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Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 12. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] bietet den Knaben und Jünglingen den Unterricht an den Gymnasien fast unent-
geltlich; er zahlt große Summen um die Hochschulen zu erhalten; er gibt über-
dieß Stipendien; er lockt durch den Reiz der akademischen Freiheit und der voraka-
demischen Ahnungen von derselben, durch die Ehrenrechte die er seinen Bediensteten
sichert, durch eine Stellung in der Gesellschaft, welche dem Unkundigen nicht ahnen
läßt wie sauer sie dem Inhaber wird, und wenn dann eine große Anzahl von Be-
werbern sich immer noch findet welche schließlich unbefriedigt ist, nachdem sie ihr
Ziel erreicht hat, ist das ein unwiderleglicher Beweis dafür daß diese große Zahl
richtig gerechnet hat? Geschieht nicht alles mögliche um ein künstliches Angebot
hervorzurufen, und also die natürliche Voraussetzung für die Anwendbarkeit des
"Gesetzes" zu untergraben? Ein Privatmann welcher, zu einer Versteigerung die er
halten will, unentgeltliche Fuhrwerke liefert, Bier und Branntwein spendet und
sonstige Reizmittel anwendet, mag vielleicht hohe Preise erzielen, aber die richtigen
sind das nicht, und die Käufer werden nach der Ernüchterung sich für betrogen
halten. Es ist nicht in Abrede zu stellen daß dieses Gleichniß hinkt, wie jedes;
denn die Pflege der Bildung und Wissenschaft wird niemand für unsittlich hal-
ten, weder in den Motiven noch im Erfolg. Aber unläugbar ist daß sie einen Reiz
zur Benützung der dargebotenen Bildungsmittel enthält, daß also die Concurrenz
um den Staatsdienst eine künstlich gesteigerte ist.

Das Gesagte wird genügen um den Beweis zu liefern daß die Behauptung,
der Arbeitslohn -- die Besoldung -- der Staatsdiener müsse sich nach dem Gesetz
von Angebot und Nachfrage reguliren, nicht haltbar ist. Wir glauben aber auf der
andern Seite keiner weiteren Begründung zu bedürfen, wenn wir anerkennen daß
dieses wirthschaftliche "Gesetz" deßwegen nicht ganz und gar ignorirt werden darf,
sondern nehen andern Momenten allerdings Berücksichtigung finden muß. So wird
der Feustel'sche Satz in seine richtigen Gränzen verwiesen sein. So apodiktisch
aber die Aeußerung ist: es sei "unwiderleglich dargethan daß der Staatsdienst (also
mit den dermaligen Besoldungen) gesicherter und besser ist als der freie Erwerb,"
so zieht sich doch durch das ganze Referat das nicht bloß stillschweigende Anerkennt-
niß von der Unzulänglichkeit der gegenwärtigen Gehalte, und es findet sich darin
selbst das ausdrückliche "unbedingte" Zugeständniß: daß "die Besoldungsfrage(!)
einer Neuregulirung bedarf." Wie sich dieß mit jenem Absprechen vereinbart,
haben nicht wir zu vertreten.

Es scheint daß der Hr. Berichterstatter den volkswirthschaftlichen Satz nur
deßwegen entlehnt habe um seine abwehrende Stellung gegen die Regierungsvor-
lage zu verstärken, ohne sich aber die Tragweite desselben ganz klar gemacht zu haben.

Dieser verneinenden Haltung sprechen wir indessen durchaus nicht alle Be-
rechtigung ab, und wir stimmen mit dem Referat insofern überein, als auch wir
glauben daß das vorgeschlagene Besoldungsregulativ nach einer Seite hin zu weit
geht, indem es zu wenig unterscheidet. Dasselbe beruht nämlich auf einem ziemlich
weit entwickelten Altersclassen-System. Dieses System hat seine große Berechti-
gung, aber keine unbedingte. Es ist recht und billig und nothwendig daß die
Besoldungen im richtigen Verhältniß mit den Bedürfnissen stehen, und die Be-
dürfnisse der Menschen -- nämlich die wirklichen, nicht die eingebildeten -- also
auch der Staatsdiener, wachsen mit den Jahren. Es ist im Begriff des Lohns,
also auch des Gehalts, begründet daß er die Mittel zur Erhaltung einer Familie,
zur Erziehung von Kindern in "standesmäßiger" Weise gewähren muß. Die Fa-
milie und ihre Bedürfnisse wachsen aber mit den Jahren ganz besonders.

Diese Nothwendigkeit findet sich jedoch besonders berücksichtigt in den höheren
Gehalten für die höheren Stellen, wozu allerdings noch der weitere Umstand
kommt daß höher gestellte Staatsdiener, vermöge der gesellschaftlichen Verhältnisse
in denen sie leben, genöthigt sind manchen Aufwand zu machen welcher auf den
untergeordneteren Stufen nicht erforderlich ist, und daß für die oberen Stellen eine
gereiftere Erfahrung, entwickeltere Intelligenz, kurz eine gesteigerte Qualification
vorausgesetzt wird, um derenwillen nicht unbedingt jeder der einmal angestellt ist
auf jeden Posten avanciren kann für welchen ihn die Reihenfolge treffen würde.

Soll nun aber derjenige welcher nicht fähig ist eine höhere Stelle zu beklei-
den, lediglich seines Alters wegen im Gehalt so vorrücken wie diejenigen welche
die erforderlichen Eigenschaften besitzen?

Wir sind der Meinung daß dieß nicht geschehen sollte, und daß die Gehalte
der unteren Stellen an jener Altersgränze aufhören sollten zu steigen an welcher
die befähigten Bediensteten zur nächsthöheren aufzusteigen pflegen. Es scheint uns
eine zu weit gehende, eine falsche Humanität zu sein, wenn man aus purem Mit-
leid immer nur die niedrigeren Stellen, wie man bei uns in neuerer Zeit stets
geneigt war, aufbessert, und dadurch theils die jüngeren Beamten, theils die minder
befähigten begünstigt. Es ist einmal in der Natur der Verhältnisse begründet --
und es ist in der ganzen Welt so -- daß der wenig Befähigte wirthschaftlich zurück-
bleibt; warum soll denn im Staatsdienst eine Ausnahme erkünstelt werden? Es
entspricht also den Anforderungen der Gerechtigkeit und einer gesunden Politik daß
die gesteigerten Bedürfnisse eines höheren Alters und einer herangewachsenen Fa-
milie ihre Berücksichtigung vorzugsweise in den höheren Gehalten der oberen Stel-
len finden. Da dieß aber in dem Regulativ von 1868 außer Augen gelassen und
die vorhin angedeutete Gränze überschritten worden zu sein scheint, so waren die
Anforderungen an die Staatscasse überspannte, und die Folge war daß auch die
berechtigten Ansprüche nicht befriedigt wurden.

