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Allgemeine Zeitung, Nr. 9, 9. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] dehnung und des Gedankens mit wundervoller Geschwindigkeit durchfliegenden
Feder. Und die beiden Erörterungen gelangen übereinstimmend zu dem Ergebniß:
daß die heutige erfreuliche Lage Italiens zwei Tugenden der Italiener gedankt werde --
ihrer Geduld und ihrem Talent für Ausgleiche (talento di compromesso). Beide
Tugenden würden auch in Zukunft nicht fehlen, und so werde Italien sich aus
allem Ungemach ziehen und alle seine Rechte wahren, ohne mit irgend jemandem sich
zu überwerfen. Alles das klingt recht gut, zumal wenn man nebenbei einen ver-
gleichenden Blick wirft auf das "von Stolz strotzende" Deutschland, "welches die
sichere Festhaltung der von ihm erreichten Machthöhe nur von der unverminderten
Kraft seiner geschlossenen Faust erhofft." Nun hat allerdings ein anderer philo-
sophischer Publicist schon vor geraumer Zeit gesagt: daß die Staaten durch dieselben
Mittel erhalten werden denen sie ihre Entstehung verdanken, und insofern mag es
ganz richtig sein daß, wenn Italien auch fernerhin hübsch geduldig und hübsch ver-
träglich bleibt, es ungefährdet weiter leben wird wie bisher, zumal falls die ge-
schlossene Faust Deutschlands, die denn doch wohl auch neben der italienischen Ge-
duld und dem italienischen Talent für Ausgleiche etwas zum heutigen Wohlbe-
sinden Italiens beigetragen haben dürfte, noch fernerhin die nöthige Kraft bewahrt
um Italien vor der Ungeduld und der Unverträglichkeit anderer zu sichern. Denn
bekanntlich vermag auch der Friedfertigste nicht in Frieden zu leben wenn es dem
bösen Nachbar nicht gefällt. Aber dieses friedliche Gehaben, das sich mit nieman-
dem überwirft -- sollte es der italienischen Nation wirklich auf die Dauer das
Ideal ihres staatlichen Lebens vorstellen können, vorstellen dürfen? Und hat Ita-
lien Grund so sehr mit seinem gegenwärtigen Zustande zufrieden zu sein, daß es
nichts weiter zu wünschen brauchte als im Besitze seiner gegenwärtigen Tugenden,
der Geduld und des Talents für Ausgleiche, zu bleiben? Der italienische Publicist
selbst sagt in einem der beiden erwähnten Aufsätze daß die wahre Ohnmacht der
Individuen und der Nationen in dem Mangel an moralischen Ueberzeugungen bestehe.
Nun kann man sehr viel Geduld und sehr viel Talent für Ausgleiche und dabei
sehr wenige moralische Ueberzeugungen besitzen; ja, es gibt Philosophen die da
meinen daß das Geduldhaben und das Sichausgleichen gerade denen am leichtesten
gelinge welche am wenigsten schwer tragen an Ueberzeugungen. Kein Freund Ita-
liens wird behaupten daß den heutigen Italienern die moralischen Ueberzeugungen
abgehen; vielmehr dürfte, außer der Geduld und dem Talent für Ausgleiche, der
das italienische Volk beseelende schwungvolle Patriotismus, der denn doch wohl
nichts anderes ist als eine moralische Ueberzeugung, auch etwas beigetragen haben
zu der Wiederaufrichtung des italienischen Vaterlandes. Und dieser schwungvolle
Patriotismus wird schwerlich sich immer begnügen wollen mit dem Vaterlande wie
es heute beschaffen ist, mit einem Vaterland welches die Tugenden der Geduld und
der Verträglichkeit üben muß. Keine wirkliche moralische Ueberzeugung ist geduldig
und verträglich. Jede wirkliche moralische Ueberzeugung ist eine solche vielmehr
nur dadurch daß sie kämpft. Und auch Italien wäre nimmermehr wieder aufer-
standen als Nation wenn es nur sich geduldet, nur sich geschickt, wenn es nicht auch
gekämpft hätte. Weil es aber nicht genug gekämpft hat, weil es das meiste dem
Glück oder der klugen Benutzung der äußern Umstände verdankt, darum strotzt es
heute nicht von Stolz wie Deutschland. Doch kein italienischer Patriot wird sich aus-
reden lassen daß es besser für eine Nation sei von Stolz als von Geduld und Ta-
lent für Ausgleiche zu strotzen. Erst wenn Italien mit Genugthuung auf ein Jahr
zurückblicken darf in welchem es noch thatkräftigere Tugenden als Geduld und
Talent für Ausgleiche bewährt hat, erst dann wird es mit vollem Rechte sich zum
neuen Jahr Glück wünschen können; denn erst dann wird es das neue Jahr an-
treten im Vollgefühl der Sicherheit, weil im Vollgefühl jener Kraft die scheinbar
in der geschlossenen Faust, in Wahrheit in dem überzeugten Herzen sitzt.

Griechenland.

Nach dem vorschnellen Siege der Partei Zaimis' in
der Kammer, der den Sturz des Ministeriums Kumunduros zur Folge hatte, war
es nicht schwer vorauszusehen daß auch das nachfolgende Ministerium Zaimis den
Launen einer nicht zu verachtenden Opposition preisgegeben sei, weßhalb denn auch
dasselbe gleich nach jenem parlamentarischen Siege vom König eine Vertagung
der Kammer auf dreißig Tage verlangte und erhielt. Es vergiengen jedoch seither
fünfzig Tage, ohne daß eine Sitzung zu Stande gekommen wäre; die Regierungs-
partei beschuldigte die Opposition des Ausbleibens aus der Kammer, während
diese wieder in dem Nichtzustandekommen der Sitzungen einen Beweis der Schwäche
der Conservativen fand. Endlich traten am verflossenen Montag sämmtliche, auch die
der Opposition angehörenden Deputirten zusammen, und begannen die Wahlen der
verschiedenen Kammerausschüsse vorzunehmen. Doch da zeigte sich gleich beim
ersten Wahlergebniß daß die Regierung die absolute Mehrheit nicht mehr besitze,
und daß die Opposition übereingekommen war derselben eine Niederlage zu bereiten.
