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Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 12. Januar 1872.

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Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
Nr. 12. Freitag, 12 Januar 1872.

Correspondenzen sind an die Redaction, Inserate an die Expedition der Allgemeinen Zeitung franeo zu riehten. Insertionspreis nach aufliegendem Tarif.

Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen.

[Spaltenumbruch]

Uebersicht.

Pompei und seine Wandinschriften. (I.) -- Zur Geschichte der katholischen Re-
formbestrebungen. (II. Fra Andrea d'Altagene, ein Verfolgter unter Pius IX.
(Schluß.) -- Aus München.

Neueste Posten. München: Der Initiativantrag Barth-Schüttinger. An-
trag auf Abänderung des Preßgesetzes. Aus dem dritten Ausschuß der Reichs-
rathskammer. Berlin: Die Schulinspectionen. Proceßordnung. Das würt-
tembergische Detachement. Die Feldpost. Der Gehalt des Ministers für Lauen-
burg. Wahlen in Nordschleswig. Rom: Der Papst an die Pfarrer. Die Ver-
söhnung in der ministeriellen Presse. Neuer Stadttheil. Untersuchung gegen
General Medici. Mailand: Versammlung der Gewebefabricanten. New-
York:
Schlägerei in der Legislatur von Louisiana.


Telegraphische Berichte.

Kammer der Reichsräthe. Die neuen
Reichsräthe Pözl und Neuffer werden beeidigt. Der Minister des Innern legt
einen Gesetzentwurf über die Ergänzung des Pferdebedarfs fürs Heer analog den
im übrigen Deutschland hierüber bestehenden Gesetzen und zur Erfüllung einer
durch den Versailler Vertrag übernommenen Verpflichtung gegen das Reich vor.
Derselbe wird ohne Debatte einstimmig angenommen. Die Gesetzentwürfe über
die provisorische Erhebung der Steuern, die Aenderung der beiden Gemeinde-
Ordnungen und die Aenderung des Geschäftsgangs des Landtags, Gesuche um
Aufbesserung der Beamtengehalte werden bei der Budgetberathung erwogen wer-
den; der Finanzminister sagt eine baldige darauf bezügliche Vorlage zu. In den
Gesetzgebungsausschuß wurde Neumayr, in den Ausschuß für die Revision der
Geschäftsordnung werden Aretin, Schrenk, Hohenlohe gewählt. Nächste Sitzung
Samstag.

Der "Schw. Merkur" veröffentlicht folgendes
Berliner Telegramm: Der Kaiser verschob die Entscheidung im San Juan-
Streitfalle bis zur zweiten Replik Englands, welche binnen sechs Monaten, vom
17 Dec. des Vorjahrs an gerechnet, zu erfolgen hat.

Diese Depeschen aus dem Hauptblatt hier wiederholt.

Der Hochverrathsproceß vor dem Assisenhof
gegen die Socialdemokraten Wolf und Häuser aus Offenbach (Vertheidiger Dern-
burg) endigte heute mit Freisprechung.

Fürst Bismarck besuchte gestern Nachmittag den fran-
zösischen und den österreichischen Botschafter.

Die von der Commission des Herrenhauses angenom-
mene Adresse hebt die gesteigerte Zunahme des innern Unfriedens und der Schädi-
gung des Staatsgemeinwesens unter der früheren Regierung hervor; erklärt sich
bereit die im Reichsrathe geltend gemachten Wünsche der Einzelländer in Erwar-
tung einer dauernden Verständigung in eingehende Berathung zu nehmen; betont
die dringliche Nothwendigkeit, die Unabhängigkeit des Reichsrathes zu sichern; be-
grüßt freudig den angekündigten Gesetzentwurf, und spricht die Erwartung aus
daß zur Hebung der Landwirthschaft die financielle Leistungsfähigkeit der Steuerträger
nicht in gesteigertem Maß in Anspruch genommen, und die Steuerreform vollendet
werde.

Productenmarkt. (Schlußbericht.) Stimmung wegen
Marseille sehr flau. Tendenz: weichend, Preise nominell, prima ungarischer Weizen 36 bis
361/2 Ausstich 37--371/2.

Productenmarkt. (Schlußbericht.) Weizen matter, hiesiger loco 9,
fremder loco 8.71/2, per März 8.7, per Mai 8.9, per Juli 8.11. Roggen unverändert.
loco 6.71/2, per März 5.221/2, per Mai 5.27, per Juli 5.27.

Productenmarkt. (Schlußbericht.) Weizen höher,
auf Termine fest, ruhig, per Januar-Februar 160, per Febr.-März 163, per April-
Mai 166. Roggen loco fest, auf Termine fest, ruhig, per Januar-Februar 1121/2, per
Februar-März 113, April-Mai 115. Hafer ruhig. Gerste still.

Weitere telegraphische Curs- und Handelsberichte s. fünfte Seite.


Pompei und seine Wandinschriften.*)
I.

