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Allgemeine Zeitung, Nr. 13, 13. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] erfüllt ist und gegen das neue Dogma und die sonstige Entartung derselben haupt-
sächlich eifert, weil er erkennt daß daraus das größte Unheil der Kirche selbst er-
wachsen wird. "Sehe ich -- sagt er unter anderm -- nur einen einzigen
Menschen welcher der Kirche durch dieses Dogma gewonnen würde, so wollte ich
den Versuch machen es auch zu glauben! Aber wie viele Tausende, Millionen
werden der Kirche verloren und zu Grunde gehen! O ich könnte Ihnen schon Bei-
spiele von meinen Pfarrkindern, schlichten, gewöhnlichen Landleuten, sagen, deren
Glaube wie durch einen Mehlthau vergiftet wurde. Aber die Herrschsucht, die
Herrschsucht! Gewisse Leute müssen meinen mit jenem Dogma den Lauf der Welt
einhalten, die Pole bewegen, mit der göttlichen Eigenschaft die sie auf einen Men-
schen herabdecretiren, Gott selbst nach ihrem Wollen und Wünschen leiten zu können.
Welche Verblendung! Die Sonne geht noch an derselben Stelle auf und unter,
die Flüsse werden nach wie vor dem Meere zulaufen, auch wenn die Unfehlbarkeit
zum Glaubensartikel erhoben sein wird. Aber wer weiß wozu es gut ist! Gott
scheint es zuzulassen und hat seine weisen Absicht en dabei, und darum muß es gut
sein. Vielleicht erhebt sich die Kirche wieder aus diesem Chaos in welches eine ge-
wissenlose Partei sie stürzt, die in ihrem Uebermuth nach den Wolken greift. Sie
wird wie der Phönix aus der Asche abgelebter Formen sich verjüngen und in neuem
Glanze strahlen und den Völkern Heil und Segen bringen, indem sie den verän-
derten Zeitverhältnissen Rechnung tragen und sich nach den Bedürfnissen der
Menschheit richten wird."

An einer anderen Stelle spricht sich derselbe Priester über die Bedingungen
aus welche die Kirche erfüllen müßte wenn sie eine solche Wiedergeburt erleben
sollte. Er fordert hier unter anderm eine gesetzlich geordnete Mitwirkung der Laien-
welt bei der Leitung und Regelung der kirchlichen Angelegenheiten, eine Beschnei-
dung der allzu fetten und Aufbesserung der allzu magern Pfründen, sowie über-
haupt Herstellung eines richtigen Verhältnisses zwischen der höheren und der niedern
Geistlichkeit behufs einer Beseitigung der jetzt im Klerus herrschenden Stellen-
jägerei, ferner eine Aufhebung der Stolgebühren und des ganzen an die Ausübung
der gottesdienstlichen Handlungen sich knüpfenden Aussaugungssystems, eine radi-
cale Neform der geistlichen Convicte, Seminarien, Alumnate und sonstigen Er-
ziehungsanstalten im Sinne wahrer Wissenschaft und echt christlicher, nicht bloß ge-
heuchelter Religiosität, selbstverständlich mit gänzlicher Entfernung des jesuitischen,
nur die Wiederherstellung einer allmächtigen Hierarchie und möglichste Verdum-
mung des Volkes zum Ziele habenden Einflusses, ferner die Befreiung des Priester-
thums von dem eben so unnatürlichen wie sittenverderblichen Zwange des Cölibats
u. s. w. Hat er auch bei allen Forderungen zunächst und vorzugsweise das Heil
der Kirche selbst im Auge, so ist er doch zugleich mit warmer Liebe zum deutschen
Vaterland erfüllt, zollt der Staatsgewalt und den ihr zustehenden Rechten die un-
bedingteste Anerkennung, begrüßt die deutschen Siege über den insgeheim mit Rom
verbündeten Erbfeind und die Wiederherstellung eines einigen und mächtigen Deut-
schen Reichs mit enthusiastischer Freude, erblickt selbst im Untergang der weltlichen
Herrschaft des Papstes ein der Kirche mehr zum Heil als Unheil gereichendes Er-
eigniß, und verwirft auf das entschiedenste alle die Machinationen und Agitationen
durch welche sich die römische Hierarchie ihre alte Herrschaft auch über die Staaten
und Völker wieder erringen möchte. Er steht daher auch entschieden auf Seiten
derjenigen Anschauung die in dem Unfehlbarkeitsdogma eine nicht nur mit Ver-
nunft und Wissenschaft, sowie mit den bisherigen Glaubenssatzungen der Kirche im
Widerspruch stehende, sondern zugleich für den gesammten Culturstaat höchst ge-
fährliche, ja geflissentlich auf dessen Knechtung oder Ruin ausgehende Lehre erblickt,
und sieht in den Versicherungen der Bischöfe, die dieß in Abrede stellen möchten,
nichts als scheinheilige Bemäntelungen des wirklichen, ihnen selbst nur zu wohl be-
kannten Sachverhalts. Als man ihm selbst die dem Papste beizulastende Unfehl-
barkeit in unschuldigem Lichte darzustellen sucht, weil sie ja keine absolute, sondern
nur eine bedingte sei, und nur für solche Aussprüche gültig sein solle die er ex ca-
thedra
verkündige, erwiedert er z. B.: "Kommen Sie mir auch mit diesem Firle-
fanz? Soll ich Ihnen sagen was ich von dieser Unterscheidung halte? Es ist ein
Nothloch für die Füchse, eine Falle für die Dummheit, eine Hinterthür für die-
jenigen die gläubig sind, aber dabei denken, ein Sandhaufen, worein Strauße ihren
Kopf stecken können, wenn sie von Zweifeln gejagt werden. Weiter sage ich nichts!"

Und dem entsprechend erklärt er auch die Restriction des Dogma's auf das Gebiet
des Glaubens und der Sitten für eine bloße Zwickmühle, indem er fragt, wer
denn hier dem Papst eine Gränze ziehen könne wenn er auf Grund seiner Unfehl-
barkeit behaupte: allein darüber entscheiden zu können was in das Gebiet des
Glaubens und der Sitten gehöre, und ob denn nicht der Papst bereits durch den
Syllabus und durch sein Verhalten der österreichischen Verfassung gegenüber be-
wiesen habe was er alles in dieses Gebiet zu ziehen nur allzu geneigt sei?

Man wird hieraus erkennen daß das Buch durchaus im Geiste der Freiheit
und Wahrheit, der echten Religiosität und Vaterlandsliebe geschrieben ist, und es
steht daher nur zu wünschen daß es in denjenigen Kreisen für die es mit seiner
populären Behandlung der einschlägigen Fragen insonderheit bestimmt ist, nament-
lich im Bereich der diesem Kampfe noch immer etwas problematisch gegenüberstehen-
den Frauenwelt, eine recht weite Verbreitung und Veherzigung finden möge.



