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Allgemeine Zeitung, Nr. 4, 4. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch]
Die neuesten Nordpolar-Fahrten.

Die Geschichte der neueren und neuesten Nordpol-Expeditionen liefert ein-
mal wieder einen recht deutlichen Beleg zu dem Satz, daß durch Getheiltheit der
Meinungen und Uneinigkeit der Fachmänner so manches große Unternehmen selbst
bei den günstigsten Aussichten und zureichenden Mitteln ohne einen dem Aufwand
entsprechenden Erfolg bleibt. Hätten alle die Expeditionen die in den letzten zehn
Jahren zur Erforschung des Nordmeeres ausgiengen, nach einem gemeinschaftlichen
Plane gearbeitet, welche Errungenschaften könnten wir nicht wohl heut zu Tage
als deren Ergebniß begrüßen? Statt dessen sehen wir gerade die kostspieligsten
Expeditionen zurückkehren ohne die Polarfrage ihrer Lösung näher gebracht zu
haben. Dagegen blieb es den zwei letzten Jahren vorbehalten durch ganz be-
scheidene, meist aus Privatmitteln ausgerüstete Unternehmungen diese Frage wesent-
lich zu fördern. Sehen wir die General-Rechnungs-Ablage im neuesten Heft von
Petermanns Mittheilungen, so finden wir daß die erste deutsche Nordpolar-Expe-
dition 16,441, die zweite gar die enorme Summe von 84,251 Thalern gekostet hat,
während die Zeil-Heuglin'sche und die Weyprecht-Payer'schen Expeditionen, die
beide so vorzügliches leisteten, dem Nationalfonds zusammen nur 2100 Thaler
entnommen haben. Solche Ziffern bedürfen keines Commentars. Die Osborn'sche,
in England am meisten vertretene, aber auch in Deutschland in neuester Zeit von
Petermanns Gegnern aufgenommene Theorie ist bekanntlich, daß nur eine Fahrt
in der Richtung über Baffinsbay und Smith-Sund die Aussicht biete die Polar-
frage zu lösen und den Nordpol zu erreichen. Dieser Meinung war Petermann
schon vor vielen Jahren entgegengetreten. Durch gründliches Studium des Golf-
stromes war er zu der Ansicht gelangt daß gerade das europäische Polarmeer am
meisten Aussicht auf ein unbehindertes Vordringen gegen den Pol zu gewähre.
Im Kennedy-Canal und Smith-Sund findet eine starke Strömung von Norden nach
Süden statt, und es möchte nun allerdings mit einigem Anscheine von Recht ange-
nommen werden daß, wenn man durch das Treibeis jener Polarströme hindurch-
käme, man ein verhältnißmäßig eisfreies Meer treffen würde. Aber die Erfahrung
hat gezeigt daß die dort sich aufstauende Treibeismasse nur äußerst selten durch-
brochen werden kann. Anders ist es in der Gegend östlich von Grönland, wie Peter-
mann schon lange behauptet und wie die Polarfahrten der zwei letzten Jahre be-
wiesen haben.

Der noch vor wenigen Jahren von einigen für eine bloße Driftströmung er-
klärte, von anderen geradezu geläugnete, schließlich aber doch wieder siegreich con-
statirte Golfstrom muß in der That als der einzige Wegweiser einer auf Erfolg
rechnenden Nordpolarfahrt angesehen werden. Wo der Golfstrom nicht hindringt,
zeigt sich das Packeis undurchdringlich, das sogenannte eisfreie (d. h. von Packeis
freie) Polarmeer konnte also, wie Petermann richtig annahm, nur da gesucht wer-
den wo dieser Golfstrom hindringt. Daß dieß bis ins Karische Meer, ja bis zum
Cap Jakan in der Beringsstraße der Fall ist, war eine von ihm schon im Jahr
1852 festgestellte Thatsache. Er hat deßhalb immer das europäische Nordmeer und
zwar im speciellen den Theil des Polarmeeres zwischen Spitzbergen und Novaja
Semlä als Ziel einer Nordpolarfahrt empfohlen. Es ist bekannt daß diese An-
sicht bei der zweiten deutschen Nordpolar-Expedition nicht durchdrang. Die Engländer,
welche von jeher die deutsche Forschung verkleinerten und lächerlich zu machen such-
ten, constatirten zu ihrer Schadenfreude daß jene Expedition nicht um einen halben
Grad zu Schiff weiter nördlich vordringen konnte als ihre Vorgänger, daß sie im
Vergleich zu dem Aufwand von Mitteln verhältnißmäßig wenig geleistet und zur
Lösung der Polarfrage gar nichts beigetragen hat.

Dieß das Urtheil der Berichterstatter der Londoner Geographischen Gesell-
schaft in der Sitzung vom 23 Januar 1871. Jeder Unbefangene muß leider einge-
stehen daß, wenn auch hart, jenes Urtheil doch nicht absolut unrichtig ist. Aber
mit einer seltenen Oberflächlichkeit warfen jene Berichterstatter Petermanns Plan
mit demjenigen zusammen der bei der zweiten deutschen Nordpolar-Expedition sehr
wider seinen Willen zur Ausführung gelangt war. Die englischen Geographen
ließen gänzlich außer Acht daß sein Plan sich auf das ganze europäische Nord-
meer von Ostgrönland bis Novaja Semlä und Sibirien, und zwar vorzüglich auf
den östlichen Theil jenes Meeres bezog, während die Expedition ja nur den aller-
westlichsten Theil desselben aufsuchte.

Zum Glück haben aber seitdem sowohl die norwegischen Fahrten als auch
mehrere deutsche Expeditionen den von Petermann angegebenen Plan zu verfolgen be-
gonnen, und wenn auch vorerst hier nur von Versuchen die Rede sein kann, so haben
doch diese bereits so vortheilhafte Resultate erzielt daß wir in ihnen die volle Bestäti-
gung von Petermanns Theorie der nördlichen Verzweigung des Golfstroms und
eines eisfreien Polarmeeres finden können. Eine der wichtigsten, obgleich mit den
spärlichsten Mitteln unternommene, war die dießjährige Fahrt von Payer und
Weyprecht. Von dieser gibt uns gleichfalls das neueste Heft der Mittheilungen
eine vorläufige Uebersicht, nach deren gewissenhafter Prüfung jeder Unbefangene
zur Einsicht gelangen wird daß denn doch wohl böser Wille dazu gehört die Trag-
weite der von dem Genannten gemachten Entdeckungen zu unterschätzen, besonders
da diese nicht vereinzelt dastehen, sondern durch zwei andere dießjährige Seefahrer,
die Capitäne Tobiesen und Mack, vollkommen bestätigt werden.

