Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884.

Bild:
<< vorherige Seite

heissen sie "Ergebung"! und dabei schielen sie be¬
scheiden schon nach einem neuen kleinen Glücke aus.

Sie wollen im Grunde einfältiglich Eins am
meisten: dass ihnen Niemand wehe thue. So kommen
sie Jedermann zuvor und thun ihm wohl.

Diess aber ist Feigheit: ob es schon "Tugend"
heisst. --

Und wenn sie einmal rauh reden, diese kleinen
Leute: ich höre darin nur ihre Heiserkeit, -- jeder
Windzug nämlich macht sie heiser.

Klug sind sie, ihre Tugenden haben kluge Finger.
Aber ihnen fehlen die Fäuste; ihre Finger wissen
nicht, sich hinter Fäuste zu verkriechen.

Tugend ist ihnen das, was bescheiden und zahm
macht: damit machten sie den Wolf zum Hunde und
den Menschen selber zu des Menschen bestem Haus¬
thiere.

"Wir setzten unsern Stuhl in die Mitte -- das
sagt mir ihr Schmunzeln -- und ebenso weit weg von
sterbenden Fechtern wie von vergnügten Säuen."

Diess aber ist -- Mittelmässigkeit: ob es schon
Mässigkeit heisst. --

3.

Ich gehe durch diess Volk und lasse manches Wort
fallen: aber sie wissen weder zu nehmen noch zu be¬
halten.

Sie wundern sich, dass ich nicht kam, auf Lüste
und Laster zu lästern; und wahrlich, ich kam auch
nicht, dass ich vor Taschendieben warnte!

Sie wundern sich, dass ich nicht bereit bin, ihre

heissen sie „Ergebung“! und dabei schielen sie be¬
scheiden schon nach einem neuen kleinen Glücke aus.

Sie wollen im Grunde einfältiglich Eins am
meisten: dass ihnen Niemand wehe thue. So kommen
sie Jedermann zuvor und thun ihm wohl.

Diess aber ist Feigheit: ob es schon „Tugend“
heisst. —

Und wenn sie einmal rauh reden, diese kleinen
Leute: ich höre darin nur ihre Heiserkeit, — jeder
Windzug nämlich macht sie heiser.

Klug sind sie, ihre Tugenden haben kluge Finger.
Aber ihnen fehlen die Fäuste; ihre Finger wissen
nicht, sich hinter Fäuste zu verkriechen.

Tugend ist ihnen das, was bescheiden und zahm
macht: damit machten sie den Wolf zum Hunde und
den Menschen selber zu des Menschen bestem Haus¬
thiere.

„Wir setzten unsern Stuhl in die Mitte — das
sagt mir ihr Schmunzeln — und ebenso weit weg von
sterbenden Fechtern wie von vergnügten Säuen.“

Diess aber ist — Mittelmässigkeit: ob es schon
Mässigkeit heisst. —

3.

Ich gehe durch diess Volk und lasse manches Wort
fallen: aber sie wissen weder zu nehmen noch zu be¬
halten.

Sie wundern sich, dass ich nicht kam, auf Lüste
und Laster zu lästern; und wahrlich, ich kam auch
nicht, dass ich vor Taschendieben warnte!

Sie wundern sich, dass ich nicht bereit bin, ihre

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0037" n="27"/>
heissen sie &#x201E;Ergebung&#x201C;! und dabei schielen sie be¬<lb/>
scheiden schon nach einem neuen kleinen Glücke aus.</p><lb/>
          <p>Sie wollen im Grunde einfältiglich Eins am<lb/>
meisten: dass ihnen Niemand wehe thue. So kommen<lb/>
sie Jedermann zuvor und thun ihm wohl.</p><lb/>
          <p>Diess aber ist <hi rendition="#g">Feigheit</hi>: ob es schon &#x201E;Tugend&#x201C;<lb/>
heisst. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Und wenn sie einmal rauh reden, diese kleinen<lb/>
Leute: <hi rendition="#g">ich</hi> höre darin nur ihre Heiserkeit, &#x2014; jeder<lb/>
Windzug nämlich macht sie heiser.</p><lb/>
          <p>Klug sind sie, ihre Tugenden haben kluge Finger.<lb/>
Aber ihnen fehlen die Fäuste; ihre Finger wissen<lb/>
nicht, sich hinter Fäuste zu verkriechen.</p><lb/>
          <p>Tugend ist ihnen das, was bescheiden und zahm<lb/>
macht: damit machten sie den Wolf zum Hunde und<lb/>
den Menschen selber zu des Menschen bestem Haus¬<lb/>
thiere.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wir setzten unsern Stuhl in die <hi rendition="#g">Mitte</hi> &#x2014; das<lb/>
sagt mir ihr Schmunzeln &#x2014; und ebenso weit weg von<lb/>
sterbenden Fechtern wie von vergnügten Säuen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Diess aber ist &#x2014; <hi rendition="#g">Mittelmässigkeit</hi>: ob es schon<lb/>
Mässigkeit heisst. &#x2014;</p><lb/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>3.<lb/></head>
          <p>Ich gehe durch diess Volk und lasse manches Wort<lb/>
fallen: aber sie wissen weder zu nehmen noch zu be¬<lb/>
halten.</p><lb/>
          <p>Sie wundern sich, dass ich nicht kam, auf Lüste<lb/>
und Laster zu lästern; und wahrlich, ich kam auch<lb/>
nicht, dass ich vor Taschendieben warnte!</p><lb/>
          <p>Sie wundern sich, dass ich nicht bereit bin, ihre<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[27/0037] heissen sie „Ergebung“! und dabei schielen sie be¬ scheiden schon nach einem neuen kleinen Glücke aus. Sie wollen im Grunde einfältiglich Eins am meisten: dass ihnen Niemand wehe thue. So kommen sie Jedermann zuvor und thun ihm wohl. Diess aber ist Feigheit: ob es schon „Tugend“ heisst. — Und wenn sie einmal rauh reden, diese kleinen Leute: ich höre darin nur ihre Heiserkeit, — jeder Windzug nämlich macht sie heiser. Klug sind sie, ihre Tugenden haben kluge Finger. Aber ihnen fehlen die Fäuste; ihre Finger wissen nicht, sich hinter Fäuste zu verkriechen. Tugend ist ihnen das, was bescheiden und zahm macht: damit machten sie den Wolf zum Hunde und den Menschen selber zu des Menschen bestem Haus¬ thiere. „Wir setzten unsern Stuhl in die Mitte — das sagt mir ihr Schmunzeln — und ebenso weit weg von sterbenden Fechtern wie von vergnügten Säuen.“ Diess aber ist — Mittelmässigkeit: ob es schon Mässigkeit heisst. — 3. Ich gehe durch diess Volk und lasse manches Wort fallen: aber sie wissen weder zu nehmen noch zu be¬ halten. Sie wundern sich, dass ich nicht kam, auf Lüste und Laster zu lästern; und wahrlich, ich kam auch nicht, dass ich vor Taschendieben warnte! Sie wundern sich, dass ich nicht bereit bin, ihre

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/37
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/37>, abgerufen am 17.11.2024.