Allgemeine Zeitung, Nr. 105, 15. April 1849.Beilage zu Nr. 105 der Allgemeinen Zeitung vom 15 April 1849. [Spaltenumbruch] Skizzen aus dem deutschen Parlament. II. L Als der Präsident seine Antrittsrede hielt, da sah es freilich nicht Es war selbst für mich ein wohlthuender Gegensatz als bald nach Also provisorische Regierung und Republik. Hiermit, durch sofortiges Aussprechen der Consequenz, spalteten sich Der Blitz war also gleich in der ersten Stunde durch die Paulskirche Das erkannten die Führer der Siebener wohl, und Welcker eilte Diesen Einspruch zu unterstützen im Augenblick der Gefahr folgte Beilage zu Nr. 105 der Allgemeinen Zeitung vom 15 April 1849. [Spaltenumbruch] Skizzen aus dem deutſchen Parlament. II. L Als der Präſident ſeine Antrittsrede hielt, da ſah es freilich nicht Es war ſelbſt für mich ein wohlthuender Gegenſatz als bald nach Alſo proviſoriſche Regierung und Republik. Hiermit, durch ſofortiges Ausſprechen der Conſequenz, ſpalteten ſich Der Blitz war alſo gleich in der erſten Stunde durch die Paulskirche Das erkannten die Führer der Siebener wohl, und Welcker eilte Dieſen Einſpruch zu unterſtützen im Augenblick der Gefahr folgte <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Beilage zu Nr. 105 der Allgemeinen Zeitung vom 15 April 1849.</hi> </titlePart> </docTitle> </titlePage> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Skizzen aus dem deutſchen Parlament.</hi><lb/> <hi rendition="#aq">II.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#aq">L</hi> Als der Präſident ſeine Antrittsrede hielt, da ſah es freilich nicht<lb/> aus als ob Liebenswürdigkeit und Civiliſation hinreichende Kraft haben<lb/> werde unter ſolch’ einem Präſidium das wogende Meer zu beherrſchen.<lb/> Das Meer ſchwieg wohl noch, aber man ſpürte bis in die Fingerſpitzen<lb/> daß ſolch’ ein Steuermann nicht genüge. Es war etwas Süßliches in<lb/> dem Vortrage an die „deutſchen Männer und lieben Freunde“, es waren<lb/> große Worte vom „Erwachen des Rieſen“ neben zwerghaften Wendungen<lb/> vom „Niedergedrücktſeyn“ darüber daß man ihm die Ehre angethan, kurz<lb/> es war ein Gewebe von ſcheinbarer Kraft und wirklicher Schwäche, ein<lb/> Gewebe von ſo langem Faden daß ich in den erſten fünf Minuten an<lb/> ſolchem Weber verzweifelte. Dieſe meine Verzweiflung erwies ſich im<lb/> Laufe des Vorparlaments nur gar zu begründet. Wer an die Spitze ge-<lb/> ſtellt wird zum Herrſchen, gegen den richten ſich alle Schüſſe bis er früher<lb/> oder ſpäter fällt; dieß iſt das Schickſal menſchlicher Herrſcher. Wer aber<lb/> an die Spitze kommt und nicht herrſchen kann, wem die Tragödie verſagt<lb/> iſt den geißelt der Spott, der unbarmherzige. Damals ſchon erhob er<lb/> ſein freches Geſicht und ſagte mit ſpitzem Finger hinzeigend auf die Eſtrade:<lb/> dieſer Redner ſucht nun ſo lange ſchon den Punkt wo Ja und Nein ſich<lb/> berühren, wir erlebens daß er ihn findet! Nicht doch, rief ein anderer,<lb/> dieſer Redner hat die große Eigenſchaft der Weiber, aus Furcht muthig<lb/> ſeyn zu können, muthig und verwegen; er ſpricht und ſtimmt für einen<lb/> europäiſchen Krieg, damit ihm nicht das ſouveräne Volk der Gaſſe die<lb/> Fenſter einwirft.