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Allgemeine Zeitung, Nr. 10, 12. Januar 1929.

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Samstag. den 12., Sonntag, den 13. Januar "AZ am Abend" Nr. 10
[Spaltenumbruch]
Jack London

Zu seinem Geburtstage am 12. Januar *

[Spaltenumbruch]

John, ich bitt' euch, entscheidet selbst, wie kann
ein Mensch, der es zu etwas bringen will in die-
ser Welt, nur John heißen. Jack freilich, das ist
etwas anderes. Knapp und hell klingt es einem in
die Ohren, dieses Jack. Also nannte sich der Zehn-
jährige -- er kann auch fünger gewesen sein --
kurz entschlossen Jack. Zwar führten ihn die Re-
gister Oaklands, der Vaterstadt, unter dem ver-
haßten Vornamen. Doch Register hin, Register
her. Von nun an hieß er Juck London. Hat je-
mand etwas dagegen, he?

Damals schacherte er mit Briefmarken und Fla-
schen. Und seine Beredtsamkeit in Geschäften, die
einem griechischen Händler Tränen in die Augen
treiben konnte, war gefürchtet und berühmt, mehr
gefürchtet als berühmt, das muß man schon sagen.
Denn ach, wer konnte diesem Mundwerk wider-
stehen?

Um das sechzehnte Jahr war er Besitzer einer
seetüchtigen Jolle. "Razzlo Dazzlo" stand am Bug.
Der Bengel segelte sein Boot in der Flotte der
Schwarzfischer, die die Austernbänke plünderten.
Ah, es war eine Lust, so zu leben. Man hatte
Abenteuer und Geld, mehr als genug. Die Gold-
münzen klingelten nur so in den Taschen der
Spendierhose. Mit eisgrauen Seemännern soff er
in der "Letzten Chance", schloß mit ihnen Bruder-
schaft. Sie erzählten ihre prachtvollen Geschichten
von Freundschaft, Kühnheit und Liebe. Und man
grölte im Chor all die wundervollen Seeräuber-
lieder, die Joe Goose auf dem Schifferklavier wie
ein gefallener Engel vortrug. Manchmal gab es
blutige Prügeleien. Die Messer blitzten und die
Pistole knallte. Und wenn einer still und bleich im
Sand lag, griff man nach der Korbflasche, be-
weinte seinen Tod und schwor -- zum tausend-
sten Male -- ewige Bruderschaft. Zu dieser Zeit
nannten sie ihn im Hafen von Oakland: Fürst
der Austernbänke. Einzig mit jenem tollen Nel-
son, dem breitschultrigsten Mann, den der Toten-
beschauer von Benicia je auf seinem Brett hat
liegen sehen, einzig mit Nelson war er zu ver-
gleichen. Sie segelten später zusammen, und der
verhexte Holländer konnte nicht tollkühner fahren
als die beiden. Freilich waren sie bei ihren Aben-
teuern immer -- angesäuselt.

Niemand ist vor sich selbst sicher. Eines Tages
überfiel ihn die Erkenntnis seines Hundelebens.
Ein Selbstmordversuch, in der Melancholie des
Rausches verübt, mißlang durch einen Zufall.
Die Augen gingen ihm auf Es war Zeit, höchste
Zeit, die Zelte abzubrechen. Die Träume von
einem herrlich schäumenden Leben drohten für
immer zu versinken. Also floh der Siebzehnjährige
hinaus auf die See. Mit einem Dreimastschoner,
als Matrose, fuhr er nach Japan -- und König
Alkohol fuhr mit, als blinder Passagier. Einund-
fünfzig Tage dauerte die Reise nach den Bonin-
Inseln, und diese einundfünfzig Tage auf dem
Segelschiff waren besser als ein Jahr Radikalkur
in einer Trinkerheilanstalt. Aber als die Leute
der "Sophie Southerland" mit den kanadischen
und amerikanischen Robbenfängern jene be-
rauschende Saturnalien feierten, konnte da ein
Mann wie Jack London zurückstehen? Einen
Rausch, und zwar einen königlichen, war er allein
seiner Selbstachtung schuldig. Haha, ganze Stra-
ßenzüge lächerlicher, japanischer Papierhäuschen
wurden bei den Saturnalien dieser modernen
Argonauten zertrampelt, zerdroschen und zerfetzt.
Es war wunderbar, glaubt mir. Es war unver-
geßlich schön.

Wohin er sich auch wandte, König Alkohol folgte
ihm nach. Jack kannte seinen Peiniger und haßte
ihn. Aber König Alkohol war klug. Sehr klug
sogar und lustig obendrein. Oh, König Alkohol
wußte sein Opfer zu halten. Nichts eilte. Der
Tag der Abrechnung würde schon kommen. Jetzt
schenkte er, König Alkohol, alles. Geduld -- die
Zeche wird bezahlt.

Viel Staat war mit dem fungen London nicht
zu machen. Gewiß, seine Schultern waren breit,
seine Muskeln eiften. Sein Gesicht war schön,
hart gasermt vom Griff des abenteuerlichen Le-
bens. Seine Augen, schimmernd und ewig wech-
selnd wie das Meer, verrieten die Seele eines
Künstlers. Doch was nutzt das. Seht, er setzt sich
in den Kopf, Elektrotechniker zu werden. Natür-
lich mußte er dazu arbeiten. Natürlich warf er
alles eines schönen Tages beiseite. Mochte schuf-
ten wer Lust hatte, er nicht. Freilich hatte er für
zwei Kohlenschaufler rackern müssen. Seine Ar-
beitsorgie trug ihm nicht mehr ein als dreißig
Dollar, und hinterher mußte er ein Jahr lang die
Handgelenke im Verband tragen. Aber --

Was tut ein Mann, der für immer genug be-
kommen hat von der Arbeit? Er schließt sich, weil
die Gelegenheit gerade günstig ist, General Kellys
Lumpenarmee an. Ostwärts wanderte Jack Lon-
don auf dem Schienenstrang. Vagabund unter
Vagabunden. Doch seltsam, auf seinen mühevollen
Wanderungen durch die Bereinigten Staaten
kommt dem jungen Tramp ein leuchtender Ge-
danke. Ein Gedenke, mühsam gefunden nach
langen Frostnächten, nach ungezählten Hunger-
togen. Nach Hause zurück. Bücher vor. Lernen.
Das Hirn trainieren. Nur Kopfarbeit ist lohnend,
das sagt sich der abgerissene Soldat aus Kellys
Lumpenarmee, und seine Stiesel klopfen den Takt
dazu auf den Schwellen des Bahndamms.

Es war ihm bitter ernst mit seinem Entschluß.
In vier Monaten leistete er die Arbeit zweier
Jahre. Er begann zu schreiben. Es gab Zeiten,
in denen er tagein, tagaus fünfzehn Stunden täg-
lich dichtete. Die Manuskripte häusten sich unter



[irrelevantes Material]
[Spaltenumbruch]

seinem tinkensleckigen Tisch. Die Sicherheit, mit
der sie den Weg von den Redaktionen zu ihm
zurückfanden, grenzte aus Phantastische. Jack be-
gann an der Existenz von Redakteuren zu zwei-
feln. Vielleicht waren nur Maschinen da, die
-- allein die Arbeit in der Dampfwäscherei von
Belmont vertrieb ihm alles Grübeln. Rützliches so-
wie unnützes über die Existenz von Redalteuren.

Man mußte leben, das bedeutete, daß man die
geliebte Schreibmaschine, das Zimmerchen und die
Bücher verließ, um zu arbeiten wie ein Gaul,
dumpf und gedankenlos. Als er im Frühherbst
1897, einundzwanzigjährig, nach Klondike auszog,
war er überzeugt, daß dieser gefährliche Ausflug
nur eine kleine Verzögerung seiner Entwicklung
als Schriftsteller war.

Der nur träumende, gedankenlose Abenteurer
ist überwunden. Der Vagabund hat Ordnung und
Selbstdißiplin gelernt, das ist die Weisheit, die er
von der Reise nach Klondike mitbringt. Anderes



Der dänische Hauptmann Lembourn.
[Abbildung]

der im vergangenen Juni bei Betreten deutschen
Gebietes wegen Spionageverdachts verhaftet
wurde, wurde vom Reichsgerichtshof zu fünf Jah-
ren Zuchthaus verurteilt.



