Allgemeine Zeitung, Nr. 161, 9. Juni 1860.festeste Stütze hat, haben in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts Oesterreich, die Regierung und die Reichsräthe, müssen also mit allem Die Wahrheit dieses Satzes zeigt sich wohin man auch blicken mag, vor Wir wollen nicht wiederholen daß die Wiederherstellung des Credits die Wie in dieser Frage, werden sich auch auf anderen Gebieten in ehrlicher Die Rede des Kaisers ist uns Bürgschaft daß mit Ernst und mit treuer Lord Brougham in Edinburg. (Schluß.) Wir übergehen was der Kanzler zum Lobe der griechischen Mathematik*) "Was andres," sagte der Redner zur Beleuchtung seines Satzes, "was *) Broughams zerstreute Aussätze über Mathematik u. s. w., worin er sich na-
mentlich viel mit den griechischen Mathematikern beschäftigt, sind vor nicht lan- ger Zeit gesammelt erschienen. feſteſte Stütze hat, haben in den erſten Jahrzehnten dieſes Jahrhunderts Oeſterreich, die Regierung und die Reichsräthe, müſſen alſo mit allem Die Wahrheit dieſes Satzes zeigt ſich wohin man auch blicken mag, vor Wir wollen nicht wiederholen daß die Wiederherſtellung des Credits die Wie in dieſer Frage, werden ſich auch auf anderen Gebieten in ehrlicher Die Rede des Kaiſers iſt uns Bürgſchaft daß mit Ernſt und mit treuer Lord Brougham in Edinburg. (Schluß.) Wir übergehen was der Kanzler zum Lobe der griechiſchen Mathematik*) „Was andres,“ ſagte der Redner zur Beleuchtung ſeines Satzes, „was *) Broughams zerſtreute Auſſätze über Mathematik u. ſ. w., worin er ſich na-
mentlich viel mit den griechiſchen Mathematikern beſchäftigt, ſind vor nicht lan- ger Zeit geſammelt erſchienen. <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0002" n="2682"/> feſteſte Stütze hat, haben in den erſten Jahrzehnten dieſes Jahrhunderts<lb/> dieſen Weg mit größtem Erfolg betreten.</p><lb/> <p>Oeſterreich, die Regierung und die Reichsräthe, müſſen alſo mit allem<lb/> Ernſt die definitive Erledigung der Verfaſſungsfragen anfaſſen. Gegen dieſen<lb/> Punkt convergirt alles, mit ſeiner Erledigung finden die hochwichtigen ſecun-<lb/> dären Fragen doppelt leicht eine doppelt befriedigende Löſung. Laſſe man doch<lb/> nicht abermals die Gelegenheit zu einer raſchen entſcheidenden Schöpfung vor-<lb/> übergehen. Ohne dieß kommen nur neue Proviſorien zu den alten, und<lb/> Oeſterreich wird nur noch mehr unter der Umſtrickung dieſer Proviſorien das<lb/> Laokoonsbild zeigen, und ſelbſt in Feindesorganen ſeinen Schmerz äußern.<lb/> Es gibt keine Ruhe für die Regierung ohne definitive Löſung der Verfaſſungs-<lb/> frage, ihre Verſchiebung iſt Gefahr, ihre Umgehung eine Straußenpolitik, die<lb/> fich je länger je bitterer rächen müßte.</p><lb/> <p>Die Wahrheit dieſes Satzes zeigt ſich wohin man auch blicken mag, vor<lb/> allem aber in der Finanzfrage, welche vom Erzherzog-Präſidenten des Reichs-<lb/> raths als die dringendfte bezeichnet worden iſt.