister; aber daneben nahm er nun doch zu den bisher allein
betriebenen humanistischen Studien, anfangs mit wenig Neigung, das Stu-
dium der Rechte hinzu, hörte Haubold und Biener, und dann in Göttingen
Hugo und Heeren, und fand erst so seinen eigenthümlichen Lebensberuf in der
Verbindung einer so eminenten philologischen Bildung, wie die seinige war,
mit der Rechtswissenschaft. "Der historische, auf das Staatsleben und dessen
Entwicklung gerichtete Sinn," sagt er von sich, "welcher besonders durch Hee-
rens Vorträge in mir erweckt wurden, stellte auch das Recht in einen andern
Gesichtspunkt, und da ich aus eigener Neigung und durch Hermanns Unter-
richt mich besonders mit den Griechen befreundet hatte, so erklärt es sich von
selbst wie ich späterhin der Bearbeitung des attischen Rechts mich zugewendet
habe." Im Jahr 1809 wurde er auch noch Doctor der Rechte, und 1811
ward er bereits als Professor der Rechte nach Marburg berufen, welches er
seitdem nicht wieder verlassen hat.

Fast ein halbes Jahrhundert also hat die kleine Universttät an ihm einen
Mann besessen welcher seiner ganzen Natur und Bildung nach geeignet gewe-
sen wäre in weitern Umgebungen sich noch reicher und heiterer zu entfalten,
welcher aber stark genug war auch in engern Gränzen sich selbst nicht unähn-
lich, nicht gedrückt und zerdrückt, nicht welk und geistlos zu werden. Wohl
mußte ihn, wie er selbst sagt, "manches besonders in Betreff des Geschäfts-
lebens als fremd und widerwärtig abstoßen was als nothwendiges Zubehör
einer jeden bürgerlichen und amtlichen Stellung allerdings eine besondere Be-
achtung verdient, und worauf als eine müßige Form oft mehr mehr Werth
gelegt wird als auf das Wesen selbst." Aber je öfter das letztere vorkommt,
desto mehr Gewinn war es für die Universität welcher er angehörte, daß es
bei ihm nicht eintrat, daß sie in ihm einen Lehrer und Gelehrten behielt mit
der unzerknickten Frische einer genialen Eigenthümlichkeit, einen freigebornen
Mann in großem Styl mit dem Heißhunger nur nach Wissen und Lieben
alles Großen und Schönen, und mit der sichern Erhebung über alle Kleinig-
keiten, über alles Großthun und Wichtigthun als unergiebig für jenes geistige
Bedürfniß, mit dem harmonischen Gleichgewicht von Ernst und Scherz in sei-
nem Innern, Ernst für die Wahrheit und die Ehre und das Recht unerschüt-
terlich, und Spiel für alle nur auf diese Weise wahr und richtig zu behandeln-
den, nur so von Leerheit und Druck zu befreienden Alltäglichkeiten des Lebens.
Wie der Philolog in ihm den Rechtsgelehrten ergänzte und dieser jenen, wie
die gründlichste Kenntniß des Alterthums ihn zum eleganten Juristen machte,
und die Rechtswissenschaft ihn mitten in das Leben verwies und von Mikrole-
gie fern hielt, so hielt überhaupt der Gelehrte in ihm den Poeten in Schran-
ken; sein ästhetisches und speculatives Bedürfniß ließ seine Gelehrsamkeit nicht
geistlos und unlebendig, und dieß ließ seinen poetischen Zug nicht zur Schön-
geisterei werden, sondern eins nährte und reinigte das andere, und erhielt sei-
ner Natur auch hier das schöne Gleichgewicht, welches ihr auch schon jenes
nicht zu blendende Wissen um den Unterschied wahrhaft wichtiger Dinge von
gehaltlosen sicherte. So "zahlte er schon mit dem was er war" als eine edle
Natur so reich und geisterfüllt, so wenig durch Misere des Lebens gelähmt
und herabgestimmt, so männlich und so muthig und so berechtigt zum Stolz,
und doch so einfach und so anspruchlos; aber nicht minder "mit dem was er
that" durch sein Wohlwollen und seine Gutmüthigkeit, seine Empfänglichkeit
für Liebe und Freundschaft und seine Treue darin, sein Bemühen allen welche
ihm nahe kamen, Verwandten, Frennden, Schülern, Kindern, das Leben so
leicht und so heiter als möglich zu machen.