Schon jetzt sind die Verhältnisse so daß die Bediensteten der unteren Grade
bei normalem Gange des Vorrückens mit ihren kleineren oder erst beginnenden
Familien leichter mit ihren Gehalten auskommen als die älteren Beamten höherer
Grade, welche nach der Natur der Sache in vorgerückteren Jahren stehen und für
herangewachsene Kinder zu sorgen haben. Damit soll aber keineswegs gesagt sein
daß die jetzigen Gehalte auf den niedrigeren Stufen des Staatsdienstes zu hoch,
oder auch nur daß sie durchweg genügend seien, sondern bloß daß auch die oberen
Stufen der Aufbesserung und vielleicht noch mehr bedürfen. Den weiteren Be-
weis daß die Gehalte namentlich auf den Mittelstellen unzulänglich sind, treten wir
sofort an und bemerken bloß beiläufig: daß wir nur von eigentlichen, für ein höhe-
res Avancement vorgebildeten Staatsdienern reden; in Ansehung der Bediensteten
deren Vorbildung keine besondere fachliche ist, wird die freie Concurrenz und die
Humanitätsrücksicht auf die allgemeinen Preisverhältnisse maßgebend sein dürfen.



[Spaltenumbruch]
Die Deutschen in Australien und ihre politischen Rechte.

In den entferntesten Gegenden des Erdballs, wo es irgendeine noch so kleine
deutsche Ansiedlung gibt, ist heute in Folge der Anstrengungen und Siege des
Mutterlandes in Europa das deutsche Bewußtsein der Auswanderer und ihr poli-
tisches Rechtsgefühl gehoben und gekräftigt worden, und sie lassen sich nicht mehr
von andern Nationen, die früher für übermächtig galten, ihre Rechte verkürzen.
Auch wird ihnen jetzt eine früher sehr seltene Berücksichtigung zutheil. Einen Beweis
davon sehen wir jetzt in Australien, wo die deutschen Ansiedler, wie aus beifolgen-
der Correspondenz zwischen dem Präsidenten der deutschen Vereine, Hrn. Pokorny,
und dem Staatssecretär Gavan Duffy hervorgeht, im Begriff sind ein Recht zur
Geltung zu bringen welches ihnen bisher unbilligerweise vorenthalten wurde. Hr.
Pokorny richtete am 16 Sept. d. J. ein Schreiben an den Staatssecretär, dem wir
folgende zur Beleuchtung der Sache wesentliche Stellen entnehmen:

"Sir! Ich habe die Ehre Ihre Aufmerksamkeit auf die in Betreff der Naturali-
sation jetzt bestehenden Gesetze zu lenken, in der Absicht Sie zu ersuchen dieselben zur
Kenntniß des Parlaments von Victoria und der Conferenz der Regierungen der austra-
lischen Colonien, die jetzt in Melbourne versammelt sind, zu bringen, um ihre gleichmäßige
Verbesserung in den Colonien zu erwirken. Der Constitutions-Acte (4. Section) zufolge
sind Ausländer nicht berechtigt in den gesetzgebenden Rath gewählt zu werden. Kraft
einer andern Bestimmung derselben Acte (Section 11) aber, welche zwar später abge-
schafft, in der Folge jedoch wieder reactivirt wurde, waren und sind naturalisirte Aus-
länder berechtigt in die Assembly gewählt zu werden. Dem Statut für Ausländer vom
Jahr 1865 (5. Section) gemäß sind naturalisirte Ausländer in den Executivrath nicht
wählbar. Dagegen gewährt die Wahlacte vom Jahr 1865 in einem andern Paragraphen
dem naturalisirten Ausländer das Wahlrecht für beide Häuser. Aus diesen Bestim-
mungen geht nun hervor daß naturalisirte Ausländer, obgleich sie berechtigt sind bei den
Wahlen der Parlamentsmitglieder mitzustimmen und auch selbst Mitglieder des Parla-
ments zu werden, dennoch unfähig sind Mitglieder des gesetzgebenden oder des Executiv-
Raths zu werden. Meine deutschen Landsleute und auch die Ansiedler anderer Nationen
europäischen, aber nicht brittischen Ursprungs fühlen daß diese Ausschließung mit den
Bürgerrechten in einem freien Lande nicht im Einklang steht, und indem sie auf die Gesetze
in England, in den deutschen Staaten, in Oesterreich, Frankreich, Italien und in den
Vereinigten Staaten blicken, finden sie sich veranlaßt zu bemerken daß es jetzt zeitgemäß
sei ihnen in diesen Colonien alle politischen Rechte der gebornen brittischen Unter-
thanen zu gewähren, da sie bereits von den neuesten Gesetzen in England zugestanden
worden sind."

Hierauf folgen einige andere sehr triftige Argumente, die wir wohl übergehen
dürfen, und am Schlusse heißt es:

"Es sei mir erlaubt zu erklären daß ich der Vertreter des Centralcomite's der
deutschen Vereine in Victoria und Australien bin, welche im Jahr 1863 gegründet und
mit der Aufrechthaltung und Förderung der politischen Rechte und allgemeinen Inter-
essen der deutschen Ansiedler betraut sind, und da der Hauptgegenstand dieser Eingabe
schon seit einiger Zeit ihre Aufmerksamkeit beschäftigt, so halten sie es für die günstigste
Gelegenheit jetzt, wo die Conferenz Sitzungen hält, ihre Ansprüche zu Ihrer und durch
Sie zur Kenntniß aller australischen Regierungen zu bringen welche in der Conferenz
vertreten sind. Ich bin gewiß daß Ihre erleuchteten und freisinnigen Ansichten als
Leiter einer australischen Politik mit dem vorliegenden Gesuch übereinstimmen, und daß
Ihre Verwaltung dasselbe in ernstliche und baldige Berücksichtigung ziehen werde.

Pokorny."

Die Antwort auf dieses Gesuch lautete:

"Sir! In Erwiederung auf Ihr Schreiben vom 16 September bezüglich der die
Ausländer betreffenden Gesetze habe ich die Ehre Sie im Auftrage des Staatssecretärs
in Kenntniß zu setzen: daß es seine Absicht ist während der nächsten Parlamentssitzung
einen Gesetzvorschlag behufs Verbesserung des gegenwärtigen Statuts einzubringen.
A. Greenwood, Clerk of the Chief Secretary."