</p><lb/> <p>Wir wollen nicht wiederholen daß die Wiederherſtellung des Credits die<lb/> Bedingung der Löſung dieſer Frage iſt, und daß der Reichsrath den Credit<lb/> nur heben wird wenn er paſſende und definitive Verfaſſungszuſtände herbei-<lb/> führt. Wir wollen auf einen ſpecielleren Punkt hinweiſen. So eben hat die<lb/> Enqu<hi rendition="#aq">ê</hi>te der directen Stenern unter einem der erfahrenſten und kenntniß-<lb/> reichſten öfterreichiſchen Staatsmänner, dem Grafen Hartig, geendet, ohne<lb/> ein bedeutendes poſitives Reſultat herbeizuführen. Die Anträge des Finanz-<lb/> miniſteriums, obwohl finnreich gedacht, ſcheinen in der Hauptſache verworfen<lb/> zu ſeyn, und nach unſerer wiſſenſchaftlichen Anſchauung wohl meiſt mit<lb/> Recht. Man muß aber anerkennen daß der vorige Finanzminiſter mitten im<lb/> Fluß der Proviſorien, wozu ſich ſo viele Staatsverwaltungszweige leider auf-<lb/> gelöst haben, auch eine beſondere Schwierigkeit für ganz gute Propoſitionen<lb/> gegen ſich hatte. Was z. B. die Verwaltung der Steuern nach den neuen<lb/> Vorſchlägen betrifft, ſo müſſen wir dieſe für ſehr verfehlt erachten; wenn wir<lb/> richtig auffaſſen, ſo würden ſie in grundfalſcher und rückwärtsführender Aus-<lb/> ſpannung der Gemeindeautonomie factiſch eine locale Steuergeſetzgebung nach<lb/> unten ſchaffen, und nach oben eine ziemlich abſolute Bureauherrſchaft erhalten,<lb/> d. h. es würde eine nach beiden Seiten gleich widerliche Combination ge-<lb/> ſchaffen werden. Daran war aber weniger der Finanzminiſter als der<lb/> Mangel eines zur Anknüpfung der Steuerverwaltung geeigneten Verfaſſungs-<lb/> zuſtandes ſchuld. Der einfache Ausweg der Löſung, ſowohl von gevatter-<lb/> lichem Gemeinde- als von unleidlichem Bureau-Abſolutismus weg, liegt auch<lb/> hier einfach in der ſchleunigen Organiſation der Bezirks- (Kreis-), Landes-<lb/> und — <hi rendition="#g">Reichs</hi>vertretung, d. h. in Erledigung der Verfaſſungsfrage. Nur<lb/> mit ihr kann eine die Autonomie mit der Regierungseinheit, die Selbſtregie-<lb/> rung mit der Steuergerechtigkeit, die Zufriedenheit der kleinen Kreiſe mit dem<lb/> großen Bedürfniß des Geſammtſtaats vermittelnde Löſung der Finanz- und<lb/> Steuerfrage ſich ergeben.</p><lb/> <p>Wie in dieſer Frage, werden ſich auch auf anderen Gebieten in ehrlicher<lb/> Verſtändigung der Regierung, der Provinzen und der Parteien die jetzt ſo<lb/> ſchwierig ſcheinenden Fragen concret zu einem Verfaſſungszuſtand entwickeln<lb/> laſſen welcher dem Reiche gibt was des Reiches iſt, und den Provinzen was<lb/> den Provinzen gehört. Unlösbar werden dieſe Fragen nur wenn man die Par-<lb/> teien ohne geſetzliche Arena immer mehr in Einſeitigkeit und abſtracten Nega-<lb/> tivismus ſich hineinrennen läßt.