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Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 12. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] serven ohne großes Aufsehen heranzubilden, sobald sie sich zu einer Art Krümper-
system entschließt, das ihr wenigstens mit Sicherheit die bisher so schmerzlich ver-
mißten Recruten für die Linie schaffen wird.

Frankreich.

* Das Urtheil der Presse über die Bedeutung der Wahl Vautrains läßt
sich in Kürze dahin zusammenfassen: daß dieselbe die Frage über die Rückkehr der
Regierung und Nationalversammlung nach Paris entschieden hat. Wäre Victor
Hugo siegreich aus der Wahlurne hervorgegangen, so hätte man denen welche diese
Rückkehr verlangen mit Recht einwenden können: solange Paris in den Händen
der radicalen Partei sei, biete es für die Sicherheit der Regierung keine Garantie.
Dieser Grund ist jetzt weggefallen, und so vereinigen die Blätter aller Parteifar-
ben ihre Stimme um die Rückkehr nach Paris zu fordern. Dieß thut insbeson-
dere auch der "Constitutionnel," welcher heute nicht weniger als drei Artikel der
Wahl Vautrains widmet. Das zum Bonapartismus neigende Blatt erklärt: die
Candidatur Vautrains verworfen zu haben weil derselbe wegen seiner Haltung im
Commune-Aufstand in Bezug auf Achtung vor dem Gesetze nicht die nöthigen
Garantien biete, jetzt aber, nachdem seine Candidatur gesiegt habe, begreife es nicht
weßhalb der Präsident der Republik der Rückkehr nach Paris sich noch länger wider-
setze. "Wir beglückwünschen uns, sagt es schließlich, über die Wahl Vautrains,
eine Wahl aus der die Regierung eine Bedingung der Rückkehr nach Paris machte,
wenn sie zum Resultat haben müßte die Rechte dahin zu bringen Paris dieses
Zeichen der Sympathie und des Vertrauens zu geben." -- Aehnlich ist auch die
Stimmung in den Abgeordnetenkreisen in Versailles. Die Linke und das linke
Centrum sind in hohem Grade befriedigt, sie sind der Ansicht daß diese Wahl auf
Thiers, die Mitglieder der Commission wie auf die Mehrheit der Versammlung
einen bedeutenden Einfluß zu Gunsten der Rückkehr nach Paris üben werde, Re-
gierung und Versammlung seien verpflichtet Paris sich dankbar zu bezeigen. Auf
die Mitglieder der Rechten hat die Wahl jedoch nicht den gleichen Eindruck gemacht,
ihre Abneigung gegen die Rückkehr nach Paris ist, wie dem "Constitutionnel" ge-
schrieben wird, noch ebenso groß wie vor der Wahl. Sie gehen davon aus: daß
sie niemals die Candidatur Vautrains unterstützt haben, und wenn auch die Wahl
als ein Triumph der Conservativen und der Ordnungspartei hingestellt werde, so
sei doch nicht zu vergessen daß 93,500 Wähler gebieterisch die Rückkehr nach Paris,
die Auflösung der Nationalversammlung u. s. w. verlangt, und weder ihrem Haß
noch jedem Rachegedanken entsagt hätten. Für sie bleibe daher die Sachlage die-
selbe. Die äußerste Linke, in Paris geschlagen, ruft das ihr günstige Wahlergebniß
der Departements der Rhonemündungen und des Var aus. Obwohl die Regie-
rung sich noch nicht ausgesprochen hat, sollen doch Hr. Thiers und die Minister sehr
befriedigt über die Wahl sein. Beim gestrigen Deiner sagte, wie versichert wird,
Thiers zu einigen Abgeordneten: "ohne Versailles zu verlassen, nähern wir uns
Paris." Hr. Casimir Perier hat seine Absicht als Minister des Innern seine
Entlassung einzureichen aufgegeben. Dieß ist die Stimmung über die Wahl
Vautrains.

Ueber die Wahlen aus der Provinz liegen folgende Nachrichten vor. Im
Departement der Bouches-du-Rhone wurden die radicalen Candidaten Challemel-
Lacour und Bouchet gewählt, gegen den legitimistischen Candidaten Roux-Larey
und den Orleanisten Simonin. Im Gard der Republicaner Laget gegen den Can-
didaten der vereinigten Legitimisten und Orleanisten Benoist d'Azy Sohn. Im
Var der Radicale Cotte gegen den Legitimisten Clappier. In den Basses-Pyre-
nees siegte der klerikale Bonapartist Chesnelong gegen den republicanischen Mar-
quis de Noailles. Im Pas-de-Calais siegte der bonapartistische Ex-Präfect Levert
gegen den gambettistischen Ex-Präfecten Longlet. In den Ardennen siegte der Re-
publicaner Robert über zwei monarchische Candidaten, Evain und Doury. In
der Somme siegte der conservative Candidat Dauphin über den republicanischen
Schriftsteller Jules Barni. In der Isere siegte der republicanische Candidat Bril-
ler, doch fehlen die Details. Im Doubs siegte der republicanische Candidat Gandy
über den Conservativen Estignard, doch fehlen die Details. In der Haute-Vienne
siegte der Conservative Charreyron, ehemals kaiserl. Bereiter über den republi-
canischen Candidaten Ninard. Im Nord siegten der conservative Candidat Dupont
und der republicanische Candidat Deregnaucourt. In Savoyen der Thiersi-
stische Candidat Grange über den Radicalen Jacquemond. In Algerien schlugen
die radicalen Candidaten Jacques und Lambert den Legitimisten Saint-Maur und
den Bonapartisten Debrousse.

Victor Hugo richtet nach seiner Niederlage folgenden Aufruf an die Pariser:

"An das Pariser Volk! Paris kann nicht unterliegen. Anscheinende Nie-
derlagen verbergen nur den schließlichen Triumph. Die Menschen vergehen, aber das
Volk bleibt. Die Stadt welche Deutschland nicht zu besiegen vermochte, wird nimmer
von der Reaction besiegt werden. In gewissen seltsamen Zeitläuften wird die Gesell-
schaft von Furcht ergriffen und fleht bei dem Unerbittlichen um Hülfe. Dann hat der
Zorn allein das Wort, die Unversöhnlichen sind die Retter, und der Blutdurst vertritt
den gesunden Menschenverstand. Das Vae victis allein wird zur Staatsraison;
Mitleid wird zum Verrath, dem man die Katastrophen aufbürdet. Als öffentlicher
Feind gilt der Mann der vom Wahnsinn der Milde erfaßt ist. Beccaria macht
grufeln, und Las-Casas erscheint als Marat. Diese Krisen, in denen die Furcht den
Schrecken gebiert, dauern nicht lange; ihre Heftigkeit selbst führt ihr Ende herbei.
Binnen kurzer Zeit wird die falsche Ordnung welche der Säbel erzeugt, von der wahren
Ordnung besiegt die aus der Freiheit emporsprießt. Um diesen Sieg zu erlangen, be-
darf es keines heftigen Kampfes. Das vorwärtsschreitende Menschengeschlecht erschüt-
tert friedlich was fallen soll. Der ernste und gemessene Gang des Fortschritts genügt
um den Zusammensturz der falschen Dinge herbeizuführen. Was Paris will, wird ge-
schehen. Gewisse Aufgaben sind gestellt, sie werden ihre Lösung finden, und diese Lö-
sung wird brüderlich sein. Paris will die Beruhigung, die Eintracht, die Heilung der
socialen Wunden. Paris will den Schluß der Bürgerkriege. Das Ende der Kriege
erlangt man nur wenn man dem Haß ein Ziel setzt. Wodurch kann manden Haß aus-
löschen? Durch die Amnestie! Die Amnestie ist heute die tiefste Bedingung der Ord-
nung. Das große Volk von Paris, eben seiner Größe wegen verkannt und verleumdet,
wird alle Hindernisse zu bewältigen wissen. Durch Ruhe und Willenskraft wird es
triumphiren. Das allgemeine Stimmrecht kann sich wohl verfinstern, es bleibt doch
der einzige Modus der Regierung. Das allgemeine Stimmrecht ist die Macht die der
Gewalt um vieles überlegen ist. Von neuem: "Alles durch das Votum, nichts durch
das Gewehr!" Gerechtigkeit und Wahrheit sind von erhabener Klarheit. Die Ver-
gangenheit vermag sich der Zukunft gegenüber nicht aufrecht zu erhalten. Eine Stadt
wie Versailles, welche das Königthum repräsentirt, kann den scharfen Blick einer Stadt
wie Paris, welche die Republik personificirt, nicht lange aushalten.

