Allgemeine Zeitung, Nr. 105, 15. April 1849.[Spaltenumbruch]
dieser Casse an Zahlungsstatt auszugebenden Obligationen zu vier Procent. Gr. Baden. = Karlsruhe, 6 April. Die letzten Sitzungen Preußen. # Aus Ostpreußen. Die Frankfurter Reichsdeputa- [Spaltenumbruch]
dieſer Caſſe an Zahlungsſtatt auszugebenden Obligationen zu vier Procent. Gr. Baden. = Karlsruhe, 6 April. Die letzten Sitzungen Preußen. □ Aus Oſtpreußen. Die Frankfurter Reichsdeputa- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <p><pb facs="#f0002" n="1606"/><cb/> dieſer Caſſe an Zahlungsſtatt auszugebenden Obligationen zu vier Procent.<lb/> Ihre ärztlichen Leſer machen wir auf die ſeit mehreren Jahren hier erſchei-<lb/> nende „neue mediciniſch-chirurgiſche Zeitung“ dringend aufmerkſam. Die<lb/> Redaction derſelben verſteht die Vorgänge der jetzigen Zeit in entſprechen-<lb/> dem Maße zu würdigen, und führt in einer weit größeren Reihe von<lb/> Correſpondenz-Artikeln als früher die fortgehenden Bewegungen im Be-<lb/> reiche der Aſſociation und Reform des ärztlichen Standes und Lebens, wie<lb/> ſie ſich in den verſchiedenen Landestheilen unſeres deutſchen Vaterlandes und<lb/> des Auslandes kundgeben, ununterbrochen fort. Außerdem bringt dieſelbe<lb/> theils in Originalaufſätzen, theils in Kritiken und Auszügen die Ergebniſſe<lb/> aus den Forſchungen und Erfahrungen der medieiniſchen Theorie und Praxis<lb/> der geſammten civiliſtrten Welt in wöchentlichen Lieferungen, ſo zwar daß<lb/> dieſe Zeitung, welche während ihres frühern Erſcheinens von den bekannten<lb/> „Schmidt’ſchen Jahrbüchern der Medicin“ außerordentlich gedrückt worden<lb/> war, durch gehörige Sichtung des Materials, zweckmäßige Kürze und<lb/> umfaſſende Vollſtändigkeit den letzteren den Rang wieder abgelaufen hat.<lb/> Sind auch die gegenwärtigen politiſchen und ſocialen Verhältniſſe einem<lb/> ernſten Studium nicht förderlich, ſo mahnt doch die Praxis jeden Arzt<lb/> ſich auf dem Laufenden ſeiner Erfahrungs-Wiſſenſchaft zu halten, und<lb/> hiezu erſcheint uns die genannte Zeitung als der geeignetſte Vermitt-<lb/> lungsweg.</p> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head><hi rendition="#g">Gr. 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Unſere zweite Kammer ſtrebt auch nicht nach der Art<lb/> von Celebrität von der wir bisweilen aus Sachſen merkwürdige Mit-<lb/> theilungen in Ihrem Blatt leſen; ſie macht möglichſt wenig in großer Po-<lb/> litik, bekümmert ſich nicht um die Intervention im Kirchenſtaat und iſt in<lb/> einem Punkt entſchieden anderer Anſicht als jener Volksmann in Dresden,<lb/> der da rief: wozu Weisheit, die Weisheit hat das Volk zu Grund gerich-<lb/> tet? Eben dieſe nüchterne Proſa womit unſere Volksvertreter Staats-<lb/> rechnungen prüfen und in Ausſchüſſen emſig arbeiten, eben dieſe Abnei-<lb/> gung gegen die pikanten Aſſauts, mit denen uns geſinnungstüchtigere<lb/> Volkskammern als die badiſche ergötzen, ſteigert aber den Unmuth jener<lb/> Claſſe des ſouveränen Volks, die gegen Weisheit und Verſtand die be-<lb/> greifliche Antipathie des fraglichen ſächfiſchen Volksmanns vollkommen<lb/> theilt. Der Landesausſchuß unſerer Volksvereine hat der Kammer förm-<lb/> lich den Gehorſam aufgekündigt und in einem ſouveränen Erlaß dem Volk<lb/> die Mittel angegeben wie man dieſe unerträgliche Kammer los werden<lb/> könne. Das erſte Mittel war Austritt der „Geſinnungstüchtigen;“ der-<lb/> ſelbe erfolgte zum Theil in einer Weiſe und unter Vorwänden die nur<lb/> von der völligen Rathloſigkeit einer unterlegenen Partei Zeugniß gaben.