</p><lb/> <p>Die Rede des Kaiſers iſt uns Bürgſchaft daß mit Ernſt und mit treuer<lb/> Geſinnung vorgetragene Wünſche nach definitiver und freier Ordnung der<lb/> Verfaſſungsverhältniſſe ſicheren Erfolg haben, und Oeſterreich die ſo noth-<lb/> wendige Erlöſung von den Proviſorien bringen können. Damit werden dann<lb/> die rein negativen und die importirten Parteibeſtrebungen, welche Oeſterreich<lb/> auflöſen möchten, von ſelbſt zu Boden fallen. Und darum wünſchen wir daß<lb/> der Reichsrath die mit Beſonnenheit erwogenen Reichsbedürfniſſe mit Muth<lb/> und Entſchiedenheit geltend mache — die Geſchäftsordnung iſt keine weſent-<lb/> liche Feſſel — und daß die Regierung treuem Rath mit gutem Willen ent-<lb/> gegen komme. Oeſterreichs Völker müſſen endlich die Garantie geordneter<lb/> Freiheit haben, und die öſterreichiſche Monarchie wird ohne freie Ordnung der<lb/> Verfaſſungsfragen keine Sicherheit und Ruhe gewinnen.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="2"> <head><hi rendition="#b">Lord Brougham in Edinburg.</hi><lb/> (Schluß.)</head><lb/> <p>Wir übergehen was der Kanzler zum Lobe der griechiſchen Mathematik<note place="foot" n="*)">Broughams zerſtreute Auſſätze über Mathematik u. ſ. w., worin er ſich na-<lb/> mentlich viel mit den griechiſchen Mathematikern beſchäftigt, ſind vor nicht lan-<lb/> ger Zeit geſammelt erſchienen.</note><lb/> ſagt, welche zwar an praktiſcher Zweckmäßigkeit hinter unſerer algebraiſchen Geo-<lb/> metrie weit zurückſtehe, deren ſtreng logiſch fortſchreitende, geiſtreich lebendige<lb/> und elegante Methode aber auch jetzt noch alle Beachtung verdiene, was auch<lb/> von namhaften neuern Fachgelehrten anerkannt ſey. Dann kam er noch-<lb/> mals auf das Thema der Redekunſt, und bemerkte daß ſich die Aufgabe der-<lb/> ſelben in unſern chriſtlichen Staaten zugleich vertieft und erweitert habe,<lb/> indem és ſich heutzutage darum handle die Volksrechte klar auseinander<lb/> zu ſetzen, für Verbeſſerung der Volkszuſtände und für Verbreitung der Volks-<lb/> bildung zu wirken — alles Aufgaben welche die Beredſamkeit der Alten,<lb/> die ſich entweder um concrete politiſche Fragen oder um eben ſo beſtimmte<lb/> privatliche Fälle dreht, gar nicht, oder nur ſelten berührt, daher auch die<lb/> antiken Redemuſter für uns zumeiſt nur formalen Werth haben. Darauf<lb/> berührt er die der Rhetorik verwandte Kunſt der Geſchichtſchreibung, und rügt<lb/> es als einen aus dem Alterthum in die neuere Zeit vererbten Grundfehler<lb/> derſelben — ſo wie nicht minder des Jugendunterrichts in geſchichtlichen und<lb/> politiſchen Dingen — daß mehr das Glänzende, in der Welt Aufſehen-<lb/> und Lärmmachende als das Nützliche und Sittlich edle hervorgehoben und aus-<lb/> führlich dargelegt zu werden pflege, daß der Krieg und ſein Ruhm noch immer<lb/> in der Geſchichtſchreibung eine größere Rolle ſpiele als die ſegenreichen Werke<lb/> des Friedens, und daß der Glanz kriegeriſcher Thaten und pomphafter Herr-<lb/> ſchergröße, wie er der blöden Menge imponire, nur allzu oft auch das ſittliche<lb/> Urtheil der Gebildeten beſteche. Die nur gar zu wortreiche Erörterung<lb/> dieſes Thema’s bildete, mit fühlbarer Beziehung auf die jetzige Weltlage, den<lb/> längſten Theil der Rede, welche darauf dringt daß die zu bildende Jugend<lb/> frühzeitig und unverrückt zur <hi rendition="#g">Wahrhaftigkeit</hi> im Urtheil wie im Handeln<lb/> angeleitet werde, und das <hi rendition="#g">Weſen</hi> in den Menſchen und Dingen vom Schein<lb/> und Schimmer nüchtern unterſcheiden lerne.