Allgemeine Zeitung, Nr. 101, 11. April 1849.[Spaltenumbruch]
punkt den die Frankfurter Versammlung der angestrebten deutschen Ein- Genf. Die Neue Züricher Zeitung meldet aus der Bundesstadt: In dem von J. P. Becker redigirten Bieler Blatt: "die Evolution" [Spaltenumbruch]
punkt den die Frankfurter Verſammlung der angeſtrebten deutſchen Ein- Genf. Die Neue Züricher Zeitung meldet aus der Bundesſtadt: In dem von J. P. Becker redigirten Bieler Blatt: „die Evolution“ <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <div type="jComment" n="4"> <p><pb facs="#f0014" n="1554"/><cb/> punkt den die Frankfurter Verſammlung der angeſtrebten deutſchen Ein-<lb/> heit zu geben unternahm, zu ſehr als eine Theorie und ein Ideal, als daß<lb/> ſie Glauben an denſelben faſſen könnte. Zudem iſt das Bewußtſeyn der<lb/> ehemaligen Zuſammengehörigkeit mit dem Reich vollſtändig und gänzlich<lb/> erloſchen. Um ſo lebhafter iſt die Theilnahme für alles was in Oeſter-<lb/> reich vorgeht; denn Oeſterreich und Frankreich, das ſind die beiden Potenzen<lb/> die ſeit Jahrhunderten in die Geſchicke der Schweiz eingegriffen haben und<lb/> die auch auf die Zukunft der Schweiz den größten Einfluß ausüben werden.<lb/> Während der deutſche Kaiſer als eine leere Abſtraction daſteht, iſt dagegen<lb/> den Schweizern der öſterreichiſche Kaiſer eine Geſtalt mit Fleiſch und Bein,<lb/> ja er iſt ſchlechtweg nur „der Kaiſer.“ Dieſe Anſichten haben namentlich<lb/> in der öſtlichen Schweiz und in den innern Gebirgsländern tiefe Wurzeln;<lb/> hier kommt noch das Intereſſe der Religion und die hiſtoriſche Erinnerung<lb/> dazu. Denn wiewohl die Länder die den Grund zur ſchweizeriſchen Eid-<lb/> genoſſenſchaft gelegt haben, mit dem Haus Habsburg große Kämpfe zu<lb/> beſtehen hatten, ſo hörte doch, ſelbſt nach erlangter Unabhängigkeit, nie-<lb/> mals ein gewiſſes näheres Verhältniß derſelben zu dem genannten Hauſe<lb/> auf. Dieſe innere Verwandtſchaft trat im Sonderbundskriege aufs klarſte<lb/> hervor, und wenn dieſelbe damals auf Irrwege kam die den heutigen ſtaats-<lb/> rechtlichen Begriffen von nationaler Unabhängigkeit widerſtreben, ſo iſt<lb/> vielleicht ebenſo ſehr die jämmerliche Rolle daran ſchuld welche die euro-<lb/> päiſche Diplomatie zu jener Zeit ſpielte, als die extreme Richtung in welche<lb/> die ſieben Stände durch unerhörte Befehdung von Seite der radicalen<lb/> Schweiz hineingetrieben worden waren. Nirgends in der Schweiz wurde<lb/> daher während des öſterreichiſch italieniſchen Kriegs wohl eifriger Partei<lb/> genommen als in Luzern und den Urkantonen; hier hieß es recht eigent-<lb/> lich: <hi rendition="#aq">Tua res agitur paries cum proximus ardet.