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Allgemeine Zeitung, Nr. 10, 10. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] zicht des Prinzen Leopold sich befriedigt erklärt, Preußen nicht an den Krieg ge-
dacht hätte. Dieß ergibt sich namentlich aus dem Buche Benedetti's, der die Sache
für beigelegt erachtete, bis er durch neue Informationen Gramonts über dessen
wahre Absichten unterrichtet wurde. Daß der Norddeutsche Bundeskanzler nach
der Entsagung des Prinzen wegen gewisser herausfordernder Aeußerungen der
französischen Minister zum Krieg entschlossen gewesen sei, ist einfach eine Un-
wahrheit.

Die "Presse" stellt den Sachverhalt etwas anders dar. Danach habe der
Herzog v. Gramont bei seiner ersten Vernehmung am 30 Dec. die Ereignisse erzählt
welche bis zum 14 Juli 1870 dem Kriege vorangegangen sind. Seine Auslassun-
gen waren darauf berechnet glauben zu machen daß die französische Regierung
vom Beginn an eine friedliche Lösung des spanischen Zwischenfalls herbeizuführen
gesucht habe. Sie sei von der Idee ausgegangen Preußen sich direct bei der Zurück-
nahme der Hohenzollern'schen Candidatur betheiligen zu sehen. Deßhalb habe man
zuerst verlangt daß der König dem Prinzen befehle auf seine Bewerbung zu ver-
zichten, während man später sich mit einem einfachen Rath des Königs an seinen
Reffen habe begnügen wollen. Auf die förmliche Weigerung des Königs habe
man Benedetti in Ems angewiesen vom König zu erlangen daß er persönlich Frank-
reich die Verzichtleistung seines Neffen anzeige. Die Regierung hoffte und wünschte
in dieser königlichen Mittheilung eine indirecte Spur jener Mitwirkung zu finden für
welche sie vergebens eine klare Kundgebung nachgesucht hatte. Inzwischen trat die
Verzichtleistung in einer Form und unter Umständen hervor welche die Hoffnungen
des französischen Cabinets zu nichte machten. Am Abend des 12 Juli hatte die
Regierung von Preußen noch nichts erlangt, und als sie die Forderung einer Bürg-
schaft für die Zukunft aufstellte, geschah dieß in Folge der eben gedachten Weige-
rungen, über deren Bedeutung sie sich keinem Zweifel hingeben konnte. Wie die
"Presse" behauptet, sei es dem Herzog v. Gramont schon in seiner ersten dreistün-
digen Auseinandersetzung angeblich gelungen den Nachweis zu führen daß der
Krieg lange von Berlin ausgegangen sei ehe er noch von Frankreich erklärt worden
wäre. Er habe auch die Anschuldigung, der Commission des gesetzgebenden Körpers
damals unzuverlässige und falsche Informationen unterbreitet zu haben, siegreich
zurückgewiesen. Der Herzog v. Gramont habe über die Leitung der militärischen
Vorgänge sich jeder Erklärung enthalten. Dafür sei er um so ausführlicher gewesen
in der Aufzählung der Umstände welche die Regierung in der Nacht vom 14 zum
15 Juli veranlaßt hätten die friedlichen Entschließungen, welche noch am 14 Abends
gefaßt worden waren, aufzugeben, und am folgenden Tage mit der Forderung die
Reserve einzuberufen vor die Kammer zu treten. -- Nach dem "Gaulois" sei der
Herzog in der zweiten Sitzung mit einem dicken Manuscript erschienen. In dieser
Sitzung habe es sich darum gehandelt die Commissionsmitglieder glauben zu machen
daß Frankreich nicht leichtsinnig sich in den Krieg gestürzt habe, sondern auf die
Allianz mehrerer Cabinete hätte rechnen dürfen. Auf die Frage nach der nähern
Bezeichnung dieser Cabinete blieb indeß Hr. v. Gramont die Antwort schuldig.
Er erklärte zwar daß die Beweismittel für diese Allianzen, resp. für ihre reelle Exi-
stenz, vorhanden seien, fügte aber hinzu: daß ihre Vorzeigung unnütz wäre, weil
ganz Europa wisse was es davon zu halten habe. Er protestirt übrigens gegen die
Theorie welche neuerdings in Frankreich Eingang gefunden, und nach welcher Bot-
schafter und Minister der auswärtigen Angelegenheiten, wenn sie ihren Posten ver-
ließen, allerhand Actenstücke und Documente mit sich fortnehmen könnten um sie
zu selbstischen Zwecken zu veröffentlichen. Der Herzog v. Gramont habe sogar aus-
gerufen: daß seine Reserve die Zukunft im Auge habe, und daß sie für die Zukunft
Frankreich Allianzen sichere.


Das Kriegsministerium macht bekannt daß ein französischer Officier der im
Mai aus der Gefangenschaft zurückkehrte, und dessen Namen nicht aufgefunden wer-
den konnte, in der Gegend der Station Mengede bei Köln auf der Eisenbahn eine
goldene Uhr fallen ließ, welche durch Zufall erst jetzt entdeckt wurde. Der betref-
fende Officier wird aufgefordert sich auf dem Kriegsministerium zu melden.


Der "National" bringt folgende Einzelheiten über den Verhaftungsbefehl
welcher gegen den bekannten Ex-General Cremer erlassen worden ist: "Während
des Kriegs hatte Gambetta in Tours einen Hrn. v. Serre im Kriegsministerium
angestellt. Dieser gab dem General Cremer Befehl einen ehrsamen Gewürzhänd-
ler von Dijon, Namens Arbinet, unter der Anklage des Hochverraths und der
Spionage, sowie des Einverständnisses mit den Preußen, zu verhaften. Der arme
Teufel wurde auch sofort durch General Cremer standrechtlich erschossen. Die Fa-
milie des Unglücklichen hat sich dabei nicht beruhigt und eine Untersuchung über
die Ursachen dieser Hinrichtung veranlaßt. Hr. v. Serre ist flüchtig und befindet
sich in der Schweiz, von der man wahrscheinlich seine Auslieferung verlangen wird,
und der General Cremer soll seinerseits den Gerichten die nöthigen Aufklärungen
über diesen Vorfall geben."