Den Werth seiner vornehmsten Schristen, seiner "Beiträge zur Kenntniß
des attischen Rechts" (1820), seines Processes und Klagen bei den Attikern"
(2 Bde. 1824) seiner "Quaestionesde jure criminum Romano" (1842) u. a.
mögen Kundigere beurtheilen; zu den strenger juristischen kommen noch ge-
mischte, wie noch vor wenig Jahren die Schrift "über die Idee der Gerech-

*) Diese und die folgende Depesche aus dem gestrigen Hauptblatt hier wiederholt.
Montag
Beilage zu Nr. 163 der Allg. Zeitung.
11 Junius 1860.


[Spaltenumbruch]
Ueberſicht.

Eduard Platner. (Nekrolog.) — Spohrs Selbſibiographie. (II.) —
Franz von Sickingen, ein erzählendes Gedicht aus dem Reformationszeitalter,
von Paul Preſſel. — Katholiſche und proteſtantiſche Stimmen aus Baden.
Neueſte Poſten. Darmſtadt. (Abreiſe Sr. Maj. des Königs
Max und ſeiner Gemahlin. Beſuch Sr. Maj. des Königs Ludwig.) —
Kaſſel. (Veröſſentlichung des Geſetzes betreffend die Wahl der Landſtände.)
Rudolſtadt. (Die regierende Fürſtin †.) — Dresden. (Herzog Karl
Theodor in Bayern auf der Durchreiſe nach Wien.) — Berlin. (Tages-
bericht.) — Wien. (Verordnung über die Organiſation Ungarns. Tages-
bericht.) — Trieſt. (Neueſte Levantepoſt.) — Madrid. (Ernennungen.
Aus den Cortes.) — London. (Reformen in Venedig. Aus Neapel. Ober-
hausdebatten über Italien.) — Paris. (Inhalt der Tagesblätter.) —
Neapel. (Tagesbericht.) — St. Petersburg. (Circular des Fürſten
Gortſchakoff.)



Telegraphiſche Berichte.

*) Eine Depeſche der Times beſtätigt die
Capitulation und die Räumung Palermo’s. Die königl. Truppen
campiren inzwiſchen am Monte Pellegrino.

Man verſichert: eine zweite Flotten-
diviſion ſey von Toulon nach Sicilien abgegangen. Patrie: Der
engliſche Admiral oceupirt Caſtellamare, die Räumung von Palermo
beginnt am 7 Jun.



Eduard Platuer.

Geſtorben am 5 Juni.

„Wenn ein Mann aus der Welt geht der
durch eine überwiegende Kraft des Geiſtes ſich Ruhm und Anſehen unter den
Menſchen erworben hat, ſo iſt ein jeder eifrig bemüht alles was ſich von ſei-
nem geiſtigen Nachlaß auffinden läßt zuſammenzutragen und es der Ber-
geſſenheit zu entreißen.“ Dieſe Worte mit welchen Platner vor 48 Jahren
ſeine Schrift „Ueber die wiſſenſchaftliche Behandlung der römiſchen Antiqui-
täten“ (Marburg 1812) anſieng, erinnern die Univerſität, deren Stolz er
eben ſo lange war, an die Pflicht welche ſie gegen ihn hat, es an einer umfaſſen-
den Darſtellung ſeines Lebens und ſeiner Verdienſte nicht ſehlen zu laſſen;
mögen jetzt, wo der Verluſt noch neu iſt, nur einige flüchtige Andeutungen ge-
ſtattet ſeyn, ſo viel als möglich aus ſeinen eigenen Worten geſchöpft.