* Von den Gestaden des classischen Alterthums, die wir sonst nur aus wei-
ter Ferne sehnsüchtig betrachten, streckt sich uns eine freundliche Landzunge so nahe
entgegen, daß wir vermeinen sie mit den Händen zu greifen. Es ist Pompei. Zwar
vieles und schönes haben wir von Griechen und Römern überkommen. Aber fast
alles dieses war gleich anfangs mehr auf die Nach- als auf die Mitwelt berechnet;
ja nicht weniges auf jene allein: ruhmredige Zeugnisse von Haupt- und Staats-
actionen, riesige Auswüchse kindischer Eitelkeit, Denkmäler des Todes und nicht
des Lebens. Die Zeit, vom menschlichen Uebermuth herausgefordert, verschonte
nichts. Zu Pompei hingegen empfängt uns die Vergangenheit, nicht versteint und
verbeint, sondern lachenden Antlitzes im frischen Dufte der Jugend, nicht in der
Nachweltstoilette, der purpurverbrämten Toga, sondern im bescheidenen Alltags-
gewande, hie und da sogar im tiefsten Neglige. Sie verschmäht es durch die steife
Miene vornehmer Würde oder gar altväterischer Ehrbarkeit uns in gemessener Ent-
fernung zu halten; gleich einer liebenswürdigen Hausfrau bewirkt sie daß wir uns
sofort vertraut und behaglich fühlen. Mit Recht singt der Dichter:

Aber ein lockenumkräuselter Knab' wie der lachende Amor,
Thanatos, scheinst du mir hier in dem flimmernden Schutte Pompeji's.

[Spaltenumbruch]

An bedeutendes reiht sich hier geringes und geringstes, und unsere Einbildungs-
kraft braucht nicht, wie zu Rom, zwischen Tempeln und Mausoleen und Triumph-
bogen ihre Gespinnste zu ziehen, um die Stellen auszufüllen wo "das Volk" wohnte.
Gerade in dem Geringen und Geringsten birgt sich das eigentliche Pompei. Wäre
in tausend Jahren unsere neue Kaiserstadt mit Sand zugeweht, und auswärts jede
Kunde von ihr erloschen, würden wir dann nicht eher aus einer einzigen unver-
sehrten Litfaßsäule -- ex ungue leonem -- "Berlin, wie's weint und lacht," zu-
rückconstruiren als aus den Erzbildern vaterländischer Helden und den Gerippen
von Kirchen und Theatern? Mehr als auf allem einzelnen was uns geboten wird,
beruht Pompei's jugendlicher Reiz auf dem Zusammenhang in welchem es uns ge-
boten wird, wenn auch so vieles um der eigenen Erhaltung willen aus diesem Zu-
sammenhang herausgerissen worden ist. Durchmustern wir die im napoletanischen
Museum aufgespeicherten Schätze, wie bald ermüden wir! Hier werden wir zu
einem vergleichenden Studium von Venus-Statuen gedrängt, dort machen wir an
einer Reihe von Büsten einen Zwangscurs römischer Kaisergeschichte durch; von
Mosaiken übersättigt, stürzen wir uns in das mare magnum der Vasen; ge-
schnittene Steine und thönerne Lampen umringen uns in flimmerndem Reigen.
Leb- und leibhafte Fülle ist abgetödtet und zergliedert, eingetheilt und verzeichnet,
zu Nutz und Frommen dem Künstler und dem Gelehrten, aber dem nur Genießen-
den nicht zur Erbauung. Den zieht es nach Pompei, das ihm des Lebens glän-
zende Mischung credenzt, und von diesem Trank zu schlürfen wird er so leicht nicht
müde. Haben wir unsere Augen angestrengt um auf dem rothen Stuck die Krikelkrakel
eines pompejanischen Schuljungen zu entziffern, so lassen wir sie auf der anmuths-
vollen Gestalt der Tänzerin nebenan ausruhen; über den greifengetragenen Mar-
mortisch blicken wir hinweg zu dem Silen in der mosaik- und muschelverzierten
Brunnennische; von den Wagenrillen des Lavapflasters, die uns mit wunderlichen
Gedanken über pompejanische Fahrten erfüllen, empor zu einem sinnreichen Ge-
werbszeichen oder einem eindringlichen Wahlaufruf. Hüben ragt der dampfende
Vesuv, der uns diese Kostbarkeiten so sorgfältig verpackt hat; drüben, jenseits der
üppigen und belebten Sarno-Ebene, dehnt sich im bläulichen Scheine die Kette des
Monte Sant' Angelo; dort gar schimmert das herrliche Meer, dessen Götter und
Göttinnen auf diese Wände verzaubert sind, und droben wölbt sich der leuchtende
Himmel, der einst nur zwischen Dächern, Säulen und Laubwerk herniederschaute
und diesen Bildern das rechte Licht, den rechten Schatten zutheilte. Natur und
Menschenwerk klingen schön zusammen; und wir, die wir mitten darinnen stehen
wir erwärmen uns mehr und mehr, wir fühlen mit, wir pompejanisiren uns. Von
dem Gemälde um uns belebt, beleben wir es wiederum, indem wir die Lücken er-
gänzen und das Verblaßte auffrischen. Dabei tauchen wir getrost unsern Pinsel
in den Farbentopf der Gegenwart; denn die Zeit ist in diesem Paradiese nur zö-
gernden Schrittes gewandelt. Lassen wir uns durch all das Pusten, Stampfen
und Hämmern nicht beirren; das Alte fristet sich mit Zähigkeit nicht nur da wo
ein cicadenhaft eintöniger Gesang das Mais- oder Baumwollen-Aushülsen beglei-
tet, nein, auch in dem städtischen Getriebe von Castellamare und Neapel.