<lb/> Weiter wurde befohlen: keine neuen Wahlen mehr für die Ausgetretenen<lb/> vorzunehmen. In zwei Bezirken wurde indeſſen doch gewählt, in ſteben<lb/> andern wurde die Wahl vereitelt. Erwägt man daß eben die Wahlmänner<lb/> dieſer Bezirke größtentheils die Blüthe des Radicalismus darſtellen, ſo<lb/> hat das nichts auffallendes, zumal da nach einer Beſtimmung unſeres<lb/> Wahlgeſetzes das Ausbleiben von einem Viertel der Wahlmänner die<lb/> Wahl hindern kann. So iſt denn z. B. in der Stadt Mannheim, wo 43<lb/> Wahlmänner erſchienen waren um an Brentano’s Stelle einen andern<lb/> Abgeordneten zu wählen, die Wahl durch das Ausbleiben von 23 Wahl-<lb/> männern gehindert worden; wobei ſich gelegentlich herausſtellte daß der<lb/> cenommiſtiſche Abklatſch Heckers in ſeinem Wahlcollegium längſt das Ver-<lb/> trauen verloren hatte. Natürlich haben die Wahlmänner der Majorität<lb/> einen geſetzlichen Schutz verlangt gegen dieſen Terrorismus der Minori-<lb/> tät; die ſouveräne geſinnungstüchtige Preſſe findet es freilich ebenſo natür-<lb/> lich daß | auf dieſe Weiſe die Minderheit die Vertretung der Mehrheit hin-<lb/> dern kann. Als drittes Mittel und als verdünnte Auflage der |Miß-<lb/> trauensadreſſen hatte der Landesausſchuß Verwahrungen gegen alle künf-<lb/> tigen Kammerbeſchlüſſe anempfohlen; auch da fand ſich denn einiger ſou-<lb/> veräner Unverſtand und verwahrte ſich! Die Führer ſelber könnten doch<lb/> wiſſen daß das Papier ganz umſonſt verſchrieben iſt; wozu treiben ſie alſo<lb/> mit dem Volk die nutzloſe Komödie? Aber freilich, wir müſſen erſt ein ſtarkes<lb/> Fegfeuer durchmachen, ehe wir zum Paradies geordneter und wahrhaft freier<lb/> Zuſtände gelangen. Wir müſſen erſt alle die Mißtrauensadreſſen, Ver-<lb/> wahrungen, Proteſtationen u. ſ. w., womit Minoritäten den geſetzlichen<lb/> Organen des ganzen Volks entgegentreten, an uns vorbeifluthen laſſen<lb/><cb/> und hoffen daß der Parorysmus vorübergeht. Im Abnehmen iſt er ſchon;<lb/> denn aus denſelben Gegenden wo man Mißtrauen in Hülle und Fülle<lb/> ſpendete, ſich gegen alle Kammerbeſchlüſſe bis an die Zähne verwahrte,<lb/> kommen denn doch gleichzeitig naive Adreſſen und Deputationen, wegen<lb/> eines beliebigen Amts- oder Gerichtsſitzes, wegen einer Straßenanlage<lb/> u. dgl., und erſt vor wenig Tagen haben wir mit eignen Augen am hellen<lb/> lichten Tag eine ſolche Deputation um gehen ſehen; ſie war aus einem Be-<lb/> zirk wo man allem zuſammen, Regierung und Kammern, das Vertrauen<lb/> aufs entſchiedenſte aufgekündigt hatte. Inzwiſchen ſteigt die Wuth der<lb/> Führer darüber daß alles nicht helfen will. In unſerer geſinnungstüchtigen<lb/> Preſſe, die gutentheils in den Händen verdorbener Schulmeiſter und vaciren-<lb/> der