Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

ihn Alle schon gesehn, ausgenommen der Capitän
selber, und sie liebten ihn, wie das Volk liebt: also dass
zu gleichen Theilen Liebe und Scheu beisammen sind.

"Seht mir an! sagte der alte Steuermann, da
fährt Zarathustra zur Hölle!" --

Um die gleiche Zeit, als diese Schiffer an der
Feuerinsel landeten, lief das Gerücht umher, dass
Zarathustra verschwunden sei; und als man seine
Freunde fragte, erzählten sie, er sei bei Nacht zu Schiff
gegangen, ohne zu sagen, wohin er reisen wolle.

Also entstand eine Unruhe; nach drei Tagen aber
kam zu dieser Unruhe die Geschichte der Schiffsleute
hinzu -- und nun sagte alles Volk, dass der Teufel
Zarathustra geholt habe. Seine Jünger lachten zwar
ob dieses Geredes; und einer von ihnen sagte sogar:
"eher glaube ich noch, dass Zarathustra sich den
Teufel geholt hat." Aber im Grunde der Seele waren
sie Alle voll Besorgniss und Sehnsucht: so war ihre
Freude gross, als am fünften Tage Zarathustra unter
ihnen erschien.

Und diess ist die Erzählung von Zarathustra's Ge¬
spräch mit dem Feuerhunde.

Die Erde, sagte er, hat eine Haut; und diese Haut
hat Krankheiten. Eine dieser Krankheiten heisst zum
Beispiel: "Mensch."

Und eine andere dieser Krankheiten heisst "Feuer¬
hund": über den haben sich die Menschen Viel vor¬
gelogen und vorlügen lassen.

Diess Geheimniss zu ergründen gieng ich über das
Meer: und ich habe die Wahrheit nackt gesehn,
wahrlich! barfuss bis zum Halse.

ihn Alle schon gesehn, ausgenommen der Capitän
selber, und sie liebten ihn, wie das Volk liebt: also dass
zu gleichen Theilen Liebe und Scheu beisammen sind.

„Seht mir an! sagte der alte Steuermann, da
fährt Zarathustra zur Hölle!“ —

Um die gleiche Zeit, als diese Schiffer an der
Feuerinsel landeten, lief das Gerücht umher, dass
Zarathustra verschwunden sei; und als man seine
Freunde fragte, erzählten sie, er sei bei Nacht zu Schiff
gegangen, ohne zu sagen, wohin er reisen wolle.

Also entstand eine Unruhe; nach drei Tagen aber
kam zu dieser Unruhe die Geschichte der Schiffsleute
hinzu — und nun sagte alles Volk, dass der Teufel
Zarathustra geholt habe. Seine Jünger lachten zwar
ob dieses Geredes; und einer von ihnen sagte sogar:
„eher glaube ich noch, dass Zarathustra sich den
Teufel geholt hat.“ Aber im Grunde der Seele waren
sie Alle voll Besorgniss und Sehnsucht: so war ihre
Freude gross, als am fünften Tage Zarathustra unter
ihnen erschien.

Und diess ist die Erzählung von Zarathustra's Ge¬
spräch mit dem Feuerhunde.

Die Erde, sagte er, hat eine Haut; und diese Haut
hat Krankheiten. Eine dieser Krankheiten heisst zum
Beispiel: „Mensch.“

Und eine andere dieser Krankheiten heisst „Feuer¬
hund“: über den haben sich die Menschen Viel vor¬
gelogen und vorlügen lassen.