Die Entdeckung eines schiffbaren Meeres in den Polarregionen ist, wie der
Verfasser mit Recht sagt, die größte und wichtigste die in solchem Gebiet überhaupt
gemacht werden kann; daß es sich hier nicht um eine sogenannte Polynia, d. h. eine
räumlich sehr beschränkte offene Stromstelle oder Stromloch (stream hole), sondern
wirklich um ein ausgedehntes eisfreies Meer handelt, beweist nicht nur die Aus-
dehnung von Payer und Weyprechts Beobachtungen (zwischen 42o und 60o Oe. L.
v. Gr.) sondern auch Capitän Macks Verfolgung dieses eisfreien Meeres bis zum
81o Oe. L. v. Gr. Durch diese vereinten Forschungen ist nun festgestellt daß im
August und September in hohen arktischen Regionen eine Fläche die an Ausdeh-
nung der des deutschen Reiches kaum nachstehen dürfte, nicht bloß offen und schiff-
bar, sondern fast absolut eisfrei ist.

Dennoch fehlt es sowohl in Deutschland als in England nicht an Gegnern
welche die erwähnten Entdeckungen entweder verkleinern oder ganz läugnen. Sehr
betrübend ist was wir in dem besagten 12. Heft über Petermanns deutsche Gegner
rfahren. Dergleichen ist natürlich Wasser auf die Mühle der Engländer, die noch
[Spaltenumbruch] immer ihren Osborne'schen Standpunkt nicht aufgeben wollen. So sinden wir
auch im neuesten Athenäum (vom 23 December 1871) die Forschungen Payers und
Weyprechts bezweifelt. Dort wird diese Entdeckung der angeblichen von Kane an
die Seite gestellt, der im Smith-Sund ein "offenes Meer" gefunden haben wollte,
welches Hayes im Jahr 1861 "mit Eis bedeckt" finden sollte. Dieser Vergleich
ist, gelinde gesagt, oberflächlich, denn wer hatte Kane's "offenes Meer" gesehen?
Niemand als sein Steward Morton, während wir hier vier erfahrene Seemänner
und Nordpolarfahrer, Mack, Tobiesen, Weyprecht und Payer, als Zeugen haben.
Unbegreiflich aber ist es wie jener Artikel sagen kann, die beiden deutschen Reisen-
den hätten nur eine zeitweise offene Stelle "von geringer Ausdehnung" gefunden,
und dennoch hatte der Verfasser das 12. Heft der Mittheilungen vor Augen, in
dem deutlich dargethan ist daß dieses offene Meer vom 40o bis 81o Oe. L. v. Gr.
verfolgt wurde. Schließlich muß dann noch Lamont herhalten, der dieses Jahr
wieder bei Südost-Spitzbergen dickes Eis gefunden hat. Kein Mensch hat aber
behauptet daß solches Eis sich dort nicht temporär finden könne. Hätte Lamont
Geduld gehabt, so würde er im August und September eben da offenes Fahr-
wasser angetroffen haben wo im Juni und Juli Eis lag. Uebrigens gesteht ja
Lamont in dem von Petermann mitgetheilten Bericht selbst ein, daß da sein Haupt-
zweck die Jagd gebildet habe, ein längeres Warten ihm nie gelegen gewesen sei, wie
er denn überhaupt nicht wissenschaftliche Ziele verfolgte.

Höchst interessant und eine vollkommene Bestätigung der Golfstrom-Theorie
ist auch Macks in diesem Jahre bei Novaja Semlä gemachte Entdeckung der von
ihm benannten Castanien-Inseln. Diesen Namen gab er ihnen nach einer hier
wachsenden, in Westindien einheimischen Pflanze, woraus neue Beweise für Peter-
manns bereits so lange aufgestellte und festgehaltene Ansicht abgeleitet werden
dürften, daß die Gewässer des Golfstroms und zwar des wirklichen Florida-
Stromes sich bis in jene hohen Breiten des Polarmeeres erstrecken.

Hoffen wir übrigens daß die, wir können mit Stolz sagen, deutsche Nord-
polar-Forschung, als deren Vormann Petermann gerühmt werden muß, auch jene
Gegner mit der Zeit überwinden wird. Suchte man nicht anfangs auch Johann-
sens Entdeckungen, welcher im Jahr 1869 in dem früher so gefürchteten und für
unzugänglich gehaltenen Karischen Meere einen vollständigen Periplus ausführte,
zu verdächtigen, ja diesen wackern Seemann selbst als einen Lügner hinzustellen?
Und doch sollte dieses Meer in dem nächstfolgenden Jahre (1870) von nicht weni-
ger als 60 norwegischen Schiffen befahren werden. Hat man nicht eben so die
Zeil-Heuglin'schen Beobachtungen als "optische Täuschungen" verschrieen? Dennoch
haben sich die Entdeckungen der Genannten seitdem volle Anerkennung errungen.
Aehnlich wird es auch hier gehen, und hoffentlich wird schon das nächste Jahr den
schon errungenen Beweisen neue hinzufügen. Die unermüdlichen Forscher Wey-
precht und Payer rüsten sich von neuem zu einer größeren arktischen Fahrt. Peter-
mann hat bereits einen Fonds hiefür gesammelt und, wie wir hören, hat der hoch-
herzige wohlbekannte Gönner arktischer Forschungen in Wien auch dießmal einen
sehr ansehnlichen Betrag der Expedition zu widmen beschlossen. Wir können uns
von der Erfahrung der Reisenden, die bereits mit so geringen Mitteln so ausge-
zeichnetes geleistet haben, dießmal ein ganz ausnahmsweise günstiges Resultat ver-
sprechen, und so wird denn hoffentlich das eben begonnene Jahr 1872 in den
Annalen arktischer Entdeckungen Epoche machen.



Neueste Posten.

Wie der "Bayer. Kur." aus sicherster Quelle erfährt
war gestern der Abt des Benedictinerklosters zu St. Stephan in Augsburg, Ra-
phael Mörtl in München, um die ihm zugedachte Würde eines Bischofs von Speyer
entschieden abzulehnen.