Induſtrieritter (<hi rendition="#aq">vulgo</hi> Litteraten) ſich befindet, wird von der Kammer<lb/> in Ausdrücken geredet wogegen das derbſte ſachſenhäuſer Deutſch als Sa-<lb/> lonsſprache gelten kann; die Leute meinen im Ernſt die Kammer ſey damit<lb/> proſtituirt, und doch ſind ſie ſelber es allein. Das ganze Getriebe iſt um<lb/> ſo kindiſcher als die Kammer, wenn ſie mit dem Budget zu Ende iſt, nur<lb/> noch das Wahlgeſetz zu berathen hat, und dann in wenig Wochen die Auf-<lb/> löſung unfehlbar eintreten muß; wozu alſo der Lärm? Kommen ja doch<lb/> dann neue Wahlen und da iſt der beſte Anlaß ſeine Thätigkeit zu Gunſten<lb/> des ſouveränen Unverſtandes zu entfalten.</p> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head><hi rendition="#g">Preußen</hi>.</head><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline>□ <hi rendition="#b">Aus Oſtpreußen.</hi></dateline><lb/> <p>Die Frankfurter Reichsdeputa-<lb/> tion war in Berlin, wie uns mehrere ihrer Mitglieder gleichmäßig bekannten,<lb/> vornehmlich von dem Eindruck überraſcht: daß der König von Preu-<lb/> ßen die ihm angetragene deutſche Kaiſerwürde zu ſehr als eine <hi rendition="#g">rein per-<lb/> ſönliche</hi> Angelegenheit aufgefaßt und behandelt habe! In dieſer Vemerkung<lb/> ſcheint uns außerordentlich viel Anhalt zu einer richtigen Beurtheilung<lb/> der ganzen Sachlage gegeben. Der König nahm den Kaiſerantrag als<lb/> einen Ausdruck der Sympathie für ſeine Perſon und die Dynaſtie der<lb/> Hohenzollern entgegen, und beantwortete ihn in dieſem Sinn in der<lb/> Sprache des individuellen Gefühls und ſeines königlichen Selbſtbewußt-<lb/> ſeyns, indem er zugleich die Sache der deutſchen Einheit nicht mehr als<lb/> eine Angelegenheit der Nation, ſondern als die zu vereinbarende Regie-<lb/> rungsfrage hinſtellte, bei welcher ebenfalls auf das Maß der „ihm zuge-<lb/> dachten Rechte“ der hauptſächliche Accent gelegt wurde. Bei dem Act der<lb/> Kaiſerwahl in Frankfurt waren ſich viele Abgeordnete der deutſchen Natio-<lb/> nalverſammlung bewußt daß, wie ſie auch bei ihrer Abſtimmung noch<lb/> beſonders auszudrücken ſuchten, die Wahl den „König von Preußen“ als<lb/> ſolchen treffen, damit aber nicht vorzugsweiſe die regierende Perſönlich-<lb/> keit, ſondern der Höhebegriff des preußiſchen Staates überhaupt in<lb/> ſeiner compacten Macht bezeichnet werden ſollte! — Mit großer Beſorg-<lb/> niß ſieht man jetzt auch in Preußen dem durch die Circularnote vom<lb/> 3 April zuſammenberufenen Bevollmächtigten-Congreß entgegen. Es<lb/> ſieht ſo aus als wenn auf demſelben nunmehr die deutſche Einheit um<lb/> jeden Preis zurechtgemacht werden ſollte! Eine künſtliche Separateinheit er-<lb/> halten wir aber immer noch zu früh, und ſie würde ohne eine neue Theilung<lb/> und Spaltung der Nation, welche den innerſten Beſtand Deutſchlands<lb/> mehr als das alte Bundesverhältniß gefährden würde, nicht auszuführen<lb/> ſeyn! Die Sache der deutſchen Einheit iſt in dieſem Augenblick ein Ex-<lb/> periment der alten dynaſtiſchen Cabinetspolitik geworden, welche ſich ſelbſt<lb/> an der Löſung dieſer Aufgabe wiederherzuſtellen trachtet. Den ſcharfen<lb/> Umſchlag