Es wurden nämlich die Candidaten der Opposition mit 76 gegen 75 Stimmen ge-
wählt, worauf die Sitzung sich auflöste. Nach diesem so unverhofften Ergebniß
begab sich der Cabinetschef Zaimis zum König, nach einigen um seine Entlassung
einzureichen, nach andern um die Auflösung der Kammer zu verlangen, und im
Weigerungsfalle von seinem Posten zurückzutreten. Nun sind es vier Tage daß
sich dieß begeben hat, und noch ist kein Entschluß des Königs bekannt geworden,
aber auch die Kammer arbeitet nicht. Man hofft daß heute die so wichtige Ent-
scheidung getroffen werden soll, ist aber fast schon überzeugt daß Zaimis, der doch
die gegenwärtige Kammer neugebildet hat, nimmer die Auflösung derselben erhal-
ten werde. Man glaubt vielmehr daß Bulgaris oder Deligeorgis den Auftrag
erhalten werden Cabinet und Kammer neu zu bilden. (Laut Telegramm vom
5 Jan. ist dieser Auftrag dem erstern zugefallen. D. Red.) -- Auf ein Gesuch des
Straßburger Bibliothekars erließ der Metropolitanbischof von Athen, Theophilos,
ein Schreiben an alle Gelehrten etc. ihre sämmtlichen Schriften an ihn behufs Mit-
wirkung zur Errichtung der Straßburger Bibliothek einzuschicken.

Türkei.


Die Pforte promulgirt ein neues Gesetz
nach dem andern, die Turkophilen in Europa erheben den reformfreundlichen
Mahmud Pascha in den Himmel -- aber in der nackten Wirklichkeit wuchert das
alte Elend im Reiche fort und fort. Ein beredtes Zeugniß legt der neueste Befehl
[Spaltenumbruch] des Generalgouverneurs des Donau-Vilajets ab, der unter Strafe den Bulgaren
verbot sich -- Bulgaren zu nennen!! Man möchte für den ersten Augenblick ge-
neigt sein diesen Befehl als einen verunglückten Scherz anzusehen, allein derselbe
ist ein ernstlicher Staatsact! Der Türkei ist so lange nicht zu helfen als sie ihre
Regeneration von den stupiden Paschas, in deren Köpfen die Welt sich auf eine
wunderliche Art spiegelt, erwartet. Nur eine breite Provinzautonomie, an deren
Spitze Christen ständen, könnte die Steine des morfchen Gebäudes noch für einige
Zeit zusammenhalten. Wenn sich aber die Pforte zu diesem kühn en und hoch-
herzigen Entschluß nicht aufraffen kann, so ist es aller Wahrscheinlich keit nach um
die Zukunft des osmanischen Staates geschehen. Eine eigenthümliche Furcht be-
schleicht die sultanische Regierung wegen der vermeintlichen Plane Serbiens und
Montenegro's. Um einen plausiblen Grund für die Concentrirung größerer Militär-
massen und die Aufführung neuer Fortificationen in Bosnien und der Herzeg owina zu
finden, läßt sich der Großwessir aus Mostar (in der Herzogewina) über gefährliche
Wühlereien des Fürsten Nikitza in der letztern Provinz berichten, und zugleich die
Beschuldigung gegen Serbien aufstellen daß es nur auf die erste günstige Gelegen-
heit warte um seinen Brüdern hülfreiche Hand zu leisten. Daß Serbien
(Montenegro kommt dabei weniger in Betracht) die Mission in sich efühlt die serbisch
nationale Freiheit auf der Balkanhalbinsel wiederherzustellen -- ist kein Geheim-
niß, und erst in der letzten Thronrede erklärte freimüthig und edel die Regentschaft:
"Serbien bleibt auch ferner der Wächter der Rechte der Christen auf der Hämus-
Halbinsel." Allein daß die Regentschaft die Absicht hätte den europäischen Frieden
zu stören -- ist ganz und gar unwahrscheinlich. Wie Preußen's ehemals, so ist das
Losungswort Serbiens: "Wir können warten." Michael Obrenowitschs III Wahl-
spruch war: "Tempus et meum jus" -- und das ist auch die Devise des serbi-
schen Staates geworden. Aber die Pforte will fernere Attentate auf die provincielle
Autonomie der Serben in Bosnien und der Herzegowina machen, und für diesen
Gewaltact sucht sie einen plausiblen Vorwand. Se. Hoheit der Großwessir möge
doch nicht glauben daß er jemanden hinters Licht führen kann!

Mexico.

* Es liegen Anzeichen vor -- schreibt man der "Morning-Post unter dem
9 Dec. -- daß die Revolution ihren Höhepunkt erreicht hat, und daß wir bald
ihre Verminderung und ihr Erlöschen wahrnehmen werden. Mittlerweile machen
wir uns im ganzen wenig Sorge um die Sache. Mexico ist ein faules Land, und
jeder der erst einige Jahre in demselben ansässig ist, fühlt wie er selbst allmählich
auch lässig wird und die Dinge des Lebens mit Gleichmuth an sich herankommen
läßt. In den Cafes und an den gastlichen Tischen der hier wohnenden Auslän-
der ist von amerikanischer Intervention und Annectirung die Rede gewesen, in-
dessen ist sehr wenig Grund zu der Ansicht vorhanden daß es zum einen oder an-
dern von beiden kommen sollte. Allerdings schieben die Amerikaner zwei Bahn-
strecken gegen unsere Nordgränze vor, allein es muß noch manches Jahr verlan-
fen ehe diese Strecken bis auf mexicanisches Gebiet fortgeführt werden. Was
den Berichterstatter am meisten amüsirt wenn er dergleichen Unterhaltungen mit
anhört, ist das von allen Amerikanern nachträglich ausgesprochene Bedauern
darüber daß ihre Regierung die Republik gegen Maximilian unterstützte. "Mir
scheint als haben wir uns da stark verfahren -- sagte mir ein sehr geriebener Yankee erst
vor einigen Tagen -- wir hätten den Kaiser gewähren lassen sollen, und wahrschein-
lich hätte er jetzt allmählich diese Schmierfinken in ertragliche Ordnung gebracht."
Das Manifest des Generals Porfirio Diaz, des Führers der Erhebung, wird unter an-
erem ferner berichtet, hat weder ihm noch seiner Sache in der Hauptstadt viel genützt.
Die Feinde der Regierung im Congreß sind sehr bitter, und schrecken vor nichts zurück
wo es gilt die Regierung zu schädigen, aber keiner hat es für gerathen erachtet ein
Wort des Lobes für einen revolutionären Führer zu sprechen der im selben Athem
erklärt: er kämpfe für die Constitution von 1857, und das erste Ergebniß seines
Sieges solle die Abschaffung der Hauptgrund bestimmungen jenes Actenstückes sein.