Das "Univers" veröffentlicht folgenden Brief des bekannten früheren Anti-
infallibilisten, Msgr. Maret, Bischofs von Sura, an den Erzbischof von Paris:

"Paris, 27 Dec. 1871.
Die schmerzvollen Ereignisse, deren Schauplatz Paris
in den vergangenen Jahren gewesen, haben den Professoren der theologischen Facultät
seit dem Concil nicht gestattet sich in einer Generalversammlung zu vereinigen. Diese
letztere hat am 27 Dec. stattgefunden behufs Aufstellung eines Programms und Orga-
nisirung der Curse. Es ist beschlossen worden daß der erste Act der Facultät von der
Wiederaufnahme ihrer Arbeiten darin bestehen solle: in den Acten ihrer Berathungen die
Zustimmung ihrer Mitglieder zu den Decreten des vaticanischen Concils, und namentlich zu
dem Lehrsatze Pastoraeternus bezüglich der doctrinalen Unfehlbarkeit des römischen Papstes
zu verzeichnen. Die Facultät hat Msgr. den Dekan ersucht von diesem Theil ihres Pro-
tokolls Msgr. dem Erzbischof von Paris Mittheilung zu machen. Der Dekan der theo-
logischen Facultät, +
Jos. L. C., Bischof von Sura."

Als Thiers am Jahresschluß das orleanistische Manö-
ver in der Bankfrage hintertrieb, war die Bank, angesichts der Erschöpfung ihrer
Notenreserve, bereits genöthigt gewesen für 30 Mill. Frcs. französische Goldstücke
in Deutschland und England nicht ohne beträchtliche Opfer aufzukaufen. Ein
neues, nicht minder bedrohliches Manöver wird für übermorgen angesagt. Dieß-
mal wird es von einem mit jeder ausschweifenden Reaction befreundeten Legitimi-
sten, Benoist d'Azy, und weiters von dem Orleanisten Lasteyrie geleitet. Die Mit-
glieder der Rechten und des rechten Centrums lassen es sich angelegen sein die Ent-
scheidung der wichtigsten Angelegenheiten zu verschleppen, um alle Interesse gegen
die bestehende Ordnung einzunehmen. Der Budgetausschuß ersindet täglich einen
neuen Vorwand um seine Arbeiten unfruchtbar zu verlängern. Dieselben Intri-
guen beherrschen die Ausschüsse für die Heeresorganisation, für das Transport-
wesen, für die Richterordnung, für die Preßjury, für die Wahlordnung. Obige
Coalition sieht in dem Unterrichtsgesetz vorzüglich eine Gelegenheit den Unterrichts-
minister zu stürzen und zu den politischen Parteileidenschaften den kirchlichen Fa-
[Spaltenumbruch] natismus zu fügen. Der Budgetausschuß hatte sich Monate lang die Zeit mit
Projecten der Besteuerung verschiedenartiger Einkommensquellen vertrieben, und
schließlich dem Finanzminister die Couponsteuer angeboten. Nachdem die Kam-
mer in Folge einer Rede des Hrn. Thiers die allgemeine Einkommensteuer verworfen
hatte, warf der Budgetausschuß alle seine Ersindungen diverser Einkommen-
steuern ebenfalls über Bord. Eine Verständigung mit dem Minister wurde dahin
angebahnt daß, mittelst Zusatzcentimen zu den bestehenden directen Abgaben,
es ermöglicht werde die inländischen und die ausländischen Actien und Obli-
gationen, ferner die Einfuhr von Rohstoffen mit großer Mäßigung und
Schonung zu taxiren. Das Uebereinkommen war schon durch die Nothwendigkeit
geboten das Votum der Finanzgesetze endlich zu beschleunigen, um den Staatsschatz,
den Staatscredit und die gesammte Nationalwirthschaft einer verderblichen und
überaus kostspieligen Ungewißheit zu entreißen. Im letzten Augenblick machte die
Mehrheit des Budgetausschusses eine überraschende Wendung. Sie verwirft die
Couponsteuer, sie tritt den Tarifansichten des Finanzministers entgegen, welcher
das Erträgniß seiner Tarifreform auf 170 Millionen Frcs. schätzt. Wenn dem
Finanzminister diese 170 Millionen und die 60 Millionen aus der Besteuerung des
in Werthpapieren angelegten Vermögens entgehen, und nachdem die allgemeine
Einkommensteuer verworfen worden, bleibt allerdings nichts mehr übrig als eine
höchst unpopuläre Erhöhung der directen Abgaben -- eine Ueberbelastung welche
die monarchisch - klerikale Coalition insbesondere auch auf alle Verbrauchs-
abgaben auszudehnen gedenkt. Der überlistete Finanzminister bietet seine Dimission
an, offenbar ein schweres Ereigniß, da ein neuer Budgetentwurf für das laufende
Jahr vorzulegen wäre. Thiers scheint entschlossen zu sein Hrn. Pouyer-Quertier
nicht fallen zu lassen, sondern ebenfalls und sehr ernsthaft seine Dimission anzubie-
ten. Darauf rechnet die Coalition; mit blinder Zuversicht rechnet sie auf den
Sturz des, wie sie sagt, provisorischen Präsidenten einer provisorischen Republik.
In der That dürfte sie niemals eine günstigere Gelegenheit finden. Die Einwen-
dungen gegen eine den Capitalienmarkt und Verkehr beschränkende Taxe sind nicht
minder stichhaltig, als die Opposition gegen die schutzöllnerischen Tendenzen der
HH. Thiers und Pouyer-Quertier berechtigt ist. Der Budgetausschuß verstößt
hierin kaum gegen die öffentliche Meinung, und er kommt den mächtigen Frei-
handelsinteressen entgegen. Freilich ist es notorisch und augenscheinlich daß
er hauptsächlich und wohl ausschließlich ein politisches, dynastisches Manöver
beabsichtigt, um durch eine Regierungskrisis zu einem parlamentarischen Staats-
streich, von Falloux und Dupanloup inspirirt, zu gelangen. Thiers hingegen be-
wahrt seine Ueberlegenheit, indem er die neuen royalistischen, bonapartistischen und
klerikalen Machinationen dem Lande denunciirt, und die Unmacht der Coalition
demonstrirt an die Stelle seiner Regierung anderes zu setzen als die Auflösung der
Regierung und der Nationalversammlung, die Anarchie, den finanziellen Ruin, den
Bürgerkrieg und die feindliche Invasion hinter neuen Katastrophen. Indem Thiers
an das Ehrgefühl der Nationalversammlung und an den Patriotismus außerhalb
derselben appellirt, wird er allerdings das Manöver vereiteln, jedoch seine Autori-
tät wie seine Kräfte abnützen, freilich bedeutend weniger als die Entwurzelung der
Nationalversammlung in der öffentlichen Meinung. Unmittelbar danach wird
dieselbe Krisis sich in der Frage der Rückkehr nach Paris wiederholen, sie kann in
der Unterrichtsfrage nicht ausbleiben. Berechnet man die fast allgemeine Unpopu-
larität der Nationalversammlung und hingegen die Einstimmigkeit womit, bloß
einige Departements ausgenommen, Thiers abermals als Präsident der Republik
aus allgemeinen Abgeordnetenwahlen hervorgehen würde, so muß man voraus-
sehen; der Präsident der Republik werde diese Nationalversammlung bald überleben.