</p><lb/> <p>Es war ſelbſt für mich ein wohlthuender Gegenſatz als bald nach<lb/> dieſer Antrittsrede <hi rendition="#g">Struve</hi> auf der Rednerbühne erſchien und einen ganz<lb/> nüchternen, ganz radicalen Antrag entwickelte. Es war doch „Schneid“<lb/> darin, wie man in Süddeutſchland ſagt. Es war Abſchaffung und Auf-<lb/> hebung und Aufhebung und Abſchaffung in fünfzehn Paragraphen. Wenn<lb/> man es jetzt überſieht, ſo hat man mit Ausnahme von zwei oder drei<lb/> Punkten gegen all dieſe Aufhebungen gar nichts einzuwenden, und wenn<lb/> wir nicht gründliches Unglück haben, ſo werden die meiſten dieſer Abſchaf-<lb/> fungen durchgeſetzt. Aber ſie ſollten durch einen einfachen Ausſpruch des<lb/> Vorparlaments decretirt werden, und der 15te Paragraph lautete: „Auf-<lb/> hebung der erblichen Monarchie“, und der letzte Satz des Redners beſagte:<lb/> „Wir werden in Frankfurt vereinigt bleiben bis ein frei gewähltes Parla-<lb/> ment die Geſchicke Deutſchlands leiten kann. Mittlerweile werden wir<lb/> die erforderlichen Geſetzesvorlagen entwerfen und durch einen frei gewähl-<lb/> ten Vollziehungsausſchuß das große Werk der Wiederherſtellung Deutſch-<lb/> lands vorbereiten.“</p><lb/> <p>Alſo proviſoriſche Regierung und Republik.</p><lb/> <p>Hiermit, durch ſofortiges Ausſprechen der Conſequenz, ſpalteten ſich<lb/> an jenem Morgen officiell die Lager. Das war kein Glück. Denn es<lb/> war eine große Zahl vorhanden welche zu durchgreifenden Maßregeln ent-<lb/> ſchloſſen, aber ebenſo entſchloſſen war nicht in jene Conſequenz einzutreten.<lb/> Ein Lager lähmte nun das andere auch für Maßregeln welche beiden ge-<lb/> meinſchaftlich ſeyn konnten, welche man aber nun, auf der Hut vor Hinter-<lb/> gedanken, mißtrauiſch anſah.</p><lb/> <p>Der Blitz war alſo gleich in der erſten Stunde durch die Paulskirche<lb/> gefahren und die Gewitterſchwüle ward bemerklich. Dieſer badiſchen re-<lb/> publicaniſchen Richtung kamen die Sachſen zu Hülfe, und zwar in einer<lb/> Weiſe die ganz charakteriſtiſch war. Der warme Inhalt ſteht ihnen nicht<lb/> ſo zu Gebote wie die kühle Form. Die Geſchäftsordnung, dieß wichtige<lb/> hölzerne Pferd in jedem Parlament, wurde gleich bei dieſem erſten An-<lb/> griff als Turnierroß beſtiegen. Die Siebener nämlich hatten ein Pro-<lb/> gramm vorgelegt, um welches ſich die Verhandlungen des Vorparlaments<lb/> bewegen ſollten. Dieß Programm war beſeitigt ſobald man auf den radi-<lb/> calen Antrag Struve’s einging. <hi rendition="#g">Schaffrath</hi> alſo aus Sachſen trat auf<lb/> und empfahl den „deutſchen Mitbrüdern“ einen Ausſchuß zu ernennen, da-<lb/> mit nicht nur das Siebener-Programm, ſondern auch jeder andere Antrag<lb/> geprüft und zur Berichterſtattung vorbereitet würde, denn die Siebener,<lb/> übrigens ſehr achtbare Männer, ſeyen doch nicht die Repräſentanten dieſer<lb/> nun gegenwärtigen Parlamentsverſammlung. Dieſer ganz logiſche Vor-<lb/> ſchlag ward mit