Diese etwas lakonische und trockene Antwort, welche der Staatssecretär dem
Präsidenten der deutschen Vereine durch seinen Schreiber ertheilen ließ, bewog
Hrn. Pokorny ein zweites Schreiben an den Staatssecretär zu richten, dessen we-
sentlicher Inhalt folgender war:

"Sir! Ich habe die Ehre Ihnen den Empfang des Schreibens vom 19 d. M.
zu bestätigen, welches die befriedigende Mittheilung enthält daß es Ihre Absicht ist das
jetzige Statut in Betreff der Ausländer während der nächsten Parlamentssitzung zu ver-
bessern. Wir können daher, wie ich sicher hoffe, daraus schließen daß wir Ihre Unter-
stützung für unser Gesuch erlangt haben.... Da Sie in der Antwort mit welcher Sie
mich beehrt haben meines andern Ansuchens, die Sache zur Kenntniß der intercolonialen
Conferenz zu bringen, nicht erwähnen, so möge es mir erlaubt sein dasselbe zu erneuern,
und zwar mit der Bemerkung daß eine der 9. Section des Ausländer-Statuts von 1865
ähnliche Verordnung von der Conferenz in Betracht gezogen werde. Es erhellt aus jener
daß ein naturalisirter Ausländer, der sein Naturalisations-Decret in den Vereinigten
Königreichen erhalten hat, auf die Rechte eines englischen Unterthans in den Colonien
Anspruch hat, und es wäre sehr wünschenswerth durch die Action der Conferenz zu er-
wirken daß, in Ermangelung einer föderativen oder einer föderalen Gesetzgebung, ein-
förmige oder ähnliche Gesetze in den verschiedenen Colonien eingeführt werden, welche die
Naturalisation in jeder anderen australischen oder brittischen Colonie für jede einzelne
rechtsgültig machen, und sie berechtigen ebenfalls ein solches Gesetz einzuführen. Ich
habe die Ehre etc.
Pokorny."

Die Billigkeit der Forderungen der Deutschen in Australien wird jedermann
einleuchten, da ihnen durch die englische Gesetzgebung die Gleichberechtigung mit
den brittischen Unterthanen in den Colonien gewährleistet ist, und es wäre gewiß eine
große Ungerechtigkeit sie vom legislativen und vom Executivrath auszuschließen.
Ihr Gesuch ist gründlich motivirt und in einer respectvollen aber bündigen und be-
stimmten Sprache gehalten. Der Staatssecretär wird demselben gerecht sein
müssen. Billige Ansprüche der Deutschen im Auslande haben heutzutag' ein ganz
anderes Gewicht als vor der Constituirung des deutschen Reiches, denn sie werden
von der öffentlichen Meinung einer geeinten großen Nation getragen, auf welche
auch das mächtige und stolze England Rücksicht nehmen muß. England kann sehr
leicht in die Lage kommen der moralischen und auch der materiellen Unterstützung
Deutschlands in eventuellen Verwicklungen im nähern und fernen Orient zu bedür-
fen. Es muß ihm daher daran gelegen sein die Sympathien der Deutschen dadurch
zu gewinnen daß es ihren Brüdern in den englischen Colonien nicht die Rechte vor-
enthalte die ihnen gesetzlich gebühren.



Aus der französischen Nationalversammlung.

Präsident Grevy: Die Budgetcommission hat ihren
Gesetzentwurf über die Einkommenstener zurückgezogen, und gleichzeitig denjenigen der

[Spaltenumbruch] bietet den Knaben und Jünglingen den Unterricht an den Gymnaſien faſt unent-
geltlich; er zahlt große Summen um die Hochſchulen zu erhalten; er gibt über-
dieß Stipendien; er lockt durch den Reiz der akademiſchen Freiheit und der voraka-
demiſchen Ahnungen von derſelben, durch die Ehrenrechte die er ſeinen Bedienſteten
ſichert, durch eine Stellung in der Geſellſchaft, welche dem Unkundigen nicht ahnen
läßt wie ſauer ſie dem Inhaber wird, und wenn dann eine große Anzahl von Be-
werbern ſich immer noch findet welche ſchließlich unbefriedigt iſt, nachdem ſie ihr
Ziel erreicht hat, iſt das ein unwiderleglicher Beweis dafür daß dieſe große Zahl
richtig gerechnet hat? Geſchieht nicht alles mögliche um ein künſtliches Angebot
hervorzurufen, und alſo die natürliche Vorausſetzung für die Anwendbarkeit des
„Geſetzes“ zu untergraben? Ein Privatmann welcher, zu einer Verſteigerung die er
halten will, unentgeltliche Fuhrwerke liefert, Bier und Branntwein ſpendet und
ſonſtige Reizmittel anwendet, mag vielleicht hohe Preiſe erzielen, aber die richtigen
ſind das nicht, und die Käufer werden nach der Ernüchterung ſich für betrogen
halten. Es iſt nicht in Abrede zu ſtellen daß dieſes Gleichniß hinkt, wie jedes;
denn die Pflege der Bildung und Wiſſenſchaft wird niemand für unſittlich hal-
ten, weder in den Motiven noch im Erfolg. Aber unläugbar iſt daß ſie einen Reiz
zur Benützung der dargebotenen Bildungsmittel enthält, daß alſo die Concurrenz
um den Staatsdienſt eine künſtlich geſteigerte iſt.

Das Geſagte wird genügen um den Beweis zu liefern daß die Behauptung,
der Arbeitslohn — die Beſoldung — der Staatsdiener müſſe ſich nach dem Geſetz
von Angebot und Nachfrage reguliren, nicht haltbar iſt. Wir glauben aber auf der
andern Seite keiner weiteren Begründung zu bedürfen, wenn wir anerkennen daß
dieſes wirthſchaftliche „Geſetz“ deßwegen nicht ganz und gar ignorirt werden darf,
ſondern nehen andern Momenten allerdings Berückſichtigung finden muß. So wird
der Feuſtel’ſche Satz in ſeine richtigen Gränzen verwieſen ſein. So apodiktiſch
aber die Aeußerung iſt: es ſei „unwiderleglich dargethan daß der Staatsdienſt (alſo
mit den dermaligen Beſoldungen) geſicherter und beſſer iſt als der freie Erwerb,“
ſo zieht ſich doch durch das ganze Referat das nicht bloß ſtillſchweigende Anerkennt-
niß von der Unzulänglichkeit der gegenwärtigen Gehalte, und es findet ſich darin
ſelbſt das ausdrückliche „unbedingte“ Zugeſtändniß: daß „die Beſoldungsfrage(!)
einer Neuregulirung bedarf.“ Wie ſich dieß mit jenem Abſprechen vereinbart,
haben nicht wir zu vertreten.