Pompei und seine Wandinschriften.
II.

* Alles Niedergeschriebene erscheint wesentlich von doppelter Art. Entweder
ist es durch keine ihm anhaftende Bedingung in seinem Umlauf unter den Menschen
gehindert -- wir nennen es Buch oder Brief, je nachdem es auf die Theilnahme
Einzelner oder die allgemeine berechnet ist -- oder es gehört einem bestimmten
Orte fest an, und meistens auch durch eine innere Beziehung zu ihm; dann nennen
wir es Inschrift. Eine Abzweigung der Inschrift ist die Aufschrift auf beweglichen
Gegenständen. Diese erniedrigt sich einerseits zum Stempelzeichen, andrerseits,
indem ihr Träger mehr zu ihrem Schmuck als sie zu seiner Erläuterung dient,
nähert sie sich der erstgenannten Classe an. Mit diesen äußerlichen Umstän den
hängt nicht nur die Wahl des Stoffes auf welchem und desjenigen mit welchem
[Spaltenumbruch] geschrieben wird, sondern auch die Form und der Gehalt des Niedergeschriebenen zu-
sammen, aber keineswegs vermittelst zwingender No thwendigkeit.

Unter den Inschriften heben sich die eigentlichen Inschriften hervor, die
Denkmäler, welche das Andenken an eine Sache oder eine Person, an ein Ereig-
niß oder eine Verordnung erhalten sollen. Unter allen Völkern haben sich die
Römer die Meisterschaft in der inschriftlichen Darstellung erworben. Nicht nur daß
sie den Theil der Welt der ihrer Herrschaft unterworfen war mit Inschriften be-
säeten, daß sie, soweit nur die Standarten ihrer Legionen vorwärts drangen, stei-
nerne Zeugnisse ihrer Gegenwart aufrichteten; sie erhoben auch die Kunst In-
schriften abzufassen zur höchsten Vollkommenheit -- das Rednerische und Ruhmredige
vereinigte sich mit der scharfen Kürze, welche auch der römischen Rechtsformel eigen
ist, zum Lapidarstyle; dieser ist eine römische Schöpfung. Die Freude am ein-
gegrabenen Buchstaben ist in Italien, besonders in Rom, bis heute lebendig geblie-
ben; die Abfassung von Inschriften bildet ein eigenes Gebiet schriftstellerischer
Thätigkeit, und wer hier an Geschmack und Gewandtheit andere zu überragen
meint, beglückt wohl, unsern Hochzeits- und Geburtstagsdichtern nicht unähnlich,
Freunde und Menschheit mit den im Druck gesammelten Früchten seiner epigra-
phischen Muse. Unser Norden zeigt sich wenig inschriftenlustig; nur der Grab-
schriften kann die fromme Anhänglichkeit an die Todten nicht entrathen, wiewohl
sie meist darauf verzichtet ihnen den Charakter öffentlicher und unvergänglicher
Denkmäler zu verleihen. Wo aber unter Deutschen der Katholicismus herrscht,
da begegnen wir einem weit regern Inschriftensinn, den mit manchem andern Stücke
Römerthums die Kirche herüber verpflanzte.

Um diesen Kern von disciplinirten und uniformirten Inschriften herum lagert
sich unübersehbar ein zuchtloser und buntscheckiger Troß. Jene paradiren vor dem
Leser; sie schreiben ihm vor was er sich denken soll. Diese genügen schon ihrem
Verfasser; sie verkörpern unmittelbar das was er selbst denkt, und er bedarf keines
Stylisten und keines Steinmetzen zur Vermittlung. Doch welch ungeheurer
Abstand wiederum zwischen den Buchstaben die der Schulknabe in die Tafel
schnitzt während die Erzählung von Alexanders des Großen Thaten wie ein dum-
pfer Lärm an sein Ohr schlägt, und dem "Ueber allen Gipfeln ist Ruh'," welches
der Dichter wie eine Beschwörung innerlicher Stürme auf die Bretterwand der
Waldhütte aufzeichnet. Dort der unterste und einfachste Gedanke, der des Ichs,
oder kaum dieser; denn die Wurzel des Triebes ruht im Reiche des Unbewußten.
Auf einem angebornen Bedürfniß ist die stetige Gewohnheit begründet die Gedan-
ken zur sinnlichen Darstellung zu bringen, und daraus entspringt dann und wann
das neue Bedürfniß die Mittel dieser Darstellung ohne jeden Zweck in Wirksam-
keit zu setzen, sich der Sprache und der Schrift ganz mechanisch zu bedienen. Die
unsichtbare Luft, der zerhauende Schnee, der verwehende Sand verschlingen un-
zählige solcher gedankenlosen Schreibübungen, die sich auf festerm Stoff in be-
wußte zu verwandeln pflegen. Am häufigsten wird der eigene Name nieder-
geschrieben; zunächst keineswegs für die Augen anderer, vor denen er sich oft gerade-
zu versteckt, für die er oft, bloß durch die Anfangsbuchstaben angedeutet, ein Räthsel
bleibt. Wir lieben es uns in den Zeichen welche unsere Person bedeuten träu-
merisch zu bespiegeln, und wir glauben durch sie eine besondere Beziehung zwischen
uns und den Dingen oder Orten herzustellen. Diesen Verewigungen widmet
R. Töpffer in seinen Nouveaux voyages en Zig-Zag einige angenehme und tref-
fende Betrachtungen. Besonders deutlich nehmen wir dieses Selbstgenügen wahr
wo der Gedanke des Ichs in dem Gedanken an das andere Ich aufgeht, wenn
etwa der einsame Spaziergänger die Buchstaben seines Sehnsuchtslautes mit kräf-
tigen Messerschnitten dem verschwiegenen Busen einer Buche oder einer Tanne an-
vertraut, unbekümmert darum wie bald diese schlanken tiefen Züge, in welche sich
statt des seinigen das Herzblut des Baumes ergießt, verknorren und verwachsen
werden. "Ich schnitt es gern in alle Rinden ein, ich grüb' es gern in jeden Kiesel-
stein," singt der Liebende, nicht um andere sein Glück wissen zu lassen, sondern
weil er es irgendwie ausströmen muß. Aber dieser naive Standpunkt wird über-
wunden. Das Gefühl gelesen zu werden steigert sich zum Wunsche; der Wunsch
wird der einzige Antrieb. An Orten z. B. die der Ruhm geweiht hat, oder deren
Besuch mit besonderer Anstrengung oder gar mit Gefahr verknüpft ist, verkündet
der geschriebene Name: "Auch ich war hier." Die Krone dieser Inschriften sind
die an irgendeinem schwer zugänglichen, aber weithin sichtbaren Felsblock ange-
pinselten, die "Kieselacks;" nichts kann weiter von jenen gemüthvollen Baumin-
schriften entfernt sein als sie, dafür sehen sie den monumentalen Inschriften zum
Verwechseln ähnlich. Diesen Gegenstand, der zwar mit vollstem Recht ein trivialer
zu heißen verdient, aber weder des Reizes noch der Bedeutung ermangelt, müssen
wir hier abbrechen; denn er ist unbegränzt. Die Inschriften aus freier Hand kön-
nen alles mögliche enthalten, sich in jedes mögliche Gewand kleiden, von jeder
möglichen Willensrichtung eingegeben sein. Zuweilen werden solche Gewächse, die
wild nur auf lebendigem und todtem Holz, auf Kalk und Stein vorkommen, auf
einem eigentlich fremdartigen Boden und in einer gewissen Ordnung angepflanzt;
daselbst schießen sie höher empor, ohne ihre Natur wesentlich zu veredeln; man
nennt diese Blumengärten Fremdenbücher.

