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Allgemeine Zeitung, Nr. 6, vom 7. Januar 1924.

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erste Seite

Allgemeine Zeitung
Süddeutsches Tagblatt Großdeutsche Rundschau
127. Jahrgang. Nr. 6
München, Montag den 7. Januar 1924.
Hauptschriftleitung und verantwortlich für Deutsche und Bayerische Politik:
Max Heilgemayr. -- Wirtschaftszeitung u. Auswärtige Politik: Josef Schrepfer.
-- Unpolitische Stadtzeitung u. Sport: Richard Rieß. -- Kunst u. Musik: Albin v.
Probram-Gladona. -- Feuilleton u. Theater: Walter Foitzick. -- Anzeigenteil: Josef
Spiegel, sämtl. in München. -- Redaktion: München, Baaderstr. 1, Tel. 27940. -- Berliner
Schriftleitung: SW 68., Zimmerstr. 9, Tel. Zentrum 54 98 u. 3967; Letter: Alfred Gerigk.
[Abbildung]
Die Allgemeine Zeitung erscheint täglich. Bei Störung des Erscheinens infolge höherer
Gewalt oder Streiks besteht kein Anspruch auf Zeitungslieferung oder Rückzahlung des Be-
zugsgeldes. Bezugspreis: Mk. 2.80 für den Monat. Anzeigenpreis: für die 9-spaltige
Millimeterzeile im Inseratenteil M. 0.25, im Reklameteil M. 0.80. Kleine Anzeigen M. 0.10
Verlag der Allgemeinen Zeitung G.m.b.H. München. Postscheckkonto: München 8170
Druck: Druckerei- und Verlags-A.-G. München, Baaderstraße 1 und 1a. Telefon 24287.

Einzelpreis 5 Pfennig.
Der sinkende Franken.

Sonderdienst der Allgem. Zeitung.


Finanzminister de
Lasterie,
der am Samstag aus der
Provinz nach Paris zurückkehrte konfe-
rierte gestern und heute mit dem Gouver-
neur der Bank von Frankreich, dem Syn-
dikus der Wechselagenten, dem Präsidenten
der Pariser Handelskammer und einer An-
zahl sonstiger Finanzleute über die Lage
auf dem Wechselmarkt
und über
Maßnahmen zur Unterdrückung der
Baissespekulation in französischen Franken.
In erster Linie ist beabsichtigt, die Spe-
kulation ohne Deckung
zu be-
kämpfen, die in den letzten Tagen von
mehreren Großbanken betrieben worden
sein soll.

"Ere Nouvelle" bemerkt hierzu, daß
eine "mißbräuchliche Spekulation" vor-
liege. Es stehe aber fest, daß die Ursachen
tiefer lägen. Die Spekulation heute die
Ursachen nur aus. Sie lägen in der
Finanzpolitik, die von der Hand in
den Mund lebe, die auf dem Papier das
Budget im Gleichgewicht halte, dessen
Gleichgewicht aber völlig zerstört sei.

Inzwischen dauert der Sturz des
Franken an. Der Dollar, der am Frei-
tag mit 20,29 notiert wurde, erreichte am
Samstag den Stand von 20,87.

Der wahre Grund.

Sonderdienst der Allgem. Zeitung.


Der Sturz des
Franken wird in hiesigen Finanzkreisen
darauf zurückgeführt, daß aus der Kriegs-
und Nachkriegszeit zahlreiche kommu-
nale Verpflichtungen
bestehen, die
fast ausschließlich in Dollars und
Pfund Sterling zu sehr ungünstigen
Bedingungen, zu Zinssätzen von 7--8%
aufgenommen wurden und jetzt zurückge-
zahlt werden müssen. Damit würde es über-
einstimmen, daß in London dauernd franzö-
sische Franken gegen Dollars und Pfunde
umgewechselt werden. Man erwartet des-
halb in der nächsten Zeit keine Besse-
rung des Frankenkurses.

Auf Grund der Besprechungen des Fi-
nanzministers mit führenden Bank- und Fi-
nanzleuten hat der Innenminister bereits
Maßnahmen gegen die Spekula-
tion
eingeleitet. In erster Linie soll die
Börse von ausländischen Elementen gerei-
nigt werden. Man weist jedoch in Finanz-
kreisen darauf hin, daß der Sturz des Fran-
ken zum großen Teil durch das Mißverhält-
nis zwischen den Steuereinnahmen und den
übergroßen Rüstungausgaben
veranlaßt sei.

Das Urteil Amerikas.

Sonderdienst der Allgem. Zeitung.


In Wall-
street
beschäftigt man sich sehr eingehend
mit dem Frankensturz. Es wird erklärt,
daß die Schuld hieran nicht die inter-
nationale Spekulation
treffe, son-
dern darauf zurückzuführen sei, daß das
Vertrauen in die französische Währung des-
halb gesunken sei, weil die internationalen
Schuldenfragen immer noch keine Lösung
gefunden haben, Frankreich vielmehr inzwi-
schen zu seinen Verpflichtungen gegenüber
England und Amerika neue Verpflich-
tungen gegen über den Balkan-
staaten und Polen
übernommen habe.

[Spaltenumbruch]
Spaltung der Sozialdemokratie.

Der sächsische Landesparteitag.
Sonderdienst der Allgemeinen Zeitung.


Der sozialdemokratische Landesparteitag, der gestern
im hiesigen Landtagsgebäude stattfand, und an dem 104 Delegierte teilnahmen,
hatte darüber zu entscheiden, ob die Partei an der großen Koalition in Sachsen
teilnehmen solle. Er nahm einen außerordentlich stürmischen Verlauf, der die
Spaltung der sächsischen Partei unerläßlich erscheinen läßt und auf die
Partei des Reiches von tiefgreifender Wirkung sein wird.