Es ſcheint daß der Hr. Berichterſtatter den volkswirthſchaftlichen Satz nur
deßwegen entlehnt habe um ſeine abwehrende Stellung gegen die Regierungsvor-
lage zu verſtärken, ohne ſich aber die Tragweite desſelben ganz klar gemacht zu haben.

Dieſer verneinenden Haltung ſprechen wir indeſſen durchaus nicht alle Be-
rechtigung ab, und wir ſtimmen mit dem Referat inſofern überein, als auch wir
glauben daß das vorgeſchlagene Beſoldungsregulativ nach einer Seite hin zu weit
geht, indem es zu wenig unterſcheidet. Dasſelbe beruht nämlich auf einem ziemlich
weit entwickelten Altersclaſſen-Syſtem. Dieſes Syſtem hat ſeine große Berechti-
gung, aber keine unbedingte. Es iſt recht und billig und nothwendig daß die
Beſoldungen im richtigen Verhältniß mit den Bedürfniſſen ſtehen, und die Be-
dürfniſſe der Menſchen — nämlich die wirklichen, nicht die eingebildeten — alſo
auch der Staatsdiener, wachſen mit den Jahren. Es iſt im Begriff des Lohns,
alſo auch des Gehalts, begründet daß er die Mittel zur Erhaltung einer Familie,
zur Erziehung von Kindern in „ſtandesmäßiger“ Weiſe gewähren muß. Die Fa-
milie und ihre Bedürfniſſe wachſen aber mit den Jahren ganz beſonders.

Dieſe Nothwendigkeit findet ſich jedoch beſonders berückſichtigt in den höheren
Gehalten für die höheren Stellen, wozu allerdings noch der weitere Umſtand
kommt daß höher geſtellte Staatsdiener, vermöge der geſellſchaftlichen Verhältniſſe
in denen ſie leben, genöthigt ſind manchen Aufwand zu machen welcher auf den
untergeordneteren Stufen nicht erforderlich iſt, und daß für die oberen Stellen eine
gereiftere Erfahrung, entwickeltere Intelligenz, kurz eine geſteigerte Qualification
vorausgeſetzt wird, um derenwillen nicht unbedingt jeder der einmal angeſtellt iſt
auf jeden Poſten avanciren kann für welchen ihn die Reihenfolge treffen würde.

Soll nun aber derjenige welcher nicht fähig iſt eine höhere Stelle zu beklei-
den, lediglich ſeines Alters wegen im Gehalt ſo vorrücken wie diejenigen welche
die erforderlichen Eigenſchaften beſitzen?

Wir ſind der Meinung daß dieß nicht geſchehen ſollte, und daß die Gehalte
der unteren Stellen an jener Altersgränze aufhören ſollten zu ſteigen an welcher
die befähigten Bedienſteten zur nächſthöheren aufzuſteigen pflegen. Es ſcheint uns
eine zu weit gehende, eine falſche Humanität zu ſein, wenn man aus purem Mit-
leid immer nur die niedrigeren Stellen, wie man bei uns in neuerer Zeit ſtets
geneigt war, aufbeſſert, und dadurch theils die jüngeren Beamten, theils die minder
befähigten begünſtigt. Es iſt einmal in der Natur der Verhältniſſe begründet —
und es iſt in der ganzen Welt ſo — daß der wenig Befähigte wirthſchaftlich zurück-
bleibt; warum ſoll denn im Staatsdienſt eine Ausnahme erkünſtelt werden? Es
entſpricht alſo den Anforderungen der Gerechtigkeit und einer geſunden Politik daß
die geſteigerten Bedürfniſſe eines höheren Alters und einer herangewachſenen Fa-
milie ihre Berückſichtigung vorzugsweiſe in den höheren Gehalten der oberen Stel-
len finden. Da dieß aber in dem Regulativ von 1868 außer Augen gelaſſen und
die vorhin angedeutete Gränze überſchritten worden zu ſein ſcheint, ſo waren die
Anforderungen an die Staatscaſſe überſpannte, und die Folge war daß auch die
berechtigten Anſprüche nicht befriedigt wurden.

Schon jetzt ſind die Verhältniſſe ſo daß die Bedienſteten der unteren Grade
bei normalem Gange des Vorrückens mit ihren kleineren oder erſt beginnenden
Familien leichter mit ihren Gehalten auskommen als die älteren Beamten höherer
Grade, welche nach der Natur der Sache in vorgerückteren Jahren ſtehen und für
herangewachſene Kinder zu ſorgen haben. Damit ſoll aber keineswegs geſagt ſein
daß die jetzigen Gehalte auf den niedrigeren Stufen des Staatsdienſtes zu hoch,
oder auch nur daß ſie durchweg genügend ſeien, ſondern bloß daß auch die oberen
Stufen der Aufbeſſerung und vielleicht noch mehr bedürfen. Den weiteren Be-
weis daß die Gehalte namentlich auf den Mittelſtellen unzulänglich ſind, treten wir
ſofort an und bemerken bloß beiläufig: daß wir nur von eigentlichen, für ein höhe-
res Avancement vorgebildeten Staatsdienern reden; in Anſehung der Bedienſteten
deren Vorbildung keine beſondere fachliche iſt, wird die freie Concurrenz und die
Humanitätsrückſicht auf die allgemeinen Preisverhältniſſe maßgebend ſein dürfen.



[Spaltenumbruch]
Die Deutſchen in Auſtralien und ihre politiſchen Rechte.