Die eben besprochene Gattung von Inschriften dürfen wir aller Orten und
zu allen Zeiten erwarten, wo und wann immer das Schreiben den Windeln einer
mühsam geübten Kunst entwachsen ist. Ihr Vorkommen bei Griechen und Römern
läßt sich aus zahlreichen Schriftsteller-Zeugnissen ermessen; überdieß sind uns nicht
unbeträchtliche Proben aus dem Alterthum übrig geblieben. Unter diesen sei, als
einer besonderen Abtheilung, der [fremdsprachliches Material - 1 Wort fehlt], der Andachtsinschriften, im Vorbei-
gehen Erwähnung gethan. Wir begegnen solchen in dem Neptunstempel auf dem
Vorgebirge von Santorin und anderswo in Griechenland, in den Bergen Aegyp-
tens und Nubiens, auch auf "Sina's gluthgeborstnen Höh'n;" doch rühren die
hier befindlichen zum größten Theil von christlichen Pilgern her. Z. B. lautet ein
griechisches [fremdsprachliches Material - 1 Wort fehlt] von der Insel Philai in Aegypten: "Ich, Sarapion, der
Sohn des Aristomachos, komme zur großen Göttin Isis auf Philai, meiner Eltern
zu ihrem Heile gedenkend." Etwas weniger andächtig mochten jene Inschriften
gewesen sein welche, Plinius dem Jüngeren zufolge, die Quelle und den Gott
Clitumnus auf allen Säulen und Wänden feierten. Indessen dürfen wir keines-
wegs glauben daß die epigraphischen Leistungen von Liebhabern sich auf gewisse

[Spaltenumbruch] erfüllt iſt und gegen das neue Dogma und die ſonſtige Entartung derſelben haupt-
ſächlich eifert, weil er erkennt daß daraus das größte Unheil der Kirche ſelbſt er-
wachſen wird. „Sehe ich — ſagt er unter anderm — nur einen einzigen
Menſchen welcher der Kirche durch dieſes Dogma gewonnen würde, ſo wollte ich
den Verſuch machen es auch zu glauben! Aber wie viele Tauſende, Millionen
werden der Kirche verloren und zu Grunde gehen! O ich könnte Ihnen ſchon Bei-
ſpiele von meinen Pfarrkindern, ſchlichten, gewöhnlichen Landleuten, ſagen, deren
Glaube wie durch einen Mehlthau vergiftet wurde. Aber die Herrſchſucht, die
Herrſchſucht! Gewiſſe Leute müſſen meinen mit jenem Dogma den Lauf der Welt
einhalten, die Pole bewegen, mit der göttlichen Eigenſchaft die ſie auf einen Men-
ſchen herabdecretiren, Gott ſelbſt nach ihrem Wollen und Wünſchen leiten zu können.
Welche Verblendung! Die Sonne geht noch an derſelben Stelle auf und unter,
die Flüſſe werden nach wie vor dem Meere zulaufen, auch wenn die Unfehlbarkeit
zum Glaubensartikel erhoben ſein wird. Aber wer weiß wozu es gut iſt! Gott
ſcheint es zuzulaſſen und hat ſeine weiſen Abſicht en dabei, und darum muß es gut
ſein. Vielleicht erhebt ſich die Kirche wieder aus dieſem Chaos in welches eine ge-
wiſſenloſe Partei ſie ſtürzt, die in ihrem Uebermuth nach den Wolken greift. Sie
wird wie der Phönix aus der Aſche abgelebter Formen ſich verjüngen und in neuem
Glanze ſtrahlen und den Völkern Heil und Segen bringen, indem ſie den verän-
derten Zeitverhältniſſen Rechnung tragen und ſich nach den Bedürfniſſen der
Menſchheit richten wird.“

An einer anderen Stelle ſpricht ſich derſelbe Prieſter über die Bedingungen
aus welche die Kirche erfüllen müßte wenn ſie eine ſolche Wiedergeburt erleben
ſollte. Er fordert hier unter anderm eine geſetzlich geordnete Mitwirkung der Laien-
welt bei der Leitung und Regelung der kirchlichen Angelegenheiten, eine Beſchnei-
dung der allzu fetten und Aufbeſſerung der allzu magern Pfründen, ſowie über-
haupt Herſtellung eines richtigen Verhältniſſes zwiſchen der höheren und der niedern
Geiſtlichkeit behufs einer Beſeitigung der jetzt im Klerus herrſchenden Stellen-
jägerei, ferner eine Aufhebung der Stolgebühren und des ganzen an die Ausübung
der gottesdienſtlichen Handlungen ſich knüpfenden Ausſaugungsſyſtems, eine radi-
cale Neform der geiſtlichen Convicte, Seminarien, Alumnate und ſonſtigen Er-
ziehungsanſtalten im Sinne wahrer Wiſſenſchaft und echt chriſtlicher, nicht bloß ge-
heuchelter Religioſität, ſelbſtverſtändlich mit gänzlicher Entfernung des jeſuitiſchen,
nur die Wiederherſtellung einer allmächtigen Hierarchie und möglichſte Verdum-
mung des Volkes zum Ziele habenden Einfluſſes, ferner die Befreiung des Prieſter-
thums von dem eben ſo unnatürlichen wie ſittenverderblichen Zwange des Cölibats
u. ſ. w. Hat er auch bei allen Forderungen zunächſt und vorzugsweiſe das Heil
der Kirche ſelbſt im Auge, ſo iſt er doch zugleich mit warmer Liebe zum deutſchen
Vaterland erfüllt, zollt der Staatsgewalt und den ihr zuſtehenden Rechten die un-
bedingteſte Anerkennung, begrüßt die deutſchen Siege über den insgeheim mit Rom
verbündeten Erbfeind und die Wiederherſtellung eines einigen und mächtigen Deut-
ſchen Reichs mit enthuſiaſtiſcher Freude, erblickt ſelbſt im Untergang der weltlichen
Herrſchaft des Papſtes ein der Kirche mehr zum Heil als Unheil gereichendes Er-
eigniß, und verwirft auf das entſchiedenſte alle die Machinationen und Agitationen
durch welche ſich die römiſche Hierarchie ihre alte Herrſchaft auch über die Staaten
und Völker wieder erringen möchte. Er ſteht daher auch entſchieden auf Seiten
derjenigen Anſchauung die in dem Unfehlbarkeitsdogma eine nicht nur mit Ver-
nunft und Wiſſenſchaft, ſowie mit den bisherigen Glaubensſatzungen der Kirche im
Widerſpruch ſtehende, ſondern zugleich für den geſammten Culturſtaat höchſt ge-
fährliche, ja gefliſſentlich auf deſſen Knechtung oder Ruin ausgehende Lehre erblickt,
und ſieht in den Verſicherungen der Biſchöfe, die dieß in Abrede ſtellen möchten,
nichts als ſcheinheilige Bemäntelungen des wirklichen, ihnen ſelbſt nur zu wohl be-
kannten Sachverhalts. Als man ihm ſelbſt die dem Papſte beizulaſtende Unfehl-
barkeit in unſchuldigem Lichte darzuſtellen ſucht, weil ſie ja keine abſolute, ſondern
nur eine bedingte ſei, und nur für ſolche Ausſprüche gültig ſein ſolle die er ex ca-
thedra
verkündige, erwiedert er z. B.: „Kommen Sie mir auch mit dieſem Firle-
fanz? Soll ich Ihnen ſagen was ich von dieſer Unterſcheidung halte? Es iſt ein
Nothloch für die Füchſe, eine Falle für die Dummheit, eine Hinterthür für die-
jenigen die gläubig ſind, aber dabei denken, ein Sandhaufen, worein Strauße ihren
Kopf ſtecken können, wenn ſie von Zweifeln gejagt werden. Weiter ſage ich nichts!“