Freilich die Kunst des Alterthums ist erloschen. Die Hellenen Castellama-
re's haben sich heutzutage mit besserem zu beschäftigen als mit Karnießen und
Säulenordnungen. Aus den weißen, oben kissen- oder walzenförmig geschwellten
Häuserwürfeln, wie sie ringsumher ausgestreut liegen, ist es schlechterdings un-
möglich ein pompejanisches Urbild herauszudifteln. Nur eines, die außerordent-
liche Lichtersparniß, scheint ihnen aufgeerbt, und die viereckige, meist gegitterte Oeff-
nung über der Thüre, durch welche der Sonne immer der Eingang verstattet bleibt,
erinnert an das Taubenschlagfenster im Hause des Labyrinths. Und wie in der
pompejanischen Hauscapelle Lampenlicht das natürliche ersetzte, so muß es dem
nordischen Fremdling dienlich und erfreulich sein daß an gewissen Tagen das
Madonnenbild seiner Stube durch eine Oelflamme geehrt wird, wenn auch den
heiligen Strahlen gegen die Nereiden und Mänaden, welche seinen Schlaf beunruhi-
gen, keine Macht innewohnt. In den Straßenwinkeln ist die erleuchtete Madonna
oft die Nachfolgerin der zwölf Götter, um nachdrücklicher statt des einfachen Kreu-
zes und der beiden geringelten Schlangen den Vorübergehenden das "extra meite"
einzuschärfen. Diese Reinlichkeitsvorkehrung von zweifelhaftem Erfolge reicht
ziemlich weit nach Norden hinauf, ebenso wie die uns befremdlichere Nachbarschaft,
oft völlige Verschmelzung von Abort und Küche, von welcher uns schon Pompel
zahlreiche Beispiele bietet.

Vielfach hat sich an Geräthen, wie Lampen, Kohlenbecken, Glasflaschen, al-
terthümliche Bildung erhalten; auch das so auffallende Pferdegeschirr stammt ge-
wiß nicht von heut und gestern, und jene gefährlichen Gefährte Neapels auf
denen kunstgerecht je ein Duzend Menschen balancirt, sind vielleicht in dem seiltän-
zerberühmten Pompei ersonnen worden. Von anderm zu schweigen. Kein Wun-
der daher daß manche jungen Misses, welche die von den Führern und Arbeitern
weggeworfenen Thonpfeifchen zu sich stecken, ihr Gewissen mit der Schuld eines
antiquarischen Diebstahls belastet fühlen.

Mehr noch dauert in Hantierung, Gebrauch, Aberglauben das Alterthum
fort. An seine dunkelste Seite gemahnt uns diese armselige Gestalt welche die
Oehlmühle dreht, an seinen heitersten Glanz jene blumengeschmückte glühende
Tänzerin. Daß die Zeichensprache, welche der Napoletaner in einer Weise pflegt
als ob seine Lunge nicht die kräftigste der Welt wäre, seit uralter Zeit aus einer
Hand in die andere übergegangen ist, könnten wir aus eines napoletanischen Ge-
lehrten Abhandlung mit viel Gründlichkeit erweisen, und gegen die von Alexandre
Dumas und Theophile Gautier umdichtete Jettatura diente schon zu Pompei der

*) Corpus inscriptionum latinarum Vol. IV. Inscriptiones parietariae Pom-
peianae Herenlanenses Stabianae, edidit Carolus Zangemeister. Berolini
1871.
Auf dieses Werk beziehen sich die im folgenden citirten Nummern.

Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
Nr. 12. Freitag, 12 Januar 1872.

Correspondenzen sind an die Redaction, Inserate an die Expedition der Allgemeinen Zeitung franeo zu riehten. Insertionspreis nach aufliegendem Tarif.

Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Goſen.

[Spaltenumbruch]

Ueberſicht.

Pompeï und ſeine Wandinſchriften. (I.) — Zur Geſchichte der katholiſchen Re-
formbeſtrebungen. (II. Fra Andrea d’Altagene, ein Verfolgter unter Pius IX.
(Schluß.) — Aus München.

Neueſte Poſten. München: Der Initiativantrag Barth-Schüttinger. An-
trag auf Abänderung des Preßgeſetzes. Aus dem dritten Ausſchuß der Reichs-
rathskammer. Berlin: Die Schulinſpectionen. Proceßordnung. Das würt-
tembergiſche Detachement. Die Feldpoſt. Der Gehalt des Miniſters für Lauen-
burg. Wahlen in Nordſchleswig. Rom: Der Papſt an die Pfarrer. Die Ver-
ſöhnung in der miniſteriellen Preſſe. Neuer Stadttheil. Unterſuchung gegen
General Medici. Mailand: Verſammlung der Gewebefabricanten. New-
York:
Schlägerei in der Legislatur von Louiſiana.


Telegraphiſche Berichte.

Kammer der Reichsräthe. Die neuen
Reichsräthe Pözl und Neuffer werden beeidigt. Der Miniſter des Innern legt
einen Geſetzentwurf über die Ergänzung des Pferdebedarfs fürs Heer analog den
im übrigen Deutſchland hierüber beſtehenden Geſetzen und zur Erfüllung einer
durch den Verſailler Vertrag übernommenen Verpflichtung gegen das Reich vor.
Derſelbe wird ohne Debatte einſtimmig angenommen. Die Geſetzentwürfe über
die proviſoriſche Erhebung der Steuern, die Aenderung der beiden Gemeinde-
Ordnungen und die Aenderung des Geſchäftsgangs des Landtags, Geſuche um
Aufbeſſerung der Beamtengehalte werden bei der Budgetberathung erwogen wer-
den; der Finanzminiſter ſagt eine baldige darauf bezügliche Vorlage zu. In den
Geſetzgebungsausſchuß wurde Neumayr, in den Ausſchuß für die Reviſion der
Geſchäftsordnung werden Aretin, Schrenk, Hohenlohe gewählt. Nächſte Sitzung
Samſtag.