∧ In den entfernteſten Gegenden des Erdballs, wo es irgendeine noch ſo kleine
deutſche Anſiedlung gibt, iſt heute in Folge der Anſtrengungen und Siege des
Mutterlandes in Europa das deutſche Bewußtſein der Auswanderer und ihr poli-
tiſches Rechtsgefühl gehoben und gekräftigt worden, und ſie laſſen ſich nicht mehr
von andern Nationen, die früher für übermächtig galten, ihre Rechte verkürzen.
Auch wird ihnen jetzt eine früher ſehr ſeltene Berückſichtigung zutheil. Einen Beweis
davon ſehen wir jetzt in Auſtralien, wo die deutſchen Anſiedler, wie aus beifolgen-
der Correſpondenz zwiſchen dem Präſidenten der deutſchen Vereine, Hrn. Pokorny,
und dem Staatsſecretär Gavan Duffy hervorgeht, im Begriff ſind ein Recht zur
Geltung zu bringen welches ihnen bisher unbilligerweiſe vorenthalten wurde. Hr.
Pokorny richtete am 16 Sept. d. J. ein Schreiben an den Staatsſecretär, dem wir
folgende zur Beleuchtung der Sache weſentliche Stellen entnehmen:

„Sir! Ich habe die Ehre Ihre Aufmerkſamkeit auf die in Betreff der Naturali-
ſation jetzt beſtehenden Geſetze zu lenken, in der Abſicht Sie zu erſuchen dieſelben zur
Kenntniß des Parlaments von Victoria und der Conferenz der Regierungen der auſtra-
liſchen Colonien, die jetzt in Melbourne verſammelt ſind, zu bringen, um ihre gleichmäßige
Verbeſſerung in den Colonien zu erwirken. Der Conſtitutions-Acte (4. Section) zufolge
ſind Ausländer nicht berechtigt in den geſetzgebenden Rath gewählt zu werden. Kraft
einer andern Beſtimmung derſelben Acte (Section 11) aber, welche zwar ſpäter abge-
ſchafft, in der Folge jedoch wieder reactivirt wurde, waren und ſind naturaliſirte Aus-
länder berechtigt in die Aſſembly gewählt zu werden. Dem Statut für Ausländer vom
Jahr 1865 (5. Section) gemäß ſind naturaliſirte Ausländer in den Executivrath nicht
wählbar. Dagegen gewährt die Wahlacte vom Jahr 1865 in einem andern Paragraphen
dem naturaliſirten Ausländer das Wahlrecht für beide Häuſer. Aus dieſen Beſtim-
mungen geht nun hervor daß naturaliſirte Ausländer, obgleich ſie berechtigt ſind bei den
Wahlen der Parlamentsmitglieder mitzuſtimmen und auch ſelbſt Mitglieder des Parla-
ments zu werden, dennoch unfähig ſind Mitglieder des geſetzgebenden oder des Executiv-
Raths zu werden. Meine deutſchen Landsleute und auch die Anſiedler anderer Nationen
europäiſchen, aber nicht brittiſchen Urſprungs fühlen daß dieſe Ausſchließung mit den
Bürgerrechten in einem freien Lande nicht im Einklang ſteht, und indem ſie auf die Geſetze
in England, in den deutſchen Staaten, in Oeſterreich, Frankreich, Italien und in den
Vereinigten Staaten blicken, finden ſie ſich veranlaßt zu bemerken daß es jetzt zeitgemäß
ſei ihnen in dieſen Colonien alle politiſchen Rechte der gebornen brittiſchen Unter-
thanen zu gewähren, da ſie bereits von den neueſten Geſetzen in England zugeſtanden
worden ſind.“

Hierauf folgen einige andere ſehr triftige Argumente, die wir wohl übergehen
dürfen, und am Schluſſe heißt es:

„Es ſei mir erlaubt zu erklären daß ich der Vertreter des Centralcomité’s der
deutſchen Vereine in Victoria und Auſtralien bin, welche im Jahr 1863 gegründet und
mit der Aufrechthaltung und Förderung der politiſchen Rechte und allgemeinen Inter-
eſſen der deutſchen Anſiedler betraut ſind, und da der Hauptgegenſtand dieſer Eingabe
ſchon ſeit einiger Zeit ihre Aufmerkſamkeit beſchäftigt, ſo halten ſie es für die günſtigſte
Gelegenheit jetzt, wo die Conferenz Sitzungen hält, ihre Anſprüche zu Ihrer und durch
Sie zur Kenntniß aller auſtraliſchen Regierungen zu bringen welche in der Conferenz
vertreten ſind. Ich bin gewiß daß Ihre erleuchteten und freiſinnigen Anſichten als
Leiter einer auſtraliſchen Politik mit dem vorliegenden Geſuch übereinſtimmen, und daß
Ihre Verwaltung dasſelbe in ernſtliche und baldige Berückſichtigung ziehen werde.

Pokorny.

Die Antwort auf dieſes Geſuch lautete:

„Sir! In Erwiederung auf Ihr Schreiben vom 16 September bezüglich der die
Ausländer betreffenden Geſetze habe ich die Ehre Sie im Auftrage des Staatsſecretärs
in Kenntniß zu ſetzen: daß es ſeine Abſicht iſt während der nächſten Parlamentsſitzung
einen Geſetzvorſchlag behufs Verbeſſerung des gegenwärtigen Statuts einzubringen.
A. Greenwood, Clerk of the Chief Secretary.“

Dieſe etwas lakoniſche und trockene Antwort, welche der Staatsſecretär dem
Präſidenten der deutſchen Vereine durch ſeinen Schreiber ertheilen ließ, bewog
Hrn. Pokorny ein zweites Schreiben an den Staatsſecretär zu richten, deſſen we-
ſentlicher Inhalt folgender war:

„Sir! Ich habe die Ehre Ihnen den Empfang des Schreibens vom 19 d. M.
zu beſtätigen, welches die befriedigende Mittheilung enthält daß es Ihre Abſicht iſt das
jetzige Statut in Betreff der Ausländer während der nächſten Parlamentsſitzung zu ver-
beſſern. Wir können daher, wie ich ſicher hoffe, daraus ſchließen daß wir Ihre Unter-
ſtützung für unſer Geſuch erlangt haben.... Da Sie in der Antwort mit welcher Sie
mich beehrt haben meines andern Anſuchens, die Sache zur Kenntniß der intercolonialen
Conferenz zu bringen, nicht erwähnen, ſo möge es mir erlaubt ſein dasſelbe zu erneuern,
und zwar mit der Bemerkung daß eine der 9. Section des Ausländer-Statuts von 1865
ähnliche Verordnung von der Conferenz in Betracht gezogen werde. Es erhellt aus jener
daß ein naturaliſirter Ausländer, der ſein Naturaliſations-Decret in den Vereinigten
Königreichen erhalten hat, auf die Rechte eines engliſchen Unterthans in den Colonien
Anſpruch hat, und es wäre ſehr wünſchenswerth durch die Action der Conferenz zu er-
wirken daß, in Ermangelung einer föderativen oder einer föderalen Geſetzgebung, ein-
förmige oder ähnliche Geſetze in den verſchiedenen Colonien eingeführt werden, welche die
Naturaliſation in jeder anderen auſtraliſchen oder brittiſchen Colonie für jede einzelne
rechtsgültig machen, und ſie berechtigen ebenfalls ein ſolches Geſetz einzuführen. Ich
habe die Ehre ꝛc.
Pokorny.