Und dem entſprechend erklärt er auch die Reſtriction des Dogma’s auf das Gebiet
des Glaubens und der Sitten für eine bloße Zwickmühle, indem er fragt, wer
denn hier dem Papſt eine Gränze ziehen könne wenn er auf Grund ſeiner Unfehl-
barkeit behaupte: allein darüber entſcheiden zu können was in das Gebiet des
Glaubens und der Sitten gehöre, und ob denn nicht der Papſt bereits durch den
Syllabus und durch ſein Verhalten der öſterreichiſchen Verfaſſung gegenüber be-
wieſen habe was er alles in dieſes Gebiet zu ziehen nur allzu geneigt ſei?

Man wird hieraus erkennen daß das Buch durchaus im Geiſte der Freiheit
und Wahrheit, der echten Religioſität und Vaterlandsliebe geſchrieben iſt, und es
ſteht daher nur zu wünſchen daß es in denjenigen Kreiſen für die es mit ſeiner
populären Behandlung der einſchlägigen Fragen inſonderheit beſtimmt iſt, nament-
lich im Bereich der dieſem Kampfe noch immer etwas problematiſch gegenüberſtehen-
den Frauenwelt, eine recht weite Verbreitung und Veherzigung finden möge.



Pompeï und ſeine Wandinſchriften.
II.

* Alles Niedergeſchriebene erſcheint weſentlich von doppelter Art. Entweder
iſt es durch keine ihm anhaftende Bedingung in ſeinem Umlauf unter den Menſchen
gehindert — wir nennen es Buch oder Brief, je nachdem es auf die Theilnahme
Einzelner oder die allgemeine berechnet iſt — oder es gehört einem beſtimmten
Orte feſt an, und meiſtens auch durch eine innere Beziehung zu ihm; dann nennen
wir es Inſchrift. Eine Abzweigung der Inſchrift iſt die Aufſchrift auf beweglichen
Gegenſtänden. Dieſe erniedrigt ſich einerſeits zum Stempelzeichen, andrerſeits,
indem ihr Träger mehr zu ihrem Schmuck als ſie zu ſeiner Erläuterung dient,
nähert ſie ſich der erſtgenannten Claſſe an. Mit dieſen äußerlichen Umſtän den
hängt nicht nur die Wahl des Stoffes auf welchem und desjenigen mit welchem
[Spaltenumbruch] geſchrieben wird, ſondern auch die Form und der Gehalt des Niedergeſchriebenen zu-
ſammen, aber keineswegs vermittelſt zwingender No thwendigkeit.

Unter den Inſchriften heben ſich die eigentlichen Inſchriften hervor, die
Denkmäler, welche das Andenken an eine Sache oder eine Perſon, an ein Ereig-
niß oder eine Verordnung erhalten ſollen. Unter allen Völkern haben ſich die
Römer die Meiſterſchaft in der inſchriftlichen Darſtellung erworben. Nicht nur daß
ſie den Theil der Welt der ihrer Herrſchaft unterworfen war mit Inſchriften be-
ſäeten, daß ſie, ſoweit nur die Standarten ihrer Legionen vorwärts drangen, ſtei-
nerne Zeugniſſe ihrer Gegenwart aufrichteten; ſie erhoben auch die Kunſt In-
ſchriften abzufaſſen zur höchſten Vollkommenheit — das Redneriſche und Ruhmredige
vereinigte ſich mit der ſcharfen Kürze, welche auch der römiſchen Rechtsformel eigen
iſt, zum Lapidarſtyle; dieſer iſt eine römiſche Schöpfung. Die Freude am ein-
gegrabenen Buchſtaben iſt in Italien, beſonders in Rom, bis heute lebendig geblie-
ben; die Abfaſſung von Inſchriften bildet ein eigenes Gebiet ſchriftſtelleriſcher
Thätigkeit, und wer hier an Geſchmack und Gewandtheit andere zu überragen
meint, beglückt wohl, unſern Hochzeits- und Geburtstagsdichtern nicht unähnlich,
Freunde und Menſchheit mit den im Druck geſammelten Früchten ſeiner epigra-
phiſchen Muſe. Unſer Norden zeigt ſich wenig inſchriftenluſtig; nur der Grab-
ſchriften kann die fromme Anhänglichkeit an die Todten nicht entrathen, wiewohl
ſie meiſt darauf verzichtet ihnen den Charakter öffentlicher und unvergänglicher
Denkmäler zu verleihen. Wo aber unter Deutſchen der Katholicismus herrſcht,
da begegnen wir einem weit regern Inſchriftenſinn, den mit manchem andern Stücke
Römerthums die Kirche herüber verpflanzte.

