Allgemeine Zeitung, Nr. 160, 8. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
als der Sohn eines Krämers geboren. Sein Talent zum Zeichnen ent- Das Programm der revolutionären Partei in Italien. = Siena, 30 Mai.Die herrschende Partei, ihres Sieges auf der Die deutsche Bewegung in Belgien. * Brüssel, 1 Jun.Das unbestreitbare Erwachen des deutschen Statistik der niederdeutschen und wallonischen Staatsbeamten in Belgien. Während ungefähr drei Fünftel der Bevölkerung Belgiens Niederdeutsche [Tabelle] *) **) In der Classe der schönen Wissenschaften der k. Akademie gibt es nur [Spaltenumbruch]
Totalsumme. Fremde mit dem Leopolds-Orden beehrt: Franzosen 960; Engländer 36; Da auf 2,700,000 Flamländer nur 1,800,000 Wallonen kommen, so *) Der Anschluß von ganz Ligurien bietet Napoleon einen Ersatz. *) Bezeichnete verstehen kein Niederdeutsch. **) Fehlen Beamte.
[Spaltenumbruch]
als der Sohn eines Krämers geboren. Sein Talent zum Zeichnen ent- Das Programm der revolutionären Partei in Italien. = Siena, 30 Mai.Die herrſchende Partei, ihres Sieges auf der Die deutſche Bewegung in Belgien. * Brüſſel, 1 Jun.Das unbeſtreitbare Erwachen des deutſchen Statiſtik der niederdeutſchen und walloniſchen Staatsbeamten in Belgien. Während ungefähr drei Fünftel der Bevölkerung Belgiens Niederdeutſche [Tabelle] *) **) In der Claſſe der ſchönen Wiſſenſchaften der k. Akademie gibt es nur [Spaltenumbruch]
Totalſumme. Fremde mit dem Leopolds-Orden beehrt: Franzoſen 960; Engländer 36; Da auf 2,700,000 Flamländer nur 1,800,000 Wallonen kommen, ſo *) Der Anſchluß von ganz Ligurien bietet Napoleon einen Erſatz. *) Bezeichnete verſtehen kein Niederdeutſch. **) Fehlen Beamte.
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Nach England heimgekehrt, verheirathete er ſich im Jahr 1823,<lb/> hatte aber, ohne einflußreiche Gönner, noch eine Reihe ſchwerer Lehrjahre<lb/> durchzumachen. Endlich gelang es ihm größere Aufträge zu erhalten, und<lb/> durch mehrere Bauten von Kirchen, Schulen, Clubhäuſern in Mancheſter,<lb/> Brighton, Birmingham, und London ſelbſt, vortheilhaft bekannt zu werden.<lb/> Nun fanden ſich auch vornehme Gönner ein: der Marquis v. Lansdowne,<lb/> der Herzog v. Sutherland, Lady Holland u. ſ. w. Da brannten die Parla-<lb/> mentshäuſer ab, und im Jah: 1836 wurde das große Werk, auf welchem ſein<lb/> Ruhm beruht, ſeinen Händen anvertraut. 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Barry gehörte zu den<lb/> „eklektiſchen“ Architekten, d. h. er wählte gern aus den verſchiedenen Stylen<lb/> das was ihm für eine beſondere Aufgabe gefiel; aber die gothiſchen Stylarten<lb/> waren ihm bis dahin am fernſten gelegen, und er liebte ſie eigentlich nicht.<lb/> Zudem war, bemerkt das Athenäum, die Kenntniß der gothiſchen Bauart vor<lb/> fünfundzwanzig Jahren den Engländern ſelbſt ſo ziemlich abhanden gekommen.<lb/> Dieſe Umſtände bittet das Athenäum die Tadler der neuen Parlamentshäuſer<lb/> zu erwägen, und bemerkt daß Barry ſelbſt, wenn er jetzt erſt den Plan zu ent-<lb/> werfen hätte, wohl manches anders und beſſer machen würde. Jedenfalls ſey<lb/> es im ganzen ein großartiger und impoſanter Bau, der ſeinem Schöpfer zur<lb/> Ehre und London zur Zierde gereiche. 