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Allgemeine Zeitung, Nr. 11, 11. Januar 1830.

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[Spaltenumbruch] nehmen wolle und unter welchen nähern Bestimmungen, die von
der Tagsazung für Ausgleichung des Streites zwischen den Stän-
den Bern und Waadt über die Zulässigkeit des in Bern auf die
waadtländischen Weine gelegten Einfuhrzolls seit manchen Jahren
besteht, und der entscheidend ist für die allgemeinere Frage vom
freien Verkehr im Innern, welchen die Bekenner des Bundes-
staats als diesem verfassungsgemäß inhärirend erklären, während
die Verfechter des Staatenbundes seine Verbindlichkeit läugnen,
und die Befugniß der Kantone ihre Einfuhren mit beliebigen
Steuern zu belegen in Anspruch nehmen. Beide Theile werden
im großen Rathe von Bern ihre Säze nächdruksam vertheidigen,
und die gegnerischen eifrig bekämpfen. Die bisherige Majorität
im souverainen Rathe von Bern vertheidigte die Kantonalbefug-
niß; sie betrachtet die Tagsazung weder für eine obere, noch
für eine Centralbehörde, sondern für die Versammlung von Be-
auftragten der Kantone, die blos ihre Aufträge zu erfüllen und
ihren Kommittenten darüber Rede zu stehen haben. So lange
die Tagsazung, spricht jene Mehrheit, eine Klage gegen uns
annimmt, können wir weder mit ihr, die keine Kompetenz
dazu hat, noch mit dem Kläger über irgend etwas eintre-
ten. Das einzige, was wir allenfalls können und wozu
wir bereitwillig sind, ist, die eidgenössischen Gesinnungen unsrer
hohen Mitstände durch einen Antrag zu prüfen, demnach der eilfte
Artikel vom Bundesvertrag, der den innern freien Verkehr ge-
währleisten soll, es aber nicht thut, im wohlthätigsten Sinne ab-
geändert würde, indem nemlich auch die Niederlassungs- oder An-
siedelungsfreiheit ausgesprochen würde, ohne welche die Handels-
freiheit Nichts ist. Würde dieser Antrag von der Hand gewie-
sen, dann läge die freisinnige Denkart, worauf man sich groß
thut, also enthüllt vor Augen, daß Niemand weiter sich täuschen
ließe. Wie sollte Bern die Tagsazung als Richter anerkennen,
ehne die Versicherung zu haben, daß die übrigen Stände sie auch
in dieser Eigenschaft anerkennen müssen. In der Tagsazungserör-
terung von 1829 sind die 22 Standesvoten gedrukt zu lesen; man
wird darunter jedoch kaum Fünfe finden, die gewußt haben, warum
es sich eigentlich handle. Einige hochtönende und viel belobte De-
klamationen mochten im Jahre 1814 an ihrer Stelle seyn, jezt aber
verhält sich die Sache anders, denn postquam leges latae sunt,
non de ipsis sed secundum ipsas judicandum est.
Nichtsde-
stominder wird es an Verfechtern der Tagsazung im Rathe von
Beru auch nicht sehlen, und da beide Schultheißen (die HH.
v. Wattenwyl und Fischer), auch der Altschultheiß, Hr. v. Müli-
nen, an ihrer Spize stehen, so bleibt immerhin zweifelhaft, ob
die Mehrheit von 1829 nicht im Jahre 1830 zur Minderheit wer-
den dürfte.

Preußen.

