Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

Du nährtest uns mit starker Manns-Kost und
kräftigen Sprüchen: lass es nicht zu, dass uns zum
Nachtisch die weichlichen weiblichen Geister wieder
anfallen!

Du allein machst die Luft um dich herum stark und
klar! Fand ich je auf Erden so gute Luft, als bei dir
in deiner Höhle?

Viele Länder sah ich doch, meine Nase lernte
vielerlei Luft prüfen und abschätzen: aber bei dir
schmecken meine Nüstern ihre grösste Lust!

Es sei denn, -- es sei denn --, oh vergieb eine
alte Erinnerung! Vergieb mir ein altes Nachtisch-Lied,
das ich einst unter Töchtern der Wüste dichtete: --

-- bei denen nämlich gab es gleich gute helle
morgenländische Luft; dort war ich am fernsten vom
wolkigen feuchten schwermüthigen Alt-Europa!

Damals liebte ich solcherlei Morgenland-Mädchen
und andres blaues Himmelreich, über dem keine Wolken
und keine Gedanken hängen.

Ihr glaubt es nicht, wie artig sie dasassen, wenn
sie nicht tanzten, tief, aber ohne Gedanken, wie kleine
Geheimnisse, wie bebänderte Räthsel, wie Nachtisch-
Nüsse --

bunt und fremd fürwahr! aber ohne Wolken:
Räthsel, die sich rathen lassen: solchen Mädchen zu
Liebe erdachte ich damals einen Nachtisch-Psalm."

Also sprach der Wanderer und Schatten; und
ehe Jemand ihm antwortete, hatte er schon die Harfe
des alten Zauberers ergriffen, die Beine gekreuzt und
blickte gelassen und weise um sich: -- mit den

Du nährtest uns mit starker Manns-Kost und
kräftigen Sprüchen: lass es nicht zu, dass uns zum
Nachtisch die weichlichen weiblichen Geister wieder
anfallen!

Du allein machst die Luft um dich herum stark und
klar! Fand ich je auf Erden so gute Luft, als bei dir
in deiner Höhle?

Viele Länder sah ich doch, meine Nase lernte
vielerlei Luft prüfen und abschätzen: aber bei dir
schmecken meine Nüstern ihre grösste Lust!

Es sei denn, — es sei denn —, oh vergieb eine
alte Erinnerung! Vergieb mir ein altes Nachtisch-Lied,
das ich einst unter Töchtern der Wüste dichtete: —

— bei denen nämlich gab es gleich gute helle
morgenländische Luft; dort war ich am fernsten vom
wolkigen feuchten schwermüthigen Alt-Europa!

Damals liebte ich solcherlei Morgenland-Mädchen
und andres blaues Himmelreich, über dem keine Wolken
und keine Gedanken hängen.

Ihr glaubt es nicht, wie artig sie dasassen, wenn
sie nicht tanzten, tief, aber ohne Gedanken, wie kleine
Geheimnisse, wie bebänderte Räthsel, wie Nachtisch-
Nüsse —

bunt und fremd fürwahr! aber ohne Wolken:
Räthsel, die sich rathen lassen: solchen Mädchen zu
Liebe erdachte ich damals einen Nachtisch-Psalm.“

Also sprach der Wanderer und Schatten; und
ehe Jemand ihm antwortete, hatte er schon die Harfe
des alten Zauberers ergriffen, die Beine gekreuzt und
blickte gelassen und weise um sich: — mit den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0108" n="101"/>
          <p>Du nährtest uns mit starker Manns-Kost und<lb/>
kräftigen Sprüchen: lass es nicht zu, dass uns zum<lb/>
Nachtisch die weichlichen weiblichen Geister wieder<lb/>
anfallen!</p><lb/>
          <p>Du allein machst die Luft um dich herum stark und<lb/>
klar! Fand ich je auf Erden so gute Luft, als bei dir<lb/>
in deiner Höhle?</p><lb/>
          <p>Viele Länder sah ich doch, meine Nase lernte<lb/>
vielerlei Luft prüfen und abschätzen: aber bei dir<lb/>
schmecken meine Nüstern ihre grösste Lust!</p><lb/>
          <p>Es sei denn, &#x2014; es sei denn &#x2014;, oh vergieb eine<lb/>
alte Erinnerung! Vergieb mir ein altes Nachtisch-Lied,<lb/>
das ich einst unter Töchtern der Wüste dichtete: &#x2014;</p><lb/>
          <p>&#x2014; bei denen nämlich gab es gleich gute helle<lb/>
morgenländische Luft; dort war ich am fernsten vom<lb/>
wolkigen feuchten schwermüthigen Alt-Europa!</p><lb/>
          <p>Damals liebte ich solcherlei Morgenland-Mädchen<lb/>
und andres blaues Himmelreich, über dem keine Wolken<lb/>
und keine Gedanken hängen.</p><lb/>
          <p>Ihr glaubt es nicht, wie artig sie dasassen, wenn<lb/>
sie nicht tanzten, tief, aber ohne Gedanken, wie kleine<lb/>
Geheimnisse, wie bebänderte Räthsel, wie Nachtisch-<lb/>
Nüsse &#x2014;</p><lb/>
          <p>bunt und fremd fürwahr! aber ohne Wolken:<lb/>
Räthsel, die sich rathen lassen: solchen Mädchen zu<lb/>
Liebe erdachte ich damals einen Nachtisch-Psalm.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Also sprach der Wanderer und Schatten; und<lb/>
ehe Jemand ihm antwortete, hatte er schon die Harfe<lb/>
des alten Zauberers ergriffen, die Beine gekreuzt und<lb/>
blickte gelassen und weise um sich: &#x2014; mit den<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0108] Du nährtest uns mit starker Manns-Kost und kräftigen Sprüchen: lass es nicht zu, dass uns zum Nachtisch die weichlichen weiblichen Geister wieder anfallen! Du allein machst die Luft um dich herum stark und klar! Fand ich je auf Erden so gute Luft, als bei dir in deiner Höhle? Viele Länder sah ich doch, meine Nase lernte vielerlei Luft prüfen und abschätzen: aber bei dir schmecken meine Nüstern ihre grösste Lust! Es sei denn, — es sei denn —, oh vergieb eine alte Erinnerung! Vergieb mir ein altes Nachtisch-Lied, das ich einst unter Töchtern der Wüste dichtete: — — bei denen nämlich gab es gleich gute helle morgenländische Luft; dort war ich am fernsten vom wolkigen feuchten schwermüthigen Alt-Europa! Damals liebte ich solcherlei Morgenland-Mädchen und andres blaues Himmelreich, über dem keine Wolken und keine Gedanken hängen. Ihr glaubt es nicht, wie artig sie dasassen, wenn sie nicht tanzten, tief, aber ohne Gedanken, wie kleine Geheimnisse, wie bebänderte Räthsel, wie Nachtisch- Nüsse — bunt und fremd fürwahr! aber ohne Wolken: Räthsel, die sich rathen lassen: solchen Mädchen zu Liebe erdachte ich damals einen Nachtisch-Psalm.“ Also sprach der Wanderer und Schatten; und ehe Jemand ihm antwortete, hatte er schon die Harfe des alten Zauberers ergriffen, die Beine gekreuzt und blickte gelassen und weise um sich: — mit den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/108
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/108>, abgerufen am 24.11.2024.