Eduard Platner war am 30 Aug. 1786 zu Leipzig geboren als das
jüngſte von ſechs Kindern ſeines Vaters, des als philoſophiſcher und anthro-
pologiſcher Schriſtſteller zu ſeiner Zeit hochgeſchätzten Profeſſors der Medicin
und Philoſophie Ernſt Platner, geb. 1744, geſt. 1818. „In der Erziehung
ſeiner Kinder,“ ſo äußert ſich der Sohn über ſeinen Vater, „beobachtete die-
ſer durchaus liberale Grundſätze, indem er der Individualität eines jeden
Charakters eine freie ſelbſtändige Entwicklung geſtattete; auf dieſe Weiſe bil-
deten ſich in jedem ſeiner Kinder eigenthümliche Anſichten, welche oft den ſeini-
gen entgegengeſetzt waren.“ Die Freiheit, welcher dabei auch der jüngſte
Sohn von früh an überlaſſen wurde, war an dieſem nicht verſchwendet; zu-
erſt ließ man ihn, ſagt er ſelbſt, „als ungebärdigen wilden Jungen ohne alle
Zucht und Politur aufwachſen, der bis in ſein neuntes Jahr nichts gelernt
hatte als leſen und ſchreiben;“ dann erhielt er fähige Hauslehrer, aber der
Unterricht derſelben „hatte einzig und allein die griechiſche und lateiniſche
Sprache zum Gegenſtand,“ hatte aber auch einen Erfolg daß er im vierzehn-
ten Jahr Student wurde, und auch dann nichts weiter als die Alten und im-
iner nur die Alten leſen und treiben mochte, und daß ihm lebenslang von dort-
her nicht nur die höchſte Solidität ſeiner Ausbildung in beiden alten Spra-
chen, die elegante Leichtigkeit lateiniſch ebenſo durchſichtig und gedankenreich
wie deutſch zu ſchreiben und zu reden, eigen wurde, ſondern auch der männ-
liche und große Sinn des Alterthums, die Erhebung „über das Kleinliche,
Gemeine, Selbſüchtige, über die Engherzigkeit des alltäglichen Lebens,“ die
Erfüllung der „Phantaſie mit edlen Formen,“ das Bedürfniß der „Anmuth
und Würde der Darſtellung;“ ſo preist er ſelbſt dieſes „beſte Erziehungsmit-
tel für den Geiſt, um ihn vor dem Geſchmackloſen, Nichtigen, Leeren, Fla-
[Spaltenumbruch] chen zu bewahren.“ Gottfried Hermann wurde ihm dabei ſein theuerſter
Lehrer, und bald ſein innig geiſtesverwandter Freund; er ſchreibt ihm und Clo-
dius „den entſchiedenſten Einfluß auf ſeine intellectuelle und ſittliche Entwick-
lung“ zu, „beide durch ihren lebendigen Sinn für das Wahre und Edle,“
und Hermann „insbeſondere durch die Energie, Klarheit und Beſtimmtheit
ſeines Weſens, durch ſeine wiſſenſchaftliche Schärfe und Präciſion, welche ſei-
ner unſtäten Natur Haltung gegeben, und in ſein Denken Regel und Ord-
nung gebracht habe.“ Neben ſeiner enthuſiaſtiſchen Bertiefung in die Dichter
der Griechen und Römer giengen damals eigene poetiſche Verſuche her, von
welchen auch einiges, z. B. ein Luſtſpiel das Geburtstagsgedicht, in der Mi-
nerva von 1810 gedruckt iſt; für die dramatiſche Kunſt ſchwärmte er beſon-
ders nach Ifflands Auftreten in Leipzig ſo ſehr, daß er noch als Dr. juris
einmal entſchloſſen war Schauſpieler zu werden. Sechzehn Jahre alt im
Jahr 1803 hatte er ſchon bei Hermanns Eintritt in die philoſophiſche Facul-
tät als deſſen Socius öffentlich mitdisputirt, und 1805 wurde er Baccalau-
reus und 1809 Magiſter; aber daneben nahm er nun doch zu den bisher allein
betriebenen humaniſtiſchen Studien, anfangs mit wenig Neigung, das Stu-
dium der Rechte hinzu, hörte Haubold und Biener, und dann in Göttingen
Hugo und Heeren, und fand erſt ſo ſeinen eigenthümlichen Lebensberuf in der
Verbindung einer ſo eminenten philologiſchen Bildung, wie die ſeinige war,
mit der Rechtswiſſenſchaft. „Der hiſtoriſche, auf das Staatsleben und deſſen
Entwicklung gerichtete Sinn,“ ſagt er von ſich, „welcher beſonders durch Hee-
rens Vorträge in mir erweckt wurden, ſtellte auch das Recht in einen andern
Geſichtspunkt, und da ich aus eigener Neigung und durch Hermanns Unter-
richt mich beſonders mit den Griechen befreundet hatte, ſo erklärt es ſich von
ſelbſt wie ich ſpäterhin der Bearbeitung des attiſchen Rechts mich zugewendet
habe.“ Im Jahr 1809 wurde er auch noch Doctor der Rechte, und 1811
ward er bereits als Profeſſor der Rechte nach Marburg berufen, welches er
ſeitdem nicht wieder verlaſſen hat.