Gold als dies hat er nicht mitgebracht. Aermer
denn je setzt er sich von neuem an seine Schreib-
maschine. Lieber würde er irgendwo irgendwas
arbeiten, Modell stehen, sonst was tun. Allein es
findet sich nichts. Drei Jahre sind ungesähr ver-
gangen seit seinem Start in die Provinzen der
Geistigkeit und der Kunst. Drei Jahre und kein
Erfolg, das ist zuviel für ihn, den Ungeduldigen
und Hungernden. Er hat gerade so viel, um nicht
vor Unterernährung krepieren zu müssen. Neun-
zehn Stunden arbeitet er am Tag, nur fünf
Stunden gönnt er sich Schlaf. Er segnet den Er-
finder der Weckuhr. Trotzdem sagt er: "Hölle, es
ist zum Verzweifeln."

Mit einem Male, über Nacht ist der Erfolg da.
In den Magazinen erscheinen seine Geschichten.
Wunderbare Geschichten, in denen der trocken-
heiße Atem des Lebens weht, in denen die Musik
des Lebens erklingt und die Schauder des Todes
einen gräßlichen Reigen tanzen. Ein Verleger
findet sich für das erste Buch. Es heißt: Der
Sohn des Wolss.

Unaufhaltsam steigt Jack empor. Er studiert
weiter. Reist. Hält Vorträge in Klubs und Uni-
versitäten. Und täglich schmiedet sein gutes Hirn
hundert Zeilen. Hundert Zeilen, auf die Verleger
und Publikum mit angehaltenem Atem warten.
Der erste schöpferische Rausch ist verflogen. Aber
er sieht immer klarer. Sein Künstlertum nimmt
mit jedem Tag zu. Als Korrespendent für Hearst,
sieht er wider Willen nichts vom russisch japani-
schen Krieg. Dafür erlebt er um so mehr in den
Londoner Slums, in denen er sich wochenlang als
Stromer herumtreibt. Sein Buch über die Kinder
des Abgrunds hat keinen Erfolg.

In Glen Ellen, einem der schönsten Flecke des
schönen Kalifornien, baut er seine Musterfarm.
Mit Charmian, seiner zweiten Frau, reist er,
eigener Kapitän, auf eigener Jacht im Südsee-
archipel. Täglich hämmert er seine hundert Zeilen
aus, und wenn er von dem Schreibblock aufsieht
und über die See schaut, über deren blaue Ober-
fläche die Sonnenfunken hüpfen, dann sind seine
Gedanken in Glen Ellen, bei seinen Eukalyptus-
bäumen, bei seinen belgischen Pferden, beim See,
den er grub ... Ist er nicht ein glücklicher Mensch,
denken zehntausend Amerikaner, wenn sie am
Abend im Kino sein Gesicht auf der silbernen
Wand aufleuchten sehen. Frauen werben um ihn,
der von Abenteuern und Ferne umwittert ist.
Künstler bitten um sein Urteil. Männer von
Herz und Verstand, aufrechte Männer halten zu
ihm, mit ihnen kann er über die Mysterien und
über den Schlamm der Welt sprechen. Charmian
ist ein Wunder. Die Arbeitskraft, die Phantafie
ungebrochen. Es scheint, als ob er wie in jungen
Jahren herrliche Träume träumt.

Der Schein trügt. Jack ist nicht glücklich. War-
um nicht? Das ist sein Geheimnis. Zudem for-
dert König Alkohol die Bezahlung für all die
bunten Träume, die er gesandt hat. Jack London,
der hundert Jahre hatte leben wollen, hat an
seinen vierzig übergenug. Ihn ekelt die Welt. Die
Menschen sind ihm zuwider. Seine eigene Haut
behagt ihm nicht. Was nützt die Freundschaft
John Gerstenkorns -- das ist der andere Name
König Alkohols, der Rausch ist kurz. Das Ende
des Jammers ist nicht abzusehen. Vielleicht hat
er wirklich hundert Jahre zu leben? Um Gottes
willen! Alles, nur nicht das. Der Knochemmann
mit seiner weißen Logik tritt tänzelnd zu ihm.
Und Jack zögert nicht. Er ergreift die unsichtbare
Hand, die sich ihm bietet.

Eines Morgens sanden sie ihn sterbend in sel-
nem Bette auf. Es war im November 1916. Er
hatte sich mit Laudanum vergistet ...

[Spaltenumbruch]
Dreifaches Gaunerspiel
EIN BANKNOTENROMAN

(14. Fortsetzung)

[Spaltenumbruch]

"Hm. -- Haben Sie in der Lage des
Leichnam irgendeine Veränderung vorge-
nommen examinierte Lund.

"Nein, ich habe doch gleich gesehen, daß
alles aus ist, und da habe ich nur Lärm ge-
schlagen."

"Den Revolver haben Sie wohl schon
früher bei Ihrem Herrn beobachtet."

"Nein, der gnädige Herr hielt seine Waf-
fen immer unter Verschluß."

"Haben Sie den Revolver berührt, oder
liegt er noch so, wie bei Ihrem ersten Ein-
tritt in dem Raum?" mischte sich Morris
ein.

Mit einem Entsetzen, das ehrlich schien,
wehrte der Diener ab.

"Ich habe ihn zur Hand genommen", er-
griff der Arzt das Wort, "um Kaliber und
Schußkanal mit einander zu vergleichen,
habe ihn jedoch genau so hingelegt, wie er
vorher lag."

Morris war hinzugetreten und hatte die
Waffe aufgehoben, aber in der Weise, daß
er einen Bleistift in den abgeschossenen Lauf
steckte und ihn dann emporhob. Es war ein
kleines, zierliches Ding, durchaus vernickelt
und glänzend poliert.

"Merkwürdig", sagte er, ihn lange und
genau betrachtend, "daß Bloom zu einem
solchen Spielzeug gegriffen hat. Daß er
keinen Versager fürchtete! Und daß er über-
haupt solch Damenspielzeug besaß."

Lund meinte dazu: "Wenn die Patronen
mit dem rauchschwarzen Pulver gefüllt sind,
das die enorme Durchschlagskraft hat, so
war er seiner Sache wohl sicher. Und diese
kleinen Waffen sind ja sohr beliebt wegen
ihrer Handlichkeit."

"Herr Doktor", nahm Morris wieder das
Wort, indem er den Gegenstand des Inter-
esses dem Polizeiarzt hinhielt, "wollen Sie
bitte, ohne hinzufassen -- angeben, wie Sie
den Revolver genommen haben bei Ihrer
Untersuchung. Können Sie sich daran noch
erinnern?"

"Gewiß", nickte der Arzt verständnisvoll.
"Ich weiß schon, was Sie meinen. Ich
habe ihn oben an der Mündung des Laufes
ergriffen. Ich bin an solche Vorsicht ge-
wöhnt bei derartigen Untersuchungen. In
Fällen, wo Mord vorliegt, ist es ja notwen-
dig, so zu handeln, um etwaige Finger-
abdrücke nicht zu verwischen."

"Ich danke Ihnen, Herr Doktor."

"Bin ich noch weiter von nöten, Herr
Assessor?" erkundigte sich der alte Arzt,
dem offenbar Bett und Nachtruhe mehr am
Herzen lagen als Selbstmörder und Polizei-
assessoren.

"Ich glaube, nein. -- Bitte, suchen Sie
mich morgen oder vielmehr heute früh um
els Uhr in meinem Büro auf."

Während die beiden Männer voneinan-
der Abschied nahmen, war Morris in die
Garderobe nebenan getreten, die wie alle
Räume des Hauses, auf Lunds Befehl hell
erleuchtet war. Eben wollte der Assessor
auch den Diener entlassen, als der Ire wie-
der eintrat. Ueber seinem Arm hing der
rote Domino Blooms.

"Ein merkwürdiges Stück!" erläuterte er.
"Bitte, sehen Sie einmal her. Innen
schwarz, außen rot -- oder auch: außen
schwarz, innen rot. Auf zwei Seiten gear-
beitet, kann der Domino so und so getragen
werden."

"Das war eine Erfindung des gnädigen
Herrn", mischte sich der Diener ein. "Er
war stolz darauf, und wollte es heute abend
ausprobieren. Er hat sich viel Spaß davon
versprochen. Wenn er erkannt war, wollte
er ihn unbemerkt umwenden, um wieder
von neuem seine Scherze machen zu kön-
nen."

