Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

Sonderlich, wenn sie grosse Dinge wollen! Denn sie
wecken Misstrauen gegen grosse Dinge, diese feinen
Falschmünzer und Schauspieler: --

-- bis sie endlich falsch vor sich selber sind, schiel¬
äugig, übertünchter Wurmfrass, bemäntelt durch starke
Worte, durch Aushänge-Tugenden, durch glänzende
falsche Werke.

Habt da eine gute Vorsicht, ihr höheren Menschen!
Nichts nämlich gilt mir heute kostbarer und seltner als
Redlichkeit.

Ist diess Heute nicht des Pöbels? Pöbel aber weiss
nicht, was gross, was klein, was gerade und redlich ist:
der ist unschuldig krumm, der lügt immer.


9.

Habt heute ein gutes Misstrauen, ihr höheren
Menschen, ihr Beherzten! Ihr Offenherzigen! Und
haltet eure Gründe geheim! Diess Heute nämlich ist
des Pöbels.

Was der Pöbel ohne Gründe nicht glauben lernte,
wer könnte ihm durch Gründe Das -- umwerfen?

Und auf dem Markte überzeugt man mit Gebärden.
Aber Gründe machen den Pöbel misstrauisch.

Und wenn da einmal die Wahrheit zum Siege kam,
so fragt euch mit gutem Misstrauen: "welch starker
Irrthum hat für sie gekämpft?"

Hütet euch auch vor den Gelehrten! Die hassen
euch: denn sie sind unfruchtbar! Sie haben kalte
vertrocknete Augen, vor ihnen liegt jeder Vogel ent¬
federt.

6

Sonderlich, wenn sie grosse Dinge wollen! Denn sie
wecken Misstrauen gegen grosse Dinge, diese feinen
Falschmünzer und Schauspieler: —

— bis sie endlich falsch vor sich selber sind, schiel¬
äugig, übertünchter Wurmfrass, bemäntelt durch starke
Worte, durch Aushänge-Tugenden, durch glänzende
falsche Werke.

Habt da eine gute Vorsicht, ihr höheren Menschen!
Nichts nämlich gilt mir heute kostbarer und seltner als
Redlichkeit.

Ist diess Heute nicht des Pöbels? Pöbel aber weiss
nicht, was gross, was klein, was gerade und redlich ist:
der ist unschuldig krumm, der lügt immer.


9.

Habt heute ein gutes Misstrauen, ihr höheren
Menschen, ihr Beherzten! Ihr Offenherzigen! Und
haltet eure Gründe geheim! Diess Heute nämlich ist
des Pöbels.

Was der Pöbel ohne Gründe nicht glauben lernte,
wer könnte ihm durch Gründe Das — umwerfen?

Und auf dem Markte überzeugt man mit Gebärden.
Aber Gründe machen den Pöbel misstrauisch.

Und wenn da einmal die Wahrheit zum Siege kam,
so fragt euch mit gutem Misstrauen: „welch starker
Irrthum hat für sie gekämpft?“

Hütet euch auch vor den Gelehrten! Die hassen
euch: denn sie sind unfruchtbar! Sie haben kalte
vertrocknete Augen, vor ihnen liegt jeder Vogel ent¬
federt.

6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0088" n="81"/>
          <p>Sonderlich, wenn sie grosse Dinge wollen! Denn sie<lb/>
wecken Misstrauen gegen grosse Dinge, diese feinen<lb/>
Falschmünzer und Schauspieler: &#x2014;</p><lb/>
          <p>&#x2014; bis sie endlich falsch vor sich selber sind, schiel¬<lb/>
äugig, übertünchter Wurmfrass, bemäntelt durch starke<lb/>
Worte, durch Aushänge-Tugenden, durch glänzende<lb/>
falsche Werke.</p><lb/>
          <p>Habt da eine gute Vorsicht, ihr höheren Menschen!<lb/>
Nichts nämlich gilt mir heute kostbarer und seltner als<lb/>
Redlichkeit.</p><lb/>
          <p>Ist diess Heute nicht des Pöbels? Pöbel aber weiss<lb/>
nicht, was gross, was klein, was gerade und redlich ist:<lb/>
der ist unschuldig krumm, der lügt immer.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>9.<lb/></head>
          <p>Habt heute ein gutes Misstrauen, ihr höheren<lb/>
Menschen, ihr Beherzten! Ihr Offenherzigen! Und<lb/>
haltet eure Gründe geheim! Diess Heute nämlich ist<lb/>
des Pöbels.</p><lb/>
          <p>Was der Pöbel ohne Gründe nicht glauben lernte,<lb/>
wer könnte ihm durch Gründe Das &#x2014; umwerfen?</p><lb/>
          <p>Und auf dem Markte überzeugt man mit Gebärden.<lb/>
Aber Gründe machen den Pöbel misstrauisch.</p><lb/>
          <p>Und wenn da einmal die Wahrheit zum Siege kam,<lb/>
so fragt euch mit gutem Misstrauen: &#x201E;welch starker<lb/>
Irrthum hat für sie gekämpft?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Hütet euch auch vor den Gelehrten! Die hassen<lb/>
euch: denn sie sind unfruchtbar! Sie haben kalte<lb/>
vertrocknete Augen, vor ihnen liegt jeder Vogel ent¬<lb/>
federt.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">6<lb/></fw>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0088] Sonderlich, wenn sie grosse Dinge wollen! Denn sie wecken Misstrauen gegen grosse Dinge, diese feinen Falschmünzer und Schauspieler: — — bis sie endlich falsch vor sich selber sind, schiel¬ äugig, übertünchter Wurmfrass, bemäntelt durch starke Worte, durch Aushänge-Tugenden, durch glänzende falsche Werke. Habt da eine gute Vorsicht, ihr höheren Menschen! Nichts nämlich gilt mir heute kostbarer und seltner als Redlichkeit. Ist diess Heute nicht des Pöbels? Pöbel aber weiss nicht, was gross, was klein, was gerade und redlich ist: der ist unschuldig krumm, der lügt immer. 9. Habt heute ein gutes Misstrauen, ihr höheren Menschen, ihr Beherzten! Ihr Offenherzigen! Und haltet eure Gründe geheim! Diess Heute nämlich ist des Pöbels. Was der Pöbel ohne Gründe nicht glauben lernte, wer könnte ihm durch Gründe Das — umwerfen? Und auf dem Markte überzeugt man mit Gebärden. Aber Gründe machen den Pöbel misstrauisch. Und wenn da einmal die Wahrheit zum Siege kam, so fragt euch mit gutem Misstrauen: „welch starker Irrthum hat für sie gekämpft?“ Hütet euch auch vor den Gelehrten! Die hassen euch: denn sie sind unfruchtbar! Sie haben kalte vertrocknete Augen, vor ihnen liegt jeder Vogel ent¬ federt. 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/88
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/88>, abgerufen am 03.12.2024.