Um dieſen Kern von diſciplinirten und uniformirten Inſchriften herum lagert
ſich unüberſehbar ein zuchtloſer und buntſcheckiger Troß. Jene paradiren vor dem
Leſer; ſie ſchreiben ihm vor was er ſich denken ſoll. Dieſe genügen ſchon ihrem
Verfaſſer; ſie verkörpern unmittelbar das was er ſelbſt denkt, und er bedarf keines
Styliſten und keines Steinmetzen zur Vermittlung. Doch welch ungeheurer
Abſtand wiederum zwiſchen den Buchſtaben die der Schulknabe in die Tafel
ſchnitzt während die Erzählung von Alexanders des Großen Thaten wie ein dum-
pfer Lärm an ſein Ohr ſchlägt, und dem „Ueber allen Gipfeln iſt Ruh’,“ welches
der Dichter wie eine Beſchwörung innerlicher Stürme auf die Bretterwand der
Waldhütte aufzeichnet. Dort der unterſte und einfachſte Gedanke, der des Ichs,
oder kaum dieſer; denn die Wurzel des Triebes ruht im Reiche des Unbewußten.
Auf einem angebornen Bedürfniß iſt die ſtetige Gewohnheit begründet die Gedan-
ken zur ſinnlichen Darſtellung zu bringen, und daraus entſpringt dann und wann
das neue Bedürfniß die Mittel dieſer Darſtellung ohne jeden Zweck in Wirkſam-
keit zu ſetzen, ſich der Sprache und der Schrift ganz mechaniſch zu bedienen. Die
unſichtbare Luft, der zerhauende Schnee, der verwehende Sand verſchlingen un-
zählige ſolcher gedankenloſen Schreibübungen, die ſich auf feſterm Stoff in be-
wußte zu verwandeln pflegen. Am häufigſten wird der eigene Name nieder-
geſchrieben; zunächſt keineswegs für die Augen anderer, vor denen er ſich oft gerade-
zu verſteckt, für die er oft, bloß durch die Anfangsbuchſtaben angedeutet, ein Räthſel
bleibt. Wir lieben es uns in den Zeichen welche unſere Perſon bedeuten träu-
meriſch zu beſpiegeln, und wir glauben durch ſie eine beſondere Beziehung zwiſchen
uns und den Dingen oder Orten herzuſtellen. Dieſen Verewigungen widmet
R. Töpffer in ſeinen Nouveaux voyages en Zig-Zag einige angenehme und tref-
fende Betrachtungen. Beſonders deutlich nehmen wir dieſes Selbſtgenügen wahr
wo der Gedanke des Ichs in dem Gedanken an das andere Ich aufgeht, wenn
etwa der einſame Spaziergänger die Buchſtaben ſeines Sehnſuchtslautes mit kräf-
tigen Meſſerſchnitten dem verſchwiegenen Buſen einer Buche oder einer Tanne an-
vertraut, unbekümmert darum wie bald dieſe ſchlanken tiefen Züge, in welche ſich
ſtatt des ſeinigen das Herzblut des Baumes ergießt, verknorren und verwachſen
werden. „Ich ſchnitt es gern in alle Rinden ein, ich grüb’ es gern in jeden Kieſel-
ſtein,“ ſingt der Liebende, nicht um andere ſein Glück wiſſen zu laſſen, ſondern
weil er es irgendwie ausſtrömen muß. Aber dieſer naive Standpunkt wird über-
wunden. Das Gefühl geleſen zu werden ſteigert ſich zum Wunſche; der Wunſch
wird der einzige Antrieb. An Orten z. B. die der Ruhm geweiht hat, oder deren
Beſuch mit beſonderer Anſtrengung oder gar mit Gefahr verknüpft iſt, verkündet
der geſchriebene Name: „Auch ich war hier.“ Die Krone dieſer Inſchriften ſind
die an irgendeinem ſchwer zugänglichen, aber weithin ſichtbaren Felsblock ange-
pinſelten, die „Kieſelacks;“ nichts kann weiter von jenen gemüthvollen Baumin-
ſchriften entfernt ſein als ſie, dafür ſehen ſie den monumentalen Inſchriften zum
Verwechſeln ähnlich. Dieſen Gegenſtand, der zwar mit vollſtem Recht ein trivialer
zu heißen verdient, aber weder des Reizes noch der Bedeutung ermangelt, müſſen
wir hier abbrechen; denn er iſt unbegränzt. Die Inſchriften aus freier Hand kön-
nen alles mögliche enthalten, ſich in jedes mögliche Gewand kleiden, von jeder
möglichen Willensrichtung eingegeben ſein. Zuweilen werden ſolche Gewächſe, die
wild nur auf lebendigem und todtem Holz, auf Kalk und Stein vorkommen, auf
einem eigentlich fremdartigen Boden und in einer gewiſſen Ordnung angepflanzt;
daſelbſt ſchießen ſie höher empor, ohne ihre Natur weſentlich zu veredeln; man
nennt dieſe Blumengärten Fremdenbücher.

Die eben beſprochene Gattung von Inſchriften dürfen wir aller Orten und
zu allen Zeiten erwarten, wo und wann immer das Schreiben den Windeln einer
mühſam geübten Kunſt entwachſen iſt. Ihr Vorkommen bei Griechen und Römern
läßt ſich aus zahlreichen Schriftſteller-Zeugniſſen ermeſſen; überdieß ſind uns nicht
unbeträchtliche Proben aus dem Alterthum übrig geblieben. Unter dieſen ſei, als
einer beſonderen Abtheilung, der [fremdsprachliches Material – 1 Wort fehlt], der Andachtsinſchriften, im Vorbei-
gehen Erwähnung gethan. Wir begegnen ſolchen in dem Neptunstempel auf dem
Vorgebirge von Santorin und anderswo in Griechenland, in den Bergen Aegyp-
tens und Nubiens, auch auf „Sina’s gluthgeborſtnen Höh’n;“ doch rühren die
hier befindlichen zum größten Theil von chriſtlichen Pilgern her. Z. B. lautet ein
griechiſches [fremdsprachliches Material – 1 Wort fehlt] von der Inſel Philai in Aegypten: „Ich, Sarapion, der
Sohn des Ariſtomachos, komme zur großen Göttin Iſis auf Philai, meiner Eltern
zu ihrem Heile gedenkend.“ Etwas weniger andächtig mochten jene Inſchriften
geweſen ſein welche, Plinius dem Jüngeren zufolge, die Quelle und den Gott
Clitumnus auf allen Säulen und Wänden feierten. Indeſſen dürfen wir keines-
wegs glauben daß die epigraphiſchen Leiſtungen von Liebhabern ſich auf gewiſſe