Italien.

Ein römischer Correspondent der "Perseveranza" weiß zu
erzählen daß das Erscheinen des mit der Bestellung der königl. Neujahrswünsche be-
trauten Generals Pralormo im Vatican noch größern Eindruck gemacht habe als im
vergangenen Juni die Sendung des Generals Bertole-Viale, der im Namen des
Königs den Papst beglückwünschte zur 25jährigen Feier seines Pontificatsantrittes.
Damals habe es sich um eine ganz außerordentliche Veranlassung gehandelt, dieß-
mal aber um eine jedes Jahr wiederkehrende Gelegenheit. Pius IX habe das Be-
nehmen des Königs sehr rücksichtsvoll gefunden, und von Victor Emmanuel in
höchst wohlwollenden Ausdrücken gesprochen. "Er ist ein guter Junge" (e un
buon figliuolo
), solle er gesagt haben. Um so größer sei die Wuth gewesen in der
Umgebung des Papstes über die Heuchelei und den Machiavellismus der Italiener.
"Die haben's dick hinter den Ohren" (la sanno lunga), habe ein italienischer Prälat
ausgerufen; zumal aber Msgr. de Merode habe seinen Zorn nicht zu bezähmen ge-
wußt. Wie viel oder wie wenig an diesem Bericht wahr ist, weiß ich natürlich
nicht. Sehr möglich hat der wohlgesinnte Correspondent das alles erfunden. Es
gehört zur Komödie die alle Welt hier spielt, immerfort von den versöhnlichen Ge-
fühlen des guten Papstes zu reden, und alle Schuld dafür daß er nicht diesen Ge-
fühlen entsprechend handelt, der Bosheit seiner Rathgeber aufzubürden. Der
Text zu dem neuesten Act der Komödie findet sich in einem heutigen Leitartikel der
"Opinione," worin den unmanierlichen Rüpeln, welche an der Sendung des Gene-
rals Pralormo etwas auszusetzen haben, eine Lection über feine Lebensart ertheilt
wird. Der König, heißt es da, würde die einfachste Pflicht eines wohlerzogenen
Gentleman verletzt haben, wenn er dem Papste nicht am Neujahrstage seine
Glückwünsche dargebracht hätte; diese seien, so drückt sich der officiöse Euphemismus
aus, in der durch die gegenwärtigen Umstände allein gestatteten Form aufgenom-
men worden. "Sicher wäre es besser wenn Se. Majestät dem Papst ihre persön-
liche Aufwartung machen könnte, und zumal auch wenn bei dieser oder einer an-
dern Gelegenheit sich der Friede durch eine gutes Festmahl besiegeln ließe. In-
dessen besser etwas als nichts; es ist immerhin erfreulich wahrzunehmen daß die
Zwistigkeiten zwischen Quirinal und Vatican noch nicht jenen äußersten Grad er-
reicht haben der die Vornahme jener Handlungen unmöglich machte welche alle
wohlgesitteten Personen sich unter einander schuldig zu sein glauben. Uebrigens
ist's im Sinne der Politik die wir uns vorgesetzt haben als wir Rom betraten,"

und nun folgt die übliche Abhandlung über die freie Kirche im freien Staat, über
die dem Papst als Oberhaupt der Kirche gebührende Ehrfurcht, über die Nicht-
antastung der Religion. Uebrigens muß man nicht diese Haltung der italienischen

[Spaltenumbruch] zicht des Prinzen Leopold ſich befriedigt erklärt, Preußen nicht an den Krieg ge-
dacht hätte. Dieß ergibt ſich namentlich aus dem Buche Benedetti’s, der die Sache
für beigelegt erachtete, bis er durch neue Informationen Gramonts über deſſen
wahre Abſichten unterrichtet wurde. Daß der Norddeutſche Bundeskanzler nach
der Entſagung des Prinzen wegen gewiſſer herausfordernder Aeußerungen der
franzöſiſchen Miniſter zum Krieg entſchloſſen geweſen ſei, iſt einfach eine Un-
wahrheit.

Die „Preſſe“ ſtellt den Sachverhalt etwas anders dar. Danach habe der
Herzog v. Gramont bei ſeiner erſten Vernehmung am 30 Dec. die Ereigniſſe erzählt
welche bis zum 14 Juli 1870 dem Kriege vorangegangen ſind. Seine Auslaſſun-
gen waren darauf berechnet glauben zu machen daß die franzöſiſche Regierung
vom Beginn an eine friedliche Löſung des ſpaniſchen Zwiſchenfalls herbeizuführen
geſucht habe. Sie ſei von der Idee ausgegangen Preußen ſich direct bei der Zurück-
nahme der Hohenzollern’ſchen Candidatur betheiligen zu ſehen. Deßhalb habe man
zuerſt verlangt daß der König dem Prinzen befehle auf ſeine Bewerbung zu ver-
zichten, während man ſpäter ſich mit einem einfachen Rath des Königs an ſeinen
Reffen habe begnügen wollen. Auf die förmliche Weigerung des Königs habe
man Benedetti in Ems angewieſen vom König zu erlangen daß er perſönlich Frank-
reich die Verzichtleiſtung ſeines Neffen anzeige. Die Regierung hoffte und wünſchte
in dieſer königlichen Mittheilung eine indirecte Spur jener Mitwirkung zu finden für
welche ſie vergebens eine klare Kundgebung nachgeſucht hatte. Inzwiſchen trat die
Verzichtleiſtung in einer Form und unter Umſtänden hervor welche die Hoffnungen
des franzöſiſchen Cabinets zu nichte machten. Am Abend des 12 Juli hatte die
Regierung von Preußen noch nichts erlangt, und als ſie die Forderung einer Bürg-
ſchaft für die Zukunft aufſtellte, geſchah dieß in Folge der eben gedachten Weige-
rungen, über deren Bedeutung ſie ſich keinem Zweifel hingeben konnte. Wie die
„Preſſe“ behauptet, ſei es dem Herzog v. Gramont ſchon in ſeiner erſten dreiſtün-
digen Auseinanderſetzung angeblich gelungen den Nachweis zu führen daß der
Krieg lange von Berlin ausgegangen ſei ehe er noch von Frankreich erklärt worden
wäre. Er habe auch die Anſchuldigung, der Commiſſion des geſetzgebenden Körpers
damals unzuverläſſige und falſche Informationen unterbreitet zu haben, ſiegreich
zurückgewieſen. Der Herzog v. Gramont habe über die Leitung der militäriſchen
Vorgänge ſich jeder Erklärung enthalten. Dafür ſei er um ſo ausführlicher geweſen
in der Aufzählung der Umſtände welche die Regierung in der Nacht vom 14 zum
15 Juli veranlaßt hätten die friedlichen Entſchließungen, welche noch am 14 Abends
gefaßt worden waren, aufzugeben, und am folgenden Tage mit der Forderung die
Reſerve einzuberufen vor die Kammer zu treten. — Nach dem „Gaulois“ ſei der
Herzog in der zweiten Sitzung mit einem dicken Manuſcript erſchienen. In dieſer
Sitzung habe es ſich darum gehandelt die Commiſſionsmitglieder glauben zu machen
daß Frankreich nicht leichtſinnig ſich in den Krieg geſtürzt habe, ſondern auf die
Allianz mehrerer Cabinete hätte rechnen dürfen. Auf die Frage nach der nähern
Bezeichnung dieſer Cabinete blieb indeß Hr. v. Gramont die Antwort ſchuldig.
Er erklärte zwar daß die Beweismittel für dieſe Allianzen, reſp. für ihre reelle Exi-
ſtenz, vorhanden ſeien, fügte aber hinzu: daß ihre Vorzeigung unnütz wäre, weil
ganz Europa wiſſe was es davon zu halten habe. Er proteſtirt übrigens gegen die
Theorie welche neuerdings in Frankreich Eingang gefunden, und nach welcher Bot-
ſchafter und Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten, wenn ſie ihren Poſten ver-
ließen, allerhand Actenſtücke und Documente mit ſich fortnehmen könnten um ſie
zu ſelbſtiſchen Zwecken zu veröffentlichen. Der Herzog v. Gramont habe ſogar aus-
gerufen: daß ſeine Reſerve die Zukunft im Auge habe, und daß ſie für die Zukunft
Frankreich Allianzen ſichere.