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Militäriſche Intervention würde einen europäiſchen Krieg<lb/> entzünden — ſo bleibt kein anderer Ausweg als die Völker über ihr eigenes<lb/> Geſchick entſcheiden zu laſſen. Ein Murat oder Napoleonide in Neapel würde<lb/> von England nicht zugeſtanden werden, daher iſt franzöſiſche Einmiſchung<lb/> nicht möglich. Man ſieht für wie uneigennützig die Italiener heutzutage<lb/> den Kaiſer halten, welchem ſie Reiterbildſäulen decretiren, und welche Be-<lb/> griffe ſie mit <hi rendition="#aq">„une idée“</hi> verbinden.<note place="foot" n="*)">Der Anſchluß von ganz Ligurien bietet Napoleon einen Erſatz.</note> Oeſterreichiſche Einmiſchung, wäre ſie<lb/> durch die innern Zuſtände ermöglicht, würde von Frankreich und England<lb/> nicht erlaubt werden. 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als der Sohn eines Krämers geboren. Sein Talent zum Zeichnen ent-
wickelte ſich frühzeitig, aber er hatte mit Noth und Schwierigkeiten zu
kämpfen bis er ſich ſeinem Beruf widmen konnte. Im Beſitz der kleinen
väterlichen Hinterlaſſenſchaft und von einem reichen Landsmann unterſtützt,
welchem er aber vertragsmäßig ſeine Reiſeſkizzen überlaſſen mußte, gieng er
im Jahr 1817 ins Ausland, und bereiste drei Jahre lang zu künſtleriſchen —
insbeſondere architektoniſchen — Zwecken Italien, Griechenland, die europäiſche
Türkei, Aegypten, Syrien und Paläſtina. Ein Ausflug nach Palmyra
wurde durch räuberiſche Beduinen vereitelt, deren einer ihn durch einen
Lanzenſtich verwundete, welchen ſein Haick (arabiſcher Mantel) noch glücklich
auffieng. Nach England heimgekehrt, verheirathete er ſich im Jahr 1823,
hatte aber, ohne einflußreiche Gönner, noch eine Reihe ſchwerer Lehrjahre
durchzumachen. Endlich gelang es ihm größere Aufträge zu erhalten, und
durch mehrere Bauten von Kirchen, Schulen, Clubhäuſern in Mancheſter,
Brighton, Birmingham, und London ſelbſt, vortheilhaft bekannt zu werden.
Nun fanden ſich auch vornehme Gönner ein: der Marquis v. Lansdowne,
der Herzog v. Sutherland, Lady Holland u. ſ. w. Da brannten die Parla-
mentshäuſer ab, und im Jah: 1836 wurde das große Werk, auf welchem ſein
Ruhm beruht, ſeinen Händen anvertraut. Sein eigener Geſchmack und die
bisherige Richtung ſeiner Kunſtbeſtrebungen würden ihn bewogen haben für
den neuen Weſtminſter-Palaſt den italieniſchen Bauſtyl zu wählen; aber er
hatte vorſchriftsmäßig nur die Wahl zwiſchen dem altengliſch-gothiſchen und
dem ſogenannten Tudor-gothiſchen oder Eliſabethiſchen Bauſtyl, und ent-
ſchied ſich für den letztern; wobei ihn theils der Wunſch leitete die Parlaments-
häuſer mit der gegenüberſtehenden Weſtminſter-Abtei in Einklang zu bringen,
und theils die Erwägung daß es ihm für den reicheren Schmuck des alt-
gothiſchen Styls in England an der nöthigen Anzahl geſchickter Modelleurs
und Schnitzer fehlen würde. Hatte er doch auch bei jener einfachern Bauart
oft genug über Mangel an Hülfsperſonal zu klagen. Barry gehörte zu den
„eklektiſchen“ Architekten, d. h. er wählte gern aus den verſchiedenen Stylen
das was ihm für eine beſondere Aufgabe gefiel; aber die gothiſchen Stylarten
waren ihm bis dahin am fernſten gelegen, und er liebte ſie eigentlich nicht.
Zudem war, bemerkt das Athenäum, die Kenntniß der gothiſchen Bauart vor
fünfundzwanzig Jahren den Engländern ſelbſt ſo ziemlich abhanden gekommen.