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wir es In&#x017F;chrift. Eine Abzweigung der In&#x017F;chrift i&#x017F;t die Auf&#x017F;chrift auf beweglichen<lb/>
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niß oder eine Verordnung erhalten &#x017F;ollen. Unter allen Völkern haben &#x017F;ich die<lb/>
Römer die Mei&#x017F;ter&#x017F;chaft in der in&#x017F;chriftlichen Dar&#x017F;tellung erworben. Nicht nur daß<lb/>
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&#x017F;chriften abzufa&#x017F;&#x017F;en zur höch&#x017F;ten Vollkommenheit &#x2014; das Redneri&#x017F;che und Ruhmredige<lb/>
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i&#x017F;t, zum Lapidar&#x017F;tyle; die&#x017F;er i&#x017F;t eine römi&#x017F;che Schöpfung. Die Freude am ein-<lb/>
gegrabenen Buch&#x017F;taben i&#x017F;t in Italien, be&#x017F;onders in Rom, bis heute lebendig geblie-<lb/>
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&#x017F;chriften kann die fromme Anhänglichkeit an die Todten nicht entrathen, wiewohl<lb/>
&#x017F;ie mei&#x017F;t darauf verzichtet ihnen den Charakter öffentlicher und unvergänglicher<lb/>
Denkmäler zu verleihen. Wo aber unter Deut&#x017F;chen der Katholicismus herr&#x017F;cht,<lb/>
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Römerthums die Kirche herüber verpflanzte.</p><lb/>
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&#x017F;ich unüber&#x017F;ehbar ein zuchtlo&#x017F;er und bunt&#x017F;checkiger Troß. Jene paradiren vor dem<lb/>
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Verfa&#x017F;&#x017F;er; &#x017F;ie verkörpern unmittelbar das was er &#x017F;elb&#x017F;t denkt, und er bedarf keines<lb/>
Styli&#x017F;ten und keines Steinmetzen zur Vermittlung. Doch welch ungeheurer<lb/>
Ab&#x017F;tand wiederum zwi&#x017F;chen den Buch&#x017F;taben die der Schulknabe in die Tafel<lb/>
&#x017F;chnitzt während die Erzählung von Alexanders des Großen Thaten wie ein dum-<lb/>
pfer Lärm an &#x017F;ein Ohr &#x017F;chlägt, und dem &#x201E;Ueber allen Gipfeln i&#x017F;t Ruh&#x2019;,&#x201C; welches<lb/>
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Auf einem angebornen Bedürfniß i&#x017F;t die &#x017F;tetige Gewohnheit begründet die Gedan-<lb/>
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keit zu &#x017F;etzen, &#x017F;ich der Sprache und der Schrift ganz mechani&#x017F;ch zu bedienen. Die<lb/>
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zählige &#x017F;olcher gedankenlo&#x017F;en Schreibübungen, die &#x017F;ich auf fe&#x017F;term Stoff in be-<lb/>
wußte zu verwandeln pflegen. Am häufig&#x017F;ten wird der eigene Name nieder-<lb/>
ge&#x017F;chrieben; zunäch&#x017F;t keineswegs für die Augen anderer, vor denen er &#x017F;ich oft gerade-<lb/>
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R. Töpffer in &#x017F;einen <hi rendition="#aq">Nouveaux voyages en Zig-Zag</hi> einige angenehme und tref-<lb/>
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&#x017F;tein,&#x201C; &#x017F;ingt der Liebende, nicht um andere &#x017F;ein Glück wi&#x017F;&#x017F;en zu la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern<lb/>
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[186/0010] erfüllt iſt und gegen das neue Dogma und die ſonſtige Entartung derſelben haupt- ſächlich eifert, weil er erkennt daß daraus das größte Unheil der Kirche ſelbſt er- wachſen wird. „Sehe ich — ſagt er unter anderm — nur einen einzigen Menſchen welcher der Kirche durch dieſes Dogma gewonnen würde, ſo wollte ich den Verſuch machen es auch zu glauben! Aber wie viele Tauſende, Millionen werden der Kirche verloren und zu Grunde gehen! O ich könnte Ihnen ſchon Bei- ſpiele von meinen Pfarrkindern, ſchlichten, gewöhnlichen Landleuten, ſagen, deren Glaube wie durch einen Mehlthau vergiftet wurde. Aber die Herrſchſucht, die Herrſchſucht! Gewiſſe Leute müſſen meinen mit jenem Dogma den Lauf der Welt einhalten, die Pole bewegen, mit der göttlichen Eigenſchaft die ſie auf einen Men- ſchen herabdecretiren, Gott ſelbſt nach ihrem Wollen und Wünſchen leiten zu können. Welche Verblendung! Die Sonne geht noch an derſelben Stelle auf und unter, die Flüſſe werden nach wie vor dem Meere zulaufen, auch wenn die Unfehlbarkeit zum Glaubensartikel erhoben ſein wird. Aber wer weiß wozu es gut iſt! Gott ſcheint es zuzulaſſen und hat ſeine weiſen Abſicht en dabei, und darum muß es gut ſein. Vielleicht erhebt ſich die Kirche wieder aus dieſem Chaos in welches eine ge- wiſſenloſe Partei ſie ſtürzt, die in ihrem Uebermuth nach den Wolken greift. Sie wird wie der Phönix aus der Aſche abgelebter Formen ſich verjüngen und in neuem Glanze ſtrahlen und den Völkern Heil und Segen bringen, indem ſie den verän- derten Zeitverhältniſſen Rechnung tragen und ſich nach den Bedürfniſſen der Menſchheit richten wird.