In dem heutigen Congreß sitzen viele bedeutende Talente, auch unter der haupt-
städtischen Presse gibt es sehr begabte Männer, allein auf Seiten der Juaristen
sowohl als unter der Opposition herrscht der unselige Geist der Verdächtigung und
des Mißtrauens, welcher ein Charakterzug bei allen Politikern der lateimschen
Race ist, und alles einige und harmonische Zusammenwirken selbst unter Mitglie-
dern derselben Partei ausschließt. Ich zweifle ob selbst der Präsident und seine
Minister zu einander Vertrauen haben. Jeder hat einigen Verdacht gegen die
übrigen, und der Präsident beargwöhnt alle zusammen. Die Rebellen haben ohne
Frage durch die Einnahme von Saltillo, welches am 5 Abends capitulirte, einen
großen Vortheil errungen. Die Garnison, welche aus 1600 Mann bestand, hatte
lange tapferen Widerstand geleistet. Am 28 Nov. war es dem General Treviro, dem
Führer der Belagerer, gelungen in heißem Kampf um jeden Fußbreit Bodens
den größten Theil der Stadt in seine Gewalt zu bringen. Die Besatzung zog sich
in die von den Franzosen in der Vorstadt errichtete Citadelle zurück. Quiroga,
Treviro's Unterbefehlshaber, schloß dieses Werk eng ein und schnitt ihm das Trink-
wasser ab. Bis zum 5 tobte der Kampf noch unter fortwährenden blutigen Aus-
fällen fort, bei welchen beide Parteien mit großer Wuth fochten; dann sandte der
Befehlshaber der Besatzung einen Parlamentär an Treviro, und in einigen Stun-
den wurde die Uebergabe unter der Bedingung vereinbart daß die Capitulirenden
ohne Waffen und Munition auf Ehrenwort freien Abzug erhielten. Treviro gab
seinen Truppen nur einen Tag Rast, und rückte dann auf San Luis Potosi zu.
Mittlerweile trat aber eine neue Wendung in der Rebellion ein. Bisher hatten
sich diese Aufständischen für Anhänger der Sache des Porfirio Diaz erklärt. Nun
aber ließen sich die Staaten San Luis und Guanajuato dahin vernehmen: ihr Pro-
nunciamiento sei sowohl gegen Diaz als gegen Juarez zu Gunsten von Lerdo de
Tejada veranstaltet. Diese ganze Zeit über hatte man in Mexico selbst über den
Ausgang der von General Alatorre gegen Diaz unternommenen Operationen keine
Nachricht. Amtliche Berichte fehlen ganz, und die Gerüchte sind äußerst wider-
sprechender und verwirrender Natur. Auf der einen Seite wird behauptet:
Diaz gewinne von Tag zu Tag an Macht dadurch daß sich die Truppen Ala-
torre's durch vielfache Desertionen vermindern, und daß die Regierungstruppen
überhaupt nicht in der Lage seien dem Feinde die Stirne zu bieten. Es schien letz-
teres eine gewisse Bestätigung dadurch zu gewinnen daß sich eine von Alatorre's
Colonnen zurückzog. Andererseits wird von der Regierungspartei versichert: Diaz
werde von seinen Anhängern verlassen. Er gebiete nur noch über das Spottge-
bilde eines Heeres, und Alatorre werde ihn ganz gewiß einfangen. Auch im
Congreß wurde die Revolution so klein als möglich gemacht, und von dem Prä-
sidenten auf Rechnung des gekränkten Ehrgeizes einiger Führer geschrieben. Der
Congreß war in guter Laune und geneigt dieser Ansicht beizupflichten.

[Spaltenumbruch] dehnung und des Gedankens mit wundervoller Geſchwindigkeit durchfliegenden
Feder. Und die beiden Erörterungen gelangen übereinſtimmend zu dem Ergebniß:
daß die heutige erfreuliche Lage Italiens zwei Tugenden der Italiener gedankt werde —
ihrer Geduld und ihrem Talent für Ausgleiche (talento di compromesso). Beide
Tugenden würden auch in Zukunft nicht fehlen, und ſo werde Italien ſich aus
allem Ungemach ziehen und alle ſeine Rechte wahren, ohne mit irgend jemandem ſich
zu überwerfen. Alles das klingt recht gut, zumal wenn man nebenbei einen ver-
gleichenden Blick wirft auf das „von Stolz ſtrotzende“ Deutſchland, „welches die
ſichere Feſthaltung der von ihm erreichten Machthöhe nur von der unverminderten
Kraft ſeiner geſchloſſenen Fauſt erhofft.“ Nun hat allerdings ein anderer philo-
ſophiſcher Publiciſt ſchon vor geraumer Zeit geſagt: daß die Staaten durch dieſelben
Mittel erhalten werden denen ſie ihre Entſtehung verdanken, und inſofern mag es
ganz richtig ſein daß, wenn Italien auch fernerhin hübſch geduldig und hübſch ver-
träglich bleibt, es ungefährdet weiter leben wird wie bisher, zumal falls die ge-
ſchloſſene Fauſt Deutſchlands, die denn doch wohl auch neben der italieniſchen Ge-
duld und dem italieniſchen Talent für Ausgleiche etwas zum heutigen Wohlbe-
ſinden Italiens beigetragen haben dürfte, noch fernerhin die nöthige Kraft bewahrt
um Italien vor der Ungeduld und der Unverträglichkeit anderer zu ſichern. Denn
bekanntlich vermag auch der Friedfertigſte nicht in Frieden zu leben wenn es dem
böſen Nachbar nicht gefällt. Aber dieſes friedliche Gehaben, das ſich mit nieman-
dem überwirft — ſollte es der italieniſchen Nation wirklich auf die Dauer das
Ideal ihres ſtaatlichen Lebens vorſtellen können, vorſtellen dürfen? Und hat Ita-
lien Grund ſo ſehr mit ſeinem gegenwärtigen Zuſtande zufrieden zu ſein, daß es
nichts weiter zu wünſchen brauchte als im Beſitze ſeiner gegenwärtigen Tugenden,
der Geduld und des Talents für Ausgleiche, zu bleiben? Der italieniſche Publiciſt
ſelbſt ſagt in einem der beiden erwähnten Aufſätze daß die wahre Ohnmacht der
Individuen und der Nationen in dem Mangel an moraliſchen Ueberzeugungen beſtehe.