Victor Hugo."
[Spaltenumbruch]

Das "Siecle" veröffentlicht einen Hirtenbrief des Cardinal-Erzbischofs
von Chambery, worin dieser seine Geistlichkeit anweist ihren Einfluß zu Gunsten
des conservativen Wahlcandidaten anzuwenden, am Wahltage früh eine Messe zu
lesen, und den Gläubigen vorzustellen daß es für sie eine Gewissensverpflichtung
unter Strafe schwerer Sünde sei einen guten Katholiken zu wählen.

Sechstes Kriegsgericht zu Versailles. Verhandlung gegen die
Mörder der Geiseln. Sitzung vom 8 Jan.
Auf die Verlesung des An-
klageacts folgt das Verhör des Angeklagten Francois, welcher das Aussehen eines
friedlichen Bourgeois hat und, bei aller Ruhe die er affectirt, seine Lage in ihrer ganzen
Schwere zu erkennen scheint. Er läugnet bei der Erschießung der Geiseln betheiligt ge-
wesen zu sein. Am 24 Mai will er die Kanzlei nicht verlassen und allein, nicht aber,
wie ein Zeuge behauptet, mit Ferre gefrühstückt haben. Die Weisung sechs Geiseln zu
erschießen, habe deren nur zwei mit Namen genannt. Er habe protestiren wollen,
aber bald das Unnütze jeder Einmischung eingesehen. Er weiß auch nicht wie die übrigen
Geiseln aus den Gefangenen ausgesucht wurden, läugnet aber an diesem Tage, wie auch
sonst, betrunken gewesen zu sein. Auf die Anschuldigungen aus der Zelle des Erzbischofs
religiöse Gegenstände und eine Summe von 20,000 Fr. gestohlen zu haben, erwiedert
Francois: daß er davon weder etwas genommen noch gesehen habe. Nach der Hin-
richtung habe er sich in sein Zimmer zurückgezogen. Aufgefordert einen Bericht über
den Verlauf des 24 Mai zu geben, erzählt Francois das Bekannte: er habe Weisung
erhalten, gehorchen müssen und weiter keinen Theil an der Hinrichtung genommen.
Zweimal habe er versucht sich derselben zu widersetzen, und auch im Gefängniß keine
bewaffnete Macht besessen die ihm dieß ernstlich gestattet hätte. Er erkennt unter den Mit-
angeklagten keinen der betheiligten Nationalgarden wieder. Man schreitet zum Verhör
des Angeklagten Ramain, der behauptet ganz einflußlos im Gefängniß gewesen zu
sein, und beruft sich darauf daß jeder Widerstand seinerseits unnütz gewesen wäre, indem
er an den Säbelhieb erinnert den er erhalten, als er nicht schnell genug die Geiseln zu
holen bereit war. Auch er will der Hinrichtung nicht beigewohnt haben. Nach der-
selben habe er jedoch mit dem Unterregistrator von La Roquette und dem von Petite-
Roquette die Leichname recognoscirt, und ihre Werthsachen in ein rothes Tuch gelegt, das
in ein Zimmer des Gefängnißdirectors getragen worden sei. Francois behauptet
daß man diese Gegenstände unter ein Ruhebett gethan, dessen er sich nur bei Tage be-
diente. Um die Werthsachen habe er sich nicht gekümmert; am nächsten Tage sei ihm
gesagt worden daß man dieselben verbrannt habe. Ramain bestätigt übrigens daß
Francois der Plünderung der Zellen nicht beigewohnt. Er erkennt unter den Mitange-
klagten Pigere als denjenigen Officier der Nationalgarde welcher das Executionspeloton
commandirt habe.

Der Pariser Gemeinderath thut was Thiers und die
Nationalversammlung nicht zu unternehmen wagen. Er unternimmt eine nach
der progressiven Einkommensteuer strebende Reform des städtischen Abgabensystems.
Vorerst besteuert er die Miethzinse mit 4 Proc. für 100 bis 600 Fr., mit 15 Proc.
für die höhern Beträge. Eine Wohnung von 1000 Fr. wird also jährlich an die
Stadt 150 Fr. zu zahlen haben. Er hebt auch die Gleichheit des Octroi für
sämmtliche Weinsorten auf, und führt eine höhere Abgabe auf die bessern Sorten
und auf den Wein in Flaschen ein. Uebrigens hat die Nationalversammlung ge-
stern abermals bewiesen daß Thiers allein sie verhindert sich mit der allgemeinen
Einkommensteuer als einem temporären patriotischen Opfer zu befreunden. Hr.
Rouveure, obschon auf der Rechten sitzend, stellte sich auf der Rednerbühne als
Republicaner vor, weil er aufrichtig conservativ ist. Doch schenkte ihm die Mehr-
heit eine wohlwollende zustimmende Aufmerksamkeit, als er aus Gründen der socia-
len Gerechtigkeit für die allgemeine Einkommensteuer plädirte, und ihr die nächste
Zukunft unter allen Umständen zusicherte. Seine vortreffliche Rede brachte einen so
tiefen und günstigen Eindruck hervor, daß Thiers dagegen sich ereifern mußte. Heute
wurde, da der bisherige Butgetausschuß gestern sein Mandat niedergelegt hatte,
in den Bureaux der neue Budgetausschuß ernannt. Die Mitglieder der Linken
und des linken Centrums bemühen sich eine Verständigung über die noch schwe-
benden Steuerfragen und über das 1872er Budget zu beschleunigen. Allem An
schein nach wird der Finanzminister auf die Couponsbesteuerung verzichten, und
sich mit einem kaum fühlbaren Einfuhrzoll auf Rohstoffe begnügen müssen. Man
thut spät was sogleich geschehen konnte, nämlich den bereits bestehenden directen
Steuern so viele Centimes zuzuschlagen als die Liquidation des Kaiserthums er-
heischt, jedoch diese Steuerzuschläge auf den Steuerbogen ausdrücklich als Ko-
sten des vom Kaiserthum erklärten Krieges zu bezeichnen. Die Linke besorgt
der Bauer werde, wie 1848, die Erhöhung der Grundsteuer abermals der
Republik zur Last legen. Aber auch der Bauer hat seitdem manches gelernt,
und seine Steuerkraft hat sich bedeutend gesteigert. Uebrigens unterliegt es keinem
Zweifel daß noch beträchtliche Posten des Ausgabebudgets unterdrückt werden
könnten, wenn man sich noch die Zeit zu Studien und Discussionen nehmen dürfte.
Interessante Andeutungen und Vorschläge werden jedoch nicht ausbleiben, und in
dieser Beziehung wird das nächste Budget ausgiebig verbessert werden. Da höchst
wahrscheinlich im Herbst eine große Creditoperation stattfinden muß, so erscheinen
die im laufenden Budget angesetzten 200 Millionen Francs für Schuldentilgung
allerdings als eine Abnormität, wenn nicht als eine Absurdität. Die Unterdrückung
dieses Postens würde überdieß gestatten die Einfuhrzölle auf Rohstoffe gänzlich zu
verwerfen und die directen Abgaben bloß unmerklich zu erhöhen. Aber die Schul-
dentilgung ist für Thiers eine Gewissenssache, und er berechnet insbesondere ihre
sittliche Wirkung. Bestritten kann es ihm nicht werden daß die jährliche Zurück-
zahlung von 200 Millionen an die Bank, also die Tilgung der bezüglichen Schuld
binnen sechs oder sieben Jahren, den Bankcredit consolidirt, die Banknoten in Ehren
erhält, und mithin die Nachtheile des Zwangscurses schon deßhalb vermindert weil
die Gewißheit besteht er werde bloß ein paar Jahre dauern. Thiers wird sich also
die 200 Millionen nicht nehmen lassen, während er in den Tariffragen mit sich
reden läßt und auch der allgemeinen Wehrpflicht Zugeständnisse macht, wie die
Reaction sich den Schulzwang gefallen lassen will, wenn er instruction legale statt
instruction obligatoire genannt wird. Die Steuerdebatten wie die Budgetdis-
cussion werden also ersprießlich und mit Beschleunigung ans Ziel gelangen. Fürst
Bismarck wußte wohl wie er daran ist als er dem Gesandten der Republik, bei
dessen erstem Empfang sein Compliment über die Zahlungsfähigkeit des Hrn. Thiers
und über die unermüdliche Gewandtheit des Hrn. Pouyer-Quertier machte, welcher
jedoch für die Financiers zu wenig Bankier und für die Börse viel zu viel neutral
und zurückhaltend ist.