"Und Sie glauben", fragte Lund. "daß
Herr Bloom heute solche Verwandlungen
durchgeführt hat? Erzählt hat er nichts
davon?"

"Er hat ja kein Wert mehr mit mir ge-
redet. Aber jedenfalls hat er, wie er weg-
fuhr zum Ball, die feste Absicht gehabt, seine
Späße mit dem doppalten Domino zu ma-
chen."

"Gut. -- Jonas, führen Sie diesen Mann
zu den anderen Angestellten und sorgen Sie
dafür, daß alle beobachtet werden, bis ich
hinunterkomme."

Als die beiden gegangen waren, schickte
Lund auch den Protokollführer fort. Dann
wandte er sich an Frank:

"Ich muß Ihnen ein peinliches Geständ-
[Spaltenumbruch] nis machen, lieber Morris. Ich fürchte, daß
mir eine wertvolle Handhabe entgangen ist.
Hätte ich nur früher um das Geheimnis die-
ses Dominos gewußt! Denken Sie, was mir
auf dem Maskenfest passierte. Ich hatte
mich im großen Saale in eine Fensternische
zurückgezogen und betrachtete von dort aus
das bunte Bild, als plötzlich eine Maske
fahrig auf mich zueilt -- ich weiß nicht:
ist Ihnen der Page aufgefallen, der mir zu-
raunt: Alfred ich hab/ etwas angerichtet!
-- Ich bin einen Augenblick sprachlos, da
fügt sie keuchend hinzu: Wenn er begriffen
hat, sind wir verloren! -- Ich, natürlich
im Glauben an ein galantes Abenteuer, er-
widere höflich: Schönste, so weh es mir tut,
ich heiße nicht Alfred! -- worauf sie aus-
ruft: Auch du nicht! -- wild umherstiert
und davonstürzt."

"War der Page unzweifelhaft eine
Dame?"

"Eine Dame? Wie meinen Sie? Sie
bringen mich da auf einen Gedanken: sehr
damenhaft war ihr Benehmen nicht. Aber
jedenfalls was es etwas Weibliches -- un-
zweifelhaft nach Bewegung und Stimme."

"Ja, lieber Lund, dann hat -- verzeihen
Sie -- der Kriminalist in Ihnen allerdings
Urlaub gehabt. Wenn Sie mit einer Frau
-- welcher immer -- Beziehungen haben,
die geheim bleiben sollen, und sie will
Ihnen sagen, daß die Sache entdeckt wor-
den ist, denkt sie allemal nur an sich und
sagt daher: ich bin verloren! -- aber nicht:
wir sind verloren. -- Als gute Spürnase
hätten Sie darauf kommen müssen."

"Der Teufel soll in solchen Augenblicken
an den Dienst denken!"

"Stimmt: der Teufel. Ein guter Krimi-
nalmensch muß was vom Satan in sich ha-
ben. Darum möchte ich den Beruf nicht
dauernd ausüben, so belebend er vorüber-
gehend wirken kann. -- Uebrigens wird
uns Ihr Versehen hoffentlich nicht schaden,
ich habe nämlich Rupert gebeten, mit Hilfe
von Fräulein Terschak eine möglichst genaue
Liste der Teilnehmer des Maskenfestes ein-
schließlich ihrer Kostüme aufzustellen, bevor
sie den Ball verlassen. Denn ich selber
möchte über einige Personen Aufschluß ge-
winnen."

"Sie verstehen doch an alles zu denken,
Morris", meinte Lund beinahe neidisch.

"Es ist bei mir mehr eine instinktive
Ahnung, daß auf diesem Feste etwas --
nein: manches nicht in Ordnung sein mag.
Ich konnte mich, so lange ich dort war,
eines unbehaglichen Gefühls nicht erwehren.
Und weil ich durch Sie zu früh abgerufen
wurde, um die Notizen selber zu tätigen,
bat ich Steimmann."

"Lassen Sie mir das Verzeichnis bald zu-
kommen", verlangte Lund.

"Ich habe Rupert gebeten, es hierher zu
bringen, nachdem er Fräulein Terschak
heimbegleitet hat. In solchen Dingen sind
oft Minuten kostbar."

(Fortsekung folgt).



Im Zeichen der Völkerversöhnung
[Abbildung]

Der saarländische Großindustrielle Dr. h. c. Her-
mann Röchling (im Bilde) wurde im Jahre 1919
durch ein französisches Kriegsgericht "wegen Rau-
bes und gewaltsamen Diebstahls" (Abtransport
von Maschinen aus den besetzten Provinzen Frank-
reichs im Auftrage der Heeresleitung) zu 10 Jah-
ren Zuchtheus und 19 Millionen Frank Geld-
strase verurteilt. Natürlich blieb das Urteil unvoll-
streckbar. Jetzt wurde dem Kommerzienrat Röch-
ling eine Zahlungsaufforderung zugestellt und
Zwangsvollstreckung angedroht.

Samstag. den 12., Sonntag, den 13. Januar „AZ am Abend“ Nr. 10
[Spaltenumbruch]
Jack London

Zu ſeinem Geburtstage am 12. Januar *

[Spaltenumbruch]

John, ich bitt’ euch, entſcheidet ſelbſt, wie kann
ein Menſch, der es zu etwas bringen will in die-
ſer Welt, nur John heißen. Jack freilich, das iſt
etwas anderes. Knapp und hell klingt es einem in
die Ohren, dieſes Jack. Alſo nannte ſich der Zehn-
jährige — er kann auch fünger geweſen ſein —
kurz entſchloſſen Jack. Zwar führten ihn die Re-
giſter Oaklands, der Vaterſtadt, unter dem ver-
haßten Vornamen. Doch Regiſter hin, Regiſter
her. Von nun an hieß er Juck London. Hat je-
mand etwas dagegen, he?

Damals ſchacherte er mit Briefmarken und Fla-
ſchen. Und ſeine Beredtſamkeit in Geſchäften, die
einem griechiſchen Händler Tränen in die Augen
treiben konnte, war gefürchtet und berühmt, mehr
gefürchtet als berühmt, das muß man ſchon ſagen.
Denn ach, wer konnte dieſem Mundwerk wider-
ſtehen?

Um das ſechzehnte Jahr war er Beſitzer einer
ſeetüchtigen Jolle. „Razzlo Dazzlo“ ſtand am Bug.
Der Bengel ſegelte ſein Boot in der Flotte der
Schwarzfiſcher, die die Auſternbänke plünderten.
Ah, es war eine Luſt, ſo zu leben. Man hatte
Abenteuer und Geld, mehr als genug. Die Gold-
münzen klingelten nur ſo in den Taſchen der
Spendierhoſe. Mit eisgrauen Seemännern ſoff er
in der „Letzten Chance“, ſchloß mit ihnen Bruder-
ſchaft. Sie erzählten ihre prachtvollen Geſchichten
von Freundſchaft, Kühnheit und Liebe. Und man
grölte im Chor all die wundervollen Seeräuber-
lieder, die Joe Gooſe auf dem Schifferklavier wie
ein gefallener Engel vortrug. Manchmal gab es
blutige Prügeleien. Die Meſſer blitzten und die
Piſtole knallte. Und wenn einer ſtill und bleich im
Sand lag, griff man nach der Korbflaſche, be-
weinte ſeinen Tod und ſchwor — zum tauſend-
ſten Male — ewige Bruderſchaft. Zu dieſer Zeit
nannten ſie ihn im Hafen von Oakland: Fürſt
der Auſternbänke. Einzig mit jenem tollen Nel-
ſon, dem breitſchultrigſten Mann, den der Toten-
beſchauer von Benicia je auf ſeinem Brett hat
liegen ſehen, einzig mit Nelſon war er zu ver-
gleichen. Sie ſegelten ſpäter zuſammen, und der
verhexte Holländer konnte nicht tollkühner fahren
als die beiden. Freilich waren ſie bei ihren Aben-
teuern immer — angeſäuſelt.

