Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite
mit Nüstern geschwellt gleich Bechern,
ohne Zukunft, ohne Erinnerungen,
so sitze ich hier, ihr
allerliebsten Freundinnen,
und sehe der Palme zu,
wie sie, einer Tänzerin gleich,
sich biegt und schmiegt und in der Hüfte wiegt,
-- man thut es mit, sieht man lange zu! --
einer Tänzerin gleich, die, wie mir scheinen will,
zu lange schon, gefährlich lange,
immer, immer nur auf Einem Beine stand?
-- da vergass sie darob, wie mir scheinen will,
das andre Bein?
Vergebens wenigstens
suchte ich das vermisste
Zwillings-Kleinod
-- nämlich das andre Bein --
in der heiligen Nähe
ihres allerliebsten, allerzierlichsten
Fächer- und Flatter- und Flitterröckchens.
Ja, wenn ihr mir, ihr schönen Freundinnen,
ganz glauben wollt:
sie hat es verloren!
Es ist dahin!
auf ewig dahin!
das andre Bein!
Oh schade um dieses liebliche andre Bein!
Wo -- mag es wohl weilen und verlassen trauern?
dieses einsame Bein?
In Furcht vielleicht vor einem
grimmen gelben blondgelockten
mit Nüstern geschwellt gleich Bechern,
ohne Zukunft, ohne Erinnerungen,
so sitze ich hier, ihr
allerliebsten Freundinnen,
und sehe der Palme zu,
wie sie, einer Tänzerin gleich,
sich biegt und schmiegt und in der Hüfte wiegt,
— man thut es mit, sieht man lange zu! —
einer Tänzerin gleich, die, wie mir scheinen will,
zu lange schon, gefährlich lange,
immer, immer nur auf Einem Beine stand?
— da vergass sie darob, wie mir scheinen will,
das andre Bein?
Vergebens wenigstens
suchte ich das vermisste
Zwillings-Kleinod
— nämlich das andre Bein —
in der heiligen Nähe
ihres allerliebsten, allerzierlichsten
Fächer- und Flatter- und Flitterröckchens.
Ja, wenn ihr mir, ihr schönen Freundinnen,
ganz glauben wollt:
sie hat es verloren!
Es ist dahin!
auf ewig dahin!
das andre Bein!
Oh schade um dieses liebliche andre Bein!
Wo — mag es wohl weilen und verlassen trauern?
dieses einsame Bein?
In Furcht vielleicht vor einem
grimmen gelben blondgelockten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0112" n="105"/>
            <lg n="9">
              <l>mit Nüstern geschwellt gleich Bechern,</l><lb/>
              <l>ohne Zukunft, ohne Erinnerungen,</l><lb/>
              <l>so sitze ich hier, ihr</l><lb/>
              <l>allerliebsten Freundinnen,</l><lb/>
              <l>und sehe der Palme zu,</l><lb/>
              <l>wie sie, einer Tänzerin gleich,</l><lb/>
              <l>sich biegt und schmiegt und in der Hüfte wiegt,</l><lb/>
              <l>&#x2014; man thut es mit, sieht man lange zu! &#x2014;</l><lb/>
              <l>einer Tänzerin gleich, die, wie mir scheinen will,</l><lb/>
              <l>zu lange schon, gefährlich lange,</l><lb/>
              <l>immer, immer nur auf Einem Beine stand?</l><lb/>
              <l>&#x2014; da vergass sie darob, wie mir scheinen will,</l><lb/>
              <l>das andre Bein?</l><lb/>
              <l>Vergebens wenigstens</l><lb/>
              <l>suchte ich das vermisste</l><lb/>
              <l>Zwillings-Kleinod</l><lb/>
              <l>&#x2014; nämlich das andre Bein &#x2014;</l><lb/>
              <l>in der heiligen Nähe</l><lb/>
              <l>ihres allerliebsten, allerzierlichsten</l><lb/>
              <l>Fächer- und Flatter- und Flitterröckchens.</l><lb/>
              <l>Ja, wenn ihr mir, ihr schönen Freundinnen,</l><lb/>
              <l>ganz glauben wollt:</l><lb/>
              <l>sie hat es verloren!</l><lb/>
              <l>Es ist dahin!</l><lb/>
              <l>auf ewig dahin!</l><lb/>
              <l>das andre Bein!</l><lb/>
              <l>Oh schade um dieses liebliche andre Bein!</l><lb/>
              <l>Wo &#x2014; mag es wohl weilen und verlassen trauern?</l><lb/>
              <l>dieses einsame Bein?</l><lb/>
              <l>In Furcht vielleicht vor einem</l><lb/>
              <l>grimmen gelben blondgelockten</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0112] mit Nüstern geschwellt gleich Bechern, ohne Zukunft, ohne Erinnerungen, so sitze ich hier, ihr allerliebsten Freundinnen, und sehe der Palme zu, wie sie, einer Tänzerin gleich, sich biegt und schmiegt und in der Hüfte wiegt, — man thut es mit, sieht man lange zu! — einer Tänzerin gleich, die, wie mir scheinen will, zu lange schon, gefährlich lange, immer, immer nur auf Einem Beine stand? — da vergass sie darob, wie mir scheinen will, das andre Bein? Vergebens wenigstens suchte ich das vermisste Zwillings-Kleinod — nämlich das andre Bein — in der heiligen Nähe ihres allerliebsten, allerzierlichsten Fächer- und Flatter- und Flitterröckchens. Ja, wenn ihr mir, ihr schönen Freundinnen, ganz glauben wollt: sie hat es verloren! Es ist dahin! auf ewig dahin! das andre Bein! Oh schade um dieses liebliche andre Bein! Wo — mag es wohl weilen und verlassen trauern? dieses einsame Bein? In Furcht vielleicht vor einem grimmen gelben blondgelockten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/112
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/112>, abgerufen am 25.11.2024.