</hi> Ja die Hoffnungen<lb/> die einige exaltirte Köpfe auf einen Sieg der Oeſterreicher gründeten, liefen<lb/> auf nichts geringeres hinaus als auf eine Intervention Oeſterreichs in der<lb/> Schweiz und Herſtellung des frühern Regiments in den Sonderbunds-<lb/> kontonen — Hoffnungen die nur auf gänzlicher Mißkennung deſſen was<lb/> ſeit einem Jahr in Europa geſchehen iſt und auf der größten Selbſtver-<lb/> blendung beruhen können. Die Theilnahme an den Ereigniſſen in Italien<lb/> und die Spannung auf den Ausgang des Kampfs war übrigens in der<lb/> ganzen Schweiz ſehr groß. Bedeutende Aufregung herrſchte namentlich<lb/> auch in Genf; denn hier und in Bern niſtet, wie bekannt, die Anti-<lb/> neutralitätspartei. In Genf hatte der Agitator Fazy mit einer ſoge-<lb/> nannten Volksverſammlung, in welcher Beſchlüſſe gegen den Fortbeſtand<lb/> der ſchweizeriſchen Militärcapitulationen mit Neapel erlaſſen wurden, die<lb/> Bewegung begonnen. Sein Journal, die „Revue de Genève“, drängte<lb/> ohne Unterlaß auf Betheiligung der Schweiz an dem italieniſchen Kriege<lb/> hin: „unterſtützen müſſe die Schweiz die Freiheitsbeſtrebungen des italie-<lb/> niſchen Volks; durch eine energiſche Initiative könnte ſie die Frage in dem<lb/> Sinn entſcheiden daß der Friede Europa’s für immer geſichert wäre.“<lb/> Als die Nachricht von dem Unterliegen der Piemonteſen eintraf, ſagte das<lb/> genannte Blatt mit einem nicht übeln Wortſpiel: wenn der allgemeine<lb/> Unwille nicht ausbricht, ſo waren wir alle unwürdig der Freiheit <hi rendition="#aq">(si l’in-<lb/> dignation générale n’éclate pas, nous étions tous indignes de la<lb/> liberté).</hi> Dieſe Stimmen fanden ein getreues Echo zu Bern in der<lb/> „Berner Zeitung.“ Nachdem dieſes Blatt die längſte Zeit die abſurdeſten<lb/> Berichte in radical-italieniſchem Sinn vom Kriegsſchauplatz verbreitet<lb/> hatte, brach endlich die Wuth desſelben über die vollſtändige Niederlage<lb/> der piemonteſiſchen Armee in eine wahre Raſerei aus, die ſich in einem<lb/> Artikel mit der Ueberſchrift „die Ariſtokraten immer die gleichen Volks-<lb/> verräther“ Luft machte. Dieſer Artikel ſchloß mit der unverblümten<lb/> Drohung: „So lange es Ariſtokraten gibt hat die Demokratie keinen<lb/> Frieden; das ſollen ſich alle Republicaner merken.“ Die Ariſtokraten,<lb/> freſſerei iſt ein Steckenpferd welches zu Bern ſeit dem Jahr 1831 unauf-<lb/> hörlich und mit vielem Erfolg geritten wurde; daß dieſer publiciſtiſche<lb/> Schlachtgaul noch nicht zu tode getummelt iſt bezeugt der Artikel der<lb/> „Berner Zeitung“, der die Freude über den Sieg der kaiſerlichen Waffen<lb/> als Hochverrath zu ſtempeln verſuchte. Die „Neue Züricher Zeitung“, be-<lb/> kanntlich ein von einem Italiener redigirtes Blatt, war zum voraus reſig-<lb/> nirt und ſah im Geiſt, durch die Ereigniſſe des vergangenen Jahres belehrt,<lb/> eine Unterjochung ganz Italiens durch Oeſterreich voraus. 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Die Bundesverſammlung möge hierüber entſcheiden, wird beigefügt.