Der „Schw. Merkur“ veröffentlicht folgendes
Berliner Telegramm: Der Kaiſer verſchob die Entſcheidung im San Juan-
Streitfalle bis zur zweiten Replik Englands, welche binnen ſechs Monaten, vom
17 Dec. des Vorjahrs an gerechnet, zu erfolgen hat.

Dieſe Depeſchen aus dem Hauptblatt hier wiederholt.

Der Hochverrathsproceß vor dem Aſſiſenhof
gegen die Socialdemokraten Wolf und Häuſer aus Offenbach (Vertheidiger Dern-
burg) endigte heute mit Freiſprechung.

Fürſt Bismarck beſuchte geſtern Nachmittag den fran-
zöſiſchen und den öſterreichiſchen Botſchafter.

Die von der Commiſſion des Herrenhauſes angenom-
mene Adreſſe hebt die geſteigerte Zunahme des innern Unfriedens und der Schädi-
gung des Staatsgemeinweſens unter der früheren Regierung hervor; erklärt ſich
bereit die im Reichsrathe geltend gemachten Wünſche der Einzelländer in Erwar-
tung einer dauernden Verſtändigung in eingehende Berathung zu nehmen; betont
die dringliche Nothwendigkeit, die Unabhängigkeit des Reichsrathes zu ſichern; be-
grüßt freudig den angekündigten Geſetzentwurf, und ſpricht die Erwartung aus
daß zur Hebung der Landwirthſchaft die financielle Leiſtungsfähigkeit der Steuerträger
nicht in geſteigertem Maß in Anſpruch genommen, und die Steuerreform vollendet
werde.

Productenmarkt. (Schlußbericht.) Stimmung wegen
Marſeille ſehr flau. Tendenz: weichend, Preiſe nominell, prima ungariſcher Weizen 36 bis
36½ Ausſtich 37—37½.

Productenmarkt. (Schlußbericht.) Weizen matter, hieſiger loco 9,
fremder loco 8.7½, per März 8.7, per Mai 8.9, per Juli 8.11. Roggen unverändert.
loco 6.7½, per März 5.22½, per Mai 5.27, per Juli 5.27.

Productenmarkt. (Schlußbericht.) Weizen höher,
auf Termine feſt, ruhig, per Januar-Februar 160, per Febr.-März 163, per April-
Mai 166. Roggen loco feſt, auf Termine feſt, ruhig, per Januar-Februar 112½, per
Februar-März 113, April-Mai 115. Hafer ruhig. Gerſte ſtill.

Weitere telegraphiſche Curs- und Handelsberichte ſ. fünfte Seite.


Pompeï und ſeine Wandinſchriften.*)
I.

* Von den Geſtaden des claſſiſchen Alterthums, die wir ſonſt nur aus wei-
ter Ferne ſehnſüchtig betrachten, ſtreckt ſich uns eine freundliche Landzunge ſo nahe
entgegen, daß wir vermeinen ſie mit den Händen zu greifen. Es iſt Pompeï. Zwar
vieles und ſchönes haben wir von Griechen und Römern überkommen. Aber faſt
alles dieſes war gleich anfangs mehr auf die Nach- als auf die Mitwelt berechnet;
ja nicht weniges auf jene allein: ruhmredige Zeugniſſe von Haupt- und Staats-
actionen, rieſige Auswüchſe kindiſcher Eitelkeit, Denkmäler des Todes und nicht
des Lebens. Die Zeit, vom menſchlichen Uebermuth herausgefordert, verſchonte
nichts. Zu Pompeï hingegen empfängt uns die Vergangenheit, nicht verſteint und
verbeint, ſondern lachenden Antlitzes im friſchen Dufte der Jugend, nicht in der
Nachweltstoilette, der purpurverbrämten Toga, ſondern im beſcheidenen Alltags-
gewande, hie und da ſogar im tiefſten Negligé. Sie verſchmäht es durch die ſteife
Miene vornehmer Würde oder gar altväteriſcher Ehrbarkeit uns in gemeſſener Ent-
fernung zu halten; gleich einer liebenswürdigen Hausfrau bewirkt ſie daß wir uns
ſofort vertraut und behaglich fühlen. Mit Recht ſingt der Dichter:

Aber ein lockenumkräuſelter Knab’ wie der lachende Amor,
Thanatos, ſcheinſt du mir hier in dem flimmernden Schutte Pompeji’s.

[Spaltenumbruch]