Faſt ein halbes Jahrhundert alſo hat die kleine Univerſttät an ihm einen
Mann beſeſſen welcher ſeiner ganzen Natur und Bildung nach geeignet gewe-
ſen wäre in weitern Umgebungen ſich noch reicher und heiterer zu entfalten,
welcher aber ſtark genug war auch in engern Gränzen ſich ſelbſt nicht unähn-
lich, nicht gedrückt und zerdrückt, nicht welk und geiſtlos zu werden. Wohl
mußte ihn, wie er ſelbſt ſagt, „manches beſonders in Betreff des Geſchäfts-
lebens als fremd und widerwärtig abſtoßen was als nothwendiges Zubehör
einer jeden bürgerlichen und amtlichen Stellung allerdings eine beſondere Be-
achtung verdient, und worauf als eine müßige Form oft mehr mehr Werth
gelegt wird als auf das Weſen ſelbſt.“ Aber je öfter das letztere vorkommt,
deſto mehr Gewinn war es für die Univerſität welcher er angehörte, daß es
bei ihm nicht eintrat, daß ſie in ihm einen Lehrer und Gelehrten behielt mit
der unzerknickten Friſche einer genialen Eigenthümlichkeit, einen freigebornen
Mann in großem Styl mit dem Heißhunger nur nach Wiſſen und Lieben
alles Großen und Schönen, und mit der ſichern Erhebung über alle Kleinig-
keiten, über alles Großthun und Wichtigthun als unergiebig für jenes geiſtige
Bedürfniß, mit dem harmoniſchen Gleichgewicht von Ernſt und Scherz in ſei-
nem Innern, Ernſt für die Wahrheit und die Ehre und das Recht unerſchüt-
terlich, und Spiel für alle nur auf dieſe Weiſe wahr und richtig zu behandeln-
den, nur ſo von Leerheit und Druck zu befreienden Alltäglichkeiten des Lebens.
Wie der Philolog in ihm den Rechtsgelehrten ergänzte und dieſer jenen, wie
die gründlichſte Kenntniß des Alterthums ihn zum eleganten Juriſten machte,
und die Rechtswiſſenſchaft ihn mitten in das Leben verwies und von Mikrole-
gie fern hielt, ſo hielt überhaupt der Gelehrte in ihm den Poeten in Schran-
ken; ſein äſthetiſches und ſpeculatives Bedürfniß ließ ſeine Gelehrſamkeit nicht
geiſtlos und unlebendig, und dieß ließ ſeinen poetiſchen Zug nicht zur Schön-
geiſterei werden, ſondern eins nährte und reinigte das andere, und erhielt ſei-
ner Natur auch hier das ſchöne Gleichgewicht, welches ihr auch ſchon jenes
nicht zu blendende Wiſſen um den Unterſchied wahrhaft wichtiger Dinge von
gehaltloſen ſicherte. So „zahlte er ſchon mit dem was er war“ als eine edle
Natur ſo reich und geiſterfüllt, ſo wenig durch Miſere des Lebens gelähmt
und herabgeſtimmt, ſo männlich und ſo muthig und ſo berechtigt zum Stolz,
und doch ſo einfach und ſo anſpruchlos; aber nicht minder „mit dem was er
that“ durch ſein Wohlwollen und ſeine Gutmüthigkeit, ſeine Empfänglichkeit
für Liebe und Freundſchaft und ſeine Treue darin, ſein Bemühen allen welche
ihm nahe kamen, Verwandten, Frennden, Schülern, Kindern, das Leben ſo
leicht und ſo heiter als möglich zu machen.

