Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884.Sonne gleich, die das Meer noch zu seiner Höhe Oh meine Seele, ich nahm von dir alles Gehorchen[,] Oh meine Seele, ich gab dir neue Namen und Oh meine Seele, deinem Erdreich gab ich alle Oh meine Seele, jede Sonne goss ich auf dich Oh meine Seele, überreich und schwer stehst du -- gedrängt und gedrückt von deinem Glücke Oh meine Seele, es giebt nun nirgends eine Seele Oh meine Seele, ich gab dir Alles, und alle meine -- hat der Geber nicht zu danken, dass der Sonne gleich, die das Meer noch zu seiner Höhe Oh meine Seele, ich nahm von dir alles Gehorchen[,] Oh meine Seele, ich gab dir neue Namen und Oh meine Seele, deinem Erdreich gab ich alle Oh meine Seele, jede Sonne goss ich auf dich Oh meine Seele, überreich und schwer stehst du — gedrängt und gedrückt von deinem Glücke Oh meine Seele, es giebt nun nirgends eine Seele Oh meine Seele, ich gab dir Alles, und alle meine — hat der Geber nicht zu danken, dass der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0113" n="103"/> Sonne gleich, die das Meer noch zu seiner Höhe<lb/> überredet.</p><lb/> <p>Oh meine Seele, ich nahm von dir alles Gehorchen<supplied>,</supplied><lb/> Kniebeugen und Herr-Sagen; ich gab dir selber den<lb/> Namen „Wende der Noth“ und „Schicksal“.</p><lb/> <p>Oh meine Seele, ich gab dir neue Namen und<lb/> bunte Spielwerke, ich hiess dich „Schicksal“ und<lb/> „Umfang der Umfänge“ und „Nabelschnur der Zeit“ und<lb/> „azurne Glocke“.</p><lb/> <p>Oh meine Seele, deinem Erdreich gab ich alle<lb/> Weisheit zu trinken, alle neuen Weine und auch alle<lb/> unvordenklich alten starken Weine der Weisheit.</p><lb/> <p>Oh meine Seele, jede Sonne goss ich auf dich<lb/> und jede Nacht und jedes Schweigen und jede<lb/> Sehnsucht: — da wuchsest du mir auf wie ein<lb/> Weinstock.</p><lb/> <p>Oh meine Seele, überreich und schwer stehst du<lb/> nun da, ein Weinstock mit schwellenden Eutern und<lb/> gedrängten braunen Gold-Weintrauben: —</p><lb/> <p>— gedrängt und gedrückt von deinem Glücke<lb/> wartend vor Überflusse und schamhaft noch ob deines<lb/> Wartens.</p><lb/> <p>Oh meine Seele, es giebt nun nirgends eine Seele<lb/> die liebender wäre und umfangender und umfänglicher!<lb/> Wo wäre Zukunft und Vergangnes näher beisammen<lb/> als bei dir?</p><lb/> <p>Oh meine Seele, ich gab dir Alles, und alle meine<lb/> Hände sind an dich leer geworden: — und nun! Nun<lb/> sagst du mir lächelnd und voll Schwermuth: „Wer<lb/> von uns hat zu danken? —</p><lb/> <p>— hat der Geber nicht zu danken, dass der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [103/0113]
Sonne gleich, die das Meer noch zu seiner Höhe
überredet.
Oh meine Seele, ich nahm von dir alles Gehorchen,
Kniebeugen und Herr-Sagen; ich gab dir selber den
Namen „Wende der Noth“ und „Schicksal“.
Oh meine Seele, ich gab dir neue Namen und
bunte Spielwerke, ich hiess dich „Schicksal“ und
„Umfang der Umfänge“ und „Nabelschnur der Zeit“ und
„azurne Glocke“.
Oh meine Seele, deinem Erdreich gab ich alle
Weisheit zu trinken, alle neuen Weine und auch alle
unvordenklich alten starken Weine der Weisheit.
Oh meine Seele, jede Sonne goss ich auf dich
und jede Nacht und jedes Schweigen und jede
Sehnsucht: — da wuchsest du mir auf wie ein
Weinstock.
Oh meine Seele, überreich und schwer stehst du
nun da, ein Weinstock mit schwellenden Eutern und
gedrängten braunen Gold-Weintrauben: —
— gedrängt und gedrückt von deinem Glücke
wartend vor Überflusse und schamhaft noch ob deines
Wartens.
Oh meine Seele, es giebt nun nirgends eine Seele
die liebender wäre und umfangender und umfänglicher!
Wo wäre Zukunft und Vergangnes näher beisammen
als bei dir?
Oh meine Seele, ich gab dir Alles, und alle meine
Hände sind an dich leer geworden: — und nun! Nun
sagst du mir lächelnd und voll Schwermuth: „Wer
von uns hat zu danken? —
— hat der Geber nicht zu danken, dass der
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Zitationshilfe: | Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/113>, abgerufen am 16.02.2025. |