Das Kriegsminiſterium macht bekannt daß ein franzöſiſcher Officier der im
Mai aus der Gefangenſchaft zurückkehrte, und deſſen Namen nicht aufgefunden wer-
den konnte, in der Gegend der Station Mengede bei Köln auf der Eiſenbahn eine
goldene Uhr fallen ließ, welche durch Zufall erſt jetzt entdeckt wurde. Der betref-
fende Officier wird aufgefordert ſich auf dem Kriegsminiſterium zu melden.


Der „National“ bringt folgende Einzelheiten über den Verhaftungsbefehl
welcher gegen den bekannten Ex-General Cremer erlaſſen worden iſt: „Während
des Kriegs hatte Gambetta in Tours einen Hrn. v. Serre im Kriegsminiſterium
angeſtellt. Dieſer gab dem General Cremer Befehl einen ehrſamen Gewürzhänd-
ler von Dijon, Namens Arbinet, unter der Anklage des Hochverraths und der
Spionage, ſowie des Einverſtändniſſes mit den Preußen, zu verhaften. Der arme
Teufel wurde auch ſofort durch General Cremer ſtandrechtlich erſchoſſen. Die Fa-
milie des Unglücklichen hat ſich dabei nicht beruhigt und eine Unterſuchung über
die Urſachen dieſer Hinrichtung veranlaßt. Hr. v. Serre iſt flüchtig und befindet
ſich in der Schweiz, von der man wahrſcheinlich ſeine Auslieferung verlangen wird,
und der General Cremer ſoll ſeinerſeits den Gerichten die nöthigen Aufklärungen
über dieſen Vorfall geben.“


Das „Univers“ veröffentlicht folgenden Brief des bekannten früheren Anti-
infallibiliſten, Mſgr. Maret, Biſchofs von Sura, an den Erzbiſchof von Paris:

Paris, 27 Dec. 1871.
Die ſchmerzvollen Ereigniſſe, deren Schauplatz Paris
in den vergangenen Jahren geweſen, haben den Profeſſoren der theologiſchen Facultät
ſeit dem Concil nicht geſtattet ſich in einer Generalverſammlung zu vereinigen. Dieſe
letztere hat am 27 Dec. ſtattgefunden behufs Aufſtellung eines Programms und Orga-
niſirung der Curſe. Es iſt beſchloſſen worden daß der erſte Act der Facultät von der
Wiederaufnahme ihrer Arbeiten darin beſtehen ſolle: in den Acten ihrer Berathungen die
Zuſtimmung ihrer Mitglieder zu den Decreten des vaticaniſchen Concils, und namentlich zu
dem Lehrſatze Pastoraeternus bezüglich der doctrinalen Unfehlbarkeit des römiſchen Papſtes
zu verzeichnen. Die Facultät hat Mſgr. den Dekan erſucht von dieſem Theil ihres Pro-
tokolls Mſgr. dem Erzbiſchof von Paris Mittheilung zu machen. Der Dekan der theo-
logiſchen Facultät, †
Joſ. L. C., Biſchof von Sura.“