Wie zu erwarten, hatten die Radikalen die Mehrheit. Sie setzten mit 74 gegen 22
Stimmen die Annahme einer Entschließung durch, die den Rücktritt des neuen Mi-
nisterpräsidenten Heldt und die sofortige Auflösung des Landtags fordert.
Nachdem der Vorsitzende der Landtagsfraktion namens der gemäßigten Fraktions-
mehrheit erklärt hatte, daß er diesen Beschluß nicht anerkenne und also auch nicht
befolgen werde, sich vielmehr an den Reichsparteitag wenden werde, der Ende
März stattfindet, verließen die Gemäßigten und die aus Berlin eingetroffenen Dele-
gierten Hilfferding, Wels und Dittmann (also zwei frühere Unabhängige)
demonstrativ den Saal und hielten sich den weiteren Beratungen fern. Hierauf er-
folgte die Annahme eines Antrags Lipinski auf Ausschluß aller derjenigen, die
die Opposition von rechts bilden und billigen. Das heißt also, daß die radi-
kale Parteitagsmehrheit die Spaltung bereits vollzogen hat. Von radikaler Seite
wird erklärt, daß die Bildung der großen Koalition dem Landesparteitag die Entschei-
dung vorweggenommen habe und einen in der Geschichte der Sozialdemokraten uner-
hörten Bruch der Parteidißiplin bedeute. Das kam auch in der außeror-
dentlich demagogischen Schlußrede des Abg. Arzt zum Ausdruck.

Nach dem Verlauf des Parteitages und der Erklärung des Fraktionsvorstandes zu
schließen, dürfte die Regierung der großen Koalition nun wahrscheinlich im Amte blei-
ben, allerdings unter Rücktritt der dem radikalen Flügel angehörenden Sozialdemo-
kraten. Der als Wirtschaftsminister in Aussicht genommene Ministerpräsident Fel-
lisch
hat für seine Person bereits die Konsequenzen gezogen und sein Amt in die
Hände des Ministerpräsidenten zurückgelegt.



[Spaltenumbruch]
Französische Senatswahlen.

Gestern haben in 26
Departements Ergänzungswahlen zum Se-
nat stattgefunden. Von den bisherigen Se-
natoren sind 73 wiedergewählt worden;
neugewählt wurden neun Senatoren. Die
Ergebnisse von 33 Stichwahlen und das Er-
gebnis aus Martinique liegt noch nicht vor.

Besondere Bedeutung mißt man der
Wiederwahl Poincares bei, der
von insgesamt 812 Stimmen mit der gewal-
tigen Mehrheit von 794 Stimmen neuge-
wählt wurde. Von den fünf Kommunisten
wurde bisher keiner gewählt, obgleich Ca-
chin
in sämtlichen 36 Departements sich als
Kandidat aufstellen ließ Großes Aufsehen
erregt die Niederlage des konservativen
Vizepräsidenten des Senats, Rivet.

Poincare triumphiert.

Sonderdienst der Allgem. Zeitung.


Poincare erklärte nach seiner Wie-
derwahl im Maaß-Departement in einer
kurzen Ansprache: "Wir werden die Repa-
rationspolitik
fortführen, die allge-
mein gutgeheißen worden ist. Wir wer-
den diese Politik mit Hartnäk-
kigkeit verfolgen
bis zum friedlichen
Triumph (!) und der vollkommenen
Ausführung des Versailler Ver-
trages.
"

Rückwirkungen der Senatswahlen auf die
französische Gesamtpolitik sind nicht zu er-
warten. Man nimmt von vornherein nicht
an, daß die Wahlen Ueberraschungen brin-
gen werden. Die Verschiebungen sind zum
größten Teil auf rein lokale Gründe zurück-
zuführen. Das einzige neue Moment ist,
daß die Sozialisten jetzt mit zwei Man-
daten zum erstenmal in den Senat einzie-
hen, und zwar auf Kosten der Radikalsozia-
listen, deren Kandidaten geschlagen wurden.
Außer diesen beiden sozialistischen Manda-
ten hat die bürgerliche Linke allenfalls noch
den Gewinn eines weiteren Mandats zu
verzeichnen. Die bis heute morgen vorlie-
[Spaltenumbruch] genden Ziffern zeigen folgendes Ergebnis:
Linksdemokraten 56,
Union republicaine (Poincares Partei) 33,
Linksrepublikaner 13,
Rechtsrepublikaner 11,
Sozialisten 2 Mandate.

Paris--Belgrad.

Die über Paris und
Belgrad veröffentlichten Nachrichten über
den unmittelbar bevorstehenden Abschluß
eines französisch-jugoslavischen
Vertrages
nach dem Muster des franko-
tschechischen Abkommens werden von unter-
richteter Seite als zum mindesten ver-
früht
bezeichnet.

Auf der hiesigen jugoslavischen Gesandt-
schaft ist offiziell von einem solch bevor-
stehenden Abschluß nichts bekannt. Es ist
aber möglich, daß die Frage eines solchen
Abkommens auf der Konferenz der Kleinen
Entente erörtert wird.

Frankreich und der Lausanner Vertrag.

Der "Matin" glaubt zu
wissen, daß Poincare die sofortige Rati-
fikation des Lausanner Ver-
trags
herbeizuführen beabsichtige. Er
hofft, daß die Kammer bereits Ende Januar
über den Vertrag abstimmen und der Senat
ihn in der ersten Hälfte des Februar gut-
heißen wird.

Der "Matin" läßt durchblicken, daß die
Regierung zur Verstärkung ihrer Position
in der Kammer die sofortige Eröffnung
eines von Angora herbeigeführten Mei-
nungsaustausches in der Frage der Zins-
scheine wünsche.

Aus den weiteren Auslassungen des Blat-
tes ist zu entnehmen, daß Poincare sich we-
gen der deutschen Annäherungs-
versuche
in der Türkei, die durch die be-
vorstehende Abreise des Bukarester deut-
schen Gesandten nach Angora in ein neues
Stadium gerückt sei, sich zu besonderer Eile
angetrieben sehe.

Naturrecht und Humanität.