Diess Geheimniss zu ergründen gieng ich über das
Meer: und ich habe die Wahrheit nackt gesehn,
wahrlich! barfuss bis zum Halse.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0084" n="74"/>
ihn Alle schon gesehn, ausgenommen der Capitän<lb/>
selber, und sie liebten ihn, wie das Volk liebt: also dass<lb/>
zu gleichen Theilen Liebe und Scheu beisammen sind.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Seht mir an! sagte der alte Steuermann, da<lb/>
fährt Zarathustra zur Hölle!&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Um die gleiche Zeit, als diese Schiffer an der<lb/>
Feuerinsel landeten, lief das Gerücht umher, dass<lb/>
Zarathustra verschwunden sei; und als man seine<lb/>
Freunde fragte, erzählten sie, er sei bei Nacht zu Schiff<lb/>
gegangen, ohne zu sagen, wohin er reisen wolle.</p><lb/>
        <p>Also entstand eine Unruhe; nach drei Tagen aber<lb/>
kam zu dieser Unruhe die Geschichte der Schiffsleute<lb/>
hinzu &#x2014; und nun sagte alles Volk, dass der Teufel<lb/>
Zarathustra geholt habe. Seine Jünger lachten zwar<lb/>
ob dieses Geredes; und einer von ihnen sagte sogar:<lb/>
&#x201E;eher glaube ich noch, dass Zarathustra sich den<lb/>
Teufel geholt hat.&#x201C; Aber im Grunde der Seele waren<lb/>
sie Alle voll Besorgniss und Sehnsucht: so war ihre<lb/>
Freude gross, als am fünften Tage Zarathustra unter<lb/>
ihnen erschien.</p><lb/>
        <p>Und diess ist die Erzählung von Zarathustra's Ge¬<lb/>
spräch mit dem Feuerhunde.</p><lb/>
        <p>Die Erde, sagte er, hat eine Haut; und diese Haut<lb/>
hat Krankheiten. Eine dieser Krankheiten heisst zum<lb/>
Beispiel: &#x201E;Mensch.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Und eine andere dieser Krankheiten heisst &#x201E;Feuer¬<lb/>
hund&#x201C;: über <hi rendition="#g">den</hi> haben sich die Menschen Viel vor¬<lb/>
gelogen und vorlügen lassen.</p><lb/>
        <p>Diess Geheimniss zu ergründen gieng ich über das<lb/>
Meer: und ich habe die Wahrheit nackt gesehn,<lb/>
wahrlich! barfuss bis zum Halse.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0084] ihn Alle schon gesehn, ausgenommen der Capitän selber, und sie liebten ihn, wie das Volk liebt: also dass zu gleichen Theilen Liebe und Scheu beisammen sind. „Seht mir an! sagte der alte Steuermann, da fährt Zarathustra zur Hölle!“ — Um die gleiche Zeit, als diese Schiffer an der Feuerinsel landeten, lief das Gerücht umher, dass Zarathustra verschwunden sei; und als man seine Freunde fragte, erzählten sie, er sei bei Nacht zu Schiff gegangen, ohne zu sagen, wohin er reisen wolle. Also entstand eine Unruhe; nach drei Tagen aber kam zu dieser Unruhe die Geschichte der Schiffsleute hinzu — und nun sagte alles Volk, dass der Teufel Zarathustra geholt habe. Seine Jünger lachten zwar ob dieses Geredes; und einer von ihnen sagte sogar: „eher glaube ich noch, dass Zarathustra sich den Teufel geholt hat.“ Aber im Grunde der Seele waren sie Alle voll Besorgniss und Sehnsucht: so war ihre Freude gross, als am fünften Tage Zarathustra unter ihnen erschien. Und diess ist die Erzählung von Zarathustra's Ge¬ spräch mit dem Feuerhunde. Die Erde, sagte er, hat eine Haut; und diese Haut hat Krankheiten. Eine dieser Krankheiten heisst zum Beispiel: „Mensch.“ Und eine andere dieser Krankheiten heisst „Feuer¬ hund“: über den haben sich die Menschen Viel vor¬ gelogen und vorlügen lassen. Diess Geheimniss zu ergründen gieng ich über das Meer: und ich habe die Wahrheit nackt gesehn, wahrlich! barfuss bis zum Halse.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/84
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/84>, abgerufen am 27.11.2024.