[Spaltenumbruch] ſerven ohne großes Aufſehen heranzubilden, ſobald ſie ſich zu einer Art Krümper-
ſyſtem entſchließt, das ihr wenigſtens mit Sicherheit die bisher ſo ſchmerzlich ver-
mißten Recruten für die Linie ſchaffen wird.

Frankreich.

* Das Urtheil der Preſſe über die Bedeutung der Wahl Vautrains läßt
ſich in Kürze dahin zuſammenfaſſen: daß dieſelbe die Frage über die Rückkehr der
Regierung und Nationalverſammlung nach Paris entſchieden hat. Wäre Victor
Hugo ſiegreich aus der Wahlurne hervorgegangen, ſo hätte man denen welche dieſe
Rückkehr verlangen mit Recht einwenden können: ſolange Paris in den Händen
der radicalen Partei ſei, biete es für die Sicherheit der Regierung keine Garantie.
Dieſer Grund iſt jetzt weggefallen, und ſo vereinigen die Blätter aller Parteifar-
ben ihre Stimme um die Rückkehr nach Paris zu fordern. Dieß thut insbeſon-
dere auch der „Conſtitutionnel,“ welcher heute nicht weniger als drei Artikel der
Wahl Vautrains widmet. Das zum Bonapartismus neigende Blatt erklärt: die
Candidatur Vautrains verworfen zu haben weil derſelbe wegen ſeiner Haltung im
Commune-Aufſtand in Bezug auf Achtung vor dem Geſetze nicht die nöthigen
Garantien biete, jetzt aber, nachdem ſeine Candidatur geſiegt habe, begreife es nicht
weßhalb der Präſident der Republik der Rückkehr nach Paris ſich noch länger wider-
ſetze. „Wir beglückwünſchen uns, ſagt es ſchließlich, über die Wahl Vautrains,
eine Wahl aus der die Regierung eine Bedingung der Rückkehr nach Paris machte,
wenn ſie zum Reſultat haben müßte die Rechte dahin zu bringen Paris dieſes
Zeichen der Sympathie und des Vertrauens zu geben.“ — Aehnlich iſt auch die
Stimmung in den Abgeordnetenkreiſen in Verſailles. Die Linke und das linke
Centrum ſind in hohem Grade befriedigt, ſie ſind der Anſicht daß dieſe Wahl auf
Thiers, die Mitglieder der Commiſſion wie auf die Mehrheit der Verſammlung
einen bedeutenden Einfluß zu Gunſten der Rückkehr nach Paris üben werde, Re-
gierung und Verſammlung ſeien verpflichtet Paris ſich dankbar zu bezeigen. Auf
die Mitglieder der Rechten hat die Wahl jedoch nicht den gleichen Eindruck gemacht,
ihre Abneigung gegen die Rückkehr nach Paris iſt, wie dem „Conſtitutionnel“ ge-
ſchrieben wird, noch ebenſo groß wie vor der Wahl. Sie gehen davon aus: daß
ſie niemals die Candidatur Vautrains unterſtützt haben, und wenn auch die Wahl
als ein Triumph der Conſervativen und der Ordnungspartei hingeſtellt werde, ſo
ſei doch nicht zu vergeſſen daß 93,500 Wähler gebieteriſch die Rückkehr nach Paris,
die Auflöſung der Nationalverſammlung u. ſ. w. verlangt, und weder ihrem Haß
noch jedem Rachegedanken entſagt hätten. Für ſie bleibe daher die Sachlage die-
ſelbe. Die äußerſte Linke, in Paris geſchlagen, ruft das ihr günſtige Wahlergebniß
der Departements der Rhonemündungen und des Var aus. Obwohl die Regie-
rung ſich noch nicht ausgeſprochen hat, ſollen doch Hr. Thiers und die Miniſter ſehr
befriedigt über die Wahl ſein. Beim geſtrigen Dîner ſagte, wie verſichert wird,
Thiers zu einigen Abgeordneten: „ohne Verſailles zu verlaſſen, nähern wir uns
Paris.“ Hr. Caſimir Périer hat ſeine Abſicht als Miniſter des Innern ſeine
Entlaſſung einzureichen aufgegeben. Dieß iſt die Stimmung über die Wahl
Vautrains.

Ueber die Wahlen aus der Provinz liegen folgende Nachrichten vor. Im
Departement der Bouches-du-Rhône wurden die radicalen Candidaten Challemel-
Lacour und Bouchet gewählt, gegen den legitimiſtiſchen Candidaten Roux-Larey
und den Orleaniſten Simonin. Im Gard der Republicaner Laget gegen den Can-
didaten der vereinigten Legitimiſten und Orleaniſten Benoiſt d’Azy Sohn. Im
Var der Radicale Cotte gegen den Legitimiſten Clappier. In den Baſſes-Pyré-
nées ſiegte der klerikale Bonapartiſt Chesnelong gegen den republicaniſchen Mar-
quis de Noailles. Im Pas-de-Calais ſiegte der bonapartiſtiſche Ex-Präfect Levert
gegen den gambettiſtiſchen Ex-Präfecten Longlet. In den Ardennen ſiegte der Re-
publicaner Robert über zwei monarchiſche Candidaten, Evain und Doury. In
der Somme ſiegte der conſervative Candidat Dauphin über den republicaniſchen
Schriftſteller Jules Barni. In der Iſère ſiegte der republicaniſche Candidat Bril-
ler, doch fehlen die Details. Im Doubs ſiegte der republicaniſche Candidat Gandy
über den Conſervativen Eſtignard, doch fehlen die Details. In der Haute-Vienne
ſiegte der Conſervative Charreyron, ehemals kaiſerl. Bereiter über den republi-
caniſchen Candidaten Ninard. Im Nord ſiegten der conſervative Candidat Dupont
und der republicaniſche Candidat Deregnaucourt. In Savoyen der Thierſi-
ſtiſche Candidat Grange über den Radicalen Jacquemond. In Algerien ſchlugen
die radicalen Candidaten Jacques und Lambert den Legitimiſten Saint-Maur und
den Bonapartiſten Debrouſſe.