Spricht man in Deutschland von "Demo-
kratie", so pflegen die Unterredner nichts
weiter als eine Staatsform, die Republik
also, darunter zu verstehen und einem mit
den Argumenten zu begegnen, die gegen
diese Verfassung jederzeit bequem zur Hand
sind, die man selbst bis zum Ueberdrusse am
Schnürchen hat. Aber damit ist nicht viel ge-
tan; die Widerlegung ist schwach, sie ist nur
parteipolitisch, während man doch nicht Par-
teipolitik treibt, wenn man den Fürsprecher
der Demokratie macht, sondern in bewußter
Selbstkorrektur für gewisse geistige Not-
wendigkeiten sich einsetzt, denen Rechnung
zu tragen der Deutsche um seiner inneren
Gesundheit willen sich nicht wird sperren
können. Worin sie bestehen, diese Notwen-
digkeiten, was also in Wahrheit Demo-
kratie ist und welcher bedeutenden und
keineswegs einfach verächtlichen Art die
Widerstände sind, die das deutsche Wesen ihr
historisch entgegensetzt, das ist mit vollen-
deter Klarheit ausgesprochen in der un-
scheinbaren Broschüre, deren Lektüre ich
aller Welt empfehle.

Sie heißt "Naturrecht und Humanität in
der Weltpolitik" und hat zum Verfasser
Ernst Tröltsch, den leider kürzlich verstor-
benen Kulturphilosophen. Diese Schrift ist
eine posthume Veröffentlichung, nichts als
ein Vortrag, den Tröltsch kurz vor seinem
Ende bei der Jahresfeier der Deutschen
Hochschule für Politik gehalten. Sie begnügt
sich nicht, den Unterschied des deutschen
politisch-geschichtlich-moralischen. Denkens
gegenüber dem westeuropäisch-amerikani-
schen, kurz gesagt also, den Gegensatz zwi-
schen der Ideenwelt der deutsch-romanti-
schen Gegenrevolution und der älteren bür-
gerlich-konservativ-revolutionären des Na-
turrechtes, der Humanität und des Fort-
schrittes mit bewunderungswürdiger Präzi-
sion aufzuzeigen. Sie hält sich nicht im ana-
lytisch Kontemplativen, sie wird von einem
gewissen Punkte an zur pädagogischen For-
derung. Mit überzeugender Wärme beweist
und propagiert sie das historische Erforder-
nis einer Wiederannäherung des deutschen
Gedankens an den mit bestimmten religi-
ösen und ideologischen Elementen unseres
Kulturkreises unlöslich verbundenen west-
europäischen, unter Vorbehalt aller an der
Verrottung und dem heuchlerischen Miß-
brauch der antik-christlichen Humanitäts-
idee zu übenden Kritik, beweist, sage ich
und propagiert die vollkommene Möglich-
keit, diese zeit- und weltnotwendige Wieder-
annäherung ohne jede grundsätzliche Ver-
leugnung unserer geistigen Eigenart zu voll-
ziehen.... Ich kann den großen Gedan-
kengang der Schrift nicht auf zwei Worte
bringen. Was aber hier von einem gelehrten
Denker mit stärkender Bestimmtheit aus
gesprochen wurde, das war, gefühlsweise
als dunkle Gewissensregung, seit Jahr und
Tag in manchem Deutschen lebendig gewe-
sen -- in solchen vielleicht sogar, die in
Zauberberge des romantischen Aesthetizis-
mus recht lange und gründlich geweilt --
und hatte zu Bekenntnissen geführt, die vor
einer Zukunftslosigkeit, die sich treu dünkt
als Zeugnis des Ueberläufertums und den
Gesinnungslumperei übel begrüßt worden
waren. ...

Nicht ohne Sinn für die düstere Würde
eines Konservativismus, der Todesverbun-
denheit bedeutet, bleiben wir entschlossen
uns nicht irre machen zu lassen in unsere


Allgemeine Zeitung
Süddeutſches Tagblatt Großdeutſche Rundſchau
127. Jahrgang. Nr. 6
München, Montag den 7. Januar 1924.
Hauptſchriftleitung und verantwortlich für Deutſche und Bayeriſche Politik:
Max Heilgemayr. — Wirtſchaftszeitung u. Auswärtige Politik: Joſef Schrepfer.
Unpolitiſche Stadtzeitung u. Sport: Richard Rieß. — Kunſt u. Muſik: Albin v.
Probram-Gladona. — Feuilleton u. Theater: Walter Foitzick. — Anzeigenteil: Joſef
Spiegel, ſämtl. in München. — Redaktion: München, Baaderſtr. 1, Tel. 27940. — Berliner
Schriftleitung: SW 68., Zimmerſtr. 9, Tel. Zentrum 54 98 u. 3967; Letter: Alfred Gerigk.
[Abbildung]
Die Allgemeine Zeitung erſcheint täglich. Bei Störung des Erſcheinens infolge höherer
Gewalt oder Streiks beſteht kein Anſpruch auf Zeitungslieferung oder Rückzahlung des Be-
zugsgeldes. Bezugspreis: Mk. 2.80 für den Monat. Anzeigenpreis: für die 9-ſpaltige
Millimeterzeile im Inſeratenteil M. 0.25, im Reklameteil M. 0.80. Kleine Anzeigen M. 0.10
Verlag der Allgemeinen Zeitung G.m.b.H. München. Poſtſcheckkonto: München 8170
Druck: Druckerei- und Verlags-A.-G. München, Baaderſtraße 1 und 1a. Telefon 24287.

Einzelpreis 5 Pfennig.
Der ſinkende Franken.

Sonderdienſt der Allgem. Zeitung.


Finanzminiſter de
Laſterie,
der am Samstag aus der
Provinz nach Paris zurückkehrte konfe-
rierte geſtern und heute mit dem Gouver-
neur der Bank von Frankreich, dem Syn-
dikus der Wechſelagenten, dem Präſidenten
der Pariſer Handelskammer und einer An-
zahl ſonſtiger Finanzleute über die Lage
auf dem Wechſelmarkt
und über
Maßnahmen zur Unterdrückung der
Baiſſeſpekulation in franzöſiſchen Franken.
In erſter Linie iſt beabſichtigt, die Spe-
kulation ohne Deckung
zu be-
kämpfen, die in den letzten Tagen von
mehreren Großbanken betrieben worden
ſein ſoll.