<lb/> Die „Revue de Genève“ bringt eine Erklärung von Heinzen, in welcher er<lb/> natürlich behauptet, er ſey an alle dem was man ihm vorwirft ſo unſchul-<lb/> dig wie ein Kind; ſie meldet nichts von dem Beſchluſſe der Regierung,<lb/> erklärt ſich aber ganz in dem erwähnten Sinne. (<hi rendition="#g">Basler Ztg</hi>.)</p> </div> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jVarious" n="2"> <div type="jArticle" n="3"><lb/> <p>In dem von J. P. Becker redigirten Bieler Blatt: „die Evolution“<lb/> findet man umſtändliche Argumentationen für die Nothwendigkeit, durch<lb/><hi rendition="#g">Mord,</hi> wo möglich maſſenhaften Mord, zum Ziel der <hi rendition="#g">Humanität</hi> zu<lb/> kommen. So heißt es in einem dieſer (K. 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Wenn wir hören daß<lb/> mit Mordknechten beladene Eiſenbahnzüge durch einen unter die Schienen<lb/> gelegten Fingerhutvoll Knallſilber von der Bahn geworfen, daß unter den<lb/> Pflaſterſteinen gefüllte, mit einem Hahn verſehene Bombenkugeln ange-<lb/> bracht werden welche ganze Compagnien eindringender Barbaren beim<lb/> Auftreten niederreißen, daß vielleicht giftgefüllte, in der Luft zerplatzende<lb/> Behälter Verderben auf ganze Regimenter niederregnen, daß unterirdiſche<lb/> Kammern voll Knallſilber ganze Städte mit 100,000 Mordknechten in die<lb/> Luft ſprengen u. ſ. w., ſo werden wir darin nur Mittel zu erblicken haben<lb/> welche die maſſenhafte Barbarei der Reaction der verzweifelnden Freiheits-<lb/> partei zur Nothwehr aufgedrungen hat. Der mordenden Reaction gegen-<lb/> über ein Gewiſſen haben, heißt gewiſſenlos ſeyn. Sie vernichten auf alle<lb/> Weiſe, mit allen Mitteln, an allen Orten, das drängt ſich uns als Pflicht,<lb/> als Gerechtigkeit, als Humanität auf. Koſſuth war ein Mann von Ener-<lb/> gie, aber Koſſuth hat zu wenig an Erfindungen gedacht, und Koſſuth hat<lb/> das Knallſilber überſehen. Muß man einen halben Welttheil in die Luft<lb/> ſprengen und ein Meer von Blut vergreßen um die Barbarenpartei zu<lb/> ruiniren, ſo ſoll man kein Bedenken tragen. Der hat kein republikani-<lb/> ſches Herz im Leibe, der nicht die Genugthuung eine Million Barba-<lb/> ren unter die Erde zu bringen freudig mit ſeinem Leben bezahlte.</quote></cit></p><lb/> <byline>K. <hi rendition="#g">Heinzen</hi>.</byline><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1554/0014]
punkt den die Frankfurter Verſammlung der angeſtrebten deutſchen Ein-
heit zu geben unternahm, zu ſehr als eine Theorie und ein Ideal, als daß
ſie Glauben an denſelben faſſen könnte. Zudem iſt das Bewußtſeyn der
ehemaligen Zuſammengehörigkeit mit dem Reich vollſtändig und gänzlich
erloſchen. Um ſo lebhafter iſt die Theilnahme für alles was in Oeſter-
reich vorgeht; denn Oeſterreich und Frankreich, das ſind die beiden Potenzen
die ſeit Jahrhunderten in die Geſchicke der Schweiz eingegriffen haben und
die auch auf die Zukunft der Schweiz den größten Einfluß ausüben werden.