Die Billigkeit der Forderungen der Deutſchen in Auſtralien wird jedermann
einleuchten, da ihnen durch die engliſche Geſetzgebung die Gleichberechtigung mit
den brittiſchen Unterthanen in den Colonien gewährleiſtet iſt, und es wäre gewiß eine
große Ungerechtigkeit ſie vom legislativen und vom Executivrath auszuſchließen.
Ihr Geſuch iſt gründlich motivirt und in einer reſpectvollen aber bündigen und be-
ſtimmten Sprache gehalten. Der Staatsſecretär wird demſelben gerecht ſein
müſſen. Billige Anſprüche der Deutſchen im Auslande haben heutzutag’ ein ganz
anderes Gewicht als vor der Conſtituirung des deutſchen Reiches, denn ſie werden
von der öffentlichen Meinung einer geeinten großen Nation getragen, auf welche
auch das mächtige und ſtolze England Rückſicht nehmen muß. England kann ſehr
leicht in die Lage kommen der moraliſchen und auch der materiellen Unterſtützung
Deutſchlands in eventuellen Verwicklungen im nähern und fernen Orient zu bedür-
fen. Es muß ihm daher daran gelegen ſein die Sympathien der Deutſchen dadurch
zu gewinnen daß es ihren Brüdern in den engliſchen Colonien nicht die Rechte vor-
enthalte die ihnen geſetzlich gebühren.



Aus der franzöſiſchen Nationalverſammlung.

Präſident Grévy: Die Budgetcommiſſion hat ihren
Geſetzentwurf über die Einkommenſtener zurückgezogen, und gleichzeitig denjenigen der