„Ere Nouvelle“ bemerkt hierzu, daß
eine „mißbräuchliche Spekulation“ vor-
liege. Es ſtehe aber feſt, daß die Urſachen
tiefer lägen. Die Spekulation heute die
Urſachen nur aus. Sie lägen in der
Finanzpolitik, die von der Hand in
den Mund lebe, die auf dem Papier das
Budget im Gleichgewicht halte, deſſen
Gleichgewicht aber völlig zerſtört ſei.

Inzwiſchen dauert der Sturz des
Franken an. Der Dollar, der am Frei-
tag mit 20,29 notiert wurde, erreichte am
Samstag den Stand von 20,87.

Der wahre Grund.

Sonderdienſt der Allgem. Zeitung.


Der Sturz des
Franken wird in hieſigen Finanzkreiſen
darauf zurückgeführt, daß aus der Kriegs-
und Nachkriegszeit zahlreiche kommu-
nale Verpflichtungen
beſtehen, die
faſt ausſchließlich in Dollars und
Pfund Sterling zu ſehr ungünſtigen
Bedingungen, zu Zinsſätzen von 7—8%
aufgenommen wurden und jetzt zurückge-
zahlt werden müſſen. Damit würde es über-
einſtimmen, daß in London dauernd franzö-
ſiſche Franken gegen Dollars und Pfunde
umgewechſelt werden. Man erwartet des-
halb in der nächſten Zeit keine Beſſe-
rung des Frankenkurſes.

Auf Grund der Beſprechungen des Fi-
nanzminiſters mit führenden Bank- und Fi-
nanzleuten hat der Innenminiſter bereits
Maßnahmen gegen die Spekula-
tion
eingeleitet. In erſter Linie ſoll die
Börſe von ausländiſchen Elementen gerei-
nigt werden. Man weiſt jedoch in Finanz-
kreiſen darauf hin, daß der Sturz des Fran-
ken zum großen Teil durch das Mißverhält-
nis zwiſchen den Steuereinnahmen und den
übergroßen Rüſtungausgaben
veranlaßt ſei.

Das Urteil Amerikas.

Sonderdienſt der Allgem. Zeitung.


In Wall-
ſtreet
beſchäftigt man ſich ſehr eingehend
mit dem Frankenſturz. Es wird erklärt,
daß die Schuld hieran nicht die inter-
nationale Spekulation
treffe, ſon-
dern darauf zurückzuführen ſei, daß das
Vertrauen in die franzöſiſche Währung des-
halb geſunken ſei, weil die internationalen
Schuldenfragen immer noch keine Löſung
gefunden haben, Frankreich vielmehr inzwi-
ſchen zu ſeinen Verpflichtungen gegenüber
England und Amerika neue Verpflich-
tungen gegen über den Balkan-
ſtaaten und Polen
übernommen habe.

[Spaltenumbruch]
Spaltung der Sozialdemokratie.

Der ſächſiſche Landesparteitag.
Sonderdienſt der Allgemeinen Zeitung.


Der ſozialdemokratiſche Landesparteitag, der geſtern
im hieſigen Landtagsgebäude ſtattfand, und an dem 104 Delegierte teilnahmen,
hatte darüber zu entſcheiden, ob die Partei an der großen Koalition in Sachſen
teilnehmen ſolle. Er nahm einen außerordentlich ſtürmiſchen Verlauf, der die
Spaltung der ſächſiſchen Partei unerläßlich erſcheinen läßt und auf die
Partei des Reiches von tiefgreifender Wirkung ſein wird.

Wie zu erwarten, hatten die Radikalen die Mehrheit. Sie ſetzten mit 74 gegen 22
Stimmen die Annahme einer Entſchließung durch, die den Rücktritt des neuen Mi-
niſterpräſidenten Heldt und die ſofortige Auflöſung des Landtags fordert.
Nachdem der Vorſitzende der Landtagsfraktion namens der gemäßigten Fraktions-
mehrheit erklärt hatte, daß er dieſen Beſchluß nicht anerkenne und alſo auch nicht
befolgen werde, ſich vielmehr an den Reichsparteitag wenden werde, der Ende
März ſtattfindet, verließen die Gemäßigten und die aus Berlin eingetroffenen Dele-
gierten Hilfferding, Wels und Dittmann (alſo zwei frühere Unabhängige)
demonſtrativ den Saal und hielten ſich den weiteren Beratungen fern. Hierauf er-
folgte die Annahme eines Antrags Lipinſki auf Ausſchluß aller derjenigen, die
die Oppoſition von rechts bilden und billigen. Das heißt alſo, daß die radi-
kale Parteitagsmehrheit die Spaltung bereits vollzogen hat. Von radikaler Seite
wird erklärt, daß die Bildung der großen Koalition dem Landesparteitag die Entſchei-
dung vorweggenommen habe und einen in der Geſchichte der Sozialdemokraten uner-
hörten Bruch der Parteidiſziplin bedeute. Das kam auch in der außeror-
dentlich demagogiſchen Schlußrede des Abg. Arzt zum Ausdruck.

Nach dem Verlauf des Parteitages und der Erklärung des Fraktionsvorſtandes zu
ſchließen, dürfte die Regierung der großen Koalition nun wahrſcheinlich im Amte blei-
ben, allerdings unter Rücktritt der dem radikalen Flügel angehörenden Sozialdemo-
kraten. Der als Wirtſchaftsminiſter in Ausſicht genommene Miniſterpräſident Fel-
liſch
hat für ſeine Perſon bereits die Konſequenzen gezogen und ſein Amt in die
Hände des Miniſterpräſidenten zurückgelegt.



[Spaltenumbruch]
Franzöſiſche Senatswahlen.

Geſtern haben in 26
Departements Ergänzungswahlen zum Se-
nat ſtattgefunden. Von den bisherigen Se-
natoren ſind 73 wiedergewählt worden;
neugewählt wurden neun Senatoren. Die
Ergebniſſe von 33 Stichwahlen und das Er-
gebnis aus Martinique liegt noch nicht vor.