Den Werth ſeiner vornehmſten Schriſten, ſeiner „Beiträge zur Kenntniß
des attiſchen Rechts“ (1820), ſeines Proceſſes und Klagen bei den Attikern“
(2 Bde. 1824) ſeiner „Quaestionesde jure criminum Romano“ (1842) u. a.
mögen Kundigere beurtheilen; zu den ſtrenger juriſtiſchen kommen noch ge-
miſchte, wie noch vor wenig Jahren die Schrift „über die Idee der Gerech-

*) Dieſe und die folgende Depeſche aus dem geſtrigen Hauptblatt hier wiederholt.
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[0009] Montag Beilage zu Nr. 163 der Allg. Zeitung. 11 Junius 1860. Ueberſicht. Eduard Platner. (Nekrolog.) — Spohrs Selbſibiographie. (II.) — Franz von Sickingen, ein erzählendes Gedicht aus dem Reformationszeitalter, von Paul Preſſel. — Katholiſche und proteſtantiſche Stimmen aus Baden. Neueſte Poſten. Darmſtadt. (Abreiſe Sr. Maj. des Königs Max und ſeiner Gemahlin. Beſuch Sr. Maj. des Königs Ludwig.) — Kaſſel. (Veröſſentlichung des Geſetzes betreffend die Wahl der Landſtände.) — Rudolſtadt. (Die regierende Fürſtin †.) — Dresden. (Herzog Karl Theodor in Bayern auf der Durchreiſe nach Wien.) — Berlin. (Tages- bericht.) — Wien. (Verordnung über die Organiſation Ungarns. Tages- bericht.) — Trieſt. (Neueſte Levantepoſt.) — Madrid. (Ernennungen. Aus den Cortes.) — London. (Reformen in Venedig. Aus Neapel. Ober- hausdebatten über Italien.) — Paris. (Inhalt der Tagesblätter.) — Neapel. (Tagesbericht.) — St. Petersburg. (Circular des Fürſten Gortſchakoff.) Telegraphiſche Berichte. ⸫ London, 10 Jun. *) Eine Depeſche der Times beſtätigt die Capitulation und die Räumung Palermo’s. Die königl. Truppen campiren inzwiſchen am Monte Pellegrino. ⸫ Paris, 10 Jun. Man verſichert: eine zweite Flotten- diviſion ſey von Toulon nach Sicilien abgegangen. Patrie: Der engliſche Admiral oceupirt Caſtellamare, die Räumung von Palermo beginnt am 7 Jun. Eduard Platuer. Geſtorben am 5 Juni. * Marburg, 6 Jun. „Wenn ein Mann aus der Welt geht der durch eine überwiegende Kraft des Geiſtes ſich Ruhm und Anſehen unter den Menſchen erworben hat, ſo iſt ein jeder eifrig bemüht alles was ſich von ſei- nem geiſtigen Nachlaß auffinden läßt zuſammenzutragen und es der Ber- geſſenheit zu entreißen.“ Dieſe Worte mit welchen Platner vor 48 Jahren ſeine Schrift „Ueber die wiſſenſchaftliche Behandlung der römiſchen Antiqui- täten“ (Marburg 1812) anſieng, erinnern die Univerſität, deren Stolz er eben ſo lange war, an die Pflicht welche ſie gegen ihn hat, es an einer umfaſſen- den Darſtellung ſeines Lebens und ſeiner Verdienſte nicht ſehlen zu laſſen; mögen jetzt, wo der Verluſt noch neu iſt, nur einige flüchtige Andeutungen ge- ſtattet ſeyn, ſo viel als möglich aus ſeinen eigenen Worten geſchöpft. Eduard Platner war am 30 Aug. 1786 zu Leipzig geboren als das jüngſte von ſechs Kindern ſeines Vaters, des als philoſophiſcher und anthro- pologiſcher Schriſtſteller zu ſeiner Zeit hochgeſchätzten Profeſſors der Medicin und Philoſophie Ernſt Platner, geb. 1744, geſt. 1818. „In der Erziehung ſeiner Kinder,“ ſo äußert ſich der Sohn über ſeinen Vater, „beobachtete die- ſer durchaus liberale Grundſätze, indem er der Individualität eines jeden Charakters eine freie ſelbſtändige Entwicklung geſtattete; auf dieſe Weiſe bil- deten ſich in jedem ſeiner Kinder eigenthümliche Anſichten, welche oft den ſeini- gen entgegengeſetzt waren.