Niemand iſt vor ſich ſelbſt ſicher. Eines Tages
überfiel ihn die Erkenntnis ſeines Hundelebens.
Ein Selbſtmordverſuch, in der Melancholie des
Rauſches verübt, mißlang durch einen Zufall.
Die Augen gingen ihm auf Es war Zeit, höchſte
Zeit, die Zelte abzubrechen. Die Träume von
einem herrlich ſchäumenden Leben drohten für
immer zu verſinken. Alſo floh der Siebzehnjährige
hinaus auf die See. Mit einem Dreimaſtſchoner,
als Matroſe, fuhr er nach Japan — und König
Alkohol fuhr mit, als blinder Paſſagier. Einund-
fünfzig Tage dauerte die Reiſe nach den Bonin-
Inſeln, und dieſe einundfünfzig Tage auf dem
Segelſchiff waren beſſer als ein Jahr Radikalkur
in einer Trinkerheilanſtalt. Aber als die Leute
der „Sophie Southerland“ mit den kanadiſchen
und amerikaniſchen Robbenfängern jene be-
rauſchende Saturnalien feierten, konnte da ein
Mann wie Jack London zurückſtehen? Einen
Rauſch, und zwar einen königlichen, war er allein
ſeiner Selbſtachtung ſchuldig. Haha, ganze Stra-
ßenzüge lächerlicher, japaniſcher Papierhäuschen
wurden bei den Saturnalien dieſer modernen
Argonauten zertrampelt, zerdroſchen und zerfetzt.
Es war wunderbar, glaubt mir. Es war unver-
geßlich ſchön.

Wohin er ſich auch wandte, König Alkohol folgte
ihm nach. Jack kannte ſeinen Peiniger und haßte
ihn. Aber König Alkohol war klug. Sehr klug
ſogar und luſtig obendrein. Oh, König Alkohol
wußte ſein Opfer zu halten. Nichts eilte. Der
Tag der Abrechnung würde ſchon kommen. Jetzt
ſchenkte er, König Alkohol, alles. Geduld — die
Zeche wird bezahlt.

Viel Staat war mit dem fungen London nicht
zu machen. Gewiß, ſeine Schultern waren breit,
ſeine Muskeln eiften. Sein Geſicht war ſchön,
hart gaſermt vom Griff des abenteuerlichen Le-
bens. Seine Augen, ſchimmernd und ewig wech-
ſelnd wie das Meer, verrieten die Seele eines
Künſtlers. Doch was nutzt das. Seht, er ſetzt ſich
in den Kopf, Elektrotechniker zu werden. Natür-
lich mußte er dazu arbeiten. Natürlich warf er
alles eines ſchönen Tages beiſeite. Mochte ſchuf-
ten wer Luſt hatte, er nicht. Freilich hatte er für
zwei Kohlenſchaufler rackern müſſen. Seine Ar-
beitsorgie trug ihm nicht mehr ein als dreißig
Dollar, und hinterher mußte er ein Jahr lang die
Handgelenke im Verband tragen. Aber —

Was tut ein Mann, der für immer genug be-
kommen hat von der Arbeit? Er ſchließt ſich, weil
die Gelegenheit gerade günſtig iſt, General Kellys
Lumpenarmee an. Oſtwärts wanderte Jack Lon-
don auf dem Schienenſtrang. Vagabund unter
Vagabunden. Doch ſeltſam, auf ſeinen mühevollen
Wanderungen durch die Bereinigten Staaten
kommt dem jungen Tramp ein leuchtender Ge-
danke. Ein Gedenke, mühſam gefunden nach
langen Froſtnächten, nach ungezählten Hunger-
togen. Nach Hauſe zurück. Bücher vor. Lernen.
Das Hirn trainieren. Nur Kopfarbeit iſt lohnend,
das ſagt ſich der abgeriſſene Soldat aus Kellys
Lumpenarmee, und ſeine Stieſel klopfen den Takt
dazu auf den Schwellen des Bahndamms.

Es war ihm bitter ernſt mit ſeinem Entſchluß.
In vier Monaten leiſtete er die Arbeit zweier
Jahre. Er begann zu ſchreiben. Es gab Zeiten,
in denen er tagein, tagaus fünfzehn Stunden täg-
lich dichtete. Die Manuſkripte häuſten ſich unter



[irrelevantes Material]
[Spaltenumbruch]

ſeinem tinkenſleckigen Tiſch. Die Sicherheit, mit
der ſie den Weg von den Redaktionen zu ihm
zurückfanden, grenzte aus Phantaſtiſche. Jack be-
gann an der Exiſtenz von Redakteuren zu zwei-
feln. Vielleicht waren nur Maſchinen da, die
— allein die Arbeit in der Dampfwäſcherei von
Belmont vertrieb ihm alles Grübeln. Rützliches ſo-
wie unnützes über die Exiſtenz von Redalteuren.

Man mußte leben, das bedeutete, daß man die
geliebte Schreibmaſchine, das Zimmerchen und die
Bücher verließ, um zu arbeiten wie ein Gaul,
dumpf und gedankenlos. Als er im Frühherbſt
1897, einundzwanzigjährig, nach Klondike auszog,
war er überzeugt, daß dieſer gefährliche Ausflug
nur eine kleine Verzögerung ſeiner Entwicklung
als Schriftſteller war.

Der nur träumende, gedankenloſe Abenteurer
iſt überwunden. Der Vagabund hat Ordnung und
Selbſtdiſziplin gelernt, das iſt die Weisheit, die er
von der Reiſe nach Klondike mitbringt. Anderes



Der däniſche Hauptmann Lembourn.
[Abbildung]

der im vergangenen Juni bei Betreten deutſchen
Gebietes wegen Spionageverdachts verhaftet
wurde, wurde vom Reichsgerichtshof zu fünf Jah-
ren Zuchthaus verurteilt.



Gold als dies hat er nicht mitgebracht. Aermer
denn je ſetzt er ſich von neuem an ſeine Schreib-
maſchine. Lieber würde er irgendwo irgendwas
arbeiten, Modell ſtehen, ſonſt was tun. Allein es
findet ſich nichts. Drei Jahre ſind ungeſähr ver-
gangen ſeit ſeinem Start in die Provinzen der
Geiſtigkeit und der Kunſt. Drei Jahre und kein
Erfolg, das iſt zuviel für ihn, den Ungeduldigen
und Hungernden. Er hat gerade ſo viel, um nicht
vor Unterernährung krepieren zu müſſen. Neun-
zehn Stunden arbeitet er am Tag, nur fünf
Stunden gönnt er ſich Schlaf. Er ſegnet den Er-
finder der Weckuhr. Trotzdem ſagt er: „Hölle, es
iſt zum Verzweifeln.“

Mit einem Male, über Nacht iſt der Erfolg da.
In den Magazinen erſcheinen ſeine Geſchichten.
Wunderbare Geſchichten, in denen der trocken-
heiße Atem des Lebens weht, in denen die Muſik
des Lebens erklingt und die Schauder des Todes
einen gräßlichen Reigen tanzen. Ein Verleger
findet ſich für das erſte Buch. Es heißt: Der
Sohn des Wolſs.

Unaufhaltſam ſteigt Jack empor. Er ſtudiert
weiter. Reiſt. Hält Vorträge in Klubs und Uni-
verſitäten. Und täglich ſchmiedet ſein gutes Hirn
hundert Zeilen. Hundert Zeilen, auf die Verleger
und Publikum mit angehaltenem Atem warten.
Der erſte ſchöpferiſche Rauſch iſt verflogen. Aber
er ſieht immer klarer. Sein Künſtlertum nimmt
mit jedem Tag zu. Als Korreſpendent für Hearſt,
ſieht er wider Willen nichts vom ruſſiſch japani-
ſchen Krieg. Dafür erlebt er um ſo mehr in den
Londoner Slums, in denen er ſich wochenlang als
Stromer herumtreibt. Sein Buch über die Kinder
des Abgrunds hat keinen Erfolg.

In Glen Ellen, einem der ſchönſten Flecke des
ſchönen Kalifornien, baut er ſeine Muſterfarm.
Mit Charmian, ſeiner zweiten Frau, reiſt er,
eigener Kapitän, auf eigener Jacht im Südſee-
archipel. Täglich hämmert er ſeine hundert Zeilen
aus, und wenn er von dem Schreibblock aufſieht
und über die See ſchaut, über deren blaue Ober-
fläche die Sonnenfunken hüpfen, dann ſind ſeine
Gedanken in Glen Ellen, bei ſeinen Eukalyptus-
bäumen, bei ſeinen belgiſchen Pferden, beim See,
den er grub ... Iſt er nicht ein glücklicher Menſch,
denken zehntauſend Amerikaner, wenn ſie am
Abend im Kino ſein Geſicht auf der ſilbernen
Wand aufleuchten ſehen. Frauen werben um ihn,
der von Abenteuern und Ferne umwittert iſt.
Künſtler bitten um ſein Urteil. Männer von
Herz und Verſtand, aufrechte Männer halten zu
ihm, mit ihnen kann er über die Myſterien und
über den Schlamm der Welt ſprechen. Charmian
iſt ein Wunder. Die Arbeitskraft, die Phantafie
ungebrochen. Es ſcheint, als ob er wie in jungen
Jahren herrliche Träume träumt.