Als Thiers am Jahresſchluß das orleaniſtiſche Manö-
ver in der Bankfrage hintertrieb, war die Bank, angeſichts der Erſchöpfung ihrer
Notenreſerve, bereits genöthigt geweſen für 30 Mill. Frcs. franzöſiſche Goldſtücke
in Deutſchland und England nicht ohne beträchtliche Opfer aufzukaufen. Ein
neues, nicht minder bedrohliches Manöver wird für übermorgen angeſagt. Dieß-
mal wird es von einem mit jeder ausſchweifenden Reaction befreundeten Legitimi-
ſten, Benoiſt d’Azy, und weiters von dem Orleaniſten Laſteyrie geleitet. Die Mit-
glieder der Rechten und des rechten Centrums laſſen es ſich angelegen ſein die Ent-
ſcheidung der wichtigſten Angelegenheiten zu verſchleppen, um alle Intereſſe gegen
die beſtehende Ordnung einzunehmen. Der Budgetausſchuß erſindet täglich einen
neuen Vorwand um ſeine Arbeiten unfruchtbar zu verlängern. Dieſelben Intri-
guen beherrſchen die Ausſchüſſe für die Heeresorganiſation, für das Transport-
weſen, für die Richterordnung, für die Preßjury, für die Wahlordnung. Obige
Coalition ſieht in dem Unterrichtsgeſetz vorzüglich eine Gelegenheit den Unterrichts-
miniſter zu ſtürzen und zu den politiſchen Parteileidenſchaften den kirchlichen Fa-
[Spaltenumbruch] natismus zu fügen. Der Budgetausſchuß hatte ſich Monate lang die Zeit mit
Projecten der Beſteuerung verſchiedenartiger Einkommensquellen vertrieben, und
ſchließlich dem Finanzminiſter die Couponſteuer angeboten. Nachdem die Kam-
mer in Folge einer Rede des Hrn. Thiers die allgemeine Einkommenſteuer verworfen
hatte, warf der Budgetausſchuß alle ſeine Erſindungen diverſer Einkommen-
ſteuern ebenfalls über Bord. Eine Verſtändigung mit dem Miniſter wurde dahin
angebahnt daß, mittelſt Zuſatzcentimen zu den beſtehenden directen Abgaben,
es ermöglicht werde die inländiſchen und die ausländiſchen Actien und Obli-
gationen, ferner die Einfuhr von Rohſtoffen mit großer Mäßigung und
Schonung zu taxiren. Das Uebereinkommen war ſchon durch die Nothwendigkeit
geboten das Votum der Finanzgeſetze endlich zu beſchleunigen, um den Staatsſchatz,
den Staatscredit und die geſammte Nationalwirthſchaft einer verderblichen und
überaus koſtſpieligen Ungewißheit zu entreißen. Im letzten Augenblick machte die
Mehrheit des Budgetausſchuſſes eine überraſchende Wendung. Sie verwirft die
Couponſteuer, ſie tritt den Tarifanſichten des Finanzminiſters entgegen, welcher
das Erträgniß ſeiner Tarifreform auf 170 Millionen Frcs. ſchätzt. Wenn dem
Finanzminiſter dieſe 170 Millionen und die 60 Millionen aus der Beſteuerung des
in Werthpapieren angelegten Vermögens entgehen, und nachdem die allgemeine
Einkommenſteuer verworfen worden, bleibt allerdings nichts mehr übrig als eine
höchſt unpopuläre Erhöhung der directen Abgaben — eine Ueberbelaſtung welche
die monarchiſch - klerikale Coalition insbeſondere auch auf alle Verbrauchs-
abgaben auszudehnen gedenkt. Der überliſtete Finanzminiſter bietet ſeine Dimiſſion
an, offenbar ein ſchweres Ereigniß, da ein neuer Budgetentwurf für das laufende
Jahr vorzulegen wäre. Thiers ſcheint entſchloſſen zu ſein Hrn. Pouyer-Quertier
nicht fallen zu laſſen, ſondern ebenfalls und ſehr ernſthaft ſeine Dimiſſion anzubie-
ten. Darauf rechnet die Coalition; mit blinder Zuverſicht rechnet ſie auf den
Sturz des, wie ſie ſagt, proviſoriſchen Präſidenten einer proviſoriſchen Republik.
In der That dürfte ſie niemals eine günſtigere Gelegenheit finden. Die Einwen-
dungen gegen eine den Capitalienmarkt und Verkehr beſchränkende Taxe ſind nicht
minder ſtichhaltig, als die Oppoſition gegen die ſchutzöllneriſchen Tendenzen der
HH. Thiers und Pouyer-Quertier berechtigt iſt. Der Budgetausſchuß verſtößt
hierin kaum gegen die öffentliche Meinung, und er kommt den mächtigen Frei-
handelsintereſſen entgegen. Freilich iſt es notoriſch und augenſcheinlich daß
er hauptſächlich und wohl ausſchließlich ein politiſches, dynaſtiſches Manöver
beabſichtigt, um durch eine Regierungskriſis zu einem parlamentariſchen Staats-
ſtreich, von Falloux und Dupanloup inſpirirt, zu gelangen. Thiers hingegen be-
wahrt ſeine Ueberlegenheit, indem er die neuen royaliſtiſchen, bonapartiſtiſchen und
klerikalen Machinationen dem Lande denunciirt, und die Unmacht der Coalition
demonſtrirt an die Stelle ſeiner Regierung anderes zu ſetzen als die Auflöſung der
Regierung und der Nationalverſammlung, die Anarchie, den finanziellen Ruin, den
Bürgerkrieg und die feindliche Invaſion hinter neuen Kataſtrophen. Indem Thiers
an das Ehrgefühl der Nationalverſammlung und an den Patriotismus außerhalb
derſelben appellirt, wird er allerdings das Manöver vereiteln, jedoch ſeine Autori-
tät wie ſeine Kräfte abnützen, freilich bedeutend weniger als die Entwurzelung der
Nationalverſammlung in der öffentlichen Meinung. Unmittelbar danach wird
dieſelbe Kriſis ſich in der Frage der Rückkehr nach Paris wiederholen, ſie kann in
der Unterrichtsfrage nicht ausbleiben. Berechnet man die faſt allgemeine Unpopu-
larität der Nationalverſammlung und hingegen die Einſtimmigkeit womit, bloß
einige Departements ausgenommen, Thiers abermals als Präſident der Republik
aus allgemeinen Abgeordnetenwahlen hervorgehen würde, ſo muß man voraus-
ſehen; der Präſident der Republik werde dieſe Nationalverſammlung bald überleben.

Italien.

Ein römiſcher Correſpondent der „Perſeveranza“ weiß zu
erzählen daß das Erſcheinen des mit der Beſtellung der königl. Neujahrswünſche be-
trauten Generals Pralormo im Vatican noch größern Eindruck gemacht habe als im
vergangenen Juni die Sendung des Generals Bertole-Viale, der im Namen des
Königs den Papſt beglückwünſchte zur 25jährigen Feier ſeines Pontificatsantrittes.
Damals habe es ſich um eine ganz außerordentliche Veranlaſſung gehandelt, dieß-
mal aber um eine jedes Jahr wiederkehrende Gelegenheit. Pius IX habe das Be-
nehmen des Königs ſehr rückſichtsvoll gefunden, und von Victor Emmanuel in
höchſt wohlwollenden Ausdrücken geſprochen. „Er iſt ein guter Junge“ (è un
buon figliuolo
), ſolle er geſagt haben. Um ſo größer ſei die Wuth geweſen in der
Umgebung des Papſtes über die Heuchelei und den Machiavellismus der Italiener.
„Die haben’s dick hinter den Ohren“ (la sanno lunga), habe ein italieniſcher Prälat
ausgerufen; zumal aber Mſgr. de Merode habe ſeinen Zorn nicht zu bezähmen ge-
wußt. Wie viel oder wie wenig an dieſem Bericht wahr iſt, weiß ich natürlich
nicht. Sehr möglich hat der wohlgeſinnte Correſpondent das alles erfunden. Es
gehört zur Komödie die alle Welt hier ſpielt, immerfort von den verſöhnlichen Ge-
fühlen des guten Papſtes zu reden, und alle Schuld dafür daß er nicht dieſen Ge-
fühlen entſprechend handelt, der Bosheit ſeiner Rathgeber aufzubürden. Der
Text zu dem neueſten Act der Komödie findet ſich in einem heutigen Leitartikel der
„Opinione,“ worin den unmanierlichen Rüpeln, welche an der Sendung des Gene-
rals Pralormo etwas auszuſetzen haben, eine Lection über feine Lebensart ertheilt
wird. Der König, heißt es da, würde die einfachſte Pflicht eines wohlerzogenen
Gentleman verletzt haben, wenn er dem Papſte nicht am Neujahrstage ſeine
Glückwünſche dargebracht hätte; dieſe ſeien, ſo drückt ſich der officiöſe Euphemismus
aus, in der durch die gegenwärtigen Umſtände allein geſtatteten Form aufgenom-
men worden. „Sicher wäre es beſſer wenn Se. Majeſtät dem Papſt ihre perſön-
liche Aufwartung machen könnte, und zumal auch wenn bei dieſer oder einer an-
dern Gelegenheit ſich der Friede durch eine gutes Feſtmahl beſiegeln ließe. In-
deſſen beſſer etwas als nichts; es iſt immerhin erfreulich wahrzunehmen daß die
Zwiſtigkeiten zwiſchen Quirinal und Vatican noch nicht jenen äußerſten Grad er-
reicht haben der die Vornahme jener Handlungen unmöglich machte welche alle
wohlgeſitteten Perſonen ſich unter einander ſchuldig zu ſein glauben. Uebrigens
iſt’s im Sinne der Politik die wir uns vorgeſetzt haben als wir Rom betraten,“