Nun kann man ſehr viel Geduld und ſehr viel Talent für Ausgleiche und dabei
ſehr wenige moraliſche Ueberzeugungen beſitzen; ja, es gibt Philoſophen die da
meinen daß das Geduldhaben und das Sichausgleichen gerade denen am leichteſten
gelinge welche am wenigſten ſchwer tragen an Ueberzeugungen. Kein Freund Ita-
liens wird behaupten daß den heutigen Italienern die moraliſchen Ueberzeugungen
abgehen; vielmehr dürfte, außer der Geduld und dem Talent für Ausgleiche, der
das italieniſche Volk beſeelende ſchwungvolle Patriotismus, der denn doch wohl
nichts anderes iſt als eine moraliſche Ueberzeugung, auch etwas beigetragen haben
zu der Wiederaufrichtung des italieniſchen Vaterlandes. Und dieſer ſchwungvolle
Patriotismus wird ſchwerlich ſich immer begnügen wollen mit dem Vaterlande wie
es heute beſchaffen iſt, mit einem Vaterland welches die Tugenden der Geduld und
der Verträglichkeit üben muß. Keine wirkliche moraliſche Ueberzeugung iſt geduldig
und verträglich. Jede wirkliche moraliſche Ueberzeugung iſt eine ſolche vielmehr
nur dadurch daß ſie kämpft. Und auch Italien wäre nimmermehr wieder aufer-
ſtanden als Nation wenn es nur ſich geduldet, nur ſich geſchickt, wenn es nicht auch
gekämpft hätte. Weil es aber nicht genug gekämpft hat, weil es das meiſte dem
Glück oder der klugen Benutzung der äußern Umſtände verdankt, darum ſtrotzt es
heute nicht von Stolz wie Deutſchland. Doch kein italieniſcher Patriot wird ſich aus-
reden laſſen daß es beſſer für eine Nation ſei von Stolz als von Geduld und Ta-
lent für Ausgleiche zu ſtrotzen. Erſt wenn Italien mit Genugthuung auf ein Jahr
zurückblicken darf in welchem es noch thatkräftigere Tugenden als Geduld und
Talent für Ausgleiche bewährt hat, erſt dann wird es mit vollem Rechte ſich zum
neuen Jahr Glück wünſchen können; denn erſt dann wird es das neue Jahr an-
treten im Vollgefühl der Sicherheit, weil im Vollgefühl jener Kraft die ſcheinbar
in der geſchloſſenen Fauſt, in Wahrheit in dem überzeugten Herzen ſitzt.

Griechenland.

Nach dem vorſchnellen Siege der Partei Zaimis’ in
der Kammer, der den Sturz des Miniſteriums Kumunduros zur Folge hatte, war
es nicht ſchwer vorauszuſehen daß auch das nachfolgende Miniſterium Zaimis den
Launen einer nicht zu verachtenden Oppoſition preisgegeben ſei, weßhalb denn auch
dasſelbe gleich nach jenem parlamentariſchen Siege vom König eine Vertagung
der Kammer auf dreißig Tage verlangte und erhielt. Es vergiengen jedoch ſeither
fünfzig Tage, ohne daß eine Sitzung zu Stande gekommen wäre; die Regierungs-
partei beſchuldigte die Oppoſition des Ausbleibens aus der Kammer, während
dieſe wieder in dem Nichtzuſtandekommen der Sitzungen einen Beweis der Schwäche
der Conſervativen fand. Endlich traten am verfloſſenen Montag ſämmtliche, auch die
der Oppoſition angehörenden Deputirten zuſammen, und begannen die Wahlen der
verſchiedenen Kammerausſchüſſe vorzunehmen. Doch da zeigte ſich gleich beim
erſten Wahlergebniß daß die Regierung die abſolute Mehrheit nicht mehr beſitze,
und daß die Oppoſition übereingekommen war derſelben eine Niederlage zu bereiten.
Es wurden nämlich die Candidaten der Oppoſition mit 76 gegen 75 Stimmen ge-
wählt, worauf die Sitzung ſich auflöste. Nach dieſem ſo unverhofften Ergebniß
begab ſich der Cabinetschef Zaimis zum König, nach einigen um ſeine Entlaſſung
einzureichen, nach andern um die Auflöſung der Kammer zu verlangen, und im
Weigerungsfalle von ſeinem Poſten zurückzutreten. Nun ſind es vier Tage daß
ſich dieß begeben hat, und noch iſt kein Entſchluß des Königs bekannt geworden,
aber auch die Kammer arbeitet nicht. Man hofft daß heute die ſo wichtige Ent-
ſcheidung getroffen werden ſoll, iſt aber faſt ſchon überzeugt daß Zaimis, der doch
die gegenwärtige Kammer neugebildet hat, nimmer die Auflöſung derſelben erhal-
ten werde. Man glaubt vielmehr daß Bulgaris oder Deligeorgis den Auftrag
erhalten werden Cabinet und Kammer neu zu bilden. (Laut Telegramm vom
5 Jan. iſt dieſer Auftrag dem erſtern zugefallen. D. Red.) — Auf ein Geſuch des
Straßburger Bibliothekars erließ der Metropolitanbiſchof von Athen, Theophilos,
ein Schreiben an alle Gelehrten ꝛc. ihre ſämmtlichen Schriften an ihn behufs Mit-
wirkung zur Errichtung der Straßburger Bibliothek einzuſchicken.

Türkei.