An bedeutendes reiht ſich hier geringes und geringſtes, und unſere Einbildungs-
kraft braucht nicht, wie zu Rom, zwiſchen Tempeln und Mauſoleen und Triumph-
bogen ihre Geſpinnſte zu ziehen, um die Stellen auszufüllen wo „das Volk“ wohnte.
Gerade in dem Geringen und Geringſten birgt ſich das eigentliche Pompeï. Wäre
in tauſend Jahren unſere neue Kaiſerſtadt mit Sand zugeweht, und auswärts jede
Kunde von ihr erloſchen, würden wir dann nicht eher aus einer einzigen unver-
ſehrten Litfaßſäule — ex ungue leonem — „Berlin, wie’s weint und lacht,“ zu-
rückconſtruiren als aus den Erzbildern vaterländiſcher Helden und den Gerippen
von Kirchen und Theatern? Mehr als auf allem einzelnen was uns geboten wird,
beruht Pompeï’s jugendlicher Reiz auf dem Zuſammenhang in welchem es uns ge-
boten wird, wenn auch ſo vieles um der eigenen Erhaltung willen aus dieſem Zu-
ſammenhang herausgeriſſen worden iſt. Durchmuſtern wir die im napoletaniſchen
Muſeum aufgeſpeicherten Schätze, wie bald ermüden wir! Hier werden wir zu
einem vergleichenden Studium von Venus-Statuen gedrängt, dort machen wir an
einer Reihe von Büſten einen Zwangscurs römiſcher Kaiſergeſchichte durch; von
Moſaiken überſättigt, ſtürzen wir uns in das mare magnum der Vaſen; ge-
ſchnittene Steine und thönerne Lampen umringen uns in flimmerndem Reigen.
Leb- und leibhafte Fülle iſt abgetödtet und zergliedert, eingetheilt und verzeichnet,
zu Nutz und Frommen dem Künſtler und dem Gelehrten, aber dem nur Genießen-
den nicht zur Erbauung. Den zieht es nach Pompeï, das ihm des Lebens glän-
zende Miſchung credenzt, und von dieſem Trank zu ſchlürfen wird er ſo leicht nicht
müde. Haben wir unſere Augen angeſtrengt um auf dem rothen Stuck die Krikelkrakel
eines pompejaniſchen Schuljungen zu entziffern, ſo laſſen wir ſie auf der anmuths-
vollen Geſtalt der Tänzerin nebenan ausruhen; über den greifengetragenen Mar-
mortiſch blicken wir hinweg zu dem Silen in der moſaik- und muſchelverzierten
Brunnenniſche; von den Wagenrillen des Lavapflaſters, die uns mit wunderlichen
Gedanken über pompejaniſche Fahrten erfüllen, empor zu einem ſinnreichen Ge-
werbszeichen oder einem eindringlichen Wahlaufruf. Hüben ragt der dampfende
Veſuv, der uns dieſe Koſtbarkeiten ſo ſorgfältig verpackt hat; drüben, jenſeits der
üppigen und belebten Sarno-Ebene, dehnt ſich im bläulichen Scheine die Kette des
Monte Sant’ Angelo; dort gar ſchimmert das herrliche Meer, deſſen Götter und
Göttinnen auf dieſe Wände verzaubert ſind, und droben wölbt ſich der leuchtende
Himmel, der einſt nur zwiſchen Dächern, Säulen und Laubwerk herniederſchaute
und dieſen Bildern das rechte Licht, den rechten Schatten zutheilte. Natur und
Menſchenwerk klingen ſchön zuſammen; und wir, die wir mitten darinnen ſtehen
wir erwärmen uns mehr und mehr, wir fühlen mit, wir pompejaniſiren uns. Von
dem Gemälde um uns belebt, beleben wir es wiederum, indem wir die Lücken er-
gänzen und das Verblaßte auffriſchen. Dabei tauchen wir getroſt unſern Pinſel
in den Farbentopf der Gegenwart; denn die Zeit iſt in dieſem Paradieſe nur zö-
gernden Schrittes gewandelt. Laſſen wir uns durch all das Puſten, Stampfen
und Hämmern nicht beirren; das Alte friſtet ſich mit Zähigkeit nicht nur da wo
ein cicadenhaft eintöniger Geſang das Mais- oder Baumwollen-Aushülſen beglei-
tet, nein, auch in dem ſtädtiſchen Getriebe von Caſtellamare und Neapel.

Freilich die Kunſt des Alterthums iſt erloſchen. Die Hellenen Caſtellama-
re’s haben ſich heutzutage mit beſſerem zu beſchäftigen als mit Karnießen und
Säulenordnungen. Aus den weißen, oben kiſſen- oder walzenförmig geſchwellten
Häuſerwürfeln, wie ſie ringsumher ausgeſtreut liegen, iſt es ſchlechterdings un-
möglich ein pompejaniſches Urbild herauszudifteln. Nur eines, die außerordent-
liche Lichterſparniß, ſcheint ihnen aufgeerbt, und die viereckige, meiſt gegitterte Oeff-
nung über der Thüre, durch welche der Sonne immer der Eingang verſtattet bleibt,
erinnert an das Taubenſchlagfenſter im Hauſe des Labyrinths. Und wie in der
pompejaniſchen Hauscapelle Lampenlicht das natürliche erſetzte, ſo muß es dem
nordiſchen Fremdling dienlich und erfreulich ſein daß an gewiſſen Tagen das
Madonnenbild ſeiner Stube durch eine Oelflamme geehrt wird, wenn auch den
heiligen Strahlen gegen die Nereïden und Mänaden, welche ſeinen Schlaf beunruhi-
gen, keine Macht innewohnt. In den Straßenwinkeln iſt die erleuchtete Madonna
oft die Nachfolgerin der zwölf Götter, um nachdrücklicher ſtatt des einfachen Kreu-
zes und der beiden geringelten Schlangen den Vorübergehenden das „extra meite“
einzuſchärfen. Dieſe Reinlichkeitsvorkehrung von zweifelhaftem Erfolge reicht
ziemlich weit nach Norden hinauf, ebenſo wie die uns befremdlichere Nachbarſchaft,
oft völlige Verſchmelzung von Abort und Küche, von welcher uns ſchon Pompel
zahlreiche Beiſpiele bietet.

Vielfach hat ſich an Geräthen, wie Lampen, Kohlenbecken, Glasflaſchen, al-
terthümliche Bildung erhalten; auch das ſo auffallende Pferdegeſchirr ſtammt ge-
wiß nicht von heut und geſtern, und jene gefährlichen Gefährte Neapels auf
denen kunſtgerecht je ein Duzend Menſchen balancirt, ſind vielleicht in dem ſeiltän-
zerberühmten Pompeï erſonnen worden. Von anderm zu ſchweigen. Kein Wun-
der daher daß manche jungen Miſſes, welche die von den Führern und Arbeitern
weggeworfenen Thonpfeifchen zu ſich ſtecken, ihr Gewiſſen mit der Schuld eines
antiquariſchen Diebſtahls belaſtet fühlen.

