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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

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Dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des
Abends thust, wenn du hinter das Meer gehst und noch
der Unterwelt Licht bringst, du überreiches Gestirn!

Ich muss, gleich dir, untergehen, wie die Men¬
schen es nennen, zu denen ich hinab will.

So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne
Neid auch ein allzugrosses Glück sehen kann!

Segne den Becher, welcher überfliessen will, dass
das Wasser golden aus ihm fliesse und überallhin
den Abglanz deiner Wonne trage!

Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden,
und Zarathustra will wieder Mensch werden."

-- Also begann Zarathustra's Untergang.


2.

Zarathustra stieg allein das Gebirge abwärts und
Niemand begegnete ihm. Als er aber in die Wälder
kam, stand auf einmal ein Greis vor ihm, der seine
heilige Hütte verlassen hatte, um Wurzeln im Walde
zu suchen. Und also sprach der Greis zu Zarathustra:

Nicht fremd ist mir dieser Wanderer: vor manchem
Jahre gieng er hier vorbei. Zarathustra hiess er; aber
er hat sich verwandelt.

Damals trugst du deine Asche zu Berge: willst
du heute dein Feuer in die Thäler tragen? Fürchtest
du nicht des Brandstifters Strafen?

Ja, ich erkenne Zarathustra. Rein ist sein Auge,
und an seinem Munde birgt sich kein Ekel. Geht er
nicht daher wie ein Tänzer?

Dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des
Abends thust, wenn du hinter das Meer gehst und noch
der Unterwelt Licht bringst, du überreiches Gestirn!

Ich muss, gleich dir, untergehen, wie die Men¬
schen es nennen, zu denen ich hinab will.

So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne
Neid auch ein allzugrosses Glück sehen kann!

Segne den Becher, welcher überfliessen will, dass
das Wasser golden aus ihm fliesse und überallhin
den Abglanz deiner Wonne trage!

Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden,
und Zarathustra will wieder Mensch werden.“

— Also begann Zarathustra's Untergang.


2.

Zarathustra stieg allein das Gebirge abwärts und
Niemand begegnete ihm. Als er aber in die Wälder
kam, stand auf einmal ein Greis vor ihm, der seine
heilige Hütte verlassen hatte, um Wurzeln im Walde
zu suchen. Und also sprach der Greis zu Zarathustra:

Nicht fremd ist mir dieser Wanderer: vor manchem
Jahre gieng er hier vorbei. Zarathustra hiess er; aber
er hat sich verwandelt.

Damals trugst du deine Asche zu Berge: willst
du heute dein Feuer in die Thäler tragen? Fürchtest
du nicht des Brandstifters Strafen?

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und an seinem Munde birgt sich kein Ekel. Geht er
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[6/0012] Dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends thust, wenn du hinter das Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du überreiches Gestirn! Ich muss, gleich dir, untergehen, wie die Men¬ schen es nennen, zu denen ich hinab will. So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein allzugrosses Glück sehen kann! Segne den Becher, welcher überfliessen will, dass das Wasser golden aus ihm fliesse und überallhin den Abglanz deiner Wonne trage! Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will wieder Mensch werden.“ — Also begann Zarathustra's Untergang. 2. Zarathustra stieg allein das Gebirge abwärts und Niemand begegnete ihm. Als er aber in die Wälder kam, stand auf einmal ein Greis vor ihm, der seine heilige Hütte verlassen hatte, um Wurzeln im Walde zu suchen. Und also sprach der Greis zu Zarathustra: Nicht fremd ist mir dieser Wanderer: vor manchem Jahre gieng er hier vorbei. Zarathustra hiess er; aber er hat sich verwandelt. Damals trugst du deine Asche zu Berge: willst du heute dein Feuer in die Thäler tragen? Fürchtest du nicht des Brandstifters Strafen? Ja, ich erkenne Zarathustra. Rein ist sein Auge, und an seinem Munde birgt sich kein Ekel. Geht er nicht daher wie ein Tänzer?

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/12>, abgerufen am 23.11.2024.