Vernunft allein ausgeführt werden. Uebersieht man nun nur diese wesentliche Beziehung nicht, in welcher die animale Natur des Menschen zu seiner Vernunft steht, so wird man auch um so weniger in der Abstrac- tion reiner Geistigkeit die eigentliche Be- stimmung desselben suchen wollen, da er durch die Vernunft selbst an seine animale Natur und durch die- se an die objective Welt gewiesen ist, um darinn die bestimmten Andeutungen der Vernunft zu verstehen.
Wenden wir nun diese Ansichten von dem Be- griffe des Menschen auf die Theorie des Erzie- hungsunterrichts an, so finden wir die Vereini- gung der beiden entgegengesetzten Extreme in der be- schriebnen Doppeleinheit der menschlichen Natur. Der Unterricht, der den Menschen zur Vernunft zu bilden hat, muß ihn als diese Doppel-Natur betrachten und be- handeln, als ein Wesen, welches nicht bloß zur Ver- nunft geweckt, sondern auch, die Vernunft in Wort und Werk außer sich darzustellen, befähiget werden soll. Keine von beiden Bedingungen darf der Erzie- her in seinem Unterrichte vernachlässigen, wenn er die Forderung vollständig erfüllen will, die Zöglinge zum vollen Gebrauche ihrer Vernunft und zu umfassender Erfüllung ihrer Bestimmung auf Erden anzuleiten.
Damit ist zugleich der Hauptgesichtspunkt zur Be- urtheilung der beiden entgegengesetzten Unterrichtssyste- me festgesetzt, von welchem aus es leicht ist, beiden volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Hier mag
Zweiter Abſchnitt.
Vernunft allein ausgefuͤhrt werden. Ueberſieht man nun nur dieſe weſentliche Beziehung nicht, in welcher die animale Natur des Menſchen zu ſeiner Vernunft ſteht, ſo wird man auch um ſo weniger in der Abſtrac- tion reiner Geiſtigkeit die eigentliche Be- ſtimmung deſſelben ſuchen wollen, da er durch die Vernunft ſelbſt an ſeine animale Natur und durch die- ſe an die objective Welt gewieſen iſt, um darinn die beſtimmten Andeutungen der Vernunft zu verſtehen.
Wenden wir nun dieſe Anſichten von dem Be- griffe des Menſchen auf die Theorie des Erzie- hungsunterrichts an, ſo finden wir die Vereini- gung der beiden entgegengeſetzten Extreme in der be- ſchriebnen Doppeleinheit der menſchlichen Natur. Der Unterricht, der den Menſchen zur Vernunft zu bilden hat, muß ihn als dieſe Doppel-Natur betrachten und be- handeln, als ein Weſen, welches nicht bloß zur Ver- nunft geweckt, ſondern auch, die Vernunft in Wort und Werk außer ſich darzuſtellen, befaͤhiget werden ſoll. Keine von beiden Bedingungen darf der Erzie- her in ſeinem Unterrichte vernachlaͤſſigen, wenn er die Forderung vollſtaͤndig erfuͤllen will, die Zoͤglinge zum vollen Gebrauche ihrer Vernunft und zu umfaſſender Erfuͤllung ihrer Beſtimmung auf Erden anzuleiten.