Mehr noch dauert in Hantierung, Gebrauch, Aberglauben das Alterthum
fort. An ſeine dunkelſte Seite gemahnt uns dieſe armſelige Geſtalt welche die
Oehlmühle dreht, an ſeinen heiterſten Glanz jene blumengeſchmückte glühende
Tänzerin. Daß die Zeichenſprache, welche der Napoletaner in einer Weiſe pflegt
als ob ſeine Lunge nicht die kräftigſte der Welt wäre, ſeit uralter Zeit aus einer
Hand in die andere übergegangen iſt, könnten wir aus eines napoletaniſchen Ge-
lehrten Abhandlung mit viel Gründlichkeit erweiſen, und gegen die von Alexandre
Dumas und Théophile Gautier umdichtete Jettatura diente ſchon zu Pompeï der

*) Corpus inscriptionum latinarum Vol. IV. Inscriptiones parietariae Pom-
peianae Herenlanenses Stabianae, edidit Carolus Zangemeister. Berolini
1871.
Auf dieſes Werk beziehen ſich die im folgenden citirten Nummern.
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Brunnenni&#x017F;che; von den Wagenrillen des Lavapfla&#x017F;ters, die uns mit wunderlichen<lb/>
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Monte Sant&#x2019; Angelo; dort gar &#x017F;chimmert das herrliche Meer, de&#x017F;&#x017F;en Götter und<lb/>
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[0009] Beilage zur Allgemeinen Zeitung. Nr. 12. Freitag, 12 Januar 1872. Correspondenzen sind an die Redaction, Inserate an die Expedition der Allgemeinen Zeitung franeo zu riehten. Insertionspreis nach aufliegendem Tarif. Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Goſen. Ueberſicht. Pompeï und ſeine Wandinſchriften. (I.) — Zur Geſchichte der katholiſchen Re- formbeſtrebungen. (II. Fra Andrea d’Altagene, ein Verfolgter unter Pius IX. (Schluß.) — Aus München. Neueſte Poſten. München: Der Initiativantrag Barth-Schüttinger. An- trag auf Abänderung des Preßgeſetzes. Aus dem dritten Ausſchuß der Reichs- rathskammer. Berlin: Die Schulinſpectionen. Proceßordnung. Das würt- tembergiſche Detachement. Die Feldpoſt. Der Gehalt des Miniſters für Lauen- burg. Wahlen in Nordſchleswig. Rom: Der Papſt an die Pfarrer. Die Ver- ſöhnung in der miniſteriellen Preſſe. Neuer Stadttheil. Unterſuchung gegen General Medici. Mailand: Verſammlung der Gewebefabricanten. New- York: Schlägerei in der Legislatur von Louiſiana. Telegraphiſche Berichte. × München, 11 Jan. Kammer der Reichsräthe. Die neuen Reichsräthe Pözl und Neuffer werden beeidigt. Der Miniſter des Innern legt einen Geſetzentwurf über die Ergänzung des Pferdebedarfs fürs Heer analog den im übrigen Deutſchland hierüber beſtehenden Geſetzen und zur Erfüllung einer durch den Verſailler Vertrag übernommenen Verpflichtung gegen das Reich vor. Derſelbe wird ohne Debatte einſtimmig angenommen. Die Geſetzentwürfe über die proviſoriſche Erhebung der Steuern, die Aenderung der beiden Gemeinde- Ordnungen und die Aenderung des Geſchäftsgangs des Landtags, Geſuche um Aufbeſſerung der Beamtengehalte werden bei der Budgetberathung erwogen wer- den; der Finanzminiſter ſagt eine baldige darauf bezügliche Vorlage zu. In den Geſetzgebungsausſchuß wurde Neumayr, in den Ausſchuß für die Reviſion der Geſchäftsordnung werden Aretin, Schrenk, Hohenlohe gewählt. Nächſte Sitzung Samſtag. * Stuttgart, 11 Jan. Der „Schw. Merkur“ veröffentlicht folgendes Berliner Telegramm: Der Kaiſer verſchob die Entſcheidung im San Juan- Streitfalle bis zur zweiten Replik Englands, welche binnen ſechs Monaten, vom 17 Dec. des Vorjahrs an gerechnet, zu erfolgen hat. Dieſe Depeſchen aus dem Hauptblatt hier wiederholt. * Darmſtadt, 11 Jan. Der Hochverrathsproceß vor dem Aſſiſenhof gegen die Socialdemokraten Wolf und Häuſer aus Offenbach (Vertheidiger Dern- burg) endigte heute mit Freiſprechung. * Berlin, 11 Jan. Fürſt Bismarck beſuchte geſtern Nachmittag den fran- zöſiſchen und den öſterreichiſchen Botſchafter. * Wien, 11 Jan. Die von der Commiſſion des Herrenhauſes angenom- mene Adreſſe hebt die geſteigerte Zunahme des innern Unfriedens und der Schädi- gung des Staatsgemeinweſens unter der früheren Regierung hervor; erklärt ſich bereit die im Reichsrathe geltend gemachten Wünſche der Einzelländer in Erwar- tung einer dauernden Verſtändigung in eingehende Berathung zu nehmen; betont die dringliche Nothwendigkeit, die Unabhängigkeit des Reichsrathes zu ſichern; be- grüßt freudig den angekündigten Geſetzentwurf, und ſpricht die Erwartung aus daß zur Hebung der