Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.Vom Baum am Berge. Zarathustra's Auge hatte gesehn, dass ein Jüngling Wenn ich diesen Baum da mit meinen Händen Aber der Wind, den wir nicht sehen, der quält Da erhob sich der Jüngling bestürzt und sagte: "Was erschrickst du desshalb? - Aber es ist mit Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will, Vom Baum am Berge. Zarathustra's Auge hatte gesehn, dass ein Jüngling Wenn ich diesen Baum da mit meinen Händen Aber der Wind, den wir nicht sehen, der quält Da erhob sich der Jüngling bestürzt und sagte: „Was erschrickst du desshalb? - Aber es ist mit Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0061" n="55"/> <div n="2"> <head>Vom Baum am Berge.<lb/></head> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Zarathustra's Auge hatte gesehn, dass ein Jüngling<lb/> ihm auswich. Und als er eines Abends allein durch<lb/> die Berge gieng, welche die Stadt umschliessen, die<lb/> genannt wird „die bunte Kuh“: siehe, da fand er im<lb/> Gehen diesen Jüngling, wie er an einen Baum gelehnt<lb/> sass und müden Blickes in das Thal schaute. Zara¬<lb/> thustra fasste den Baum an, bei welchem der Jüngling<lb/> sass, und sprach also:</p><lb/> <p>Wenn ich diesen Baum da mit meinen Händen<lb/> schütteln wollte, ich würde es nicht vermögen.</p><lb/> <p>Aber der Wind, den wir nicht sehen, der quält<lb/> und biegt ihn, wohin er will. Wir werden am schlimm¬<lb/> sten von unsichtbaren Händen gebogen und gequält.</p><lb/> <p>Da erhob sich der Jüngling bestürzt und sagte:<lb/> „ich höre Zarathustra und eben dachte ich an ihn.“<lb/> Zarathustra entgegnete:</p><lb/> <p>„Was erschrickst du desshalb? - Aber es ist mit<lb/> dem Menschen wie mit dem Baume.</p><lb/> <p>Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will,<lb/> um so stärker streben seine Wurzeln erdwärts, ab¬<lb/> wärts, in's Dunkle, Tiefe, — in's Böse.“<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [55/0061]
Vom Baum am Berge.
Zarathustra's Auge hatte gesehn, dass ein Jüngling
ihm auswich. Und als er eines Abends allein durch
die Berge gieng, welche die Stadt umschliessen, die
genannt wird „die bunte Kuh“: siehe, da fand er im
Gehen diesen Jüngling, wie er an einen Baum gelehnt
sass und müden Blickes in das Thal schaute. Zara¬
thustra fasste den Baum an, bei welchem der Jüngling
sass, und sprach also:
Wenn ich diesen Baum da mit meinen Händen
schütteln wollte, ich würde es nicht vermögen.
Aber der Wind, den wir nicht sehen, der quält
und biegt ihn, wohin er will. Wir werden am schlimm¬
sten von unsichtbaren Händen gebogen und gequält.
Da erhob sich der Jüngling bestürzt und sagte:
„ich höre Zarathustra und eben dachte ich an ihn.“
Zarathustra entgegnete:
„Was erschrickst du desshalb? - Aber es ist mit
dem Menschen wie mit dem Baume.
Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will,
um so stärker streben seine Wurzeln erdwärts, ab¬
wärts, in's Dunkle, Tiefe, — in's Böse.“
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Zitationshilfe: | Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/61>, abgerufen am 05.07.2024. |