eifriger, durchdringender Stimme vorgetragen von einem<lb/> advocatiſch ſattelfeſten kleinen Manne, geſunden, gewöhnlichen Ausſehens,<lb/> deſſen ſtechende Augen und ſteile Haare andeuteten daß er ſein Formen-<lb/> credo leichtlich mit der rechthaberiſchen Heftigkeit eines <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Eck — Luther<lb/> ſprach’s aus ohne Punkt — behaupten könne. Wo der Inhalt fehlt, da<lb/> wird das erwäblte formelle Credo zu allen Zeiten am grimmigſten verthei-<lb/> digt. Hier und in dieſem Augenblick war der Schaffrath’ſche Antrag von<lb/><cb/> entſcheidender Bedeutung; wurde er angenommen, ſo war auf dem Wege<lb/> der Form das erreicht was Struve durch Enthüllung des Inhalts, allem<lb/> Anſchein nach, das heißt der erſichtlichen Stimmung nach, bereits verloren<lb/> hatte: das Struve’ſche Programm kam zur Erörterung, und das Vor-<lb/> parlament war durch Einſetzung eines Ausſchuſſes auf längere, ja auf un-<lb/> abſehbare Dauer eingeleitet. 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Seiner<lb/> Heftigkeit war abzuſehen daß er die Gefahr für ſehr groß hielt, und wer<lb/> überhaupt Welcker nur beim Vorparlament hat ſprechen hören, der wird<lb/> ſagen: dieß Auftreten, bei welchem er ſeinen ganzen Körper durcheinander<lb/> ſchüttelt als wolle er ſich all ſeiner Gliedmaßen verſichern für das bevorſtehende<lb/> Handgemenge, dieſe höhere Röthe welche ihm bis auf die Stirn hinauſ ſteigt,<lb/> dieſer keifende, trotzende, herausfordernde Ton, dieſes ſtoßartige heftige Bewei-<lb/> ſen iſt ſeiner Sache nicht günſtig, ſelbſt bei denen nicht welche ſeine Anſicht<lb/> und Meinung theilen. So iſt er aber nicht immer auf der Rednerbühne,<lb/> ſondern nur dann wenn es ſich um einſchneidende Fragen handelt. Als<lb/> Mann welcher durch lange politiſche und wiſſenſchaftliche Thätigkeit ein<lb/> weites Feld beherrſcht, iſt er ſtets mit ſo viel Geſichtspunkten ausgerüſtet,<lb/> und bei allen Fragen ſo vom großen Zuſammenhang durchdrungen, daß er<lb/> allerdings niemals öffentlich redet ohne nachdrücklich gefaßte und ausge-<lb/> ſprochene Richtung, daß er allerdings dieſe Richtung ſtets um ſo ſchärfer<lb/> hervorhebt durch ſtarke Betonung und dreinfahrende Geſticulation, je mehr<lb/> er eben in ſeiner Fülle von Geſichtspunkten Halbrichtiges und Halbberech-<lb/> tigtes abweiſen muß; aber er thut dieß nicht immer ſtoßartig, nicht im-<lb/> mer herausfordernd, wenn auch immer bis auf einen gewiſſen Grad un-<lb/> ſchön und rechthaberiſch. In der Debatte um Unabhängigkeit der Kirche<lb/> vom Staate zum Beiſpiel, wo er gegen den Ausſpruch des ganzen Prin-<lb/> cips redete, da hatte ſeine Rede einen viel ruhigeren Wellenſchlag, und<lb/> nur einmal, als er vor der Pfortenöffnung für die Jeſuiten warnte,<lb/> bäumte ſich die Woge ſeines Wortes ſpitzauf. Spricht er ferner in kleine-<lb/> rer Verſammlung, da iſt alles an ihm ſanfter und milder, und in ganz<lb/> kleinem Kreiſe oder zu Zweien, iſt gar nichts zu ſpüren von jener Hef-<lb/> tigkeit, da iſt er bis zur Anmuth weich und eingehend und