Das Kriegsministerium ist durch landesherrliche
Verordnung vom 27 Dec. mit dem heutigen definitiv aufgehoben, nachdem inzwi-
schen die Mehrzahl der noch schwebenden Geschäfte der badischen Militärverwaltung
definitiv erledigt worden ist. Für den Rest wird eine besondere Commission ein-
gesetzt. (Schw. M.)

Gestern Vormittags fand (wie schon kurz erwähnt) hier im Eng-
lischen Hause die Eröffnung des deutschen Anwaltstages statt. Der Verein, welcher
gegenwärtig 1311 Mitglieder zählt, war durch etwa 150 Mitglieder aus allen Theilen
Deutschlands vertreten. Justizrath Dorn eröffnete Namens des Ausschusses die Ver-
handlungen, worauf zur Constituirung der Versammlung geschritten ward. Es wur-
den gewählt: Advocat Kreitmair aus Bamberg zum Vorsitzenden, Justizrath Ulfert aus
Berlin zu dessen Stellvertreter und zum zweiten Stellvertreter der Justizrath Hoffmann
aus Bonn. Zu Schriftführern wurden sodann gewählt die Rechtsanwälte Meinhardt
aus Gnesen, Johannsen aus Berlin, Weber aus Aachen und Kretschmann aus Aachen.
Dann trat die Versammlung in die Tagesordnung, deren einzigen Gegenstand die Be-
rathung des Entwurfs einer deutschen Civilproceßordnung bildete. Das Referat über
dieselbe hatten die HH. Hänle aus Ansbach und Rechtsanwalt Staemmler aus Ber-
lin übernommen, welche beide auf Veranlassung des Vereins ein schriftliches Gutachten
über den gedachten Entwurf ausgearbeitet hatten. Diesen Gutachten waren speciell die
folgenden Fragen zu Grunde gelegt: "1. Ist der von dem Entwurf in den §§. 113 ff.,
209 ff. aufgestellte Grundsatz der reinen Mündlichkeit zu billigen, oder sollen die der
mündlichen Verhandlung voraufgehenden Schriftsätze für die Feststellung des That-
bestandes maßgebend sein? 2. Sollen Angriffs- und Vertheidigungsmittel (Einreden,
Widerklage, Repliken) bis zum Schlusse derjenigen mündlichen Verhandlung vor-
gebracht werden dürfen auf welche das Urtheil ergeht? (§§. 228, 232.) 3. Ist der
Grundsatz der Beweisverbindung (§§. 114, Nr. 4, 231,232) zu acceptiren? 4.
Ist die Bestimmung im §. 295 des Entwurfs: "Die Beweisaufnahme erfolgt vor dem
Proceßgericht," in der von dem Entwurf angenommenen Ausdehnung gerechtfertigt?"
Zunächst wurde über die Frage des mündlichen Verfahrens die Debatte eröffnet,
in welcher Advocat Hänle folgende Sätze ausführlich begründet: a) Der von dem Ent-
wurf aufgestellte Grundsatz der reinen Mündlichkeit ist zu billigen; b) es ist zu billigen
daß Angriffs- und Vertheidigungsmittel (Einreden, Widerklagen, Repliken) bis zum
Schlusse derjenigen mündlichen Verhandlung vorgebracht werden dürfen auf welche das
Urtheil ergeht; vielleicht mit Ausnahme der Zeugenbenennung, falls, im Gegensatze zum
Entwurf, das Gesetz eine Berufung gegen landgerichtliche Urtheile zulassen oder auch
eine nachträgliche Zeugenbenennung im Restitutionswege gestatten würde; c) die §§. 713 ff.
des Entwurfs können zum Schutze gegen muthwillige oder chicanöse Proceßverzögerung
angewandt, nach §. 88 des Entwurfes kann der Ersatz der durch die Proceßverzögerung

[Spaltenumbruch]
Die neueſten Nordpolar-Fahrten.

Die Geſchichte der neueren und neueſten Nordpol-Expeditionen liefert ein-
mal wieder einen recht deutlichen Beleg zu dem Satz, daß durch Getheiltheit der
Meinungen und Uneinigkeit der Fachmänner ſo manches große Unternehmen ſelbſt
bei den günſtigſten Ausſichten und zureichenden Mitteln ohne einen dem Aufwand
entſprechenden Erfolg bleibt. Hätten alle die Expeditionen die in den letzten zehn
Jahren zur Erforſchung des Nordmeeres ausgiengen, nach einem gemeinſchaftlichen
Plane gearbeitet, welche Errungenſchaften könnten wir nicht wohl heut zu Tage
als deren Ergebniß begrüßen? Statt deſſen ſehen wir gerade die koſtſpieligſten
Expeditionen zurückkehren ohne die Polarfrage ihrer Löſung näher gebracht zu
haben. Dagegen blieb es den zwei letzten Jahren vorbehalten durch ganz be-
ſcheidene, meiſt aus Privatmitteln ausgerüſtete Unternehmungen dieſe Frage weſent-
lich zu fördern. Sehen wir die General-Rechnungs-Ablage im neueſten Heft von
Petermanns Mittheilungen, ſo finden wir daß die erſte deutſche Nordpolar-Expe-
dition 16,441, die zweite gar die enorme Summe von 84,251 Thalern gekoſtet hat,
während die Zeil-Heuglin’ſche und die Weyprecht-Payer’ſchen Expeditionen, die
beide ſo vorzügliches leiſteten, dem Nationalfonds zuſammen nur 2100 Thaler
entnommen haben. Solche Ziffern bedürfen keines Commentars. Die Osborn’ſche,
in England am meiſten vertretene, aber auch in Deutſchland in neueſter Zeit von
Petermanns Gegnern aufgenommene Theorie iſt bekanntlich, daß nur eine Fahrt
in der Richtung über Baffinsbay und Smith-Sund die Ausſicht biete die Polar-
frage zu löſen und den Nordpol zu erreichen. Dieſer Meinung war Petermann
ſchon vor vielen Jahren entgegengetreten. Durch gründliches Studium des Golf-
ſtromes war er zu der Anſicht gelangt daß gerade das europäiſche Polarmeer am
meiſten Ausſicht auf ein unbehindertes Vordringen gegen den Pol zu gewähre.
Im Kennedy-Canal und Smith-Sund findet eine ſtarke Strömung von Norden nach
Süden ſtatt, und es möchte nun allerdings mit einigem Anſcheine von Recht ange-
nommen werden daß, wenn man durch das Treibeis jener Polarſtröme hindurch-
käme, man ein verhältnißmäßig eisfreies Meer treffen würde. Aber die Erfahrung
hat gezeigt daß die dort ſich aufſtauende Treibeismaſſe nur äußerſt ſelten durch-
brochen werden kann. Anders iſt es in der Gegend öſtlich von Grönland, wie Peter-
mann ſchon lange behauptet und wie die Polarfahrten der zwei letzten Jahre be-
wieſen haben.