“ Die Freiheit, welcher dabei auch der jüngſte Sohn von früh an überlaſſen wurde, war an dieſem nicht verſchwendet; zu- erſt ließ man ihn, ſagt er ſelbſt, „als ungebärdigen wilden Jungen ohne alle Zucht und Politur aufwachſen, der bis in ſein neuntes Jahr nichts gelernt hatte als leſen und ſchreiben;“ dann erhielt er fähige Hauslehrer, aber der Unterricht derſelben „hatte einzig und allein die griechiſche und lateiniſche Sprache zum Gegenſtand,“ hatte aber auch einen Erfolg daß er im vierzehn- ten Jahr Student wurde, und auch dann nichts weiter als die Alten und im- iner nur die Alten leſen und treiben mochte, und daß ihm lebenslang von dort- her nicht nur die höchſte Solidität ſeiner Ausbildung in beiden alten Spra- chen, die elegante Leichtigkeit lateiniſch ebenſo durchſichtig und gedankenreich wie deutſch zu ſchreiben und zu reden, eigen wurde, ſondern auch der männ- liche und große Sinn des Alterthums, die Erhebung „über das Kleinliche, Gemeine, Selbſüchtige, über die Engherzigkeit des alltäglichen Lebens,“ die Erfüllung der „Phantaſie mit edlen Formen,“ das Bedürfniß der „Anmuth und Würde der Darſtellung;“ ſo preist er ſelbſt dieſes „beſte Erziehungsmit- tel für den Geiſt, um ihn vor dem Geſchmackloſen, Nichtigen, Leeren, Fla- chen zu bewahren.“ Gottfried Hermann wurde ihm dabei ſein theuerſter Lehrer, und bald ſein innig geiſtesverwandter Freund; er ſchreibt ihm und Clo- dius „den entſchiedenſten Einfluß auf ſeine intellectuelle und ſittliche Entwick- lung“ zu, „beide durch ihren lebendigen Sinn für das Wahre und Edle,“ und Hermann „insbeſondere durch die Energie, Klarheit und Beſtimmtheit ſeines Weſens, durch ſeine wiſſenſchaftliche Schärfe und Präciſion, welche ſei- ner unſtäten Natur Haltung gegeben, und in ſein Denken Regel und Ord- nung gebracht habe.“ Neben ſeiner enthuſiaſtiſchen Bertiefung in die Dichter der Griechen und Römer giengen damals eigene poetiſche Verſuche her, von welchen auch einiges, z. B. ein Luſtſpiel das Geburtstagsgedicht, in der Mi- nerva von 1810 gedruckt iſt; für die dramatiſche Kunſt ſchwärmte er beſon- ders nach Ifflands Auftreten in Leipzig ſo ſehr, daß er noch als Dr. juris einmal entſchloſſen war Schauſpieler zu werden. Sechzehn Jahre alt im Jahr 1803 hatte er ſchon bei Hermanns Eintritt in die philoſophiſche Facul- tät als deſſen Socius öffentlich mitdisputirt, und 1805 wurde er Baccalau- reus und 1809 Magiſter; aber daneben nahm er nun doch zu den bisher allein betriebenen humaniſtiſchen Studien, anfangs mit wenig Neigung, das Stu- dium der Rechte hinzu, hörte Haubold und Biener, und dann in Göttingen Hugo und Heeren, und fand erſt ſo ſeinen eigenthümlichen Lebensberuf in der Verbindung einer ſo eminenten philologiſchen Bildung, wie die ſeinige war, mit der Rechtswiſſenſchaft. „Der hiſtoriſche, auf das Staatsleben und deſſen Entwicklung gerichtete Sinn,“ ſagt er von ſich, „welcher beſonders durch Hee- rens Vorträge in mir erweckt wurden, ſtellte auch das Recht in einen andern Geſichtspunkt, und da ich aus eigener Neigung und durch Hermanns Unter- richt mich beſonders mit den Griechen befreundet hatte, ſo erklärt es ſich von ſelbſt wie ich ſpäterhin der Bearbeitung des attiſchen Rechts mich zugewendet habe.