und nun folgt die übliche Abhandlung über die freie Kirche im freien Staat, über
die dem Papſt als Oberhaupt der Kirche gebührende Ehrfurcht, über die Nicht-
antaſtung der Religion. Uebrigens muß man nicht dieſe Haltung der italieniſchen

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Coupon&#x017F;teuer, &#x017F;ie tritt den Tarifan&#x017F;ichten des Finanzmini&#x017F;ters entgegen, welcher<lb/>
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HH. Thiers und Pouyer-Quertier berechtigt i&#x017F;t. Der Budgetaus&#x017F;chuß ver&#x017F;tößt<lb/>
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[135/0007] zicht des Prinzen Leopold ſich befriedigt erklärt, Preußen nicht an den Krieg ge- dacht hätte. Dieß ergibt ſich namentlich aus dem Buche Benedetti’s, der die Sache für beigelegt erachtete, bis er durch neue Informationen Gramonts über deſſen wahre Abſichten unterrichtet wurde. Daß der Norddeutſche Bundeskanzler nach der Entſagung des Prinzen wegen gewiſſer herausfordernder Aeußerungen der franzöſiſchen Miniſter zum Krieg entſchloſſen geweſen ſei, iſt einfach eine Un- wahrheit. Die „Preſſe“ ſtellt den Sachverhalt etwas anders dar. Danach habe der Herzog v. Gramont bei ſeiner erſten Vernehmung am 30 Dec. die Ereigniſſe erzählt welche bis zum 14 Juli 1870 dem Kriege vorangegangen ſind. Seine Auslaſſun- gen waren darauf berechnet glauben zu machen daß die franzöſiſche Regierung vom Beginn an eine friedliche Löſung des ſpaniſchen Zwiſchenfalls herbeizuführen geſucht habe. Sie ſei von der Idee ausgegangen Preußen ſich direct bei der Zurück- nahme der Hohenzollern’ſchen Candidatur betheiligen zu ſehen. Deßhalb habe man zuerſt verlangt daß der König dem Prinzen befehle auf ſeine Bewerbung zu ver- zichten, während man ſpäter ſich mit einem einfachen Rath des Königs an ſeinen Reffen habe begnügen wollen. Auf die förmliche Weigerung des Königs habe man Benedetti in Ems angewieſen vom König zu erlangen daß er perſönlich Frank- reich die Verzichtleiſtung ſeines Neffen anzeige. Die Regierung hoffte und wünſchte in dieſer königlichen Mittheilung eine indirecte Spur jener Mitwirkung zu finden für welche ſie vergebens eine klare Kundgebung nachgeſucht hatte. Inzwiſchen trat die Verzichtleiſtung in einer Form und unter Umſtänden hervor welche die Hoffnungen des franzöſiſchen Cabinets zu nichte machten. Am Abend des 12 Juli hatte die Regierung von Preußen noch nichts erlangt, und als ſie die Forderung einer Bürg- ſchaft für die Zukunft aufſtellte, geſchah dieß in Folge der eben gedachten Weige- rungen, über deren Bedeutung ſie ſich keinem Zweifel hingeben konnte. Wie die „Preſſe“ behauptet, ſei es dem Herzog v. Gramont ſchon in ſeiner erſten dreiſtün- digen Auseinanderſetzung angeblich gelungen den Nachweis zu führen daß der Krieg lange von Berlin ausgegangen ſei ehe er noch von Frankreich erklärt worden wäre. Er habe auch die Anſchuldigung, der Commiſſion des geſetzgebenden Körpers damals unzuverläſſige und falſche Informationen unterbreitet zu haben, ſiegreich zurückgewieſen. Der Herzog v. Gramont habe über die Leitung der militäriſchen Vorgänge ſich jeder Erklärung enthalten. Dafür ſei er um ſo ausführlicher geweſen in der Aufzählung der Umſtände welche die Regierung in der Nacht vom 14 zum 15 Juli veranlaßt hätten die friedlichen Entſchließungen, welche noch am 14 Abends gefaßt worden waren, aufzugeben, und am folgenden Tage mit der Forderung die Reſerve einzuberufen vor die Kammer zu treten. — Nach dem „Gaulois“ ſei der Herzog in der zweiten Sitzung mit einem dicken Manuſcript erſchienen. In dieſer Sitzung habe es ſich darum gehandelt die Commiſſionsmitglieder glauben zu machen daß Frankreich nicht leichtſinnig ſich in den Krieg geſtürzt habe, ſondern auf die Allianz mehrerer Cabinete hätte rechnen dürfen. Auf die Frage nach der nähern Bezeichnung dieſer Cabinete blieb indeß Hr. v. Gramont die Antwort ſchuldig. Er erklärte zwar daß die Beweismittel für dieſe Allianzen, reſp. für ihre reelle Exi- ſtenz, vorhanden ſeien, fügte aber hinzu: daß ihre Vorzeigung unnütz wäre, weil ganz Europa wiſſe was es davon zu halten habe. Er proteſtirt übrigens gegen die Theorie welche neuerdings in Frankreich Eingang gefunden, und nach welcher Bot- ſchafter und Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten, wenn ſie ihren Poſten ver- ließen, allerhand Actenſtücke und Documente mit ſich fortnehmen könnten um ſie zu ſelbſtiſchen Zwecken zu veröffentlichen. Der Herzog v. Gramont habe ſogar aus- gerufen: daß ſeine Reſerve die Zukunft im Auge habe, und daß ſie für die Zukunft Frankreich Allianzen ſichere. Das Kriegsminiſterium macht bekannt daß ein franzöſiſcher Officier der im Mai aus der Gefangenſchaft zurückkehrte, und deſſen Namen nicht aufgefunden wer- den konnte, in der Gegend der Station Mengede bei Köln auf der Eiſenbahn eine goldene Uhr fallen ließ, welche durch Zufall erſt jetzt entdeckt wurde. Der betref- fende Officier wird aufgefordert ſich auf dem Kriegsminiſterium zu melden. Der „National“ bringt folgende Einzelheiten über den Verhaftungsbefehl