Victor Hugo richtet nach ſeiner Niederlage folgenden Aufruf an die Pariſer:

An das Pariſer Volk! Paris kann nicht unterliegen. Anſcheinende Nie-
derlagen verbergen nur den ſchließlichen Triumph. Die Menſchen vergehen, aber das
Volk bleibt. Die Stadt welche Deutſchland nicht zu beſiegen vermochte, wird nimmer
von der Reaction beſiegt werden. In gewiſſen ſeltſamen Zeitläuften wird die Geſell-
ſchaft von Furcht ergriffen und fleht bei dem Unerbittlichen um Hülfe. Dann hat der
Zorn allein das Wort, die Unverſöhnlichen ſind die Retter, und der Blutdurſt vertritt
den geſunden Menſchenverſtand. Das Vae victis allein wird zur Staatsraiſon;
Mitleid wird zum Verrath, dem man die Kataſtrophen aufbürdet. Als öffentlicher
Feind gilt der Mann der vom Wahnſinn der Milde erfaßt iſt. Beccaria macht
grufeln, und Las-Caſas erſcheint als Marat. Dieſe Kriſen, in denen die Furcht den
Schrecken gebiert, dauern nicht lange; ihre Heftigkeit ſelbſt führt ihr Ende herbei.
Binnen kurzer Zeit wird die falſche Ordnung welche der Säbel erzeugt, von der wahren
Ordnung beſiegt die aus der Freiheit emporſprießt. Um dieſen Sieg zu erlangen, be-
darf es keines heftigen Kampfes. Das vorwärtsſchreitende Menſchengeſchlecht erſchüt-
tert friedlich was fallen ſoll. Der ernſte und gemeſſene Gang des Fortſchritts genügt
um den Zuſammenſturz der falſchen Dinge herbeizuführen. Was Paris will, wird ge-
ſchehen. Gewiſſe Aufgaben ſind geſtellt, ſie werden ihre Löſung finden, und dieſe Lö-
ſung wird brüderlich ſein. Paris will die Beruhigung, die Eintracht, die Heilung der
ſocialen Wunden. Paris will den Schluß der Bürgerkriege. Das Ende der Kriege
erlangt man nur wenn man dem Haß ein Ziel ſetzt. Wodurch kann manden Haß aus-
löſchen? Durch die Amneſtie! Die Amneſtie iſt heute die tiefſte Bedingung der Ord-
nung. Das große Volk von Paris, eben ſeiner Größe wegen verkannt und verleumdet,
wird alle Hinderniſſe zu bewältigen wiſſen. Durch Ruhe und Willenskraft wird es
triumphiren. Das allgemeine Stimmrecht kann ſich wohl verfinſtern, es bleibt doch
der einzige Modus der Regierung. Das allgemeine Stimmrecht iſt die Macht die der
Gewalt um vieles überlegen iſt. Von neuem: „Alles durch das Votum, nichts durch
das Gewehr!“ Gerechtigkeit und Wahrheit ſind von erhabener Klarheit. Die Ver-
gangenheit vermag ſich der Zukunft gegenüber nicht aufrecht zu erhalten. Eine Stadt
wie Verſailles, welche das Königthum repräſentirt, kann den ſcharfen Blick einer Stadt
wie Paris, welche die Republik perſonificirt, nicht lange aushalten.

Victor Hugo.“
[Spaltenumbruch]

Das „Siècle“ veröffentlicht einen Hirtenbrief des Cardinal-Erzbiſchofs
von Chambéry, worin dieſer ſeine Geiſtlichkeit anweist ihren Einfluß zu Gunſten
des conſervativen Wahlcandidaten anzuwenden, am Wahltage früh eine Meſſe zu
leſen, und den Gläubigen vorzuſtellen daß es für ſie eine Gewiſſensverpflichtung
unter Strafe ſchwerer Sünde ſei einen guten Katholiken zu wählen.

Sechstes Kriegsgericht zu Verſailles. Verhandlung gegen die
Mörder der Geiſeln. Sitzung vom 8 Jan.
Auf die Verleſung des An-
klageacts folgt das Verhör des Angeklagten François, welcher das Ausſehen eines
friedlichen Bourgeois hat und, bei aller Ruhe die er affectirt, ſeine Lage in ihrer ganzen
Schwere zu erkennen ſcheint. Er läugnet bei der Erſchießung der Geiſeln betheiligt ge-
weſen zu ſein. Am 24 Mai will er die Kanzlei nicht verlaſſen und allein, nicht aber,
wie ein Zeuge behauptet, mit Ferré gefrühſtückt haben. Die Weiſung ſechs Geiſeln zu
erſchießen, habe deren nur zwei mit Namen genannt. Er habe proteſtiren wollen,
aber bald das Unnütze jeder Einmiſchung eingeſehen. Er weiß auch nicht wie die übrigen
Geiſeln aus den Gefangenen ausgeſucht wurden, läugnet aber an dieſem Tage, wie auch
ſonſt, betrunken geweſen zu ſein. Auf die Anſchuldigungen aus der Zelle des Erzbiſchofs
religiöſe Gegenſtände und eine Summe von 20,000 Fr. geſtohlen zu haben, erwiedert
François: daß er davon weder etwas genommen noch geſehen habe. Nach der Hin-
richtung habe er ſich in ſein Zimmer zurückgezogen. Aufgefordert einen Bericht über
den Verlauf des 24 Mai zu geben, erzählt François das Bekannte: er habe Weiſung
erhalten, gehorchen müſſen und weiter keinen Theil an der Hinrichtung genommen.
Zweimal habe er verſucht ſich derſelben zu widerſetzen, und auch im Gefängniß keine
bewaffnete Macht beſeſſen die ihm dieß ernſtlich geſtattet hätte. Er erkennt unter den Mit-
angeklagten keinen der betheiligten Nationalgarden wieder. Man ſchreitet zum Verhör
des Angeklagten Ramain, der behauptet ganz einflußlos im Gefängniß geweſen zu
ſein, und beruft ſich darauf daß jeder Widerſtand ſeinerſeits unnütz geweſen wäre, indem
er an den Säbelhieb erinnert den er erhalten, als er nicht ſchnell genug die Geiſeln zu
holen bereit war. Auch er will der Hinrichtung nicht beigewohnt haben. Nach der-
ſelben habe er jedoch mit dem Unterregiſtrator von La Roquette und dem von Petite-
Roquette die Leichname recognoſcirt, und ihre Werthſachen in ein rothes Tuch gelegt, das
in ein Zimmer des Gefängnißdirectors getragen worden ſei. François behauptet
daß man dieſe Gegenſtände unter ein Ruhebett gethan, deſſen er ſich nur bei Tage be-
diente. Um die Werthſachen habe er ſich nicht gekümmert; am nächſten Tage ſei ihm
geſagt worden daß man dieſelben verbrannt habe. Ramain beſtätigt übrigens daß
François der Plünderung der Zellen nicht beigewohnt. Er erkennt unter den Mitange-
klagten Pigère als denjenigen Officier der Nationalgarde welcher das Executionspeloton
commandirt habe.