</p><lb/> <p>„Was andres,“ ſagte der Redner zur Beleuchtung ſeines Satzes, „was<lb/> andres als die Geneigtheit der Menſchen ſich unter ein großes, wenn auch<lb/> ruchlos angewandtes Genie zu beugen, läßt ſich anführen um den Machtraub<lb/> des erſten Napoleon zu beſchönigen, welcher die Franzoſen ihre Befreiung<lb/> von der blutigen Anarchie der Republik mit dem gänzlichen Verluſt ihrer<lb/> Freiheit bezahlen ließ, und dann in der Reihenfolge ſeiner für Frankreich wie<lb/> für die Nachbarländer gleich furchtbaren und verderblichen Kriege einem faſt<lb/> wahnſinnigen Ehrgeiz fröhnte? Von der hohen Stellung auf die ihn<lb/> ſeine Verbrechen emporgehoben, als Kaiſer des Abendlandes, was er beinahe<lb/> war, ward er herabgeſchleudert, und die Franzoſen mußten ihren ſo theuer<lb/> gekauften Ruhm, den meiſten Monarchen des Feſtlandes in ihren Hauptſtädten<lb/> das Geſetz dictirt zu haben, noch theurer büßen. Zweimal erlebten ſie ihrer-<lb/> ſeits die bittere Kränkung Fremdlinge, die ſie einſt niedergetreten hatten,<lb/> als Gebieter in ihrer Hauptſtadt zu ſehen; und <hi rendition="#g">ſein</hi> Schickſal und <hi rendition="#g">ihre</hi><lb/> Demüthigung waren das Werk ſeiner ſtarrſinnigen Leidenſchaft, welche, nach-<lb/> dem ſie erſt ſein menſchliches Gefühl ausgelöſcht, ſeine Vernunft verblendet<lb/> hatte. Der neueſte und beſte Geſchichtſchreiber ſeiner Regierungszeit,<lb/> Thiers, wiewohl von Bewunderung für das Genie ſeines Helden erfüllt, kann<lb/> doch nicht umhin deſſen Sturz aus ſechs von ihm begangenen Hauptfehlern zu<lb/> erklären, welche alle in ſeiner unerſättlichen Herrſchſucht, ſeiner unbezähm-<lb/> baren Deſpotenlaune ihren Urſprung hatten. Und jeder dieſer ſechs Fehler<lb/> hat, während ſie ihn ſelbſt ſtürzten, den Tod von Tauſenden, das Elend von<lb/> Millionen verſchuldet. Es wäre eine Verkehrung alles richtigen Gefühls,<lb/> wenn das Schauſpiel ſeines Untergangs unſer Mitleid erregte, oder wenn<lb/> wir in ſeiner Vertreibung aus Frankreich unter den Verwünſchungen des<lb/> Volks das er in Knechtſchaft, Schmach und Trübſal geſtürzt, in ſeinem verſuch-<lb/> ten Selbſtmord und ſeinem kläglichen Lebensende als einſamer Gefangener<lb/> auf einer fernen Inſel, etwas anderes ſehen wollten als die gerechte Ver-<lb/> geltung beiſpielloſer Verbrechen mit beiſpeilloſem Leiden. Vergeſſen wir<lb/> nicht daß in jedem ſeiner Kriege, von ſeiner Gelangung zur oberſten Gewalt<lb/> bis zu ſeiner Verbannung nach Elba, <hi rendition="#g">er</hi> der Angreifer war; daß er jeden<lb/> Krieg, unter einer dünnen Verſchleierung mit Nationalruhm, nur zu ſeiner<lb/> eigenen Vergrößerung unternahm, und wir haben einen Maßſtab für ſeine<lb/> Schuld.