Der noch vor wenigen Jahren von einigen für eine bloße Driftſtrömung er-
klärte, von anderen geradezu geläugnete, ſchließlich aber doch wieder ſiegreich con-
ſtatirte Golfſtrom muß in der That als der einzige Wegweiſer einer auf Erfolg
rechnenden Nordpolarfahrt angeſehen werden. Wo der Golfſtrom nicht hindringt,
zeigt ſich das Packeis undurchdringlich, das ſogenannte eisfreie (d. h. von Packeis
freie) Polarmeer konnte alſo, wie Petermann richtig annahm, nur da geſucht wer-
den wo dieſer Golfſtrom hindringt. Daß dieß bis ins Kariſche Meer, ja bis zum
Cap Jakan in der Beringsſtraße der Fall iſt, war eine von ihm ſchon im Jahr
1852 feſtgeſtellte Thatſache. Er hat deßhalb immer das europäiſche Nordmeer und
zwar im ſpeciellen den Theil des Polarmeeres zwiſchen Spitzbergen und Novaja
Semlä als Ziel einer Nordpolarfahrt empfohlen. Es iſt bekannt daß dieſe An-
ſicht bei der zweiten deutſchen Nordpolar-Expedition nicht durchdrang. Die Engländer,
welche von jeher die deutſche Forſchung verkleinerten und lächerlich zu machen ſuch-
ten, conſtatirten zu ihrer Schadenfreude daß jene Expedition nicht um einen halben
Grad zu Schiff weiter nördlich vordringen konnte als ihre Vorgänger, daß ſie im
Vergleich zu dem Aufwand von Mitteln verhältnißmäßig wenig geleiſtet und zur
Löſung der Polarfrage gar nichts beigetragen hat.

Dieß das Urtheil der Berichterſtatter der Londoner Geographiſchen Geſell-
ſchaft in der Sitzung vom 23 Januar 1871. Jeder Unbefangene muß leider einge-
ſtehen daß, wenn auch hart, jenes Urtheil doch nicht abſolut unrichtig iſt. Aber
mit einer ſeltenen Oberflächlichkeit warfen jene Berichterſtatter Petermanns Plan
mit demjenigen zuſammen der bei der zweiten deutſchen Nordpolar-Expedition ſehr
wider ſeinen Willen zur Ausführung gelangt war. Die engliſchen Geographen
ließen gänzlich außer Acht daß ſein Plan ſich auf das ganze europäiſche Nord-
meer von Oſtgrönland bis Novaja Semlä und Sibirien, und zwar vorzüglich auf
den öſtlichen Theil jenes Meeres bezog, während die Expedition ja nur den aller-
weſtlichſten Theil desſelben aufſuchte.

Zum Glück haben aber ſeitdem ſowohl die norwegiſchen Fahrten als auch
mehrere deutſche Expeditionen den von Petermann angegebenen Plan zu verfolgen be-
gonnen, und wenn auch vorerſt hier nur von Verſuchen die Rede ſein kann, ſo haben
doch dieſe bereits ſo vortheilhafte Reſultate erzielt daß wir in ihnen die volle Beſtäti-
gung von Petermanns Theorie der nördlichen Verzweigung des Golfſtroms und
eines eisfreien Polarmeeres finden können. Eine der wichtigſten, obgleich mit den
ſpärlichſten Mitteln unternommene, war die dießjährige Fahrt von Payer und
Weyprecht. Von dieſer gibt uns gleichfalls das neueſte Heft der Mittheilungen
eine vorläufige Ueberſicht, nach deren gewiſſenhafter Prüfung jeder Unbefangene
zur Einſicht gelangen wird daß denn doch wohl böſer Wille dazu gehört die Trag-
weite der von dem Genannten gemachten Entdeckungen zu unterſchätzen, beſonders
da dieſe nicht vereinzelt daſtehen, ſondern durch zwei andere dießjährige Seefahrer,
die Capitäne Tobieſen und Mack, vollkommen beſtätigt werden.

Die Entdeckung eines ſchiffbaren Meeres in den Polarregionen iſt, wie der
Verfaſſer mit Recht ſagt, die größte und wichtigſte die in ſolchem Gebiet überhaupt
gemacht werden kann; daß es ſich hier nicht um eine ſogenannte Polynia, d. h. eine
räumlich ſehr beſchränkte offene Stromſtelle oder Stromloch (stream hole), ſondern
wirklich um ein ausgedehntes eisfreies Meer handelt, beweist nicht nur die Aus-
dehnung von Payer und Weyprechts Beobachtungen (zwiſchen 42º und 60º Oe. L.
v. Gr.) ſondern auch Capitän Macks Verfolgung dieſes eisfreien Meeres bis zum
81º Oe. L. v. Gr. Durch dieſe vereinten Forſchungen iſt nun feſtgeſtellt daß im
Auguſt und September in hohen arktiſchen Regionen eine Fläche die an Ausdeh-
nung der des deutſchen Reiches kaum nachſtehen dürfte, nicht bloß offen und ſchiff-
bar, ſondern faſt abſolut eisfrei iſt.