Der Pariſer Gemeinderath thut was Thiers und die
Nationalverſammlung nicht zu unternehmen wagen. Er unternimmt eine nach
der progreſſiven Einkommenſteuer ſtrebende Reform des ſtädtiſchen Abgabenſyſtems.
Vorerſt beſteuert er die Miethzinſe mit 4 Proc. für 100 bis 600 Fr., mit 15 Proc.
für die höhern Beträge. Eine Wohnung von 1000 Fr. wird alſo jährlich an die
Stadt 150 Fr. zu zahlen haben. Er hebt auch die Gleichheit des Octroi für
ſämmtliche Weinſorten auf, und führt eine höhere Abgabe auf die beſſern Sorten
und auf den Wein in Flaſchen ein. Uebrigens hat die Nationalverſammlung ge-
ſtern abermals bewieſen daß Thiers allein ſie verhindert ſich mit der allgemeinen
Einkommenſteuer als einem temporären patriotiſchen Opfer zu befreunden. Hr.
Rouveure, obſchon auf der Rechten ſitzend, ſtellte ſich auf der Rednerbühne als
Republicaner vor, weil er aufrichtig conſervativ iſt. Doch ſchenkte ihm die Mehr-
heit eine wohlwollende zuſtimmende Aufmerkſamkeit, als er aus Gründen der ſocia-
len Gerechtigkeit für die allgemeine Einkommenſteuer plädirte, und ihr die nächſte
Zukunft unter allen Umſtänden zuſicherte. Seine vortreffliche Rede brachte einen ſo
tiefen und günſtigen Eindruck hervor, daß Thiers dagegen ſich ereifern mußte. Heute
wurde, da der bisherige Butgetausſchuß geſtern ſein Mandat niedergelegt hatte,
in den Bureaux der neue Budgetausſchuß ernannt. Die Mitglieder der Linken
und des linken Centrums bemühen ſich eine Verſtändigung über die noch ſchwe-
benden Steuerfragen und über das 1872er Budget zu beſchleunigen. Allem An
ſchein nach wird der Finanzminiſter auf die Couponsbeſteuerung verzichten, und
ſich mit einem kaum fühlbaren Einfuhrzoll auf Rohſtoffe begnügen müſſen. Man
thut ſpät was ſogleich geſchehen konnte, nämlich den bereits beſtehenden directen
Steuern ſo viele Centimes zuzuſchlagen als die Liquidation des Kaiſerthums er-
heiſcht, jedoch dieſe Steuerzuſchläge auf den Steuerbogen ausdrücklich als Ko-
ſten des vom Kaiſerthum erklärten Krieges zu bezeichnen. Die Linke beſorgt
der Bauer werde, wie 1848, die Erhöhung der Grundſteuer abermals der
Republik zur Laſt legen. Aber auch der Bauer hat ſeitdem manches gelernt,
und ſeine Steuerkraft hat ſich bedeutend geſteigert. Uebrigens unterliegt es keinem
Zweifel daß noch beträchtliche Poſten des Ausgabebudgets unterdrückt werden
könnten, wenn man ſich noch die Zeit zu Studien und Discuſſionen nehmen dürfte.
Intereſſante Andeutungen und Vorſchläge werden jedoch nicht ausbleiben, und in
dieſer Beziehung wird das nächſte Budget ausgiebig verbeſſert werden. Da höchſt
wahrſcheinlich im Herbſt eine große Creditoperation ſtattfinden muß, ſo erſcheinen
die im laufenden Budget angeſetzten 200 Millionen Francs für Schuldentilgung
allerdings als eine Abnormität, wenn nicht als eine Abſurdität. Die Unterdrückung
dieſes Poſtens würde überdieß geſtatten die Einfuhrzölle auf Rohſtoffe gänzlich zu
verwerfen und die directen Abgaben bloß unmerklich zu erhöhen. Aber die Schul-
dentilgung iſt für Thiers eine Gewiſſensſache, und er berechnet insbeſondere ihre
ſittliche Wirkung. Beſtritten kann es ihm nicht werden daß die jährliche Zurück-
zahlung von 200 Millionen an die Bank, alſo die Tilgung der bezüglichen Schuld
binnen ſechs oder ſieben Jahren, den Bankcredit conſolidirt, die Banknoten in Ehren
erhält, und mithin die Nachtheile des Zwangscurſes ſchon deßhalb vermindert weil
die Gewißheit beſteht er werde bloß ein paar Jahre dauern. Thiers wird ſich alſo
die 200 Millionen nicht nehmen laſſen, während er in den Tariffragen mit ſich
reden läßt und auch der allgemeinen Wehrpflicht Zugeſtändniſſe macht, wie die
Reaction ſich den Schulzwang gefallen laſſen will, wenn er instruction légale ſtatt
instruction obligatoire genannt wird. Die Steuerdebatten wie die Budgetdis-
cuſſion werden alſo erſprießlich und mit Beſchleunigung ans Ziel gelangen. Fürſt
Bismarck wußte wohl wie er daran iſt als er dem Geſandten der Republik, bei
deſſen erſtem Empfang ſein Compliment über die Zahlungsfähigkeit des Hrn. Thiers
und über die unermüdliche Gewandtheit des Hrn. Pouyer-Quertier machte, welcher
jedoch für die Financiers zu wenig Bankier und für die Börſe viel zu viel neutral
und zurückhaltend iſt.