Der Schein trügt. Jack iſt nicht glücklich. War-
um nicht? Das iſt ſein Geheimnis. Zudem for-
dert König Alkohol die Bezahlung für all die
bunten Träume, die er geſandt hat. Jack London,
der hundert Jahre hatte leben wollen, hat an
ſeinen vierzig übergenug. Ihn ekelt die Welt. Die
Menſchen ſind ihm zuwider. Seine eigene Haut
behagt ihm nicht. Was nützt die Freundſchaft
John Gerſtenkorns — das iſt der andere Name
König Alkohols, der Rauſch iſt kurz. Das Ende
des Jammers iſt nicht abzuſehen. Vielleicht hat
er wirklich hundert Jahre zu leben? Um Gottes
willen! Alles, nur nicht das. Der Knochemmann
mit ſeiner weißen Logik tritt tänzelnd zu ihm.
Und Jack zögert nicht. Er ergreift die unſichtbare
Hand, die ſich ihm bietet.

Eines Morgens ſanden ſie ihn ſterbend in ſel-
nem Bette auf. Es war im November 1916. Er
hatte ſich mit Laudanum vergiſtet ...

[Spaltenumbruch]
Dreifaches Gaunerspiel
EIN BANKNOTENROMAN

(14. Fortſetzung)

[Spaltenumbruch]

„Hm. — Haben Sie in der Lage des
Leichnam irgendeine Veränderung vorge-
nommen examinierte Lund.

„Nein, ich habe doch gleich geſehen, daß
alles aus iſt, und da habe ich nur Lärm ge-
ſchlagen.“

„Den Revolver haben Sie wohl ſchon
früher bei Ihrem Herrn beobachtet.“

„Nein, der gnädige Herr hielt ſeine Waf-
fen immer unter Verſchluß.“

„Haben Sie den Revolver berührt, oder
liegt er noch ſo, wie bei Ihrem erſten Ein-
tritt in dem Raum?“ miſchte ſich Morris
ein.

Mit einem Entſetzen, das ehrlich ſchien,
wehrte der Diener ab.

„Ich habe ihn zur Hand genommen“, er-
griff der Arzt das Wort, „um Kaliber und
Schußkanal mit einander zu vergleichen,
habe ihn jedoch genau ſo hingelegt, wie er
vorher lag.“

Morris war hinzugetreten und hatte die
Waffe aufgehoben, aber in der Weiſe, daß
er einen Bleiſtift in den abgeſchoſſenen Lauf
ſteckte und ihn dann emporhob. Es war ein
kleines, zierliches Ding, durchaus vernickelt
und glänzend poliert.

„Merkwürdig“, ſagte er, ihn lange und
genau betrachtend, „daß Bloom zu einem
ſolchen Spielzeug gegriffen hat. Daß er
keinen Verſager fürchtete! Und daß er über-
haupt ſolch Damenſpielzeug beſaß.“

Lund meinte dazu: „Wenn die Patronen
mit dem rauchſchwarzen Pulver gefüllt ſind,
das die enorme Durchſchlagskraft hat, ſo
war er ſeiner Sache wohl ſicher. Und dieſe
kleinen Waffen ſind ja ſohr beliebt wegen
ihrer Handlichkeit.“

„Herr Doktor“, nahm Morris wieder das
Wort, indem er den Gegenſtand des Inter-
eſſes dem Polizeiarzt hinhielt, „wollen Sie
bitte, ohne hinzufaſſen — angeben, wie Sie
den Revolver genommen haben bei Ihrer
Unterſuchung. Können Sie ſich daran noch
erinnern?“

„Gewiß“, nickte der Arzt verſtändnisvoll.
„Ich weiß ſchon, was Sie meinen. Ich
habe ihn oben an der Mündung des Laufes
ergriffen. Ich bin an ſolche Vorſicht ge-
wöhnt bei derartigen Unterſuchungen. In
Fällen, wo Mord vorliegt, iſt es ja notwen-
dig, ſo zu handeln, um etwaige Finger-
abdrücke nicht zu verwiſchen.“

„Ich danke Ihnen, Herr Doktor.“

„Bin ich noch weiter von nöten, Herr
Aſſeſſor?“ erkundigte ſich der alte Arzt,
dem offenbar Bett und Nachtruhe mehr am
Herzen lagen als Selbſtmörder und Polizei-
aſſeſſoren.

„Ich glaube, nein. — Bitte, ſuchen Sie
mich morgen oder vielmehr heute früh um
elſ Uhr in meinem Büro auf.“

Während die beiden Männer voneinan-
der Abſchied nahmen, war Morris in die
Garderobe nebenan getreten, die wie alle
Räume des Hauſes, auf Lunds Befehl hell
erleuchtet war. Eben wollte der Aſſeſſor
auch den Diener entlaſſen, als der Ire wie-
der eintrat. Ueber ſeinem Arm hing der
rote Domino Blooms.

„Ein merkwürdiges Stück!“ erläuterte er.
„Bitte, ſehen Sie einmal her. Innen
ſchwarz, außen rot — oder auch: außen
ſchwarz, innen rot. Auf zwei Seiten gear-
beitet, kann der Domino ſo und ſo getragen
werden.“

„Das war eine Erfindung des gnädigen
Herrn“, miſchte ſich der Diener ein. „Er
war ſtolz darauf, und wollte es heute abend
ausprobieren. Er hat ſich viel Spaß davon
verſprochen. Wenn er erkannt war, wollte
er ihn unbemerkt umwenden, um wieder
von neuem ſeine Scherze machen zu kön-
nen.“

„Und Sie glauben“, fragte Lund. „daß
Herr Bloom heute ſolche Verwandlungen
durchgeführt hat? Erzählt hat er nichts
davon?“

„Er hat ja kein Wert mehr mit mir ge-
redet. Aber jedenfalls hat er, wie er weg-
fuhr zum Ball, die feſte Abſicht gehabt, ſeine
Späße mit dem doppalten Domino zu ma-
chen.“

„Gut. — Jonas, führen Sie dieſen Mann
zu den anderen Angeſtellten und ſorgen Sie
dafür, daß alle beobachtet werden, bis ich
hinunterkomme.“

Als die beiden gegangen waren, ſchickte
Lund auch den Protokollführer fort. Dann
wandte er ſich an Frank:

„Ich muß Ihnen ein peinliches Geſtänd-
[Spaltenumbruch] nis machen, lieber Morris. Ich fürchte, daß
mir eine wertvolle Handhabe entgangen iſt.
Hätte ich nur früher um das Geheimnis die-
ſes Dominos gewußt! Denken Sie, was mir
auf dem Maskenfeſt paſſierte. Ich hatte
mich im großen Saale in eine Fenſterniſche
zurückgezogen und betrachtete von dort aus
das bunte Bild, als plötzlich eine Maske
fahrig auf mich zueilt — ich weiß nicht:
iſt Ihnen der Page aufgefallen, der mir zu-
raunt: Alfred ich hab/ etwas angerichtet!
— Ich bin einen Augenblick ſprachlos, da
fügt ſie keuchend hinzu: Wenn er begriffen
hat, ſind wir verloren! — Ich, natürlich
im Glauben an ein galantes Abenteuer, er-
widere höflich: Schönſte, ſo weh es mir tut,
ich heiße nicht Alfred! — worauf ſie aus-
ruft: Auch du nicht! — wild umherſtiert
und davonſtürzt.“

„War der Page unzweifelhaft eine
Dame?“

„Eine Dame? Wie meinen Sie? Sie
bringen mich da auf einen Gedanken: ſehr
damenhaft war ihr Benehmen nicht. Aber
jedenfalls was es etwas Weibliches — un-
zweifelhaft nach Bewegung und Stimme.“