Dennoch fehlt es ſowohl in Deutſchland als in England nicht an Gegnern
welche die erwähnten Entdeckungen entweder verkleinern oder ganz läugnen. Sehr
betrübend iſt was wir in dem beſagten 12. Heft über Petermanns deutſche Gegner
rfahren. Dergleichen iſt natürlich Waſſer auf die Mühle der Engländer, die noch
[Spaltenumbruch] immer ihren Osborne’ſchen Standpunkt nicht aufgeben wollen. So ſinden wir
auch im neueſten Athenäum (vom 23 December 1871) die Forſchungen Payers und
Weyprechts bezweifelt. Dort wird dieſe Entdeckung der angeblichen von Kane an
die Seite geſtellt, der im Smith-Sund ein „offenes Meer“ gefunden haben wollte,
welches Hayes im Jahr 1861 „mit Eis bedeckt“ finden ſollte. Dieſer Vergleich
iſt, gelinde geſagt, oberflächlich, denn wer hatte Kane’s „offenes Meer“ geſehen?
Niemand als ſein Steward Morton, während wir hier vier erfahrene Seemänner
und Nordpolarfahrer, Mack, Tobieſen, Weyprecht und Payer, als Zeugen haben.
Unbegreiflich aber iſt es wie jener Artikel ſagen kann, die beiden deutſchen Reiſen-
den hätten nur eine zeitweiſe offene Stelle „von geringer Ausdehnung“ gefunden,
und dennoch hatte der Verfaſſer das 12. Heft der Mittheilungen vor Augen, in
dem deutlich dargethan iſt daß dieſes offene Meer vom 40º bis 81º Oe. L. v. Gr.
verfolgt wurde. Schließlich muß dann noch Lamont herhalten, der dieſes Jahr
wieder bei Südoſt-Spitzbergen dickes Eis gefunden hat. Kein Menſch hat aber
behauptet daß ſolches Eis ſich dort nicht temporär finden könne. Hätte Lamont
Geduld gehabt, ſo würde er im Auguſt und September eben da offenes Fahr-
waſſer angetroffen haben wo im Juni und Juli Eis lag. Uebrigens geſteht ja
Lamont in dem von Petermann mitgetheilten Bericht ſelbſt ein, daß da ſein Haupt-
zweck die Jagd gebildet habe, ein längeres Warten ihm nie gelegen geweſen ſei, wie
er denn überhaupt nicht wiſſenſchaftliche Ziele verfolgte.

Höchſt intereſſant und eine vollkommene Beſtätigung der Golfſtrom-Theorie
iſt auch Macks in dieſem Jahre bei Novaja Semlä gemachte Entdeckung der von
ihm benannten Caſtanien-Inſeln. Dieſen Namen gab er ihnen nach einer hier
wachſenden, in Weſtindien einheimiſchen Pflanze, woraus neue Beweiſe für Peter-
manns bereits ſo lange aufgeſtellte und feſtgehaltene Anſicht abgeleitet werden
dürften, daß die Gewäſſer des Golfſtroms und zwar des wirklichen Florida-
Stromes ſich bis in jene hohen Breiten des Polarmeeres erſtrecken.

Hoffen wir übrigens daß die, wir können mit Stolz ſagen, deutſche Nord-
polar-Forſchung, als deren Vormann Petermann gerühmt werden muß, auch jene
Gegner mit der Zeit überwinden wird. Suchte man nicht anfangs auch Johann-
ſens Entdeckungen, welcher im Jahr 1869 in dem früher ſo gefürchteten und für
unzugänglich gehaltenen Kariſchen Meere einen vollſtändigen Periplus ausführte,
zu verdächtigen, ja dieſen wackern Seemann ſelbſt als einen Lügner hinzuſtellen?
Und doch ſollte dieſes Meer in dem nächſtfolgenden Jahre (1870) von nicht weni-
ger als 60 norwegiſchen Schiffen befahren werden. Hat man nicht eben ſo die
Zeil-Heuglin’ſchen Beobachtungen als „optiſche Täuſchungen“ verſchrieen? Dennoch
haben ſich die Entdeckungen der Genannten ſeitdem volle Anerkennung errungen.
Aehnlich wird es auch hier gehen, und hoffentlich wird ſchon das nächſte Jahr den
ſchon errungenen Beweiſen neue hinzufügen. Die unermüdlichen Forſcher Wey-
precht und Payer rüſten ſich von neuem zu einer größeren arktiſchen Fahrt. Peter-
mann hat bereits einen Fonds hiefür geſammelt und, wie wir hören, hat der hoch-
herzige wohlbekannte Gönner arktiſcher Forſchungen in Wien auch dießmal einen
ſehr anſehnlichen Betrag der Expedition zu widmen beſchloſſen. Wir können uns
von der Erfahrung der Reiſenden, die bereits mit ſo geringen Mitteln ſo ausge-
zeichnetes geleiſtet haben, dießmal ein ganz ausnahmsweiſe günſtiges Reſultat ver-
ſprechen, und ſo wird denn hoffentlich das eben begonnene Jahr 1872 in den
Annalen arktiſcher Entdeckungen Epoche machen.



Neueſte Poſten.

Wie der „Bayer. Kur.“ aus ſicherſter Quelle erfährt
war geſtern der Abt des Benedictinerkloſters zu St. Stephan in Augsburg, Ra-
phael Mörtl in München, um die ihm zugedachte Würde eines Biſchofs von Speyer
entſchieden abzulehnen.

Das Kriegsminiſterium iſt durch landesherrliche
Verordnung vom 27 Dec. mit dem heutigen definitiv aufgehoben, nachdem inzwi-
ſchen die Mehrzahl der noch ſchwebenden Geſchäfte der badiſchen Militärverwaltung
definitiv erledigt worden iſt. Für den Reſt wird eine beſondere Commiſſion ein-
geſetzt. (Schw. M.)