“ An einer anderen Stelle ſpricht ſich derſelbe Prieſter über die Bedingungen aus welche die Kirche erfüllen müßte wenn ſie eine ſolche Wiedergeburt erleben ſollte. Er fordert hier unter anderm eine geſetzlich geordnete Mitwirkung der Laien- welt bei der Leitung und Regelung der kirchlichen Angelegenheiten, eine Beſchnei- dung der allzu fetten und Aufbeſſerung der allzu magern Pfründen, ſowie über- haupt Herſtellung eines richtigen Verhältniſſes zwiſchen der höheren und der niedern Geiſtlichkeit behufs einer Beſeitigung der jetzt im Klerus herrſchenden Stellen- jägerei, ferner eine Aufhebung der Stolgebühren und des ganzen an die Ausübung der gottesdienſtlichen Handlungen ſich knüpfenden Ausſaugungsſyſtems, eine radi- cale Neform der geiſtlichen Convicte, Seminarien, Alumnate und ſonſtigen Er- ziehungsanſtalten im Sinne wahrer Wiſſenſchaft und echt chriſtlicher, nicht bloß ge- heuchelter Religioſität, ſelbſtverſtändlich mit gänzlicher Entfernung des jeſuitiſchen, nur die Wiederherſtellung einer allmächtigen Hierarchie und möglichſte Verdum- mung des Volkes zum Ziele habenden Einfluſſes, ferner die Befreiung des Prieſter- thums von dem eben ſo unnatürlichen wie ſittenverderblichen Zwange des Cölibats u. ſ. w. Hat er auch bei allen Forderungen zunächſt und vorzugsweiſe das Heil der Kirche ſelbſt im Auge, ſo iſt er doch zugleich mit warmer Liebe zum deutſchen Vaterland erfüllt, zollt der Staatsgewalt und den ihr zuſtehenden Rechten die un- bedingteſte Anerkennung, begrüßt die deutſchen Siege über den insgeheim mit Rom verbündeten Erbfeind und die Wiederherſtellung eines einigen und mächtigen Deut- ſchen Reichs mit enthuſiaſtiſcher Freude, erblickt ſelbſt im Untergang der weltlichen Herrſchaft des Papſtes ein der Kirche mehr zum Heil als Unheil gereichendes Er- eigniß, und verwirft auf das entſchiedenſte alle die Machinationen und Agitationen durch welche ſich die römiſche Hierarchie ihre alte Herrſchaft auch über die Staaten und Völker wieder erringen möchte. Er ſteht daher auch entſchieden auf Seiten derjenigen Anſchauung die in dem Unfehlbarkeitsdogma eine nicht nur mit Ver- nunft und Wiſſenſchaft, ſowie mit den bisherigen Glaubensſatzungen der Kirche im Widerſpruch ſtehende, ſondern zugleich für den geſammten Culturſtaat höchſt ge- fährliche, ja gefliſſentlich auf deſſen Knechtung oder Ruin ausgehende Lehre erblickt, und ſieht in den Verſicherungen der Biſchöfe, die dieß in Abrede ſtellen möchten, nichts als ſcheinheilige Bemäntelungen des wirklichen, ihnen ſelbſt nur zu wohl be- kannten Sachverhalts. Als man ihm ſelbſt die dem Papſte beizulaſtende Unfehl- barkeit in unſchuldigem Lichte darzuſtellen ſucht, weil ſie ja keine abſolute, ſondern nur eine bedingte ſei, und nur für ſolche Ausſprüche gültig ſein ſolle die er ex ca- thedra verkündige, erwiedert er z. B.: „Kommen Sie mir auch mit dieſem Firle- fanz? Soll ich Ihnen ſagen was ich von dieſer Unterſcheidung halte? Es iſt ein Nothloch für die Füchſe, eine Falle für die Dummheit, eine Hinterthür für die- jenigen die gläubig ſind, aber dabei denken, ein Sandhaufen, worein Strauße ihren Kopf ſtecken können, wenn ſie von Zweifeln gejagt werden. Weiter ſage ich nichts!“ Und dem entſprechend erklärt er auch die Reſtriction des Dogma’s auf das Gebiet des Glaubens und der Sitten für eine bloße Zwickmühle, indem er fragt, wer denn hier dem Papſt eine Gränze ziehen könne wenn er auf Grund ſeiner Unfehl- barkeit behaupte: allein darüber entſcheiden zu können was in das Gebiet des Glaubens und der Sitten gehöre, und ob denn nicht der Papſt bereits durch den Syllabus und durch ſein Verhalten der öſterreichiſchen Verfaſſung gegenüber be- wieſen habe was er alles in dieſes Gebiet zu ziehen nur allzu geneigt ſei? Man wird hieraus erkennen daß das Buch durchaus im Geiſte der Freiheit und Wahrheit, der echten Religioſität und Vaterlandsliebe geſchrieben iſt, und es ſteht daher nur zu wünſchen daß es in denjenigen Kreiſen für die es mit ſeiner populären Behandlung der einſchlägigen Fragen inſonderheit beſtimmt iſt, nament- lich im Bereich der dieſem Kampfe noch immer etwas problematiſch gegenüberſtehen- den Frauenwelt, eine recht weite Verbreitung und Veherzigung finden möge. Pompeï und ſeine Wandinſchriften. II. * Alles Niedergeſchriebene erſcheint weſentlich von doppelter Art. Entweder iſt es durch keine ihm anhaftende Bedingung in ſeinem Umlauf unter den Menſchen gehindert — wir nennen es Buch oder Brief, je nachdem es auf die Theilnahme Einzelner oder die allgemeine berechnet iſt — oder es gehört einem beſtimmten Orte feſt an, und meiſtens auch durch eine innere Beziehung zu ihm; dann nennen wir es Inſchrift. Eine Abzweigung der Inſchrift iſt die Aufſchrift auf beweglichen Gegenſtänden. Dieſe erniedrigt ſich einerſeits zum Stempelzeichen, andrerſeits, indem ihr Träger mehr zu ihrem Schmuck als ſie zu ſeiner Erläuterung dient, nähert ſie ſich der erſtgenannten Claſſe an. Mit dieſen äußerlichen Umſtän den hängt nicht nur die Wahl des Stoffes auf welchem und desjenigen mit welchem geſchrieben wird, ſondern auch die Form und der Gehalt des Niedergeſchriebenen zu- ſammen, aber keineswegs vermittelſt zwingender No thwendigkeit. Unter den Inſchriften heben ſich die eigentlichen Inſchriften hervor, die Denkmäler, welche das Andenken an eine Sache oder eine Perſon, an ein Ereig- niß oder eine Verordnung erhalten ſollen. Unter allen Völkern haben ſich die Römer die Meiſterſchaft in der inſchriftlichen Darſtellung erworben. Nicht nur daß ſie den Theil der Welt der ihrer Herrſchaft unterworfen war mit Inſchriften be- ſäeten, daß ſie, ſoweit nur die Standarten ihrer Legionen vorwärts drangen, ſtei- nerne Zeugniſſe ihrer Gegenwart aufrichteten; ſie erhoben auch die Kunſt In- ſchriften abzufaſſen zur höchſten Vollkommenheit — das Redneriſche und Ruhmredige vereinigte ſich mit der ſcharfen Kürze, welche auch der römiſchen Rechtsformel eigen iſt, zum Lapidarſtyle; dieſer iſt eine römiſche Schöpfung. Die Freude am ein- gegrabenen Buchſtaben iſt in Italien, beſonders in Rom, bis heute lebendig geblie- ben; die Abfaſſung von Inſchriften bildet ein eigenes Gebiet ſchriftſtelleriſcher Thätigkeit, und wer hier an Geſchmack und Gewandtheit andere zu überragen meint, beglückt wohl, unſern Hochzeits- und Geburtstagsdichtern nicht unähnlich, Freunde und Menſchheit mit den im Druck geſammelten Früchten ſeiner epigra- phiſchen Muſe. Unſer Norden zeigt ſich wenig