Nachdem sich der politische Horizont
im Osten so völlig wieder aufgeklärt hat, versiegen hier die Quel-
len interessanter Neuigkeiten. Für die Zeitungsleser mag dis
unangenehm, für die Berichterstatter ein Hinderniß seyn; das
Land hingegen befindet sich wohl dabei, und segnet seinen stillen
gesezlichen Zustand, seine gewerbfleißige Freiheit und seine ge-
sicherte Ruhe. Diese kan weder durch übertriebene Nachrichten
von der verderblichen Wirkung des anhaltend strengen Frostes ge-
stört werden, und noch viel weniger von dem Feuereifer einiger
hyperfrommen Individuen, die, wie es heißt, sich berufen glau-
ben, mehr gegen die Sündhaftigkeit ihrer Nächsten, als gegen die
[Spaltenumbruch] eigene anzukämpfen; eine Vorspiegelung unchristlicher und eitler
Ueberhebung, die vom Abgrunde kommt und zum Abgrunde führt.
Es heißt, daß sie ihre Censur selbst gegen angestellte Lehrer der
Religion ausüben, und daß sie jüngst z. B. gegen die Leichenrede
eines berühmten Geistlichen, die dieser am Grabe seines dahin
gegangenen Sohnes hielt, sehr heftig sich erklärt, später aber eine
bessere Ueberzeugung erhalten haben. Dem sey wie ihm wolle, so
hätten wir unter der Regierung unsers ächt religieusen Königs,
umgeben von den gleichgesinnten Prinzen seines Hauses, und in
einem Lande, wo die evangelische Duldung so feste Wurzeln ge-
schlagen, selbst von wirklichen jesuitischen Umtrieben nichts zu
fürchten; um wie viel weniger also von einigen in den menschli-
chen Irrthum Verfallenen, sich für Auserwählte und Berufene zu
halten. Ohne Bangheit also, und wenn auch mit innigem Be-
dauern, doch mit vertrauensvoller Ruhe, können wir auf jene
Länder hinbliken, wo in alten wie in neuen Zeiten der Religions-
eifer zu Fanatismus gesteigert, und dann als Gewaltmittel zu
den unchristlichsten Absichten gebraucht wurde.



[irrelevantes Material][Spaltenumbruch]

[Spaltenumbruch] nehmen wolle und unter welchen nähern Beſtimmungen, die von
der Tagſazung für Ausgleichung des Streites zwiſchen den Stän-
den Bern und Waadt über die Zuläſſigkeit des in Bern auf die
waadtländiſchen Weine gelegten Einfuhrzolls ſeit manchen Jahren
beſteht, und der entſcheidend iſt für die allgemeinere Frage vom
freien Verkehr im Innern, welchen die Bekenner des Bundes-
ſtaats als dieſem verfaſſungsgemäß inhärirend erklären, während
die Verfechter des Staatenbundes ſeine Verbindlichkeit läugnen,
und die Befugniß der Kantone ihre Einfuhren mit beliebigen
Steuern zu belegen in Anſpruch nehmen. Beide Theile werden
im großen Rathe von Bern ihre Säze nächdrukſam vertheidigen,
und die gegneriſchen eifrig bekämpfen. Die bisherige Majorität
im ſouverainen Rathe von Bern vertheidigte die Kantonalbefug-
niß; ſie betrachtet die Tagſazung weder für eine obere, noch
für eine Centralbehörde, ſondern für die Verſammlung von Be-
auftragten der Kantone, die blos ihre Aufträge zu erfüllen und
ihren Kommittenten darüber Rede zu ſtehen haben. So lange
die Tagſazung, ſpricht jene Mehrheit, eine Klage gegen uns
annimmt, können wir weder mit ihr, die keine Kompetenz
dazu hat, noch mit dem Kläger über irgend etwas eintre-
ten. Das einzige, was wir allenfalls können und wozu
wir bereitwillig ſind, iſt, die eidgenöſſiſchen Geſinnungen unſrer
hohen Mitſtände durch einen Antrag zu prüfen, demnach der eilfte
Artikel vom Bundesvertrag, der den innern freien Verkehr ge-
währleiſten ſoll, es aber nicht thut, im wohlthätigſten Sinne ab-
geändert würde, indem nemlich auch die Niederlaſſungs- oder An-
ſiedelungsfreiheit ausgeſprochen würde, ohne welche die Handels-
freiheit Nichts iſt. Würde dieſer Antrag von der Hand gewie-
ſen, dann läge die freiſinnige Denkart, worauf man ſich groß
thut, alſo enthüllt vor Augen, daß Niemand weiter ſich täuſchen
ließe. Wie ſollte Bern die Tagſazung als Richter anerkennen,
ehne die Verſicherung zu haben, daß die übrigen Stände ſie auch
in dieſer Eigenſchaft anerkennen müſſen. In der Tagſazungserör-
terung von 1829 ſind die 22 Standesvoten gedrukt zu leſen; man
wird darunter jedoch kaum Fünfe finden, die gewußt haben, warum
es ſich eigentlich handle. Einige hochtönende und viel belobte De-
klamationen mochten im Jahre 1814 an ihrer Stelle ſeyn, jezt aber
verhält ſich die Sache anders, denn postquam leges latae sunt,
non de ipsis sed secundum ipsas judicandum est.
Nichtsde-
ſtominder wird es an Verfechtern der Tagſazung im Rathe von
Beru auch nicht ſehlen, und da beide Schultheißen (die HH.
v. Wattenwyl und Fiſcher), auch der Altſchultheiß, Hr. v. Müli-
nen, an ihrer Spize ſtehen, ſo bleibt immerhin zweifelhaft, ob
die Mehrheit von 1829 nicht im Jahre 1830 zur Minderheit wer-
den dürfte.