“ Dieſes Sündenregiſter wird noch lang ausgeſponnen, und dem<lb/> Corſen dann Wellington, der „erlauchte Freund“ des Redners, gegenüberge-<lb/> ſtellt, deſſen Charaktergrundlage Gewiſſenhaftigkeit und Pflichttreue in allen<lb/> Lebensverhältniſſen war, und der zwar niemals in den Fall kam einen Macht-<lb/> beſitz über die geſetzlichen Gränzen hinaus ablehnen zu müſſen, deſſen ganze<lb/> Laufbahn als Krieger und Staatsmann aber ſchließen laſſe wie ganz anders<lb/> als Napoleon er in deſſen Lage gehandelt haben würde. Noch glänzender<lb/> wird Waſhington hervorgehoben: „In Waſhington ſehen wir jede, militäri-<lb/> ſche wie bürgerliche, Tugend dem Dienſte des Vaterlands und der Menſchheit<lb/> gewidmet. Ein triumphirender Kriegsheld, unerſchüttert in ſeiner Zuverſicht<lb/> als die Hoffnungsvollſten verzweifelten, ein erfolgreicher Regent inmitten aller<lb/> Schwierigkeiten eines ganz neuen und unermeßlichen Experiments; — zuletzt<lb/> freiwillig und prunklos von der höchſten Machtſtellung zurücktretend, unter der<lb/> Verehrung aller Parteien, aller Nationen. Es wird die Pflicht der Hiſtoriker<lb/> und der Weiſen in allen Jahrhunderten ſeyn dieſen herrlichen, einfach-großen<lb/> Mann immer und immer wieder zu feiern. Bis die Zeit ſtille ſteht, wird man den<lb/> Fortſchritt des Menſchengeſchlechts in Geſittung und Freiheit prüfen können an<lb/> dem Maße der Berehrung die man Waſhingtons unſterblichem Namen zollt!“<lb/> Indeſſen wenn es einerſeits die Pflicht der Geſchichtſchreibung ſey an hervor-<lb/> ragende Menſchen vor allem den ſittlichen Maßſtab anzulegen, ſo würde es<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2682/0002]
feſteſte Stütze hat, haben in den erſten Jahrzehnten dieſes Jahrhunderts
dieſen Weg mit größtem Erfolg betreten.
Oeſterreich, die Regierung und die Reichsräthe, müſſen alſo mit allem
Ernſt die definitive Erledigung der Verfaſſungsfragen anfaſſen. Gegen dieſen
Punkt convergirt alles, mit ſeiner Erledigung finden die hochwichtigen ſecun-
dären Fragen doppelt leicht eine doppelt befriedigende Löſung. Laſſe man doch
nicht abermals die Gelegenheit zu einer raſchen entſcheidenden Schöpfung vor-
übergehen. Ohne dieß kommen nur neue Proviſorien zu den alten, und
Oeſterreich wird nur noch mehr unter der Umſtrickung dieſer Proviſorien das
Laokoonsbild zeigen, und ſelbſt in Feindesorganen ſeinen Schmerz äußern.
Es gibt keine Ruhe für die Regierung ohne definitive Löſung der Verfaſſungs-
frage, ihre Verſchiebung iſt Gefahr, ihre Umgehung eine Straußenpolitik, die
fich je länger je bitterer rächen müßte.
Die Wahrheit dieſes Satzes zeigt ſich wohin man auch blicken mag, vor
allem aber in der Finanzfrage, welche vom Erzherzog-Präſidenten des Reichs-
raths als die dringendfte bezeichnet worden iſt.