Die Pforte promulgirt ein neues Geſetz
nach dem andern, die Turkophilen in Europa erheben den reformfreundlichen
Mahmud Paſcha in den Himmel — aber in der nackten Wirklichkeit wuchert das
alte Elend im Reiche fort und fort. Ein beredtes Zeugniß legt der neueſte Befehl
[Spaltenumbruch] des Generalgouverneurs des Donau-Vilajets ab, der unter Strafe den Bulgaren
verbot ſich — Bulgaren zu nennen!! Man möchte für den erſten Augenblick ge-
neigt ſein dieſen Befehl als einen verunglückten Scherz anzuſehen, allein derſelbe
iſt ein ernſtlicher Staatsact! Der Türkei iſt ſo lange nicht zu helfen als ſie ihre
Regeneration von den ſtupiden Paſchas, in deren Köpfen die Welt ſich auf eine
wunderliche Art ſpiegelt, erwartet. Nur eine breite Provinzautonomie, an deren
Spitze Chriſten ſtänden, könnte die Steine des morfchen Gebäudes noch für einige
Zeit zuſammenhalten. Wenn ſich aber die Pforte zu dieſem kühn en und hoch-
herzigen Entſchluß nicht aufraffen kann, ſo iſt es aller Wahrſcheinlich keit nach um
die Zukunft des osmaniſchen Staates geſchehen. Eine eigenthümliche Furcht be-
ſchleicht die ſultaniſche Regierung wegen der vermeintlichen Plane Serbiens und
Montenegro’s. Um einen plauſiblen Grund für die Concentrirung größerer Militär-
maſſen und die Aufführung neuer Fortificationen in Bosnien und der Herzeg owina zu
finden, läßt ſich der Großweſſir aus Moſtar (in der Herzogewina) über gefährliche
Wühlereien des Fürſten Nikitza in der letztern Provinz berichten, und zugleich die
Beſchuldigung gegen Serbien aufſtellen daß es nur auf die erſte günſtige Gelegen-
heit warte um ſeinen Brüdern hülfreiche Hand zu leiſten. Daß Serbien
(Montenegro kommt dabei weniger in Betracht) die Miſſion in ſich efühlt die ſerbiſch
nationale Freiheit auf der Balkanhalbinſel wiederherzuſtellen — iſt kein Geheim-
niß, und erſt in der letzten Thronrede erklärte freimüthig und edel die Regentſchaft:
„Serbien bleibt auch ferner der Wächter der Rechte der Chriſten auf der Hämus-
Halbinſel.“ Allein daß die Regentſchaft die Abſicht hätte den europäiſchen Frieden
zu ſtören — iſt ganz und gar unwahrſcheinlich. Wie Preußen’s ehemals, ſo iſt das
Loſungswort Serbiens: „Wir können warten.“ Michael Obrenowitſchs III Wahl-
ſpruch war: „Tempus et meum jus“ — und das iſt auch die Deviſe des ſerbi-
ſchen Staates geworden. Aber die Pforte will fernere Attentate auf die provincielle
Autonomie der Serben in Bosnien und der Herzegowina machen, und für dieſen
Gewaltact ſucht ſie einen plauſiblen Vorwand. Se. Hoheit der Großweſſir möge
doch nicht glauben daß er jemanden hinters Licht führen kann!

Mexico.

* Es liegen Anzeichen vor — ſchreibt man der „Morning-Poſt unter dem
9 Dec. — daß die Revolution ihren Höhepunkt erreicht hat, und daß wir bald
ihre Verminderung und ihr Erlöſchen wahrnehmen werden. Mittlerweile machen
wir uns im ganzen wenig Sorge um die Sache. Mexico iſt ein faules Land, und
jeder der erſt einige Jahre in demſelben anſäſſig iſt, fühlt wie er ſelbſt allmählich
auch läſſig wird und die Dinge des Lebens mit Gleichmuth an ſich herankommen
läßt. In den Cafes und an den gaſtlichen Tiſchen der hier wohnenden Auslän-
der iſt von amerikaniſcher Intervention und Annectirung die Rede geweſen, in-
deſſen iſt ſehr wenig Grund zu der Anſicht vorhanden daß es zum einen oder an-
dern von beiden kommen ſollte. Allerdings ſchieben die Amerikaner zwei Bahn-
ſtrecken gegen unſere Nordgränze vor, allein es muß noch manches Jahr verlan-
fen ehe dieſe Strecken bis auf mexicaniſches Gebiet fortgeführt werden. Was
den Berichterſtatter am meiſten amüſirt wenn er dergleichen Unterhaltungen mit
anhört, iſt das von allen Amerikanern nachträglich ausgeſprochene Bedauern
darüber daß ihre Regierung die Republik gegen Maximilian unterſtützte. „Mir
ſcheint als haben wir uns da ſtark verfahren — ſagte mir ein ſehr geriebener Yankee erſt
vor einigen Tagen — wir hätten den Kaiſer gewähren laſſen ſollen, und wahrſchein-
lich hätte er jetzt allmählich dieſe Schmierfinken in ertragliche Ordnung gebracht.“
Das Manifeſt des Generals Porfirio Diaz, des Führers der Erhebung, wird unter an-
erem ferner berichtet, hat weder ihm noch ſeiner Sache in der Hauptſtadt viel genützt.
Die Feinde der Regierung im Congreß ſind ſehr bitter, und ſchrecken vor nichts zurück
wo es gilt die Regierung zu ſchädigen, aber keiner hat es für gerathen erachtet ein
Wort des Lobes für einen revolutionären Führer zu ſprechen der im ſelben Athem
erklärt: er kämpfe für die Conſtitution von 1857, und das erſte Ergebniß ſeines
Sieges ſolle die Abſchaffung der Hauptgrund beſtimmungen jenes Actenſtückes ſein.
In dem heutigen Congreß ſitzen viele bedeutende Talente, auch unter der haupt-
ſtädtiſchen Preſſe gibt es ſehr begabte Männer, allein auf Seiten der Juariſten
ſowohl als unter der Oppoſition herrſcht der unſelige Geiſt der Verdächtigung und
des Mißtrauens, welcher ein Charakterzug bei allen Politikern der lateimſchen
Race iſt, und alles einige und harmoniſche Zuſammenwirken ſelbſt unter Mitglie-
dern derſelben Partei ausſchließt. Ich zweifle ob ſelbſt der Präſident und ſeine
Miniſter zu einander Vertrauen haben. Jeder hat einigen Verdacht gegen die
übrigen, und der Präſident beargwöhnt alle zuſammen. Die Rebellen haben ohne
Frage durch die Einnahme von Saltillo, welches am 5 Abends capitulirte, einen
großen Vortheil errungen. Die Garniſon, welche aus 1600 Mann beſtand, hatte
lange tapferen Widerſtand geleiſtet. Am 28 Nov. war es dem General Treviro, dem
Führer der Belagerer, gelungen in heißem Kampf um jeden Fußbreit Bodens
den größten Theil der Stadt in ſeine Gewalt zu bringen. Die Beſatzung zog ſich
in die von den Franzoſen in der Vorſtadt errichtete Citadelle zurück. Quiroga,
Treviro’s Unterbefehlshaber, ſchloß dieſes Werk eng ein und ſchnitt ihm das Trink-
waſſer ab. Bis zum 5 tobte der Kampf noch unter fortwährenden blutigen Aus-
fällen fort, bei welchen beide Parteien mit großer Wuth fochten; dann ſandte der
Befehlshaber der Beſatzung einen Parlamentär an Treviro, und in einigen Stun-
den wurde die Uebergabe unter der Bedingung vereinbart daß die Capitulirenden
ohne Waffen und Munition auf Ehrenwort freien Abzug erhielten. Treviro gab
ſeinen Truppen nur einen Tag Raſt, und rückte dann auf San Luis Potoſí zu.