inſchriftenluſtig; nur der Grab- ſchriften kann die fromme Anhänglichkeit an die Todten nicht entrathen, wiewohl ſie meiſt darauf verzichtet ihnen den Charakter öffentlicher und unvergänglicher Denkmäler zu verleihen. Wo aber unter Deutſchen der Katholicismus herrſcht, da begegnen wir einem weit regern Inſchriftenſinn, den mit manchem andern Stücke Römerthums die Kirche herüber verpflanzte. Um dieſen Kern von diſciplinirten und uniformirten Inſchriften herum lagert ſich unüberſehbar ein zuchtloſer und buntſcheckiger Troß. Jene paradiren vor dem Leſer; ſie ſchreiben ihm vor was er ſich denken ſoll. Dieſe genügen ſchon ihrem Verfaſſer; ſie verkörpern unmittelbar das was er ſelbſt denkt, und er bedarf keines Styliſten und keines Steinmetzen zur Vermittlung. Doch welch ungeheurer Abſtand wiederum zwiſchen den Buchſtaben die der Schulknabe in die Tafel ſchnitzt während die Erzählung von Alexanders des Großen Thaten wie ein dum- pfer Lärm an ſein Ohr ſchlägt, und dem „Ueber allen Gipfeln iſt Ruh’,“ welches der Dichter wie eine Beſchwörung innerlicher Stürme auf die Bretterwand der Waldhütte aufzeichnet. Dort der unterſte und einfachſte Gedanke, der des Ichs, oder kaum dieſer; denn die Wurzel des Triebes ruht im Reiche des Unbewußten. Auf einem angebornen Bedürfniß iſt die ſtetige Gewohnheit begründet die Gedan- ken zur ſinnlichen Darſtellung zu bringen, und daraus entſpringt dann und wann das neue Bedürfniß die Mittel dieſer Darſtellung ohne jeden Zweck in Wirkſam- keit zu ſetzen, ſich der Sprache und der Schrift ganz mechaniſch zu bedienen. Die unſichtbare Luft, der zerhauende Schnee, der verwehende Sand verſchlingen un- zählige ſolcher gedankenloſen Schreibübungen, die ſich auf feſterm Stoff in be- wußte zu verwandeln pflegen. Am häufigſten wird der eigene Name nieder- geſchrieben; zunächſt keineswegs für die Augen anderer, vor denen er ſich oft gerade- zu verſteckt, für die er oft, bloß durch die Anfangsbuchſtaben angedeutet, ein Räthſel bleibt. Wir lieben es uns in den Zeichen welche unſere Perſon bedeuten träu- meriſch zu beſpiegeln, und wir glauben durch ſie eine beſondere Beziehung zwiſchen uns und den Dingen oder Orten herzuſtellen. Dieſen Verewigungen widmet R. Töpffer in ſeinen Nouveaux voyages en Zig-Zag einige angenehme und tref- fende Betrachtungen. Beſonders deutlich nehmen wir dieſes Selbſtgenügen wahr wo der Gedanke des Ichs in dem Gedanken an das andere Ich aufgeht, wenn etwa der einſame Spaziergänger die Buchſtaben ſeines Sehnſuchtslautes mit kräf- tigen Meſſerſchnitten dem verſchwiegenen Buſen einer Buche oder einer Tanne an- vertraut, unbekümmert darum wie bald dieſe ſchlanken tiefen Züge, in welche ſich ſtatt des ſeinigen das Herzblut des Baumes ergießt, verknorren und verwachſen werden. „Ich ſchnitt es gern in alle Rinden ein, ich grüb’ es gern in jeden Kieſel- ſtein,“ ſingt der Liebende, nicht um andere ſein Glück wiſſen zu laſſen, ſondern weil er es irgendwie ausſtrömen muß. Aber dieſer naive Standpunkt wird über- wunden. Das Gefühl geleſen zu werden ſteigert ſich zum Wunſche; der Wunſch wird der einzige Antrieb. An Orten z. B. die der Ruhm geweiht hat, oder deren Beſuch mit beſonderer Anſtrengung oder gar mit Gefahr verknüpft iſt, verkündet der geſchriebene Name: „Auch ich war hier.“ Die Krone dieſer Inſchriften ſind die an irgendeinem ſchwer zugänglichen, aber weithin ſichtbaren Felsblock ange- pinſelten, die „Kieſelacks;“ nichts kann weiter von jenen gemüthvollen Baumin- ſchriften entfernt ſein als ſie, dafür ſehen ſie den monumentalen Inſchriften zum Verwechſeln ähnlich. Dieſen Gegenſtand, der zwar mit vollſtem Recht ein trivialer zu heißen verdient, aber weder des Reizes noch der Bedeutung ermangelt, müſſen wir hier abbrechen; denn er iſt unbegränzt. Die Inſchriften aus freier Hand kön- nen alles mögliche enthalten, ſich in jedes mögliche Gewand kleiden, von jeder möglichen Willensrichtung eingegeben ſein. Zuweilen werden ſolche Gewächſe, die wild nur auf lebendigem und todtem Holz, auf Kalk und Stein vorkommen, auf einem eigentlich fremdartigen Boden und in einer gewiſſen Ordnung angepflanzt; daſelbſt ſchießen ſie höher empor, ohne ihre Natur weſentlich zu veredeln; man nennt dieſe Blumengärten Fremdenbücher. Die eben beſprochene Gattung von Inſchriften dürfen wir aller Orten und zu allen Zeiten erwarten, wo und wann immer das Schreiben den Windeln einer mühſam geübten Kunſt entwachſen iſt. Ihr Vorkommen bei Griechen und Römern läßt ſich aus zahlreichen Schriftſteller-Zeugniſſen ermeſſen; überdieß ſind uns nicht unbeträchtliche Proben aus dem Alterthum übrig geblieben. Unter dieſen ſei, als einer beſonderen Abtheilung, der _, der Andachtsinſchriften, im Vorbei- gehen Erwähnung gethan. Wir begegnen ſolchen in dem Neptunstempel auf dem Vorgebirge von Santorin und anderswo in Griechenland, in den Bergen Aegyp- tens und Nubiens, auch auf „Sina’s gluthgeborſtnen Höh’n;“ doch rühren die hier befindlichen zum größten Theil von chriſtlichen Pilgern her. Z. B. lautet ein griechiſches _ von der Inſel Philai in Aegypten: „Ich, Sarapion, der Sohn des Ariſtomachos, komme zur großen Göttin Iſis auf Philai, meiner Eltern zu ihrem Heile gedenkend.“ Etwas weniger andächtig mochten jene Inſchriften geweſen ſein welche, Plinius dem Jüngeren zufolge, die Quelle und den Gott Clitumnus auf allen Säulen und Wänden feierten. Indeſſen dürfen wir keines- wegs glauben daß die epigraphiſchen Leiſtungen von Liebhabern ſich auf gewiſſe

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 13, 13. Januar 1872, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine13_1872/10>, abgerufen am 22.11.2024.