Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884.Vor Sonnen-Aufgang. Oh Himmel über mir, du Reiner! Tiefer! Du In deine Höhe mich zu werfen -- das ist meine Den Gott verhüllt seine Schönheit: so verbirgst Stumm über brausendem Meere bist du heut mir Dass du schön zu mir kamst, verhüllt in deine Oh wie erriethe ich nicht alles Schamhafte deiner Wir sind Freunde von Anbeginn: uns ist Gram Wir reden nicht zu einander, weil wir zu Vieles Vor Sonnen-Aufgang. Oh Himmel über mir, du Reiner! Tiefer! Du In deine Höhe mich zu werfen — das ist meine Den Gott verhüllt seine Schönheit: so verbirgst Stumm über brausendem Meere bist du heut mir Dass du schön zu mir kamst, verhüllt in deine Oh wie erriethe ich nicht alles Schamhafte deiner Wir sind Freunde von Anbeginn: uns ist Gram Wir reden nicht zu einander, weil wir zu Vieles <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0028" n="18"/> <div n="1"> <head>Vor Sonnen-Aufgang.<lb/></head> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Oh Himmel über mir, du Reiner! Tiefer! Du<lb/> Licht-Abgrund! Dich schauend schaudere ich vor<lb/> göttlichen Begierden.</p><lb/> <p>In deine Höhe mich zu werfen — das ist <hi rendition="#g">meine</hi><lb/> Tiefe! In deine Reinheit mich zu bergen — das ist<lb/><hi rendition="#g">meine</hi> Unschuld!</p><lb/> <p>Den Gott verhüllt seine Schönheit: so verbirgst<lb/> du deine Sterne. Du redest nicht: <hi rendition="#g">so</hi> kündest du<lb/> mir deine Weisheit.</p><lb/> <p>Stumm über brausendem Meere bist du heut mir<lb/> aufgegangen, deine Liebe und deine Scham redet<lb/> Offenbarung zu meiner brausenden Seele.</p><lb/> <p>Dass du schön zu mir kamst, verhüllt in deine<lb/> Schönheit, dass du stumm zu mir sprichst, offenbar<lb/> in deiner Weisheit:</p><lb/> <p>Oh wie erriethe ich nicht alles Schamhafte deiner<lb/> Seele! Vor der Sonne kamst du zu mir, dem Ein¬<lb/> samsten.</p><lb/> <p>Wir sind Freunde von Anbeginn: uns ist Gram<lb/> und Grauen und Grund gemeinsam; noch die Sonne<lb/> ist uns gemeinsam.</p><lb/> <p>Wir reden nicht zu einander, weil wir zu Vieles<lb/> wissen —: wir schweigen uns an, wir lächeln uns<lb/> unser Wissen zu.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [18/0028]
Vor Sonnen-Aufgang.
Oh Himmel über mir, du Reiner! Tiefer! Du
Licht-Abgrund! Dich schauend schaudere ich vor
göttlichen Begierden.
In deine Höhe mich zu werfen — das ist meine
Tiefe! In deine Reinheit mich zu bergen — das ist
meine Unschuld!
Den Gott verhüllt seine Schönheit: so verbirgst
du deine Sterne. Du redest nicht: so kündest du
mir deine Weisheit.
Stumm über brausendem Meere bist du heut mir
aufgegangen, deine Liebe und deine Scham redet
Offenbarung zu meiner brausenden Seele.
Dass du schön zu mir kamst, verhüllt in deine
Schönheit, dass du stumm zu mir sprichst, offenbar
in deiner Weisheit:
Oh wie erriethe ich nicht alles Schamhafte deiner
Seele! Vor der Sonne kamst du zu mir, dem Ein¬
samsten.
Wir sind Freunde von Anbeginn: uns ist Gram
und Grauen und Grund gemeinsam; noch die Sonne
ist uns gemeinsam.
Wir reden nicht zu einander, weil wir zu Vieles
wissen —: wir schweigen uns an, wir lächeln uns
unser Wissen zu.
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