Mittlerweile trat aber eine neue Wendung in der Rebellion ein. Bisher hatten
ſich dieſe Aufſtändiſchen für Anhänger der Sache des Porfirio Diaz erklärt. Nun
aber ließen ſich die Staaten San Luis und Guanajuato dahin vernehmen: ihr Pro-
nunciamiento ſei ſowohl gegen Diaz als gegen Juarez zu Gunſten von Lerdo de
Tejada veranſtaltet. Dieſe ganze Zeit über hatte man in Mexico ſelbſt über den
Ausgang der von General Alatorre gegen Diaz unternommenen Operationen keine
Nachricht. Amtliche Berichte fehlen ganz, und die Gerüchte ſind äußerſt wider-
ſprechender und verwirrender Natur. Auf der einen Seite wird behauptet:
Diaz gewinne von Tag zu Tag an Macht dadurch daß ſich die Truppen Ala-
torre’s durch vielfache Deſertionen vermindern, und daß die Regierungstruppen
überhaupt nicht in der Lage ſeien dem Feinde die Stirne zu bieten. Es ſchien letz-
teres eine gewiſſe Beſtätigung dadurch zu gewinnen daß ſich eine von Alatorre’s
Colonnen zurückzog. Andererſeits wird von der Regierungspartei verſichert: Diaz
werde von ſeinen Anhängern verlaſſen. Er gebiete nur noch über das Spottge-
bilde eines Heeres, und Alatorre werde ihn ganz gewiß einfangen. Auch im
Congreß wurde die Revolution ſo klein als möglich gemacht, und von dem Prä-
ſidenten auf Rechnung des gekränkten Ehrgeizes einiger Führer geſchrieben. Der
Congreß war in guter Laune und geneigt dieſer Anſicht beizupflichten.

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Mahmud Pa&#x017F;cha in den Himmel &#x2014; aber in der nackten Wirklichkeit wuchert das<lb/>
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Montenegro&#x2019;s. Um einen plau&#x017F;iblen Grund für die Concentrirung größerer Militär-<lb/>
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[119/0007] dehnung und des Gedankens mit wundervoller Geſchwindigkeit durchfliegenden Feder. Und die beiden Erörterungen gelangen übereinſtimmend zu dem Ergebniß: daß die heutige erfreuliche Lage Italiens zwei Tugenden der Italiener gedankt werde — ihrer Geduld und ihrem Talent für Ausgleiche (talento di compromesso). Beide Tugenden würden auch in Zukunft nicht fehlen, und ſo werde Italien ſich aus allem Ungemach ziehen und alle ſeine Rechte wahren, ohne mit irgend jemandem ſich zu überwerfen. Alles das klingt recht gut, zumal wenn man nebenbei einen ver- gleichenden Blick wirft auf das „von Stolz ſtrotzende“ Deutſchland, „welches die ſichere Feſthaltung der von ihm erreichten Machthöhe nur von der unverminderten Kraft ſeiner geſchloſſenen Fauſt erhofft.“ Nun hat allerdings ein anderer philo- ſophiſcher Publiciſt ſchon vor geraumer Zeit geſagt: daß die Staaten durch dieſelben Mittel erhalten werden denen ſie ihre Entſtehung verdanken, und inſofern mag es ganz richtig ſein daß, wenn Italien auch fernerhin hübſch geduldig und hübſch ver- träglich bleibt, es ungefährdet weiter leben wird wie bisher, zumal falls die ge- ſchloſſene Fauſt Deutſchlands, die denn doch wohl auch neben der italieniſchen Ge- duld und dem italieniſchen Talent für Ausgleiche etwas zum heutigen Wohlbe- ſinden Italiens beigetragen haben dürfte, noch fernerhin die nöthige Kraft bewahrt um Italien vor der Ungeduld und der Unverträglichkeit anderer zu ſichern. Denn bekanntlich vermag auch der Friedfertigſte nicht in Frieden zu leben wenn es dem böſen Nachbar nicht gefällt. Aber dieſes friedliche Gehaben, das ſich mit nieman- dem überwirft — ſollte es der italieniſchen Nation wirklich auf die Dauer das Ideal ihres ſtaatlichen Lebens vorſtellen können, vorſtellen dürfen? Und hat Ita- lien Grund ſo ſehr mit ſeinem gegenwärtigen Zuſtande zufrieden zu ſein, daß es nichts weiter zu wünſchen brauchte als im Beſitze ſeiner gegenwärtigen Tugenden, der Geduld und des Talents für Ausgleiche, zu bleiben? Der italieniſche Publiciſt ſelbſt ſagt in einem der beiden erwähnten Aufſätze daß die wahre Ohnmacht der Individuen und der Nationen in dem Mangel an moraliſchen Ueberzeugungen beſtehe. Nun kann man ſehr viel Geduld und ſehr viel Talent für Ausgleiche und dabei ſehr wenige moraliſche Ueberzeugungen beſitzen; ja, es gibt Philoſophen die da meinen daß das Geduldhaben und das Sichausgleichen gerade denen am leichteſten gelinge welche am wenigſten ſchwer tragen an Ueberzeugungen. Kein Freund Ita- liens wird behaupten daß den heutigen Italienern die moraliſchen Ueberzeugungen abgehen; vielmehr dürfte, außer der Geduld und dem Talent für Ausgleiche, der das italieniſche Volk beſeelende ſchwungvolle Patriotismus, der denn doch wohl nichts anderes iſt als eine moraliſche Ueberzeugung, auch etwas beigetragen haben zu der Wiederaufrichtung des italieniſchen Vaterlandes. Und dieſer ſchwungvolle Patriotismus wird ſchwerlich ſich immer begnügen wollen mit dem Vaterlande wie es heute beſchaffen iſt, mit einem Vaterland welches die Tugenden der Geduld und der Verträglichkeit üben muß. Keine wirkliche moraliſche Ueberzeugung iſt geduldig und verträglich. Jede wirkliche moraliſche Ueberzeugung iſt eine ſolche vielmehr nur dadurch daß ſie kämpft. Und auch Italien wäre nimmermehr wieder aufer- ſtanden als Nation wenn es nur ſich geduldet, nur ſich geſchickt, wenn es nicht auch gekämpft hätte. Weil es aber nicht genug gekämpft hat, weil es das meiſte dem Glück oder der klugen Benutzung der äußern Umſtände verdankt, darum ſtrotzt es heute nicht von Stolz wie Deutſchland. Doch kein italieniſcher Patriot