Preußen.

Nachdem ſich der politiſche Horizont
im Oſten ſo völlig wieder aufgeklärt hat, verſiegen hier die Quel-
len intereſſanter Neuigkeiten. Für die Zeitungsleſer mag dis
unangenehm, für die Berichterſtatter ein Hinderniß ſeyn; das
Land hingegen befindet ſich wohl dabei, und ſegnet ſeinen ſtillen
geſezlichen Zuſtand, ſeine gewerbfleißige Freiheit und ſeine ge-
ſicherte Ruhe. Dieſe kan weder durch übertriebene Nachrichten
von der verderblichen Wirkung des anhaltend ſtrengen Froſtes ge-
ſtört werden, und noch viel weniger von dem Feuereifer einiger
hyperfrommen Individuen, die, wie es heißt, ſich berufen glau-
ben, mehr gegen die Sündhaftigkeit ihrer Nächſten, als gegen die
[Spaltenumbruch] eigene anzukämpfen; eine Vorſpiegelung unchriſtlicher und eitler
Ueberhebung, die vom Abgrunde kommt und zum Abgrunde führt.
Es heißt, daß ſie ihre Cenſur ſelbſt gegen angeſtellte Lehrer der
Religion ausüben, und daß ſie jüngſt z. B. gegen die Leichenrede
eines berühmten Geiſtlichen, die dieſer am Grabe ſeines dahin
gegangenen Sohnes hielt, ſehr heftig ſich erklärt, ſpäter aber eine
beſſere Ueberzeugung erhalten haben. Dem ſey wie ihm wolle, ſo
hätten wir unter der Regierung unſers ächt religieuſen Königs,
umgeben von den gleichgeſinnten Prinzen ſeines Hauſes, und in
einem Lande, wo die evangeliſche Duldung ſo feſte Wurzeln ge-
ſchlagen, ſelbſt von wirklichen jeſuitiſchen Umtrieben nichts zu
fürchten; um wie viel weniger alſo von einigen in den menſchli-
chen Irrthum Verfallenen, ſich für Auserwählte und Berufene zu
halten. Ohne Bangheit alſo, und wenn auch mit innigem Be-
dauern, doch mit vertrauensvoller Ruhe, können wir auf jene
Länder hinbliken, wo in alten wie in neuen Zeiten der Religions-
eifer zu Fanatismus geſteigert, und dann als Gewaltmittel zu
den unchriſtlichſten Abſichten gebraucht wurde.



[irrelevantes Material][Spaltenumbruch]
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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 11, 11. Januar 1830, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine11_1830/7>, abgerufen am 25.11.2024.