Dieſe Umſtände bittet das Athenäum die Tadler der neuen Parlamentshäuſer
zu erwägen, und bemerkt daß Barry ſelbſt, wenn er jetzt erſt den Plan zu ent-
werfen hätte, wohl manches anders und beſſer machen würde. Jedenfalls ſey
es im ganzen ein großartiger und impoſanter Bau, der ſeinem Schöpfer zur
Ehre und London zur Zierde gereiche. Ein beſonderer Vortheil der gewählten
Bauart iſt daß er die Einführung von Wandgemälden geſtattete, und wirklich
hat ſeitdem die Frescomalerei in England einen gewiſſen Aufſchwung ge-
nommen, obgleich ihr das feuchte Klima des Landes ſehr ungünſtig iſt.
Barry war Mitglied der königl. Akademie und der königl. Societät der Wiſſen-
ſchaften, Präſident des Inſtituts brittiſcher Architekten, und Ehrenmitglied
vieler auswärtigen Akademien. Im Jahr 1852, als die Königin zum erſten-
mal durch den „Victoria-Tower“ in den neuen Parlamentspalaſt einfuhr,
ward er von Ihrer Majeſtät in den Ritterſtand erhoben. Zwei von ſeinen
fünf hinterlaſſenen Söhnen ſind ebenfalls Architekten.
Das Programm der revolutionären Partei in Italien.
= Siena, 30 Mai.Die herrſchende Partei, ihres Sieges auf der
Inſel Sicilien nicht bloß, ſondern im ganzen Königreich Neapel ſich für
gewiß haltend, ſpricht ſchon von dem allgemeinen Stimmrecht, zu welchem
man dort wie in Centralitalien greifen würde, um über die politiſche Ge-
ſtaltung zu entſcheiden. Sie kann dieß natürlich mit derſelben Gemüthsruhe
thun wie in Florenz und Bologna, denn es ſind die nämlichen Elemente
welche die Ueberhand gewinnen, mit dem einzigen Unterſchied daß auf Sici-
lien zu dem Gelde das von allen Seiten reichlich dahin gefloſſen, wie einſt
nach Toscana, und zu den Arbeiten des Mazzinismus, deren Direction der
Graf Cavour dem Genueſiſchen Advocaten temporär aus der Hand genommen,
eine Freibeuter-Expedition gekommen iſt, deren Urſprung aus der von ihrem
Chef bei ſeinem Einzug in Palermo veröffentlichten Proclamation hervorgeht.
Die Argumentirung zu Gunſten des allgemeinen Stimmrechts iſt wieder die-
ſelbe welche man vor drei Monaten vernommen hat. Diplomatiſche Inter-
vention wäre fruchtlos — wozu Reiſet’ſche und Poniatowski’ſche Komödien
wiederholen? Militäriſche Intervention würde einen europäiſchen Krieg
entzünden — ſo bleibt kein anderer Ausweg als die Völker über ihr eigenes
Geſchick entſcheiden zu laſſen. Ein Murat oder Napoleonide in Neapel würde
von England nicht zugeſtanden werden, daher iſt franzöſiſche Einmiſchung
nicht möglich. Man ſieht für wie uneigennützig die Italiener heutzutage
den Kaiſer halten, welchem ſie Reiterbildſäulen decretiren, und welche Be-
griffe ſie mit „une idée“ verbinden. *) Oeſterreichiſche Einmiſchung, wäre ſie
durch die innern Zuſtände ermöglicht, würde von Frankreich und England
nicht erlaubt werden. Somit iſt das Geſchick von Süditalien, von Marſala
bis Terracina, im Sinne der hieſigen Wortführer bereits entſchieden, und es
handelt ſich nur noch um den Papſt, ſo iſt die italieniſche Einheit conſtituirt.
(Venedig, beiläufig geſagt, iſt ſo ſichere Beute daß man davon kaum mehr
redet.) Der Florentiner Palazzo vecchio und ſeine Freunde beweinen noch-
mals, wie ſie ſo oft gethan, die Blindheit des Papſtes, der ſeine „Miſſion“
ganz verkennt. Sie fahren fort dem Papſt wahres Chriſtenthum zu lehren,
welches der Profeſſor Amari aus dem Koran, der Signor d’Ancona aus
dem Talmud ſchöpft. Wie kann nur Pius IX das Seelenheil ſo verkennen!