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Auch wird ihnen jetzt eine früher &#x017F;ehr &#x017F;eltene Berück&#x017F;ichtigung zutheil. Einen Beweis<lb/>
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Pokorny richtete am 16 Sept. d. J. ein Schreiben an den Staats&#x017F;ecretär, dem wir<lb/>
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[162/0002] bietet den Knaben und Jünglingen den Unterricht an den Gymnaſien faſt unent- geltlich; er zahlt große Summen um die Hochſchulen zu erhalten; er gibt über- dieß Stipendien; er lockt durch den Reiz der akademiſchen Freiheit und der voraka- demiſchen Ahnungen von derſelben, durch die Ehrenrechte die er ſeinen Bedienſteten ſichert, durch eine Stellung in der Geſellſchaft, welche dem Unkundigen nicht ahnen läßt wie ſauer ſie dem Inhaber wird, und wenn dann eine große Anzahl von Be- werbern ſich immer noch findet welche ſchließlich unbefriedigt iſt, nachdem ſie ihr Ziel erreicht hat, iſt das ein unwiderleglicher Beweis dafür daß dieſe große Zahl richtig gerechnet hat? Geſchieht nicht alles mögliche um ein künſtliches Angebot hervorzurufen, und alſo die natürliche Vorausſetzung für die Anwendbarkeit des „Geſetzes“ zu untergraben? Ein Privatmann welcher, zu einer Verſteigerung die er halten will, unentgeltliche Fuhrwerke liefert, Bier und Branntwein ſpendet und ſonſtige Reizmittel anwendet, mag vielleicht hohe Preiſe erzielen, aber die richtigen ſind das nicht, und die Käufer werden nach der Ernüchterung ſich für betrogen halten. Es iſt nicht in Abrede zu ſtellen daß dieſes Gleichniß hinkt, wie jedes; denn die Pflege der Bildung und Wiſſenſchaft wird niemand für unſittlich hal- ten, weder in den Motiven noch im Erfolg. Aber unläugbar iſt daß ſie einen Reiz zur Benützung der dargebotenen Bildungsmittel enthält, daß alſo die Concurrenz um den Staatsdienſt eine künſtlich geſteigerte iſt. Das Geſagte wird genügen um den Beweis zu liefern daß die Behauptung, der Arbeitslohn — die Beſoldung — der Staatsdiener müſſe ſich nach dem Geſetz von Angebot und Nachfrage reguliren, nicht haltbar iſt. Wir glauben aber auf der andern Seite keiner weiteren Begründung zu bedürfen, wenn wir anerkennen daß dieſes wirthſchaftliche „Geſetz“ deßwegen nicht ganz und gar ignorirt werden darf, ſondern nehen andern Momenten allerdings Berückſichtigung finden muß. So wird der Feuſtel’ſche Satz in ſeine richtigen Gränzen verwieſen ſein. So apodiktiſch aber die Aeußerung iſt: es ſei „unwiderleglich dargethan daß der Staatsdienſt (alſo mit den dermaligen Beſoldungen) geſicherter und beſſer iſt als der freie Erwerb,“ ſo zieht ſich doch durch das ganze Referat das nicht bloß ſtillſchweigende Anerkennt- niß von der Unzulänglichkeit der gegenwärtigen Gehalte, und es findet ſich darin ſelbſt das ausdrückliche „unbedingte“ Zugeſtändniß: daß „die Beſoldungsfrage(!) einer Neuregulirung bedarf.“ Wie ſich dieß mit jenem Abſprechen vereinbart, haben nicht wir zu vertreten. Es ſcheint daß der Hr. Berichterſtatter den volkswirthſchaftlichen Satz nur deßwegen entlehnt habe um ſeine abwehrende Stellung gegen die Regierungsvor- lage zu verſtärken, ohne ſich aber die Tragweite desſelben ganz klar gemacht zu haben. Dieſer verneinenden Haltung ſprechen wir indeſſen durchaus nicht alle Be- rechtigung ab, und wir ſtimmen mit dem Referat inſofern überein, als auch wir glauben daß das vorgeſchlagene Beſoldungsregulativ nach einer Seite hin zu weit geht, indem es zu wenig unterſcheidet. Dasſelbe beruht nämlich auf einem ziemlich weit entwickelten Altersclaſſen-Syſtem. Dieſes Syſtem hat ſeine große Berechti- gung, aber keine unbedingte. Es iſt recht und billig und nothwendig daß die Beſoldungen im richtigen Verhältniß mit den Bedürfniſſen ſtehen, und die Be- dürfniſſe der Menſchen — nämlich die wirklichen, nicht die eingebildeten — alſo auch der Staatsdiener, wachſen mit den Jahren. Es iſt im Begriff des Lohns, alſo auch des Gehalts, begründet daß er die Mittel zur Erhaltung einer Familie, zur Erziehung von Kindern in „ſtandesmäßiger“ Weiſe gewähren muß. Die Fa- milie und ihre Bedürfniſſe wachſen aber mit den Jahren ganz beſonders. Dieſe Nothwendigkeit findet ſich jedoch beſonders berückſichtigt in den höheren Gehalten für die höheren Stellen, wozu allerdings noch der weitere Umſtand kommt daß höher geſtellte Staatsdiener, vermöge der geſellſchaftlichen Verhältniſſe in denen ſie leben, genöthigt ſind manchen Aufwand zu machen welcher auf den untergeordneteren Stufen nicht erforderlich iſt, und daß für die oberen Stellen eine gereiftere Erfahrung, entwickeltere Intelligenz, kurz eine geſteigerte Qualification vorausgeſetzt wird, um derenwillen nicht unbedingt jeder der einmal angeſtellt iſt auf jeden Poſten avanciren kann für welchen ihn die Reihenfolge treffen würde. Soll nun aber derjenige welcher nicht fähig iſt eine höhere Stelle zu beklei- den, lediglich ſeines Alters wegen im Gehalt ſo vorrücken wie diejenigen welche die erforderlichen Eigenſchaften beſitzen? Wir ſind der Meinung daß dieß nicht geſchehen ſollte, und daß die Gehalte der unteren Stellen an jener Altersgränze aufhören ſollten zu ſteigen an welcher die befähigten Bedienſteten zur nächſthöheren aufzuſteigen pflegen. Es ſcheint uns eine zu weit gehende, eine falſche Humanität zu ſein, wenn man aus purem Mit- leid immer nur die niedrigeren Stellen, wie man bei uns in neuerer Zeit ſtets geneigt war, aufbeſſert, und dadurch theils die jüngeren Beamten, theils die minder befähigten begünſtigt. Es iſt einmal in der Natur der Verhältniſſe begründet — und es iſt in der ganzen Welt ſo — daß der wenig Befähigte wirthſchaftlich zurück- bleibt; warum ſoll denn im Staatsdienſt eine Ausnahme erkünſtelt werden? Es entſpricht alſo den Anforderungen der Gerechtigkeit und einer geſunden Politik daß die geſteigerten Bedürfniſſe eines höheren Alters und einer herangewachſenen Fa- milie ihre Berückſichtigung vorzugsweiſe in den höheren Gehalten der oberen Stel- len finden. Da dieß aber in dem Regulativ von 1868 außer Augen gelaſſen und die vorhin angedeutete Gränze überſchritten worden zu ſein ſcheint, ſo waren die Anforderungen an die Staatscaſſe überſpannte, und die Folge war daß auch die berechtigten Anſprüche nicht befriedigt wurden. Schon jetzt ſind die Verhältniſſe ſo daß die Bedienſteten der unteren Grade bei normalem Gange des Vorrückens mit ihren kleineren oder erſt beginnenden Familien leichter mit ihren Gehalten auskommen als die älteren Beamten höherer Grade, welche nach der Natur der Sache in vorgerückteren Jahren ſtehen und für herangewachſene Kinder zu ſorgen haben. Damit ſoll aber keineswegs geſagt ſein daß die jetzigen Gehalte auf den niedrigeren Stufen des Staatsdienſtes zu hoch, oder auch nur daß ſie durchweg genügend ſeien, ſondern bloß daß auch die oberen Stufen der Aufbeſſerung und vielleicht noch mehr bedürfen. Den weiteren Be- weis daß die Gehalte namentlich auf den Mittelſtellen unzulänglich ſind, treten wir ſofort an und bemerken bloß beiläufig: daß wir nur von eigentlichen, für ein höhe- res Avancement vorgebildeten Staatsdienern reden; in Anſehung der Bedienſteten deren Vorbildung keine beſondere fachliche iſt, wird die freie Concurrenz und die Humanitätsrückſicht auf die allgemeinen Preisverhältniſſe maßgebend ſein dürfen. Die Deutſchen in Auſtralien und ihre politiſchen Rechte. ∧ In den entfernteſten Gegenden des Erdballs, wo