welcher gegen den bekannten Ex-General Cremer erlaſſen worden iſt: „Während des Kriegs hatte Gambetta in Tours einen Hrn. v. Serre im Kriegsminiſterium angeſtellt. Dieſer gab dem General Cremer Befehl einen ehrſamen Gewürzhänd- ler von Dijon, Namens Arbinet, unter der Anklage des Hochverraths und der Spionage, ſowie des Einverſtändniſſes mit den Preußen, zu verhaften. Der arme Teufel wurde auch ſofort durch General Cremer ſtandrechtlich erſchoſſen. Die Fa- milie des Unglücklichen hat ſich dabei nicht beruhigt und eine Unterſuchung über die Urſachen dieſer Hinrichtung veranlaßt. Hr. v. Serre iſt flüchtig und befindet ſich in der Schweiz, von der man wahrſcheinlich ſeine Auslieferung verlangen wird, und der General Cremer ſoll ſeinerſeits den Gerichten die nöthigen Aufklärungen über dieſen Vorfall geben.“ Das „Univers“ veröffentlicht folgenden Brief des bekannten früheren Anti- infallibiliſten, Mſgr. Maret, Biſchofs von Sura, an den Erzbiſchof von Paris: „Paris, 27 Dec. 1871. Die ſchmerzvollen Ereigniſſe, deren Schauplatz Paris in den vergangenen Jahren geweſen, haben den Profeſſoren der theologiſchen Facultät ſeit dem Concil nicht geſtattet ſich in einer Generalverſammlung zu vereinigen. Dieſe letztere hat am 27 Dec. ſtattgefunden behufs Aufſtellung eines Programms und Orga- niſirung der Curſe. Es iſt beſchloſſen worden daß der erſte Act der Facultät von der Wiederaufnahme ihrer Arbeiten darin beſtehen ſolle: in den Acten ihrer Berathungen die Zuſtimmung ihrer Mitglieder zu den Decreten des vaticaniſchen Concils, und namentlich zu dem Lehrſatze Pastoraeternus bezüglich der doctrinalen Unfehlbarkeit des römiſchen Papſtes zu verzeichnen. Die Facultät hat Mſgr. den Dekan erſucht von dieſem Theil ihres Pro- tokolls Mſgr. dem Erzbiſchof von Paris Mittheilung zu machen. Der Dekan der theo- logiſchen Facultät, † Joſ. L. C., Biſchof von Sura.“ • Paris, 7 Jan. Als Thiers am Jahresſchluß das orleaniſtiſche Manö- ver in der Bankfrage hintertrieb, war die Bank, angeſichts der Erſchöpfung ihrer Notenreſerve, bereits genöthigt geweſen für 30 Mill. Frcs. franzöſiſche Goldſtücke in Deutſchland und England nicht ohne beträchtliche Opfer aufzukaufen. Ein neues, nicht minder bedrohliches Manöver wird für übermorgen angeſagt. Dieß- mal wird es von einem mit jeder ausſchweifenden Reaction befreundeten Legitimi- ſten, Benoiſt d’Azy, und weiters von dem Orleaniſten Laſteyrie geleitet. Die Mit- glieder der Rechten und des rechten Centrums laſſen es ſich angelegen ſein die Ent- ſcheidung der wichtigſten Angelegenheiten zu verſchleppen, um alle Intereſſe gegen die beſtehende Ordnung einzunehmen. Der Budgetausſchuß erſindet täglich einen neuen Vorwand um ſeine Arbeiten unfruchtbar zu verlängern. Dieſelben Intri- guen beherrſchen die Ausſchüſſe für die Heeresorganiſation, für das Transport- weſen, für die Richterordnung, für die Preßjury, für die Wahlordnung. Obige Coalition ſieht in dem Unterrichtsgeſetz vorzüglich eine Gelegenheit den Unterrichts- miniſter zu ſtürzen und zu den politiſchen Parteileidenſchaften den kirchlichen Fa- natismus zu fügen. Der Budgetausſchuß hatte ſich Monate lang die Zeit mit Projecten der Beſteuerung verſchiedenartiger Einkommensquellen vertrieben, und ſchließlich dem Finanzminiſter die Couponſteuer angeboten. Nachdem die Kam- mer in Folge einer Rede des Hrn. Thiers die allgemeine Einkommenſteuer verworfen hatte, warf der Budgetausſchuß alle ſeine Erſindungen diverſer Einkommen- ſteuern ebenfalls über Bord. Eine Verſtändigung mit dem Miniſter wurde dahin angebahnt daß, mittelſt Zuſatzcentimen zu den beſtehenden directen Abgaben, es ermöglicht werde die inländiſchen und die ausländiſchen Actien und Obli- gationen, ferner die Einfuhr von Rohſtoffen mit großer Mäßigung und Schonung zu taxiren. Das Uebereinkommen war ſchon durch die Nothwendigkeit geboten das Votum der Finanzgeſetze endlich zu beſchleunigen, um den Staatsſchatz, den Staatscredit und die geſammte Nationalwirthſchaft einer verderblichen und überaus koſtſpieligen Ungewißheit zu entreißen. Im letzten Augenblick machte die Mehrheit des Budgetausſchuſſes eine überraſchende Wendung. Sie verwirft die Couponſteuer, ſie tritt den Tarifanſichten des Finanzminiſters entgegen, welcher das Erträgniß ſeiner Tarifreform auf 170 Millionen Frcs. ſchätzt. Wenn dem Finanzminiſter dieſe 170 Millionen und die 60 Millionen aus der Beſteuerung des in Werthpapieren angelegten Vermögens entgehen, und nachdem die allgemeine Einkommenſteuer verworfen worden, bleibt allerdings nichts mehr übrig als eine höchſt unpopuläre Erhöhung der directen Abgaben — eine Ueberbelaſtung welche die monarchiſch - klerikale Coalition insbeſondere auch auf alle Verbrauchs- abgaben auszudehnen gedenkt. Der überliſtete Finanzminiſter bietet ſeine Dimiſſion an, offenbar ein ſchweres Ereigniß, da ein neuer Budgetentwurf für das laufende Jahr vorzulegen wäre. Thiers ſcheint entſchloſſen zu ſein Hrn. Pouyer-Quertier nicht fallen zu laſſen, ſondern ebenfalls und ſehr ernſthaft ſeine Dimiſſion anzubie- ten. Darauf rechnet die Coalition; mit