des politiſchen Wetters, wie es in immer tiefer fallenden Gra-<lb/> den durch Deutſchland und Europa geht, haben die Frankfurter Deputir-<lb/> ten in Berlin entſchieden genug empfinden können. Sie haben dort für<lb/> ihren guten und naiven Glauben, mit dem ſie angezogen kamen, die Ein-<lb/> ſicht geerntet daß die deutſche Nationalverſammlung und das volksſou-<lb/> veräne Princip, auf dem ſie entſtanden, im Rath der Cabinette bereis ver-<lb/> abſchiedet und entlaſſen ſey, und daß die große deutſche Reichsangelegen-<lb/> heit, die bis zu einem <hi rendition="#aq">pis-aller</hi> herabgeſunken, plötzlich nach Normen<lb/> feſtgeſtellt werden ſolle von denen beim Beginn der Sache nirgend und<lb/> auf keiner Seite die Rede geweſen. Wenn die preußiſche Regierung jetzt<lb/> definitiv an die Spitze der deutſchen Politik ſich begibt, um die zuerſt<lb/> von der bewußten Volkskraft emporgetriebene nationale Einheitsſache<lb/> Deutſchlands mit den Mitteln der alten Staatskunſt zu Ende zu bringen,<lb/> ſo möge ſie dabei eingedenk ſeyn daß ihr Auftreten in dieſem Augenblick<lb/> nicht bloß die Zukunft Deutſchlands von Preußen abhängig macht, ſon-<lb/> dern daß Preußen ſeine eigene Zukunft dabei einſetzt und es ſich zugleich<lb/> um die Möglichkeit ſeiner Stellung in dem künftigen wirklich volksgeeinten<lb/> und großen Deutſchland handeln wird. Denn ein ſolches Deutſchland<lb/> aufzugeben, wird uns am allerwenigſten die wiedergeborene Cabinets-<lb/> Politik, ſollte ſie auch noch ſo umfaſſend auf Grund der dynaſtiſchen In-<lb/> tereſſen wieder in Kraft treten, beſtimmen können! Der deutſche Einheits-<lb/> begriff hat jetzt in Jahresfriſt die fabelhafteſten Metamorphoſen durchge-<lb/> macht. Die Cabinette wollen es dieſen Begriff jetzt entgelten laſſen, daß<lb/> er zu Anfang ein und derſelbe Begriff mit der Demokratie war, mit<lb/> welcher auch die Actien der deutſchen Einheit ſtiegen und fielen. Aber<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1606/0002]
dieſer Caſſe an Zahlungsſtatt auszugebenden Obligationen zu vier Procent.
Ihre ärztlichen Leſer machen wir auf die ſeit mehreren Jahren hier erſchei-
nende „neue mediciniſch-chirurgiſche Zeitung“ dringend aufmerkſam. Die
Redaction derſelben verſteht die Vorgänge der jetzigen Zeit in entſprechen-
dem Maße zu würdigen, und führt in einer weit größeren Reihe von
Correſpondenz-Artikeln als früher die fortgehenden Bewegungen im Be-
reiche der Aſſociation und Reform des ärztlichen Standes und Lebens, wie
ſie ſich in den verſchiedenen Landestheilen unſeres deutſchen Vaterlandes und
des Auslandes kundgeben, ununterbrochen fort. Außerdem bringt dieſelbe
theils in Originalaufſätzen, theils in Kritiken und Auszügen die Ergebniſſe
aus den Forſchungen und Erfahrungen der medieiniſchen Theorie und Praxis
der geſammten civiliſtrten Welt in wöchentlichen Lieferungen, ſo zwar daß
dieſe Zeitung, welche während ihres frühern Erſcheinens von den bekannten
„Schmidt’ſchen Jahrbüchern der Medicin“ außerordentlich gedrückt worden
war, durch gehörige Sichtung des Materials, zweckmäßige Kürze und
umfaſſende Vollſtändigkeit den letzteren den Rang wieder abgelaufen hat.