weiß vortreff-<lb/> lich zu hören, bekanntlich ſonſt das Zeichen eines Staatsmannes. Von<lb/> leidenſchaftlicher Heſtigkeit, in welcher die Leidenſchaft mit Verſtand und<lb/> Bildung durchgeht, gleich einem übel eingefahrenen Geſpann roher Pferde,<lb/> von Zornesblendung und Verblendung iſt Welcker indeſſen immerhin nicht<lb/> frei zu ſprechen. Sein Geiſt iſt ſchwächer als ſein Blut, ſein Verſtand iſt<lb/> ſteif und, fürchte ich, keiner größeren Compoſition fähig. „Meine Her-<lb/> ren!“ rief er jetzt, „es kommt darauf an ob Sie die Abſicht haben dieſe<lb/> Verſammlung vom erſten Augenblick an gleich in das Außerordentliche zu<lb/> verlängern“ — „halten Sie es für deutſch, brav und gut daß wir unſere<lb/> öſterreichiſchen und unſere zum großen Theil ſo gering vertretenen nord-<lb/> deutſchen Brüder von der Theilnahme an den Beſchlüſſen über die ganze<lb/> Verfaſſung ausſchließen? Ich glaube nicht daß dieß deutſch, und glaube<lb/> nicht daß es brav iſt!“</p><lb/> <p>Dieſen Einſpruch zu unterſtützen im Augenblick der Gefahr folgte<lb/> ihm eilig ein Mann auf der Rednerbühne, welcher nur dieß einzigemal<lb/> dort geſehen worden iſt, obwohl er eine nachhaltige Einwirkung auf die<lb/> deutſche Bewegung vom Jahr 1848 ausgeübt hat, eine Einwirkung von<lb/> unvergleichlich größerer Macht als zehn vortrefflich declamirende Redner<lb/> zuſammengenommen. Dieſer Mann hat außer den folgenden wenigen<lb/> Worten kein lautes Wort mehr geſprochen, und hat auch ſpäter in der<lb/> Nationalverſammlung ganz vorne am rechten Centrum monatelang ſchweig-<lb/> ſam geſeſſen, bis er durch innere und nur in der Schrift ausgedrückte Theil-<lb/> nahme erſchöpft, vielleicht auch mit Recht dadurch gekränkt daß man ihm<lb/> keine Stelle im Verfaſſungsausſchuß angewieſen, plötzlich auf immer die<lb/> Paulskirche und auch ſein Amt als Leiter der leitenden Zeitung verließ.<lb/> Dieſer Mann, dunklen Angeſichts durch Haar und Auge, war <hi rendition="#g">Gervinus,</hi><lb/> welcher jetzt kurz und ſcharf ſagte: „der Schaffrath’ſche Antrag wolle das<lb/> Programm des exiſtirenden Ausſchuſſes durch ein Programm eines noch<lb/> nicht exiſtirenden Ausſchuſſes erſetzen; der Präſident möge ſofort abſtim-<lb/> men laſſen ob dieß die Abſicht der Verſammlung ſey!“ Der Präſident war<lb/> aber ebenfalls Profeſſor von Heidelberg, der ſeinem jüngern Collegen nicht<lb/> ſo raſch zu Willen ſeyn mochte und den „präjudiciellen Antrag“ weiter<lb/> debattirt ſehen mochte. Die Gefahr entwickelte ſich alſo und ſtieg. Hr.<lb/><hi rendition="#g">Blum</hi> von Leipzig erhielt das Wort um in friedlichſt ſingendem Tone die<lb/> begonnene Schlacht weiter zu ſühren — ſanfter als Hr. Schaffrath, wenn<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
Beilage zu Nr. 105 der Allgemeinen Zeitung vom 15 April 1849.
Skizzen aus dem deutſchen Parlament.
II.
L Als der Präſident ſeine Antrittsrede hielt, da ſah es freilich nicht
aus als ob Liebenswürdigkeit und Civiliſation hinreichende Kraft haben
werde unter ſolch’ einem Präſidium das wogende Meer zu beherrſchen.