Beſondere Bedeutung mißt man der
Wiederwahl Poincarés bei, der
von insgeſamt 812 Stimmen mit der gewal-
tigen Mehrheit von 794 Stimmen neuge-
wählt wurde. Von den fünf Kommuniſten
wurde bisher keiner gewählt, obgleich Ca-
chin
in ſämtlichen 36 Departements ſich als
Kandidat aufſtellen ließ Großes Aufſehen
erregt die Niederlage des konſervativen
Vizepräſidenten des Senats, Rivet.

Poincare triumphiert.

Sonderdienſt der Allgem. Zeitung.


Poincaré erklärte nach ſeiner Wie-
derwahl im Maaß-Departement in einer
kurzen Anſprache: „Wir werden die Repa-
rationspolitik
fortführen, die allge-
mein gutgeheißen worden iſt. Wir wer-
den dieſe Politik mit Hartnäk-
kigkeit verfolgen
bis zum friedlichen
Triumph (!) und der vollkommenen
Ausführung des Verſailler Ver-
trages.

Rückwirkungen der Senatswahlen auf die
franzöſiſche Geſamtpolitik ſind nicht zu er-
warten. Man nimmt von vornherein nicht
an, daß die Wahlen Ueberraſchungen brin-
gen werden. Die Verſchiebungen ſind zum
größten Teil auf rein lokale Gründe zurück-
zuführen. Das einzige neue Moment iſt,
daß die Sozialiſten jetzt mit zwei Man-
daten zum erſtenmal in den Senat einzie-
hen, und zwar auf Koſten der Radikalſozia-
liſten, deren Kandidaten geſchlagen wurden.
Außer dieſen beiden ſozialiſtiſchen Manda-
ten hat die bürgerliche Linke allenfalls noch
den Gewinn eines weiteren Mandats zu
verzeichnen. Die bis heute morgen vorlie-
[Spaltenumbruch] genden Ziffern zeigen folgendes Ergebnis:
Linksdemokraten 56,
Union republicaine (Poincarés Partei) 33,
Linksrepublikaner 13,
Rechtsrepublikaner 11,
Sozialiſten 2 Mandate.

Paris—Belgrad.

Die über Paris und
Belgrad veröffentlichten Nachrichten über
den unmittelbar bevorſtehenden Abſchluß
eines franzöſiſch-jugoſlaviſchen
Vertrages
nach dem Muſter des franko-
tſchechiſchen Abkommens werden von unter-
richteter Seite als zum mindeſten ver-
früht
bezeichnet.

Auf der hieſigen jugoſlaviſchen Geſandt-
ſchaft iſt offiziell von einem ſolch bevor-
ſtehenden Abſchluß nichts bekannt. Es iſt
aber möglich, daß die Frage eines ſolchen
Abkommens auf der Konferenz der Kleinen
Entente erörtert wird.

Frankreich und der Lauſanner Vertrag.

Der „Matin“ glaubt zu
wiſſen, daß Poincaré die ſofortige Rati-
fikation des Lauſanner Ver-
trags
herbeizuführen beabſichtige. Er
hofft, daß die Kammer bereits Ende Januar
über den Vertrag abſtimmen und der Senat
ihn in der erſten Hälfte des Februar gut-
heißen wird.

Der „Matin“ läßt durchblicken, daß die
Regierung zur Verſtärkung ihrer Poſition
in der Kammer die ſofortige Eröffnung
eines von Angora herbeigeführten Mei-
nungsaustauſches in der Frage der Zins-
ſcheine wünſche.

Aus den weiteren Auslaſſungen des Blat-
tes iſt zu entnehmen, daß Poincaré ſich we-
gen der deutſchen Annäherungs-
verſuche
in der Türkei, die durch die be-
vorſtehende Abreiſe des Bukareſter deut-
ſchen Geſandten nach Angora in ein neues
Stadium gerückt ſei, ſich zu beſonderer Eile
angetrieben ſehe.

Naturrecht und Humanität.

Spricht man in Deutſchland von „Demo-
kratie“, ſo pflegen die Unterredner nichts
weiter als eine Staatsform, die Republik
alſo, darunter zu verſtehen und einem mit
den Argumenten zu begegnen, die gegen
dieſe Verfaſſung jederzeit bequem zur Hand
ſind, die man ſelbſt bis zum Ueberdruſſe am
Schnürchen hat. Aber damit iſt nicht viel ge-
tan; die Widerlegung iſt ſchwach, ſie iſt nur
parteipolitiſch, während man doch nicht Par-
teipolitik treibt, wenn man den Fürſprecher
der Demokratie macht, ſondern in bewußter
Selbſtkorrektur für gewiſſe geiſtige Not-
wendigkeiten ſich einſetzt, denen Rechnung
zu tragen der Deutſche um ſeiner inneren
Geſundheit willen ſich nicht wird ſperren
können. Worin ſie beſtehen, dieſe Notwen-
digkeiten, was alſo in Wahrheit Demo-
kratie iſt und welcher bedeutenden und
keineswegs einfach verächtlichen Art die
Widerſtände ſind, die das deutſche Weſen ihr
hiſtoriſch entgegenſetzt, das iſt mit vollen-
deter Klarheit ausgeſprochen in der un-
ſcheinbaren Broſchüre, deren Lektüre ich
aller Welt empfehle.