„Ja, lieber Lund, dann hat — verzeihen
Sie — der Kriminaliſt in Ihnen allerdings
Urlaub gehabt. Wenn Sie mit einer Frau
— welcher immer — Beziehungen haben,
die geheim bleiben ſollen, und ſie will
Ihnen ſagen, daß die Sache entdeckt wor-
den iſt, denkt ſie allemal nur an ſich und
ſagt daher: ich bin verloren! — aber nicht:
wir ſind verloren. — Als gute Spürnaſe
hätten Sie darauf kommen müſſen.“

„Der Teufel ſoll in ſolchen Augenblicken
an den Dienſt denken!“

„Stimmt: der Teufel. Ein guter Krimi-
nalmenſch muß was vom Satan in ſich ha-
ben. Darum möchte ich den Beruf nicht
dauernd ausüben, ſo belebend er vorüber-
gehend wirken kann. — Uebrigens wird
uns Ihr Verſehen hoffentlich nicht ſchaden,
ich habe nämlich Rupert gebeten, mit Hilfe
von Fräulein Terſchak eine möglichſt genaue
Liſte der Teilnehmer des Maskenfeſtes ein-
ſchließlich ihrer Koſtüme aufzuſtellen, bevor
ſie den Ball verlaſſen. Denn ich ſelber
möchte über einige Perſonen Aufſchluß ge-
winnen.“

„Sie verſtehen doch an alles zu denken,
Morris“, meinte Lund beinahe neidiſch.

„Es iſt bei mir mehr eine inſtinktive
Ahnung, daß auf dieſem Feſte etwas —
nein: manches nicht in Ordnung ſein mag.
Ich konnte mich, ſo lange ich dort war,
eines unbehaglichen Gefühls nicht erwehren.
Und weil ich durch Sie zu früh abgerufen
wurde, um die Notizen ſelber zu tätigen,
bat ich Steimmann.“

„Laſſen Sie mir das Verzeichnis bald zu-
kommen“, verlangte Lund.

„Ich habe Rupert gebeten, es hierher zu
bringen, nachdem er Fräulein Terſchak
heimbegleitet hat. In ſolchen Dingen ſind
oft Minuten koſtbar.“

(Fortſekung folgt).



Im Zeichen der Völkerverſöhnung
[Abbildung]

Der ſaarländiſche Großinduſtrielle Dr. h. c. Her-
mann Röchling (im Bilde) wurde im Jahre 1919
durch ein franzöſiſches Kriegsgericht „wegen Rau-
bes und gewaltſamen Diebſtahls“ (Abtransport
von Maſchinen aus den beſetzten Provinzen Frank-
reichs im Auftrage der Heeresleitung) zu 10 Jah-
ren Zuchtheus und 19 Millionen Frank Geld-
ſtraſe verurteilt. Natürlich blieb das Urteil unvoll-
ſtreckbar. Jetzt wurde dem Kommerzienrat Röch-
ling eine Zahlungsaufforderung zugeſtellt und
Zwangsvollſtreckung angedroht.