Geſtern Vormittags fand (wie ſchon kurz erwähnt) hier im Eng-
liſchen Hauſe die Eröffnung des deutſchen Anwaltstages ſtatt. Der Verein, welcher
gegenwärtig 1311 Mitglieder zählt, war durch etwa 150 Mitglieder aus allen Theilen
Deutſchlands vertreten. Juſtizrath Dorn eröffnete Namens des Ausſchuſſes die Ver-
handlungen, worauf zur Conſtituirung der Verſammlung geſchritten ward. Es wur-
den gewählt: Advocat Kreitmair aus Bamberg zum Vorſitzenden, Juſtizrath Ulfert aus
Berlin zu deſſen Stellvertreter und zum zweiten Stellvertreter der Juſtizrath Hoffmann
aus Bonn. Zu Schriftführern wurden ſodann gewählt die Rechtsanwälte Meinhardt
aus Gneſen, Johannſen aus Berlin, Weber aus Aachen und Kretſchmann aus Aachen.
Dann trat die Verſammlung in die Tagesordnung, deren einzigen Gegenſtand die Be-
rathung des Entwurfs einer deutſchen Civilproceßordnung bildete. Das Referat über
dieſelbe hatten die HH. Hänle aus Ansbach und Rechtsanwalt Staemmler aus Ber-
lin übernommen, welche beide auf Veranlaſſung des Vereins ein ſchriftliches Gutachten
über den gedachten Entwurf ausgearbeitet hatten. Dieſen Gutachten waren ſpeciell die
folgenden Fragen zu Grunde gelegt: „1. Iſt der von dem Entwurf in den §§. 113 ff.,
209 ff. aufgeſtellte Grundſatz der reinen Mündlichkeit zu billigen, oder ſollen die der
mündlichen Verhandlung voraufgehenden Schriftſätze für die Feſtſtellung des That-
beſtandes maßgebend ſein? 2. Sollen Angriffs- und Vertheidigungsmittel (Einreden,
Widerklage, Repliken) bis zum Schluſſe derjenigen mündlichen Verhandlung vor-
gebracht werden dürfen auf welche das Urtheil ergeht? (§§. 228, 232.) 3. Iſt der
Grundſatz der Beweisverbindung (§§. 114, Nr. 4, 231,232) zu acceptiren? 4.
Iſt die Beſtimmung im §. 295 des Entwurfs: „Die Beweisaufnahme erfolgt vor dem
Proceßgericht,“ in der von dem Entwurf angenommenen Ausdehnung gerechtfertigt?“
Zunächſt wurde über die Frage des mündlichen Verfahrens die Debatte eröffnet,
in welcher Advocat Hänle folgende Sätze ausführlich begründet: a) Der von dem Ent-
wurf aufgeſtellte Grundſatz der reinen Mündlichkeit iſt zu billigen; b) es iſt zu billigen
daß Angriffs- und Vertheidigungsmittel (Einreden, Widerklagen, Repliken) bis zum
Schluſſe derjenigen mündlichen Verhandlung vorgebracht werden dürfen auf welche das
Urtheil ergeht; vielleicht mit Ausnahme der Zeugenbenennung, falls, im Gegenſatze zum
Entwurf, das Geſetz eine Berufung gegen landgerichtliche Urtheile zulaſſen oder auch
eine nachträgliche Zeugenbenennung im Reſtitutionswege geſtatten würde; c) die §§. 713 ff.
des Entwurfs können zum Schutze gegen muthwillige oder chicanöſe Proceßverzögerung
angewandt, nach §. 88 des Entwurfes kann der Erſatz der durch die Proceßverzögerung