Sie heißt „Naturrecht und Humanität in
der Weltpolitik“ und hat zum Verfaſſer
Ernſt Tröltſch, den leider kürzlich verſtor-
benen Kulturphiloſophen. Dieſe Schrift iſt
eine poſthume Veröffentlichung, nichts als
ein Vortrag, den Tröltſch kurz vor ſeinem
Ende bei der Jahresfeier der Deutſchen
Hochſchule für Politik gehalten. Sie begnügt
ſich nicht, den Unterſchied des deutſchen
politiſch-geſchichtlich-moraliſchen. Denkens
gegenüber dem weſteuropäiſch-amerikani-
ſchen, kurz geſagt alſo, den Gegenſatz zwi-
ſchen der Ideenwelt der deutſch-romanti-
ſchen Gegenrevolution und der älteren bür-
gerlich-konſervativ-revolutionären des Na-
turrechtes, der Humanität und des Fort-
ſchrittes mit bewunderungswürdiger Präzi-
ſion aufzuzeigen. Sie hält ſich nicht im ana-
lytiſch Kontemplativen, ſie wird von einem
gewiſſen Punkte an zur pädagogiſchen For-
derung. Mit überzeugender Wärme beweiſt
und propagiert ſie das hiſtoriſche Erforder-
nis einer Wiederannäherung des deutſchen
Gedankens an den mit beſtimmten religi-
öſen und ideologiſchen Elementen unſeres
Kulturkreiſes unlöslich verbundenen weſt-
europäiſchen, unter Vorbehalt aller an der
Verrottung und dem heuchleriſchen Miß-
brauch der antik-chriſtlichen Humanitäts-
idee zu übenden Kritik, beweiſt, ſage ich
und propagiert die vollkommene Möglich-
keit, dieſe zeit- und weltnotwendige Wieder-
annäherung ohne jede grundſätzliche Ver-
leugnung unſerer geiſtigen Eigenart zu voll-
ziehen.... Ich kann den großen Gedan-
kengang der Schrift nicht auf zwei Worte
bringen. Was aber hier von einem gelehrten
Denker mit ſtärkender Beſtimmtheit aus
geſprochen wurde, das war, gefühlsweiſe
als dunkle Gewiſſensregung, ſeit Jahr und
Tag in manchem Deutſchen lebendig gewe-
ſen — in ſolchen vielleicht ſogar, die in
Zauberberge des romantiſchen Aeſthetizis-
mus recht lange und gründlich geweilt —
und hatte zu Bekenntniſſen geführt, die vor
einer Zukunftsloſigkeit, die ſich treu dünkt
als Zeugnis des Ueberläufertums und den
Geſinnungslumperei übel begrüßt worden
waren. ...

Nicht ohne Sinn für die düſtere Würde
eines Konſervativismus, der Todesverbun-
denheit bedeutet, bleiben wir entſchloſſen
uns nicht irre machen zu laſſen in unſere