Das Meer ſchwieg wohl noch, aber man ſpürte bis in die Fingerſpitzen
daß ſolch’ ein Steuermann nicht genüge. Es war etwas Süßliches in
dem Vortrage an die „deutſchen Männer und lieben Freunde“, es waren
große Worte vom „Erwachen des Rieſen“ neben zwerghaften Wendungen
vom „Niedergedrücktſeyn“ darüber daß man ihm die Ehre angethan, kurz
es war ein Gewebe von ſcheinbarer Kraft und wirklicher Schwäche, ein
Gewebe von ſo langem Faden daß ich in den erſten fünf Minuten an
ſolchem Weber verzweifelte. Dieſe meine Verzweiflung erwies ſich im
Laufe des Vorparlaments nur gar zu begründet. Wer an die Spitze ge-
ſtellt wird zum Herrſchen, gegen den richten ſich alle Schüſſe bis er früher
oder ſpäter fällt; dieß iſt das Schickſal menſchlicher Herrſcher. Wer aber
an die Spitze kommt und nicht herrſchen kann, wem die Tragödie verſagt
iſt den geißelt der Spott, der unbarmherzige. Damals ſchon erhob er
ſein freches Geſicht und ſagte mit ſpitzem Finger hinzeigend auf die Eſtrade:
dieſer Redner ſucht nun ſo lange ſchon den Punkt wo Ja und Nein ſich
berühren, wir erlebens daß er ihn findet! Nicht doch, rief ein anderer,
dieſer Redner hat die große Eigenſchaft der Weiber, aus Furcht muthig
ſeyn zu können, muthig und verwegen; er ſpricht und ſtimmt für einen
europäiſchen Krieg, damit ihm nicht das ſouveräne Volk der Gaſſe die
Fenſter einwirft.
Es war ſelbſt für mich ein wohlthuender Gegenſatz als bald nach
dieſer Antrittsrede Struve auf der Rednerbühne erſchien und einen ganz
nüchternen, ganz radicalen Antrag entwickelte. Es war doch „Schneid“
darin, wie man in Süddeutſchland ſagt. Es war Abſchaffung und Auf-
hebung und Aufhebung und Abſchaffung in fünfzehn Paragraphen. Wenn
man es jetzt überſieht, ſo hat man mit Ausnahme von zwei oder drei
Punkten gegen all dieſe Aufhebungen gar nichts einzuwenden, und wenn
wir nicht gründliches Unglück haben, ſo werden die meiſten dieſer Abſchaf-
fungen durchgeſetzt. Aber ſie ſollten durch einen einfachen Ausſpruch des
Vorparlaments decretirt werden, und der 15te Paragraph lautete: „Auf-
hebung der erblichen Monarchie“, und der letzte Satz des Redners beſagte:
„Wir werden in Frankfurt vereinigt bleiben bis ein frei gewähltes Parla-
ment die Geſchicke Deutſchlands leiten kann. Mittlerweile werden wir
die erforderlichen Geſetzesvorlagen entwerfen und durch einen frei gewähl-
ten Vollziehungsausſchuß das große Werk der Wiederherſtellung Deutſch-
lands vorbereiten.“
Alſo proviſoriſche Regierung und Republik.
Hiermit, durch ſofortiges Ausſprechen der Conſequenz, ſpalteten ſich
an jenem Morgen officiell die Lager. Das war kein Glück. Denn es
war eine große Zahl vorhanden welche zu durchgreifenden Maßregeln ent-
ſchloſſen, aber ebenſo entſchloſſen war nicht in jene Conſequenz einzutreten.
Ein Lager lähmte nun das andere auch für Maßregeln welche beiden ge-
meinſchaftlich ſeyn konnten, welche man aber nun, auf der Hut vor Hinter-
gedanken, mißtrauiſch anſah.