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Weyprecht. Von die&#x017F;er gibt uns gleichfalls das neue&#x017F;te Heft der Mittheilungen<lb/>
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[52/0012] Die neueſten Nordpolar-Fahrten. -lz- Die Geſchichte der neueren und neueſten Nordpol-Expeditionen liefert ein- mal wieder einen recht deutlichen Beleg zu dem Satz, daß durch Getheiltheit der Meinungen und Uneinigkeit der Fachmänner ſo manches große Unternehmen ſelbſt bei den günſtigſten Ausſichten und zureichenden Mitteln ohne einen dem Aufwand entſprechenden Erfolg bleibt. Hätten alle die Expeditionen die in den letzten zehn Jahren zur Erforſchung des Nordmeeres ausgiengen, nach einem gemeinſchaftlichen Plane gearbeitet, welche Errungenſchaften könnten wir nicht wohl heut zu Tage als deren Ergebniß begrüßen? Statt deſſen ſehen wir gerade die koſtſpieligſten Expeditionen zurückkehren ohne die Polarfrage ihrer Löſung näher gebracht zu haben. Dagegen blieb es den zwei letzten Jahren vorbehalten durch ganz be- ſcheidene, meiſt aus Privatmitteln ausgerüſtete Unternehmungen dieſe Frage weſent- lich zu fördern. Sehen wir die General-Rechnungs-Ablage im neueſten Heft von Petermanns Mittheilungen, ſo finden wir daß die erſte deutſche Nordpolar-Expe- dition 16,441, die zweite gar die enorme Summe von 84,251 Thalern gekoſtet hat, während die Zeil-Heuglin’ſche und die Weyprecht-Payer’ſchen Expeditionen, die beide ſo vorzügliches leiſteten, dem Nationalfonds zuſammen nur 2100 Thaler entnommen haben. Solche Ziffern bedürfen keines Commentars. Die Osborn’ſche, in England am meiſten vertretene, aber auch in Deutſchland in neueſter Zeit von Petermanns Gegnern aufgenommene Theorie iſt bekanntlich, daß nur eine Fahrt in der Richtung über Baffinsbay und Smith-Sund die Ausſicht biete die Polar- frage zu löſen und den Nordpol zu erreichen. Dieſer Meinung war Petermann ſchon vor vielen Jahren entgegengetreten. Durch gründliches Studium des Golf- ſtromes war er zu der Anſicht gelangt daß gerade das europäiſche Polarmeer am meiſten Ausſicht auf ein unbehindertes Vordringen gegen den Pol zu gewähre. Im Kennedy-Canal und Smith-Sund findet eine ſtarke Strömung von Norden nach Süden ſtatt, und es möchte nun allerdings mit einigem Anſcheine von Recht ange- nommen werden daß, wenn man durch das Treibeis jener Polarſtröme hindurch- käme, man ein verhältnißmäßig eisfreies Meer treffen würde. Aber die Erfahrung hat gezeigt daß die dort ſich aufſtauende Treibeismaſſe nur äußerſt ſelten durch- brochen werden kann. Anders iſt es in der Gegend öſtlich von Grönland, wie Peter- mann ſchon lange behauptet und wie die Polarfahrten der zwei letzten Jahre be- wieſen haben. Der noch vor wenigen Jahren von einigen für eine bloße Driftſtrömung er- klärte, von anderen geradezu geläugnete, ſchließlich aber doch wieder ſiegreich con- ſtatirte Golfſtrom muß in der That als der einzige Wegweiſer einer auf Erfolg rechnenden Nordpolarfahrt angeſehen werden. Wo der Golfſtrom nicht hindringt, zeigt ſich das Packeis undurchdringlich, das ſogenannte eisfreie (d. h. von Packeis freie) Polarmeer konnte alſo, wie Petermann richtig annahm, nur da geſucht wer- den wo dieſer Golfſtrom hindringt. Daß dieß bis ins Kariſche Meer, ja bis zum Cap Jakan in der Beringsſtraße der Fall iſt, war eine von ihm ſchon im Jahr 1852 feſtgeſtellte Thatſache. Er hat deßhalb immer das europäiſche Nordmeer und zwar im ſpeciellen den Theil des Polarmeeres zwiſchen Spitzbergen und Novaja Semlä als Ziel einer Nordpolarfahrt empfohlen. Es iſt bekannt daß dieſe An- ſicht bei der zweiten deutſchen Nordpolar-Expedition nicht durchdrang. Die Engländer, welche von jeher die deutſche Forſchung verkleinerten und lächerlich zu machen ſuch- ten, conſtatirten zu ihrer Schadenfreude daß jene Expedition nicht um einen halben Grad zu Schiff weiter nördlich vordringen konnte als ihre Vorgänger, daß ſie im Vergleich zu dem Aufwand von Mitteln verhältnißmäßig wenig geleiſtet und zur Löſung der Polarfrage gar nichts beigetragen hat. Dieß das Urtheil der Berichterſtatter der Londoner Geographiſchen Geſell- ſchaft in der Sitzung vom 23 Januar 1871. Jeder Unbefangene muß leider einge- ſtehen daß, wenn auch hart, jenes Urtheil doch nicht abſolut unrichtig iſt. Aber mit einer ſeltenen Oberflächlichkeit warfen jene Berichterſtatter Petermanns Plan mit demjenigen zuſammen der bei der zweiten deutſchen Nordpolar-Expedition ſehr wider ſeinen Willen zur Ausführung gelangt war. Die engliſchen Geographen ließen gänzlich außer Acht daß ſein Plan ſich auf das ganze europäiſche Nord- meer von Oſtgrönland bis Novaja Semlä und Sibirien, und zwar vorzüglich auf den öſtlichen Theil jenes Meeres bezog, während die Expedition ja nur den aller- weſtlichſten Theil desſelben aufſuchte. Zum Glück haben aber ſeitdem ſowohl die norwegiſchen Fahrten als auch mehrere deutſche Expeditionen den von Petermann angegebenen Plan zu verfolgen be- gonnen, und wenn auch vorerſt hier nur von Verſuchen die Rede ſein kann, ſo haben doch dieſe bereits ſo vortheilhafte Reſultate erzielt daß wir in ihnen die volle Beſtäti- gung von Petermanns Theorie der nördlichen Verzweigung des Golfſtroms und eines eisfreien Polarmeeres finden können. Eine der wichtigſten, obgleich mit den ſpärlichſten Mitteln unternommene, war die dießjährige Fahrt von Payer und Weyprecht. Von dieſer gibt uns gleichfalls das neueſte Heft der Mittheilungen eine vorläufige Ueberſicht, nach deren gewiſſenhafter Prüfung jeder Unbefangene zur Einſicht gelangen wird daß denn doch wohl böſer Wille dazu gehört die Trag- weite der von dem Genannten gemachten Entdeckungen zu unterſchätzen, beſonders da dieſe nicht vereinzelt daſtehen, ſondern durch zwei andere dießjährige Seefahrer, die Capitäne Tobieſen und Mack, vollkommen beſtätigt werden. Die Entdeckung eines ſchiffbaren Meeres in den Polarregionen iſt, wie der Verfaſſer mit Recht ſagt, die größte und wichtigſte die in ſolchem Gebiet überhaupt gemacht werden kann; daß es ſich hier nicht um eine ſogenannte Polynia, d. h. eine räumlich ſehr beſchränkte offene Stromſtelle oder Stromloch (stream hole), ſondern wirklich um ein ausgedehntes eisfreies Meer handelt, beweist nicht nur die Aus- dehnung von Payer und Weyprechts Beobachtungen (zwiſchen 42º und 60º Oe. L. v. Gr.) ſondern auch Capitän Macks Verfolgung dieſes eisfreien Meeres bis zum 81º Oe. L. v. Gr. Durch dieſe vereinten Forſchungen iſt nun feſtgeſtellt daß im Auguſt und September in hohen arktiſchen Regionen eine Fläche die an Ausdeh- nung der des deutſchen Reiches kaum nachſtehen dürfte, nicht bloß offen und ſchiff- bar, ſondern faſt abſolut eisfrei iſt. Dennoch fehlt es ſowohl in Deutſchland als in England nicht an Gegnern welche die erwähnten Entdeckungen entweder verkleinern oder ganz läugnen. Sehr betrübend iſt was wir in dem beſagten 12. Heft über Petermanns deutſche Gegner rfahren. Dergleichen iſt natürlich Waſſer auf die Mühle der Engländer, die noch immer ihren Osborne’ſchen Standpunkt nicht aufgeben wollen. So ſinden wir