blinder Zuverſicht rechnet ſie auf den Sturz des, wie ſie ſagt, proviſoriſchen Präſidenten einer proviſoriſchen Republik. In der That dürfte ſie niemals eine günſtigere Gelegenheit finden. Die Einwen- dungen gegen eine den Capitalienmarkt und Verkehr beſchränkende Taxe ſind nicht minder ſtichhaltig, als die Oppoſition gegen die ſchutzöllneriſchen Tendenzen der HH. Thiers und Pouyer-Quertier berechtigt iſt. Der Budgetausſchuß verſtößt hierin kaum gegen die öffentliche Meinung, und er kommt den mächtigen Frei- handelsintereſſen entgegen. Freilich iſt es notoriſch und augenſcheinlich daß er hauptſächlich und wohl ausſchließlich ein politiſches, dynaſtiſches Manöver beabſichtigt, um durch eine Regierungskriſis zu einem parlamentariſchen Staats- ſtreich, von Falloux und Dupanloup inſpirirt, zu gelangen. Thiers hingegen be- wahrt ſeine Ueberlegenheit, indem er die neuen royaliſtiſchen, bonapartiſtiſchen und klerikalen Machinationen dem Lande denunciirt, und die Unmacht der Coalition demonſtrirt an die Stelle ſeiner Regierung anderes zu ſetzen als die Auflöſung der Regierung und der Nationalverſammlung, die Anarchie, den finanziellen Ruin, den Bürgerkrieg und die feindliche Invaſion hinter neuen Kataſtrophen. Indem Thiers an das Ehrgefühl der Nationalverſammlung und an den Patriotismus außerhalb derſelben appellirt, wird er allerdings das Manöver vereiteln, jedoch ſeine Autori- tät wie ſeine Kräfte abnützen, freilich bedeutend weniger als die Entwurzelung der Nationalverſammlung in der öffentlichen Meinung. Unmittelbar danach wird dieſelbe Kriſis ſich in der Frage der Rückkehr nach Paris wiederholen, ſie kann in der Unterrichtsfrage nicht ausbleiben. Berechnet man die faſt allgemeine Unpopu- larität der Nationalverſammlung und hingegen die Einſtimmigkeit womit, bloß einige Departements ausgenommen, Thiers abermals als Präſident der Republik aus allgemeinen Abgeordnetenwahlen hervorgehen würde, ſo muß man voraus- ſehen; der Präſident der Republik werde dieſe Nationalverſammlung bald überleben. Italien.  Rom, 5 Jan. Ein römiſcher Correſpondent der „Perſeveranza“ weiß zu erzählen daß das Erſcheinen des mit der Beſtellung der königl. Neujahrswünſche be- trauten Generals Pralormo im Vatican noch größern Eindruck gemacht habe als im vergangenen Juni die Sendung des Generals Bertole-Viale, der im Namen des Königs den Papſt beglückwünſchte zur 25jährigen Feier ſeines Pontificatsantrittes. Damals habe es ſich um eine ganz außerordentliche Veranlaſſung gehandelt, dieß- mal aber um eine jedes Jahr wiederkehrende Gelegenheit. Pius IX habe das Be- nehmen des Königs ſehr rückſichtsvoll gefunden, und von Victor Emmanuel in höchſt wohlwollenden Ausdrücken geſprochen. „Er iſt ein guter Junge“ (è un buon figliuolo), ſolle er geſagt haben. Um ſo größer ſei die Wuth geweſen in der Umgebung des Papſtes über die Heuchelei und den Machiavellismus der Italiener. „Die haben’s dick hinter den Ohren“ (la sanno lunga), habe ein italieniſcher Prälat ausgerufen; zumal aber Mſgr. de Merode habe ſeinen Zorn nicht zu bezähmen ge- wußt. Wie viel oder wie wenig an dieſem Bericht wahr iſt, weiß ich natürlich nicht. Sehr möglich hat der wohlgeſinnte Correſpondent das alles erfunden. Es gehört zur Komödie die alle Welt hier ſpielt, immerfort von den verſöhnlichen Ge- fühlen des guten Papſtes zu reden, und alle Schuld dafür daß er nicht dieſen Ge- fühlen entſprechend handelt, der Bosheit ſeiner Rathgeber aufzubürden. Der Text zu dem neueſten Act der Komödie findet ſich in einem heutigen Leitartikel der „Opinione,“ worin den unmanierlichen Rüpeln, welche an der Sendung des Gene- rals Pralormo etwas auszuſetzen haben, eine Lection über feine Lebensart ertheilt wird. Der König, heißt es da, würde die einfachſte Pflicht eines wohlerzogenen Gentleman verletzt haben, wenn er dem Papſte nicht am Neujahrstage ſeine Glückwünſche dargebracht hätte; dieſe ſeien, ſo drückt ſich der officiöſe Euphemismus aus, in der durch die gegenwärtigen Umſtände allein geſtatteten Form aufgenom- men worden. „Sicher wäre es beſſer wenn Se. Majeſtät dem Papſt ihre perſön- liche Aufwartung machen könnte, und zumal auch wenn bei dieſer oder einer an- dern Gelegenheit ſich der Friede durch eine gutes Feſtmahl beſiegeln ließe. In- deſſen beſſer etwas als nichts; es iſt immerhin erfreulich wahrzunehmen daß die Zwiſtigkeiten zwiſchen Quirinal und Vatican noch nicht jenen äußerſten Grad er- reicht haben der die Vornahme jener Handlungen unmöglich machte welche alle wohlgeſitteten Perſonen ſich unter einander ſchuldig zu ſein glauben. Uebrigens iſt’s im Sinne der Politik die wir uns vorgeſetzt haben als wir Rom betraten,“ und nun folgt die übliche Abhandlung über die freie Kirche im freien Staat, über die dem Papſt als Oberhaupt der Kirche gebührende Ehrfurcht, über die Nicht- antaſtung der Religion. Uebrigens muß man nicht dieſe Haltung der italieniſchen

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 10, 10. Januar 1872, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine10_1872/7>, abgerufen am 24.11.2024.