Mensch einer von der sinnlichen Ordnung der Dinge verschiednen höhern geistigen Ordnung angehö- re, in welcher seine eigentliche Bestimmung um so gewisser zu suchen sey, da er selbst seine animale Natur dazu erhoben und darauf angewiesen findet.
Eben so muß auf der andern Seite die Bestim- mung des Menschen nicht aus seiner Ver- nunft allein, sondern aus ihrer Verbindung mit der Thierheit in ihm, abgeleitet werden. Die Vernunft, als reine Vernunft in dem Menschen gedacht, ist ein durchaus Unbestimmtes, das wir in dieser Abstraction weder an sich selbst begreifen, noch auch in seinen Aeu- ßerungen (den Ideen) fassen und verstehen, die für uns erst Innhalt und Bestimmtheit bekommen in ihrer Anwendung auf die objective Welt. Wir begreifen so- gar die Vernunft selbst nicht anders als in ihrer Be- ziehung auf ein Objectives, und die Ideen, wenn wir sie in ihrer absoluten Reinheit auffassen wollen, wer- den uns völlig innhaltleer oder verschwinden uns viel- mehr ganz; wie -- um nur dies eine Beispiel zur Er- läuterung zu nennen -- die Ideen der Moral ohne bestimmte Bedeutung sind, wenn wir sie ohne ihre Be- ziehung auf die objecte Welt denken wollen, und eine Moralität, die nicht ein Darstellen moralischer Ideen in der objectiven Welt seyn will, eine leere Schwär- merei ist. So wird die Vernunft dem Menschen selbst erst durch seine animale Natur zum bestimmten Be- wußtseyn fixirt, und sonach kann seine Bestimmung weder aus der Vernunft allein erkannt, noch durch
Wiſſenſchaftl. Geſichtspunkt d. Unterſuchung.
Menſch einer von der ſinnlichen Ordnung der Dinge verſchiednen hoͤhern geiſtigen Ordnung angehoͤ- re, in welcher ſeine eigentliche Beſtimmung um ſo gewiſſer zu ſuchen ſey, da er ſelbſt ſeine animale Natur dazu erhoben und darauf angewieſen findet.
Eben ſo muß auf der andern Seite die Beſtim- mung des Menſchen nicht aus ſeiner Ver- nunft allein, ſondern aus ihrer Verbindung mit der Thierheit in ihm, abgeleitet werden. Die Vernunft, als reine Vernunft in dem Menſchen gedacht, iſt ein durchaus Unbeſtimmtes, das wir in dieſer Abſtraction weder an ſich ſelbſt begreifen, noch auch in ſeinen Aeu- ßerungen (den Ideen) faſſen und verſtehen, die fuͤr uns erſt Innhalt und Beſtimmtheit bekommen in ihrer Anwendung auf die objective Welt. Wir begreifen ſo- gar die Vernunft ſelbſt nicht anders als in ihrer Be- ziehung auf ein Objectives, und die Ideen, wenn wir ſie in ihrer abſoluten Reinheit auffaſſen wollen, wer- den uns voͤllig innhaltleer oder verſchwinden uns viel- mehr ganz; wie — um nur dies eine Beiſpiel zur Er- laͤuterung zu nennen — die Ideen der Moral ohne beſtimmte Bedeutung ſind, wenn wir ſie ohne ihre Be- ziehung auf die objecte Welt denken wollen, und eine Moralitaͤt, die nicht ein Darſtellen moraliſcher Ideen in der objectiven Welt ſeyn will, eine leere Schwaͤr- merei iſt. So wird die Vernunft dem Menſchen ſelbſt erſt durch ſeine animale Natur zum beſtimmten Be- wußtſeyn fixirt, und ſonach kann ſeine Beſtimmung weder aus der Vernunft allein erkannt, noch durch
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Wiſſenſchaftl. Geſichtspunkt d. Unterſuchung.
Menſch einer von der ſinnlichen Ordnung der Dinge
verſchiednen hoͤhern geiſtigen Ordnung angehoͤ-
re, in welcher ſeine eigentliche Beſtimmung um
ſo gewiſſer zu ſuchen ſey, da er ſelbſt ſeine animale
Natur dazu erhoben und darauf angewieſen findet.
Eben ſo muß auf der andern Seite die Beſtim-
mung des Menſchen nicht aus ſeiner Ver-
nunft allein, ſondern aus ihrer Verbindung mit der
Thierheit in ihm, abgeleitet werden. Die Vernunft,
als reine Vernunft in dem Menſchen gedacht, iſt ein
durchaus Unbeſtimmtes, das wir in dieſer Abſtraction
weder an ſich ſelbſt begreifen, noch auch in ſeinen Aeu-
ßerungen (den Ideen) faſſen und verſtehen, die fuͤr
uns erſt Innhalt und Beſtimmtheit bekommen in ihrer
Anwendung auf die objective Welt. Wir begreifen ſo-
gar die Vernunft ſelbſt nicht anders als in ihrer Be-
ziehung auf ein Objectives, und die Ideen, wenn wir
ſie in ihrer abſoluten Reinheit auffaſſen wollen, wer-
den uns voͤllig innhaltleer oder verſchwinden uns viel-
mehr ganz; wie — um nur dies eine Beiſpiel zur Er-
laͤuterung zu nennen — die Ideen der Moral ohne
beſtimmte Bedeutung ſind, wenn wir ſie ohne ihre Be-
ziehung auf die objecte Welt denken wollen, und eine
Moralitaͤt, die nicht ein Darſtellen moraliſcher Ideen
in der objectiven Welt ſeyn will, eine leere Schwaͤr-
merei iſt. So wird die Vernunft dem Menſchen ſelbſt
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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/81>, abgerufen am 16.02.2025.
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