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[Seite 13[13]/0013] Samstag. den 12., Sonntag, den 13. Januar „AZ am Abend“ Nr. 10 Jack London Zu ſeinem Geburtstage am 12. Januar * Von Lothar Manhold John, ich bitt’ euch, entſcheidet ſelbſt, wie kann ein Menſch, der es zu etwas bringen will in die- ſer Welt, nur John heißen. Jack freilich, das iſt etwas anderes. Knapp und hell klingt es einem in die Ohren, dieſes Jack. Alſo nannte ſich der Zehn- jährige — er kann auch fünger geweſen ſein — kurz entſchloſſen Jack. Zwar führten ihn die Re- giſter Oaklands, der Vaterſtadt, unter dem ver- haßten Vornamen. Doch Regiſter hin, Regiſter her. Von nun an hieß er Juck London. Hat je- mand etwas dagegen, he? Damals ſchacherte er mit Briefmarken und Fla- ſchen. Und ſeine Beredtſamkeit in Geſchäften, die einem griechiſchen Händler Tränen in die Augen treiben konnte, war gefürchtet und berühmt, mehr gefürchtet als berühmt, das muß man ſchon ſagen. Denn ach, wer konnte dieſem Mundwerk wider- ſtehen? Um das ſechzehnte Jahr war er Beſitzer einer ſeetüchtigen Jolle. „Razzlo Dazzlo“ ſtand am Bug. Der Bengel ſegelte ſein Boot in der Flotte der Schwarzfiſcher, die die Auſternbänke plünderten. Ah, es war eine Luſt, ſo zu leben. Man hatte Abenteuer und Geld, mehr als genug. Die Gold- münzen klingelten nur ſo in den Taſchen der Spendierhoſe. Mit eisgrauen Seemännern ſoff er in der „Letzten Chance“, ſchloß mit ihnen Bruder- ſchaft. Sie erzählten ihre prachtvollen Geſchichten von Freundſchaft, Kühnheit und Liebe. Und man grölte im Chor all die wundervollen Seeräuber- lieder, die Joe Gooſe auf dem Schifferklavier wie ein gefallener Engel vortrug. Manchmal gab es blutige Prügeleien. Die Meſſer blitzten und die Piſtole knallte. Und wenn einer ſtill und bleich im Sand lag, griff man nach der Korbflaſche, be- weinte ſeinen Tod und ſchwor — zum tauſend- ſten Male — ewige Bruderſchaft. Zu dieſer Zeit nannten ſie ihn im Hafen von Oakland: Fürſt der Auſternbänke. Einzig mit jenem tollen Nel- ſon, dem breitſchultrigſten Mann, den der Toten- beſchauer von Benicia je auf ſeinem Brett hat liegen ſehen, einzig mit Nelſon war er zu ver- gleichen. Sie ſegelten ſpäter zuſammen, und der verhexte Holländer konnte nicht tollkühner fahren als die beiden. Freilich waren ſie bei ihren Aben- teuern immer — angeſäuſelt. Niemand iſt vor ſich ſelbſt ſicher. Eines Tages überfiel ihn die Erkenntnis ſeines Hundelebens. Ein Selbſtmordverſuch, in der Melancholie des Rauſches verübt, mißlang durch einen Zufall. Die Augen gingen ihm auf Es war Zeit, höchſte Zeit, die Zelte abzubrechen. Die Träume von einem herrlich ſchäumenden Leben drohten für immer zu verſinken. Alſo floh der Siebzehnjährige hinaus auf die See. Mit einem Dreimaſtſchoner, als Matroſe, fuhr er nach Japan — und König Alkohol fuhr mit, als blinder Paſſagier. Einund- fünfzig Tage dauerte die Reiſe nach den Bonin- Inſeln, und dieſe einundfünfzig Tage auf dem Segelſchiff waren beſſer als ein Jahr Radikalkur in einer Trinkerheilanſtalt. Aber als die Leute der „Sophie Southerland“ mit den kanadiſchen und amerikaniſchen Robbenfängern jene be- rauſchende Saturnalien feierten, konnte da ein Mann wie Jack London zurückſtehen? Einen Rauſch, und zwar einen königlichen, war er allein ſeiner Selbſtachtung ſchuldig. Haha, ganze Stra- ßenzüge lächerlicher, japaniſcher Papierhäuschen wurden bei den Saturnalien dieſer modernen Argonauten zertrampelt, zerdroſchen und zerfetzt. Es war wunderbar, glaubt mir. Es war unver- geßlich ſchön. Wohin er ſich auch wandte, König Alkohol folgte ihm nach. Jack kannte ſeinen Peiniger und haßte ihn. Aber König Alkohol war klug. Sehr klug ſogar und luſtig obendrein. Oh, König Alkohol wußte ſein Opfer zu halten. Nichts eilte. Der Tag der Abrechnung würde ſchon kommen. Jetzt ſchenkte er, König Alkohol, alles. Geduld — die Zeche wird bezahlt. Viel Staat war mit dem fungen London nicht zu machen. Gewiß, ſeine Schultern waren breit, ſeine Muskeln eiften. Sein Geſicht war ſchön, hart gaſermt vom Griff des abenteuerlichen Le- bens. Seine Augen, ſchimmernd und ewig wech- ſelnd wie das Meer, verrieten die Seele eines Künſtlers. Doch was nutzt das. Seht, er ſetzt ſich in den Kopf, Elektrotechniker zu werden. Natür- lich mußte er dazu arbeiten. Natürlich warf er alles eines ſchönen Tages beiſeite. Mochte ſchuf- ten wer Luſt hatte, er nicht. Freilich hatte er für zwei Kohlenſchaufler rackern müſſen. Seine Ar- beitsorgie trug ihm nicht mehr ein als dreißig Dollar, und hinterher mußte er ein Jahr lang die Handgelenke im Verband tragen. Aber — Was tut ein Mann, der für immer genug be- kommen hat von der Arbeit? Er ſchließt ſich, weil die Gelegenheit gerade günſtig iſt, General Kellys Lumpenarmee an. Oſtwärts wanderte Jack Lon- don auf dem Schienenſtrang. Vagabund unter Vagabunden. Doch ſeltſam, auf ſeinen mühevollen Wanderungen durch die Bereinigten Staaten kommt dem jungen Tramp ein leuchtender Ge- danke. Ein Gedenke, mühſam gefunden nach langen Froſtnächten, nach ungezählten Hunger- togen. Nach Hauſe zurück. Bücher vor. Lernen. Das Hirn trainieren. Nur Kopfarbeit iſt lohnend, das ſagt ſich der abgeriſſene Soldat aus Kellys Lumpenarmee, und ſeine Stieſel klopfen den Takt dazu auf den Schwellen des Bahndamms. Es war ihm bitter ernſt mit ſeinem Entſchluß. In vier Monaten leiſtete er die Arbeit zweier Jahre. Er begann zu ſchreiben. Es gab Zeiten, in denen er tagein, tagaus fünfzehn Stunden täg- lich dichtete. Die Manuſkripte häuſten ſich unter _ ſeinem tinkenſleckigen Tiſch. Die Sicherheit, mit der ſie den Weg von den Redaktionen zu ihm zurückfanden, grenzte aus Phantaſtiſche. Jack be- gann an der Exiſtenz von Redakteuren zu zwei- feln. Vielleicht waren nur Maſchinen da, die — allein die Arbeit in der Dampfwäſcherei von Belmont vertrieb ihm alles Grübeln. Rützliches ſo- wie unnützes über die Exiſtenz von Redalteuren. Man mußte leben, das bedeutete, daß man die geliebte Schreibmaſchine, das Zimmerchen und die Bücher verließ, um zu arbeiten wie ein Gaul, dumpf und gedankenlos. Als er im Frühherbſt 1897, einundzwanzigjährig, nach Klondike auszog, war er überzeugt, daß dieſer gefährliche Ausflug nur eine kleine Verzögerung ſeiner Entwicklung als Schriftſteller war. Der nur träumende, gedankenloſe Abenteurer iſt überwunden. Der Vagabund hat Ordnung und Selbſtdiſziplin gelernt, das iſt die Weisheit, die er von der Reiſe nach Klondike mitbringt. Anderes Der däniſche Hauptmann Lembourn. [Abbildung der im vergangenen Juni bei Betreten deutſchen Gebietes wegen Spionageverdachts verhaftet wurde, wurde vom Reichsgerichtshof zu fünf Jah- ren Zuchthaus verurteilt.] Gold als dies hat er nicht mitgebracht. Aermer denn je ſetzt er ſich von neuem an ſeine Schreib- maſchine. Lieber würde er irgendwo irgendwas arbeiten, Modell ſtehen, ſonſt was tun. Allein es findet ſich nichts. Drei Jahre ſind ungeſähr ver- gangen ſeit ſeinem Start in die Provinzen der Geiſtigkeit und der Kunſt. Drei Jahre und kein Erfolg, das iſt zuviel für ihn, den Ungeduldigen und Hungernden. Er hat gerade ſo viel, um nicht vor Unterernährung krepieren zu müſſen. Neun- zehn Stunden arbeitet er am Tag, nur fünf Stunden gönnt er ſich Schlaf. Er ſegnet den Er- finder der Weckuhr. Trotzdem ſagt er: „Hölle, es iſt zum Verzweifeln.“ Mit einem Male, über Nacht iſt der Erfolg da. In den Magazinen erſcheinen ſeine Geſchichten. Wunderbare Geſchichten, in denen der trocken- heiße Atem des Lebens weht, in denen die Muſik des Lebens erklingt und die Schauder des Todes einen gräßlichen Reigen tanzen. Ein Verleger findet ſich für das erſte Buch. Es heißt: Der Sohn des Wolſs. Unaufhaltſam ſteigt Jack empor. Er ſtudiert weiter. Reiſt. Hält Vorträge in Klubs und Uni- verſitäten. Und täglich ſchmiedet ſein gutes Hirn hundert Zeilen. Hundert Zeilen, auf die Verleger und Publikum mit angehaltenem Atem warten. Der erſte ſchöpferiſche Rauſch iſt verflogen. Aber er ſieht immer klarer. Sein Künſtlertum nimmt mit jedem Tag zu. Als Korreſpendent für Hearſt, ſieht er wider Willen nichts vom ruſſiſch japani- ſchen Krieg. Dafür erlebt er um ſo mehr in den Londoner Slums, in denen er ſich wochenlang als Stromer herumtreibt. Sein Buch über die Kinder des Abgrunds hat keinen Erfolg. In Glen Ellen, einem der ſchönſten Flecke des ſchönen Kalifornien, baut er ſeine Muſterfarm. Mit Charmian, ſeiner zweiten Frau, reiſt er, eigener Kapitän, auf eigener Jacht im Südſee- archipel. Täglich hämmert er ſeine hundert Zeilen aus, und wenn er von dem Schreibblock aufſieht und über die See ſchaut, über deren blaue Ober- fläche die Sonnenfunken hüpfen, dann ſind ſeine Gedanken in