wird ſich aus- reden laſſen daß es beſſer für eine Nation ſei von Stolz als von Geduld und Ta- lent für Ausgleiche zu ſtrotzen. Erſt wenn Italien mit Genugthuung auf ein Jahr zurückblicken darf in welchem es noch thatkräftigere Tugenden als Geduld und Talent für Ausgleiche bewährt hat, erſt dann wird es mit vollem Rechte ſich zum neuen Jahr Glück wünſchen können; denn erſt dann wird es das neue Jahr an- treten im Vollgefühl der Sicherheit, weil im Vollgefühl jener Kraft die ſcheinbar in der geſchloſſenen Fauſt, in Wahrheit in dem überzeugten Herzen ſitzt. Griechenland. ☉ Athen, 30 Dec. Nach dem vorſchnellen Siege der Partei Zaimis’ in der Kammer, der den Sturz des Miniſteriums Kumunduros zur Folge hatte, war es nicht ſchwer vorauszuſehen daß auch das nachfolgende Miniſterium Zaimis den Launen einer nicht zu verachtenden Oppoſition preisgegeben ſei, weßhalb denn auch dasſelbe gleich nach jenem parlamentariſchen Siege vom König eine Vertagung der Kammer auf dreißig Tage verlangte und erhielt. Es vergiengen jedoch ſeither fünfzig Tage, ohne daß eine Sitzung zu Stande gekommen wäre; die Regierungs- partei beſchuldigte die Oppoſition des Ausbleibens aus der Kammer, während dieſe wieder in dem Nichtzuſtandekommen der Sitzungen einen Beweis der Schwäche der Conſervativen fand. Endlich traten am verfloſſenen Montag ſämmtliche, auch die der Oppoſition angehörenden Deputirten zuſammen, und begannen die Wahlen der verſchiedenen Kammerausſchüſſe vorzunehmen. Doch da zeigte ſich gleich beim erſten Wahlergebniß daß die Regierung die abſolute Mehrheit nicht mehr beſitze, und daß die Oppoſition übereingekommen war derſelben eine Niederlage zu bereiten. Es wurden nämlich die Candidaten der Oppoſition mit 76 gegen 75 Stimmen ge- wählt, worauf die Sitzung ſich auflöste. Nach dieſem ſo unverhofften Ergebniß begab ſich der Cabinetschef Zaimis zum König, nach einigen um ſeine Entlaſſung einzureichen, nach andern um die Auflöſung der Kammer zu verlangen, und im Weigerungsfalle von ſeinem Poſten zurückzutreten. Nun ſind es vier Tage daß ſich dieß begeben hat, und noch iſt kein Entſchluß des Königs bekannt geworden, aber auch die Kammer arbeitet nicht. Man hofft daß heute die ſo wichtige Ent- ſcheidung getroffen werden ſoll, iſt aber faſt ſchon überzeugt daß Zaimis, der doch die gegenwärtige Kammer neugebildet hat, nimmer die Auflöſung derſelben erhal- ten werde. Man glaubt vielmehr daß Bulgaris oder Deligeorgis den Auftrag erhalten werden Cabinet und Kammer neu zu bilden. (Laut Telegramm vom 5 Jan. iſt dieſer Auftrag dem erſtern zugefallen. D. Red.) — Auf ein Geſuch des Straßburger Bibliothekars erließ der Metropolitanbiſchof von Athen, Theophilos, ein Schreiben an alle Gelehrten ꝛc. ihre ſämmtlichen Schriften an ihn behufs Mit- wirkung zur Errichtung der Straßburger Bibliothek einzuſchicken. Türkei. &#xfffc; Aus der Türkei, 26. Dec. Die Pforte promulgirt ein neues Geſetz nach dem andern, die Turkophilen in Europa erheben den reformfreundlichen Mahmud Paſcha in den Himmel — aber in der nackten Wirklichkeit wuchert das alte Elend im Reiche fort und fort. Ein beredtes Zeugniß legt der neueſte Befehl des Generalgouverneurs des Donau-Vilajets ab, der unter Strafe den Bulgaren verbot ſich — Bulgaren zu nennen!! Man möchte für den erſten Augenblick ge- neigt ſein dieſen Befehl als einen verunglückten Scherz anzuſehen, allein derſelbe iſt ein ernſtlicher Staatsact! Der Türkei iſt ſo lange nicht zu helfen als ſie ihre Regeneration von den ſtupiden Paſchas, in deren Köpfen die Welt ſich auf eine wunderliche Art ſpiegelt, erwartet. Nur eine breite Provinzautonomie, an deren Spitze Chriſten ſtänden, könnte die Steine des morfchen Gebäudes noch für einige Zeit zuſammenhalten. Wenn ſich aber die Pforte zu dieſem kühn en und hoch- herzigen Entſchluß nicht aufraffen kann, ſo iſt es aller Wahrſcheinlich keit nach um die Zukunft des osmaniſchen Staates geſchehen. Eine eigenthümliche Furcht be- ſchleicht die ſultaniſche Regierung wegen der vermeintlichen Plane Serbiens und Montenegro’s. Um einen plauſiblen Grund für die Concentrirung größerer Militär- maſſen und die Aufführung neuer Fortificationen in Bosnien und der Herzeg owina zu finden, läßt ſich der Großweſſir aus Moſtar (in der Herzogewina) über gefährliche Wühlereien des Fürſten Nikitza in der letztern Provinz berichten, und zugleich die Beſchuldigung gegen Serbien aufſtellen daß es nur auf die erſte günſtige Gelegen- heit warte um ſeinen Brüdern hülfreiche Hand zu leiſten. Daß Serbien (Montenegro kommt dabei weniger in Betracht) die Miſſion in ſich efühlt die ſerbiſch nationale Freiheit auf der Balkanhalbinſel wiederherzuſtellen — iſt kein Geheim- niß, und erſt in der letzten Thronrede erklärte freimüthig und edel die Regentſchaft: „Serbien bleibt auch ferner der Wächter der Rechte der Chriſten auf der Hämus- Halbinſel.“ Allein daß die Regentſchaft die Abſicht hätte den europäiſchen Frieden zu ſtören — iſt ganz und gar unwahrſcheinlich. Wie Preußen’s ehemals, ſo iſt das Loſungswort Serbiens: „Wir können warten.