Sind auch die gegenwärtigen politiſchen und ſocialen Verhältniſſe einem
ernſten Studium nicht förderlich, ſo mahnt doch die Praxis jeden Arzt
ſich auf dem Laufenden ſeiner Erfahrungs-Wiſſenſchaft zu halten, und
hiezu erſcheint uns die genannte Zeitung als der geeignetſte Vermitt-
lungsweg.
Gr. Baden.
= Karlsruhe, 6 April.
Die letzten Sitzungen
unſerer zweiten Kammer waren mit Verhandlungen ausgefüllt die für den
außerbadiſchen Leſerkreis kein beſonderes Intereſſe darbieten, wenngleich
ihre Ergebniſſe für Baden ſelbſt nicht ohne Wichtigkeit waren. Die Prü-
fung des Budgets, wobei manche zweckmäßige Reform vorbereitet und
allenthalben die ſtrengſte Sparſamkeit eingehalten wurde, die Berathung
neuer Geſetzentwürfe die durch die völlige Umgeſtaltung unſerer Rechts-
pflege und Verwaltung nothwendig geworden ſind, Vereinfachungen des
Forſtweſens und ähnliches mehr — das ſind keine Gegenſtände, an denen
ſich das größere deutſche Publicum beſonders unterhalten wird in einem
Augenblick wo die wichtigſten Lebensfragen deutſcher Politik auf eine Ent-
ſcheidung harren. Unſere zweite Kammer ſtrebt auch nicht nach der Art
von Celebrität von der wir bisweilen aus Sachſen merkwürdige Mit-
theilungen in Ihrem Blatt leſen; ſie macht möglichſt wenig in großer Po-
litik, bekümmert ſich nicht um die Intervention im Kirchenſtaat und iſt in
einem Punkt entſchieden anderer Anſicht als jener Volksmann in Dresden,
der da rief: wozu Weisheit, die Weisheit hat das Volk zu Grund gerich-
tet? Eben dieſe nüchterne Proſa womit unſere Volksvertreter Staats-
rechnungen prüfen und in Ausſchüſſen emſig arbeiten, eben dieſe Abnei-
gung gegen die pikanten Aſſauts, mit denen uns geſinnungstüchtigere
Volkskammern als die badiſche ergötzen, ſteigert aber den Unmuth jener
Claſſe des ſouveränen Volks, die gegen Weisheit und Verſtand die be-
greifliche Antipathie des fraglichen ſächfiſchen Volksmanns vollkommen
theilt. Der Landesausſchuß unſerer Volksvereine hat der Kammer förm-
lich den Gehorſam aufgekündigt und in einem ſouveränen Erlaß dem Volk
die Mittel angegeben wie man dieſe unerträgliche Kammer los werden
könne. Das erſte Mittel war Austritt der „Geſinnungstüchtigen;“ der-
ſelbe erfolgte zum Theil in einer Weiſe und unter Vorwänden die nur
von der völligen Rathloſigkeit einer unterlegenen Partei Zeugniß gaben.