Der Blitz war alſo gleich in der erſten Stunde durch die Paulskirche
gefahren und die Gewitterſchwüle ward bemerklich. Dieſer badiſchen re-
publicaniſchen Richtung kamen die Sachſen zu Hülfe, und zwar in einer
Weiſe die ganz charakteriſtiſch war. Der warme Inhalt ſteht ihnen nicht
ſo zu Gebote wie die kühle Form. Die Geſchäftsordnung, dieß wichtige
hölzerne Pferd in jedem Parlament, wurde gleich bei dieſem erſten An-
griff als Turnierroß beſtiegen. Die Siebener nämlich hatten ein Pro-
gramm vorgelegt, um welches ſich die Verhandlungen des Vorparlaments
bewegen ſollten. Dieß Programm war beſeitigt ſobald man auf den radi-
calen Antrag Struve’s einging. Schaffrath alſo aus Sachſen trat auf
und empfahl den „deutſchen Mitbrüdern“ einen Ausſchuß zu ernennen, da-
mit nicht nur das Siebener-Programm, ſondern auch jeder andere Antrag
geprüft und zur Berichterſtattung vorbereitet würde, denn die Siebener,
übrigens ſehr achtbare Männer, ſeyen doch nicht die Repräſentanten dieſer
nun gegenwärtigen Parlamentsverſammlung. Dieſer ganz logiſche Vor-
ſchlag ward mit eifriger, durchdringender Stimme vorgetragen von einem
advocatiſch ſattelfeſten kleinen Manne, geſunden, gewöhnlichen Ausſehens,
deſſen ſtechende Augen und ſteile Haare andeuteten daß er ſein Formen-
credo leichtlich mit der rechthaberiſchen Heftigkeit eines Dr. Eck — Luther
ſprach’s aus ohne Punkt — behaupten könne. Wo der Inhalt fehlt, da
wird das erwäblte formelle Credo zu allen Zeiten am grimmigſten verthei-
digt. Hier und in dieſem Augenblick war der Schaffrath’ſche Antrag von
entſcheidender Bedeutung; wurde er angenommen, ſo war auf dem Wege
der Form das erreicht was Struve durch Enthüllung des Inhalts, allem
Anſchein nach, das heißt der erſichtlichen Stimmung nach, bereits verloren
hatte: das Struve’ſche Programm kam zur Erörterung, und das Vor-
parlament war durch Einſetzung eines Ausſchuſſes auf längere, ja auf un-
abſehbare Dauer eingeleitet. Die Aufgabe bloßer Vorbereitung, mittel-
barer Vorbereitung wie ſie wohl der Mehrzahl vorſchwebte, war dann
plötzlich verwandelt in die Aufgabe unmittelbaren Anfangs, die parlamen-
tariſche Evolution ward eine parlamentariſche Revolution.
Das erkannten die Führer der Siebener wohl, und Welcker eilte
auf die Rednerbühne, von dieſem Gange dringend abzumahnen. Seiner
Heftigkeit war abzuſehen daß er die Gefahr für ſehr groß hielt, und wer
überhaupt Welcker nur beim Vorparlament hat ſprechen hören, der wird
ſagen: dieß Auftreten, bei welchem er ſeinen ganzen Körper durcheinander
ſchüttelt als wolle er ſich all ſeiner Gliedmaßen verſichern für das bevorſtehende
Handgemenge, dieſe höhere Röthe welche ihm bis auf die Stirn hinauſ ſteigt,
dieſer keifende, trotzende, herausfordernde Ton, dieſes ſtoßartige heftige Bewei-
ſen iſt ſeiner Sache nicht günſtig, ſelbſt bei denen nicht welche ſeine Anſicht
und Meinung theilen. So iſt er aber nicht immer auf der Rednerbühne,
ſondern nur dann wenn es ſich um einſchneidende Fragen handelt. Als
Mann welcher durch lange politiſche und wiſſenſchaftliche Thätigkeit ein
weites Feld beherrſcht, iſt er ſtets mit ſo viel Geſichtspunkten ausgerüſtet,
und bei allen Fragen ſo vom großen Zuſammenhang durchdrungen, daß er
allerdings niemals öffentlich redet ohne nachdrücklich gefaßte und ausge-
ſprochene Richtung, daß er allerdings dieſe Richtung ſtets um ſo ſchärfer
hervorhebt durch ſtarke Betonung und dreinfahrende Geſticulation, je mehr