Während der deutſche Kaiſer als eine leere Abſtraction daſteht, iſt dagegen
den Schweizern der öſterreichiſche Kaiſer eine Geſtalt mit Fleiſch und Bein,
ja er iſt ſchlechtweg nur „der Kaiſer.“ Dieſe Anſichten haben namentlich
in der öſtlichen Schweiz und in den innern Gebirgsländern tiefe Wurzeln;
hier kommt noch das Intereſſe der Religion und die hiſtoriſche Erinnerung
dazu. Denn wiewohl die Länder die den Grund zur ſchweizeriſchen Eid-
genoſſenſchaft gelegt haben, mit dem Haus Habsburg große Kämpfe zu
beſtehen hatten, ſo hörte doch, ſelbſt nach erlangter Unabhängigkeit, nie-
mals ein gewiſſes näheres Verhältniß derſelben zu dem genannten Hauſe
auf. Dieſe innere Verwandtſchaft trat im Sonderbundskriege aufs klarſte
hervor, und wenn dieſelbe damals auf Irrwege kam die den heutigen ſtaats-
rechtlichen Begriffen von nationaler Unabhängigkeit widerſtreben, ſo iſt
vielleicht ebenſo ſehr die jämmerliche Rolle daran ſchuld welche die euro-
päiſche Diplomatie zu jener Zeit ſpielte, als die extreme Richtung in welche
die ſieben Stände durch unerhörte Befehdung von Seite der radicalen
Schweiz hineingetrieben worden waren. Nirgends in der Schweiz wurde
daher während des öſterreichiſch italieniſchen Kriegs wohl eifriger Partei
genommen als in Luzern und den Urkantonen; hier hieß es recht eigent-
lich: Tua res agitur paries cum proximus ardet. Ja die Hoffnungen
die einige exaltirte Köpfe auf einen Sieg der Oeſterreicher gründeten, liefen
auf nichts geringeres hinaus als auf eine Intervention Oeſterreichs in der
Schweiz und Herſtellung des frühern Regiments in den Sonderbunds-
kontonen — Hoffnungen die nur auf gänzlicher Mißkennung deſſen was
ſeit einem Jahr in Europa geſchehen iſt und auf der größten Selbſtver-
blendung beruhen können. Die Theilnahme an den Ereigniſſen in Italien
und die Spannung auf den Ausgang des Kampfs war übrigens in der
ganzen Schweiz ſehr groß. Bedeutende Aufregung herrſchte namentlich
auch in Genf; denn hier und in Bern niſtet, wie bekannt, die Anti-
neutralitätspartei. In Genf hatte der Agitator Fazy mit einer ſoge-
nannten Volksverſammlung, in welcher Beſchlüſſe gegen den Fortbeſtand
der ſchweizeriſchen Militärcapitulationen mit Neapel erlaſſen wurden, die
Bewegung begonnen. Sein Journal, die „Revue de Genève“, drängte
ohne Unterlaß auf Betheiligung der Schweiz an dem italieniſchen Kriege
hin: „unterſtützen müſſe die Schweiz die Freiheitsbeſtrebungen des italie-
niſchen Volks; durch eine energiſche Initiative könnte ſie die Frage in dem
Sinn entſcheiden daß der Friede Europa’s für immer geſichert wäre.“
Als die Nachricht von dem Unterliegen der Piemonteſen eintraf, ſagte das
genannte Blatt mit einem nicht übeln Wortſpiel: wenn der allgemeine
Unwille nicht ausbricht, ſo waren wir alle unwürdig der Freiheit (si l’in-
dignation générale n’éclate pas, nous étions tous indignes de la
liberté). Dieſe Stimmen fanden ein getreues Echo zu Bern in der
„Berner Zeitung.“ Nachdem dieſes Blatt die längſte Zeit die abſurdeſten