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Hugo &#x017F;iegreich aus der Wahlurne hervorgegangen, &#x017F;o hätte man denen welche die&#x017F;e<lb/>
Rückkehr verlangen mit Recht einwenden können: &#x017F;olange Paris in den Händen<lb/>
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Die&#x017F;er Grund i&#x017F;t jetzt weggefallen, und &#x017F;o vereinigen die Blätter aller Parteifar-<lb/>
ben ihre Stimme um die Rückkehr nach Paris zu fordern. Dieß thut insbe&#x017F;on-<lb/>
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Wahl Vautrains widmet. Das zum Bonapartismus neigende Blatt erklärt: die<lb/>
Candidatur Vautrains verworfen zu haben weil der&#x017F;elbe wegen &#x017F;einer Haltung im<lb/>
Commune-Auf&#x017F;tand in Bezug auf Achtung vor dem Ge&#x017F;etze nicht die nöthigen<lb/>
Garantien biete, jetzt aber, nachdem &#x017F;eine Candidatur ge&#x017F;iegt habe, begreife es nicht<lb/>
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&#x017F;etze. &#x201E;Wir beglückwün&#x017F;chen uns, &#x017F;agt es &#x017F;chließlich, über die Wahl Vautrains,<lb/>
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Zeichen der Sympathie und des Vertrauens zu geben.&#x201C; &#x2014; Aehnlich i&#x017F;t auch die<lb/>
Stimmung in den Abgeordnetenkrei&#x017F;en in Ver&#x017F;ailles. Die Linke und das linke<lb/>
Centrum &#x017F;ind in hohem Grade befriedigt, &#x017F;ie &#x017F;ind der An&#x017F;icht daß die&#x017F;e Wahl auf<lb/>
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&#x017F;chrieben wird, noch eben&#x017F;o groß wie vor der Wahl. Sie gehen davon aus: daß<lb/>
&#x017F;ie niemals die Candidatur Vautrains unter&#x017F;tützt haben, und wenn auch die Wahl<lb/>
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&#x017F;elbe. Die äußer&#x017F;te Linke, in Paris ge&#x017F;chlagen, ruft das ihr gün&#x017F;tige Wahlergebniß<lb/>
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ler, doch fehlen die Details. Im Doubs &#x017F;iegte der republicani&#x017F;che Candidat Gandy<lb/>
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&#x017F;iegte der Con&#x017F;ervative Charreyron, ehemals kai&#x017F;erl. Bereiter über den republi-<lb/>
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&#x017F;ti&#x017F;che Candidat Grange über den Radicalen Jacquemond. In Algerien &#x017F;chlugen<lb/>
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derlagen verbergen nur den &#x017F;chließlichen Triumph. Die Men&#x017F;chen vergehen, aber das<lb/>
Volk bleibt. Die Stadt welche Deut&#x017F;chland nicht zu be&#x017F;iegen vermochte, wird nimmer<lb/>
von der Reaction be&#x017F;iegt werden. In gewi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;elt&#x017F;amen Zeitläuften wird die Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft von Furcht ergriffen und fleht bei dem Unerbittlichen um Hülfe. Dann hat der<lb/>
Zorn allein das Wort, die Unver&#x017F;öhnlichen &#x017F;ind die Retter, und der Blutdur&#x017F;t vertritt<lb/>
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Mitleid wird zum Verrath, dem man die Kata&#x017F;trophen aufbürdet. Als öffentlicher<lb/>
Feind gilt der Mann der vom Wahn&#x017F;inn der Milde erfaßt i&#x017F;t. Beccaria macht<lb/>
grufeln, und Las-Ca&#x017F;as er&#x017F;cheint als Marat. Die&#x017F;e Kri&#x017F;en, in denen die Furcht den<lb/>
Schrecken gebiert, dauern nicht lange; ihre Heftigkeit &#x017F;elb&#x017F;t führt ihr Ende herbei.<lb/>
Binnen kurzer Zeit wird die fal&#x017F;che Ordnung welche der Säbel erzeugt, von der wahren<lb/>
Ordnung be&#x017F;iegt die aus der Freiheit empor&#x017F;prießt. Um die&#x017F;en Sieg zu erlangen, be-<lb/>
darf es keines heftigen Kampfes. Das vorwärts&#x017F;chreitende Men&#x017F;chenge&#x017F;chlecht er&#x017F;chüt-<lb/>
tert friedlich was fallen &#x017F;oll. Der ern&#x017F;te und geme&#x017F;&#x017F;ene Gang des Fort&#x017F;chritts genügt<lb/>
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&#x017F;chehen. Gewi&#x017F;&#x017F;e Aufgaben &#x017F;ind ge&#x017F;tellt, &#x017F;ie werden ihre Lö&#x017F;ung finden, und die&#x017F;e Lö-<lb/>
&#x017F;ung wird brüderlich &#x017F;ein. Paris will die Beruhigung, die Eintracht, die Heilung der<lb/>
&#x017F;ocialen Wunden. Paris will den Schluß der Bürgerkriege. Das Ende der Kriege<lb/>
erlangt man nur wenn man dem Haß ein Ziel &#x017F;etzt. Wodurch kann manden Haß aus-<lb/>&#x017F;chen? Durch die Amne&#x017F;tie! Die Amne&#x017F;tie i&#x017F;t heute die tief&#x017F;te Bedingung der Ord-<lb/>
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triumphiren. Das allgemeine Stimmrecht kann &#x017F;ich wohl verfin&#x017F;tern, es bleibt doch<lb/>
der einzige Modus der Regierung. Das allgemeine Stimmrecht i&#x017F;t die Macht die der<lb/>
Gewalt um vieles überlegen i&#x017F;t. Von neuem: &#x201E;Alles durch das Votum, nichts durch<lb/>
das Gewehr!&#x201C; Gerechtigkeit und Wahrheit &#x017F;ind von erhabener Klarheit. Die Ver-<lb/>
gangenheit vermag &#x017F;ich der Zukunft gegenüber nicht aufrecht zu erhalten. Eine Stadt<lb/>
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Mörder der Gei&#x017F;eln. Sitzung vom 8 Jan.</hi> Auf die Verle&#x017F;ung des An-<lb/>
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Gei&#x017F;eln aus den Gefangenen ausge&#x017F;ucht wurden, läugnet aber an die&#x017F;em Tage, wie auch<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t, betrunken gewe&#x017F;en zu &#x017F;ein. Auf die An&#x017F;chuldigungen aus der Zelle des Erzbi&#x017F;chofs<lb/>
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&#x017F;ämmtliche Wein&#x017F;orten auf, und führt eine höhere Abgabe auf die be&#x017F;&#x017F;ern Sorten<lb/>
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Einkommen&#x017F;teuer als einem temporären patrioti&#x017F;chen Opfer zu befreunden. Hr.<lb/>
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in den Bureaux der neue Budgetaus&#x017F;chuß ernannt. Die Mitglieder der Linken<lb/>
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benden Steuerfragen und über das 1872er Budget zu be&#x017F;chleunigen. Allem An<lb/>
&#x017F;chein nach wird der Finanzmini&#x017F;ter auf die Couponsbe&#x017F;teuerung verzichten, und<lb/>
&#x017F;ich mit einem kaum fühlbaren Einfuhrzoll auf Roh&#x017F;toffe begnügen mü&#x017F;&#x017F;en. Man<lb/>
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&#x017F;ten des vom Kai&#x017F;erthum erklärten Krieges zu bezeichnen. Die Linke be&#x017F;orgt<lb/>