er eben in ſeiner Fülle von Geſichtspunkten Halbrichtiges und Halbberech-
tigtes abweiſen muß; aber er thut dieß nicht immer ſtoßartig, nicht im-
mer herausfordernd, wenn auch immer bis auf einen gewiſſen Grad un-
ſchön und rechthaberiſch. In der Debatte um Unabhängigkeit der Kirche
vom Staate zum Beiſpiel, wo er gegen den Ausſpruch des ganzen Prin-
cips redete, da hatte ſeine Rede einen viel ruhigeren Wellenſchlag, und
nur einmal, als er vor der Pfortenöffnung für die Jeſuiten warnte,
bäumte ſich die Woge ſeines Wortes ſpitzauf. Spricht er ferner in kleine-
rer Verſammlung, da iſt alles an ihm ſanfter und milder, und in ganz
kleinem Kreiſe oder zu Zweien, iſt gar nichts zu ſpüren von jener Hef-
tigkeit, da iſt er bis zur Anmuth weich und eingehend und weiß vortreff-
lich zu hören, bekanntlich ſonſt das Zeichen eines Staatsmannes. Von
leidenſchaftlicher Heſtigkeit, in welcher die Leidenſchaft mit Verſtand und
Bildung durchgeht, gleich einem übel eingefahrenen Geſpann roher Pferde,
von Zornesblendung und Verblendung iſt Welcker indeſſen immerhin nicht
frei zu ſprechen. Sein Geiſt iſt ſchwächer als ſein Blut, ſein Verſtand iſt
ſteif und, fürchte ich, keiner größeren Compoſition fähig. „Meine Her-
ren!“ rief er jetzt, „es kommt darauf an ob Sie die Abſicht haben dieſe
Verſammlung vom erſten Augenblick an gleich in das Außerordentliche zu
verlängern“ — „halten Sie es für deutſch, brav und gut daß wir unſere
öſterreichiſchen und unſere zum großen Theil ſo gering vertretenen nord-
deutſchen Brüder von der Theilnahme an den Beſchlüſſen über die ganze
Verfaſſung ausſchließen? Ich glaube nicht daß dieß deutſch, und glaube
nicht daß es brav iſt!“
Dieſen Einſpruch zu unterſtützen im Augenblick der Gefahr folgte
ihm eilig ein Mann auf der Rednerbühne, welcher nur dieß einzigemal
dort geſehen worden iſt, obwohl er eine nachhaltige Einwirkung auf die
deutſche Bewegung vom Jahr 1848 ausgeübt hat, eine Einwirkung von
unvergleichlich größerer Macht als zehn vortrefflich declamirende Redner
zuſammengenommen. Dieſer Mann hat außer den folgenden wenigen
Worten kein lautes Wort mehr geſprochen, und hat auch ſpäter in der
Nationalverſammlung ganz vorne am rechten Centrum monatelang ſchweig-
ſam geſeſſen, bis er durch innere und nur in der Schrift ausgedrückte Theil-
nahme erſchöpft, vielleicht auch mit Recht dadurch gekränkt daß man ihm
keine Stelle im Verfaſſungsausſchuß angewieſen, plötzlich auf immer die
Paulskirche und auch ſein Amt als Leiter der leitenden Zeitung verließ.
Dieſer Mann, dunklen Angeſichts durch Haar und Auge, war Gervinus,
welcher jetzt kurz und ſcharf ſagte: „der Schaffrath’ſche Antrag wolle das
Programm des exiſtirenden Ausſchuſſes durch ein Programm eines noch
nicht exiſtirenden Ausſchuſſes erſetzen; der Präſident möge ſofort abſtim-
men laſſen ob dieß die Abſicht der Verſammlung ſey!“ Der Präſident war
aber ebenfalls Profeſſor von Heidelberg, der ſeinem jüngern Collegen nicht
ſo raſch zu Willen ſeyn mochte und den „präjudiciellen Antrag“ weiter
debattirt ſehen mochte. Die Gefahr entwickelte ſich alſo und ſtieg. Hr.
Blum von Leipzig erhielt das Wort um in friedlichſt ſingendem Tone die
begonnene Schlacht weiter zu ſühren — ſanfter als Hr. Schaffrath, wenn
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(2022-09-16T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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