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Spiegel, &#x017F;ämtl. in München. &#x2014; <hi rendition="#g">Redaktion:</hi> München, Baader&#x017F;tr. 1, Tel. 27940. &#x2014; Berliner<lb/>
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[0001] Allgemeine Zeitung Süddeutſches Tagblatt Großdeutſche Rundſchau127. Jahrgang. Nr. 6 München, Montag den 7. Januar 1924. Hauptſchriftleitung und verantwortlich für Deutſche und Bayeriſche Politik: Max Heilgemayr. — Wirtſchaftszeitung u. Auswärtige Politik: Joſef Schrepfer. — Unpolitiſche Stadtzeitung u. Sport: Richard Rieß. — Kunſt u. Muſik: Albin v. Probram-Gladona. — Feuilleton u. Theater: Walter Foitzick. — Anzeigenteil: Joſef Spiegel, ſämtl. in München. — Redaktion: München, Baaderſtr. 1, Tel. 27940. — Berliner Schriftleitung: SW 68., Zimmerſtr. 9, Tel. Zentrum 54 98 u. 3967; Letter: Alfred Gerigk. [Abbildung] Die Allgemeine Zeitung erſcheint täglich. Bei Störung des Erſcheinens infolge höherer Gewalt oder Streiks beſteht kein Anſpruch auf Zeitungslieferung oder Rückzahlung des Be- zugsgeldes. Bezugspreis: Mk. 2.80 für den Monat. Anzeigenpreis: für die 9-ſpaltige Millimeterzeile im Inſeratenteil M. 0.25, im Reklameteil M. 0.80. Kleine Anzeigen M. 0.10 Verlag der Allgemeinen Zeitung G.m.b.H. München. Poſtſcheckkonto: München 8170 Druck: Druckerei- und Verlags-A.-G. München, Baaderſtraße 1 und 1a. Telefon 24287. Einzelpreis 5 Pfennig. Der ſinkende Franken. Sonderdienſt der Allgem. Zeitung. ** Paris, 6. Jan. Finanzminiſter de Laſterie, der am Samstag aus der Provinz nach Paris zurückkehrte konfe- rierte geſtern und heute mit dem Gouver- neur der Bank von Frankreich, dem Syn- dikus der Wechſelagenten, dem Präſidenten der Pariſer Handelskammer und einer An- zahl ſonſtiger Finanzleute über die Lage auf dem Wechſelmarkt und über Maßnahmen zur Unterdrückung der Baiſſeſpekulation in franzöſiſchen Franken. In erſter Linie iſt beabſichtigt, die Spe- kulation ohne Deckung zu be- kämpfen, die in den letzten Tagen von mehreren Großbanken betrieben worden ſein ſoll. „Ere Nouvelle“ bemerkt hierzu, daß eine „mißbräuchliche Spekulation“ vor- liege. Es ſtehe aber feſt, daß die Urſachen tiefer lägen. Die Spekulation heute die Urſachen nur aus. Sie lägen in der Finanzpolitik, die von der Hand in den Mund lebe, die auf dem Papier das Budget im Gleichgewicht halte, deſſen Gleichgewicht aber völlig zerſtört ſei. Inzwiſchen dauert der Sturz des Franken an. Der Dollar, der am Frei- tag mit 20,29 notiert wurde, erreichte am Samstag den Stand von 20,87. Der wahre Grund. Sonderdienſt der Allgem. Zeitung. ** Paris, 7. Januar. Der Sturz des Franken wird in hieſigen Finanzkreiſen darauf zurückgeführt, daß aus der Kriegs- und Nachkriegszeit zahlreiche kommu- nale Verpflichtungen beſtehen, die faſt ausſchließlich in Dollars und Pfund Sterling zu ſehr ungünſtigen Bedingungen, zu Zinsſätzen von 7—8% aufgenommen wurden und jetzt zurückge- zahlt werden müſſen. Damit würde es über- einſtimmen, daß in London dauernd franzö- ſiſche Franken gegen Dollars und Pfunde umgewechſelt werden. Man erwartet des- halb in der nächſten Zeit keine Beſſe- rung des Frankenkurſes. Auf Grund der Beſprechungen des Fi- nanzminiſters mit führenden Bank- und Fi- nanzleuten hat der Innenminiſter bereits Maßnahmen gegen die Spekula- tion eingeleitet. In erſter Linie ſoll die Börſe von ausländiſchen Elementen gerei- nigt werden. Man weiſt jedoch in Finanz- kreiſen darauf hin, daß der Sturz des Fran- ken zum großen Teil durch das Mißverhält- nis zwiſchen den Steuereinnahmen und den übergroßen Rüſtungausgaben veranlaßt ſei. Das Urteil Amerikas. Sonderdienſt der Allgem. Zeitung. ** Newyork, 7. Januar. In Wall- ſtreet beſchäftigt man ſich ſehr eingehend mit dem Frankenſturz. Es wird erklärt, daß die Schuld hieran nicht die inter- nationale Spekulation treffe, ſon- dern darauf zurückzuführen ſei, daß das Vertrauen in die franzöſiſche Währung des- halb geſunken ſei, weil die internationalen Schuldenfragen immer noch keine Löſung gefunden haben, Frankreich vielmehr inzwi- ſchen zu ſeinen Verpflichtungen gegenüber England und Amerika neue Verpflich- tungen gegen über den Balkan- ſtaaten und Polen übernommen habe. Spaltung der Sozialdemokratie. Der ſächſiſche Landesparteitag. Sonderdienſt der Allgemeinen Zeitung. ** Dresden, 7. Januar. Der ſozialdemokratiſche Landesparteitag, der geſtern im hieſigen Landtagsgebäude ſtattfand, und an dem 104 Delegierte teilnahmen, hatte darüber zu entſcheiden, ob die Partei an der großen Koalition in Sachſen teilnehmen ſolle. Er nahm einen außerordentlich ſtürmiſchen Verlauf, der die Spaltung der ſächſiſchen Partei unerläßlich erſcheinen läßt und auf die Partei des Reiches von tiefgreifender Wirkung ſein wird. Wie zu erwarten, hatten die Radikalen die Mehrheit. Sie ſetzten mit 74 gegen 22 Stimmen die Annahme einer Entſchließung durch, die den Rücktritt des neuen Mi- niſterpräſidenten Heldt und die ſofortige Auflöſung des Landtags fordert. Nachdem der Vorſitzende der Landtagsfraktion namens der gemäßigten Fraktions- mehrheit erklärt hatte, daß er dieſen Beſchluß nicht anerkenne und alſo auch nicht befolgen werde, ſich vielmehr an den Reichsparteitag wenden werde, der Ende März ſtattfindet, verließen die Gemäßigten und die aus Berlin eingetroffenen Dele- gierten Hilfferding, Wels und Dittmann (alſo zwei frühere Unabhängige) demonſtrativ den Saal und hielten ſich den weiteren Beratungen fern. Hierauf er- folgte die Annahme eines Antrags Lipinſki auf Ausſchluß aller derjenigen, die die Oppoſition von rechts bilden und billigen. Das heißt alſo, daß die radi- kale Parteitagsmehrheit die Spaltung bereits vollzogen hat. Von radikaler Seite wird erklärt, daß die Bildung der großen Koalition dem Landesparteitag die Entſchei- dung vorweggenommen habe und einen in der Geſchichte der Sozialdemokraten uner- hörten Bruch der Parteidiſziplin bedeute. Das kam auch in der außeror- dentlich demagogiſchen Schlußrede des Abg. Arzt zum Ausdruck. Nach dem Verlauf des Parteitages und der Erklärung des Fraktionsvorſtandes zu ſchließen, dürfte die Regierung der großen Koalition nun wahrſcheinlich im Amte blei- ben, allerdings unter Rücktritt der dem radikalen Flügel angehörenden Sozialdemo- kraten. Der als Wirtſchaftsminiſter in Ausſicht genommene Miniſterpräſident Fel- liſch hat für ſeine Perſon bereits die Konſequenzen gezogen und ſein Amt in die Hände des Miniſterpräſidenten zurückgelegt. Franzöſiſche Senatswahlen. * Paris, 7. Januar. Geſtern haben in 26 Departements Ergänzungswahlen zum Se- nat ſtattgefunden. Von den bisherigen Se- natoren ſind 73 wiedergewählt worden; neugewählt wurden neun Senatoren. Die Ergebniſſe von 33 Stichwahlen und das Er- gebnis aus Martinique liegt noch nicht vor. Beſondere Bedeutung mißt man der Wiederwahl Poincarés bei, der von insgeſamt 812 Stimmen mit der gewal- tigen Mehrheit von 794 Stimmen neuge- wählt wurde. Von den fünf Kommuniſten wurde bisher keiner gewählt, obgleich Ca- chin in ſämtlichen 36 Departements ſich als Kandidat aufſtellen ließ Großes Aufſehen erregt die Niederlage des konſervativen Vizepräſidenten des Senats, Rivet. Poincare triumphiert. Sonderdienſt der Allgem. Zeitung. ** Paris, 7. Januar. Poincaré erklärte nach ſeiner Wie- derwahl im Maaß-Departement in einer kurzen Anſprache: „Wir werden die Repa- rationspolitik fortführen, die allge- mein gutgeheißen worden iſt. Wir wer- den dieſe Politik mit Hartnäk- kigkeit verfolgen bis zum friedlichen Triumph (!) und der vollkommenen Ausführung des Verſailler Ver- trages.