Weiter wurde befohlen: keine neuen Wahlen mehr für die Ausgetretenen
vorzunehmen. In zwei Bezirken wurde indeſſen doch gewählt, in ſteben
andern wurde die Wahl vereitelt. Erwägt man daß eben die Wahlmänner
dieſer Bezirke größtentheils die Blüthe des Radicalismus darſtellen, ſo
hat das nichts auffallendes, zumal da nach einer Beſtimmung unſeres
Wahlgeſetzes das Ausbleiben von einem Viertel der Wahlmänner die
Wahl hindern kann. So iſt denn z. B. in der Stadt Mannheim, wo 43
Wahlmänner erſchienen waren um an Brentano’s Stelle einen andern
Abgeordneten zu wählen, die Wahl durch das Ausbleiben von 23 Wahl-
männern gehindert worden; wobei ſich gelegentlich herausſtellte daß der
cenommiſtiſche Abklatſch Heckers in ſeinem Wahlcollegium längſt das Ver-
trauen verloren hatte. Natürlich haben die Wahlmänner der Majorität
einen geſetzlichen Schutz verlangt gegen dieſen Terrorismus der Minori-
tät; die ſouveräne geſinnungstüchtige Preſſe findet es freilich ebenſo natür-
lich daß | auf dieſe Weiſe die Minderheit die Vertretung der Mehrheit hin-
dern kann. Als drittes Mittel und als verdünnte Auflage der |Miß-
trauensadreſſen hatte der Landesausſchuß Verwahrungen gegen alle künf-
tigen Kammerbeſchlüſſe anempfohlen; auch da fand ſich denn einiger ſou-
veräner Unverſtand und verwahrte ſich! Die Führer ſelber könnten doch
wiſſen daß das Papier ganz umſonſt verſchrieben iſt; wozu treiben ſie alſo
mit dem Volk die nutzloſe Komödie? Aber freilich, wir müſſen erſt ein ſtarkes
Fegfeuer durchmachen, ehe wir zum Paradies geordneter und wahrhaft freier
Zuſtände gelangen. Wir müſſen erſt alle die Mißtrauensadreſſen, Ver-
wahrungen, Proteſtationen u. ſ. w., womit Minoritäten den geſetzlichen
Organen des ganzen Volks entgegentreten, an uns vorbeifluthen laſſen
und hoffen daß der Parorysmus vorübergeht. Im Abnehmen iſt er ſchon;
denn aus denſelben Gegenden wo man Mißtrauen in Hülle und Fülle
ſpendete, ſich gegen alle Kammerbeſchlüſſe bis an die Zähne verwahrte,
kommen denn doch gleichzeitig naive Adreſſen und Deputationen, wegen
eines beliebigen Amts- oder Gerichtsſitzes, wegen einer Straßenanlage
u. dgl., und erſt vor wenig Tagen haben wir mit eignen Augen am hellen
lichten Tag eine ſolche Deputation um gehen ſehen; ſie war aus einem Be-
zirk wo man allem zuſammen, Regierung und Kammern, das Vertrauen
aufs entſchiedenſte aufgekündigt hatte. Inzwiſchen ſteigt die Wuth der
Führer darüber daß alles nicht helfen will. In unſerer geſinnungstüchtigen
Preſſe, die gutentheils in den Händen verdorbener Schulmeiſter und vaciren-
der Induſtrieritter (vulgo Litteraten) ſich befindet, wird von der Kammer
in Ausdrücken geredet wogegen das derbſte ſachſenhäuſer Deutſch als Sa-
lonsſprache gelten kann; die Leute meinen im Ernſt die Kammer ſey damit
proſtituirt, und doch ſind ſie ſelber es allein. Das ganze Getriebe iſt um
ſo kindiſcher als die Kammer, wenn ſie mit dem Budget zu Ende iſt, nur
noch das Wahlgeſetz zu berathen hat, und dann in wenig Wochen die Auf-
löſung unfehlbar eintreten muß; wozu alſo der Lärm? Kommen ja doch
dann neue Wahlen und da iſt der beſte Anlaß ſeine Thätigkeit zu Gunſten
des ſouveränen Unverſtandes zu entfalten.
Preußen.
□ Aus Oſtpreußen.