Landwirthſchaft die financielle Leiſtungsfähigkeit der Steuerträger nicht in geſteigertem Maß in Anſpruch genommen, und die Steuerreform vollendet werde. * Rorſchach, 11 Jan. Productenmarkt. (Schlußbericht.) Stimmung wegen Marſeille ſehr flau. Tendenz: weichend, Preiſe nominell, prima ungariſcher Weizen 36 bis 36½ Ausſtich 37—37½. (*) Köln, 11 Jan. Productenmarkt. (Schlußbericht.) Weizen matter, hieſiger loco 9, fremder loco 8.7½, per März 8.7, per Mai 8.9, per Juli 8.11. Roggen unverändert. loco 6.7½, per März 5.22½, per Mai 5.27, per Juli 5.27. (*) Hamburg, 11 Jan. Productenmarkt. (Schlußbericht.) Weizen höher, auf Termine feſt, ruhig, per Januar-Februar 160, per Febr.-März 163, per April- Mai 166. Roggen loco feſt, auf Termine feſt, ruhig, per Januar-Februar 112½, per Februar-März 113, April-Mai 115. Hafer ruhig. Gerſte ſtill. Weitere telegraphiſche Curs- und Handelsberichte ſ. fünfte Seite. Pompeï und ſeine Wandinſchriften. *) I. * Von den Geſtaden des claſſiſchen Alterthums, die wir ſonſt nur aus wei- ter Ferne ſehnſüchtig betrachten, ſtreckt ſich uns eine freundliche Landzunge ſo nahe entgegen, daß wir vermeinen ſie mit den Händen zu greifen. Es iſt Pompeï. Zwar vieles und ſchönes haben wir von Griechen und Römern überkommen. Aber faſt alles dieſes war gleich anfangs mehr auf die Nach- als auf die Mitwelt berechnet; ja nicht weniges auf jene allein: ruhmredige Zeugniſſe von Haupt- und Staats- actionen, rieſige Auswüchſe kindiſcher Eitelkeit, Denkmäler des Todes und nicht des Lebens. Die Zeit, vom menſchlichen Uebermuth herausgefordert, verſchonte nichts. Zu Pompeï hingegen empfängt uns die Vergangenheit, nicht verſteint und verbeint, ſondern lachenden Antlitzes im friſchen Dufte der Jugend, nicht in der Nachweltstoilette, der purpurverbrämten Toga, ſondern im beſcheidenen Alltags- gewande, hie und da ſogar im tiefſten Negligé. Sie verſchmäht es durch die ſteife Miene vornehmer Würde oder gar altväteriſcher Ehrbarkeit uns in gemeſſener Ent- fernung zu halten; gleich einer liebenswürdigen Hausfrau bewirkt ſie daß wir uns ſofort vertraut und behaglich fühlen. Mit Recht ſingt der Dichter: Aber ein lockenumkräuſelter Knab’ wie der lachende Amor, Thanatos, ſcheinſt du mir hier in dem flimmernden Schutte Pompeji’s. An bedeutendes reiht ſich hier geringes und geringſtes, und unſere Einbildungs- kraft braucht nicht, wie zu Rom, zwiſchen Tempeln und Mauſoleen und Triumph- bogen ihre Geſpinnſte zu ziehen, um die Stellen auszufüllen wo „das Volk“ wohnte. Gerade in dem Geringen und Geringſten birgt ſich das eigentliche Pompeï. Wäre in tauſend Jahren unſere neue Kaiſerſtadt mit Sand zugeweht, und auswärts jede Kunde von ihr erloſchen, würden wir dann nicht eher aus einer einzigen unver- ſehrten Litfaßſäule — ex ungue leonem — „Berlin, wie’s weint und lacht,“ zu- rückconſtruiren als aus den Erzbildern vaterländiſcher Helden und den Gerippen von Kirchen und Theatern? Mehr als auf allem einzelnen was uns geboten wird, beruht Pompeï’s jugendlicher Reiz auf dem Zuſammenhang in welchem es uns ge- boten wird, wenn auch ſo vieles um der eigenen Erhaltung willen aus dieſem Zu- ſammenhang herausgeriſſen worden iſt. Durchmuſtern wir die im napoletaniſchen Muſeum aufgeſpeicherten Schätze, wie bald ermüden wir! Hier werden wir zu einem vergleichenden Studium von Venus-Statuen gedrängt, dort machen wir an einer Reihe von Büſten einen Zwangscurs römiſcher Kaiſergeſchichte durch; von Moſaiken überſättigt, ſtürzen wir uns in das mare magnum der Vaſen; ge- ſchnittene Steine und thönerne Lampen umringen uns in flimmerndem Reigen. Leb- und leibhafte Fülle iſt abgetödtet und zergliedert, eingetheilt und verzeichnet, zu Nutz und Frommen dem Künſtler und dem Gelehrten, aber dem nur Genießen- den nicht zur Erbauung. Den zieht es nach Pompeï, das ihm des Lebens glän- zende Miſchung credenzt, und von dieſem Trank zu ſchlürfen wird er ſo leicht nicht müde. Haben wir unſere Augen angeſtrengt um auf dem rothen Stuck die Krikelkrakel eines pompejaniſchen Schuljungen zu entziffern, ſo laſſen wir ſie auf der anmuths- vollen Geſtalt der Tänzerin nebenan ausruhen; über den greifengetragenen Mar- mortiſch blicken wir hinweg zu dem Silen in der moſaik- und muſchelverzierten Brunnenniſche; von den Wagenrillen des Lavapflaſters, die uns mit wunderlichen Gedanken über pompejaniſche Fahrten