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[166/0006] ſerven ohne großes Aufſehen heranzubilden, ſobald ſie ſich zu einer Art Krümper- ſyſtem entſchließt, das ihr wenigſtens mit Sicherheit die bisher ſo ſchmerzlich ver- mißten Recruten für die Linie ſchaffen wird. Frankreich. Paris, 9 Jan. * Das Urtheil der Preſſe über die Bedeutung der Wahl Vautrains läßt ſich in Kürze dahin zuſammenfaſſen: daß dieſelbe die Frage über die Rückkehr der Regierung und Nationalverſammlung nach Paris entſchieden hat. Wäre Victor Hugo ſiegreich aus der Wahlurne hervorgegangen, ſo hätte man denen welche dieſe Rückkehr verlangen mit Recht einwenden können: ſolange Paris in den Händen der radicalen Partei ſei, biete es für die Sicherheit der Regierung keine Garantie. Dieſer Grund iſt jetzt weggefallen, und ſo vereinigen die Blätter aller Parteifar- ben ihre Stimme um die Rückkehr nach Paris zu fordern. Dieß thut insbeſon- dere auch der „Conſtitutionnel,“ welcher heute nicht weniger als drei Artikel der Wahl Vautrains widmet. Das zum Bonapartismus neigende Blatt erklärt: die Candidatur Vautrains verworfen zu haben weil derſelbe wegen ſeiner Haltung im Commune-Aufſtand in Bezug auf Achtung vor dem Geſetze nicht die nöthigen Garantien biete, jetzt aber, nachdem ſeine Candidatur geſiegt habe, begreife es nicht weßhalb der Präſident der Republik der Rückkehr nach Paris ſich noch länger wider- ſetze. „Wir beglückwünſchen uns, ſagt es ſchließlich, über die Wahl Vautrains, eine Wahl aus der die Regierung eine Bedingung der Rückkehr nach Paris machte, wenn ſie zum Reſultat haben müßte die Rechte dahin zu bringen Paris dieſes Zeichen der Sympathie und des Vertrauens zu geben.“ — Aehnlich iſt auch die Stimmung in den Abgeordnetenkreiſen in Verſailles. Die Linke und das linke Centrum ſind in hohem Grade befriedigt, ſie ſind der Anſicht daß dieſe Wahl auf Thiers, die Mitglieder der Commiſſion wie auf die Mehrheit der Verſammlung einen bedeutenden Einfluß zu Gunſten der Rückkehr nach Paris üben werde, Re- gierung und Verſammlung ſeien verpflichtet Paris ſich dankbar zu bezeigen. Auf die Mitglieder der Rechten hat die Wahl jedoch nicht den gleichen Eindruck gemacht, ihre Abneigung gegen die Rückkehr nach Paris iſt, wie dem „Conſtitutionnel“ ge- ſchrieben wird, noch ebenſo groß wie vor der Wahl. Sie gehen davon aus: daß ſie niemals die Candidatur Vautrains unterſtützt haben, und wenn auch die Wahl als ein Triumph der Conſervativen und der Ordnungspartei hingeſtellt werde, ſo ſei doch nicht zu vergeſſen daß 93,500 Wähler gebieteriſch die Rückkehr nach Paris, die Auflöſung der Nationalverſammlung u. ſ. w. verlangt, und weder ihrem Haß noch jedem Rachegedanken entſagt hätten. Für ſie bleibe daher die Sachlage die- ſelbe. Die äußerſte Linke, in Paris geſchlagen, ruft das ihr günſtige Wahlergebniß der Departements der Rhonemündungen und des Var aus. Obwohl die Regie- rung ſich noch nicht ausgeſprochen hat, ſollen doch Hr. Thiers und die Miniſter ſehr befriedigt über die Wahl ſein. Beim geſtrigen Dîner ſagte, wie verſichert wird, Thiers zu einigen Abgeordneten: „ohne Verſailles zu verlaſſen, nähern wir uns Paris.“ Hr. Caſimir Périer hat ſeine Abſicht als Miniſter des Innern ſeine Entlaſſung einzureichen aufgegeben. Dieß iſt die Stimmung über die Wahl Vautrains. Ueber die Wahlen aus der Provinz liegen folgende Nachrichten vor. Im Departement der Bouches-du-Rhône wurden die radicalen Candidaten Challemel- Lacour und Bouchet gewählt, gegen den legitimiſtiſchen Candidaten Roux-Larey und den Orleaniſten Simonin. Im Gard der Republicaner Laget gegen den Can- didaten der vereinigten Legitimiſten und Orleaniſten Benoiſt d’Azy Sohn. Im Var der Radicale Cotte gegen den Legitimiſten Clappier. In den Baſſes-Pyré- nées ſiegte der klerikale Bonapartiſt Chesnelong gegen den republicaniſchen Mar- quis de Noailles. Im Pas-de-Calais ſiegte der bonapartiſtiſche Ex-Präfect Levert gegen den gambettiſtiſchen Ex-Präfecten Longlet. In den Ardennen ſiegte der Re- publicaner Robert über zwei monarchiſche Candidaten, Evain und Doury. In der Somme ſiegte der conſervative Candidat Dauphin über den republicaniſchen Schriftſteller Jules Barni. In der Iſère ſiegte der republicaniſche Candidat Bril- ler, doch fehlen die Details. Im Doubs ſiegte der republicaniſche Candidat Gandy über den Conſervativen Eſtignard, doch fehlen die Details. In der Haute-Vienne ſiegte der Conſervative Charreyron, ehemals kaiſerl. Bereiter über den republi- caniſchen Candidaten Ninard. Im Nord ſiegten der conſervative Candidat Dupont und der republicaniſche Candidat Deregnaucourt. In Savoyen der Thierſi- ſtiſche Candidat Grange über den Radicalen Jacquemond. In Algerien ſchlugen die radicalen Candidaten Jacques und Lambert den Legitimiſten Saint-Maur und den Bonapartiſten Debrouſſe. Victor Hugo richtet nach ſeiner Niederlage folgenden Aufruf an die Pariſer: „An das Pariſer Volk! Paris kann nicht unterliegen. Anſcheinende Nie- derlagen verbergen nur den ſchließlichen Triumph. Die Menſchen vergehen, aber das Volk bleibt. Die Stadt welche Deutſchland nicht zu beſiegen vermochte, wird nimmer von der Reaction beſiegt werden. In gewiſſen ſeltſamen Zeitläuften wird die Geſell- ſchaft von Furcht ergriffen und fleht bei dem Unerbittlichen um Hülfe. Dann hat der Zorn allein das Wort, die Unverſöhnlichen ſind die Retter, und der Blutdurſt vertritt den geſunden Menſchenverſtand. Das Vae victis allein wird zur Staatsraiſon; Mitleid wird zum Verrath, dem man die Kataſtrophen aufbürdet. Als öffentlicher Feind gilt der Mann der vom Wahnſinn der Milde erfaßt iſt. Beccaria macht grufeln, und Las-Caſas erſcheint als Marat. Dieſe Kriſen, in denen die Furcht den Schrecken gebiert, dauern nicht lange; ihre Heftigkeit ſelbſt führt ihr Ende herbei. Binnen kurzer Zeit wird die falſche Ordnung welche der Säbel erzeugt, von der wahren Ordnung beſiegt die aus der Freiheit emporſprießt. Um dieſen Sieg zu erlangen, be- darf es keines heftigen Kampfes. Das vorwärtsſchreitende Menſchengeſchlecht erſchüt- tert friedlich was fallen ſoll. Der ernſte und gemeſſene Gang des Fortſchritts genügt um den Zuſammenſturz der falſchen Dinge herbeizuführen. Was Paris will, wird ge- ſchehen. Gewiſſe Aufgaben ſind geſtellt, ſie werden ihre Löſung finden, und dieſe Lö- ſung wird brüderlich ſein. Paris will die Beruhigung, die Eintracht, die Heilung der ſocialen Wunden. Paris will den Schluß der Bürgerkriege. Das Ende der Kriege erlangt man nur wenn man dem Haß ein Ziel ſetzt. Wodurch kann manden Haß aus- löſchen? Durch die Amneſtie! Die Amneſtie iſt heute die tiefſte Bedingung der Ord- nung. Das große Volk von Paris, eben ſeiner Größe wegen verkannt und verleumdet, wird alle Hinderniſſe zu bewältigen wiſſen. Durch Ruhe und Willenskraft wird es triumphiren. Das allgemeine Stimmrecht kann ſich wohl verfinſtern, es bleibt doch der einzige Modus der Regierung. Das allgemeine Stimmrecht iſt die Macht die der Gewalt um vieles überlegen iſt. Von neuem: „Alles durch das Votum, nichts durch das Gewehr!“ Gerechtigkeit und Wahrheit ſind von erhabener Klarheit. Die Ver- gangenheit vermag ſich der Zukunft gegenüber nicht aufrecht zu erhalten. Eine Stadt wie Verſailles, welche das Königthum repräſentirt, kann den ſcharfen Blick einer Stadt wie Paris, welche die Republik perſonificirt, nicht lange aushalten. Paris, den 8 Januar 1872.Victor Hugo.