Die Frankfurter Reichsdeputa-
tion war in Berlin, wie uns mehrere ihrer Mitglieder gleichmäßig bekannten,
vornehmlich von dem Eindruck überraſcht: daß der König von Preu-
ßen die ihm angetragene deutſche Kaiſerwürde zu ſehr als eine rein per-
ſönliche Angelegenheit aufgefaßt und behandelt habe! In dieſer Vemerkung
ſcheint uns außerordentlich viel Anhalt zu einer richtigen Beurtheilung
der ganzen Sachlage gegeben. Der König nahm den Kaiſerantrag als
einen Ausdruck der Sympathie für ſeine Perſon und die Dynaſtie der
Hohenzollern entgegen, und beantwortete ihn in dieſem Sinn in der
Sprache des individuellen Gefühls und ſeines königlichen Selbſtbewußt-
ſeyns, indem er zugleich die Sache der deutſchen Einheit nicht mehr als
eine Angelegenheit der Nation, ſondern als die zu vereinbarende Regie-
rungsfrage hinſtellte, bei welcher ebenfalls auf das Maß der „ihm zuge-
dachten Rechte“ der hauptſächliche Accent gelegt wurde. Bei dem Act der
Kaiſerwahl in Frankfurt waren ſich viele Abgeordnete der deutſchen Natio-
nalverſammlung bewußt daß, wie ſie auch bei ihrer Abſtimmung noch
beſonders auszudrücken ſuchten, die Wahl den „König von Preußen“ als
ſolchen treffen, damit aber nicht vorzugsweiſe die regierende Perſönlich-
keit, ſondern der Höhebegriff des preußiſchen Staates überhaupt in
ſeiner compacten Macht bezeichnet werden ſollte! — Mit großer Beſorg-
niß ſieht man jetzt auch in Preußen dem durch die Circularnote vom
3 April zuſammenberufenen Bevollmächtigten-Congreß entgegen. Es
ſieht ſo aus als wenn auf demſelben nunmehr die deutſche Einheit um
jeden Preis zurechtgemacht werden ſollte! Eine künſtliche Separateinheit er-
halten wir aber immer noch zu früh, und ſie würde ohne eine neue Theilung
und Spaltung der Nation, welche den innerſten Beſtand Deutſchlands
mehr als das alte Bundesverhältniß gefährden würde, nicht auszuführen
ſeyn! Die Sache der deutſchen Einheit iſt in dieſem Augenblick ein Ex-
periment der alten dynaſtiſchen Cabinetspolitik geworden, welche ſich ſelbſt
an der Löſung dieſer Aufgabe wiederherzuſtellen trachtet. Den ſcharfen
Umſchlag des politiſchen Wetters, wie es in immer tiefer fallenden Gra-
den durch Deutſchland und Europa geht, haben die Frankfurter Deputir-
ten in Berlin entſchieden genug empfinden können. Sie haben dort für
ihren guten und naiven Glauben, mit dem ſie angezogen kamen, die Ein-
ſicht geerntet daß die deutſche Nationalverſammlung und das volksſou-
veräne Princip, auf dem ſie entſtanden, im Rath der Cabinette bereis ver-
abſchiedet und entlaſſen ſey, und daß die große deutſche Reichsangelegen-
heit, die bis zu einem pis-aller herabgeſunken, plötzlich nach Normen
feſtgeſtellt werden ſolle von denen beim Beginn der Sache nirgend und
auf keiner Seite die Rede geweſen. Wenn die preußiſche Regierung jetzt
definitiv an die Spitze der deutſchen Politik ſich begibt, um die zuerſt
von der bewußten Volkskraft emporgetriebene nationale Einheitsſache
Deutſchlands mit den Mitteln der alten Staatskunſt zu Ende zu bringen,
ſo möge ſie dabei eingedenk ſeyn daß ihr Auftreten in dieſem Augenblick
nicht bloß die Zukunft Deutſchlands von Preußen abhängig macht, ſon-
dern daß Preußen ſeine eigene Zukunft dabei einſetzt und es ſich zugleich
um die Möglichkeit ſeiner Stellung in dem künftigen wirklich volksgeeinten
und großen Deutſchland handeln wird. Denn ein ſolches Deutſchland
aufzugeben, wird uns am allerwenigſten die wiedergeborene Cabinets-
Politik, ſollte ſie auch noch ſo umfaſſend auf Grund der dynaſtiſchen In-
tereſſen wieder in Kraft treten, beſtimmen können! Der deutſche Einheits-
begriff hat jetzt in Jahresfriſt die fabelhafteſten Metamorphoſen durchge-
macht. Die Cabinette wollen es dieſen Begriff jetzt entgelten laſſen, daß
er zu Anfang ein und derſelbe Begriff mit der Demokratie war, mit
welcher auch die Actien der deutſchen Einheit ſtiegen und fielen. Aber
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(2022-09-16T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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