“ Rückwirkungen der Senatswahlen auf die franzöſiſche Geſamtpolitik ſind nicht zu er- warten. Man nimmt von vornherein nicht an, daß die Wahlen Ueberraſchungen brin- gen werden. Die Verſchiebungen ſind zum größten Teil auf rein lokale Gründe zurück- zuführen. Das einzige neue Moment iſt, daß die Sozialiſten jetzt mit zwei Man- daten zum erſtenmal in den Senat einzie- hen, und zwar auf Koſten der Radikalſozia- liſten, deren Kandidaten geſchlagen wurden. Außer dieſen beiden ſozialiſtiſchen Manda- ten hat die bürgerliche Linke allenfalls noch den Gewinn eines weiteren Mandats zu verzeichnen. Die bis heute morgen vorlie- genden Ziffern zeigen folgendes Ergebnis: Linksdemokraten 56, Union republicaine (Poincarés Partei) 33, Linksrepublikaner 13, Rechtsrepublikaner 11, Sozialiſten 2 Mandate. Paris—Belgrad. * Berlin, 6. Jan. Die über Paris und Belgrad veröffentlichten Nachrichten über den unmittelbar bevorſtehenden Abſchluß eines franzöſiſch-jugoſlaviſchen Vertrages nach dem Muſter des franko- tſchechiſchen Abkommens werden von unter- richteter Seite als zum mindeſten ver- früht bezeichnet. Auf der hieſigen jugoſlaviſchen Geſandt- ſchaft iſt offiziell von einem ſolch bevor- ſtehenden Abſchluß nichts bekannt. Es iſt aber möglich, daß die Frage eines ſolchen Abkommens auf der Konferenz der Kleinen Entente erörtert wird. Frankreich und der Lauſanner Vertrag. Paris, 6. Januar. Der „Matin“ glaubt zu wiſſen, daß Poincaré die ſofortige Rati- fikation des Lauſanner Ver- trags herbeizuführen beabſichtige. Er hofft, daß die Kammer bereits Ende Januar über den Vertrag abſtimmen und der Senat ihn in der erſten Hälfte des Februar gut- heißen wird. Der „Matin“ läßt durchblicken, daß die Regierung zur Verſtärkung ihrer Poſition in der Kammer die ſofortige Eröffnung eines von Angora herbeigeführten Mei- nungsaustauſches in der Frage der Zins- ſcheine wünſche. Aus den weiteren Auslaſſungen des Blat- tes iſt zu entnehmen, daß Poincaré ſich we- gen der deutſchen Annäherungs- verſuche in der Türkei, die durch die be- vorſtehende Abreiſe des Bukareſter deut- ſchen Geſandten nach Angora in ein neues Stadium gerückt ſei, ſich zu beſonderer Eile angetrieben ſehe. Naturrecht und Humanität. Von Thomas Mann München, 30. Dezember 1923. Spricht man in Deutſchland von „Demo- kratie“, ſo pflegen die Unterredner nichts weiter als eine Staatsform, die Republik alſo, darunter zu verſtehen und einem mit den Argumenten zu begegnen, die gegen dieſe Verfaſſung jederzeit bequem zur Hand ſind, die man ſelbſt bis zum Ueberdruſſe am Schnürchen hat. Aber damit iſt nicht viel ge- tan; die Widerlegung iſt ſchwach, ſie iſt nur parteipolitiſch, während man doch nicht Par- teipolitik treibt, wenn man den Fürſprecher der Demokratie macht, ſondern in bewußter Selbſtkorrektur für gewiſſe geiſtige Not- wendigkeiten ſich einſetzt, denen Rechnung zu tragen der Deutſche um ſeiner inneren Geſundheit willen ſich nicht wird ſperren können. Worin ſie beſtehen, dieſe Notwen- digkeiten, was alſo in Wahrheit Demo- kratie iſt und welcher bedeutenden und keineswegs einfach verächtlichen Art die Widerſtände ſind, die das deutſche Weſen ihr hiſtoriſch entgegenſetzt, das iſt mit vollen- deter Klarheit ausgeſprochen in der un- ſcheinbaren Broſchüre, deren Lektüre ich aller Welt empfehle. Sie heißt „Naturrecht und Humanität in der Weltpolitik“ und hat zum Verfaſſer Ernſt Tröltſch, den leider kürzlich verſtor- benen Kulturphiloſophen. Dieſe Schrift iſt eine poſthume Veröffentlichung, nichts als ein Vortrag, den Tröltſch kurz vor ſeinem Ende bei der Jahresfeier der Deutſchen Hochſchule für Politik gehalten. Sie begnügt ſich nicht, den Unterſchied des deutſchen politiſch-geſchichtlich-moraliſchen. Denkens gegenüber dem weſteuropäiſch-amerikani- ſchen, kurz geſagt alſo, den Gegenſatz zwi- ſchen der Ideenwelt der deutſch-romanti- ſchen Gegenrevolution und der älteren bür- gerlich-konſervativ-revolutionären des Na- turrechtes, der Humanität und des Fort- ſchrittes mit bewunderungswürdiger Präzi- ſion aufzuzeigen. Sie hält ſich nicht im ana- lytiſch Kontemplativen, ſie wird von einem gewiſſen Punkte an zur pädagogiſchen For- derung. Mit überzeugender Wärme beweiſt und propagiert ſie das hiſtoriſche Erforder- nis einer Wiederannäherung des deutſchen Gedankens an den mit beſtimmten religi- öſen und ideologiſchen Elementen unſeres Kulturkreiſes unlöslich verbundenen weſt- europäiſchen, unter Vorbehalt aller an der Verrottung und dem heuchleriſchen Miß- brauch der antik-chriſtlichen Humanitäts- idee zu übenden Kritik, beweiſt, ſage ich und propagiert die vollkommene Möglich- keit, dieſe zeit- und weltnotwendige Wieder- annäherung ohne jede grundſätzliche Ver- leugnung unſerer geiſtigen Eigenart zu voll- ziehen.... Ich kann den großen Gedan- kengang der Schrift nicht auf zwei Worte bringen. Was aber hier von einem gelehrten Denker mit ſtärkender Beſtimmtheit aus geſprochen wurde, das war, gefühlsweiſe als dunkle Gewiſſensregung, ſeit Jahr und Tag in manchem Deutſchen lebendig gewe- ſen — in ſolchen vielleicht ſogar, die in Zauberberge des romantiſchen Aeſthetizis- mus recht lange und gründlich geweilt — und hatte zu Bekenntniſſen geführt, die vor einer Zukunftsloſigkeit, die ſich treu dünkt als Zeugnis des Ueberläufertums und den Geſinnungslumperei übel begrüßt worden waren. ... Nicht ohne Sinn für die düſtere Würde eines Konſervativismus, der Todesverbun- denheit bedeutet, bleiben wir entſchloſſen uns nicht irre machen zu laſſen in unſere

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-12-19T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 6, vom 7. Januar 1924, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine06_1924/1>, abgerufen am 23.11.2024.