es irgendeine noch ſo kleine deutſche Anſiedlung gibt, iſt heute in Folge der Anſtrengungen und Siege des Mutterlandes in Europa das deutſche Bewußtſein der Auswanderer und ihr poli- tiſches Rechtsgefühl gehoben und gekräftigt worden, und ſie laſſen ſich nicht mehr von andern Nationen, die früher für übermächtig galten, ihre Rechte verkürzen. Auch wird ihnen jetzt eine früher ſehr ſeltene Berückſichtigung zutheil. Einen Beweis davon ſehen wir jetzt in Auſtralien, wo die deutſchen Anſiedler, wie aus beifolgen- der Correſpondenz zwiſchen dem Präſidenten der deutſchen Vereine, Hrn. Pokorny, und dem Staatsſecretär Gavan Duffy hervorgeht, im Begriff ſind ein Recht zur Geltung zu bringen welches ihnen bisher unbilligerweiſe vorenthalten wurde. Hr. Pokorny richtete am 16 Sept. d. J. ein Schreiben an den Staatsſecretär, dem wir folgende zur Beleuchtung der Sache weſentliche Stellen entnehmen: „Sir! Ich habe die Ehre Ihre Aufmerkſamkeit auf die in Betreff der Naturali- ſation jetzt beſtehenden Geſetze zu lenken, in der Abſicht Sie zu erſuchen dieſelben zur Kenntniß des Parlaments von Victoria und der Conferenz der Regierungen der auſtra- liſchen Colonien, die jetzt in Melbourne verſammelt ſind, zu bringen, um ihre gleichmäßige Verbeſſerung in den Colonien zu erwirken. Der Conſtitutions-Acte (4. Section) zufolge ſind Ausländer nicht berechtigt in den geſetzgebenden Rath gewählt zu werden. Kraft einer andern Beſtimmung derſelben Acte (Section 11) aber, welche zwar ſpäter abge- ſchafft, in der Folge jedoch wieder reactivirt wurde, waren und ſind naturaliſirte Aus- länder berechtigt in die Aſſembly gewählt zu werden. Dem Statut für Ausländer vom Jahr 1865 (5. Section) gemäß ſind naturaliſirte Ausländer in den Executivrath nicht wählbar. Dagegen gewährt die Wahlacte vom Jahr 1865 in einem andern Paragraphen dem naturaliſirten Ausländer das Wahlrecht für beide Häuſer. Aus dieſen Beſtim- mungen geht nun hervor daß naturaliſirte Ausländer, obgleich ſie berechtigt ſind bei den Wahlen der Parlamentsmitglieder mitzuſtimmen und auch ſelbſt Mitglieder des Parla- ments zu werden, dennoch unfähig ſind Mitglieder des geſetzgebenden oder des Executiv- Raths zu werden. Meine deutſchen Landsleute und auch die Anſiedler anderer Nationen europäiſchen, aber nicht brittiſchen Urſprungs fühlen daß dieſe Ausſchließung mit den Bürgerrechten in einem freien Lande nicht im Einklang ſteht, und indem ſie auf die Geſetze in England, in den deutſchen Staaten, in Oeſterreich, Frankreich, Italien und in den Vereinigten Staaten blicken, finden ſie ſich veranlaßt zu bemerken daß es jetzt zeitgemäß ſei ihnen in dieſen Colonien alle politiſchen Rechte der gebornen brittiſchen Unter- thanen zu gewähren, da ſie bereits von den neueſten Geſetzen in England zugeſtanden worden ſind.“ Hierauf folgen einige andere ſehr triftige Argumente, die wir wohl übergehen dürfen, und am Schluſſe heißt es: „Es ſei mir erlaubt zu erklären daß ich der Vertreter des Centralcomité’s der deutſchen Vereine in Victoria und Auſtralien bin, welche im Jahr 1863 gegründet und mit der Aufrechthaltung und Förderung der politiſchen Rechte und allgemeinen Inter- eſſen der deutſchen Anſiedler betraut ſind, und da der Hauptgegenſtand dieſer Eingabe ſchon ſeit einiger Zeit ihre Aufmerkſamkeit beſchäftigt, ſo halten ſie es für die günſtigſte Gelegenheit jetzt, wo die Conferenz Sitzungen hält, ihre Anſprüche zu Ihrer und durch Sie zur Kenntniß aller auſtraliſchen Regierungen zu bringen welche in der Conferenz vertreten ſind. Ich bin gewiß daß Ihre erleuchteten und freiſinnigen Anſichten als Leiter einer auſtraliſchen Politik mit dem vorliegenden Geſuch übereinſtimmen, und daß Ihre Verwaltung dasſelbe in ernſtliche und baldige Berückſichtigung ziehen werde. Pokorny.“ Die Antwort auf dieſes Geſuch lautete: „Sir! In Erwiederung auf Ihr Schreiben vom 16 September bezüglich der die Ausländer betreffenden Geſetze habe ich die Ehre Sie im Auftrage des Staatsſecretärs in Kenntniß zu ſetzen: daß es ſeine Abſicht iſt während der nächſten Parlamentsſitzung einen Geſetzvorſchlag behufs Verbeſſerung des gegenwärtigen Statuts einzubringen. A. Greenwood, Clerk of the Chief Secretary.“ Dieſe etwas lakoniſche und trockene Antwort, welche der Staatsſecretär dem Präſidenten der deutſchen Vereine durch ſeinen Schreiber ertheilen ließ, bewog Hrn. Pokorny ein zweites Schreiben an den Staatsſecretär zu richten, deſſen we- ſentlicher Inhalt folgender war: „Sir! Ich habe die Ehre Ihnen den Empfang des Schreibens vom 19 d. M. zu beſtätigen, welches die befriedigende Mittheilung enthält daß es Ihre Abſicht iſt das jetzige Statut in Betreff der Ausländer während der nächſten Parlamentsſitzung zu ver- beſſern. Wir können daher, wie ich ſicher hoffe, daraus ſchließen daß wir Ihre Unter- ſtützung für unſer Geſuch erlangt haben.... Da Sie in der Antwort mit welcher Sie mich beehrt haben meines andern Anſuchens, die Sache zur Kenntniß der intercolonialen Conferenz zu bringen, nicht erwähnen, ſo möge es mir erlaubt ſein dasſelbe zu erneuern, und zwar mit der Bemerkung daß eine der 9. Section des Ausländer-Statuts von 1865 ähnliche Verordnung von der Conferenz in Betracht gezogen werde. Es erhellt aus jener daß ein naturaliſirter Ausländer, der ſein Naturaliſations-Decret in den Vereinigten Königreichen erhalten hat, auf die Rechte eines engliſchen Unterthans in den Colonien Anſpruch hat, und es wäre ſehr wünſchenswerth durch die Action der Conferenz zu er- wirken daß, in Ermangelung einer föderativen oder einer föderalen Geſetzgebung, ein- förmige oder ähnliche Geſetze in den verſchiedenen Colonien eingeführt werden, welche die Naturaliſation in jeder anderen auſtraliſchen oder brittiſchen Colonie für jede einzelne rechtsgültig machen, und ſie berechtigen ebenfalls ein ſolches Geſetz einzuführen. Ich habe die Ehre ꝛc. Pokorny.“ Die Billigkeit der Forderungen der Deutſchen in Auſtralien wird jedermann einleuchten, da ihnen durch die engliſche Geſetzgebung die Gleichberechtigung mit den brittiſchen Unterthanen in den Colonien gewährleiſtet iſt, und es wäre gewiß eine große Ungerechtigkeit ſie vom legislativen und vom Executivrath auszuſchließen. Ihr Geſuch iſt gründlich motivirt und in einer reſpectvollen aber bündigen und be- ſtimmten Sprache gehalten. Der Staatsſecretär wird demſelben gerecht ſein müſſen. Billige Anſprüche der Deutſchen im Auslande haben heutzutag’ ein ganz anderes Gewicht als vor der Conſtituirung des deutſchen Reiches, denn ſie werden von der öffentlichen Meinung einer geeinten großen Nation getragen, auf welche auch das mächtige und ſtolze England Rückſicht nehmen muß. England kann ſehr leicht in die Lage kommen der moraliſchen und auch der materiellen Unterſtützung Deutſchlands in eventuellen Verwicklungen im nähern und fernen Orient zu bedür- fen. Es muß ihm daher daran gelegen ſein die Sympathien der Deutſchen dadurch zu gewinnen daß es ihren Brüdern in den engliſchen Colonien nicht die Rechte vor- enthalte die ihnen geſetzlich gebühren. Aus der franzöſiſchen Nationalverſammlung. * Verſailles, 8 Jan. Präſident Grévy: Die Budgetcommiſſion hat ihren Geſetzentwurf über die Einkommenſtener zurückgezogen, und gleichzeitig denjenigen der

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 12. Januar 1872, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine12_1872/2>, abgerufen am 24.11.2024.