Wir wollen nicht wiederholen daß die Wiederherſtellung des Credits die
Bedingung der Löſung dieſer Frage iſt, und daß der Reichsrath den Credit
nur heben wird wenn er paſſende und definitive Verfaſſungszuſtände herbei-
führt. Wir wollen auf einen ſpecielleren Punkt hinweiſen. So eben hat die
Enquête der directen Stenern unter einem der erfahrenſten und kenntniß-
reichſten öfterreichiſchen Staatsmänner, dem Grafen Hartig, geendet, ohne
ein bedeutendes poſitives Reſultat herbeizuführen. Die Anträge des Finanz-
miniſteriums, obwohl finnreich gedacht, ſcheinen in der Hauptſache verworfen
zu ſeyn, und nach unſerer wiſſenſchaftlichen Anſchauung wohl meiſt mit
Recht. Man muß aber anerkennen daß der vorige Finanzminiſter mitten im
Fluß der Proviſorien, wozu ſich ſo viele Staatsverwaltungszweige leider auf-
gelöst haben, auch eine beſondere Schwierigkeit für ganz gute Propoſitionen
gegen ſich hatte. Was z. B. die Verwaltung der Steuern nach den neuen
Vorſchlägen betrifft, ſo müſſen wir dieſe für ſehr verfehlt erachten; wenn wir
richtig auffaſſen, ſo würden ſie in grundfalſcher und rückwärtsführender Aus-
ſpannung der Gemeindeautonomie factiſch eine locale Steuergeſetzgebung nach
unten ſchaffen, und nach oben eine ziemlich abſolute Bureauherrſchaft erhalten,
d. h. es würde eine nach beiden Seiten gleich widerliche Combination ge-
ſchaffen werden. Daran war aber weniger der Finanzminiſter als der
Mangel eines zur Anknüpfung der Steuerverwaltung geeigneten Verfaſſungs-
zuſtandes ſchuld. Der einfache Ausweg der Löſung, ſowohl von gevatter-
lichem Gemeinde- als von unleidlichem Bureau-Abſolutismus weg, liegt auch
hier einfach in der ſchleunigen Organiſation der Bezirks- (Kreis-), Landes-
und — Reichsvertretung, d. h. in Erledigung der Verfaſſungsfrage. Nur
mit ihr kann eine die Autonomie mit der Regierungseinheit, die Selbſtregie-
rung mit der Steuergerechtigkeit, die Zufriedenheit der kleinen Kreiſe mit dem
großen Bedürfniß des Geſammtſtaats vermittelnde Löſung der Finanz- und
Steuerfrage ſich ergeben.
Wie in dieſer Frage, werden ſich auch auf anderen Gebieten in ehrlicher
Verſtändigung der Regierung, der Provinzen und der Parteien die jetzt ſo
ſchwierig ſcheinenden Fragen concret zu einem Verfaſſungszuſtand entwickeln
laſſen welcher dem Reiche gibt was des Reiches iſt, und den Provinzen was
den Provinzen gehört. Unlösbar werden dieſe Fragen nur wenn man die Par-
teien ohne geſetzliche Arena immer mehr in Einſeitigkeit und abſtracten Nega-
tivismus ſich hineinrennen läßt.
Die Rede des Kaiſers iſt uns Bürgſchaft daß mit Ernſt und mit treuer
Geſinnung vorgetragene Wünſche nach definitiver und freier Ordnung der
Verfaſſungsverhältniſſe ſicheren Erfolg haben, und Oeſterreich die ſo noth-
wendige Erlöſung von den Proviſorien bringen können. Damit werden dann
die rein negativen und die importirten Parteibeſtrebungen, welche Oeſterreich
auflöſen möchten, von ſelbſt zu Boden fallen. Und darum wünſchen wir daß
der Reichsrath die mit Beſonnenheit erwogenen Reichsbedürfniſſe mit Muth
und Entſchiedenheit geltend mache — die Geſchäftsordnung iſt keine weſent-
liche Feſſel — und daß die Regierung treuem Rath mit gutem Willen ent-
gegen komme. Oeſterreichs Völker müſſen endlich die Garantie geordneter
Freiheit haben, und die öſterreichiſche Monarchie wird ohne freie Ordnung der
Verfaſſungsfragen keine Sicherheit und Ruhe gewinnen.
Lord Brougham in Edinburg.
(Schluß.)