erfüllen, empor zu einem ſinnreichen Ge- werbszeichen oder einem eindringlichen Wahlaufruf. Hüben ragt der dampfende Veſuv, der uns dieſe Koſtbarkeiten ſo ſorgfältig verpackt hat; drüben, jenſeits der üppigen und belebten Sarno-Ebene, dehnt ſich im bläulichen Scheine die Kette des Monte Sant’ Angelo; dort gar ſchimmert das herrliche Meer, deſſen Götter und Göttinnen auf dieſe Wände verzaubert ſind, und droben wölbt ſich der leuchtende Himmel, der einſt nur zwiſchen Dächern, Säulen und Laubwerk herniederſchaute und dieſen Bildern das rechte Licht, den rechten Schatten zutheilte. Natur und Menſchenwerk klingen ſchön zuſammen; und wir, die wir mitten darinnen ſtehen wir erwärmen uns mehr und mehr, wir fühlen mit, wir pompejaniſiren uns. Von dem Gemälde um uns belebt, beleben wir es wiederum, indem wir die Lücken er- gänzen und das Verblaßte auffriſchen. Dabei tauchen wir getroſt unſern Pinſel in den Farbentopf der Gegenwart; denn die Zeit iſt in dieſem Paradieſe nur zö- gernden Schrittes gewandelt. Laſſen wir uns durch all das Puſten, Stampfen und Hämmern nicht beirren; das Alte friſtet ſich mit Zähigkeit nicht nur da wo ein cicadenhaft eintöniger Geſang das Mais- oder Baumwollen-Aushülſen beglei- tet, nein, auch in dem ſtädtiſchen Getriebe von Caſtellamare und Neapel. Freilich die Kunſt des Alterthums iſt erloſchen. Die Hellenen Caſtellama- re’s haben ſich heutzutage mit beſſerem zu beſchäftigen als mit Karnießen und Säulenordnungen. Aus den weißen, oben kiſſen- oder walzenförmig geſchwellten Häuſerwürfeln, wie ſie ringsumher ausgeſtreut liegen, iſt es ſchlechterdings un- möglich ein pompejaniſches Urbild herauszudifteln. Nur eines, die außerordent- liche Lichterſparniß, ſcheint ihnen aufgeerbt, und die viereckige, meiſt gegitterte Oeff- nung über der Thüre, durch welche der Sonne immer der Eingang verſtattet bleibt, erinnert an das Taubenſchlagfenſter im Hauſe des Labyrinths. Und wie in der pompejaniſchen Hauscapelle Lampenlicht das natürliche erſetzte, ſo muß es dem nordiſchen Fremdling dienlich und erfreulich ſein daß an gewiſſen Tagen das Madonnenbild ſeiner Stube durch eine Oelflamme geehrt wird, wenn auch den heiligen Strahlen gegen die Nereïden und Mänaden, welche ſeinen Schlaf beunruhi- gen, keine Macht innewohnt. In den Straßenwinkeln iſt die erleuchtete Madonna oft die Nachfolgerin der zwölf Götter, um nachdrücklicher ſtatt des einfachen Kreu- zes und der beiden geringelten Schlangen den Vorübergehenden das „extra meite“ einzuſchärfen. Dieſe Reinlichkeitsvorkehrung von zweifelhaftem Erfolge reicht ziemlich weit nach Norden hinauf, ebenſo wie die uns befremdlichere Nachbarſchaft, oft völlige Verſchmelzung von Abort und Küche, von welcher uns ſchon Pompel zahlreiche Beiſpiele bietet. Vielfach hat ſich an Geräthen, wie Lampen, Kohlenbecken, Glasflaſchen, al- terthümliche Bildung erhalten; auch das ſo auffallende Pferdegeſchirr ſtammt ge- wiß nicht von heut und geſtern, und jene gefährlichen Gefährte Neapels auf denen kunſtgerecht je ein Duzend Menſchen balancirt, ſind vielleicht in dem ſeiltän- zerberühmten Pompeï erſonnen worden. Von anderm zu ſchweigen. Kein Wun- der daher daß manche jungen Miſſes, welche die von den Führern und Arbeitern weggeworfenen Thonpfeifchen zu ſich ſtecken, ihr Gewiſſen mit der Schuld eines antiquariſchen Diebſtahls belaſtet fühlen. Mehr noch dauert in Hantierung, Gebrauch, Aberglauben das Alterthum fort. An ſeine dunkelſte Seite gemahnt uns dieſe armſelige Geſtalt welche die Oehlmühle dreht, an ſeinen heiterſten Glanz jene blumengeſchmückte glühende Tänzerin. Daß die Zeichenſprache, welche der Napoletaner in einer Weiſe pflegt als ob ſeine Lunge nicht die kräftigſte der Welt wäre, ſeit uralter Zeit aus einer Hand in die andere übergegangen iſt, könnten wir aus eines napoletaniſchen Ge- lehrten Abhandlung mit viel Gründlichkeit erweiſen, und gegen die von Alexandre Dumas und Théophile Gautier umdichtete Jettatura diente ſchon zu Pompeï der *) Corpus inscriptionum latinarum Vol. IV. Inscriptiones parietariae Pom- peianae Herenlanenses Stabianae, edidit Carolus Zangemeister. Berolini 1871. Auf dieſes Werk beziehen ſich die im folgenden citirten Nummern.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 12. Januar 1872, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine12_1872/9>, abgerufen am 27.11.2024.