“ Im Jahr 1809 wurde er auch noch Doctor der Rechte, und 1811 ward er bereits als Profeſſor der Rechte nach Marburg berufen, welches er ſeitdem nicht wieder verlaſſen hat. Faſt ein halbes Jahrhundert alſo hat die kleine Univerſttät an ihm einen Mann beſeſſen welcher ſeiner ganzen Natur und Bildung nach geeignet gewe- ſen wäre in weitern Umgebungen ſich noch reicher und heiterer zu entfalten, welcher aber ſtark genug war auch in engern Gränzen ſich ſelbſt nicht unähn- lich, nicht gedrückt und zerdrückt, nicht welk und geiſtlos zu werden. Wohl mußte ihn, wie er ſelbſt ſagt, „manches beſonders in Betreff des Geſchäfts- lebens als fremd und widerwärtig abſtoßen was als nothwendiges Zubehör einer jeden bürgerlichen und amtlichen Stellung allerdings eine beſondere Be- achtung verdient, und worauf als eine müßige Form oft mehr mehr Werth gelegt wird als auf das Weſen ſelbſt.“ Aber je öfter das letztere vorkommt, deſto mehr Gewinn war es für die Univerſität welcher er angehörte, daß es bei ihm nicht eintrat, daß ſie in ihm einen Lehrer und Gelehrten behielt mit der unzerknickten Friſche einer genialen Eigenthümlichkeit, einen freigebornen Mann in großem Styl mit dem Heißhunger nur nach Wiſſen und Lieben alles Großen und Schönen, und mit der ſichern Erhebung über alle Kleinig- keiten, über alles Großthun und Wichtigthun als unergiebig für jenes geiſtige Bedürfniß, mit dem harmoniſchen Gleichgewicht von Ernſt und Scherz in ſei- nem Innern, Ernſt für die Wahrheit und die Ehre und das Recht unerſchüt- terlich, und Spiel für alle nur auf dieſe Weiſe wahr und richtig zu behandeln- den, nur ſo von Leerheit und Druck zu befreienden Alltäglichkeiten des Lebens. Wie der Philolog in ihm den Rechtsgelehrten ergänzte und dieſer jenen, wie die gründlichſte Kenntniß des Alterthums ihn zum eleganten Juriſten machte, und die Rechtswiſſenſchaft ihn mitten in das Leben verwies und von Mikrole- gie fern hielt, ſo hielt überhaupt der Gelehrte in ihm den Poeten in Schran- ken; ſein äſthetiſches und ſpeculatives Bedürfniß ließ ſeine Gelehrſamkeit nicht geiſtlos und unlebendig, und dieß ließ ſeinen poetiſchen Zug nicht zur Schön- geiſterei werden, ſondern eins nährte und reinigte das andere, und erhielt ſei- ner Natur auch hier das ſchöne Gleichgewicht, welches ihr auch ſchon jenes nicht zu blendende Wiſſen um den Unterſchied wahrhaft wichtiger Dinge von gehaltloſen ſicherte. So „zahlte er ſchon mit dem was er war“ als eine edle Natur ſo reich und geiſterfüllt, ſo wenig durch Miſere des Lebens gelähmt und herabgeſtimmt, ſo männlich und ſo muthig und ſo berechtigt zum Stolz, und doch ſo einfach und ſo anſpruchlos; aber nicht minder „mit dem was er that“ durch ſein Wohlwollen und ſeine Gutmüthigkeit, ſeine Empfänglichkeit für Liebe und Freundſchaft und ſeine Treue darin, ſein Bemühen allen welche ihm nahe kamen, Verwandten, Frennden, Schülern, Kindern, das Leben ſo leicht und ſo heiter als möglich zu machen. Den Werth ſeiner vornehmſten Schriſten, ſeiner „Beiträge zur Kenntniß des attiſchen Rechts“ (1820), ſeines Proceſſes und Klagen bei den Attikern“ (2 Bde. 1824) ſeiner „Quaestionesde jure criminum Romano“ (1842) u. a. mögen Kundigere beurtheilen; zu den ſtrenger juriſtiſchen kommen noch ge- miſchte, wie noch vor wenig Jahren die Schrift „über die Idee der Gerech- *) Dieſe und die folgende Depeſche aus dem geſtrigen Hauptblatt hier wiederholt.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 163, 11. Juni 1860, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine163_1860/9>, abgerufen am 23.11.2024.