“ Das „Siècle“ veröffentlicht einen Hirtenbrief des Cardinal-Erzbiſchofs von Chambéry, worin dieſer ſeine Geiſtlichkeit anweist ihren Einfluß zu Gunſten des conſervativen Wahlcandidaten anzuwenden, am Wahltage früh eine Meſſe zu leſen, und den Gläubigen vorzuſtellen daß es für ſie eine Gewiſſensverpflichtung unter Strafe ſchwerer Sünde ſei einen guten Katholiken zu wählen. Sechstes Kriegsgericht zu Verſailles. Verhandlung gegen die Mörder der Geiſeln. Sitzung vom 8 Jan. Auf die Verleſung des An- klageacts folgt das Verhör des Angeklagten François, welcher das Ausſehen eines friedlichen Bourgeois hat und, bei aller Ruhe die er affectirt, ſeine Lage in ihrer ganzen Schwere zu erkennen ſcheint. Er läugnet bei der Erſchießung der Geiſeln betheiligt ge- weſen zu ſein. Am 24 Mai will er die Kanzlei nicht verlaſſen und allein, nicht aber, wie ein Zeuge behauptet, mit Ferré gefrühſtückt haben. Die Weiſung ſechs Geiſeln zu erſchießen, habe deren nur zwei mit Namen genannt. Er habe proteſtiren wollen, aber bald das Unnütze jeder Einmiſchung eingeſehen. Er weiß auch nicht wie die übrigen Geiſeln aus den Gefangenen ausgeſucht wurden, läugnet aber an dieſem Tage, wie auch ſonſt, betrunken geweſen zu ſein. Auf die Anſchuldigungen aus der Zelle des Erzbiſchofs religiöſe Gegenſtände und eine Summe von 20,000 Fr. geſtohlen zu haben, erwiedert François: daß er davon weder etwas genommen noch geſehen habe. Nach der Hin- richtung habe er ſich in ſein Zimmer zurückgezogen. Aufgefordert einen Bericht über den Verlauf des 24 Mai zu geben, erzählt François das Bekannte: er habe Weiſung erhalten, gehorchen müſſen und weiter keinen Theil an der Hinrichtung genommen. Zweimal habe er verſucht ſich derſelben zu widerſetzen, und auch im Gefängniß keine bewaffnete Macht beſeſſen die ihm dieß ernſtlich geſtattet hätte. Er erkennt unter den Mit- angeklagten keinen der betheiligten Nationalgarden wieder. Man ſchreitet zum Verhör des Angeklagten Ramain, der behauptet ganz einflußlos im Gefängniß geweſen zu ſein, und beruft ſich darauf daß jeder Widerſtand ſeinerſeits unnütz geweſen wäre, indem er an den Säbelhieb erinnert den er erhalten, als er nicht ſchnell genug die Geiſeln zu holen bereit war. Auch er will der Hinrichtung nicht beigewohnt haben. Nach der- ſelben habe er jedoch mit dem Unterregiſtrator von La Roquette und dem von Petite- Roquette die Leichname recognoſcirt, und ihre Werthſachen in ein rothes Tuch gelegt, das in ein Zimmer des Gefängnißdirectors getragen worden ſei. François behauptet daß man dieſe Gegenſtände unter ein Ruhebett gethan, deſſen er ſich nur bei Tage be- diente. Um die Werthſachen habe er ſich nicht gekümmert; am nächſten Tage ſei ihm geſagt worden daß man dieſelben verbrannt habe. Ramain beſtätigt übrigens daß François der Plünderung der Zellen nicht beigewohnt. Er erkennt unter den Mitange- klagten Pigère als denjenigen Officier der Nationalgarde welcher das Executionspeloton commandirt habe. * Paris, 9 Jan. Der Pariſer Gemeinderath thut was Thiers und die Nationalverſammlung nicht zu unternehmen wagen. Er unternimmt eine nach der progreſſiven Einkommenſteuer ſtrebende Reform des ſtädtiſchen Abgabenſyſtems. Vorerſt beſteuert er die Miethzinſe mit 4 Proc. für 100 bis 600 Fr., mit 15 Proc. für die höhern Beträge. Eine Wohnung von 1000 Fr. wird alſo jährlich an die Stadt 150 Fr. zu zahlen haben. Er hebt auch die Gleichheit des Octroi für ſämmtliche Weinſorten auf, und führt eine höhere Abgabe auf die beſſern Sorten und auf den Wein in Flaſchen ein. Uebrigens hat die Nationalverſammlung ge- ſtern abermals bewieſen daß Thiers allein ſie verhindert ſich mit der allgemeinen Einkommenſteuer als einem temporären patriotiſchen Opfer zu befreunden. Hr. Rouveure, obſchon auf der Rechten ſitzend, ſtellte ſich auf der Rednerbühne als Republicaner vor, weil er aufrichtig conſervativ iſt. Doch ſchenkte ihm die Mehr- heit eine wohlwollende zuſtimmende Aufmerkſamkeit, als er aus Gründen der ſocia- len Gerechtigkeit für die allgemeine Einkommenſteuer plädirte, und ihr die nächſte Zukunft unter allen Umſtänden zuſicherte. Seine vortreffliche Rede brachte einen ſo tiefen und günſtigen Eindruck hervor, daß Thiers dagegen ſich ereifern mußte. Heute wurde, da der bisherige Butgetausſchuß geſtern ſein Mandat niedergelegt hatte, in den Bureaux der neue Budgetausſchuß ernannt. Die Mitglieder der Linken und des linken Centrums bemühen ſich eine Verſtändigung über die noch ſchwe- benden Steuerfragen und über das 1872er Budget zu beſchleunigen. Allem An ſchein nach wird der Finanzminiſter auf die Couponsbeſteuerung verzichten, und ſich mit einem kaum fühlbaren Einfuhrzoll auf Rohſtoffe begnügen müſſen. Man thut ſpät was ſogleich geſchehen konnte, nämlich den bereits beſtehenden directen Steuern ſo viele Centimes zuzuſchlagen als die Liquidation des Kaiſerthums er- heiſcht, jedoch dieſe Steuerzuſchläge auf den Steuerbogen ausdrücklich als Ko- ſten des vom Kaiſerthum erklärten Krieges zu bezeichnen. Die Linke beſorgt der Bauer werde, wie 1848, die Erhöhung der Grundſteuer abermals der Republik zur Laſt legen. Aber auch der Bauer hat ſeitdem manches gelernt, und ſeine Steuerkraft hat ſich bedeutend geſteigert. Uebrigens unterliegt es keinem Zweifel daß noch beträchtliche Poſten des Ausgabebudgets unterdrückt werden könnten, wenn man ſich noch die Zeit zu Studien und Discuſſionen nehmen dürfte. Intereſſante Andeutungen und Vorſchläge werden jedoch nicht ausbleiben, und in dieſer Beziehung wird das nächſte Budget ausgiebig verbeſſert werden. Da höchſt wahrſcheinlich im Herbſt eine große Creditoperation ſtattfinden muß, ſo erſcheinen die im laufenden Budget angeſetzten 200 Millionen Francs für Schuldentilgung allerdings als eine Abnormität, wenn nicht als eine Abſurdität. Die Unterdrückung dieſes Poſtens würde überdieß geſtatten die Einfuhrzölle auf Rohſtoffe gänzlich zu verwerfen und die directen Abgaben bloß unmerklich zu erhöhen. Aber die Schul- dentilgung iſt für Thiers eine Gewiſſensſache, und er berechnet insbeſondere ihre ſittliche Wirkung. Beſtritten kann es ihm nicht werden daß die jährliche Zurück- zahlung von 200 Millionen an die Bank, alſo die Tilgung der bezüglichen Schuld binnen ſechs oder ſieben Jahren, den Bankcredit conſolidirt, die Banknoten in Ehren erhält, und mithin die Nachtheile des Zwangscurſes ſchon deßhalb vermindert weil die Gewißheit beſteht er werde bloß ein paar Jahre dauern. Thiers wird ſich alſo die 200 Millionen nicht nehmen laſſen, während er in den Tariffragen mit ſich reden läßt und auch der allgemeinen Wehrpflicht Zugeſtändniſſe macht, wie die Reaction ſich den Schulzwang gefallen laſſen will, wenn er instruction légale ſtatt instruction obligatoire genannt wird. Die Steuerdebatten wie die Budgetdis- cuſſion werden alſo erſprießlich und mit Beſchleunigung ans Ziel gelangen. Fürſt Bismarck wußte wohl wie er daran iſt als er dem Geſandten der Republik, bei deſſen erſtem Empfang ſein Compliment über die Zahlungsfähigkeit des Hrn. Thiers und über die unermüdliche Gewandtheit des Hrn. Pouyer-Quertier machte, welcher jedoch für die Financiers zu wenig Bankier und für die Börſe viel zu viel neutral und zurückhaltend iſt.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 12. Januar 1872, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine12_1872/6>, abgerufen am 24.11.2024.