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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

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Ehe: so heisse ich den Willen zu Zweien, das
Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen.
Ehrfurcht vor einander nenne ich Ehe als vor den
Wollenden eines solchen Willens.

Diess sei der Sinn und die Wahrheit deiner Ehe.
Aber Das, was die Viel-zu-Vielen Ehe nennen, diese
Überflüssigen, -- ach, wie nenne ich das?

Ach, diese Armuth der Seele zu Zweien! Ach,
dieser Schmutz der Seele zu Zweien! Ach, diess er¬
bärmliche Behagen zu Zweien!

Ehe nennen sie diess Alles; und sie sagen, ihre
Ehen seien im Himmel geschlossen.

Nun, ich mag ihn nicht, diesen Himmel der Über¬
flüssigen! Nein, ich mag sie nicht, diese im himm¬
lischen Netz verschlungenen Thiere!

Ferne bleibe mir auch der Gott, der heranhinkt,
zu segnen, was er nicht zusammenfügte!

Lacht mir nicht über solche Ehen! Welches Kind
hätte nicht Grund, über seine Eltern zu weinen?

Würdig schien mir dieser Mann und reif für den
Sinn der Erde: aber als ich sein Weib sah, schien
mir die Erde ein Haus für Unsinnige.

Ja, ich wollte, dass die Erde in Krämpfen bebte,
wenn sich ein Heiliger und eine Gans mit einander paaren.

Dieser gieng wie ein Held auf Wahrheiten aus
und endlich erbeutete er sich eine kleine geputzte
Lüge. Seine Ehe nennt er's.

Jener war spröde im Verkehre und wählte wähle¬
risch. Aber mit Einem Male verdarb er für alle Male
seine Gesellschaft: seine Ehe nennt er's.

Ehe: so heisse ich den Willen zu Zweien, das
Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen.
Ehrfurcht vor einander nenne ich Ehe als vor den
Wollenden eines solchen Willens.

Diess sei der Sinn und die Wahrheit deiner Ehe.
Aber Das, was die Viel-zu-Vielen Ehe nennen, diese
Überflüssigen, — ach, wie nenne ich das?

Ach, diese Armuth der Seele zu Zweien! Ach,
dieser Schmutz der Seele zu Zweien! Ach, diess er¬
bärmliche Behagen zu Zweien!

Ehe nennen sie diess Alles; und sie sagen, ihre
Ehen seien im Himmel geschlossen.

Nun, ich mag ihn nicht, diesen Himmel der Über¬
flüssigen! Nein, ich mag sie nicht, diese im himm¬
lischen Netz verschlungenen Thiere!

Ferne bleibe mir auch der Gott, der heranhinkt,
zu segnen, was er nicht zusammenfügte!

Lacht mir nicht über solche Ehen! Welches Kind
hätte nicht Grund, über seine Eltern zu weinen?

Würdig schien mir dieser Mann und reif für den
Sinn der Erde: aber als ich sein Weib sah, schien
mir die Erde ein Haus für Unsinnige.

Ja, ich wollte, dass die Erde in Krämpfen bebte,
wenn sich ein Heiliger und eine Gans mit einander paaren.

Dieser gieng wie ein Held auf Wahrheiten aus
und endlich erbeutete er sich eine kleine geputzte
Lüge. Seine Ehe nennt er's.

Jener war spröde im Verkehre und wählte wähle¬
risch. Aber mit Einem Male verdarb er für alle Male
seine Gesellschaft: seine Ehe nennt er's.

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[100/0106] Ehe: so heisse ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen. Ehrfurcht vor einander nenne ich Ehe als vor den Wollenden eines solchen Willens. Diess sei der Sinn und die Wahrheit deiner Ehe. Aber Das, was die Viel-zu-Vielen Ehe nennen, diese Überflüssigen, — ach, wie nenne ich das? Ach, diese Armuth der Seele zu Zweien! Ach, dieser Schmutz der Seele zu Zweien! Ach, diess er¬ bärmliche Behagen zu Zweien! Ehe nennen sie diess Alles; und sie sagen, ihre Ehen seien im Himmel geschlossen. Nun, ich mag ihn nicht, diesen Himmel der Über¬ flüssigen! Nein, ich mag sie nicht, diese im himm¬ lischen Netz verschlungenen Thiere! Ferne bleibe mir auch der Gott, der heranhinkt, zu segnen, was er nicht zusammenfügte! Lacht mir nicht über solche Ehen! Welches Kind hätte nicht Grund, über seine Eltern zu weinen? Würdig schien mir dieser Mann und reif für den Sinn der Erde: aber als ich sein Weib sah, schien mir die Erde ein Haus für Unsinnige. Ja, ich wollte, dass die Erde in Krämpfen bebte, wenn sich ein Heiliger und eine Gans mit einander paaren. Dieser gieng wie ein Held auf Wahrheiten aus und endlich erbeutete er sich eine kleine geputzte Lüge. Seine Ehe nennt er's. Jener war spröde im Verkehre und wählte wähle¬ risch. Aber mit Einem Male verdarb er für alle Male seine Gesellschaft: seine Ehe nennt er's.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/106>, abgerufen am 21.11.2024.