Er ſollte verſöhnen, und er theilt. (Vor einigen Monaten warfen ſie ihm
vor er wolle mit ihnen nicht theilen!) Die Religion ſollte die Unterdrückten
tröſten, und „ihr erſter Diener iſt der erſte Unterdrücker.“ Eine Verſöhnung
zwiſchen dem Alten und dem Neuen, heißt es ferner, iſt unmöglich: alle La-
moricière und Corcelles der Welt können das Papſithum nicht mehr vor dem
Sturz in den Abgrund retten, an deſſen Rand es ſteht. Der Idee dieſer
Leute nach iſt binnen wenigen Monaten alles zu Ende, und auf dem Capitol
wird Victor Emmanuel als Imperator proclamirt. Frankreichs Neid macht
ihnen ſchon keine Sorge mehr. Die „italieniſche“ Regierung, ſagen ſie, iſt
bereits mit der kaiſerlichen in fortſchreitender Unterhandlung in Betreff der
förmlichen Anerkennung ihres neuen Beſitzes in Mittelitalien — alles übrige
wird ſodann aus demſelben Princip und nach demſelben Recht ſich folgern.
Es iſt jedenfalls von Intereſſe den Ideengang der Partei, welche eingeſtan-
denermaßen das Programm des Grafen v. Cavour auf ihre Fahne geſchrieben,
und deſſen Durchführung ihren Mitgliedern und Candidaten zur Pflicht ge-
macht hat, ſich klar zu vergegenwärtigen, um ſo mehr als es demſelben nicht
an Conſequenz fehlt, und die Erfolge ſelbſt kühne Phantaſieflüge zu rechtfer-
tigen ſcheinen.
Die deutſche Bewegung in Belgien.
* Brüſſel, 1 Jun.Das unbeſtreitbare Erwachen des deutſchen
Volksgefühls wird in ſchlagender Weiſe durch die geiſtige Bewegung beſtätigt
welche ſelbſt die deutſchen Stämme zu erfaſſen beginnt, die in einem Deutſch-
land nicht unmittelbar angehörenden Staatsverbande ſich befinden. In Bel-
gien haben die Niederdeutſchen, wie der „Pangermane“ davon ein redend
Zeugniß gibt, die unſerem großen Vaterlande wie dem deutſchen Volke drohende
Gefahr faſt eben ſo ſehr empfunden als wir ſelbſt. Die Napoleoniſchen Ge-
lüſte und das Princip des zweiten Decembers ſich ſtets als Vertreter der unter-
drückten Nationalitäten zu gebärden, haben namentlich auch die Niederdeutſchen
in Belgien veranlaßt ſtatiſtiſche Unterſuchungen über die Stellung der
Wallonen zu den Vlamingen in Belgien anzuſtellen. Der „Pangermane“
bringt darüber folgende intereſſante Zuſammenſtellung:
Statiſtik der niederdeutſchen und walloniſchen Staatsbeamten in Belgien.
Während ungefähr drei Fünftel der Bevölkerung Belgiens Niederdeutſche
ſind, finden wir:
*)
**)
In der Claſſe der ſchönen Wiſſenſchaften der k. Akademie gibt es nur
6 Niederdeutſche; aber in der Claſſe der ſchönen Künſte gibt es 16 Nieder-
deutſche, und nur 7 Wallonen, unter den wirkenden Mitgliedern.
Totalſumme.
3715.
Leopolds-Orden.
Niederdeutſche.
1217.
Wallonen.
2498.
Fremde mit dem Leopolds-Orden beehrt: Franzoſen 960; Engländer 36;
Nord-Niederländer und Luxemburger 57; Oeſterreicher 122; ſonſtige Deutſche
142; Preußen 100. Man bemerkt alſo 960 für Frankreich, und nur 457
für alle anderen Nationen.
Da auf 2,700,000 Flamländer nur 1,800,000 Wallonen kommen, ſo
können die Wallonen jedenfalls nicht die Haltung und Stellung einer unter-
drückten Nationalität annehmen. Immerhin wäre es aber wünſchens-
werth daß der „Pangermane“ jetzt weniger in dieſer Richtung thätig wäre,
denn daraus könnte eine für Belgien gegenwärtig ſicher nicht ſegensreiche
Spannung zwiſchen den beiden Elementen hervorgehen. Viel werthvoller
wär’ es wenn der „Pangermane“ ſeine Thätigkeit dem Verſöhnen zuwendete,
und nächſtdem den engeren Anſchluß der Vlamingen an Deutſchland ver-
*) Der Anſchluß von ganz Ligurien bietet Napoleon einen Erſatz.
*) Bezeichnete verſtehen kein Niederdeutſch.
**) Fehlen Beamte.
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(2022-02-11T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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