Glen Ellen, bei ſeinen Eukalyptus- bäumen, bei ſeinen belgiſchen Pferden, beim See, den er grub ... Iſt er nicht ein glücklicher Menſch, denken zehntauſend Amerikaner, wenn ſie am Abend im Kino ſein Geſicht auf der ſilbernen Wand aufleuchten ſehen. Frauen werben um ihn, der von Abenteuern und Ferne umwittert iſt. Künſtler bitten um ſein Urteil. Männer von Herz und Verſtand, aufrechte Männer halten zu ihm, mit ihnen kann er über die Myſterien und über den Schlamm der Welt ſprechen. Charmian iſt ein Wunder. Die Arbeitskraft, die Phantafie ungebrochen. Es ſcheint, als ob er wie in jungen Jahren herrliche Träume träumt. Der Schein trügt. Jack iſt nicht glücklich. War- um nicht? Das iſt ſein Geheimnis. Zudem for- dert König Alkohol die Bezahlung für all die bunten Träume, die er geſandt hat. Jack London, der hundert Jahre hatte leben wollen, hat an ſeinen vierzig übergenug. Ihn ekelt die Welt. Die Menſchen ſind ihm zuwider. Seine eigene Haut behagt ihm nicht. Was nützt die Freundſchaft John Gerſtenkorns — das iſt der andere Name König Alkohols, der Rauſch iſt kurz. Das Ende des Jammers iſt nicht abzuſehen. Vielleicht hat er wirklich hundert Jahre zu leben? Um Gottes willen! Alles, nur nicht das. Der Knochemmann mit ſeiner weißen Logik tritt tänzelnd zu ihm. Und Jack zögert nicht. Er ergreift die unſichtbare Hand, die ſich ihm bietet. Eines Morgens ſanden ſie ihn ſterbend in ſel- nem Bette auf. Es war im November 1916. Er hatte ſich mit Laudanum vergiſtet ... Dreifaches Gaunerspiel EIN BANKNOTENROMAN (14. Fortſetzung) von A. M. FREY „Hm. — Haben Sie in der Lage des Leichnam irgendeine Veränderung vorge- nommen examinierte Lund. „Nein, ich habe doch gleich geſehen, daß alles aus iſt, und da habe ich nur Lärm ge- ſchlagen.“ „Den Revolver haben Sie wohl ſchon früher bei Ihrem Herrn beobachtet.“ „Nein, der gnädige Herr hielt ſeine Waf- fen immer unter Verſchluß.“ „Haben Sie den Revolver berührt, oder liegt er noch ſo, wie bei Ihrem erſten Ein- tritt in dem Raum?“ miſchte ſich Morris ein. Mit einem Entſetzen, das ehrlich ſchien, wehrte der Diener ab. „Ich habe ihn zur Hand genommen“, er- griff der Arzt das Wort, „um Kaliber und Schußkanal mit einander zu vergleichen, habe ihn jedoch genau ſo hingelegt, wie er vorher lag.“ Morris war hinzugetreten und hatte die Waffe aufgehoben, aber in der Weiſe, daß er einen Bleiſtift in den abgeſchoſſenen Lauf ſteckte und ihn dann emporhob. Es war ein kleines, zierliches Ding, durchaus vernickelt und glänzend poliert. „Merkwürdig“, ſagte er, ihn lange und genau betrachtend, „daß Bloom zu einem ſolchen Spielzeug gegriffen hat. Daß er keinen Verſager fürchtete! Und daß er über- haupt ſolch Damenſpielzeug beſaß.“ Lund meinte dazu: „Wenn die Patronen mit dem rauchſchwarzen Pulver gefüllt ſind, das die enorme Durchſchlagskraft hat, ſo war er ſeiner Sache wohl ſicher. Und dieſe kleinen Waffen ſind ja ſohr beliebt wegen ihrer Handlichkeit.“ „Herr Doktor“, nahm Morris wieder das Wort, indem er den Gegenſtand des Inter- eſſes dem Polizeiarzt hinhielt, „wollen Sie bitte, ohne hinzufaſſen — angeben, wie Sie den Revolver genommen haben bei Ihrer Unterſuchung. Können Sie ſich daran noch erinnern?“ „Gewiß“, nickte der Arzt verſtändnisvoll. „Ich weiß ſchon, was Sie meinen. Ich habe ihn oben an der Mündung des Laufes ergriffen. Ich bin an ſolche Vorſicht ge- wöhnt bei derartigen Unterſuchungen. In Fällen, wo Mord vorliegt, iſt es ja notwen- dig, ſo zu handeln, um etwaige Finger- abdrücke nicht zu verwiſchen.“ „Ich danke Ihnen, Herr Doktor.“ „Bin ich noch weiter von nöten, Herr Aſſeſſor?“ erkundigte ſich der alte Arzt, dem offenbar Bett und Nachtruhe mehr am Herzen lagen als Selbſtmörder und Polizei- aſſeſſoren. „Ich glaube, nein. — Bitte, ſuchen Sie mich morgen oder vielmehr heute früh um elſ Uhr in meinem Büro auf.“ Während die beiden Männer voneinan- der Abſchied nahmen, war Morris in die Garderobe nebenan getreten, die wie alle Räume des Hauſes, auf Lunds Befehl hell erleuchtet war. Eben wollte der Aſſeſſor auch den Diener entlaſſen, als der Ire wie- der eintrat. Ueber ſeinem Arm hing der rote Domino Blooms. „Ein merkwürdiges Stück!“ erläuterte er. „Bitte, ſehen Sie einmal her. Innen ſchwarz, außen rot — oder auch: außen ſchwarz, innen rot. Auf zwei Seiten gear- beitet, kann der Domino ſo und ſo getragen werden.“ „Das war eine Erfindung des gnädigen Herrn“, miſchte ſich der Diener ein. „Er war ſtolz darauf, und wollte es heute abend ausprobieren. Er hat ſich viel Spaß davon verſprochen. Wenn er erkannt war, wollte er ihn unbemerkt umwenden, um wieder von neuem ſeine Scherze machen zu kön- nen.“ „Und Sie glauben“, fragte Lund. „daß Herr Bloom heute ſolche Verwandlungen durchgeführt hat? Erzählt hat er nichts davon?“ „Er hat ja kein Wert mehr mit mir ge- redet. Aber jedenfalls hat er, wie er weg- fuhr zum Ball, die feſte Abſicht gehabt, ſeine Späße mit dem doppalten Domino zu ma- chen.“ „Gut. — Jonas, führen Sie dieſen Mann zu den anderen Angeſtellten und ſorgen Sie dafür, daß alle beobachtet werden, bis ich hinunterkomme.“ Als die beiden gegangen waren, ſchickte Lund auch den Protokollführer fort. Dann wandte er ſich an Frank: „Ich muß Ihnen ein peinliches Geſtänd- nis machen, lieber Morris. Ich fürchte, daß mir eine wertvolle Handhabe entgangen iſt. Hätte ich nur früher um das Geheimnis die- ſes Dominos gewußt! Denken Sie, was mir auf dem Maskenfeſt paſſierte. Ich hatte mich im großen Saale in eine Fenſterniſche zurückgezogen und betrachtete von dort aus das bunte Bild, als plötzlich eine Maske fahrig auf mich zueilt — ich weiß nicht: iſt Ihnen der Page aufgefallen, der mir zu- raunt: Alfred ich hab/ etwas angerichtet! — Ich bin einen Augenblick ſprachlos, da fügt ſie keuchend hinzu: Wenn er begriffen hat, ſind wir verloren! — Ich, natürlich im Glauben an ein galantes Abenteuer, er- widere höflich: Schönſte, ſo weh es mir tut, ich heiße nicht Alfred! — worauf ſie aus- ruft: Auch du nicht! — wild umherſtiert und davonſtürzt.“ „War der Page unzweifelhaft eine Dame?“ „Eine Dame? Wie meinen Sie? Sie bringen mich da auf einen Gedanken: ſehr damenhaft war ihr Benehmen nicht. Aber jedenfalls was es etwas Weibliches — un- zweifelhaft nach Bewegung und Stimme.“ „Ja, lieber Lund, dann hat — verzeihen Sie — der Kriminaliſt in Ihnen allerdings Urlaub gehabt. Wenn Sie mit einer Frau — welcher immer — Beziehungen haben, die geheim bleiben ſollen, und ſie will Ihnen ſagen, daß die Sache entdeckt wor- den iſt, denkt ſie allemal nur an ſich und ſagt daher: ich bin verloren! — aber nicht: wir ſind verloren. — Als gute Spürnaſe hätten Sie darauf kommen müſſen.“ „Der Teufel ſoll in ſolchen Augenblicken an den Dienſt denken!“ „Stimmt: der Teufel. Ein guter Krimi- nalmenſch muß was vom Satan in ſich ha- ben. Darum möchte ich den Beruf nicht dauernd ausüben, ſo belebend er vorüber- gehend wirken kann. — Uebrigens wird uns Ihr Verſehen hoffentlich nicht ſchaden, ich habe nämlich Rupert gebeten, mit Hilfe von Fräulein Terſchak eine möglichſt genaue Liſte der Teilnehmer des Maskenfeſtes ein- ſchließlich ihrer Koſtüme aufzuſtellen, bevor ſie den Ball verlaſſen. Denn ich ſelber möchte über einige Perſonen Aufſchluß ge- winnen.“ „Sie verſtehen doch an alles zu denken, Morris“, meinte Lund beinahe neidiſch. „Es iſt bei mir mehr eine inſtinktive Ahnung, daß auf dieſem Feſte etwas — nein: manches nicht in Ordnung ſein mag. Ich konnte mich, ſo lange ich dort war, eines unbehaglichen Gefühls nicht erwehren. Und weil ich durch Sie zu früh abgerufen wurde, um die Notizen ſelber zu tätigen, bat ich Steimmann.“ „Laſſen Sie mir das Verzeichnis bald zu- kommen“, verlangte Lund. „Ich habe Rupert gebeten, es hierher zu bringen, nachdem er Fräulein Terſchak heimbegleitet hat. In ſolchen Dingen ſind oft Minuten koſtbar.“ (Fortſekung folgt). Im Zeichen der Völkerverſöhnung [Abbildung Der ſaarländiſche Großinduſtrielle Dr. h. c. Her- mann Röchling (im Bilde) wurde im Jahre 1919 durch ein franzöſiſches Kriegsgericht „wegen Rau- bes und gewaltſamen Diebſtahls“ (Abtransport von Maſchinen aus den beſetzten Provinzen Frank- reichs im Auftrage der Heeresleitung) zu 10 Jah- ren Zuchtheus und 19 Millionen Frank Geld- ſtraſe verurteilt. Natürlich blieb das Urteil unvoll- ſtreckbar. Jetzt wurde dem Kommerzienrat Röch- ling eine Zahlungsaufforderung zugeſtellt und Zwangsvollſtreckung angedroht.]

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-01-02T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 10, 12. Januar 1929, S. Seite 13[13]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine10_1929/13>, abgerufen am 15.11.2024.