“ Michael Obrenowitſchs III Wahl- ſpruch war: „Tempus et meum jus“ — und das iſt auch die Deviſe des ſerbi- ſchen Staates geworden. Aber die Pforte will fernere Attentate auf die provincielle Autonomie der Serben in Bosnien und der Herzegowina machen, und für dieſen Gewaltact ſucht ſie einen plauſiblen Vorwand. Se. Hoheit der Großweſſir möge doch nicht glauben daß er jemanden hinters Licht führen kann! Mexico. * Es liegen Anzeichen vor — ſchreibt man der „Morning-Poſt unter dem 9 Dec. — daß die Revolution ihren Höhepunkt erreicht hat, und daß wir bald ihre Verminderung und ihr Erlöſchen wahrnehmen werden. Mittlerweile machen wir uns im ganzen wenig Sorge um die Sache. Mexico iſt ein faules Land, und jeder der erſt einige Jahre in demſelben anſäſſig iſt, fühlt wie er ſelbſt allmählich auch läſſig wird und die Dinge des Lebens mit Gleichmuth an ſich herankommen läßt. In den Cafes und an den gaſtlichen Tiſchen der hier wohnenden Auslän- der iſt von amerikaniſcher Intervention und Annectirung die Rede geweſen, in- deſſen iſt ſehr wenig Grund zu der Anſicht vorhanden daß es zum einen oder an- dern von beiden kommen ſollte. Allerdings ſchieben die Amerikaner zwei Bahn- ſtrecken gegen unſere Nordgränze vor, allein es muß noch manches Jahr verlan- fen ehe dieſe Strecken bis auf mexicaniſches Gebiet fortgeführt werden. Was den Berichterſtatter am meiſten amüſirt wenn er dergleichen Unterhaltungen mit anhört, iſt das von allen Amerikanern nachträglich ausgeſprochene Bedauern darüber daß ihre Regierung die Republik gegen Maximilian unterſtützte. „Mir ſcheint als haben wir uns da ſtark verfahren — ſagte mir ein ſehr geriebener Yankee erſt vor einigen Tagen — wir hätten den Kaiſer gewähren laſſen ſollen, und wahrſchein- lich hätte er jetzt allmählich dieſe Schmierfinken in ertragliche Ordnung gebracht.“ Das Manifeſt des Generals Porfirio Diaz, des Führers der Erhebung, wird unter an- erem ferner berichtet, hat weder ihm noch ſeiner Sache in der Hauptſtadt viel genützt. Die Feinde der Regierung im Congreß ſind ſehr bitter, und ſchrecken vor nichts zurück wo es gilt die Regierung zu ſchädigen, aber keiner hat es für gerathen erachtet ein Wort des Lobes für einen revolutionären Führer zu ſprechen der im ſelben Athem erklärt: er kämpfe für die Conſtitution von 1857, und das erſte Ergebniß ſeines Sieges ſolle die Abſchaffung der Hauptgrund beſtimmungen jenes Actenſtückes ſein. In dem heutigen Congreß ſitzen viele bedeutende Talente, auch unter der haupt- ſtädtiſchen Preſſe gibt es ſehr begabte Männer, allein auf Seiten der Juariſten ſowohl als unter der Oppoſition herrſcht der unſelige Geiſt der Verdächtigung und des Mißtrauens, welcher ein Charakterzug bei allen Politikern der lateimſchen Race iſt, und alles einige und harmoniſche Zuſammenwirken ſelbſt unter Mitglie- dern derſelben Partei ausſchließt. Ich zweifle ob ſelbſt der Präſident und ſeine Miniſter zu einander Vertrauen haben. Jeder hat einigen Verdacht gegen die übrigen, und der Präſident beargwöhnt alle zuſammen. Die Rebellen haben ohne Frage durch die Einnahme von Saltillo, welches am 5 Abends capitulirte, einen großen Vortheil errungen. Die Garniſon, welche aus 1600 Mann beſtand, hatte lange tapferen Widerſtand geleiſtet. Am 28 Nov. war es dem General Treviro, dem Führer der Belagerer, gelungen in heißem Kampf um jeden Fußbreit Bodens den größten Theil der Stadt in ſeine Gewalt zu bringen. Die Beſatzung zog ſich in die von den Franzoſen in der Vorſtadt errichtete Citadelle zurück. Quiroga, Treviro’s Unterbefehlshaber, ſchloß dieſes Werk eng ein und ſchnitt ihm das Trink- waſſer ab. Bis zum 5 tobte der Kampf noch unter fortwährenden blutigen Aus- fällen fort, bei welchen beide Parteien mit großer Wuth fochten; dann ſandte der Befehlshaber der Beſatzung einen Parlamentär an Treviro, und in einigen Stun- den wurde die Uebergabe unter der Bedingung vereinbart daß die Capitulirenden ohne Waffen und Munition auf Ehrenwort freien Abzug erhielten. Treviro gab ſeinen Truppen nur einen Tag Raſt, und rückte dann auf San Luis Potoſí zu. Mittlerweile trat aber eine neue Wendung in der Rebellion ein. Bisher hatten ſich dieſe Aufſtändiſchen für Anhänger der Sache des Porfirio Diaz erklärt. Nun aber ließen ſich die Staaten San Luis und Guanajuato dahin vernehmen: ihr Pro- nunciamiento ſei ſowohl gegen Diaz als gegen Juarez zu Gunſten von Lerdo de Tejada veranſtaltet. Dieſe ganze Zeit über hatte man in Mexico ſelbſt über den Ausgang der von General Alatorre gegen Diaz unternommenen Operationen keine Nachricht. Amtliche Berichte fehlen ganz, und die Gerüchte ſind äußerſt wider- ſprechender und verwirrender Natur. Auf der einen Seite wird behauptet: Diaz gewinne von Tag zu Tag an Macht dadurch daß ſich die Truppen Ala- torre’s durch vielfache Deſertionen vermindern, und daß die Regierungstruppen überhaupt nicht in der Lage ſeien dem Feinde die Stirne zu bieten. Es ſchien letz- teres eine gewiſſe Beſtätigung dadurch zu gewinnen daß ſich eine von Alatorre’s Colonnen zurückzog. Andererſeits wird von der Regierungspartei verſichert: Diaz werde von ſeinen Anhängern verlaſſen. Er gebiete nur noch über das Spottge- bilde eines Heeres, und Alatorre werde ihn ganz gewiß einfangen. Auch im Congreß wurde die Revolution ſo klein als möglich gemacht, und von dem Prä- ſidenten auf Rechnung des gekränkten Ehrgeizes einiger Führer geſchrieben. Der Congreß war in guter Laune und geneigt dieſer Anſicht beizupflichten.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-02-11T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 9, 9. Januar 1872, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine09_1872/7>, abgerufen am 24.11.2024.