Berichte in radical-italieniſchem Sinn vom Kriegsſchauplatz verbreitet
hatte, brach endlich die Wuth desſelben über die vollſtändige Niederlage
der piemonteſiſchen Armee in eine wahre Raſerei aus, die ſich in einem
Artikel mit der Ueberſchrift „die Ariſtokraten immer die gleichen Volks-
verräther“ Luft machte. Dieſer Artikel ſchloß mit der unverblümten
Drohung: „So lange es Ariſtokraten gibt hat die Demokratie keinen
Frieden; das ſollen ſich alle Republicaner merken.“ Die Ariſtokraten,
freſſerei iſt ein Steckenpferd welches zu Bern ſeit dem Jahr 1831 unauf-
hörlich und mit vielem Erfolg geritten wurde; daß dieſer publiciſtiſche
Schlachtgaul noch nicht zu tode getummelt iſt bezeugt der Artikel der
„Berner Zeitung“, der die Freude über den Sieg der kaiſerlichen Waffen
als Hochverrath zu ſtempeln verſuchte. Die „Neue Züricher Zeitung“, be-
kanntlich ein von einem Italiener redigirtes Blatt, war zum voraus reſig-
nirt und ſah im Geiſt, durch die Ereigniſſe des vergangenen Jahres belehrt,
eine Unterjochung ganz Italiens durch Oeſterreich voraus. Ja ſie hatte
ſich (mirabile dictu) ihrer natürlichen Sympathien ſo ſehr entſchlagen
daß ſie mit bitterer Ironie den „Verfaſſungsfreund“ züchtigte, welcher den
Satz aufgeſtellt hatte, Italien könne nicht unterliegen weil es für eine „Idee“
kämpfe. Den würdigſten Standpunkt hat die „Basler Zeitung“, das gedie-
genſte und wohl auch das verbreitetſte Blatt der Schweiz, eingenommen. Nicht
nur hat dieſelbe die Nachrichten vom Kriegsſchauplatz für die nördliche Schweiz
und für das weſtliche Deutſchland am ſchnellſten gebracht (wobei zu bedauern
iſt daß einige deutſche, namentlich Frankfurter Blätter ſie auf die unlo-
yalſte Art zu plündern ſich nicht geſchämt haben), ſondern ſie hat
ſich auch auf eine Weiſe geäußert welche ebenſo ſehr der militäriſchen
Tüchtigkeit der öſterreichiſchen Armee Gerechtigkeit widerfahren läßt als
die Freiheitsbeſtrebungen Italiens in ihrem wahren Lichte darſtellt. Im
allgemeinen verhält es ſich daher in der Schweiz wie anderswo: die Partei
der Ordnung, der Geſetzlichkeit, des Friedens, der vernünftigen Freiheit
freut ſich über den Sieg der kaiſerlichen Waffen; die Partei der Unord-
nung, der Revolution, des Kriegs, der Anarchie bedauert denſelben.
Genf.
Die Neue Züricher Zeitung meldet aus der Bundesſtadt:
„Die Regierung von Genf eröffnet dem Bundesrath daß ſie von deſſen letz-
ten Circularen keine Notiz nehmen könne, indem nach ihren Geſetzen das
freiwillige Dienſtnehmen im Intereſſe der Freiheit nicht verhindert werden
könne, und indem Heinzen eine ganz unſchuldige und unſchädliche Perſon
ſey. Die Bundesverſammlung möge hierüber entſcheiden, wird beigefügt.
Die „Revue de Genève“ bringt eine Erklärung von Heinzen, in welcher er
natürlich behauptet, er ſey an alle dem was man ihm vorwirft ſo unſchul-
dig wie ein Kind; ſie meldet nichts von dem Beſchluſſe der Regierung,
erklärt ſich aber ganz in dem erwähnten Sinne. (Basler Ztg.)