Damit iſt zugleich der Hauptgeſichtspunkt zur Be- urtheilung der beiden entgegengeſetzten Unterrichtsſyſte- me feſtgeſetzt, von welchem aus es leicht iſt, beiden volle Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen. Hier mag
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0082"n="70"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Zweiter Abſchnitt</hi>.</fw><lb/>
Vernunft allein ausgefuͤhrt werden. Ueberſieht man<lb/>
nun nur dieſe weſentliche Beziehung nicht, in welcher<lb/>
die animale Natur des Menſchen zu ſeiner Vernunft<lb/>ſteht, ſo wird man auch um ſo weniger in der Abſtrac-<lb/>
tion <hirendition="#g">reiner Geiſtigkeit</hi> die <hirendition="#g">eigentliche Be-<lb/>ſtimmung</hi> deſſelben ſuchen wollen, da er durch die<lb/>
Vernunft ſelbſt an ſeine animale Natur und durch die-<lb/>ſe an die objective Welt gewieſen iſt, um darinn die<lb/>
beſtimmten Andeutungen der Vernunft zu verſtehen.</p><lb/><p>Wenden wir nun dieſe Anſichten von dem Be-<lb/>
griffe des Menſchen auf die <hirendition="#g">Theorie des Erzie-<lb/>
hungsunterrichts</hi> an, ſo finden wir die Vereini-<lb/>
gung der beiden entgegengeſetzten Extreme in der be-<lb/>ſchriebnen Doppeleinheit der menſchlichen Natur. Der<lb/>
Unterricht, der den Menſchen zur Vernunft zu bilden<lb/>
hat, muß ihn als dieſe Doppel-Natur betrachten und be-<lb/>
handeln, als ein Weſen, welches nicht bloß zur Ver-<lb/>
nunft geweckt, ſondern auch, die Vernunft in Wort<lb/>
und Werk außer ſich darzuſtellen, befaͤhiget werden<lb/>ſoll. Keine von beiden Bedingungen darf der Erzie-<lb/>
her in ſeinem Unterrichte vernachlaͤſſigen, wenn er die<lb/>
Forderung vollſtaͤndig erfuͤllen will, die Zoͤglinge zum<lb/>
vollen Gebrauche ihrer Vernunft und zu umfaſſender<lb/>
Erfuͤllung ihrer Beſtimmung auf Erden anzuleiten.</p><lb/><p>Damit iſt zugleich der Hauptgeſichtspunkt zur Be-<lb/>
urtheilung der beiden entgegengeſetzten Unterrichtsſyſte-<lb/>
me feſtgeſetzt, von welchem aus es leicht iſt, beiden<lb/>
volle Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen. Hier mag<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[70/0082]
Zweiter Abſchnitt.
Vernunft allein ausgefuͤhrt werden. Ueberſieht man
nun nur dieſe weſentliche Beziehung nicht, in welcher
die animale Natur des Menſchen zu ſeiner Vernunft
ſteht, ſo wird man auch um ſo weniger in der Abſtrac-
tion reiner Geiſtigkeit die eigentliche Be-
ſtimmung deſſelben ſuchen wollen, da er durch die
Vernunft ſelbſt an ſeine animale Natur und durch die-
ſe an die objective Welt gewieſen iſt, um darinn die
beſtimmten Andeutungen der Vernunft zu verſtehen.
Wenden wir nun dieſe Anſichten von dem Be-
griffe des Menſchen auf die Theorie des Erzie-
hungsunterrichts an, ſo finden wir die Vereini-
gung der beiden entgegengeſetzten Extreme in der be-
ſchriebnen Doppeleinheit der menſchlichen Natur. Der
Unterricht, der den Menſchen zur Vernunft zu bilden
hat, muß ihn als dieſe Doppel-Natur betrachten und be-
handeln, als ein Weſen, welches nicht bloß zur Ver-
nunft geweckt, ſondern auch, die Vernunft in Wort
und Werk außer ſich darzuſtellen, befaͤhiget werden
ſoll. Keine von beiden Bedingungen darf der Erzie-
her in ſeinem Unterrichte vernachlaͤſſigen, wenn er die
Forderung vollſtaͤndig erfuͤllen will, die Zoͤglinge zum
vollen Gebrauche ihrer Vernunft und zu umfaſſender
Erfuͤllung ihrer Beſtimmung auf Erden anzuleiten.
Damit iſt zugleich der Hauptgeſichtspunkt zur Be-
urtheilung der beiden entgegengeſetzten Unterrichtsſyſte-
me feſtgeſetzt, von welchem aus es leicht iſt, beiden
volle Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen. Hier mag
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/82>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.