Wir übergehen was der Kanzler zum Lobe der griechiſchen Mathematik *)
ſagt, welche zwar an praktiſcher Zweckmäßigkeit hinter unſerer algebraiſchen Geo-
metrie weit zurückſtehe, deren ſtreng logiſch fortſchreitende, geiſtreich lebendige
und elegante Methode aber auch jetzt noch alle Beachtung verdiene, was auch
von namhaften neuern Fachgelehrten anerkannt ſey. Dann kam er noch-
mals auf das Thema der Redekunſt, und bemerkte daß ſich die Aufgabe der-
ſelben in unſern chriſtlichen Staaten zugleich vertieft und erweitert habe,
indem és ſich heutzutage darum handle die Volksrechte klar auseinander
zu ſetzen, für Verbeſſerung der Volkszuſtände und für Verbreitung der Volks-
bildung zu wirken — alles Aufgaben welche die Beredſamkeit der Alten,
die ſich entweder um concrete politiſche Fragen oder um eben ſo beſtimmte
privatliche Fälle dreht, gar nicht, oder nur ſelten berührt, daher auch die
antiken Redemuſter für uns zumeiſt nur formalen Werth haben. Darauf
berührt er die der Rhetorik verwandte Kunſt der Geſchichtſchreibung, und rügt
es als einen aus dem Alterthum in die neuere Zeit vererbten Grundfehler
derſelben — ſo wie nicht minder des Jugendunterrichts in geſchichtlichen und
politiſchen Dingen — daß mehr das Glänzende, in der Welt Aufſehen-
und Lärmmachende als das Nützliche und Sittlich edle hervorgehoben und aus-
führlich dargelegt zu werden pflege, daß der Krieg und ſein Ruhm noch immer
in der Geſchichtſchreibung eine größere Rolle ſpiele als die ſegenreichen Werke
des Friedens, und daß der Glanz kriegeriſcher Thaten und pomphafter Herr-
ſchergröße, wie er der blöden Menge imponire, nur allzu oft auch das ſittliche
Urtheil der Gebildeten beſteche. Die nur gar zu wortreiche Erörterung
dieſes Thema’s bildete, mit fühlbarer Beziehung auf die jetzige Weltlage, den
längſten Theil der Rede, welche darauf dringt daß die zu bildende Jugend
frühzeitig und unverrückt zur Wahrhaftigkeit im Urtheil wie im Handeln
angeleitet werde, und das Weſen in den Menſchen und Dingen vom Schein
und Schimmer nüchtern unterſcheiden lerne.
„Was andres,“ ſagte der Redner zur Beleuchtung ſeines Satzes, „was
andres als die Geneigtheit der Menſchen ſich unter ein großes, wenn auch
ruchlos angewandtes Genie zu beugen, läßt ſich anführen um den Machtraub
des erſten Napoleon zu beſchönigen, welcher die Franzoſen ihre Befreiung
von der blutigen Anarchie der Republik mit dem gänzlichen Verluſt ihrer
Freiheit bezahlen ließ, und dann in der Reihenfolge ſeiner für Frankreich wie
für die Nachbarländer gleich furchtbaren und verderblichen Kriege einem faſt
wahnſinnigen Ehrgeiz fröhnte? Von der hohen Stellung auf die ihn
ſeine Verbrechen emporgehoben, als Kaiſer des Abendlandes, was er beinahe
war, ward er herabgeſchleudert, und die Franzoſen mußten ihren ſo theuer
gekauften Ruhm, den meiſten Monarchen des Feſtlandes in ihren Hauptſtädten
das Geſetz dictirt zu haben, noch theurer büßen. Zweimal erlebten ſie ihrer-
ſeits die bittere Kränkung Fremdlinge, die ſie einſt niedergetreten hatten,
als Gebieter in ihrer Hauptſtadt zu ſehen; und ſein Schickſal und ihre
Demüthigung waren das Werk ſeiner ſtarrſinnigen Leidenſchaft, welche, nach-