In dem von J. P. Becker redigirten Bieler Blatt: „die Evolution“
findet man umſtändliche Argumentationen für die Nothwendigkeit, durch
Mord, wo möglich maſſenhaften Mord, zum Ziel der Humanität zu
kommen. So heißt es in einem dieſer (K. Heinzen unterzeichneten) Auf-
ſätze: „Die Dinge müſſen mit ihrem Namen genannt werden und die Wahr-
heit muß ans Licht, mag ſie freundlich oder ſchrecklich ausſehen, mag ſie
die Friedensfarbe tragen oder das Roth des Kriegs. Seyen wir daher
offen und ehrlich, reißen wir den Schleier herab und ſagen wir es mit
nackten Worten heraus was durch Handlungen und durch Drohungen,
durch Blut und durch Qual, durch Kanonen und durch Galgen, durch
Fürſten wie durch Blouſenmänner, durch Croaten wie durch Demokraten
alle Tage, nur unter falſchen Titeln, gepredigt wird: das Hauptmittel
der geſchichtlichen Entwickelung iſt der Mord. Er iſt es bis
jetzt, wird es aber hoffentlich nicht bleiben. Die Männer des Egoismus
beginnen den Mord, die Männer der Ideen erwiedern ihn. Beide mögen
ſich drehen und winden wie ſie wollen, dem Morden oder Gemordetwerden
weichen ſie nicht aus, und die ultima ratio von beiden beſteht einfach darin
den Gegner aus der Welt zu ſchaffen. . . . Unſere Gegner drängen uns mit
mörderiſcher Gewalt die Lehre auf daß es in unſerer Zeit mehr als je auf
die Kunſt ankomme Menſchenleben zu zerſtören. Ferdinand bombardirt
Neapel, Radetzky mordet die Lombarden, Windiſch-Grätz beſchießt Wien,
Jellachich läßt ſeine Croaten in den Eingeweiden der Gemordeten wühlen,
„Olim der Große“ hat alle ſeine Mörder auf dem Poſten, der Czar ſteht
im Hintergrunde mit Hunderttauſenden mordfertiger Geſellen. Sie alle
tragen kein Bedenken ganze Städte zerſtören, ganze Länder ruiniren, die
beſten Menſchen niederſchießen, die Unſchuldigſten morden, Weiber ſchän-
den, Kinder ſpießen, kurz die ganze Beſtialität und Barbarei der Vergan-
genheit wieder aufleben zu laſſen, um — ein paar Throne zu retten und
die Menſchenrechte fern zu halten. Und wir? Die Erfindungen pflegen
mit der ſonſtigen Entwickelung Hand in Hand zu gehen. Unſere Gegner
mit ihren maſſenhaften Zerſtörungsmitteln werden Erfindungen hervorru-
fen wodurch der Vortheil der Zerſtörungskraft den Heeresmaſſen ſtreitig
gemacht wird. Der größte Wohlthäter der Menſchheit wird ſeyn wer es
weniger möglich machte Tauſende niederzuſtrecken. Wenn wir hören daß
mit Mordknechten beladene Eiſenbahnzüge durch einen unter die Schienen
gelegten Fingerhutvoll Knallſilber von der Bahn geworfen, daß unter den
Pflaſterſteinen gefüllte, mit einem Hahn verſehene Bombenkugeln ange-
bracht werden welche ganze Compagnien eindringender Barbaren beim
Auftreten niederreißen, daß vielleicht giftgefüllte, in der Luft zerplatzende
Behälter Verderben auf ganze Regimenter niederregnen, daß unterirdiſche
Kammern voll Knallſilber ganze Städte mit 100,000 Mordknechten in die
Luft ſprengen u. ſ. w., ſo werden wir darin nur Mittel zu erblicken haben
welche die maſſenhafte Barbarei der Reaction der verzweifelnden Freiheits-
partei zur Nothwehr aufgedrungen hat. Der mordenden Reaction gegen-
über ein Gewiſſen haben, heißt gewiſſenlos ſeyn. Sie vernichten auf alle
Weiſe, mit allen Mitteln, an allen Orten, das drängt ſich uns als Pflicht,
als Gerechtigkeit, als Humanität auf. Koſſuth war ein Mann von Ener-
gie, aber Koſſuth hat zu wenig an Erfindungen gedacht, und Koſſuth hat
das Knallſilber überſehen. Muß man einen halben Welttheil in die Luft
ſprengen und ein Meer von Blut vergreßen um die Barbarenpartei zu
ruiniren, ſo ſoll man kein Bedenken tragen. Der hat kein republikani-
ſches Herz im Leibe, der nicht die Genugthuung eine Million Barba-
ren unter die Erde zu bringen freudig mit ſeinem Leben bezahlte.
K. Heinzen.
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(2022-09-09T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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