auch im neueſten Athenäum (vom 23 December 1871) die Forſchungen Payers und Weyprechts bezweifelt. Dort wird dieſe Entdeckung der angeblichen von Kane an die Seite geſtellt, der im Smith-Sund ein „offenes Meer“ gefunden haben wollte, welches Hayes im Jahr 1861 „mit Eis bedeckt“ finden ſollte. Dieſer Vergleich iſt, gelinde geſagt, oberflächlich, denn wer hatte Kane’s „offenes Meer“ geſehen? Niemand als ſein Steward Morton, während wir hier vier erfahrene Seemänner und Nordpolarfahrer, Mack, Tobieſen, Weyprecht und Payer, als Zeugen haben. Unbegreiflich aber iſt es wie jener Artikel ſagen kann, die beiden deutſchen Reiſen- den hätten nur eine zeitweiſe offene Stelle „von geringer Ausdehnung“ gefunden, und dennoch hatte der Verfaſſer das 12. Heft der Mittheilungen vor Augen, in dem deutlich dargethan iſt daß dieſes offene Meer vom 40º bis 81º Oe. L. v. Gr. verfolgt wurde. Schließlich muß dann noch Lamont herhalten, der dieſes Jahr wieder bei Südoſt-Spitzbergen dickes Eis gefunden hat. Kein Menſch hat aber behauptet daß ſolches Eis ſich dort nicht temporär finden könne. Hätte Lamont Geduld gehabt, ſo würde er im Auguſt und September eben da offenes Fahr- waſſer angetroffen haben wo im Juni und Juli Eis lag. Uebrigens geſteht ja Lamont in dem von Petermann mitgetheilten Bericht ſelbſt ein, daß da ſein Haupt- zweck die Jagd gebildet habe, ein längeres Warten ihm nie gelegen geweſen ſei, wie er denn überhaupt nicht wiſſenſchaftliche Ziele verfolgte. Höchſt intereſſant und eine vollkommene Beſtätigung der Golfſtrom-Theorie iſt auch Macks in dieſem Jahre bei Novaja Semlä gemachte Entdeckung der von ihm benannten Caſtanien-Inſeln. Dieſen Namen gab er ihnen nach einer hier wachſenden, in Weſtindien einheimiſchen Pflanze, woraus neue Beweiſe für Peter- manns bereits ſo lange aufgeſtellte und feſtgehaltene Anſicht abgeleitet werden dürften, daß die Gewäſſer des Golfſtroms und zwar des wirklichen Florida- Stromes ſich bis in jene hohen Breiten des Polarmeeres erſtrecken. Hoffen wir übrigens daß die, wir können mit Stolz ſagen, deutſche Nord- polar-Forſchung, als deren Vormann Petermann gerühmt werden muß, auch jene Gegner mit der Zeit überwinden wird. Suchte man nicht anfangs auch Johann- ſens Entdeckungen, welcher im Jahr 1869 in dem früher ſo gefürchteten und für unzugänglich gehaltenen Kariſchen Meere einen vollſtändigen Periplus ausführte, zu verdächtigen, ja dieſen wackern Seemann ſelbſt als einen Lügner hinzuſtellen? Und doch ſollte dieſes Meer in dem nächſtfolgenden Jahre (1870) von nicht weni- ger als 60 norwegiſchen Schiffen befahren werden. Hat man nicht eben ſo die Zeil-Heuglin’ſchen Beobachtungen als „optiſche Täuſchungen“ verſchrieen? Dennoch haben ſich die Entdeckungen der Genannten ſeitdem volle Anerkennung errungen. Aehnlich wird es auch hier gehen, und hoffentlich wird ſchon das nächſte Jahr den ſchon errungenen Beweiſen neue hinzufügen. Die unermüdlichen Forſcher Wey- precht und Payer rüſten ſich von neuem zu einer größeren arktiſchen Fahrt. Peter- mann hat bereits einen Fonds hiefür geſammelt und, wie wir hören, hat der hoch- herzige wohlbekannte Gönner arktiſcher Forſchungen in Wien auch dießmal einen ſehr anſehnlichen Betrag der Expedition zu widmen beſchloſſen. Wir können uns von der Erfahrung der Reiſenden, die bereits mit ſo geringen Mitteln ſo ausge- zeichnetes geleiſtet haben, dießmal ein ganz ausnahmsweiſe günſtiges Reſultat ver- ſprechen, und ſo wird denn hoffentlich das eben begonnene Jahr 1872 in den Annalen arktiſcher Entdeckungen Epoche machen. Neueſte Poſten. * München, 3 Jan.Wie der „Bayer. Kur.“ aus ſicherſter Quelle erfährt war geſtern der Abt des Benedictinerkloſters zu St. Stephan in Augsburg, Ra- phael Mörtl in München, um die ihm zugedachte Würde eines Biſchofs von Speyer entſchieden abzulehnen. Karlsruhe, 2 Jan.Das Kriegsminiſterium iſt durch landesherrliche Verordnung vom 27 Dec. mit dem heutigen definitiv aufgehoben, nachdem inzwi- ſchen die Mehrzahl der noch ſchwebenden Geſchäfte der badiſchen Militärverwaltung definitiv erledigt worden iſt. Für den Reſt wird eine beſondere Commiſſion ein- geſetzt. (Schw. M.) Berlin, 29 Dec.Geſtern Vormittags fand (wie ſchon kurz erwähnt) hier im Eng- liſchen Hauſe die Eröffnung des deutſchen Anwaltstages ſtatt. Der Verein, welcher gegenwärtig 1311 Mitglieder zählt, war durch etwa 150 Mitglieder aus allen Theilen Deutſchlands vertreten. Juſtizrath Dorn eröffnete Namens des Ausſchuſſes die Ver- handlungen, worauf zur Conſtituirung der Verſammlung geſchritten ward. Es wur- den gewählt: Advocat Kreitmair aus Bamberg zum Vorſitzenden, Juſtizrath Ulfert aus Berlin zu deſſen Stellvertreter und zum zweiten Stellvertreter der Juſtizrath Hoffmann aus Bonn. Zu Schriftführern wurden ſodann gewählt die Rechtsanwälte Meinhardt aus Gneſen, Johannſen aus Berlin, Weber aus Aachen und Kretſchmann aus Aachen. Dann trat die Verſammlung in die Tagesordnung, deren einzigen Gegenſtand die Be- rathung des Entwurfs einer deutſchen Civilproceßordnung bildete. Das Referat über dieſelbe hatten die HH. Hänle aus Ansbach und Rechtsanwalt Staemmler aus Ber- lin übernommen, welche beide auf Veranlaſſung des Vereins ein ſchriftliches Gutachten über den gedachten Entwurf ausgearbeitet hatten. Dieſen Gutachten waren ſpeciell die folgenden Fragen zu Grunde gelegt: „1. Iſt der von dem Entwurf in den §§. 113 ff., 209 ff. aufgeſtellte Grundſatz der reinen Mündlichkeit zu billigen, oder ſollen die der mündlichen Verhandlung voraufgehenden Schriftſätze für die Feſtſtellung des That- beſtandes maßgebend ſein? 2. Sollen Angriffs- und Vertheidigungsmittel (Einreden, Widerklage, Repliken) bis zum Schluſſe derjenigen mündlichen Verhandlung vor- gebracht werden dürfen auf welche das Urtheil ergeht? (§§. 228, 232.) 3. Iſt der Grundſatz der Beweisverbindung (§§. 114, Nr. 4, 231,232) zu acceptiren? 4. Iſt die Beſtimmung im §. 295 des Entwurfs: „Die Beweisaufnahme erfolgt vor dem Proceßgericht,“ in der von dem Entwurf angenommenen Ausdehnung gerechtfertigt?“ Zunächſt wurde über die Frage des mündlichen Verfahrens die Debatte eröffnet, in welcher Advocat Hänle folgende Sätze ausführlich begründet: a) Der von dem Ent- wurf aufgeſtellte Grundſatz der reinen Mündlichkeit iſt zu billigen; b) es iſt zu billigen daß Angriffs- und Vertheidigungsmittel (Einreden, Widerklagen, Repliken) bis zum Schluſſe derjenigen mündlichen Verhandlung vorgebracht werden dürfen auf welche das Urtheil ergeht; vielleicht mit Ausnahme der Zeugenbenennung, falls, im Gegenſatze zum Entwurf, das Geſetz eine Berufung gegen landgerichtliche Urtheile zulaſſen oder auch eine nachträgliche Zeugenbenennung im Reſtitutionswege geſtatten würde; c) die §§. 713 ff. des Entwurfs können zum Schutze gegen muthwillige oder chicanöſe Proceßverzögerung angewandt, nach §. 88 des Entwurfes kann der Erſatz der durch die Proceßverzögerung

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 4, 4. Januar 1872, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine04_1872/12>, abgerufen am 21.11.2024.