dem ſie erſt ſein menſchliches Gefühl ausgelöſcht, ſeine Vernunft verblendet
hatte. Der neueſte und beſte Geſchichtſchreiber ſeiner Regierungszeit,
Thiers, wiewohl von Bewunderung für das Genie ſeines Helden erfüllt, kann
doch nicht umhin deſſen Sturz aus ſechs von ihm begangenen Hauptfehlern zu
erklären, welche alle in ſeiner unerſättlichen Herrſchſucht, ſeiner unbezähm-
baren Deſpotenlaune ihren Urſprung hatten. Und jeder dieſer ſechs Fehler
hat, während ſie ihn ſelbſt ſtürzten, den Tod von Tauſenden, das Elend von
Millionen verſchuldet. Es wäre eine Verkehrung alles richtigen Gefühls,
wenn das Schauſpiel ſeines Untergangs unſer Mitleid erregte, oder wenn
wir in ſeiner Vertreibung aus Frankreich unter den Verwünſchungen des
Volks das er in Knechtſchaft, Schmach und Trübſal geſtürzt, in ſeinem verſuch-
ten Selbſtmord und ſeinem kläglichen Lebensende als einſamer Gefangener
auf einer fernen Inſel, etwas anderes ſehen wollten als die gerechte Ver-
geltung beiſpielloſer Verbrechen mit beiſpeilloſem Leiden. Vergeſſen wir
nicht daß in jedem ſeiner Kriege, von ſeiner Gelangung zur oberſten Gewalt
bis zu ſeiner Verbannung nach Elba, er der Angreifer war; daß er jeden
Krieg, unter einer dünnen Verſchleierung mit Nationalruhm, nur zu ſeiner
eigenen Vergrößerung unternahm, und wir haben einen Maßſtab für ſeine
Schuld.“ Dieſes Sündenregiſter wird noch lang ausgeſponnen, und dem
Corſen dann Wellington, der „erlauchte Freund“ des Redners, gegenüberge-
ſtellt, deſſen Charaktergrundlage Gewiſſenhaftigkeit und Pflichttreue in allen
Lebensverhältniſſen war, und der zwar niemals in den Fall kam einen Macht-
beſitz über die geſetzlichen Gränzen hinaus ablehnen zu müſſen, deſſen ganze
Laufbahn als Krieger und Staatsmann aber ſchließen laſſe wie ganz anders
als Napoleon er in deſſen Lage gehandelt haben würde. Noch glänzender
wird Waſhington hervorgehoben: „In Waſhington ſehen wir jede, militäri-
ſche wie bürgerliche, Tugend dem Dienſte des Vaterlands und der Menſchheit
gewidmet. Ein triumphirender Kriegsheld, unerſchüttert in ſeiner Zuverſicht
als die Hoffnungsvollſten verzweifelten, ein erfolgreicher Regent inmitten aller
Schwierigkeiten eines ganz neuen und unermeßlichen Experiments; — zuletzt
freiwillig und prunklos von der höchſten Machtſtellung zurücktretend, unter der
Verehrung aller Parteien, aller Nationen. Es wird die Pflicht der Hiſtoriker
und der Weiſen in allen Jahrhunderten ſeyn dieſen herrlichen, einfach-großen
Mann immer und immer wieder zu feiern. Bis die Zeit ſtille ſteht, wird man den
Fortſchritt des Menſchengeſchlechts in Geſittung und Freiheit prüfen können an
dem Maße der Berehrung die man Waſhingtons unſterblichem Namen zollt!“
Indeſſen wenn es einerſeits die Pflicht der Geſchichtſchreibung ſey an hervor-
ragende Menſchen vor allem den ſittlichen Maßſtab anzulegen, ſo würde es
*) Broughams zerſtreute Auſſätze über Mathematik u. ſ. w., worin er ſich na-
mentlich viel mit den griechiſchen Mathematikern beſchäftigt, ſind vor nicht lan-
ger Zeit geſammelt erſchienen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-02-11T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |